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Full text of "Neurologisches Centralblatt. V. 17.1898. UC"

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SAN FRANCISCO 


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^NEUROLOGISCHES 


CENTRALBLATT 


ÜBERSICHT 

DER 

LEISTUNGEN AUF DEM GEBIETE DEB ANATOMIE, 
PHYSIOLOGIE, PATHOLOGIE UND THERAPIE DES NERVEN¬ 
SYSTEMS EINSCHLIESSLICH DER GEISTESKRANKHEITEN. 

HERAUSGEGEBEN 

VON 

De. E. MENDEL, 

PR0PB880R AN DER UNIVERSITÄT BERLIN. 


SIEBZEHNTER JAHRGANG. 

MIT ZAHLREICHEN ABBILDUNGEN IM TEXT. 



LEIPZIG, 

VERLAG VON VEIT & COMP. 


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Druck von Metsger & Wlttlg in lAiprigi 


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Neurologisches Centralblatt. 

Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie 
und Therapie des Nervensystems einschliesslich der Geisteskrankheiten. 

Heraasgegeben von 


Siebzehnter 


Professor Dr. E. Mendel 

zu Berlin« 


Jahrgang. 

Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 24 Mark. Zu beziehen durch 
alle Buchhandlungen des In- und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie 

direct von der Verlagsbuchhandlung. 


1898. 


1. Januar. 


Nr. 1. 


I. Originalmittheilungen. 1. Das Verhalten der Spinalgauglienzellen bei Tabes auf Grund 
NissPs Färbung, von Doc. Dr. Karl Schaffer. 2. Ueber Zwangsvorstellungen, von E. Mendel. 

II. Referate. Anatomie. 1. Untersuchungen über den histologischen Bau der Ciliar- 
ncrven, von Hahn.' — Experimentelle Physiologie. 2. On the regeneration of pre- 
ganglionic and of post-ganglionic visceral nerve fibres, by Langley. 3. Zur Physiologie 
der Harnblase, von Schlesinger. — Pathologische Anatomie. 4. Ein Fall von 
mtningealer Perteeseh wulst, von Nehrkorn. 5. Du craoe chez les alienös, par Rey. 6. The 
efect of „Ascending degeneration“ on the nerve cells of the ganglia on the posterior 
nerve roots, and the anterior cornua of the cord, by Fleming. — Pathologie des 
Nervensystems. 7. Ueber Fehlen der Pupillarreaction bei vorhandener Licnterapfin- 
dnng, von Brixa. 8. The pathology of tabes dorsalis. A criticai digest, by Splller. 

9. Note sur le retour de la sensibilite testiculaire dans le tabes, par Bitot et Sabrazis. 

10. Beitrag zui Aetiologie und Symptomatologie der Tabes dorsalis, von Tumpowski.' 11. Ueber 
periodisches Erbrechen bei Tabeskranken (gastrische Krisen), von Ostankow. 12. I/association 
hystero-tabetique, par Vires. 13. Anaesthesia of the trunk in locomotor ataxia, by Patrick. 
14. Sensory disturbances in locomotor ataxia, by Bonar. In. Les troubles du goüt et de 
Todorat dans le tabes, par Klippel. 16. L’elongation vraie de la iuoölle dans le tabes, pär 
de la Töurette et Chipault. 17. Tabes juvönile et tabes hereditaire, par Raymond. 18. Ueber 
den gegenwärtigen Stand der Behandlung der Tabes dorsalis, von Eulenburg. 19. Traitement 
de l'ataxie dans le tabes dorsalis par la reeducation des mouvements (methode de Frenkel), 
par Hirschberg. 20. Zwei Fälle von Tabes dorsalis mit Sperminum-Poehl behandelt, von 
Werbitzky. 21. Chronische fortschreitende Angenmuskellähmung und progressive Paralyse, 
von Siemerling und Bödeker. 22. Note sur un cas de pachytneningite heraorrhagique prise 
pour une paralysie generale, par Boissier. 23. Ueber Pruritus als Symptom der progressiven 
Paralyse, von Sarbö. 24. Contribution ä Petude du reflexe pharyngien etudie chez les tndmes 
malades aux trois periödes de la paralysie generale, par de Montyel. 25. I. Sur la pöriode 
terminale de la paralysie generale et sur la mort des paralytiques generaux, par Arnaud. 

11. Periodes terminales et mort dans les soidisant paralysies generales progressives, par Paris. 

26. Un cas de rnaladie de Friedreich avec autopsieet examen histologique, par Simon. 

27. Thrce cases of Friedreich's disease all presenting marked in crease of the knee-jerk, by 
Modge. 28. Hemarks on FriedrciclTs Ataxia, with notes of three cases, by Bramwell. — 
Psychiatrie. 29. L'assistance et le classement des alienes en Belgique, par Peeters. 
30. Sur les hallucinations symboliques danß les psychoses et dans les reves des sourds- 
muets. par Sanjuau. 31. Ueber Zustände von Verwirrtheit und Aufregung oder Stupor im 
Beginne und Verlaufe der chronischen Paranoia, von Krause. 31. Acute manie, door van Erp 
Taalman Kip. 33. Traitement de la manie, par Magn&n. — Therapie. 34. Ueber die Wirkungs¬ 
weise des Pyramidon bei verschiedenen Krankheitszuständen, von Roth. 35. Lumbalpunotion, 
Spinalpunction, von Goldscheider. 

III. Aus den Gesellschaften. Berliner Gesellschaft für Psychiatrie und Nervenkrank¬ 
heiten. ; Schluss.) — Verein für innere Medicin in Berlin. — Psychiatrischer Verein zu 
Berlin. — 28. Versammlung der südwestdeutschen Irrenärzte in Karlsruhe am 6. und 7. No¬ 
vember 1897. 

IV. Vermischtes. — V. Personalien. 


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I. Originalmittheilungen. 


[Mittheilung aus dem histolog. Laboratorium der Nervenabtheilung des haupt- 
städt. Siechenhauses „Elisabeth“ in Budapest.] 

1. Das Verhalten der Spinalganglienzellen bei Tabes auf 

Grund Nissl’s Färbung. 

[Vorläufige Mittheilung.] 

Von Doc. Dr. Earl Schaffer, Ordinarius der Abtheilung. 

Die Frage über das Wesen der Pathogenese der Tabes erfuhr, wie bekannt 
in den letzten Jahren durch die Untersuchungen von Redlich 1 * , Oberste™er 
und Redlich*, sowie von J. Nageotte 3 eine erneuerte Bearbeitung, welche die 
frühere Anschauung über eine primäre degenerative Strangerkrankung als hin¬ 
fällig erscheinen lässt, und die primäre Läsion bei der Tabes in die hinteren 
Wurzeln localisirt. Insbesondere war es P. Marie 4 * , welcher als Erster scharf 
betonte, dass gemäss der neuesten wissenschaftlichen Auffassung primäre 
Strangsclerosen, d. h. Strangaffectioneu ohne vorausgegangene Zellerkrankung 
nicht existiren, da eine Strangerkrankung nur auf Grund der Läsion des respec- 
tiven Centrums entstehen kann. Somit richtete sich die Aufmerksamkeit auf 
die Urspiungsstätte der hinteren Wurzeln, d. h. auf die Spinalganglien, deren 
genaueren Untersuchung sich in erster Linie Wollenberg 6 , hernach Stroebe 6 
unterzog. Die sehr gewissenhaften Untersuchungen von Wollenberg ergaben 
die Schrumpfung und auffallende Pigmentirung der Spinalganglienzellen, sowie 
die Trübung und Verfettung deren Protoplasma. Stroebe, der seine Präparate 
nach Weigert und mit van Gieson’s Hämatoxylin-Carmin färbte, fand an 
den Spinalganglienzellen Schrumpfung und Verkleinerung des Zellleibes, abnorm 
dichtes, hervorgewölbtes Protoplasma, hochgradige, als pathologisch anzuseheude 
Pigmentirung des Protoplasma oft gerade in geschrumpften Zellen; Vacuolisirung 
und Zerklüftung des Protoplasma; am Kern eckigen, zackigen Contour, gelappte 


1 Die hinteren Wurzeln des Rückenmarks und die pathol. Anatomie der Tabes dors. 
Jahrb. f. Psycb. 1892, sowie: Die Pathogenese der tabischen Rückenmarksentartung. 1897. 
G. Fischer, Jena. 

* Ueber Wesen und Pathologie der tabischen Hinterstrangserkrankung. Arbeit aus 
Oberstbinkk’s Laboratorium. 1894. 

8 Sur la läsion primitive du tabes. 1895. Paris. Steinheil edit. 

4 Le^ons sur les maladies de la moelle etc. 1892. 

* Untersuchungen über das Verhalten der Spinalganglien bei der Tabes dors. Archiv 
f. Psych. 1892. 

4 Ueber Veränderungen der Spinalganglien bei Tabes dors. Centralbl. f. allg. Pathol. 
u. pathol. Anatomie. 1894. 


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Kernform, abnorm starke Färbbarkeit des Kerns, zackiges Kernkörperchen, 
schliesslich totalen Kernschwand und Untergang der ganzen Ganglienzelle. 
Ferner: Erweiterung des Kapselraumes, Wucherung der Kapselwandzellen, welche 
den Baum auch ausfüllen können. Das interstitielle Gewebe der Ganglien zeigt 
keine bedeutende Zunahme und Kemwucherung. Redlich (1. c.) fand vergrössert 
erscheinende .Spinalganglienzellen mit hellem Protoplasma, öfters mit Vacuolen, 
ferner geschrumpfte Zellen mit stärker gefärbtem Protoplasma, der Kern oft 
undeutlich. „Einzelne Zellen sind auch ganz ausgefallen.“ 

Die von Wollbnbebg und Stboebe wie Redlich gefundenen Verände¬ 
rungen erfuhren eine verschiedene Beurtheilung. Während nämlich \Vollek- 
bebg dieselben viel zu gering schätzte, um sie für die primäre Läsion der Tabes 
ansprechen zu können, äussert sich im Gegensatz Stboebe folgend: „Die Befunde 
an den Ganglienzellen dürften ... wohl genügen, um mit P. Mabie die primäre 
Erkrankung bei Tabes in die Spinalganglienzellen zu verlegen und die Degene¬ 
ration der Hinterstränge als eine hiervon abhängige, secundäre Degeneration an¬ 
zusehen.“ Doch beeilt sich selbst dieser Autor hinzuzusetzen: „Gegen diese 
Annahme spricht indes vorläufig der nicht proportionale Grad der Erkrankung 
der Hinterwurzeln und der sensiblen peripheren Fasern am Ganglion.“ Redlich 
äussert sich treffend in folgender Weise: „Ein sicheres Urtheil über die Läsionen 
der Spinalganglienzellen bei der Tabes wird sich erst dann abgeben lassen, 'wenn 
ausgedehnte Untersuchungen mit der NissL-Färbung vorliegen werden.“ 

Somit steht die Frage über die Rolle der Spinalganglien bei Tabes momentan 
derart, dass einerseits wohl fundirte theoretische Erwägungen uns dazu zwingen, 
in die Spinalganglien die primäre tabische Läsion zu verlegen, während ander¬ 
seits die thatsächlichen histologischen Funde an den Spinalganglienzellen absolut 
nicht als ausreichend zu bezeichnen sind. In Anbetracht dieser Sachlage musste 
ich mir die Frage vorlegen, ob denn die modernen Zellstructurfärbungen, nament¬ 
lich Nissl’s Tinction, uns nicht eines Besseren belehren dürften, umsomehr, da 
wir in Lenhoss£k’s trefflicher Arbeit „Ueber den Bau der Spinalgang- 
lieuzellen des Menschen“ 1 eine vorzügliche Grundlage zur Entscheidung 
der oben aufgeworfenen Frage besitzen. So entschloss ich mich bereits 1896, 
die tabischen Spinalganglien mit Hülfe der NissL’schen Färbung zu unter¬ 
suchen. Zur Analyse gelangten drei Fälle von Tabes, wovon ein Fall be¬ 
züglich der Intensität der Hinterstrangsaffection als beginnend zu bezeichnen 
ist, während die übrigen zwei Fälle Vertreter der absoluten Tabes waren, 
<1. h. durchgreifende Entartung sämmtlicher hinteren Wurzeln des Rückenmarks 
darboten. 

' Da nun die Beurtheilung der etwaigen Veränderungen der Spinalganglien- 
zellen in erster Linie von der normalen Structur abhängig ist, so sei mir in 
uur einigen Zeilen gestattet, die wichtigsten Sätze aus LenhossEk’s klassischer 
Beschreibung vorzuführen. Ich beschränke mich hierbei einzig auf den färb¬ 
baren Bestandteil des Zellkörpers, von Lenhossek nicht ohne Grund „Tigroid“ 


1 Arcb. f. raikroskop. Anatomie. 1897. 

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1 * 

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benannt, welcher doch das eigentliche Substrat der Nissi/schen Tinction 
bildet. 

An normalen Spinalganglien constatirte auch ich, dass der Zellleib der 
Epithelkapsel eng anliegt, sowie Schollen verschiedenster Grösse enthält, weiche 
„eckige, klumpige, verzerrte Figuren“ (1. c.) darboten. Die gröberen Schollen 
befinden sich in der Form eines „Randschollenkranzes“ hart an der Peripherie 
des Protoplasma und kommen lediglich durch die Zusammenlöthung mehrerer 
kleiner Schollen zu Stande. Im Inneren des Zellleibes fand ich zumeist feine, 
ja allerfeinste Körnchen vor.. LenhossEk hebt die Ungezwungenheit der Lagerung 
der Schollen hervor, und betont, dass er sich von einer concentrischen Schichtung 
der Schollen beim Menschen nicht überzeugen konnte. Hiergegen sei die Be¬ 
merkung gestattet, dass ich an einzelnen, immerhin seltenen Spinalgauglienzellen 
eine Andeutung der concentrischen Lagerung bestimmt äuffinden konnte (s. Fig. 1). — 
Als wichtigen Fund LenhossEk’s möchte ich bezeichnen, dass er bezüglich der 
Grösse und Anzahl der Schollen mehrere Zellenarten unterscheidet, besonders 



Fig. 1. Spinalganglienzelle mit Andeutung der concentrischen 
Schichtung des Tigroids. Initiale Tabes. (Sämmtliche Figuren 
sind mit der homogen. Immersion . 7,8 Ap. 0,30 und Ocul. III 
Reichert gezeichnet.) 


aber als zwei, besonders scharf ausgesprochene Typen 1. die helle Zellenart 
und 2. die grobscholligen Zellen hervorhebt. Die helle Zelle besitzt einen 
fast immer vorhandenen Randschollenkranz, während derselbe bei den grob¬ 
scholligen Zellen, deren Tigroid „zerrissene, flockige Körper“ (1. c.) darstellt, der 
Regel nach fehlt. Die grössten Zellen sollen nach LenhossEk nur selten 
grobscheckig sein, welche Behauptung ich, namentlich für meine Präparate, 
nicht als ausnahmslos zutreffend fand. Jedoch sei hervorgehoben, dass zwischen 
der hellen und grobscholligen Zelle so zahlreiche Uebergänge existireu, dass ein 
Schnitt aus dem Spinalganglion unter schwacher Vergrösserung ein sehr buntes 
Bild darbietet. Dieser Umstand ist aus dem Grund sehr wichtig, da er bei 
der Beurtheilung etwaiger pathologischer Verhältnisse von hoher Bedeutung ist: 
finden wir nämlich in den tabischen Spinalganglien helle Zellen mit feinster 
Körnelung, so bedeutet dieser Fund noch keineswegs Chromatolyse, d. h. einen 
Process, welcher beispielsweise au den Vorderhornzellen so äusserst leicht nach¬ 
zuweisen ist. 

Ich gehe nun zur Darstellung meiner Funde an den tabischen Spinal¬ 
ganglien über. 


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Als allgemeines Resultat aus der eingehenden Untersuchung 
der Xissii’schen Präparate ergab sich der höchst überraschende 
Umstand, dass als bestimmt pathologisch anzusprechende Nerven¬ 
zellen an den tabischen Spinalganglien sich kaum welche vorfanden. 

Die chromatische Substanz, das Substrat der NissL’schen Färbung, weist 
keine nennenswerthe Alteration auf. An den Spinalganglien absoluter Tabes, 
wo die hinteren Wurzeln die vollkommenste Entartung aufweisen, erscheinen 
die Nervenzellen der Spinalganglien in ihrer normalen Form, und zwar so be¬ 
züglich der chromatischen Substanz, wie auch des Kerns. Letzterer ist an den 
normalen Präparaten ein helles Bläschen, welches, wie dies aus Lenhossäk’s 
trefflichen Illustrationen hervorgeht, von einem hellen, schollenfreien Saum um¬ 
geben ist Nur höchst selten fand ich, wie dies Fig. 2 zeigt, eine Schrumpfung 
und abnorme Form des Kerns; fast an allen durchmusterten Zellen fand sich 



Fig. 2. Spiualganglienzelle mit Randschollen- Fig. 3. Spinalganglienzelle; heller Typus 
kränz; chromatische Schollen etwaB blasser tin- mit Randschollenkranz. Zellkörper mit 
girt. Zackiger Kern. P = Pigment mit ab- änsserst feinen chromatischen Körnchen 
geblassten chromatischen Körnchen besetzt, besetzt; nm den Keim herum Pigment in 
Absolute Tabes. der Form von dunklen, kugeligen Pünktchen. 

Initiale Tabes. 

« • 

ein blasenförmiger Kern vor. Die chromatische Substanz zeigt überall die normale 
Form und Färbbarkeit, wie dies besonders aus einem Vergleich mit normalen 
Spinalganglien 1 schlagend hervorgeht. Freilich giebt es sehr verschiedene Bilder: 
Nervenzellen mit relativ massigen Schollen, daun solche mit kleinen Körnchen, 
welche gleichmässig den Zellkörper durchsetzen, schliesslich Nervenzellen mit 
allerfeinsten Pünktchen chromatischer Substanz, welche eben nur am Rand des 
Zellkörpers zu massigen Schollen sich zusammenballen, um den bekannten Rand¬ 
schollenkranz zu bilden *(s. Fig. 3). — Das Pigment zeigt sich nirgends in ab¬ 
normer Anhäufung. Vacuolen sah ich niemals. 

Bieten somit die tabischen Spinalganglien das normale Bild dar, so kann 
ich jedoch einen Eindruck nicht verschweigen, den ich bei dem Vergleich meiner 


1 Herr Prof. v. Lbnhossäk hatte die Güte, mir von seinen schönen Normalpräparaten 
einige zn übereenden, wofür ich anoh an dieser Stelle meinen verbindlichsten Dank aus¬ 
spreche. 


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-zwei Fälle von absoluter Tabes mit jenem von beginnender Tabes erhielt. Es 
fiel mir nämlich auf, dass die chromatische Substanz bei letzterer sich intensiver, 
gesättigter färbt, während die Spinalganglienzellen von absoluter Tabes blasser 
tingirt erschienen; Grösse, Anordnung jedoch erlitt keine Alteration. 

Leere Kapseln, durchgewucherte Kapselzellen fand ich an meinen Präparaten 
nicht. Ueberhaupt halte ich die Feststellung von interstitieller Wucherung eben 
bei den Spinalganglien für eine höchst schwierige Aufgabe. 

Meine Funde sind somit ganz negativer Natur; die Angaben Marinesco’s 
{welche ich aus Redlich’s Monographie kenne), d. h. den Untergang der chro¬ 
matischen Substanz, kann ich nicht bestätigen. Ich halte vielmehr dafür, dass 
Spinalganglienzellen mit scheinbarem Schwund der NissL’schen Körperchen dem 
hellen Typus entsprechende Exemplare sind. Bereits oben betonte ich, dass die 
ungewöhnliche Variabilität der chromatischen Substanz uns in der Feststellung¬ 
etwaiger pathologischer Veränderungen ungemein vorsichtig machen muss. 

Somit lehrt Nissl’s Färbung, dass zweifellose Veränderungen an den tabi- 
schen Spinalganglien fehlen. Beweist dieser Umstand sicher, dass die initiale 
Läsion der Tabes nicht in den Spinalganglien zu suchen ist? 

Die Bedeutung der chromatischen Substanz bei Beurtheilung des normalen 
wie pathologischen Zustandes der Nervenzelle ist momentan dominirend. Mögen 
uns Goldsoheideb’s und Flatau’s 1 neuere Untersuchungen auch vorsichtiger 
machen, die allgemeinste und capitale Thatsache bleibt doch feststehend, dass 
die Auflösung der chromatischen Substanz ein anatomischer Index der gestörten 
Zellvitalität bedeutet. Von diesem Standpunkt aus müssen wir den Mangel von 
Veränderungen der chromatischen Substanz in den Spinalganglienzellen als einen 
Beweis dafür betrachten, dass die initiale Läsion der Tabes ausserhalb der 
Spinalganglien sich befindet. Hierfür spricht schon auch der Umstand, dass der 
periphere Neuritast des T-Axencylinders unverändert ist; würde die Spinal¬ 
ganglienzelle der Sitz der initialen Läsion sein, so müsste nicht nur ihr centraler 
Neuritast, d. h. die hintere Wurzel, sondern auch ihr peripherer Ast, d. h. der 
periphere "sensible Nerv, degeneriren, da doch die trophische Rolle des Spinal¬ 
ganglions wohl zweifellos ist Da nun einerseits aus Redlich’s eingehender 
Darstellung der Wurzelcharakter der tabischen Hinterstrangsentartung sicher- 
gestellt ist, anderseits aber so Nageotte’s, wie die OBEESTEiUER-REDLiCH’schen 
Untersuchungen Wurzelläsionen feststellten, zweifle ich nicht mehr daran, dass 
der Ausgangspunkt der tabischen Rückenmarkserkrankung, in Anbetracht der 
negativen Funde an den Spinalganglienzellen, in den hinteren sensiblen Wurzeln 
zu suchen ist. Ob nun Nageotte’s Anschauung oder die Obebsteimeb- 
REDLiCH’sche Auffassung die richtige ist, darüber möchte ich in einem 
späteren Aufsatz mich äussern. Mit der Locaiisation der primären tabischen 
Läsion in den hinteren Wurzeln, wobei der periphere Ast der Spinalgauglien¬ 
zellen intact bleibt, stimmt aufs Beste die Experimentaluntersuchung von 


1 Weitere Beiträge zur Pathologie der Nervenzellen. 2. Mittheilung. Fortschritte der 
Medicin. 1897. Nr. 15 u. 16. 

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Logabo 1 , laut welcher die Spinalganglienzellen bei Darchtrennung des peri¬ 
pheren Astes eine tiefgehende Veränderung erfahren, hingegen normal bleiben, 
falls das Messer den centralen Ast traf. 


2, Ueber Zwangsvorstellungen. 2 

Von B. Mendel. 

Den. Namen „Zwangsvorstellungen“ führte Westphal im Jahre 1877 in 
die deutsche Psychiatrie ein. Seine Definition lautete folgendermaassen: „Unter 
Zwangsvorstellungen verstehe ich solche, welche, bei übrigens intacter Intelligenz 
und ohne durch einen Gefühls- oder affectartigen Zustand bedingt zu sein, gegen 
und wider den Willen der betreffenden Menschen in den Vordergrund des 
Bewusstseins treten, sich nicht verscheuchen lassen, den normalen Ablauf der 
Vorstellungen hindern und durchkreuzen, welche der Befallene stets als abnorm, 
ihm fremdartige anerkennt und denen er mit seinem gesunden Bewusstsein 
gegenübersteht.“ 8 

In Frankreich werden diese Zustände mit idöes obsddantes oder obsessions 
beschrieben. Eine klassische Beschreibung gab Möbel unter dem Namen der 
dfclire ömotif. 4 

Möbel trennte ebenso wie Westphal diese krankhaften. Zustände völlig 
von den Psychosen. Wie weit sich seitdem der Begriff verschoben hat, mag 
aus der einfachen Thatsache hervorgehen, dass die neuen psychiatrischen Lehr¬ 
bücher von einer „Geistesstörung durch Zwangsvorstellungen“ oder von einem 
., Zwangsirresein“ sprechen, und neuerdings als „Anancasmus“ diese besondere 
Form der Geisteskrankheit .beschrieben wird. 

Abgesehen davon wirkte der Name „Zwangsvorstellung“ wie ein Schlagwort 
in der deutschen Psychiatrie, und wie dies gewöhnlich in solchen Fällen geht, 
überall sah man Zwangsvorstellungen, und mit Hülfe des griechischen Lexikons 
und des Wortes Phobie construirte man eine Unzahl neuer Namen, und nur 
in einem Bruchtheil der construirten Krankheitsbilder ist noch ein Zusammen¬ 
hang mit der ursprünglichen W estph AL’schen Definition zu erkennen. 

Der Bericht, welchen die Herren Pitbes und Rkois bei Gelegenheit des 
internationalen Congresses in Moskau über das gleiche Thema erstatteten 8 , und 

' Solle alterazioni delle cellole nervöse dei gangli spinali in segoito al taglio della 
br&nca periferica o centrale del loro prolnngamento. Rivista di patologia nervosa e men¬ 
tale. 1896. 

* Nach einem in der II. Versammlung mitteldeutscher Psychiater u. Neurologen am 
24. October 1897 in Halle gehaltenen Vortrage. 

3 Berliner klin. Wochenschr. 1897. Nr. 46. 

* Du Delire emotif, nevrose du Systeme nerveux ganglionnaire visceral. Arcb. gen. de 
Med. 1866. 

3 Semiologie des obsessions et des idees fixes. 1S97. Bordeaux. 


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8 


welcher in der geistreichsten Weise die grosse Fülle des Materials behandelt, 
lässt erkennen, dass auch in Frankreich nach äusserlichen Merkmalen ihrer Ent¬ 
stehung und ihrer Bedeutung nach sehr verschiedene Dinge unter einem Namen 
zusammengefasst werden. 

Bei dieser Sachlage erscheint es mir als eine nicht unwichtige Aufgabe, 
den Versuch zu machen, eine Verständigung darüber herbeizuführen, was man 
unter Zwangsvorstellungen zu verstehen habe, ob die WESTPHAL'sche Definition 
auch jetzt noch aufrecht zu erhalten sei, ob das Gebiet der Zwangsvorstellungen 
zu erweitern oder zu verengern sei. 

Wie ich aus einem Bericht über die Naturforscher-Versammlung in Brauu¬ 
sch weig ersehe, hat dort Herr Dr. Rehm 1 bereits einen Versuch gemacht, eine 
Klärung der Ansichten herbeizuführen, doch kann ich aus dem Bericht selbst 
nicht entnehmen, ob und in wieweit seine Auffassung mit der meinigen sich deckt. 

Als Zwangsvorstellungen sind bezeichnet worden: 

1. Gewisse Vorstellungen, welche unter bestimmten äusseren Verhältnissen 
mit grosser Macht auftreten und Angst hervorrufen, ja selbst zu gewissen Hand¬ 
lungen zwingen. Hier würde zu nennen sein die Gewitterfurcht, die Furcht im 
Dunkeln allein zu bleiben, die Furcht über Nacht allein zu sein. Auf der 
anderen Seite sind jene Eigentümlichkeiten zu erwähnen, bei jeder sich zeigenden 
Zahl auf Droschken, Eisenbahnwagen u. s. w. sofort nachzurechnen, ob sich die 
Zahlen durch 3 oder 7 oder 13 kürzen lassen (Arithmomanie) u. s. w. Derartige 
Zustände werden bei durchaus gesunden Menschen beobachtet. Ich kann 
nicht auf Grund meiner eigenen Erfahrung dem beistimmen, dass sie Zeichen 
einer Degenerescenz seien. Oft lässt sich nacbweisen, dass jene eben erwähnten 
Angstzustände (Keraunophobie, Nyktophobie u. s. w.) durch eine fehlerhafte Er¬ 
ziehung hervorgerufen wurden und dass jene Rechensucht ihre Entstehung den 
ersten Rechenkünsten in der Schule verdankt und dann zu einer gewissen 
durchaus harmlosen Angewohnheit geworden ist. Ebenso lässt sich das gewohn- 
heitsmässige Hinzufügeri gewisser Beschwörungsformeln (Onomatomanie) auf einen 
aus der Jugend stammenden Aberglauben zurückführen, oder auf eine kindliche 
Naivität, welche durch ein ausgesprochenes Wort einem künftigen Unglück 
Vorbeugen will. 

Eine der geistreichsten Frauen Deutschlands hatte bis zu ihrem Tode in dem 
Worte „unberufen“ und dem Klopfen an den Tisch jene Beschwörungsformel. 

All’ diese Angstzustände und Handlungen finden sich in der Breite der 
Gesundheit. Will man sie überhaupt Zwangsvorstellungen nennen, so mag man 
sie als physiologische Zwangsvorstellungen von krankhaften unterscheiden. 

2. Man hat von Zwangsvorstellungen bei Geisteskrankheiten gesprochen 
und als solche übermässig sich hervordrängende Wahnvorstellungen bezeichnet. 
Entspricht hier die Bezeichnung Zwangsvorstellung nicht derjenigen Auffassung, 
welche Möbel und Westphal von den Zwangsvorstellungen hatte, so erscheint 
mir der Gebrauch jenes Wortes als Symptom einer Geisteskrankheit nur geeignet, 

1 Neurolog. Centralbl. 1897. S. 969. 


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Verwirrung anzurichten. Ich halte es deswegen für geboten, das Wort Zwangs¬ 
vorstellung als das Symptom einer Geisteskrankheit zu vermeiden. 

3. Besonders häufig, wird von Zwangsvorstellung gesprochen da, wo Hypo¬ 
chondrie die eigentliche Grundlage des krankhaften Zustandes ist. 

Für die Entstehung der Platzangst lässt sich fast regelmässig bei Kranken, 
die sich zu beobachten im Stande sind, Folgendes feststellen: Auf einem freien 
Platze tritt'plötzlich Schwindel oder Schwindelgefühl oder Herzklopfen oder das 
Gefühl von Ohnmacht ein, der Befallene geräth in die höchste Angst, weil er 
iich fern von einer menschlichen Wohnung und unmittelbarer Hülfe sieht. Das 
nächste Mal, wenn er denselben oder einen anderen grossen Platz vor sich 
sieht, tritt in die Erinnerung das, was er zuletzt an jener Stelle erlebt und 
mit dieser Erinnerung gleichzeitig die „Angst vor der Angst“. Ist dieses erst 
-mige Mal, zuweilen nur ein einziges Mal, geschehen, so vollzieht sich in aus- 
geschliffener Bahn der psychische Vorgang, ohne dass die einzelnen Coßfficienten 
desselben zum Bewusstsein kommen, und die Angst scheint unvermittelt aüf- 
zutreten, es scheint ein unvermittelter Zwang zu sein, während thatsächlich ein 
cumplicirter psychischer Vorgang sie vermittelte. 

In einer Reihe anderer hierher gehöriger Zustände ist der psychische Weg, 
auf dem die „Zwangsvorstellung“ entsteht, die Angst vor plötzlich auftretender 
Geisteskrankheit oder Tobsucht. Untersucht man jene Kranken sorgfältig, welche 
lei dem Anblick eines Messers oder einer Scheere fürchten, das Instrument zur 
Verletzung oder Tödtung ihres Kindes zu benutzen, oder welche sich fürchten 
am offenen Fenster zu stehen oder über eine Brücke zu gehen, so wird man 
m der Regel Folgendes hören: „Ich habe Angst, dass ich plötzlich geisteskrank 
werden könnte und in dem Zustande geistiger Verwirrung das Kind mit dem 
tereit liegenden Instrument tödten könnte oder in diesem Zustande aus dem 
Fenster oder über die Brücke in den Fluss stürzen könnte.“ 

Hypsophobie, Nyctophobie, Klaustrophobie gehören wenigstens in einem 
Theil der Fälle ebenfalls in diese Kategorie. 

Die mystische „Zwangsvorstellung“, welche als Köro (im südlichen Theile 
'".m Celebes) neuerdings beschrieben wurde, verräth auf das Unzweifelhafteste 
•len hypochondrischen Charakter. Anfallsweise werden die Kranken von der 
Vorstellung gequält, dass der Penis sich in die Bauchhöhle zurückziehe und 
den Tod herbeiführen würde. Die Obsession dentaire, die „Zwangsvorstellung“, 
dass die Zähne abbrechen, herausfallen würden, ist nichts anderes als eine 
hypochondrische Vorstellung mit zufällig sich auf die Zähne richtendem Inhalt. 

Endlich gehört ebenso wie die Zoophobie ein Theil der Fälle von Zweifelsucht 
mit Berührungsfurcht (nicht allle) lediglich unter die hypochondrischen Zustände. 
Ich muss auf Grund meiner eigenen Beobachtungen entschieden den Autoren 
widersprechen, .welche annehmen, dass die Hypochondrie erst die Folge jener 
Zwangsvorstellungen ist. Primär ist die Hypochondrie, secundär die hierzu 
gehörige Zwangsvorstellung: Dies hat mir noch immer die sorgfältige Analyse 
der Fälle ergeben. 

4. Die „Zwangsvorstellungen“ bei der Hysterie vollziehen sich mit Vorliebe 


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in der Richtung des sexuellen Lebens. Die Obsessions de jalousie, die unaus¬ 
gesetzte Beschäftigung mit dem Sexualapparat, die Zwangsvorstellungen in Bezug- 
auf den Urindrang, auf welche Freud neuerdings besonderes Gewicht gelegt 
hat, gehören hierher. 

Die Complication mit Tympanites hysterica giebt diesen Vorstellungen zu¬ 
weilen die besondere Richtung der Angst vor Blähungen. Complication mit 
vasomotorischen Störungen wird Veranlassung zu jenen Zwangsvorstellungen, 
welche man neuerdings als Erythrophobie beschrieben hat 

5. Die Epilepsie kann nach mehrfacher Richtung hin zu sogenannten 
„Zwangsvorstellungen“ Veranlassung geben. Es giebt Fälle, in denen zwischen 
den typischen epileptischen Anfällen Vorstellungen auftreten, welche dem ganzen 
Charakter des Individuums fremd sind, zuweilen mit Ausstossen von stereotyp 
wiederkehrenden, häufig sehr unanständigen Worten. Das schnelle Vorüber¬ 
gehen dieser Zustände charakterisirt die Zwangsvorstellung als ein epilep¬ 
tisches Aequivalent Aehnliches kann auch als Aura dem epileptischen Anfall 
vorausgehen oder sich postepileptisch demselben anschliessen, dann aber werden 
noch Zwangsvorstellungen auch intervallär bei Epileptikern beobachtet, häufig 
hypochondrischen Charakters. Sie können in solchem Falle, besonders bei nächt¬ 
licher Epilepsie, selbst diese Krankheit verdecken, wie ja mancher Hypochonder 
ein verkappter Epileptiker ist. 

6. Nicht aus einer der hier erwähnten Krankheiten des Nervensystems 
herzuleiten sind dagegen jene Zwangsvorstellungen, welche sich psychologisch 
im Wesentlichen dadurch charakterisiren, dass entweder der Associationsvorgang 
von Ursache und Wirkung oder der des Contrastes die Herrschaft im Denk- 
vorgange übernimmt. In ersterer Beziehung sind zu erwähnen die Fälle von 
Grübelsucht und Fragesucht, welche mit einfachen Problemen beginnen, zu den 
tollsten Ausschreitungen führen. Warum hat Gott die Menschen erschaffen? 
Woraus ist Gott, woraus der Teufel geschaffen? Warum gehen die Menschen 
nicht auf dem Kopfe? Warum ist der Himmel blau, nicht gelb? Wie sehen 
wohl die nackten Füsse des Mannes aus, der bei mir eintritt? Ob sie wohl 
gewaschen sind? u. s. w. 

Die Contrastassociation erzeugt die Vorstellung, das Gegentheil von dem 
gethan zu haben, was man wollte, statt ja nein geschrieben, unter den Wechsel 
eine falsche Unterschrift gesetzt, auf einem weggeworfenen Zettel eine Majestäts¬ 
beleidigung niedergeschrieben, die Medicin vor dem Bette des Kranken vertauscht 
zu haben u. s. w. 

Dieser knappe Ueberblick über all’ das, was man unter dem Namen 
„Zwangsvorstellung“ zusammengefasst hat, zeigt, dass die Diagnose, welche man 
so häufig liest: „Zwangsvorstellung“ keine Diagnose ist, und dass es Aufgabe 
des Arztes sein muss, in jedem Falle die Zwangsvorstellung auf jene Krankheit 
zurückzuführen, auf deren Boden und aus der heraus sie entstanden ist Es 
ist dies nicht bloss eine theoretische, wissenschaftliche Forderung, sondern von 
der richtigen Classification der Zwangsvorstellung hängt sehr häufig die Prognose 
und die Therapie ab. 


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Als wirkliche Zwangsvorstellung im Sinne Westphal’s, d. h. auf welche 
im Wesentlichen die von ihm gegebene Definition passt, würde ich nur die 
unter 6. aufgeführte Art betrachten. Hier ist tbatsächlich in den reinen Fällen 
nichts anderes Krankhaftes nachzuweisen, als dass wider den Willen des Indivi¬ 
duums sich ein Vordrängen der Associirung der Vorstellungen nach einem oder 
xwei Principien vollzieht, welche beim normalen Menschen nur neben den anderen 

I Associationsprincipien einhergehen, zum grossen Theil wie das der Contrastvor- 
stellungen im normalen geistigen Leben nur eine untergeordnete Rolle spielen. 
Mit dem Vordrängen dieser Principien tritt gleichzeitig ein Zurückdrängen der 
anderen ein. Mobselli 1 hat diese Zustände als Paranoia rudimentaria bezeichnet, 
und ich glaube, dass dieser Ausdruck ein nicht unglücklich gewählter ist. Bei 
der entwickelten Paranoia bildet ja auch den Ausgangspunkt der Krankheit die 
krankhafte Association. Die Elemente, die associirt werden, können dabei sehr 
wohl reale Wahrheit haben, die Wahnvorstellung kommt zu Stande, indem 
Elemente associirt werden, welche nach den physiologischen Associationsgesetzen 
nicht associirt werden dürfen. 

Auch insofern erscheint jener Ausdruck werth, acceptirt zu werden, als in 
der That in manchen Fällen, wenn auch nicht allzu häufig, im weiteren Verlauf 
der Paranoia rudimentaria sich‘eine unzweifelhafte Paranoia entwickelt. Wenn 
sich jener Ausdruck in der Psychiatrie einhürgern würde, dann bliebe allerdings 
für eine Krankheit, welche man Zwangsvorstellungskrankheit nennen könnte, 
nichts mehr übrig, da für die anderen Fälle höchstens eine Bezeichnung wie 
Hypochondrie, Hysterie, Epilepsie mit Zwangsvorstellungen zulässig wäre. 

Mit Rücksicht auf die Verwirrung, welche der Ausdruck „Zwangsvorstellung“ 
hervorgerufen hat, welche im Uebrigen sich schon in der dem Vortrage West- 
' phai/s folgenden Discussion zeigte, würde ich jedenfalls einen sehr eingeschränkten 
| Gebrauch jenes Wortes für die Zukunft für sehr rathsam erachten. 


II. Referate. 


Anatomie. 

1) Untersuchungen über den histologischen Bau der Ciliarnerven. 1. Extra- 
oculärer Theil, von Cand. med. W. Hahn. (Wiener klin. Wochenschr. 1897. 
Nr. 31.) 

Verf. untersuchte 20 Orbitae; 10 vom Menschen und 10 vom Hunde. Methode: 
Fixirung des Opticus sammt den ihn umgebenden Adnexen 24 Stunden in 1 / 2 ° 0 Os- 
i minmsäure, ebensolange Aq. destill., Färbung mit Pikrocarmin, Härtung in Alkohol, 
Paraffineinbettung. Die Ciliarnerven bestehen nach Verf. aus lauter markhaltigen 
Fasern von verschiedenem Caliber, 20 — 10— 2 l / 2 —2 p. Die klejnsten besitzen einen 

1 Manuale di semiotica delle malatic mentali. Vol. I. 1885. 

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äusserst feinen Markmantel, sind zwischen den gröberen Fasern zerstreut. In den 
dickeren N. ciliares breves fanden sich an der Peripherie des Nerven Bändel solcher 
feinster Fasern, während in den dünneren Nerven solche Bändel fehlten. An den 
N. ciliares longi wurden diese Bändel ebenfalls vermisst. Im Uebrigen bilden diese 
feinen Fasern einen constanten Befand an den Ciliarnerven und äberwiegen in den 
dünneren Nerven die stärkeren Fasern. Ob diese Fasern sympathischer Natur sind, 
lässt sich noch nicht entscheiden. Zupfpräparate erwiesen, dass sie nirgends die 
Merkmale trugen, welche Mayer als charakteristisch für de- oder regenerirende 
Fasern nachgewiesen hatte. 

Die Dicke eines Ciliarnerven betrug 1 / 10 —- 1 / 2 mm. J. Sorgo (Wien). 


Experimentelle Physiologie. 

2) On the regeneration of pre-ganglionic and of post-ganglionio visceral 
nerve fibres, by J. N. Langley. (Journal of Physiology. Bd. XXII. S. 215.) 

Der Ausgangspunkt für die Untersuchungen des Verf. war die von ihm beobach¬ 
tete Thatsache, .dass nach der Durchschneidung des Halssympathicus zwischen dem 
unteren und oberen Ganglion eine vollkommene Regeneration des Nerven eintritt, so 
dass nach einigen Wochen oder Monaten die elektrische Reizung der T, mit dem 
Halssympathicus anastomosirenden, spinalen Brustnerven wieder die für jeden charak¬ 
teristischen Einzelsymptome hervorruft. 

Diesen zunächst ganz zufällig gemachten Befund erhob Verf. in einer Reihe 
diesbezüglicher Versuche mit völliger Constanz: schon kurze Zeit nach der Operation 
war eine so vollkommene Regeneration des Nerven eingetreten, dass die Reizung der 
obersten drei Brustnerven die charakteristische Pupillenerweiterung, die Reizung der 
obersten fünf Brustnerven die bekannten Veränderungen in der Nickhaut und in der 
Stellung des Bulbus hervorrief u. s. f. In ganz seltenen Fällen blieb die Reaction 
von Seiten des einen oder anderen Brustnerven aus, eine Erfahrung, die sich sehr 
wohl mit der histologischen Thatsache zusammenbringen lässt, dass an der Durch¬ 
schneidungsstelle fast stets eine Reihe von Nervenfasern blind endigend gefunden 
wurden, Elemente, welche augenscheinlich bei dem Regenerationsprocess den. richtigen 
Pfad in den centralen Nervenstrumpf nicht gefunden hatten. — Interessanter aber 
als diese Beobachtung ist die vom Verf. mit Sicherheit festgestellte Thatsache, dass 
an dem durchschnittenen und wieder regenerirten Nerven hie und da eine abnorme 
Leistung sich etablirt, in dem Sinne, dass z. B. der 1. und 2. Brustnerv, welche 
bei einem normalen Thiere niemals eine Erection der Haare bewirken, bei einem 
operirten Thiere gelegentlich eine solche Function aufweisen. — Abgesehen von 
solchen Ausnahmen aber, muss unzweifelhaft eine gewisse Anziehungskraft bestehen, 
welche die neu gebildete Nervenfaser wieder auf die ihr zukommende Nervenbahn 
leitet, eine Anziehungskraft, welche sich Verf. als eine chemotactisclie vorstellt. 

Histologisch ist zu bemerken, dass die neu gebildeten Nervenfasern schon früher 
ihre Function aufnehmen, bevor sie ihre Markscheiden bekommen haben. 

Ganz ähnlich wie bei den präganglionalen Fasern liegen die Verhältnisse bei 
den postganglionalen Nervenbündeln. Auch hier besteht augenscheinlich in der 
Mehrzahl der Fälle eine „prästabilirte Harmonie“, welche bei der Regeneration die 
sich erneuernde Nervonfaser zu dem ihr von Rechtswegen zukommenden Endorgan 
leitet. Iu Ausnahmefällen aber kommen wohl auch Abweichungen von dieser Regel 
vor und eine „pilomotorische“ Faser kann wohl einmal bei der Regeneration zu 
einer „pupillodilatatorischen“ werden und umgekehrt. W. Cohnstein (Berlin). 


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3) Zur Physiologie der Harnblase. Vorläufige Mittheilung, von Dr. H. Schle¬ 
singer. (Wiener klin. Wocheuschr. 1897. Nr. 47.) 

Verf. theilt zwei Fälle von Erkrankungen des Rückenmarks mit nahezu isolirten 
Erscheinungen von Seiten der Blase mit. 

1. Fall. Eine 61jähr. Frau klagte schon durch Monate über Kreuzschmerzen 
und Steifigkeit der Wirbelsäule. Es entwickelt sich nach und nach Lähmung des 
Detrusor and Sphincter vesicae, Harnträufeln, Anästhesie der Blasenschleimhaut, Ver¬ 
last des Gefühls für den Füllungszustand der Blase; dieselbe war ausdrQckbar; später 
Parese des Sphincter ani mit Incontinentia alvi, Stuhl- und Urinabgang wurden 
nicht gefühlt; Anästhesie der Haut nm den Anus, am Perineum, am äusseren Geni¬ 
tale.- Die Diagnose wnrde auf Compression des untersten Rückenmarksabschnittes, 
wahrscheinlich durch Tumor, gestellt. Die Section ergab ein Carcinom des 1. Lenden- 
and des 12. Brustwirbels, welches am unteren Ende des ersteren in den Wirbelcanal 
Torsprang und eine Quetschung des Rückenmarks im Bereiche des 4. Sacralsegments 
herbeiführte. Es ist dem zu Folge übereinstimmend mit anderen Fällen aus der 
Littmtur, das Blasencentrum in die Höhe des 4. Sacralsegments zu verlegen. 

2. Fall. Ein 50jähr. Tagelöhner mit einem Neoplasma, welches die Vena cava 

inf. thrombosirt hatte und der ausser- der dadurch gesetzten Erscheinungen noch 
zeigte: Erschwerung des Urinlassens, Pressen bei demselben, Sphincterenkrampf, 
Detrusorparese, Sensibilität der Blasen- und Urethralschleimbaut anscheinend intaCt; 
Gefühl für Blasenvölle bestand, ebenso für Urindrang, nie unwillkürlicher Urinabgang, 
keine ausdrückbare Blase, Obstipatio alvi, keine Sensibilitätsstörungen von Seite der 
Hanl In der Höhe des 3. Sacralsegments fand sich ein hirsekorngrosser Knoten, der 
ton der einen Hälfte des Rückenmarks ausgehend dieselbe vollständig destruirtf hatte 
im Bereiche des 3. und 4. Sacralsegments. Es war also bei vorhandener, wenn auch 
verlangsamter Reflexthätigkeit der Blase eine halbseitige Destruction des Rückenmarks 
m der Höhe der Reflexcentren für die Blase vorhanden. Daraus schliesst Verf. auf 
dag Vorhandensein eines paarigen Reflexcentrums für die Blase in der Höhe des 3. 
und 4. Sacralsegments; eine Rückenmarkshälfte könne den Ablauf der Beflexvorgänge 
übernehmen. Ebenso scheint jede Rückenmarkshälfte die ganze Blase mit sensiblen 
Fasern zu versorgen. Das Mastdarmcentrum verlegt Verf. mit Kocher tiefer in das 
Saoalmark. J. Sorgo (Wien). 


Pathologische Anatomie. 

4) Ein Fall von meningealer Perlgesohwulst, von Dr. Alex Nehrkoru. 

(Beiträge zur pathol. Anat. und zur allgem. Pathologie; herausgegebeu von Prof. 

Dr. Ernst Ziegler. Bd. XXI.) 

Bei einem 24 Jahre alten Patienten, welcher klinisch die Erscheinungen der 
Dementia paralytica bot, leigte die Autopsie das Vorhandensein einer ausgedehnten 
Perigeachwulst (Cholesteatoms), an welcher zwei deutlich von einander trennbare 
Massen zu unterscheiden waren. Die eine war oberflächlich gelegen und der linken 
laimlen Fläche des Pons, dem Cerebellum und der Med. obl. aufgelagert, die andere 
befand sich innerhalb der Substanz der linken Grosshirnhemisphäre im linken 
Temporal- und Occipitallappen und war mit Ausnahme einer kleinen Partie von 
Pfennigstückgrösse von Hirnsubstanz umschlossen. Diese fast vollkommene Ura- 
sehliessung einer derartigen Geschwulst stellt einen seltenen Befund dar. Den Aus- 
KMJgspunkt der Neubildung sieht der Verf. in dem derselben anliegenden pialon 
fovebe. Histogenetisch bezeichnet er sie als ein meningeales Endotheliom in Form 
®iner Endothelperlgeschwulst. 


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Die Arbeit enthält eine sehr sorgfältige Zusammenstellung und kritische Betrach¬ 
tung der bistogenetischen Auffassungen, welche seit Joh. Malier aber die Perl¬ 
geschwülste geäussert worden sind. Max Bielschowsky (Berlin). 


5) Du crine ohez les aliends, par Key. (Compte rendu du Congrös international 
d’antbropologie criminelle. Gendve 1896.) 

Verf. untersuchte 200 Schädel von Irren und zwar frisch, wobei keine einzigen 
Idioten, Epileptiker, auch nicht partiell oder total deutlich missgestaltete, mitgerechnet 
waren. Es waren 60 Fälle von „einfachem Irresein“, 90 Paralytiker und 50 Fälle 
von seniler oder apoplectischer Demenz; alles Männer. Verglichen wurden sie- mit 
Parisernormalen, aber schon trockenen Schädeln. Es zeigte sich nun, dass im Durch¬ 
schnitt die Geisteskranken einen höheren cephalischen und einen relativ geringeren 
frontalen und verticotransversalen Index hatten, was eine constante Vergrösserung 
der Parietal- und eine schwache Entwickelung der Frontalgegend anzeigt. Alles 
dies galt mehr für die einfachen Seelenstörungen, als für die anderen Kategorieen. 
Ref. muss aber hierzu bemerken, dass 1. die Zahl der Untersuchungen doch noch zu 
klein ist, um allgemein gültige Schlüsse zu ziehen, 2. die Differenzen in den Zahlen 
laut der beigebrachten Tabelle meist nicht gering erscheinen und besonders 3. die 
Individuen verschiedenen Departements entstammten, wo also sicher nicht unbedeutende 
ethnische Differenzen der Indices sich finden, z. B. Paris und Marseille; 4. bei 
Dementia seuilis und apoplectica müssen eo ipso, durch das Alter bedingt, die Maasse 
und die Indices etwas anders ausfallen, als bei den übrigen Kranken und Normalen. 
Man sieht also, wie viele Fehlerquellen hier noch vorliegen und wie ungeheuer vor¬ 
sichtig man in seinen Schlüssen sein muss. Näcke (Hubertusburg). 


6) The effeot of „Asoending degeneration“ on the nerve cellls of the 
ganglia on the posterior nerve roots, and the anterior oornua of the 
oord, by Robert A. Fleming, M.D. (Edinburgh Medical Journal. 1897. March.) 

Verf. hat an Hunden und Meerschweinchen hintere Rückenmarkswurzeln durch¬ 
schnitten oder doppelt unterbunden und dann die Zellveränderungen in den Inter¬ 
vertebralganglien und den Vorderhörnen studirt. Die Härtung geschah mit Sublimat, 
die Färbungen mit Toluidinblau und Eosin ' Er kommt zu folgenden Schlüssen: 

1. Die Zellen der Intervertebralganglien erleiden viel früher Veränderungen 
als die Vorderhornzellen, wahrscheinlich schon vom vierten Tage ab nach der Nerven¬ 
durchschneidung. 

2. Eine der ersten Veränderungen besteht in einer Verkleinerung des Kerns. 
Manchmal werden auch die Kernkerne kleiner und der Kern nimmt eine excentrische 
Stellung ein. 

3. Es bestehen bestimmte Veränderungen der chromatischen Substanz: Eine 
Rundgruppirung derselben um den Kern, Verminderung' derselben an Zahl und 
Grösse. Ein bestimmter Anhaltspunkt dafür, dass diese Veränderungen in der Nähe 
des Axencylinderfortsatzes beginnen, besteht nicht. 

4. Die Lymphräume um die Zellen werden grösser. 

5. Es besteht ein grosser Unterschied beim Eintreten der Veränderungen in den 
Intervertebralganglienzellen und in den multipolaren Zellen: Obschon in den ersteren 
die Veränderungen früher auftreten, scheint nach ungefähr 4 Wochen der degenerative 
Process schneller in den multipolaren Zellen Fortschritte zu machen. 

6. Ein an dem durchschnittenen Nerv applicirter Reiz scheint die Veränderungen 
zu beschleunigen, besonders diejenigen in den Intervertebralganglien. 

Ref. fürchtet, dass bezüglich dieser 6 Punkte manche Leser nicht völlig in 


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gleichem Sinne wie der Verf. überzeugt sein werden, besonders da sich die Methode 
ies Messens von Zellen und des Ziehens eines Durchschnittsmaasses aus vielen Einzel* 
Beobachtungen auf ihre Zuverlässigkeit anzweifeln lässt. 

Paul Schuster (Berlin). 


Pathologie des Nervensystems. 

7) Heber Fehlen der Pupillarreaetlon bei vorhandener liiohtempflndnng, 
von Dr. J. Brixa. (Wiener klin. Wochenschr. 1897. Nr. 36.) 

Einem 30jährigen Manne drang am 5. Mai bei einer Rauferei die Nuss eines 
Pfeifenrohres durch den inneren Theil des unteren Lides in die linke Orbita, den 
Bulbus nach vorn, unten und aussen luxirend. Erbrechen, Bewusstlosigkeit, Nasen¬ 
bluten, starke ödematöse Schwellung der Lider und Conjunctiva. Ausser leichter 
Trübung der Cornea und etwas verschwommenem Aussehen der Papille waren die 
inneren Theile des linken Auges normal. Lichtempfindung in 30 cm. Die linke 
Pupille gleich weit wie die rechte, aber auf Licht nicht reagirend, noch kann vom 
linken Auge aus eine consensuelle Reaction am rechten Auge ausgelöst werden. 
Trotzdem bereits am Tage nach der Extraction des Fremdkörpers Finger gezählt 
wurden, konnte doch noch durch einige Tage weder directe noch consensuelle Reaction 
vom linken Auge aus erhalten werden (Reflextaubheit, Heddaeus), Dieses Ver¬ 
halten erklärt Verf. daraus, dass durch den Exophthalmus eine Zerrung und vielleicht 
auch Torsion des Sehnerven, möglicherweise auch dnrch eine Fractur der unteren 
Orbital wandung oder ein Hämatom eine Schädigung desselben erzeugt wurde, ein 
Stauungsödem, das sich ophthalmoskopisch in dem verwaschenen Aussehen der Papille 
äusserte, nnd dass dabei ausnahmsweise die sonst widerstandsfähigeren Pupillarfascrn 
stärker betroffen wurden. 

13 Monate später hatte sich Atrophie der linken Papille entwickelt; die linke 
Papille weiter als rechts, rund, nicht direct reagirend, doch ist consensuelle Reaction 
sowohl vom linken als vom rechten Auge aus auszulösen. Das Fehlen der directen 
Reaction lässt sich nach Verf. durch eine Schädigung sowohl der centripetalen 

Pupillarfaser, als auch der centrifugal leitenden Sphincterfasern und Ciliarnerven 
überhaupt erklären. (Für letzteres sprach die herabgesetzte Empfindlichkeit der 
Cornea und die weitere Pupille.) Dagegen ist das Vorhandensein der consensuellen 
Reaction vom linken Auge aus verständlich, da rechts normale centrifugale Fasern 

enthalten sind, und ebenso auch das Vorhandensein derselben vom rechten Auge aus, 

da eben die vom rechten Auge kommenden centripetalen Fasern normal sind und 

einen stärkeren Reiz auf die nach dem linken Auge führenden centrifugalen Fasern 
ausüben. 

Der Fall spricht für das getrennte Vorkommen von Pupillen- und Sehfasern im 
Opticus, und dafür, dass die ersteren nicht bloss mit dem Netzhautcentrum in Ver¬ 
bindung stehen, und bietet das Besondere, dass die Pupillarfasern des Opticus sich 
als weniger widerstandsfähig erwiesen, als die Sehfasern. J. Sorgo (Wien). 


8) The pathology of tabes dorsalis. A critical digest by William G. Spiller. 

(1897.) 

Verf. stellt sich ganz auf den Boden der zuerst von v. Leyden, neuerdings 
von Dejerine, Marie nnd Redlich begründeten Anschauung, dass die Degeneration 
bei Tabes den Degenerationsgesetzen der hinteren Wurzeln folgt. Intact bleiben bei 
der Tabes die ventralen Felder der Hinterstränge (Marie’s Zones comu-commissu- 
rales) und das Flechsig’sche ovale Feld im Lumbalmark. Fälle von alter Tabes, 


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die mit einer Degeneration der Seitenstrangbahnen einhergingen, hat Verf., ebenso 
wenig wie Redlich, selbst beobachtet und verlangt die strenge Scheidung von der 
combinirten Systemerkrankung. In neuerer Zeit sind vielfach Veränderungen der 
Spinalganglienzellen bei der Tabes beschrieben worden; gegen diese „Ganglientheorie“ 
spricht das Intactbleiben des peripher verlaufenden Nervenzweiges. Obersteifier 
und Redlich haben die Theorie aufgestellt, dass eine Schädigung der hinteren 
Wurzeln an ihrer Eintrittsstelle in das Rückenmark durch meningitische Verände¬ 
rungen bewirkt werde, mit retrograder Degeneration im extramedullären Theil der 
hinteren Wurzeln. Nageotte verwirft diese Theorie völlig und weist eine Peri¬ 
neuritis und Mesoneuritis der hinteren Wurzeln nach, während die resistenteren 
vorderen Wurzeln völlig oder beinahe intact bleiben. Die Tabes ist eine cerebro- 
spinale Affection; die Augen-, Kehlkopf- und Zungenaffectionen werden grösstentheils 
auf Neuritiden zurückgeführt. Es ist vielfach der Beginn der Tabes in eine peri¬ 
phere Neuritis verlegt worden; der Fall von peripherer Neuro-Tabes von Ddjer ine 
und Sottas ist nicht als Beweis für den peripheren Ursprung der reinen Tabes 
anzusehen. Doch ist es sicher, dass die periphere Degeneration über die Spinal- 
ganglien hinweg auf die hinteren Wurzeln übergehen kann, so dass der periphere 
Ursprung der Tabes immerhin möglich ist. Die Entstehung der Tabes durch Trauma 
ist bisher nicht sicher festgestellt. M. Rothmann (Berlin). 

9) Note sur le retour de la sensibilite testiculaire dans le tabes, par 

E. Bitot et J. Sabrazös (Bordeaux). (Revue de Medecine. 1897. Fdvrier. 

S. 156.) 

Etwa bei 75 °/ 0 aller Tabiker findet man Analgesie der Testikel gegen Druck. 
Dieses von Pitres zuerst betonte Symptom ist aber kein ganz unveränderliches, wie 
etwa das Fehlen der Sehnenreflexe, die Pupillenstarre u. a. Die Verff. haben drei 
Fälle beobachtet, bei denen das Symptom der Hodenanalgesie deutlich bestand, aber 
im weiteren Verlauf der Krankheit wieder verschwand. Bei zwei dieser Fälle trat 
mit der Wiederkehr der normalen Sensibilität in den Hoden auch zugleich eine 
Besserung der vorher gestörten sexuellen Functionen ein. Strümpell. 


10) Beitrag zur Aetiologie und Symptomatologie der Tabes dorsalis, von' 

Dr. A. Tumpowski. Aus der Poliklinik von Dr. G. Goldflam in Warschau. 

(Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. X. 1897.) 

Zu der neuerdings wieder lebhafter gewordenen Streitfrage in Bezug auf die 
Aetiologie der Tabes liefert Verf. einen bemerkenswerten Beitrag. Er verfügt über 
ein Material von 257 Fällen und nimmt überstandene Syphilis als erwiesen an 1. im 
Falle der Aussage des Kranken, begründet durch die ärztliche Diagnose, 2. beim 
Vorkommen eines Ulcus mit secundärem Exanthem, 3. beim Vorhandensein eines Ulcus 
von unbestimmtem Charakter, wenn andere specifische Erscheinungen zugleich be¬ 
standen. Zweifelhaft, jedoch wahrscheinlich, ist die Annahme der Syphilis, wenn ein 
zwar nicht sicher zu bestimmendes Ulcus aufgetreten war und zu gleicher Zeit Steri¬ 
lität, oder häufige Aborte oder das Gebären todter Kinder festgestellt wurde. Die 
Fälle mit weichem Schanker sind einer besonderen Gruppe zugetheilt. Von den 
257 Tabikern (darunter 3 Frauen) bestand sichere Lues in 38,9 °/ 0 , wahrscheinliche 
Lues in 19,8 °/ 0 und weicher Schanker in 5,8 °/ 0 . In 34,2 °/ 0 der Fälle figurirt die 
Syphilis allein in der Aetiologie. Ara häufigsten trat die Tabes zwischen dem 5. 
bis 10. Jahre, ziemlich oft auch zwischen dem 10. und 20. Jahre nach der An¬ 
steckung auf. Unter den 257 Tabeskranken waren 12 Aerzte, also 4,6 °/ 0 der Er¬ 
krankten, während das Verhältniss der Aerzte zu der GesammtbeVölkerung von 
Warschau nur 0,2 °/ 0 beträgt. 


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Es spielt also bei diesem Material sicher constatirte Lues ätiologisch die grösste 
ß‘»Ue, doch ist der Procentsatz nicht so gross, dass sich der Verf. der Ansicht von 
Mübius und Oppenheim anzuschliessen vermag. 

Was die Symptomatologie anbetrifft, so wurden in 225 Fällen wohl Schmerzen 
cnstatirt, aber nnr 112 Mal in charakteristischer Weise, indem dieselben stark oder 
schwach, mit mehr oder weniger langen, schmerzlosen Pausen serienweise auftraten, 
:der von einem zum anderen Ort überspringen und nur von kurzer Dauer sind. In 
85,6 °/ 0 waren die Kniereflexe verändert und zwar fehlte ein Kniereflex in 5 °/ 0 , 
beide Reflexe in 68,4 °/ 0 , während sie in 11,2 °/ 0 abgeschwächt und ungleich waren. 
Ausserdem fand sich bei verändertem Patellarreflex 6 Mal einseitiges und 97 Mal 
doppelseitiges Fehlen des Achillessehnenreflexes und 4 Mal Ungleichheit bezw. Ab- 
Schwächung desselben. In den Fällen mit normalen Patellarreflexen fehlte der 
Achillessehnenreflex 5 Mal beiderseits, 3 Mal einerseits und war 1 Mal ungleich. In 
54,8 °/ 0 fehlte die Pupillenreaction auf Licht ein- oder beiderseits, in 20,2 °/ 0 war 
sie beiderseits schwach, in 34,2 °/ 0 waren die Pupillen ungleich, in 21,7 °/ 0 fanden 
sich Lähmungen der Augenmuskeln, in 10,1 °/ 0 Opticusatrophie, in 34,2 °/ 0 Blasen- 
Körungen und in 9,4 °/ 0 gastrische, bezw. Larnyx-, Blasen- und Mastdarmkrisen. 

E. Asch (Frankfurt a./M.). 


11) Ueber periodisches Erbrechen bei Tabeskranken (gastrische Krisen), 

von Dr. P. Ostankow. (Oboszreniepsichiatrie etc. [Russisch.] 1897. Nr. 7 u. 8.) 

Nach Anführung der einschlägigen Litteratur berichtet Verf. in ausführlicher 
Weise über zwei Tabeskranke, die an gastrischen Krisen litten. In dem einen Falle 
handelt es sich um einen Kranken von 32 Jahren, der im Jahre 1886 einen Ulcus 
durum acquirirt hatte und seit 1893 an gastrischen Krisen leidet, die mehrere 
Wochen, mit Buhepausen von 3—4 Tagen, andauern. Bei dem anderen Kranken 
waren die Krisen kürzer, wurden aber nicht von Ruhepausen unterbrochen. In 
beiden Fällen war vor Beginn der Krisen ein Prodromalstadium zu bemerken. Einige 
Tage vor Beginn der Krise verloren die Kranken den Schlaf, es trat Urinretention 
ein, die Kranken wurden unruhig, der Appetit verlor sich. Während der Krisen 
selbst trat bei dem ersten Kranken jedes Mal erhöhte Pulsfrequenz auf, bei dem 
zweiten Kranken war Arythmie, verschiedene Stärke der einzelnen Pulsschläge, eine 
Abrundung der ersten Pulswelle u. s. w. zu verzeichnen; ausserdem zeigten die 
Athmungsbewegungen verschiedene Unregelmässigkeiten. Die oben beschriebenen 
Störungen in der Herzthätigkeit und in der Athmung traten bloss während der 
Krisen auf. Die gastrischen Krisen wurden mit Darreichung von 0,05—0,15 
Cerii oxalici 3—4 Mal täglich günstig beeinflusst. E. Giese (St. Petersburg). 


12) L’assooiation hystero-tabetique, par Vires. (Gazette des böpitaux. 1897. 

Nr. 6.) 

Ausführliche Besprechung der hystero-tabetischen Symptome. Verf. behauptet 
schliesslich, Hysterie und Tabes seien verschiedene Stadien der Degeneration des 
Organismus. Für die Entstehung der Hystöro-Tabes, wie aller Combinationen von 
faoctionellen and organischen Nervenerkrankungen sei die degenerative erbliche Be- 
tatung von dominirendem Einfluss. R. Hatschek (Wien). 


13) Anaeethesia of the trunk in looomotor ataxia, by Hugh T. Patrick. 
(New York Med. Journ. 1897. Febr. 6.) 

Im Anschluss an Lähr’s Untersuchungen über Rumpf-Anästhesie bei Tabes 
tat Verf, an 20 Tabikern ähnliche Prüfungen angestellt und das Symptom (besonders 

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tactile Hyperästhesie) 17 Mal mehr oder wenige!* ausgeprägt gefunden. Bei be¬ 
ginnenden oder mit Dementia paralytica complicirten Fällen ist es seltener, es findet 
sich aber auch bei ganz frischen und fehlt gelegentlich bei sehr vorgeschrittenen 
Fällen; auch in 2 Fällen von Dementia paralytica hat es Verf. deutlich gesehen, 
auch beobachtete er eine Ausnahme von der Erfahrung, dass bei Fällen von Opticus - 
atrophie die Anästhesie leicht ist oder fehlt, in einem Falle. Lähr’s Beobachtung; 
dass sich hin und wieder in der Nähe der anästhetischen Zone eine hyperästhetische 
findet, von wo aus lebhafte Hautreflexe auszulösen sind, bestätigen die Erfahrungen 
des Verf.’s; dagegen fand er nicht immer — was Lähr gefunden hatte —, dass 
die obere Begrenzung der anästhetischen Zone auf beiden Körperseiten das gleiche 
Niveau einnimmt. — Auf die Localisation der feiuen Berührungen von Seiten der 
Patienten will Verf. keinen grossen Werth legen, weil auch Gesunde, besonders am 
Rumpf, oft nicht genau localisiren. 

Die diagnostische Bedeutung des Symptoms ist nach Verf. wahrscheinlich nicht 
gross, zumal jeder die hinteren Wurzeln in der Dorsalregion betheiligende Process 
eine solche bandartige Anästhesie hervorrufen kann. Auch bei Hysterie kommt sie 
vor, bei Syringomyelie, und sie bietet selbst kein differentialdiagnostisches Merkmal 
bei Fällen, die der Tabes sehr ähnlich sehen, wie ein vom Verf. in extenso mit- 
getheilter Fall von Rückenmarkssyphilis beweist, in dem das Symptom deutlich nach- 
zu weisen war. 

Die Anästhesie folgt nicht dem Verbreitungsgebiet der Intercostalnerven, sondern 
entspricht der segmentären Anordnung in der Medulla spinalis. Ihren anatomischen 
Sitz vermuthet Verf. in den langen Fasern der Hinterstränge. 

Toby Cohn (Berlin). 


14) Sensory distarbances in locomotor ataxia, by Allen Blair Bonar. 

(Medical Record. 1897. May.) 

Verf. hat in 21 Fällen von Tabes dorsalis das Verhalten der Sensibilität unter¬ 
sucht. In 18 Fällen wurden Sensibilitätsstörungen verschiedener Art theils als Früh-, 
theils als Spätsymptom gefunden. Anästhesie des Rumpfes fehlte nur in 2 Fällen. 
Am häufigsten wurde Verlust oder Herabsetzung der Druckempfindung constatirt; in 
der Regel war diese Störung mit Beeinträchtigung des Temperatursinnes und Schmerz¬ 
gefühls verbunden. Das Biernacki’sche Symptom fand sich in 17 Fällen, in 2 Fällen 
nur auf einer Seite. Die anästhetischen Bezirke entsprechen mit Ausnahme der 
unteren Extremitäten den Rückenmarkssegmenten, nicht den peripheren Nerven. 

Die durch Schemen erläuterten Einzelheiten über Sitz, Ausdehnung und Form 
der Störungen sind im Originale nachzulesen. Bayerthal (Worms). 


15) Les troubles du goüt et de l’odorat dans le tabes, par Klippel. (Arch. 
de Neurol. Vol. III. 1897. Nr. 16.) 

Nach den Untersuchungen des Verf.’s sind Störungen des Geruchs und Geschmacks 
bei der Tabes gar nicht so selten, als man im Allgemeinen annimmt, solche geringeren 
Grades sind sogar häufig. Dieselben sind ausserordentlich mannigfaltig. Man findet 
Herabsetzung bis vollständigen Verlust, perverse Empfindungen, Parästhesieen und 
Herabsetzung bis Verlust der von diesen Sinnesorganen ausgehenden Reflexe. Ferner 
finden sich Störungen der allgemeinen Sensibilität in den betreffenden Gebieten, von 
denen die nasalen Krisen hervorgehoben seien. Dieselben beginnen mit einer aura¬ 
artigen Parästhesie im Gesicht oder am Hals, dann stellt sich Prickeln in der Nase 
ein, den Schluss bildet dann ein Nies-Anfall. — Stets fand der Verf., wenn Geruchs¬ 
oder Geschmacksstörungen irgend erheblicheren Grades Vorlagen, andere bulbäre 
Nerven betroffen; es fanden sich Symptome von Seiten des Facialis, des Trigeminus 

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md Hypogloesus. Klinisch nicht unwichtig ist, dass die in Rede stehenden Storungen 
als Frühsymptome auftreten können. 

Was die pathologisch-anatomische Grundlage dieser Symptome anlangt, so hat 
der Verf. einen Tabiker mit intensiven Störungen im Bereiche des Geruchs und 
taKbmacks autopsiren können. Die mikroskopische Untersuchung ergab Degeneration 
der Nervenfasern im N. olfactorius, glossopharyngeus und trigeminus und degenerative 
Veränderungen der zu den beiden letzten Nerven gehörigen Ganglien. 

M. Weil (Stuttgart). 


16 ) L’ölongation vraie de la moölle dans le tabes, par Gilles de la Tou- 

rette et Chipault. Aus der Acadömie de medecine; Sitzung vom 27. April 

1897. (Progres mödical. 1897. S. 278.) 

Nach längeren anatomischen und experimentellen Untersuchungen fanden die 
Verff., dass starke Beugung des Rückens eines mit ausgestreckten Armen sitzenden 
Individuums eine Verlängerung des Rückenmarks um ungefähr einen Centimeter 
herbeiftthre, welch letztere besonders die Lumbalgegend beträfe. Sie construirten zu 
diesem Zwecke einen Apparat, in dem der Kranke gewissermaassen eingeschnallt 
wurde, der aber andererseits die Athmung und die Blutcirculation nicht behinderte. 
Auch einen Dynamometer brachten sie an, und zeigte dieser 70 kg im Durchschnitt 
als angewandte Kraft an. 

Nachdem sodann 10 gesunde Individuen sich dazu verstauden hatten, an sich 
Streckung vornehmen zu lassen, unterwarfen sie 39 männliche und 8 weibliche 
an Tabes leidende Kranke der Kur. Unter den verschiedenen Formen und Stadien 
der Krankheit wandten sie diese Behandlung nur bei denen an, die in das zweite 
Stadium eingetreten waren und, wenn ihnen nicht irgend wie geholfen wird, sehr 
schnell einer progressiven Verschlechterung anheimfallen. Ausgeschlossen waren die 
Fälle von sehr langsamer Entwickelung, ferner die im dritten (paralytischen) 
Stadium befindlichen und die rapid fortschreitenden Formen. 

Die Verff. hatten bei der Hälfte ihrer Patienten gute Resultate, indem fast 
sämmtliche Symptome der Tabes günstig beeinflusst wurden. Die sensiblen Reiz¬ 
erscheinungen und die blitzartigen Schmerzen traten erheblich zurück. Die Blasen» 
Störungen, insbesondere die Retentio besserte sich; weniger günstig wurde die In- 
«mtinenz beeinflusst. 

Fast stets hatte die Kur eine günstige Einwirkung auf die Unsicherheit des 
fangfts- 10 Patienten konnten wieder allein und sicher gehen. 

Auf die Angen und Bulbärsymptome hatte die Dehnung nur einen sehr beschei» 
denen Einfluss. 

Die gewonnenen Resultate decken sich mit den anatomischen Verhältnissen, indem 
die Dehnung besonders das Dorsal» und Lumbalmark nebst der Cauda equina be¬ 
trifft; klinisch übertragen entspricht die Besserung diesen Rückenmarksgegenden. 

Nur 10 Kranke empfanden keine Besserung, während der Rest eine geringe 
zeigte, wenn auch nicht so ausgesprochen wie die erste Gruppe. 

Die Sitzungen dauerten ungefähr 8 —12 Minuten und wurden 15 — 20 Mal 
wiederholt. 

Die Besserung zeigte sich meistens erst bei der 10. oder 15. Sitzung, wenn 
der höchste Grad von Dehnung erreicht war. 

Die Erfahrung lehrte, dass es praktisch sei, die Dehnung einen Tag um den 
anderen vorzunehmen, während sie täglich in den Fällen indicirt war, in denen die 
schmerzhaften Symptome besonders ausgeprägt waren. 

Mehr wie 3, höchstens 4 Monate — also 40— 50 Sitzungen — soll die Be- 
handhmg nicht fortgesetzt werden; hat sie nicht genützt, muss sie für Wochen unter¬ 
brochen werden, während welcher eine medicamentöse Behandlung statthaben muss. 

Adolf Passow (Strassburg i./E.). 

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17) Tabes juvönile et tabes hdrdditaire, par Eaymond. (Progrös medical. 

1897. August. S. 81 u. 97.) 

Zwei Krankengeschichten eines Vaters, der an Tabes leidet and des Sohnes, der 
ein ihr ähnliches Krankheitsbild bietet Ersterer, hereditär belastet, fing schon mit 
17 Jahren an, sich übermässigem Genüsse von Absinth, Genevre and Branntwein 
hinzageben. Aasser Röcheln nicht krank; speciell Lues geleugnet. 1883 hatte er 
einen Anfall ohne Bewusstseinsstörung, der mit Doppelsehen begann, ungefähr eine 
viertel Stunde dauerte und eine Paralyse der linken Seite zurQckliess. Solche An¬ 
fälle haben sich später mehrmals, auch mit Aufhebung des Bewusstseins wiederholt. 

1894 zeigte er im Alter von 55 Jahren alle Symptome einer schon seit Jahren 
bestehenden Tabes, welche auch jetzt progressiv fortschreitet. 

Mit 35 Jahren heiratbete er eine gesunde Frau, die 4 Kinder gebar, keine 
Aborte hatte. Während 3 Kinder völlig gesund sind, bietet ein Sohn folgendes 
Krankheitsbild: 

Rechtzeitig und ohne KunsthOlfe geboren, lernte er mit 13 Monaten laufen und 
überstand darauf leichte Erkrankung an Masern und Pocken. Stets von beschränkter 
Intelligenz, machte er mit 15 Jahren (1895), als er in Spitalbehandlung kam, den 
Eindruck eines Kindes. Er spürte damals eines Abends eine starke Schwäche in 
den Füssen, so dass er nicht laufen konnte; auch fiel ihm das Steigen einer Leiter 
schwer, was er sonst seit Monaten in einem Geschäft hatte thun können. Mehrmals 
trat er fehl, fand die Stufen nicht und war gefallen. Auch die Finger wurden 
schwach und steif, er konnte nicht knöpfen. 

Nach den Aufzeichnungen im Stat. praes. fanden sich: Kyphoscoliose; auffallende 
Sprache — sie war lallend und zitternd, blieb im Munde gewissermaassen hängen; 
bei angespannter Haltung des Kopfes und der Oberextremitäten oscillirende Bewe¬ 
gungen in diesen; bei intendirten Bewegungen bedeutende Ataxie der Arme; statische 
Ataxie in den Unterextremitäten; der Gang erinnert sowohl an den Gang der 
Tabiker, als auch an den von Kleinhimkranken; kann nicht stehen, ohne mit dem 
ganzen Körper hin und herzuschwanken; Romberg’s Symptom vorhanden; Patellar- 
reflexe aufgehoben; grosse Menge Sensibilitätsstörungen, die dauernd wechseln; keine 
Sphincterenschwäche; Nystagmus, Amaurose. 

Sodann beschäftigt sich Verf. eingehend mit der Differentialdiagnostik, bespricht 
die bis jetzt bekannten Tabesfälle des Kindes* und Jünglingsalters, die ererbte Tabes 
und die Friedreich’sche Ataxie und kommt zu dem Schlüsse, es handle sich bei 
dem Sohne um eine Mischform, die durch die neuropathische Veranlagung modificirt, 
Symptome sowohl der Tabes dorsalis, als auch der Friedreich’schen Erkrankung 
bietet. 

Jedenfalls in Folge der genauen Beobachtung seitens des bekannten Gelehrten 
ein achtungswerther und zu neuen Untersuchungen ermunternder Beitrag zur viel¬ 
umstrittenen Tabesfrage. Adolf Passow (Strassburg i./E.). 


• 

18) Heber den gegenwärtigen Stand der Behandlung der Tabes dorsalis, 
von A. Eulenburg. Vorgetr. in der Section für innere Medicin der 69. Ver¬ 
sammlung deutscher Naturforscher und Aerzte in Braunschweig am 21./IX. 1897. 
(Deutsche med. Wochenschr. 1897. Nr. 44.) 

Bezüglich der Einzelheiten des gehaltvollen zusammenfassenden Vortrages vergL 
das Original, ferner das Referat von Löwenthal, Neurol. Centralbl. 1897. Nr. 20. 

R. Pfeiffer (Cassel). . 


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19) Traitement de l’ataxie dans le tabes dorsalis par la röeducation des 

mouvements (methode de Frenkel), par Hirschberg. (Arch. de Neurol. 

Vol. n. 1896. Nr. 9 u. 11.) 

Der Verf. berichtet Qber die Erfolge, die von ihm bei der Behandlung der 
Ataxie mit der Frenkel’sehen Methode erzielt wurden. Er hat dieselbe in 9 Fällen 
rar Anwendung gebracht. Zunächst erfolgt eine ausführliche Beschreibung der 
Hebungen; hierüber ist im Original nachzulesen. Der Verf. lässt die Uebungen 
täglich vornehmen, im Anfang sollen dieselben ungefähr 7a Stunde dauern, später 
etwa 1 Stunde; dieser Zeitraum darf aber nie überschritten werden; keinesfalls dürfen 
die Oebungen Uebermüdung hervorrufen. Bei den Fällen, die der Verf. der Be¬ 
handlung unterzogen hat, handelt es sich 3 Mal um schwere Ataxie mit gänzlicher 
Unfähigkeit zu gehen und zu stehen; in den übrigen 6 Fällen war die Ataxie mitt¬ 
leren Grades. In allen Fällen wurde Besserung erzielt, in einigen sogar eine sehr 
beträchtliche. Zusammen mit der Besserung der Ataxie war auch eine Besserung 
des Gefühls zu constatiren, die aber nur subjectiv war, indem die Patienten angaben, 
dass sie ihre Beine besser fühlen, dass sie dieselben im Bett nicht mehr so leicht 
verlieren u. der gl., eine objective Besserung der Sensibilität liess sich nicht fest¬ 
stellen. Die Anwendung der Frenkel’sehen Methode kann nach den Erfahrungen 
des Verf.’s in allen Fällen von tabischer Ataxie geschehen, doch muss der allgemeine 
Ernährungszustand der Patienten ein guter sein, und es dürfen keine Complicationen 
mit anderen Krankheiten vorliegen, wie z. B. Herzfehler. Eine absolute Contra- 
indication erblickt der Verf. in den tabiseben Gelenkaffectionen. Bei blinden Tabikern 
bat die Frenkel’sche Methode keinen Nutzen, da sie sicher zu ihrer Ausübung 
eines intacten Sehorgans bedarf. Psychische Störungen, Abnahme der Intelligenz 
dürfen gleichfalls nicht vorhanden sein, wenn die Methode Erfolg haben soll. Fälle, 
wo die Tabes ganz acut sich entwickelt, sollen nicht sofort in Behandlung genommen 
werden, sondern es ist abzuwarten, bis die Krankheit einen gewissen Stillstand er¬ 
reicht hat, oder das Fortschreiten ein langsameres ist. 

In Bezug auf die physiologische Grundlage der durch die Frenkel’sche Me¬ 
thode erzielten Besserungen schliesst sich der Verf. ganz den Anschauungen Frenkel's 
an. M. Weil (Stuttgart). 


20) Zwei Fälle von Tabes dorsalis mit Sperminum-Poehl behandelt, von 
Dr. M. Werbitzky. Aus der Klinik von Prof. L. Popoff in St. Petersburg. 
(Deutsche med. Wochenschr. 1897. Nr. 41.) 

Das Bdsumd lautet: Besserung des Allgemeinbefindens, Schwinden der Schmerzen, . 
erhöhte Hautsensibilität (alle Formen). Besseres Muskelgefühl, erhöhte Muskelkraft; 
Verminderung der atactischen Erscheinungen. Besserung der Ptosis. Nach den 
ersten Injectionen etwas erhöhte Schweisssecretion. R. Pfeiffer (Cassel). 


21) Chronische fortschreitende Augenmoskellähmong und progressive 
Paralyse, von Dr. E. Siemerling, Professor in Tübingen- und Dr. J. Bö- 
deker, Privatdocent in Berlin. (Arch. f. Psych. u. Nervenkrankh. Bd. XXIX. 
S. 420 u. 716.) 

Die vorliegende Arbeit bildet eine Fortsetzung der im Supplementband des 
XXII. Bandes des Archivs für Psychiatrie veröffentlichten Untersuchungen Über die 
chronischen progressiven Lähmungen der Augenmuskeln, die Siemerling unter Be¬ 
nutzung der von C. Westphal hinterlassenen Arbeiten in so überaus sorgfältiger 
Weise 1891 abgeschlossen hatte. Die Verff. haben nun 10 neue Fälle von chro¬ 
nischer fortschreitender Augenmuskellähmung klinisch und anatomisch zum Gegenstand 


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ihrer Stadien gemacht; bei 8 Fällen handelt es sich um Paralytiker, bei 2 Fällen 
am Tabiker mit Geistesstörung. Eine flbersichtliche Tabelle giebt folgenden 
Aufschluss Aber die klinischen und anatomischen Befunde, wobei wir nur der 8 Para¬ 
lytiker gedenken wollen. 

Fall 1. Verlaufsdauer 4 Jahre. Alter 49 Jahre. Pupillen eng, lichtstarr, 
starr bei Convergenz. Rechter Abducens gelähmt. Trochlearis und Obliquus inf. 
rechts intact. Parese der übrigen rechtsseitigen Muskeln. Parese des linken Rectus 
inf. und Obliqu. sup. Sprache gestört. Eniephänomen fehlt. Beide Abducenskerne 
degenerirt, der rechte mehr. Rechter Abducensnerv erheblich, linker geringer dege- 
nerirt. Rechter Trochlearis'kern und Trochleariswurzel stark, linker Trochleariskern 
in geringem Grade, Oculomotoriuskeme und Oculomotoriuswurzeln beiderseits dege¬ 
nerirt. Blutungen in den Kernen und Muskeln. Muskeläste, besonders rechts, ent¬ 
artet. Hypoglossuskeme degenerirt, Fasern und Kerne im centralen Höhlengrau 
ebenfalls. Muscul. obliqu. super, besonders links stark erkrankt, Optici intact. Im 
Rückenmark Hinterstrangsdegeneration. 

Fall 2. Verlaufsdauer 2 Jahre. Alter 53 Jahre. Pupillen starr, different. 
Nervi optici atrophirt. Rücksichtlich der Augenbewegungen handelt es sich um 
fortschreitende Lähmung aller Muskeln. Beiderseits starke Ptosis. Protrusio bnl- 
borum. Sprache gestört. Patellarsehnenreflexe lebhaft. Abducenskerne, Abducens- 
wurzeln und Abducensnerven beiderseits degenerirt, Trochleariskerne, Trochleariswurzeln 
und Trochlearisnerven ebenfalls. Oculomotoriuskeme sämmtlich degenerirt, ebenso 
die Wurzeln und Nerven. Blutungen im centralen Höhlengrau. Sodann Degeneration 
der Gangl. Gasseri, der aufsteigenden Trigeminuswurzeln, des linken Hypoglossua- 
keras. Schwund der Fasern im centralen Höhlengrau. Degeneration des Peroneus. 
Degeneration aller Augenmuskeln. Degeneration der Seitenstränge im unteren Dorsal- 
und Lendentheil. 

Fall 3. Verlaufsdauer 20 Jahre. Alter 46 Jahre. Pupillen weit, lichtstarr. 
Opticusatrophie. Fortschreitende Lähmung aller Augenmuskeln. Starke Ptosis. 
Nystagmus. Sprachstörung. Patellarsehnenreflexe fehlen. Abducens- und Troch¬ 
leariskern, -Wurzeln und -Nerven degenerirt. Oculomotoriuskeme beiderseits sehr 
stark entartet, Degeneration der aufsteigenden Trigeminuswurzel und der spinalen 
Glossopharyngeu8wurzel. Blutungen in hinterer Commissur. Alle Augenmuskeln 
degenerirt. Degeneration der Hinter- und Seitenstränge des Rückenmarks. 

Fall 4. Verlaufsdauer unbekannt. Alter 59 Jahre. Pupillen different, starr 
bei Lichteinfall und bei Convergenz. Papillen besonders temporal abgeblasst. Augen¬ 
bewegungen nach allen Richtungen gelähmt. Mittlere Ptosis. Sprache gestört. 
Kniephänomen fehlt Abducens-, Trochlearis- und Oculomotoriuskeme, -Wurzelu und 
-Nerven beiderseits degenerirt. Degeneration des linken Hypoglossuskems, der rechten 
spinalen Glossopharyngeuswurzel, der aufsteigenden Trigeminuswurzel, des N. peroneus. 
Alle Augenmuskeln entartet. Im Rückenmark Degeneration der Hinterstränge. 

Fall 5. Verlaufsdauer 11 Jahre. Alter 29 Jahre. Pupillen different, licht¬ 
starr, convergenzstarr. Atrophie der N. optici. Rücksichtlich der Augenbewegungen 
wurden constatirt geringere Parese des rechten, stärkere des linken Abducens, ge¬ 
ringe linksseitige, starke rechtsseitige Ptosis, Parese des linken, Paralyse des rechten 
O.culomotorius und Intentionsnystagmus. Sprachstörung. Gesteigertes Kniephänomen. 
Degeneration beider Abducenskerne, beider Trochleariskerne und Trochleariswurzeln, 
beider Oculomotoriuskeme, namentlich des rechten; auch die Oculomotoriuswurzel war 
rechts dünner als links. Fasern und Kern im centralen Höhlengrau degenerirt. 
Alle Augenmuskeln entartet. Degeneration der Hinterstränge im oberen Theil und 
der Seitenstränge. 

Fall 6. Verlaufsdauer 8 Jahre. Alter 37 Jahre. Pupillen different, lichtstarr. 
Nortnaler ophthalmoskopischer Befund. Links Ptosis. Doppelseitige Abducenslähmung. 
Sprachstörung. Fehlendes Kniephänomen. Abducenskerne, Abducenswurzeln und 


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Abducensnerven degenerirt. Degeneration beider Oculomotoriuskerne, namentlich des 
linken Kerns und der linken Wurzel. Blutungen im centralen Höhlengrau. Dege¬ 
neration der Oculomotoriusmuskeln. Bückenmarksbefund nicht aufgeklärt. 

Fall 7. Verlaufsdauer unbekannt. Alter 48 Jahre. Pupillen starr bei Licht¬ 
einfall und bei Convergenz, different. Hechts Lähmung aller Oculomotoriusmuskeln, 
nur Beweglichkeit nach oben etwas erhalten. Beiderseits Ptosls. Sprache nicht 
deutlich gestört. Kniephänomen fehlt. Oculomotoriuskerne beiderseits degenerirt, 
intramedulläre Wurzeln rechts atrophisch. Kern im centralen Höhlengrau entartet, 
Fasernetz daselbst dfirftig. Degeneration der Hypoglossuskerne und Hypoglossus- 
wurzeln. Degeneration der Hinterstränge des Bflckenmarks. 

Fall 8. Verlaufsdauer 7 Jahre. Alter 51 Jahre. Pupillen different, beider¬ 
seits lichtstarr. Parese sämmtlicher Oculomotoriusäste links. Ptosis links. Links 
sicher Abducensparese, rechts unsicher. Nystagmus. Sprachstörung. Patellarsehnen- 
refleze fehlen. Beide Abducenskerne degenerirt, links stärker. Beide Oculomotorius¬ 
kerne degenerirt, links stärker. Linksseitige Oculomotoriuswurzeln stark atrophirt. 
Entartung der Facialis-, Hypoglossus- und motorischen Trigeminuskerne, der dorsalen 
Vagnskenie, ihrer intramedullären Fasern und der Glossopharyngeuswurzeln. 

Abgesehen von transitorischen Augenmuskellähmungen im Initialstadium der 
Paralyse, abgesehen von den nicht zu seltenen Lähmungen, wie sie sich durch 
vorübergehendes Doppelsehen kundgeben, sind Augenmuskellähmungen bei Paralytikern 
keine häufigen Krankheitserscheinungen. Namentlich müssen nach den Untersuchungen 
der Verff. das Vorkommen einer anhaltenden Einzellähmung und die Entwicklung 
der Ophtbalmoplegia totalis als Seltenheiten angesehen werden. 

Die Verff. würdigen die über fortschreitende Augenmuskellähmung vorhandene 
Litteratur in der vorliegenden Arbeit, namentlich die nach 1891 erschienenen ein¬ 
schlägigen Veröffentlichungen einer ausführlichen Besprechung und verfehlen nicht, 
aus ihren Präparaten und den Forschungen anderer Autoren Nutzen zu ziehen für 
die anatomische und physiologische Erkenntniss des Augenmuskelapparats, namentlich 
der Zellencomplexe des Oculomotorius. 

In allen untersuchten Fällen war das motorische Neuron (Kern-Nerv-Muskel) 
in seiner Gesammtheit ergriffen. Der Ausganspunkt der Erkrankung — es kommt nur 
die chronische Ophthalmoplegie in Frage — ist in den Kernen zu suchen, wo als 
constanter Befund die Degeneration der Ganglienzellen und der Schwund des Faser¬ 
netzes hervortraten. Wirkliche Erkrankung der Gefässe fand sich in den meisten 
Fällen nicht. Weder Hyperämieen, weder Blutungen, noch Ependymverdickungen 
spielten beim Zustandekommen der primären Veränderungen der Zellen eine Rolle. 
Die beobachteten Blutungen traten wahrscheinlich erst kurz vor dem Tode auf. Die 
Ependymverdickungen waren nicht constant. In vielen Fällen entsprach dem ver¬ 
schieden weit fortgeschrittenem Grade des Zerfalls der Zellen eine entsprechend weit 
oder gering vorgeschrittene Functionsstörung. Einige Male resultirte aus der nach¬ 
weislichen, mittleren Zelldegeneration eine Functionsstörung der zugehörigen Nerven 
noch nicht. Klinisch wurde mehrmals ein Schwanken der Symptome, ein Wechsel 
un Grade der klinischen Ausfallserscheinungen bemerkt. Die Arbeit repräsentirt im 
Verein mit der citirten früheren Siemerling’schen Arbeit nicht nur einen bedeutenden 
Fortschritt in der Lehre von den chronischen Augenmuskellähmungen, sondern auch 
in der pathologischen Anatomie des Mittelhims, des Hinterhirns und des Nachhirns. 

_ Georg llberg (Sonnenstein). 


22) Note sur un oae de paohymeningite hömorrhagique prise pour une 
paralysie gönärale, par Boissier. (Archiv, de Neurol. Vol. II. 1896. 
Nr. 8.) 

Anamnese: 42jähr. Portier, hereditär belastet; keine luetische Infection, kein 


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Alkoholismus; häufig Gongestionen nach den geringsten Aufregungen und geringe 
fügigen Diätfehlerfc. Beginn der Erkrankung im Jahre 1892 mit Schwindel, Ab¬ 
nahme der Intelligenz und Reizbarkeit August 1893 heftigen Schwindelanfall mit 
nachfolgender Schwäche der linken Seite; zwei Tage darauf apoplectiformer Anfall mit 
zweitägigem Bewusstseinsverlust; darnach trat ein Zustand hochgradiger Erregung’ 
ein mit Illusionen und Hallucinationen. Die nach Ablauf der Erregung Ende August; 
vorgenommene genaue Untersuchung ergab: paralytische Störung der Sprache und 
Schrift, Schwäche des Gedächtnisses und des Urtheils, ungleiche, schwach auf Licht 
reagirende Pupillen, rechtsseitige Parese. Es wurde in Folge dieses Befundes die 
Diagnose auf Dementia paralytica gestellt 

Am 7. November 1894 neuer apoplectiformer Insult; am 30. November ein dritter 
schwerer mit Coma und Temperaturerhöhung, der nach wenigen Stunden zum Exitus 
führte. 

Die Autopsie ergab nun ein Hämatom der Dura mater, das sich über die ganze 
Convexität beider Hemisphären ausdehnte; die bei Paralyse gewöhnlichen Veränderungen 
fanden sich jedoch nicht Es waren keine Verwachsungen zwischen Dura und Pia 
zu sehen, keine chrakteristischen Degenerationen, keine Ependymgranulationen. Die 
mikroskopische Untersuchung ergab gleichfalls nicht die Veränderungen, die man bei 
der Paralyse findet. Es fand sich jedoch eine beträchtliche Endarteriitis der pialen 
Gefässe, welchen der Verf. auch die Entstehung des Hämatoms zuschreibt Die Dia¬ 
gnose der Paralyse war also trotz des so charakteristischen klinischen Befundes nicht 
zutreffend gewesen. Der Verf. kommt zu dem Schluss, dass in einem Falle von 
Pachymeningitis haemorrhagica wie der vorliegende, wo die ganze Convexität be¬ 
troffen ist und die Hirnrinde beiderseits gleichmässig leidet, es unmöglich ist, die 
Diagnose einer Pachymeningitis haemorrhagica zu stellen; er meint aber, dass in 
Fällen von progressiver Paralyse, die rapid unter apoplectiformen Anfällen verlaufen 
und die ätiologisch (Mangel der Syphilis) und klinisch nicht ganz einwandsfrei sind, 
differentialdiagnostisch das Hämatom der Dura mater in Erwägung zu ziehen ist. 

M. Weil (Stuttgart). 


23) Ueber Pruritus als Symptom der progressiven Paralyse, von Dr. Arthur 

Sarbö, Nervenarzt. (Budapest 1897.) 

Verf. hat universellen Pruritus ohne Veränderungen zwei Mal bei progressiver 
Paralyse beobachtet. Das Leiden trat im Beginn der Gehirnkrankheit auf, besserte 
sich während der Remission und verschwand mit fortschreitendem psychischen Verfall. 
Verf. sucht den Sitz dieses Pruritus in der Hirnrinde und hält ihn für ein projicirtes 
Reizsymptom des corticalen Tastsinnfeldes. 

Auch Ref. hatte Gelegenheit Pruritus bei Geisteskranken zu beobachten. Zwei 
Paralytiker rieben sich im expansiven Stadium so heftig am Kopf, dass die Haare 
ausgingen; in dem einen Falle hörten Jucken und Kratzen im Endstadium der Krank¬ 
heit auf, und sofort wuchsen die Haare wieder. Besonders starker Pruritus war in 
einem Falle von Schwachsinn nach Melancholie vorhanden; der betreffende Kranke 
zog sich immer und immer wieder Wunden am Kopfe, am Halse, an den Händen 
und Beinen durch unablässiges Reiben und Kratzen zu. Aueh in diesen Fällen war 
kein Anlass, den Pruritus durch stattgehafte Vergiftung oder durch Erkrankung 
peripherer Nerven, bez. der Haut, zu erklären. Die Angst war bei dem secundär 
Schwachsinnigen abgeblasst, leichte Klagen über Jucken wurden geäusBert. 

G. Ilberg (Sonnenstein). 


24) Contribution ä l’etude du reflexe pharyngien dtudie chez les memes 
malades aux trois periodes de la paralysie gönörale, par Marandon 
de Montyel. (Arch. de phys. norm, et path. Vol. IV. 1897. Nr. 4.) 

Verf. hat das Verhalten des Pharynxreflexes während des Verlaufs der Dementia 

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paralytica bis zum Tode verfolgt. Bei 72,3 °/ 0 fanden sich Störungen des Reflexes. 
Steigerung ist sehr selten, am häufigsten ist Fehlen. Meist ist die Störung des 
Reflexes schon in der 1. Krankheitsperiode vorhanden. Steigerung kommt vorzugs¬ 
weise in den vorgerückten Krankheitsstadien vor. In der 2. Krankheitsperiode findet 
man Fehlen des Reflexes wesentlich seltener als in der 1. und 3.; überhaupt sind 
in der 2. Periode Störungen des Reflexes seltener. Die demente Form zeigt am 
häufigsten, die depressive Form am seltensten Abweichungen. Zu der Sprachstörung 
und znr Hautsensibilität hat sich keine bestimmte Beziehung ergeben. Während der 
Remissionen bleibt die Reflexstörung in der Regel bestehen und soll daher beweisen, 
Httas keine wirkliche Heilung eingetreten ist. Bei alkoholistischer Aetiologie sollen 
Abweichungen häufiger sein, als bei Syphilitikern. Bei ersteren scheint das Fehlen, 
bei letzteren die Steigerung relativ besonders häufig. Ref. fürchtet, dass Verf. an 
mehreren Punkten die Thatsache nicht genügend in Betracht gezogen hat, dass auch 
bei ganz gesunden Individuen der Pharynxreflex fehlen kann; ferner findet man bei 
Rauchern relativ oft Steigerungen; endlich ist fraglich, ob Verf. eine genaue Unter- 
scheidnng des Gaumen- und Pharynxreflexes durchgeführt hat. Th. Ziehen. 


25) I. Sur la periode terminale de la paralysie gdnerale et sur la mort 

des paralytiques göndraux, par Arnaud. (Arch. de Neürol. Vol. III. 

1897. Nr. 18.) — II. Pöriodes terminales et mort dans les soidisant 

paralysies göndrales progressives, par Paris. (Ebenda. Vol. IV. 1897. 

Nr. 22.) 

I. Auf Grund der Beobachtung von 33 Fällen kommt Verf. zu folgenden 
Schlüssen: 

1. Man muss in Bezug auf die Endperioden bei der progressiven Paralyse zwei 
Categorieen auseinanderhalten. Bei der einen tritt kürzere oder längere Zeit vor 
dem Tode allmählich zunehmende Lähmung ein, so dass die Kranken sich nicht mehr 
fortbewegen können. Bei der zweiten Gruppe, die mindestens ebensogross ist, wie 
die erste, kommt es zum Exitus, ohne dass vorher ein derartiger Lähmungszustand 
eintritt Diese beiden Gruppen unterscheiden sich dadurch, dass bei der ersteren 
frühzeitig Muskelspannungen und Contracturen auftreten, während bei der zweiten 
diese Symptome fehlen. 

2. Die cerebralen Anfälle sind die häufigste und natürlichste Todesursache 
der Paralytiker; der Tod an Marasmus und Decubitus ist viel seltener als man bisher 
angenommen hat. 

1L Dieser Artikel enthält eine Polemik gegen die obigen Ausführungen. Verf. 
ist der Ansicht, dass das Material von A. für die Entscheidung über die Frage der 
Endperiode und des Todes bei der progressiven Paralyse ungenügend ist; denn einmal 
ist es zu klein, und dann entstammen die Fälle A.’s einer Privatanstalt, die nur 
männliche Kranke aus den gut situirten Classen aufnimmt. Man muss zur Ent¬ 
scheidung der Frage gemischtes Material verwerthen sowohl in Bezug auf das Ge¬ 
schlecht, als auch auf die sociale Provenienz der Kranken. Unter diesen Bedingungen 
wird man finden, dass die männlichen Paralytiker häufiger einem Anfall unterliegen, 
als die Frauen, dass die Paralyse in ihrem Endstadium weitaus am häufigsten zum 
Marasmus führt, und dass die Kranken aus den wohlhabenden Classen viel häufigem 
Anfällen ausgesetzt sind, als die Paralytiker der ärmeren Classen. Der Verf. ist 
überhaupt der Ansicht, dass man zur Zeit unter dem Namen der progressiven Para¬ 
lyse ätiologisch ganz verschiedenartige Affectionen und Intoxicationen zusammenfasst, 
welche nichts gemeinsames haben als eine paralytische Phase und dass dieselben sich 
in ihren Endstadien unterscheiden, ebenso wie sie vor der paralytischen Periode in 
dem Beginn und in der Entwickelung der Symptome verschieden sind. Die Ursachen 


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und erste Entwickelung dieser Affectionen sind zu erforschen und den Endperioden 
gegenüberzustellen, dann würden sich, nach der Meinung des Verf.’s, diese Unter¬ 
schiede aufklären. M. Weil (Stuttgart). 


26) Un aas de maladie de Priedreloh aveo autopsie et examen histologique, 

par J. Simon. (Progrös mddical. 1897. S. 145.) 

Patient ist einziges Kind, hereditär nicht belastet, hatte mit 2—3 Jahren eine 
Augenkrankheit und klagte gleichzeitig über Schmerzen in den Füssen. Keine wesent¬ 
lichen Erkrankungen ausser Diarrhöen. Mit 5 Jahren 2 Monate dauernde Dysenterie; 
darnach schlechter Gang. Mit 10 Jahren Spitalbeobachtung. Diagnose wurde auf 
Friedreich'sche Krankheit gestellt. Das Wichtigste des Befundes war (J. Simon): 

Asymmetrischer Schädel, Physiognomie wenig intelligent, häufiges Lachen; Sprache 
langsam, etwas saccadirt. Kein Nystagmns, keine Skoliose, keine Klumpfüsse, keine 
Störungen im Gebiete der Sensibilität und der Sphincteren. Obere Extremitäten 
normal. Das Stehen ohne fortwährende Bewegungen des ganzen Körpers unmöglich. 
Beim Gehen beschreibt der Kranke Curven; er fällt oft beim Spielen, Fehlen der 
Kniescheibenreflexe. Bomberg’s Symptom angedeutet. 

Mit 12 Jahren Charcot vorgestellt, sprach sich dieser dahin ans: 

Abgesehen des Fehlens verschiedener Symptome (Scoliose, Nystagmus, Sprach¬ 
störung), die sich jedoch später entwickeln könnten, halte ich den Fall für eine 
Friedreich'sche Erkrankung weil 

1. es sich nicht um congenitale, noch um erworbene cerebrale Läsionen handeln 

kann, 

2. die Erkrankung regelmässig zunimmt: Fehlen der Reflexe, 
Fehlen von Sensibilitäts- und Blasenstörungen, leichte, erst auf¬ 
getretene geistige Schwäche und eine geringe Aenderung der Sprache, 

3. es sich bei den fehlenden Reflexen nicht um einen Kleinhimtumor handeln 
könne. 

Mit 16 Jahren konnte Pat. nicht mehr gehen, mit 17 Jahren folgender Befund 
(P. Boncour): 

Pat. sitzt mit genäherten Knieen und gespreizten Beinen, die inneren Knöchel 
liegen auf der Unterlage. Beine können nicht gehoben werden, jedoch noch einige 
Bewegungen machen, ebenso die Zehen. Klumpfussstellung. Starke Atrophie der 
Muskeln an den unteren Extremitäten, zumal an der Planta pedis. Keine Knie¬ 
scheibensehnenreflexe. Normale Sensibilität. Transversaler Nystagmus beim Fixiren 
eines bestimmten Punktes. Mund halb geöffnet, viel Speichel. Reine Scoliose, je¬ 
doch in der Höhe des ersten Dorsalwirbels ein deutlicher Vorsprung. Keine Druck¬ 
empfindlichkeit der Wirbelsäule. Bedeutende Wärmeempfindung und Stechen in den 
Lumbalgegenden und in den Waden. Intelligenz unter mittelmässig. Sprache langsam, 
undeutlich und stotternd. Pat. urinirt oft ins Bett und ist dauernd verstopft. 

(Ueber die oberen Extremitäten finden sich keine Angaben. Ref.) 

Ohne Vorboten und Krankheitserscheinungen fand man Pat. tot im Bette vor. 
Die Autopsie ergab völlig gesunde Organe, liess keine Veranlassung des plötzlichen 
Todes finden. 

Das Rückenmark und Gehirn untersuchte Philipp. Die ausführliche Beschrei¬ 
bung kann leider en ddtail nicht wiedergegeben werden; deshalb seien Ph.’s Schluss¬ 
sätze angeführt: 

1. Das auffallend dünne Rückenmark ist der Sitz einer combinirten 
Sclerose (Hinterstränge, Pyramidenstrang und Kleinhirnseitenstrang). 

2. Es fanden sich Veränderungen der Zellen der grauen Substanz, 
die noch näher beschrieben werden sollen. 

Adolf Passow (Strassburg i./E.). 


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27) Three oases of Friedreioh’s disease all presenting marked in orease 
of the knee-jerk, by George Hodge. (Brit. med. Journ. 1897. Jan. 5. 
S. 1405.) 

3 Fälle von Friedreich’scher Lähmung, speciell beschrieben, unter Beigabe 
von Photographieen, um eine charakteristische Deformität des einen oder beider Füsse 
solcher Patienten zu illustriren. Der Fuss tritt mit dem Ballen und äusseren Bande 
auf; Ferse gehoben und nach aussen gedreht. — Im flbrigen sind die Unterextrerai- 
täten ziemlich normal entwickelt. In dem einen Falle besteht auch Atrophie der 
Bandmuskeln rechts, und die Hand hat Klauenform. — Die weitere Wiedergabe der 
Krankheitserscheinungen, welche dem bekannten Krankheitsbilde Friedreich’s ent¬ 
sprechen, unterbleibt hier. L. Lehmann I (Oeynhausen). 


28) Bemarks on Friedreioh’s Ataxia, with notes of three oases, by Her¬ 
bert Bramwell. (Brit. med. Journ. 1897. Oct. 2. S. 896.) 

Die Symptome, im Original weitläufig beschrieben, werden hier nicht weiter 
mitgetheilt. — 6 Kinder von sonst gesunden Eltern. 3 davon litten an Friedreich’- 
scher Krankheit, und davon zwei kürzlich gestorben. Das älteste, eine Tochter, ganz 
gesund, verbeirathet und hat gesunde Kinder. — Das Zweitälteste, jetzt 27 Jahre 
alt, ist myops, zart, nervös, mit gesteigerten Kniereflexen und sonst keinen Symptomen 
der Krankheit. — Das dritte, ein Sohn, starb 24jährig. Er bot im Leben alle 
typischen Erscheinungen der Friedreich’schen Ataxie. — Das vierte bekam eine 
Krankheit im 6. Jahre und starb 19 Jahre alt. — Das fünfte, ein Sohn, bekam die 
Krankheit im 7. Jahre; ist jetzt 19 Jahre alt. 

Die Autopsie ergab bei dem ad vier genannten Mädchen, dass das Rücken¬ 
mark kleiner, als normal (im Gegensatz zu Ataxia locom. progr.), und diese 
congenitale Kleinheit geht auf die Med. oblongata und Pons über. 2. Die Sclerose 
ist hier ausgedehnter als bei Tabes und erfasst auch die Goll’schen, Burdach’schen 
und Clark’schen Stränge, die directen Gehirnstränge und die Pyramidenkreuzung. 
In einigen Beobachtungen waren auch die hinteren Wurzeln im unteren Rückenmark 
afficirt. Es werden photographische Abbildungen der verschiedenen Rückenmarkshöhen 
im Querschnitt beigefügt, aus denen die Behauptungen hervorgehen. 

Es sind auch Beobachtungen vorhanden, in denen Gowers' Strang und die 
directen Pyramidenstränge lädirt waren; ausserdem Verdickung der Rückenmarks¬ 
häute, Meningomyelitis, besonders im unteren Theile des Rückenmarks. — Es besteht 
bei Friedreich’scher Ataxie also eine combinirte Sclerose gewisser Züge in den 
Hinter- und Seitensträngen, und ausserdem in den resiculären Clark’schen Säulen 
in der grauen Substanz und den hinteren Nervenwurzeln. Doch sind diese weiteren 
Degenerationsausdehnungen erst Vorkommnisse und Productionen der späteren Krank- 
heitsstadien. L. Lehmann I (Oeynhausen). 


Psychiatrie. 

28) L’assistanoe et le classement des aliönes en Belgique, par Dr. J. Al. 
Peeters. (Bull, de la sociötö de mödecine mentale de Belgique. 1897. Sept.) 

Eine bewegliche Klage des Directora von Gheeli Er beschwert sich darüber, 
dass von den Verwaltnngs- und Armenbehörden, ebenso wie von den geschlossenen 
Anstalten, ihm Kranke nach-Gheel geschickt werden, welche für die Familienpflege 
nicht passen, und behauptet, dass in den geschlossenen Irrenanstalten eine Reihe von 
Kranken, die sich für Familienpflege trefflich eignen würden, zurückgehalten werden. 
Ausserdem beklagt er, dass eine grosse Reihe von Kranken direct nach Gheel kommen, 


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ohne durch eine geschlossene Anstalt hindurchgegangen zu sein, dorthin überwiesen 
durch die Armenbehörden, die Verwaltungsbehörden und die Krankenhäuser. Dass 
diese Behörden von den verschiedenen Formen der Anstaltspflege, wie sie in Belgien 
gesetzlich festgelegt sind, nichts wissen, ist bedauerlich; als bedeutend schlimmer 
aber bezeichnet Verf., dass unter den belgischen Aerzten, die doch die berufenen 
Berather dieser Behörden sein sollten, fast gar kein Interesse für Geisteskranke 
besteht, was er daraus schliesst, dass im Gegensatz zu den Aerzten anderer Nationen, 
die häufig nach Gheel kommen, um die dortige Familienpflege kennen zu lernen, ein 
belgischer Arzt sich dort sehr selten sehen lässt. Von allen nach Gheel gesandten 
Kranken mussten in den letzten 4 Jahren 17% als f&r Familienpflege ungeeignet 
zurflckgesandt werden. Verf. vergleicht mit seinen Resultaten die der Berliner 
Familienpflege und stützt sich dabei auf das bekannte Buch von Bothe. Die Arbeit 
von Falkenberg in der allgemeinen Zeitschrift für Psychiatrie, welche die Ent¬ 
wickelung der Familienpflege im Anschluss an die städtische Irrenanstalt Herzberge 
schildert, lag ihm wohl noch nicht vor. Des näheren geht er dann auf die schottischen 
Verhältnisse ein: von 13,852 amtlich gezählten Geisteskranken sind hier 2790 in 
Familienpflege untergebracht, und zwar sind davon nach der Statistik von Lawson: 

Imbecille.49,8 % 

Idioten.15,7 „ 

Demente ... 12,3 „ 

Melancholische 2,4 „ 

Manische.19,8 „ (!) 

För unsere Anschauung wirkt die Unterbringung mehr oder weniger acuter 
Kranker in Familienpflege befremdend, besonders da ja die schottische Familienpflege 
im Allgemeinen nicht fiber eine Centralanstalt verfügt, doch hat man dort gute Erfolge 
davon gesehen, wie aus den jährlichen Rapporten und ans einer eben veröffentlichten 
Statistik hervorgeht. Allerdings werden die für die Familienpflege bestimmten Kranken 
mit ziemlicher Sorgfalt ausgesucht; hängt doch von dieser Auswahl zum grossen 
Theil das Blühen des ganzen Systems ab. Eine Reihe von Geisteskranken kommen 
hier in Familienpflege, ohne jemals durch eine Irrenanstalt gegangen zu sein, und 
zwar dann, wenn zwei Aerzte bescheinigen, dass der Kranke der Pflege in einer 
geschlossenen Anstalt nicht bedarf. Auch in den geschlossenen Anstalten werden 
die Kranken für die Familienpflege sehr sorgsam ausgewählt; unerlässlich ist natür¬ 
lich für das Gedeihen der ganzen Einrichtung, dass Kranke, welche för die Familien¬ 
pflege als ungeeignet sich erweisen, ohne weiteres und jedenfalls ohne grössere 
Formalitäten der Anstalt wieder zugef&hrt werden können. Verf. kommt dann auf 
die belgischen Zustände zurück und sagt: Es ist klar, dass sich unter den ruhigen 
nnd unheilbaren Geisteskranken der geschlossenen Anstalten eine grosse Zahl der 
arbeitenden Kranken befindet, die man nicht gerade gern entlässt; entlässt man sie 
trotzdem in Familienpflege, so wird man mit leichter Mühe andere Arbeiter aus der 
Reihe derjenigen Kranken finden — meint Verf. —, die bis dahin sich nicht be¬ 
schäftigt haben. Mit diesem avis aux lecteurs schliesst Verf. seinen hauptsächlich 
wohl an die Adresse der belgischen Anstaltsdirectoren gerichteten Aufsatz. 

Lewald (Kowanowko). 


30) Sur les halluoinations symboliques dans les psychoses et dans les 
rdves des sourds-muets, par Sanjuau. (Arch. de Neurol. Vol III. 2. sär. 
1897. Nr. 15.) 

Die Hallucinationen der Sprache zerfallen 1. in sensorische (hallucinations du 
langage de röception) = Hallucinationen der visuellen und auditiven Worterinnerungs¬ 
bilder, 2. in motorische (hallucinations du langage de transmission) = Halluci¬ 
nationen der Wortbewegungs- und der Scbreibebewegungs-Vorstellungen. Die Taub- 

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stummen, die seit der frohesten Jugend des Gehörs und in Folge dessen auch der 
Sprache beraubt sind, werden im Falle einer psychischen Erkrankung keine Hallu¬ 
cinationen der auditiven Worterinnerungsbilder und keine der Wortbewegungs-Vor¬ 
stellungen darbieten können. Unter den Taubstummen sind nun, abgesehen von 
denjenigen, die neben der Taubstummheit auch noch einen hochgradigen Intelligenz- 
defect auf weisen, so dass sie etwas höhere geistige Leistungen Oberhaupt nicht 
vollbringen können, zwei Kategorieen zu unterscheiden: 1. Die „illettrös“; das sind 
diejenigen, die keinen Unterricht gehabt haben und in Folge dessen keine andere 
Sprache besitzen, als eine etwas erweiterte Mimik einer gewissen Zahl von Gesten 
und conventionellen Stellungen, von denen jede eine mehr oder minder complicirte 
Vorstellung ausdrückt. Die Hallucinationen der Sprache bei dieser Gruppe können 
also nur optisch-mimischer und motorisch-mimischer Natur sein. Der Verf. hat einen 
zu dieser Gruppe Taubstummer gehörigen Alkoholdeliranten beobachten können. Dieser 
Pat. gab einem anderen Taubstummen, der ihn gut verstand, an, dass er roth ge¬ 
kleidete Gestalten sehe, die durch Gesten ihn zu erwürgen drohten. Die Gesten, 
deren sich die Gestalten bedienten, bestanden zunächst in einer Bewegung der beiden 
Hände, die das Zudrücken des Halses ihm andeuteten, dann in einer anderen, durch 
die sie ihm andeuteten, dass sie ihn an der Decke auf hängen würden. Diesen 
Gesichtshallncinationen ist nnn, wie der Verf. ausführt, verbale Bedeutung zuzu- 
schreiben, zum Unterschied von den grimassirenden Gestalten der nicht taubstummen 
Hallncinanten; die Grimassen dieser haben keine verbale Bedeutung. Es handelt sich 
also bei dem Pat. um das Auftreten von Hallucinationen der ihm zu Gebote stehenden 
sensorischen Sprache. Die Frage, ob bei dem Pat. auch motorische Hallucinationen, 
die gleichfalls mimisch hätten zum Ausdruck kommen müssen, auftraten, liess sich 
nicht entscheiden, da es unmöglich war, dem Kranken die hierauf bezüglichen Fragen 
verständlich zu machen. Zur Lösung dieser Frage zog deshalb der Verf. die Träume 
solcher Taubstummer herbei, die Unterricht gehabt hatten. Diese zweite Gruppe 
Taubstummer ist im Stande, geläufig Auskunft über den Charakter der während der 
Träume auftretenden Hallucinationen zu geben, und die Träume entsprechen ja den 
Psychosen in Bezug auf ihre fundamentalen Elemente, so dass, wenn in den Träumen 
motorische Hallucinationen auftraten, man die Existenz von mimisch-motorischen 
Hallucinationen bei taubstummen Geisteskranken bejahen könnte. In der That kommen 
in den Träumen motorische Hallucinationen all’ der verschiedenen Arten der Sprache 
vor, welche die Taubstummen sich durch Unterricht erwerben, also der wenn auch 
unvollkommen articulirten Sprache, der Schriftsprache, der Fingersprache. 

M. Weil (Stuttgart). 


31) Ueber Zustände von Verwirrtheit und Aufregung oder Stupor im 
Beginne und Verlaufe der ohronisohen Paranoia von Dr. Krause in 
Göttingen. (Monatsschrift f. Psychiatrie u. Neurologie. Bd. I. 1897.) 

Verf. giebt sieben Krankengeschichten von Paranoia, bei denen Zustände von 
Verwirrtheit mit Aufregung oder von Stupor beobachtet worden sind. Diese Zustände 
sind zum Theil mehrfach gekommen und geschwunden. Sie traten einige Male auf, 
als die Paranoia noch nicht lange bestand, bezw. schienen sie diese Krankheit ein- 
znleiten. 

Es ist gut und nützlich, dass der Verf. auf diese Zustände aufmerksam gemacht 
hat, die ja nichts allzuseltenes sind. In jeder Irrenanstalt kann man Derartiges 
beobachten. Bef. kennt einen alten Paranoiker, der etwa jährlich einen 8 Tage lang 
dauernden Stuporanfall bekommt, und einen schon Jahrzehnte lang an combinatorischer 
Paranoia leidenden Pat., der für gewöhnlich recht klar combinirt, aber ganz selten 
anfallsweise hallucinirt und dann sehr erregt und verwirrt ist. Bef. beobachtete noch 
kürzlich einen Kranken, der erst einige Wochen lang an Verfolgungsideeen gelitten 


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batte, dann dreiviertel Jahr lang vollständig stuporös war and sich erst in der hierauf 
folgenden Zeit als echter Paranoiker entpuppte. Praktisch wichtig sind auch Fälle, 
in denen die vom Yerf. beschriebenen Erregungs- oder Stuporzustände im Unter¬ 
suchungsgefängnisse auftraten und allein den Anstoss zur psychiatrischen Untersuchung 
geben, welche zeigt, da6s der Gefangene schon zur Zeit der Begehung der ihm zur 
Last gelegten strafbaren Handlung paranoisch war. — 

Weniger gut und weniger glücklich ist Yerf.’s Polemik gegen Eraepelin. Es 
wird Eraepelin gar nicht einfallen zu bestreiten, dass Zustände von Verwirrtheit 
und Aufregung oder von Stupor bei den von ihm zur Paranoia gerechneten Fällen 
Vorkommen können. Yerf. verwechselt das Zustandsbild der hallucinatorischen Ver¬ 
wirrtheit, das bei allen möglichen psychischen Erankheiten vorkommt, mit der selbst¬ 
ständigen Erankheit: acute Verwirrtheit. Die Hauptbedeutung der Eraepelin’schen 
Psychiatrie liegt eben darin, dass er auf’s Ganze sieht und nicht am Momentbild 
haftet. Mit weitem Gesichtsblick übersieht er die Erankheiten vom Anfang bis zum 
Ende, und nur solche Fälle bezeichnet er mit einem gemeinsamen Namen, die im 
Grossen und Ganzen in verschiedenster Hinsicht übereinstimmen: nicht nur nach den 
Symptomen, sondern auch nach Art der Entstehung, Verlauf, Dauer, Ausgang und 
eventuell Ursache. Es kann nun gewiss keine grösseren Gegensätze geben, als die 
Erankheit acute Verwirrtheit (Amentia) und die Erankheit Paranoia. Mit vollem 
Recht trennen Eraepelin und Andere beide grundverschiedene Erankheiten scharf 
von einander ab und sträuben sich dagegen, sie als acute und chronische Paranoia 
oder dergl. als innerlich verwandt mit einander erscheinen zu lassen. Wenn Verf. 
das Zustandsbild der Verwirrtheit im Beginn der Erankheit bei einigen Paranoia¬ 
kranken sah, so hat er deshalb noch lange nicht gesehen, dass die Erankheit acute 
Verwirrtheit in die Erankheit Paranoia überging. Folliculäre Angina und Kehlkopf- 
tuberculose sind doch gewiss grundverschiedene Leiden. Wenn nun ein Eranker 
mit Eehlkopftuberculose bei weiterem Umsichgreifen des Leidens gelegentlich auch 
Böthung und Schwellung der Tonsille, also ähnliche Symptome, wie sie bei folli- 
culärer Angina bestehen, haben kann, so gehören doch deshalb folliculäre Angina 
und Eehlkopftuberculose noch lange nicht zu einer gemeinsamen Erankheit, von der 
letztere die chronische und erstere die acute Form darstellt. 

Es könnte natürlich Vorkommen, dass eine Paranoika etwa im Puerperium 
einmal von der Erankheit acute Verwirrtheit befallen würde; das ist natürlich wieder 
etwas Anderes. G. llberg (Sonnenstein). 


32) Acute manie, door M. J. van Erp Taalman Eip. (Festb. d. Nederl. 

Verein voor Psychiatrie 1896. S. 97.) 

Verf. fand unter den Eranken, die er in der Irrenanstalt zu Dordreht beob¬ 
achten konnte, keinen einzigen, bei dem er sich zu der Diagnose von acuter Manie 
als selbständige Erankheit gedrungen fühlte, und fand, dass die früher als acute 
Manie diagnosticirten Fälle eine sehr grosse Verschiedenheit darboten, sowohl in 
Bezug auf die beobachteten Erscheinungen, als auch auf den weiteren Verlauf; des¬ 
halb hat er die Krankengeschichten der vom Jahre 1894 in der Anstalt Verpflegten 
genau durchgegangen und von 42 Patienten, von denen nur ein Anfall von Manie 
bekannt, gesucht, weitere Nachrichten zu erlangen. Von den 26 Männern konnte er 
bei 20, von den 16 Frauen bei 14, die Periodicität durch das Vorkommen von 
mehreren, mehr oder weniger einander gleichenden Anfällen feststellen. Unter den 
8 Eranken, bei denen sich nur ein Anfall nach weisen Hess, war bei 4 die Diagnose 
der acuten Manie mehr oder weniger unwahrscheinlich, bei 2 von diesen, die Verf. 
persönlich untersuchen konnte, fanden sich deutliche Eennzeichen des periodischen 
Irreseins. Die 4 Eranken, bei denen die Periodicität nicht bewiesen werden konnte 
(die einzigen von 1140 Kranken), befanden sich noch alle in jüngerem Alter, der 

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älteste war 38 Jahre alt, und Kraepelin hat einen Fall beobachtet, in dem eine 
manische Erkrankung sich nach 32 Jahren genau in der frfiheren Weise wieder¬ 
holt hat 

Man kann demnach mit Becht annehmen, dass ein einziger Anfall von acuter 
Manie eine so grosse Seltenheit ist, dass man, alle Anfälle mit gleichen Erschei¬ 
nungen unter einen Gesichtspunkt bringend, gut thut, das am meisten bezeichnete 
Kennzeichen, nämlich die Neigung der' Wiederholung gleichartiger Anfälle auch als 
essentielle Eigenschaft für die Benennung der Krankheit zu benutzen. Man soll 
nach Verf. deshalb statt von acuter Manie lieber von periodischer Geistesstörung 
sprechen, um eine bleibende Abweichung anzudeuten, wovon jeder Anfall von Manie 
nur einen vorübergehenden Zustand repräsentirt. 

Walter Berger (Leipzig). 


33) Traitement de la manie, par Magnan. (Revue de psychiatrie. 1897.) 

Verf. empfiehlt bei Manie: 1. No-restraint und Bettruhe (nur, wo es absolut 
nicht anders geht, zeitweise die Zelle); 2. Bäder, Brom und Ghloral; 3. bei heftiger 
Erregung oder starker Schlaflosigkeit Injectionen von Hyoscium chloratum; 4. gute 
Ernährung und kein fermentirtes oder destillirtes Getränk. Die Zwangsjacke ist im 
„bureau d’admission“ schon seit 25 Jahren abgeschafft, und seit einiger Zeit ver¬ 
wendet Verf. bei den acuten Psychen, speciell der Manie, nur die Bettbehandlung, 
statt der Zellen (letztere nur noch ausnahmsweise). Bäder von 33° C. werden zur 
Beruhigung 2—5 Stunden lang gegeben, mit kalten Compressen auf den Kopf; wo 
die Erregung zu gross ist, tritt statt des Bades eine nasse Einwickelung ein. Abends 
erhält Pat. 3—5,0 Bromkali und 2—3 Stunden später 2—3,0 Chloral; nach 10 Tagen 
etwa, wenn mehr Buhe da ist, fällt das Brom weg, und nur noch zeitweise wird 
Chloral gegeben, das Verf. dem Sulfonal und Trional vorzieht. Wo Brom-Chloral 
nichts nützt, dann ist gut Laudanum in steigenden Dosen; schlecht dagegen ist 
Morphium, sehr gut eine Injection von 1—1 1 / 2 mg Hyoscin. Bef. möchte es scheinen, 
dass man in den meisten Fällen von Manie mit weniger Medicin, als Verf. anzu¬ 
wenden scheint, auskommt, und der eigentlichen Zelle in den allermeisten Fällen 
sicher entrathen kann. Näcke (Hubertusburg). 


Therapie. 

34) Ueber die Wirkungsweise des Pyramidon bei verschiedenen Krank¬ 
heitszuständen , von Dr. Donat Both. (Wiener klin. Wochenschr. 1897. 
Nr. 44.) 

Verf. untersuchte das Pyramidon, ein Dimethylamidoantipyrin aus den Höchster 
Farbenwerken hinsichtlich -seiner therapeutischen Eigenschaften, unter Anderem auch 
mit Rücksicht auf seine schmerzstillende Wirkung bei Migräne, Cephalalgie, Neuralgie, 
Tabes und Polyneuritis. Die analgesirende Wirkung des Präparates wurde schon 
von Filehne beobachtet, und Verf. kommt zu ebenso befriedigenden Resultaten. 

In 5 Fällen von Migräne wurde nach mehrmaligem Gebrauche etwas grösserer 
Dosen (0,5 g pro die) vor oder im Beginne des Auftretens der Schmerzen stets 
Besserung, auch Schwinden derselben erzielt. 

Ebenso besserten sich Kopfschmerzen rasch nach Darreichung von 0,5—1,0g. 
In einem Falle von Trigeminusneuralgie, die schon mehrere Wochen bestand 
und keiner anderen Behandlung wich, trat rasch Besserung ein. 

Ein Kranker mit Ischias erfuhr deutliche Linderung, ein anderer nicht. Bei 

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einem Tabiker konnten schwächere Attaquen von gastrischen Krisen mit Schmerzen 
und Erbrechen durch Pyramidon gehoben werden. Ebenso bewährte es sich gegen 
die Wadenschmerzen eines Alkoholikers und die Kopfschmerzen je eines Falles 
von acuter und subacuter Nephritis. Bei nervöser Tachycardie war es wirkungslos. 

Unangenehme Nebenwirkungen wurden nicht beobachtet. J. Sorgo (Wien). 


35) liumbalpunotion, Spinalpunotion, von Prof. Dr. A. Goldscheider. (Eulen- 

burg’s Real-Encyklopädie. 3. Auflage.) 

Nach einer Darstellung der Geschichte und Technik der Spinalpunction erörtert 
Verf. eingehend: 1. die diagnostische Bedeutung der Punction. Er hält sie für eine 
zweifellos werthvolle Bereicherung unserer diagnostischen H&lfsmittel. Sie gestattet 
in zweifelhaften Fällen, eine Vermehrung des Liquor cerebrospinalis und Druckerhöhung 
nachzuweisen (bei Meningitis serosa und Hirntumor z. B.). „Finden sich klinisch 
starke Drucksymptome, bei der Spinalpunction aber nur massig vermehrter Druck, 
so kann man auf einen acuten Process, umgekehrt — auf einen chronischen schliessen. 
Deutliche Vermehrung des Eiweissgehalts lässt einfachen Hydrocephalus ausschliessen, 
spurweiser Eiweissgehalt andererseits einen entzQndlichen oder durch tuberculöse 
Meningitis bedingten Erguss ausschliessen und ein Stauungstranssudat (Hirntumor) 
als unwahrscheinlich erscheinen.“ Vorhandensein der Zuckerreaction ist nur mit 
Vorsicht zu verwerthen. Gerinnselbildung spricht für entzündliche Affectionen, ihr 
Ausbleiben für Tumor oder Hydrocephalus. — Trübe, zellenreiche Flüssigkeit spricht 
für eitrige (oder chronische?) Meningitis, die aber auch bei klarer Flüssigkeit nicht 
auszuschliessen ist. Wiederholtes Auftreten blutiger Flüssigkeit gestattet die Diagnose 
Ventrikelblutung, bezw. Bluterguss in den Duralsack. Tuberkelbacillen beweisen 
tuberculöse Meningitis; praktisch weniger wichtig ist der Nachweis anderer Bacterien 
(Strepto-, Pneumokokken u. s. w.). Die' Punction ermöglicht die Diagnose einer acuten 
serösen Meningitis. 

Was 2. die therapeutische Bedeutung der Spinalpunction anbelangt, über die 
die Meinungen noch sehr getheilt sind, so meint Verf., dass sie in manchen Fällen 
Besserung herbeiführt, z. B. bei acuter seröser Meningitis, kleinen Hirntumoren (zwei 
Fälle von Tumoren der hinteren Schädelgrube, die Verf. beobachtet hat, zeigten nach 
der Spinalpunction auffallende Besserung). Die Ergebnisse fordern jedenfalls zu 
weiteren Versuchen auf. 

Schliesslich werden die gelegentlich durch Spinalpunction verursachten Schädi¬ 
gungen angeführt, besonders die durch zu rasche oder zu intensive Druckentlastung 
hervorgerufenen. Toby Cohn (Berlin). 


III. Aus den Gesellschaften. 

Berliner Gesellschaft für Psychiatrie und Nervenkrankheiten. 

Sitzung vom 13. November 1897. 

(Schluss.) 

Moeli: Ueber atrophische Folgezustftnde an den Sehnerven. 

Vortr. knüpft an seine im Jahre 1889 gemachten Mittheilungen über Degene¬ 
ration im Tractus und Nervus opticus an. 

Es ist bekannt, dass selbst bei sehr langem Bestände eines Herdes in der Seh- 


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Sphäre bei Erwachsenen im Tractus und Nerven Degeneration nicht eintreten muss. 
Aach jetzt war dies nur bei einem der vorgefQhrten fünf Fälle vorhanden, und zwar 
war es eine Erkrankung im zweiten Lebensjahre, die zu vollständiger Schrumpfung 
des ganzen rechten Hinterhauptes, hochgradiger Atrophie des Thalamus u. s. w. und 
Degeneration in beiden Opticis geführt hatte. Weiter werden vier Fälle besprochen 
nnd mittelst Projectionsapparates und Photographieeu erläutert, in welchen nach 
Erkrankung des Corp. gen. ext. oder der centralsten Tractusabschnitte ausgesprochene 
Degeneration beider Sehnerven bestanden. In einem lag ein grosser, 18 Jahre be¬ 
stehender Hinterhauptsherd vor. Die mikroskopische Untersuchung ergab aber einen 
zweiten Herd im Corp. gen. lat. 

Die Betrachtung der meist fast völligen Atrophie eines Tractns und ihre Ver- 
theilung durch das Chiasma u. s. w. hindurch führt unter Heranziehung der Unter¬ 
suchungsbefunde bei drei totalen einseitigen Opticusatrophieen zu folgenden Schlüssen: 

Sowohl bei Zerstörung des Corp. gen. lat., als eines Opticus tritt in beiden 
Hälften des Chiasmas und darüber hinaus eine Degeneration ein, welche verschiedene 
Stellen des Querschnitts auf beiden Seiten und Fasern von bestimmter Verlaufs- 
richtnng betrifft. 

Ein ausgebreitetes Feld, welches ausschliesslich gekreuzte oder ungekreuzte 
Fasern enthielte, ist jedenfalls auf dem grössten Theil des Chiasmaquerschnitts, ins¬ 
besondere der Mitte desselben, nicht nachzuweisen. Andererseits finden sich zweifellos 
Abschnitte, welche ganz vorzugsweise Fasern einer Gattung enthalten und theilweise 
nur nebenbei von anderen und anders gerichteten Bündeln durchlaufen werden. 

Geht man vom atrophischen Tractus aus, so tritt die erste Faserausammlung 
in drei Fällen ganz übereinstimmend dorso-medial auf. (In einem vierten in den 
occipitalen Abschnitten mehr medial?) Die genaue Feststellung zeigt, dass diese 
theils ans dem medio-ventralen Felde der gegenüberliegenden Seite, theils dorsal 
herübergekreuzte Faserung zum Theil eine Ausbiegung occipitalwärts macht. Das 
occipitale Ende der Ebenen, in welchen man sich die gekreuzten Fasern nach vom 
ambiegend denken kann, liegt occipitalwärts vom Chiasma und reicht in höhere 
Horizontalebenen hinauf, als das frontale Ende. Auoh an den letzteren findet sich 
bekanntlich ein schleifenförmiger Verlauf der Fasern frontalwärts (Michel). 

^Beim Austritt aus dem Chiasma liegt die Masse der gekreuzten Fasern dorso- 
medial im Nerven, öfter hufeisenförmig die ungekreuzten umfassend, soweit letztere 
sieh schon gesammelt haben. Die mediale Bandzone wird von den am meisten frontal 
gekreuzten eingenommen. In allen Fällen jedoch finden weiter noch Umlagerungen 
der noch nicht basal vereinigten ungekreuzten Fasern statt, und zwar durch die 
Bündel der gekreuzten Fasern hindurch. Weder beide Nerven, noch die einzelnen 
Fälle bieten eine völlige geometrische Uebereinstimmung, aber in allen kommt schliess¬ 
lich diese Sonderung der Fasern, und zwar im intracraniellen Theile des Opticus, 
zu Stande. Bis dahin finden sich auf einem grossen Theile des Querschnitts, in 
dem vierten Falle bis zum Foramen opticum selbst, beide Arten von Fasern vertreten, 
so dass man erst an dieser Stelle des Verlaufes die zu einem ventro-lateralen, kahn- 
förmigen Bündel zusammengefassten ungekreuzten Fasern den übrigen Theil des 
Querschnitts frei lassen sieht 

Die ungekreuzten Fasern liegen sicher im Tractus hinter dem Chiasma grössten- 
theils lateral und dorsal (Opticusatrophie). Vergleiche der Tractusaffection mit 
Opticusatrophie lassen annehmen, dass sie zum Theil radiär gestellte, meist latero- 
ventral convexe Bündel in den hinteren, ziemlich gerade ventro-medial gerichtete 
Bündel in den frontalen Chiasmaebenen bilden. Diese Richtung tritt auch vor dem 
Chiasma noch an einem Theile der Bündel hervor. Die ventrale Lagerung unge- 
kreuzt er Fasern in den vorderen Chiasmaebenen kommt aber anscheinend nicht 

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nur auf diesem Wege, sondern auch durch Herumziehen an der Peripherie des 
Chiasmaquerschnitt8 zu Stande. Es ist nämlich der Beweis, dass in der frontalen Hälfte 
des Chiasmas die zur Kreuzung noch bestimmten Fasern — wenigstens in wesent¬ 
lichen Mengen — bis an den lateralen Band gelangen, nicht zu führen. 

In der vorderen Orbita theilt sich das ungekreuzte Bündel in der oft beschriebenen 
Weise. Auch die Lage des gekreuzten Bündels entspriccht dem durch die Henschen’- 
sehe Zusammenstellung bekannt gewordenen Verlaufe. 

Es liess sich in zwei darauf untersuchten Fällen einer von dem Kniehöcker 
absteigenden hochgradigen Atrophie auch durch die Papille hindurch eine Veränderung 
feststellen, indem eine messbare Verschmälerung der zugehörigen Nervenfaserschicht, 
jedoch ohne (durchgängigen) Schwund der Ganglienzellen sich ergab. 

Sitzung vom 13. December 1897. 

Discussion über den Vortrag des Herrn Moeli. 

Geelvink demonstrirt Präparate mit Degenerationen im Chiasma, die in Folge 
peripher vor demselben stattgehabten Läsionen entstanden sind. Sie stammen von 
einem 57jähr. Patienten, der an apbasischen Störungen, Aorteninsufficienz und Arterio- 
scleröse litt. Die Sehkraft des einen Auges war durch einen glaucomatösen Process 
zu Grunde gegangen. Ende 1896 starb der Pat. ganz plötzlich an Herzschwäche. 
Der linke N. opticus war grau und um die Hälfte schmäler als der rechte, in den 
beiden Tractus war makroskopisch keine Differenz nachzuweisen. Auf Schnitten ergab 
sich, dass der licke N. opticus vollkommen degenerirt war; der rechte hingegen 
vollkommen normal. Vortr. demonstrirt sodann an vorgelegten Präparaten den Ver¬ 
lauf der normalen Fasermassen des rechten N. opticus im Chiasma opticum und die 
Vertheilung derselben auf die beiden Tractus. 

Jacobsohn demonstrirt Präparate vom Chiasma opticum, welche vor einem 
Jahre angefertigt wurden, aus Anlass eines Vortrages von Kölliker’s, den dieser 
damals über die Kreuzung der Sehfasern auf dem Anatomencongress zu Berlin ge¬ 
halten hatte. Die Präparate sind aus dem Chiasma des Meerschweinchens, Kanin¬ 
chens, der Katze und des Affen. Diesen Thieren war ein Auge enucleirt worden 
und das Chiasma, dann nach 2—4 Wochen mit der Marchi’schen Methode behandelt 
worden. Letztere hat vor der Weigert-Pal’schen den Vorzug, dass sie die frisch 
degenerirten Markfasern positiv färbt, während sie das normale Gewebe ungefärbt 
lässt. Dadurch ist es leichter möglich die degenerirten Nervenfasern auf ihrem 

Wege von einer Station zur andern zu verfolgen. Die Präparate (grösstentheils 

Horizontalschnitte durch das Chiasma) zeigen nun evident, dass beim Meerschweinchen 
eine totale Kreuzung der Sehfasern stattfindet, dass beim Kaninchen der allergrösste 
Theil der Opticusfasern zum Tractus der anderen Seite hinflbergeht, während nur 
vereinzelte auf derselben Seite bleiben. Ein geschlossenes Bündel umgekreuzter 
centripetaler Fasern existirt beim Kaninchen sicher nicht. Bei der Katze dagegen 
gehen ausser den zahlreichen gekreuzten Fasern eine sehr grosse Zahl nach dem 
Tractus opticus derselben Seite. Die Zahl der letzteren ist beinahe so gross, wie 
die der gekreuzten. Beide Arten gehen nicht als ein dickes Bündel an der inneren 
bezw. äusseren Seite des Tractus, sondern zerstreuen sich über den ganzen Tractus. 

Beim Affen nähern sich die Verhältnisse denen wie sie am Menschen beschrieben 

sind, d. h. der mächtige Zug der gekreuzten Fasern sammelt sich mehr an der 
medialen Seite, der andere Zug der ungekreuzten Sehfasern concentrirt sich mehr an 
der Aussenseite des Tractus. Indessen zerstreuen sich einzelne Fasern von diesen 
Bündeln im späteren Verlaufe auch mehr über den ganzen Tractus. Vortr. macht 
besonders auf diejenigen Fasern aufmerksam, welche an der lateralen Seite des Seh¬ 
nerven zum Chiasma ziehen und hier bogenförmig nach innen schwenken. Diese 
machen auf Weigert-Pal-Präparaten den Eindruck, als ob sie alle nach der ge- 


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kreuzten Seite hinübergehen. Dieser letztere Umstand ist es auch besonders gewesen, 
welcher Kölliker zur Annahme einer vollständigen Kreuzung der Sehfasem verleitet 
hat. Auf Marc hi-Präparaten sieht man indessen, wie ein Theil dieser Bogenfasern 
nicht nach der gekreuzten Seite geht, sondern nach dem Tractus der gleichen Seite 
abschwenkt Vortr. demonstrirt darauf weitere Präparate, an denen sich der Verlauf 
der Sehfasern bis zn den nächsten Centren (Vierhügel, Corpus geniculatum ext., 
Thalamus) verfolgen lässt. Während der Zug der Sehfasern auf dem ganzen Wege 
zn diesen Centren und in ihnen selbst beim Meerschweinchen nach Enucleation eines 
Anges nur auf der gegenüberliegenden Seite degenerirt ist, ist dies bei der Katze 
and beim Affen aaf beiden Seiten aufs deutlichste ausgeprägt Was den Verlauf 
der Sehfasern im Chiasma anbetrifft, so machen sie ^ förmige Bögen, deren einzelne 
Biegungen aber nicht in einer, sondern verschiedenen Ebenen liegen, so dass man sie 
mit dem Laufe der Bögen eines Korkziehers vergleichen kann. 

Moeli macht noch einige ergänzende Bemerkungen über den Lauf der Sehfasern 
im Chiasma. 

Blaschko (als Gast): Ein Fall von Lepra anaesthetica. 

Die strenge Unterscheidung zwischen Lepra tuberosa und Lepra maculo-anaesthetica, 
welche besonders darauf basirte, dass man bei der ersten Form massenhaft Bacillen 
fand, während sie bei der zweiten Form zu fehlen schien, ist nicht mehr aufrecht 
zu erhalten, da man in neuerer Zeit auch bei der zweiten Form solche, wenn auch 
in geringerer Zahl, gefunden hat In dem Falle, den Vortr. vorstellt, soll die In- 
fection vor 14 Jahren stattgefunden haben. Die Patientin erkrankte mit einem 
erythematösen Flecke auf der rechten Wange, welcher sich im Laufe der Zeit ver* 
grösserte; es kamen dann neue Flecke auf der Oberlippe und anderen Körpertheilen 
hinzu. Diese Flecke treten in zweierlei Arten auf: 1. sind sie zuerst lenticulär und 
vergrössern sich im Laufe der Zeit oder 2. sind es Flecke, die auf einmal einen 
grossen Ring einnehmen und sich dann nicht mehr vergrössern oder in der Art des 
Herpes tonsurans weiterschreiten. Bei der vorgestellten Patientin sind nun alle diese 
Flecke für Schmerz- und Temperatureindrücke unempfindlich, während die Berührungs¬ 
empfindung nur unbedeutend herabgesetzt ist. Die Übrige Haut des Körpers zeigt 
diese dissociirte Empfindungsstörung nicht. Diese Thatsache scheint zu beweisen, 

dass wenigstens für diesen Fall die Krankheit in der Cutis selbst liegt, und dass 

die Nervenfasern in diesen Flecken selbst betroffen sind und nicht eine centrale 
Partie. Vortr. glaubt als Erklärung für diese eigenthümliche Erscheinung annehmen 
zu können, dass die Tast empfindenden Nerven gegen die lepröse Erkrankung resistenter 
sind als die anderen Nerven. 

Laehr: Herr Blaschko hat eine Arbeit von mir erwähnt, in welcher ich mich 
bemüht habe, die für die Differentialdiagnose zwischen Lepra und Syringomyelie in 
Betracht kommenden Momente übersichtlich zusammenzustellen. Unter diesen glaubte 
ich der bei beiden Krankheiten verschiedenen Localisation der Sensibilitätsstörungen 
eine gewisse Bedeutung beilegen zu müssen, indem bei der Syringomyelie stets ein 

segmentaler Typus zu finden sei, der bei der Lepra dagegen für gewöhnlich zu fehlen 

scheine: Wenigstens sind ans der Litteratur nur ganz vereinzelte Beobachtungen be¬ 
kannt, in denen eine radiculäre Anordnung beschrieben ist Ob hierzu die von Herrn 
Blaschko angeführte Arbeit von Griesinger gehört, kann ich vorläufig nicht 
sagen, ehe ich nicht die Abbildungen gesehen habe. Die Untersuchungen von Jean¬ 
selme stehen keineswegs mit der von mir vertretenen Ansicht im Widerspruch. Sie 
zeigen, dass neben einer fleckweise und unregelmässig, häufig handschuhförmig, von 
der Peripherie centralwärts sich ausbreitenden Anästhesie schon relativ frühzeitig 
auch in peripherischen Nervengebieten Empfindungsstörungen beobachtet wurden, 
welche bei weiterem Fortschreiten sich immer mehr der radiculären Ausbreitungsweise 
nähern. Jeanselme selbst sieht in diesem von der Peripherie centralwärts fort- 

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schreitenden Sensibilitätsausfall einen wesentlichen Unterschied gegenQber der Aus- 
breitungsweise der syringomyelitischen Empfindungsstörung. Wenn man die von 
Herrn Blaschko citirte Arbeit Gerlacb’s berücksicht, durch welche bei der Lepra 
eine aufsteigende neuritische Erkrankung festgestellt ist, muss man ja auch theo¬ 
retisch ohne weiteres zugeben, dass dem Fortschreiten des Krankheitsprocesses eine 
immer mehr dem radiculären Typus sich nähernde Ausbreitung der Anästhesie ent¬ 
sprechen wird. Eine solche Ausdehnung scheint aber, wie schon gesagt, sehr selten 
beobachtet zn sein, und in solchen vorgeschrittenen Fällen wird es kaum an anderen 
wichtigen differentialdiagnostischen Merkmalen fehlen. Die verschiedene Localisation 
der Anästhesie ist ja nur ein Anhaltspunkt unter einer Reihe anderer, nicht minder 
in die Wagschaale fallender. 

Oppenheim findet das Interessante in diesem Falle darin liegen, dass der 
Process ein partieller ist; bei nenritischen Processen findet man eine derartige Aus¬ 
breitung nicht; es scheine sich die Erkrankung nur auf die feinen Hautnerven za 
erstrecken. 

Remak: Die Verlangsamung der Sch merzempfind ung' bat man sehr lange als 
Ausdruck einer Rückenmarkserkrankung betrachtet; allmählich kam man zur An¬ 
erkennung, dass so etwas auch peripherisch Vorkommen kann; dasselbe scheint sich 
auch jetzt mit der partiellen Empfindungslähmung zu vollziehen, weshalb Fälle, wie 
der von Blaschko vorgestellte, von grosser Bedeutung sind. Schon Parmentier 
hat die Beobachtung gemacht, dass im Gentrum der anästhetischen Stelle alle Gefühls¬ 
qualitäten gestört sind, während an der Peripherie die Berührungsempfindung un¬ 
gestört bleibt. 

Blaschko hat in zwei Fällen dasselbe nach weisen können, was Remak soeben 
erwähnt hätte, dass die Temperatur- und Schmerzempfindung immer um mehrere 
Finger breit weiter aufgehoben war als die Tastempfindung. Das scheint auch dafür 
zu sprechen, dass seine vorher vorgetragene Ansicht richtig ist. Es ist möglich, 
dass es sich hier weniger um eine Neuritis selbst, als um eine Perinenritis handelt. 

Bratz: Ammonshornveränderungen bei Epileptikern. 

Die Untersuchung erstreckt sich über 50 Kranke aus der Anstalt Wuhlgarten, 
Untersucht wurden mehrere Rindenpartieen und besonders der Gyrus hippocampi mit 
anstossendem Schläfenlappen. Die 50 Fälle zerfallen in zwei Gruppen; die erste um¬ 
fasst die Fälle ohne Ammonshornerkrankung. In einzelnen Fällen fanden sich be¬ 
sondere Herde, Psammom mit Gliose, Herd im Corpus striatum u. s. w. Die am 
häufigsten beobachtete Veränderung, 50 °/ 0 aller Fälle, war eine Verschmälerung 
eines Ammonshornes; die Substanz des letzteren fühlte sich verhärtet an. Indessen 
erwies mitunter die mikroskopische Untersuchung eine Erkrankung, wo keine Ver¬ 
härtung war und umgekehrt. In der Mehrzahl der Fälle findet sich bei der genuinen 
Epilepsie immer die gleiche Veränderung. Die Verschmälerung betrifft nicht nur 
das Ammonshorn selbst, sondern auch die nächste Umgebung des Schläfenlappens. 
Es liegt eine Hypoplasie des gesammten Himgebietes vor, es finden sich ganze Zell¬ 
lager atrophirt, besonders die der Pyramidenzellen. Der betreffende Raum ist mit 
Glia ausgefüllt. Welcher Process der primäre ist, lässt sich nicht weiter bestimmen. 
Die Erkrankung geht durch das Ammonshorn hindurch bis in den (Jncus hinein. 
Gerade diese Einförmigkeit des Krankheitsprocesses drängt zu der Annahme, dass os 
sich um die Residuen eines weit zurückliegenden und zum Abschluss gekommenen 
Processes handelt. Auch das klinische Bild in seiner klassischen Form bildet sich 
oft erst allmählich heraus. Die ersten Krankheitserscheinungen sind bei den Kindern 
leichte Schwindelanfälle, kurz dauernder Tonus der Muskulatur und erst im Uebergang 
bilden sich die typischen clonischen Zuckungen heraus. Auch für die Epilepsia tarda 
wurde in drei Fällen dieselbe Veränderung gefunden. Die typische Zellatrophie fand 
Vortr. auch bei drei Paralytikern, bei welchen in einem Frühstadium epileptiforme 


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Krämpfe aufgetreten waren. Zum Schluss bespricht Vortr. mehrere fflr das Ent¬ 
stehen der Epilepsie aufgestellte Theorieen, von denen noch keine als gesichert an- 
msehen ist. 

Koppen: Da das Ammonshorn in Beziehung zum Geruchsorgan steht, so frage 
ich an, ob einseitige Störungen des Geruches bei den Patienten vorhanden waren. 

Oppenheim fragt an, ob Bratz es für ausgeschlossen halte, dass der Process 
angeboren sei. 

Ros in hält den Befund von Pigment in Ganglienzellen nicht fflr pathologisch. 
Wenn das Pigment in atrophischen Zellen so stark erscheine, so rflhre dies daher, 
dass der andere Zellbestandtheil zurflckgetreten sei. 

Bratz stfltzt sich in Bezug auf das Pigment nur auf den Vergleich mit normalen 
Zellen. Ob der Process schon sehr fr Ah entstanden sein kann, wie Oppenheim es 
meint, kann Bratz nicht entscheiden. Er glaubt nicht, dass die grossen Pyramiden- 
zellen des Ammonshoms die Träger des Geruchvermögens sind; wenn dies so wäre, 
so hätte in diesen Fällen einseitige Geruchsstörung bestehen mflssen; eine solche ist 
aber niemals beobachtet worden. 

Juliusburger und E. Meyer (Autorreferat) berichten Ober Befunde an den 
Vorderhornzellen und den grossen Ganglienzellen der Centralwindungen beim Menschen. 
Die Härtung wurde theils in 95°/ 0 Alkohol, theils in Mflller-Formol vorgenommen, 
znr Färbung wurde Thionin, Methylenblau u. a. verwendet — Dio ausgestellten 
Präparate stammen von einem schweren Alkoholisten, der unter dem Bilde hoch¬ 
gradiger Verwirrtheit motorischer Unruhe, Sinnestäuschungen bei normalem soma¬ 
tischen Befunde in wenigen Wochen zu Grunde ging. Weiterhin wird hingewiesen 
auf Fälle von Erschöpfungsdelirien, Dementia paralytica, Dementia senilis. Unter 
letzteren ist ein Fall besonders bemerkenswert!), wo bei einem 70jährigen Manne 
mit Schrumpfniere etwa drei Wochen vor dem Tode eine linksseitige Hemiparese 
mit Sensibilitätsstörungen im Anschluss an Krampfanfälle beobachtet wurde, ohne 
dass für erstere durch die Section eine makroskopisch erkennbare Unterlage gefunden 
werden könnt«. Erst das Mikroskop zeigte eine sehr deutliche Veränderung der 
grossen Ganglienzellen, sowie eine Vermehrung der Kerne des Zwischengewebes in 
den rechten Centralwindungen gegenüber der linken Seite. Mit der Methode nach 
Marchi wurde eine sehr ausgesprochene Schwarztypfelung in der linken Pyramiden¬ 
bahn vom Gehirn bis in das Rückenmark herab beobachtet. 

In allen diesen Fällen wurde auch das Rückenmark untersucht. Ein weiteres 
wurden die Vorderhornzellen von Personen studirt, die intra vitam keine Rflckenmarks- 
sjmptome zeigten und an Carcinose, Tuberculose, Herzfehler litten; eine andere Reihe 
betraf Fälle mit Erkrankung des Rückenmarks; es handelte sich um Lues cerebro¬ 
spinalis, Alcoholismus chronicus, perniciöse Anämie. In einem Falle hatte ein Mann 
in Folge einer Krebsmetastase im linken Oberschenkel einen Bruch desselben erlitten; 
hier fand sich eine linksseitige ausgesprochene Veränderung der Vorderhornzellen im 
Sacral- und Lendenmark. Bei derselben Person hatte eine Krebsmetastase am linken 
Foramen condyloideum den linken N. hypoglossus zur Atrophie gebracht und es 
konnte eine sehr deutliche Alteration der Zellen im Kern der gleichen Seite constatirt 
werden. Die Untersuchungen erstreckten sich auf Individuen vom 6.— 84. Lebens¬ 
jahre. 

Die Vortr. kommen zu folgenden Schlüssen: 

Die Granula sind keine einheitlichen Körper, sondern nur Körnchenapparate; 
ihre Alteration kennzeichnet sich darin, dass ihre feinen Körnchen zunächst 
regellos, diffus angeordnet erscheinen und später schwinden. Dieser Process schreitet 
zunächst vom Centrum nach der Peripherie, entweder gleichmässig concentrisch oder 
in der einen oder anderen Richtung in stärkerem Grade. Erst weiterhin kommt es 
zq einer Formveränderung bezw. Volumenverkleinerung der Zelle. Der Kern ändert 
sich hinsichtlich seiner Form, seiner Stellung und Tinctionsfähigkeit. Zwischen den 

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Veränderungen in den Vorderhomzellen und den grossen Ganglienzellen aus den 
Centralwindungen besteht kein wesentlicher Gegensatz. Das hohe Alter und Fieber 
an sich fahren zu keinen bemerkenswert!)en oder constanten Veränderungen der 
Granula. Die Zellveränderungen lassen nur einen quantitativen Unterschied in Bezug 
auf einen und denselben Vorgang erkennen, gleichgültig ob dieses oder jenes ätio¬ 
logische Moment vorliegt. Die Structurverändernng ist nicht die anatomische Grund¬ 
lage einer bestimmten Functionsstörung, sondern nur der anatomische Ausdruck 
einer Beaction der Zelle auf ihre durch den Krankheitsvorgang abgeänderlen Lebens¬ 
bedingungen. Die Granula sind restitutionsfähig und können als Nährsubstanzen für 
die Zelle aufgefasst werden. Der Ausgleich der Structur zur Norm ist ein anato¬ 
misches Kriterium daf&r, dass die Anpassung der Lebensvorgänge in der Zelle an 
ihre äusseren EinflQsse vollzogen ist. 

Den klinisch verschiedenen Bildern entsprechen keine specifisch verschiedene 
Gewebsbefunde. Jacobsohn (Berlin). 


Verein für innere Medizin in Berlin. 

Sitzung vom 15. November 1897. 

(Deutsche med. Wochenschr. 1897. Nr. 50.) 

Discussion Aber den Vortrag Stadelmann: Klinische Erfahrungen mit der 
Lumbal punction. 

Kroenig: Die Gefahren der Lumbalpunction bestehen in der zu schnellen 
und zu tiefen Herabminderung des Cerebrospinaldruckes und lassen sich bei An¬ 
wendung des von dem Kedner angegebenen Apparates und Manometers vermeiden. 
Der Normaldruck beträgt bei Erwachsenen in medio 125 mm Wasser im Liegen, 
410 mm im Sitzen, Zahlen, welche die untere Grenze markiren und niemals über¬ 
schritten werden sollen. Das Gefälle der Flüssigkeit ist entsprechend der enormen 
Differenz der Druckhöhen verschieden: das Ausfliessen geschieht in Horizontallage 
stark tröpfelnd, in sitzender Haltung meist spindelnd oder spritzend. Als Regel 
muss bei der Lumbalpunction allmähliche Herabsetzung des Druckes bis zur Norm 
gelten; zwei Ausnahmen existiren. Die Punction ist sofort zu unterbrechen bei 
eintretendem oder sich steigerndem Kopfschmerz, zweitens soll man etappenweise 
Vorgehen, durch wiederholte Punction die Norm zu erreichen suchen, wenn es sich 
um einen nachweisbar (Stauungspapille) oder vermuthlich seit langer Zeit schon be¬ 
stehenden Ueberdruck handelt, welchem das Gehirn sich entsprechend dem lang¬ 
samen Entstehen und Anwachsen desselben adaptirt hatte. In einem Falle von 
Parietallappentumor sank der anfangs sehr hohe Druck (600 mm) plötzlich bis auf 
ca. 20 mm, wahrscheinlich war der Liquor zwischen Canflle und innerem Durablatte 
hindurch in den weitmaschigen Interduralraum gedrungen. — Wie eine andere Be¬ 
obachtung zeigt, kann durch den physiologischen Flüssigkeitsstrom Eiter von einer 
circumscripten, serös-eitrigen Arachnitis in den spinalen Theil des Subarachnoidal - 
raumes getragen nnd durch die Canüle nach aussen befördert werden. 

Oppenheim beobachtete einen 22jährigen Mann mit alter, doppelseitiger, puru¬ 
lenter Otitis und acut entstandenen, schweren Hirnerscheinungen (beiderseitige, sehr 
hochgradige Stauungspapille, Amaurose rechts, beträchtliche Herabsetzung der Seh¬ 
schärfe links, 1. Abducenslähmung, Nystagmus, cerebellare Ataxie), Temperatursteige¬ 
rung und -abfall; Pulsverlangsamung und Benommenheit fehlten dauernd. Die Dia¬ 
gnose schwankte zwischen Tumor cerebelli und Hydrocephalus acquisitus, resp. 
Meningitis serosa. Eine Lumbalpunction hatte günstigen Erfolg, die Stauungspapille 
wandelte sich zwar in Atrophie um, die übrigen Erscheinungen aber schwanden. 
Pat. ist seit l 1 /, Jahren arbeitsunfähig. Wahrscheinlich lag eine seröse Meningitis 


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Tor. Im Uebrigen hat 0. keine günstigen therapeutischen Erfolge von der Punction 
beobachtet 

Goldscheider häh den Krönig’schen Apparat für eine werthyolle Ver¬ 
besserung, glaubt jedoch, dass man mit dem Quinke'schen Verfahren auskommen 
kann. Die Möglichkeit, den Subduralraum punctiren zu können, bedarf noch der 
Bestätigung. Vermehrter Eiweissgehalt deutet nicht sicher auf Entzündung. Be¬ 
züglich des positiven Tuberkelbacillenbefundes in der Punctionsflüssigkeit theilt G. 
den Standpunkt des Vortragenden, nicht aber dessen Urtheil über den therapeutischen 
Werth des Quinke’schen Verfahrens. G. sah günstige Erfolge nach der Punction 
bei Meningitis serosa (1 Fall) und in 2 Fällen von Tumoren der hint Schädelgrube 
— letztere nehmen für die Lumbalpunction eine Sonderstellung ein; selbst kleinere 
Geschwülste können durch Compression der Vena magna Galeni schnell zu Hydro- 
cephalus führen. G. sah bei anderen Hirntumoren und Meningitis niemals eine Besse¬ 
rung durch die Lumbalpunction, auch nicht bei Chlorose, bei welcher übrigens eine 
Vermehrung des Liquor nicht nachweisbar war. Bei eitriger Meningitis findet 
sich meist kein Eiter. 

Fürbringer hat bei 71 Fällen tnberculöser Meningitis 50 Mal, d. h. in 70°/ 0 ,' 
Bacillen gefunden. — Der Nachweis von Eiweiss and Zucker hat wissenschaftliches, 
kein praktisches Interesse. In der Bestätigung oder Sicherung der Diagnose des 
Sehädelbruches leistet die Punction viel, doch beweist die Entleerung klarer Flüssig¬ 
keit nicht sicher, dass keine Fraktur, resp. kein Durchbruch der Blutung in die 
Ventrikel vorliegt. F. negirt nicht völlig jeden therapeutischen Effect der Lumbal- 
punction. — Für die Punction geeignete Fälle von Chlorose sind selten: Besserungen 
sind meist nur vorübergehend, auch spielt die Suggestion dabei eine grosse Bolle; 
in anderen Fällen ist der Nutzen zweifelhaft, ja es folgt Verschlimmerung. Hirn- 
blutnngen contraindiciren nicht ohne Weiteres ausgiebige Punctionen, letztere können 
nicht selten sofortige Besserungen bedingen. 

v. Leyden sah bei der Meningitis spinalis und Meningitis cerebrospinalis nicht 
gerade viele und wesentliche Vortheile von der Punktion, bei der Chlorose keinen 
Erfolg. Günstig wirkte der Eiogriff in 3 Fällen von anscheinend seröser Meningitis, 
sowie bei einem hydrocephalischen Kinde, bei einem zweiten war der Erfolg nicht 
sichtlich, v. L. räth, bei hydrocephalischen Kindern diese Procedur eventuell zu ver¬ 
suchen, dann natürlich die Punctionen in gewissen Zeitabständen zu wiederholen: 
er glaubt, dass diese zeitweilige Druckentlastung einen zeitweiligen reichlicheren Blut- 
zufloss und so eine günstigere Chance für Entwickelung des Gehirns giebt. 

Krönig hält gegenüber Goldscheider die Quinke’schen Punctionsvorschriften 
für unzweckmässig, da hierbei der Druck nach Entleerung von 6—8 ccm, nicht der 
wirkliche Druck gemessen wird, ein Flüssigkeitsverhältniss von 6—8 ccm klinisch 
aber keineswegs irrelevant ist. Kr. beobachtete günstigen, wenngleich vorüber¬ 
gehenden Erfolg der Punction bei einem Falle von Parietallappentumor, dauernden 
Nutzen bei der rheumatischen Form der serösen Meningitis. 

Frankel kann Goldscheiders Behauptung, dass .eitrige Beschaffenheit der 
Panctionsfliissigkeit bei Meningitis purulenta selten ist, nicht bestätigen. In einem 
Falle mit unklarer Diagnose — dieselbe schwankte zwischen „Tumor cerebri“ und 
„acute Encephalitis“ — brachte die Punction sofort auffallende, dauernde Besserung, 
die bis zur Heilung gedieh; möglicherweise hat Meningitis serosa Vorgelegen. In 
der Anwendung der Punction ist etwas mehr Maass zu halten, als jetzt geschieht. 

Cassel fand unter 9 Fällen von tuberculöser Meningitis nur in einem Drittel 
Tuberkelbacillen. Wiederholte Lumbalpunctionen, sowie auch Hirnpunction blieben 
bei einem 4 Wochen alten Kinde mit Hydrocephalus congenitus und bei einem 
10 Monate alten Kinde mit Hydrocephalus chron. acquisitus erfolglos. C. sah bei 
Meningitis tuberculosa vorübergehenden eclatanten Nutzen nach der Punction, aber 
keine dauernde Besserung. 


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Bernhardt erinnert, dass plötzliche Todesfälle bei Tumoren des Gehirns, 
namentlich der hinteren Schädelgrube, öfter Vorkommen, also nicht alle Todesfälle 
nach Lumbalpunction bei Hirntumoren auf die Operation ztt schieben sind; anderer¬ 
seits ist Vorsicht nöthig in der Anwendung der Punction gerade bei Neubildungen 
innerhalb der Schädeldecke. 

Heise citirt einen im Sanitätsbericbt der Armee besprochenen Fall. Hier lagen 
schwere meningitische Symptome vor: sofort nach der Punction, die klare, sterile 
Flüssigkeit entleerte, Erleichterung. Ein nach ca. 10 Tagen erfolgtes Ansteigen der 
Symptome wurde durch eine zweite Punction günstig beeinflusst, Pat. war am Tage 
danach fieberfrei; es trat Genesung ein. 

Yortr. vertheidigt Quinke gegen die Vorwürfe Erönigs. Redner hält es für 
sicher, dass man unter pathologischen Verhältnissen den Subduralraum punctiren 
kann; er hat keine günstigen therapeutischen Resultate nach der Punction gesehen, 
solche aber nicht grundsätzlich negirt. E. Pfeiffer (Cassel). 


Psychiatrischer Verein au Berlin. 

Sitzung vom 18. December 1897. 

Eaplan (Herzberge): Krankenvorstellung. 

Es handelt sich um eine 46jährige Frau, welche früher stets gesund gewesen 
sein will. Ihre jetzige Erankheit begann vor l 1 /, Jahren und zwar mit Eopfischmerz 
und Schwindelgefühl, zu welchen Erscheinungen bald darauf eine Lähmung der linken 
Seite eintrat. Ein paar Wochen später bemerkte die Patientin, dass sie nicht recht 
sehen konnte; sie stiess an Gegenstände an. Manchmal batte sie Doppeltsehen. 
Ausserdem erschienen ihr die Gegenstände breiter, zogen sich in die Länge und 
waren doppelt. Die Blumen, die in Gefässen standen, schienen sich aufzurichten, 
die Bäume und Häuser schwankten und dergl. mehr. Pat. sah aber auch Gegen¬ 
stände, die gar nicht vorhanden waren, z. B. Mäuse in allen Farben, die sich be¬ 
wegten, grösser und kleiner wurden, und zwar tauchten diese Gegenstände immer 
von der linken Seite auf. Pat. wurde matt, schläfrig, und kam endlich wegen aller 
dieser Störungen in’s Erankenhaus. Bei der Untersuchung findet sich eine links¬ 
seitige Hemianopsie, ferner bei der ophthalmoskopischen Untersuchung eine beginnende 
Atrophie des N. opticus. Es bestand ferner leichte Ptosis an dem linken Auge und 
die linke Pupille reagirte weniger prompt, als die rechte; es findet sich ferner ein 
Nystagmus, welcher sich in einer langsamen Raddrehung der Augen äussert. Ausser¬ 
dem ist noch eine leichte Parese im linken Facialis und eine linksseitige Hemiparese 
mit Steigerung der Sehnenphänomene auf dieser Seite. 

Von der nystagmusartigen Augenbewegung nimmt Vortr. nicht an, dass sie 
angeboren ist, sondern sie hängt wahrscheinlich mit der jetzigen Erkrankung, Lues 
cerebri, zusammen und ist ein bei dieser Erankheit sehr seltenes Phänomen; Uhthoff 
beobachtete es unter 250 Fällen nur 2 Mal. 

Einzelne Erscheinungen, welche die Pat. hatte, Doppelbilder, Vergrösserung und 
Verkleinerung der Gegenstände u. s. w., können durch die Augenmuskelstörungen, 
wozu auch eine Accommodalionsparese angenommen werden muss, erklärt werden. 
Bei den anderen noch aufgetretenen Erscheinungen kommen psychische Störungen 
hinzu, und Vortr. erklärt die combinirten Gesichtsstörungen als Illusionen der durch 
die gestörten Muskelfunctionen gesetzten Erscheinungen. Aber die Eranke hatte auch 
Hallucinationen; diese sind tbeils einfacher Natur, theils zusammengesetzter (Mäuse). 
Alle Hallucinationen betrafen die optische Sphäre und erschienen immer auf der 
linken Seite; das weist darauf hin, dass diese Gesichtshallucinationen in enger Ver¬ 
bindung stehen müssen mit der organischen Erkrankung (Sehstrahlung und Rinde 
des rechten Hinterhauptslappens). Um die ganzen Störungen zu erklären, müsse man 


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zwei Herde, einen an der Hirnbasis und einen im rechten Hinterhauptslappen an- 
Debmen. Die Störungen haben sich nach einer Inunctionskur erheblich gebessert. 

La ehr fragt, ob die Kranke dauernd an den unilateralen Hallucinationen ge¬ 
litten bat oder noch leidet. Bei drei von ihm beobachteten Kranken war das nur 
vorübergehend der Fall. 

Kaplan: Einzelne Hallucinationen begannen 2—3 Wochen nach Eintritt der 
Hemianopsie, andere traten später auf und verschwanden auch wieder. 

Discus8ion über den Vortrag Falkenberg (Herzberge): Familienpflege 
Geisteskranker. 

Schmidt meint, dass es vielleicht zweckmässiger sei, Idioten und ähnliche 
Kranke weiter von der Anstalt entfernt auf das platte Land zu bringen. 

Lewald weist auf den bedeutungsvollen Unterschied hin, welcher in der Familien¬ 
pflege bei Berliner Anstalten und derjenigen anderer Anstalten besteht. Während 
man bei den letzteren mit Glück versucht, die Kranken ausserhalb der Anstalt zu 
kalten, hat man in Berlin versucht, dem Kranken durch Familienpflege wieder eine 
Existenz zu verschaffen. 

Fraenkel hält die Familienpflege auch für eine segensreiche Einrichtung; 
meinte aber, dass sexuelle Schädigungen dabei eintreten können. 

Moeli: Die Familienpflege soll eine Zwischenstation werden zur Erreichung der 
Unabhängigkeit in der Lebensführung. Diese Pflege ist nur dann statthaft, wenn 
die Kranken selbst arbeiten. Die Arbeit führt aber auch wiederum eine gewisse 
Gefährdung mit sich. Das weibliche Geschlecht wird durch die vielerlei Arbeit im 
Bause weniger aus der Familie herausgeführt als das männliche. Wenn die männ¬ 
lichen Kranken arbeiten, so müssen sie auch zum Theil trinken; sie stehen in dieser 
Hinsicht durch das Beispiel anderer unter einem gewissen Zwange, und was die 
Anstalt mit Mühe durchgesetzt hat, geht unter diesem Zwange wieder verloren. 
Arbeitsgelegenheiten in der Anstalt selbst einzurichten, hat noch nicht verwirklicht 
werden können. 

Falkenberg meint, dass einer Ausdehnung der Familienpflege auf das platte 
Land, so wünschenswert^ es auch sein möge, doch zu erhebliche Schwierigkeiten 
gegenüber stehen. In sexueller Hinsicht hätte die Familienpflege keine Missstände 
ergeben. Kranke, die zu derartigen Dingen neigen, würden gowöhnlich bei Ver¬ 
wandten untergebracht. Ueber die Beschäftigung der einzelnen Kranken hat Vortr. 
versucht, eine Statistik aufzustellen, aber etwas Brauchbares ist dabei nicht heraus¬ 
gekommen. Man kann nur eine ungefähre Schätzung annehmen. Unter den Pfleg¬ 
lingen sind vielleicht nur 40°/ o als arbeitsfähig zu betrachten (vollkommen arbeits¬ 
fähig ist natürlich kein Kranker). Von diesen sind es auch wieder nur etwa 40°/ 0 , 
die eine ihren Kräften entsprechende Arbeit erlangt haben. Die Trinker, welche 
über eine grössere Arbeitskraft verfügen, stellen keine grössere Zahl von Arbeits¬ 
fähigen dar; kein einziger von den Trinkern ist Abstinent und kein einziger ist in 
der Lage, vollkommen selbständig zu sein, so dass er keine Unterstützung mehr 
braucht. 

Kaplan: Ueber Trauma und Paralyse. 

Unter 546 Fällen von Paralyse ergaben die Krankengeschichten, dass 24 Mal, 
also in 4 °/ 0 ein Trauma stattgefunden hatte. Von diesen konnte aber bei näherer 
Prüfung kein einziger Fall als directer Beweis angesehen werden, dass die progressive 
Paralyse durch ein Trauma verursacht wird. 

Köppen fragt an, wieviel Fälle von einfacher Demenz nach Trauma eingetreten 
sind; ob das Trauma vielleicht Zustände herbeigeföhrt hätte, welche der Paralyse 
sehr ähnlich sehen. 

Moeli glanbt, dass in mehr Procent der Fälle Trauma in der Anamnese Vor¬ 
kommen muss, als es die Zusammenstellung in der Anstalt Herzberge ergeben hat. 


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Kaplan kann die Frage Köppen’s im Augenblick nicht mit einer bestimmten 
Zahl beantworten, meint aber, dass es sicher viele derartige Fälle giebt 

Jacobsohn (Berlin). 


28. Versammlung der südwestdeutsohen Irrenärste in Karlsruhe 
am 6. und 7. November 1897. 

Die erste Versammlung begann Sonnabend Nachmittag 3 Uhr. 

Emmminghaus (Freiburg) eröffnet die Sitzung. 

Zum Vorsitzenden wurde fttr die erste Sitzung Fftrstner (Strassburg), zu 
Schriftfflhrem wurden Gross (Heidelberg) und Dörner (Freiburg) gewählt’. 

Den ersten Vortrag hielt, da der erste Referent Ganser (Dresden) verhindert 
ist, als Correferent Fischer (Pforzheim): Ueber den weiteren Ausbau der 
Irrenfürsorge ausserhalb der Irrenanstalten. 

Er sprach speciell über die badischen Verhältnisse. Die Erfahrungen haben 
gelehrt, dass die Entlassung eines Kranken aus der Heilanstalt nur eine Versuchs* 
weise sein könne. 

In Baden besteht die Uebung, dass nach der versuchsweisen Entlassung erstmals 
4 Wochen später, dann von Zeit zu Zeit Erkuudigungen über den Entlassenen ein¬ 
gezogen werden. Nach Ablauf eines Jahres könne die definitive Entlassung aus¬ 
gesprochen werden. 

Sehr grosse Dienste hat in Baden der finanzielle Hilfsfonds des Hilfsvereins 
zur Unterstützung bedürftiger Geheilter geleistet. Die materielle Unterstützung das 
Entlassenen allein genügt aber nicht, er bedarf vor allem einer richtigen Verpflegung. 
In dieser Hinsicht müsse betont werden, dass die Irrenärzte durch das Publikum 
in ihren Bestrebungen unterstützt werden müssen; dann werde es auch möglich sein, 
die locale und familiäre Verpflegung der wiedergenesenen Geisteskranken in weiterem 
Maasse auszudehnen. Es wird in dieser Hinsicht von Ludwig (Heppenheim) vor¬ 
geschlagen, unbemittelte Entlassene in Sanatorien aufzunehmen. In diesen Sanatorien 
sollen auch unbemittelte, an schwerer Nervosität Leidende aufgenommen werden. 
In Baden sind in den Kreispflegeanstalten etwa 600 bis 650 Geisteskranke unter¬ 
gebracht. Diese Einrichtung entspreche aber trotzdem nicht den bestehenden Be¬ 
dürfnissen. 

Der Staat stehe zu diesen Anstalten nicht in solchem Verbältniss, dass er einen 
Einfluss auf die Aufnahme Geisteskranker ausübe. 

Auch die Organisation der Krei3pflegeanstalten lasse zu wünschen übrig bezüg¬ 
lich des Wärterpersonals, vielfach fehle auch den Anstalten ein psychiatrischer Director. 
Die Uoberfüllung der Irrenanstalten fordere eine Regelung der Beziehungen der 
Staatsanstalten zu den Kreispflegeanstalten, sowie das Eingreifen der Armenpflege 
für die Verpflegung unbemittelter Geisteskranker. 

Der Vortr. stellt folgende Forderungen auf: 

1. Regelung der Verhältnisse der Staatsanstalten zu den Kreispflegeanstalten, 
Ausdehnung der familiären Verpflegung; öffentliche Belehrung der weiteren Kreise 
durch die Presse; 

2. Errichtung von Sanatorien als Uebergangsstationen; 

3. Regelung der Staatsanstalten. 

An der Discussion betheiligen sich: Emminghaus (Freiburg), Kreuser 
(Schussenried), Kräpelin (Heidelberg), Wolff (Würzburg), Kemmler (Zwiefalten), 
Fürstner (Strassburg), Battlehner (Karlsruhe), Arnsperger (Karlsruhe), Kratz 
(Heppenheim), Eckhard (Klingenmünster), Bieberbach (Heppenheim). 

Die Meisten sprechen für die Errichtung von Sanatorien. 


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Emminghaus begrüsst zunächst den Gedanken Ludwig’s, die Errichtung von 
Sanatorien genannter Art und besonders fQr prophylaktische Zwecke. Nach seiner 
Ansicht eignen sie sich hauptsächlich f&r solche Kranke, die an Furcht vor heran- 
nahender bezw. beginnender Seelenstörung (z. B. an Zwangsvorstellungen und Im¬ 
pulsen) leiden. 

Kreuser will Sanatorien ffir Morphinisten, Alkoholiker und Neurastheniker und 
befürwortet ihre Verbindung mit Uebergangsstationen für Beconvalescenten. 

Kräpelin wünscht gleichartige Einrichtungen wie die Staatsanstalten für die 
ärmeren Klassen. Er erinnert an den Vorschlag von Möbius zur Errichtung von 
Nervenheilanstalten auch für Unbemittelte. In Heppenheim plane man eine ähnliche 
Einrichtung. Er könne solche Kranke nicht in die Klinik aufnehmen, da das Statut 
der Irrenklinik in Heidelberg keine freiwilligen Aufnahmen zulasse. Für Genesende 
zieht er eine Unterbringung in freien Abteilungen der Anstalt vor; jede Anstalt sei 
m der Lage ohne Mühe derartige Abtheilungen einzurichten. 

Wolff (Würzburg) erwähnt, dass die erwähnten Verwaltungsschwierigkeiten, die 
sich oft einer erwünschten raschen Aufnahme entgegenstellten, an der Würzburger 
Klinik nicht beständen, da die Klinik weiter nichts sei, als die selbständig gewordene 
Irrenabtheilung des Juliusspitals; insbesondere käme die Klinik nie in die Lage, 
einem Nervenkranken die Aufnahme wegen Fehlens der Papiere verweigern zu müssen. 

Vorster (Stephansfeld) glaubt, dass die Irrenanstalten durch geeignete Ab¬ 
teilungen der Sanatorienfrage gerecht werden könnten. In Stepbansfeld sei die Auf¬ 
nahme von Nervenkranken bezw. an leichter Seclenstörung Leidendeu gesetzlich 
zulässig. 

Kemmler (Zwiefalten) hält besondere Sanatorien für überflüssig. Für wohl¬ 
habende Kranke beständen Privatanstalten, für die Unbemittelten empfiehlt sich der 
Anschluss an eine Irrenanstalt. Für Beconvalescenten wünscht er „offene Abtheilungen“, 
die allerdings an den meisten Anstalten erst geschaffen werden müssten, sie seien 
aber ein unentbehrliches Glied einer vollkommenen Irrenanstalt. Wo besondere offene 
Abtheilungen fehlen, sollten wenigstens Sprechstunden für psychopathisch Minder¬ 
wertige in den Anstalten eröffnet werden. 

Als eine Verkennung der Sachlage durch die maassgebenden Instanzen bezeichnet 
er den Umstand, dass die Statuten der meisten Anstalten „freiwillige Aufnahmen“ 
nicht zulassen. 

Für unheilbare Kranke, die keiner psychiatrischen Behandlung mehr bedürfen, 
sei eine zweite, nach Art eines Siechenliauses eingerichtete offene Abtheilung das 
Zweckmässigste, da die betreffenden Kranken an ärztliche Pflege und an Wartung 
nur geringe Ansprüche stellten. Nicht zu empfehlen sei die völlige Abscheidung 
dieser Kranken von der Irrenanstalt unter Zutheilung an besondere Pflegeanstaltcn 
(Kreispflegeanstalten, Landarmenanstalten); wenn diese Maassregel jedoch nicht zu 
umgehen sei, so müsste eine sachverständige Aufsicht durch einen Irrenarzt vor¬ 
handen sein. 

Kratz (Heppenheim) erläutert den Vorschlag Ludwig’s, die Gründung beson¬ 
derer Sanatorien. Dieser Vorschlag finde sich in dem Bericht des hessischen Unter¬ 
stützungsvereins für bedürftige Geisteskranke vom Jahre 1895. Dieser Verein 
beabsichtigte damals: 

1. Die Errichtung sogenannter Genesungshäuser, kleine Asyle für höchstens 
3 bis 4 Kranke, auf Vereinskosten; diese sollten gewissermaassen eine Art erweiterte 
Familienpflege darstellen für nervöse Kranke und Beconvalescenten besonders höherer 
Stände. 

2. Wurde damals von dem Verein angeregt, dass die hessischen Provinzen mit 
staatlicher Subvention Siechen- oder Pflegeanstalten errichten sollten, in denen ausser 
körperlich Siechen alle die Pfleglinge der staatlichen Irrenanstalt, die der ununter- 

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brochenen ärztlichen Ueberwachung und Behandlung nicht mehr bedürfen, sowie auch 
die Beconvalescenten aus den breiten Schichten der Bevölkerung zu verpflegen seien. — 

Die Verwaltung jenes Vereins hat ihren damaligen Standpunkt jetzt in Folgendem 
geändert. Die Errichtung von Genesungshäusera, also der eben erwähnten Sanatorien, 
ist nicht räthlich, da die wenigen Patienten, die sich für diese Behandlung eignen, 
leichter und billiger in einfacher Familienpflege verpflegt sein dürften. Auch der 
Gedanke, einen grösseren Bruchtheil der Beconvalescenten von Geistesstörung ein 
Durchgang* und Probestadium in der Provinzialpflegeanstalt durchmachen zu lassen, 
sei aufgegeben worden. Dagegen verspräche sich der Verein von den zu errichtenden 
Provinzialpflegeanstalten grosse Vortheile, sobald diese nur solche Kranke aufnehmen, 
die einer directen Wartung und Pflege nicht mehr bedürfen, jedoch in Folge ihrer 
Unselbstständigkeit einer gewissen sachverständigen fremden Leitung und Unter¬ 
stützung bedürfen. 

Als besondere Vortheile für die Anstalt und die Fürsorge der Kranken ergäben 
sich daraus: 

1. Eine unbeschränkte Aufnahmefähigkeit für jeden Kranken. 

2. Die Möglichkeit, in einer staatlichen Irrenanstalt eine Abtheilung für nervöse 
Kranke zu errichten. 

3. Die Hoffnung, dass auch in der öffentlichen Anschauung über Irrenanstalt 
und Geisteskrankheit ein* wesentliche Aenderung eintrete, wenn die Anstalt nicht 
mehr ausschliesslich die Bewahranstalt auf Lebenszeit darstelle. 

Fürstner bemerkt, dass sich auch in Eisass*Lothringen das Bedürfniss nach 
solchen Einrichtungen geltend mache, wie sie Baden in den Kreispflegeanstalten 
besitzt. Die Verpflegung in diesen Anstalten ist immerhin eine anerkennenswerthe 
und bessere, als in vielen Familien. 

Viele solcher Anstalten, wie die in Frei bürg, werden musterhaft geführt. 

Den Sanatorien stehe er skeptisch gegenüber. Hier sollte man die Wünsche 
mehr beschränken und den Hebel da ansetzen, wo etwas zu erreichen ist. 

Zu empfehlen sei die Verbindung von Aufnahme-Abtheilungen für nervöse Leute 
mit den psychiatrischen Kliniken. Die Idee der Errichtung von besonderen Becon- 
valescenten-Abtheilungen bei den grossen Heilanstalten halte er für leichter durch¬ 
führbar, als die Errichtung von Sanatorien. 

Man sollte versuchen, Anstalten, wie die Kreispflegeanstalten, zu gewinnen für 
die Aufnahm* von in der Irrenanstalt Genesenen, die eine specielle ärztliche Be¬ 
handlung nicht mehr bedürfen; solche Beconvalescenten, von denen eine bestimmte 
Genesung noch zweifelhaft ist, sollten in hierfür geschaffenen Abtheilungen in den 
grossen Irrenanstalten verpflegt werden. Der freien Behandlung der Kranken in den 
Anstalten sei grosse Aufmerksamkeit zuzuwenden. 

Emminghaus erwähnt, dass in Freiburg, wo die Zahl der aufgegriffenen 
Geisteskranken relativ ziemlich gross sei, die medicinische Klinik zur provisorischen 
Aufnahme der meist sehr unruhigen Kranken nicht geeignet sei, und man deshalb 
an die Errichtung einer besonderen Aufnahme-Abtheilung als Appendix der psy¬ 
chiatrischen Klinik bereits gedacht habe, von wo dann die Kranken entweder der 
Klinik zugeführt oder wieder entlassen werden, je nach ihrem psychischen Verhalten. 

Als einen Uebelstand bezeichnet Kräpelin die vorläufige Unterbringung der 
Geisteskranken. Solche Kranke könnten jeden Augenblick in die Krankenhäuser 
untergebracht werden, während der Unterbringung der Kranken in die psychiatrischen 
Anstalten Schwierigkeiten entgegenstehen. 

Battlehner widerlegt entschieden die hervorgetretene Ansicht, als würden acute 
Geisteskranke in Gefängnissen untergebracht. Das sei in Baden durchaus verboten. 
Bezügfich der Kreispflegeanstalten erklärt er, bestehe die strikte Vorschrift, dass in 
solchen Anstalten acute heilbare Geisteskranke nicht aufgenommen werden. 

Arnsperger betont, dass in ganz Baden in allen Krankenhäusern Abtheilungen 


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bestehen für die sofortige Aufnahme Nervenkranker, da die Behandlung von Nerven* 
kranken in solchen Anstalten durchaus w&nschenswerth und nothwendig sei. Der 
Staat könne aber solche Anstalten nicht errichten, da andere Anstalten (z. B. für 
Lungenkranke, Potatoren und Morphinisten) nothwendiger seien. 

Fürstner resumirt, die Discussion habe die Ansicht hervortreten lassen, durch 
die Kreispflegeanstalten könnten die Staatsanstalten entlastet werden durch Aufnahme 
von in Staatsanstalten gewesener Geisteskranker. Bezüglich der Errichtung von 
Sanatorien gehen die Ansichten auseinander, einig sei man darüber, dass die Er¬ 
richtung von Beconvalescenten-Abtheilungen in den Staatsanstalten wünschenswert 
und dürchführbar ist. 

Es bestehe das Bedürfniss nach Erleichterungen der Aufnahme von nervösen 
Kranken in Stadtasyle und Kliniken. 

Es schloss sich hieran der Austausch von Erfahrungen mit der familiären Ver 
pflegung von Beconvalescenten. 

Emminghaus theilt mit, dass die regelmässigen Erkundigungen nach dem 
Befinden entlassener Patienten, wenn sie auffallend (durch Schutzleute) geschahen, 
unangenehm empfunden wurden, dass sie aber sonst ein werthvolles Material zur 
Bestätigung der Diagnose: Heilung, Besserung, Nichtgenesensein seien. 

Kreuser bemerkt, dass solche Erkundigungen in Württemberg nicht stattfänden. 
Die ungünstigen Nachrichten kämen schon von selbst. Auch aus anderen Gründen 
seien derartige Erhebungen nicht erwünscht. 

Eckhard erwähnt, dass die Zahl der Kranken in Klingenmünster, die sich in 
Privatpflege begeben wollten, eine beschränkte sei. Die meisten Kranken erklärten: 
wenn wir hinaus dürfen, so wollen wir auch in unsere eigene Familie. Die Familien¬ 
pflege habe zwar keine besonders günstigen Resultate ergeben, doch liess sie sich 
durchführen, da die Kranken mehr in Connex mit der Anstalt blieben, als in anderen 
Anstalten, und die Pfleger, von der Bezahlung abgesehen, von der geleisteten Arbeit 
der Kranken viele Vortheile hätten und diese deshalb dankbar annähmen. Die Be¬ 
handlung sei gut, die Beköstigung einfach, ländlich, wie es die betreffenden Kranken 
von zu Hause aus gewöhnt seien. 

Bieberbach (Heppenheim) spricht sich nach seinen in Hofheim gemachten 
Beobachtungen gegen die Familienpflege aus. Eine zweckentsprechende Familienpflege 
liesse sich nur durchführen, wenn auch die ärztliche Controle eine scharfe sei; dies 
sei jedoch nicht immer möglich. Er hätte bei ca. 20 Kranken durchweg die Er¬ 
fahrung gemacht, dass die Familienpflege nur zu egoistischen Sonderbestrebungen 
führe. 

Kemmler berichtet über die familiäre Fürsorge, die von der Pflegeanstalt Zwie¬ 
falten ans in den Dörfern der Umgebung seit nunmehr 1 1 / a Jahren versuchsweise 
eingerichtet worden sei und bis jetzt recht günstige Erfolge gezeitigt habe. Die 
Fürsorge für Geisteskranke ausserhalb der Anstalt scheitere gewöhnlich an der Geld- 
lrage. Sind genügende Mittel vorhanden, so könne bei einigermaassen gutem Willen 
zweckentsprechende Aufsicht und Fürsorge für ruhige Geisteskranke überall gefunden 
werden. Die Umgebung Zwiefaltens sei besonders günstig für eine gute Familien¬ 
pflege, was schon in den Traditionen der Anstalt begründet sei, worauf Redner noch 
näher eingeht. Hoffentlich werde überhaupt in nicht allzu ferner Zeit eine Organi¬ 
sation der gesamtsten Irrenfürsorge ausserhalb der Anstalt erreicht werden, die dem 
entlassenen Geisteskranken die Mittel zu genügender Verpflegung und die Sicherung 
einer guten Pflege durch ärztliche Aufsicht verschafft. Auf Grund seiner Erfahrungen 
müsse er sich dahin aussprechen, dass jeder grösseren Irrenanstalt die Familienpflege 
anzurathen sei. 

Fürstner ist der Ansicht, auf amtlichem Wege Erkundigungen nicht einzuziehen 
über die aus der Anstalt Entlassenen. Hingegen werde es stets von den Angehörigen 
als Theilnahme begrüsst, wenn gelegentlich ärztliche Erkundigungen erfolgen. 


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Damit schloss die Discassion. 

Nach einer Scblussbemerkung des Referenten wurde beschlossen, im Anschluss 
an die erledigte Debatte das Thema: Die Lage der Irrenfürsorge in Baden zur 
Besprechung zu bringen. 

Den Vortrag hielt Kräpelin (Heidelberg). Er fahrt Folgendes aus: 

Die Entwickelung der Fürsorge für die Geisteskranken in Baden ist im engsten 
mit der Entwickelung der Heil* und Pflegeanstalt in Pforzheim, die die erste der¬ 
artige Anstalt in Baden war, verknöpft. Dann folgte 1826 die Ueberfabrung der 
Geisteskranken nach Heidelberg, 1842 wurde lllenau erbaut, 1874 die Klinik in 
Heidelberg, 1889 die Anstalt Emmendingen, 1886 die Klinik in Freiburg. 

Insgesammt sind in den Staatsanstalten z. Z. 2210 Plätze f&r Geisteskranke 
zur VerfQgung. Trotzdem entspricht diese Fürsorge nicht mehr dem Bedarfhiss, es 
besteht bereits eine Warteliste. 

Die Zahl der Geisteskranken ist in starker Zunahme begriffen, ausserdem ist 
in den Familien weniger Neigung vorhanden, die Geisteskranken bei sich zu ver¬ 
pflegen. In Baden kommt auf 663 Einwohner ein Geisteskranker. 

Es hat sich ergeben, dass heute auf je 500 Einwohner ein Platz in der Irren¬ 
anstalt offengehalten werden muss. Für Badon seien dadurch 3000 Plätze erforderlich, 
während nur 2210 vorhanden sind. Hierdurch ergebe sich eine Verzögerung der 
Aufnahme der Kranken, andererseits eine Entlassung aller nur irgend entlassungs¬ 
fähiger, sowie eine Anhäufung der Geisteskranken im Lande. Somit bestehe in Baden 
grosse Unzulänglichkeit in der Irrenfürsorge. 

Eine Verbesserung dieser Verhältnisse sei nicht zu erwarten, wohl eine successive 
Verschlechterung. 

Zur Schaffung der Abhülfe gebe es mehrere Wege. Zunächst die Erweiterung 
der bestehenden Irrenanstalten. Da ergebe sich Folgendes: Die Erweiterung der 
Anstalt Emmendingen, die schon 900 Plätze hat, lasse sich auf über 1000 Plätze 
nicht gut ausführen. Illenau Hesse sich auf 2—300 Plätze erweitern, auch seien 
hierfür in das Budget 600,000 Mark eingestellt, doch wurden nur 60 Plätze ge¬ 
wonnen, weil noch andere Bauten von dem Gelde ausgeführt werden sollen. Eine 
Erweiterung der Anstalt Pforzheim komme gar nicht in Betracht. 

Die Privatpflege habe sich durchaus nicht bewährt Es bleiben die Kreispflege¬ 
anstalten. In diesen seien 44,4 °/ 0 Geisteskranker im weitesten Sinne, 25,9 °/ 0 
Geisteskranker mit erworbenen Seelenstörungen. Die Verhältnisse in diesen Kreis¬ 
pflegeanstalten entsprechen den Anforderungen nicht, es mangele an Wärterpersonal, 
an Abschliessung der Kranken, an Differenzirung u. s. w. Er selbst habe erhebUche 
Missstände angetroffen. Er habe Geisteskranke geschlossen, unreine auf den Stuhl 
festgebunden, andere mit Handschuhen gesehen. 

Der Procentsatz der Geisteskranken sei von 12,3% im Jahre 1889 auf 25,9% 
bis 1895 gestiegen. Die Grenze des Zuträglichen in den Kreispflegeanstalten sei 
schon heute erreicht, wenn nicht überschritten, es könne nur noch eine Verschlechterung 
eintreten. 

Nach alledem bleibe nur der Neubau einer Irrenanstalt übrig. Ein Ausweg 
lasse sich vielleicht dadurch Anden, dass man die Kranken auswählt und für die 
weniger gefährUchen bilüge Pflegeanstalten errichtet. Zur Verringerung der Lasten 
für die Pflege der Irrsinnigen Hessen sich diese Pflegeanstalten vielleicht unter ge¬ 
wissen Kantelen unter Selbstverwaltung stellen. Die Regierung müsste die Revision 
regelmässig ausführen und die Besetzung des Postens des Directors ausüben. Als 
Directoren dürfen nur Psychiater mit mehrjährigen Erfahrungen gewählt werden. 

In Hessen dürfte diesem Plane in naher Zeit näher getreten werden. Zur 
Durchführung von Verbesserungen auf dem Gebiete der Pflege der Geisteskranken 
dürfte die Mitwirkung von Sachverständigen von grossen Werth sein. 


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Die Anstellung von Landespsychiatern habe sich als eine ausserordentlich 
schlechte Einrichtung erwiesen. Zu empfehlen sei dagegen die Bildung von Sach* 
veiständigen-Conferenzen. Eine weitere Forderung sei die Angliederung der Kliniken 
an die Krankenhäuser. In Heidelberg bestehen in dieser Hinsicht bedauerliche 
Zustände. 

Unhaltbar sei auch die Definition f&r die Ueberffihrung der Kranken. 

Die Hauptfrage sei doch die, ob ein solch Unglücklicher der Pflege in einer 
grossen Irrenanstalt bedarf oder nicht. 

Es müsse anerkannt werden, dass Baden für die Förderung der Irrenpflege 
grosse Opfer gebracht, es sei das erste Land gewesen, das eine Irrenklinik ge¬ 
schaffen. Die Anforderungen schreiten aber auf diesem Gebiete sehr rasch vorwärts. 
Um Schritt damit zu halten, müssten viele Schwierigkeiten beseitigt werden, unüber¬ 
windlich seien sie aber nicht. 

Arnsperger giebt zu, dass die Verhältnisse in vielen Fällen thatsächlich so 
liegen, wie sie Kräpelin geschildert, und der Aenderung bedürfen. So schlimm 
wie in Heidelberg seien die Verhältnisse in Pforzheim, Hlenau und Emmendingen 
nicht. Die Heidelberger Klinik sei für 100 Kranke eingerichtet, ihr Aufnahmebezirk 
umfasse aber eine Seelenzahl von 640,000. 

Der Aufnahmebezirk Illenau zähle nur 664,000 Einwohner bei einer Aufnahme¬ 
fähigkeit von 500 Kranken der Anstalt. Der Aufnahmebezirk für die Freiburger 
Klinik zähle 406,000 Einwohner bei 100 Plätzen der Klinik. Die Regierung sei 
auf das Entschiedenste bestrebt, Abhülfe zu schaffen. Dieserhalb sollen die Bezirke 
Bretten und Bruchsal vom Heidelberger Aufnahmebezirk getrennt und Pforzheim zu- 
getheilt werden. Die Emmendinger Anstalt soll eine eigene Anstalt für verbrecherische 
Geisteskranke erhalten. Die Kreispflegeanstalten seien von grosser Bedeutung für 
die Aufnahme unheilbarer Geisteskranker. Dem Landtag werde eine Vorlage zugehen 
wegen Erweiterung der Irrenanstalt Illenau und Emmendingen. 

Battlehn er giebt den Psychiatern die Schuld, wenn bei uns das Irrepflege- 
wesen stagnirt und man in Baden nicht mit der Zeit fortgeschritten sei. 

Die Regierung sei für kommissarische Berathung in den einschlägigen Fragen; 
die einzige Bestimmung, die durchführbar sei, rühre von den Psychiatern selbst her. 
Mit der besseren Differenzirung gehe man vor; die Einrichtungen in der Kreispflege¬ 
anstalt Hub zeigten dies, die Kreispflegeanstalt Freiburg solle sogar in drei ver¬ 
schiedene Anstalten, für die unreinen Geisteskranken, für die übrigen Geisteskranken 
und für die sonstigen Kranken gegliedert werden. Auf das Entschiedenste verwahrt 
er sich gegen die von Kräpelin erwähnte Behandlung in den Kreispflegeanstalten. 

Fürstner giebt ebenfalls den Psychiatern die Schuld, wenn Baden nicht mit 
den Anforderungen der Zeit fortgeschritten sei. Die misslichen Zustände in Heidel¬ 
berg seien noch gerade so wie zu seiner Zeit. 

Der Aufnahmebezirk für Heidelberg sei nicht zu gross, es müsse nur für eine 
flotte Evacuation gesorgt werden. 

Er sei zu einer flotten Evacuation sogar gesetzlich gehalten, seine Klinik zähle 
nur 80 Betten und bewältige im Jahre 400 Aufnahmen. 

Kräpelin erklärt sich entschieden gegen die Verkleinerung des Aufnahme¬ 
bezirks der Heidelberger Klinik; eine solche Maassregel könnte verhängnisvoll 
werden. Die Klinik solle nur eine Vermittelungsstelle sein, es müsse ihr die Mög¬ 
lichkeit einer flotten Evacuation gegeben werden. 

Arnsperger hält ebenfalls eine Besserung der Evacuation der Heidelberger 
Klinik für dringend nothwendig. 

Battlehner bemerkt, in Freiburg und Illenau gehe die Evacuation flott, nur 
in Heidelberg stagnire sie. In das Krankenhaus müssten die Kranken aufgenommen 
werden, weil sie in die Klinik nicht aufgenommen werden könnten. 

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Fürstner widerspricht Battlehner, die Heidelberger Klinik könne noch 
100 Aufnahmen mehr leisten, aber die Evacuation müsse flott gehen. 

Kräpelin will den Beweis seiner Ausführungen betreffs der Heidelberger Klinik 
actenmässig erbringen. 

Damit schloss die Discussion und nach kurzen geschäftlichen Mittheilungen die 
erste Sitzung um 7 Uhr. Dörner (Freiburg i./B.). 

(Schluss folgt) 


IV. Vermischtes. 

Gerade so wie bei uns bemühen sich auch in Belgien die Irrenärzte, das Wartepersonal 
zu heben und auch dort hat man als ein sehr geeignetes Mittel dazu den regelmässigeü 
Unterricht des Personals erkannt. Bei dem Meinungsaustausch, der über diesen Punkt der 
Sociötö de medicine mentale stattgefunden hat (Bulletin von Juli 1897), war man im Allge¬ 
meinen (ebenso wie bei uns) der Ansicht, dass das Handbook for attandents der englischen 
medico-psychologischen Gesellschaft bei weitem über das Maass dessen herausgeht, was ein 
Wärter zu verstehen vermag oder zu wissen braucht. Ebenso wie auf der Jahresversammlung 
deutscher Irrenärzte zu Hannover wurde auch hier der Wunsch ausgesprochen, ein brauch¬ 
bares Lehrbuch zur Wiederholung dessen, was es in den Unterrichtsstunden gehört hat, dem 
Personal in die Hand zu geben. Als hindernd für einen zweckmässigen Unterricht wurde 
der grosse Wechsel des Personals bezeichnet: Cuylits hat deshalb aus der Zahl seiner 
Wärter zwei oder drei herausgesucht, von denen er annahm, dass sie länger in der Anstalt 
bleiben würden, und diesen hat er eingehenderen Unterricht ertheilt; wenn er ihnen dabei 
Temperaturmessen gelehrt hat, so ist dagegen nichts zu sagen; höchst befremdend wirkt 
aber auf uns, dass er ihnen die Technik subcutaner Injectionen beigebracht hat. Es ist dies 
wohl daraus zu erklären, dass nur in der Minderzahl belgischer Anstalten Aerzte wohnen, 
dieselben vielmehr lediglich täglich zur Visite in die Anstalt kommen. — Ueber die Diplo- 
mirung des Wartepersonals wurde in der Debatte nicht gesprochen. Lewald. 


Im Staate Michigan ist folgender Gesetzvorschlag dem Parlamente zugegangen, der 
gute Chancen für eine Annahme haben soll (The Alienist and Neurologist. 1897. Juli. 
§t. Louis): 

1. Alle jetzigen und künftigen Insassen des Hospitals für Schwachsinnige und Epilep¬ 
tiker sollen vor ihrer Entlassung einer Operation unterworfen werden, die „Asexualisation“ 
zur Folge hat, derart, dass eine solche Person ausser Stande ist, ihre Art fortzupflauzen. 

2. Die gleiche Operation soll an allen Verbrechern vollzogen werden, welche wegen 
Kapitalverbrechen zum dritten Male verurtheilt werden. 

3. Die Operation soll vom Arzte der betreffenden Anstalt oder des betreffenden Gefäng¬ 
nisses vorgenommen werden ohne Anspruch auf Extrahonorar; ein zugezogener Arzt darf 
nicht mehr als 25 Dollars Honorar dafür bekommen. 

4. Vor der Vollziehung der Operation ist der Aufsichtsbehörde Mittheilung zu machen, 
welche spätestens 10 Tage vor der Operation die Angehörigen des betreffenden Individuums 
in Kenntniss zu setzen hat. 

5. Die gleiche Operation soll an Leuten vollzogen werden, welche wegen Nothzucht 
rechtskräftig verurtheilt worden sind. 

6. Strafbestimmungen für die Anstaltsvorstände, die den Vorschriften dieses Gesetzes 
nicht n^chkommen. 

Man darf auf das Schicksal dieser Bill im Parlamente von Michigan wohl gespannt 
sein. Lewald. 


V. Personalien. 

Unser verehrter Mitarbeiter Herr Oberarzt Dr. Paul Näcke wurde zum Ehrenmit- 
gliede des Vereins der holländischen Irrenärzte erwählt. 


Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten. 

Einsendungen für die Redaction sind zu richten an Prof. Dr. E. Mendel, 
Berlin, NW. Schiffbauerdamm 20. 

Verlag von Vwt & Comp, in Leipzig. — Druck von Mktzgbr & Wittio in Leipzig. 


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Neurologisches Centralblatt. 


Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie 
und Therapie des Nervensystems einschliesslich der Geisteskrankheiten. 

Heraosgegeben von 

Professor Dr. E. Mendel 

Siebzehnter " Jahrgang. 

Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 24 Mark. Zu beziehen durch 
alle Buchhandlungen des In- und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Seichs, sowie 

direct von der Verlagsbuchhandlung. 

1898. 15. Jannar. Nr. 2. 


I. Origiitalmitthollungon. 1. Ueber einen Fall von traumatischer Lähmung des Plexus 
bradrialia (sog. Erb 9 scher combinirter Schulterarmlähmung), von Dr. med. Chr. Rasch in 
Sorau N. L. 2. Zur Elektrodiagnostik der Ocalomotoriuslähmungen, von Dr. J. K. A. Werthsls» 
Salsmonson. 3. Ein Fall von Bernhardt'scher Sensibilitätsstörung am Oberschenkel, von 
Dr. A. Good. 4. Zur Localisation des Muskelbewusstseins auf Grund eines Falles von trau¬ 
matischer Kopfverletzung, von Dr. Wladimir Muratow , Priv.-Doc. an der Universität zu Moskau. 

II. Referate. Anatomie. An experimental research upon cerebro-cortical afferent and 
efferent tracts, by Ferrier and Turner. — Experimentelle Physiologie. 2. Contributo 
allo studio della nuclinazzione nelle vie di projezione del sistema nervoso centrale, per d’Abundo. 
3. La thdorie des neuronee en rapport avec Texplication de quelques etats psychiques nor- 
maux et pathologiques, par Soukhanoff. 4. Les neuronee. Los iois fondamentales de leuro 
deg&ierescences, par Klippel. — Pathologische Anatomie. 5. Sur les altörations des 
demente nerveux dans la dyscrasie uremique experimentale, par Sacerdottl et Ottolenghi. 

6. Sülle alterazioni degli elementi nervesi nelr inanizione, per Lugaro e Chiezzi. — 
Pathologie des Nervensystems. 7. Casuistische Mittheilungen aus dem Gebiete der 
Nervenheilkunde, von Egger. 8. Paralisi periodica del trocle&re con cefalea e nausea, per 
dl ützoabaroor. 9. Becurrenslähmung bei Mitralstenose, von Ortner. 10. Ein Fall von Supra- 
scapularislähmung, von Goebel. 11. Zur Lehre von den Arbeitsparesen an den unteren 
Extremitäten, von Krön. 12. Crarapi professionale, per Pacetti. 13. Rifiessi dolorosi di 
origine psichica e di natura professionale, per Montesano. 14. Sopra una forma rara di 
erampo professionale, per Montesano. 15. Eine eigenartige Form von progressiver Muskel¬ 
atrophie bei Goldpolirerinnen, von Gastier. 16. Paraesthesia of the external femoral region, 
by Shaw. 17. Ein Fall von Bernhardt-Roth'scher Parästhesie (Paraesthesia n. cut. fern, ext), 
von Donath. 18. Intorno ad alcuni punti della tearia di Bernhardt sulla parestesia della 
coscia, per Nicke. 19. Ueber die Akroparästhesie (Schultze), von Haskovec. 20. Ein Fall 
von DermatosiB linearis neuropathica, von Leven. 21. Neurofibromatose cutan^e avec xan- 
thome profond du bras droit, par Dolore. 22. Nevromes gendralisös. Rösection d’une grande 
partie des nerfs mödian et cubital. Retablissement des fonctions motrice et sensitive. Poly- 
orchidie, par Plan. 23. 11 riflesso muscolare provocato dei glutei nella nevralgia ischiatica, 
per Nogro. 24. Ein Fall von chronischer Endometritis mit Erscheinungen einer Herzneurose, 
von Zamazal. 25. Herzbeschwerden der Frauen, verursacht durch den Cohabitationsact, von 
Kisch. 26. Paralysis of one third from baemorrhagic neuritis, with extravasation over the 
opposite frontal lobe, by Gibson und Turner. 27. Un cas de nevrite systematisee- motrice 
avec anasarque, par Dejerino et Mir&llid. 28. Ueber septische Poly neuritis, von Kraus. 
29. Ein Versuch zur Bekämpfung der Beri-Beri, von Eijkmann. 30. Endemie multiple neu- 
ritis (Beri-Beri), by Bondurairt. 31. Periplural neuritis connected with pregnancy and the 
puerperal state, by Reynolds. 32. Ueber Neuritis puerperalis, von Saonger. — Psychiatrie. 
33. Retrograd Amnesi efter Suspension, af Pontoppidan. — Therapie. 34. De remploi da 
bäume de copahu dans les sciatiques rebelles, par Glorieux. 

III. Aus den Gesellschaften. Verein für innere Medicin zu Berlin. — Aerztlicher Verein 
zu Hamborg. — 28. Versammlung der südwestdeatschen Irrenärzte in Karlsruhe am 6. und 

7. November 1897. (Schluss.) — Gesellschaft der Neuropathologen und Irrenärzte zu Moskau. 

IV. Bibliographie. Die Geschwülste des Nervensystems, von Dr. Ludwig Bruns. 

V. Personalien. 


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I. Originalmittheilungen. 


1. Ueber einen Fall von traumatischer 
Lähmung des Plexus brachialis (sog. Erb’scher combinirter 

Schulterarmlähmung). 

Von Dr. med. Chr. Rasch in Sorau N. L. 

Wenn auch der nachstehende Fall im Drange der Praxis keine so gründ- 
- liehe klinische Beobachtung erfahren konnte, als vielleicht wünschenswerth ge¬ 
wesen wäre, so dürfte derselbe doch naoh mancher Richtung ein allgemeines 
Interesse auch für weitere Kreise bieten, welches seine Veröffentlichung berechtigt 
erscheinen lässt. 

Anamnese: 

H. Pr., 71 Jahre alt, Maschinenmeister aus B., ist erblich in keiner Weise in 
Bezug auf Nervenkrankheiten belastet. Bis vor Kurzem ist er stets gesund und für 
sein Alter sehr rüstig gewesen und ist seiner Beschäftigung auf der Hütte (Eisen¬ 
werk), wo er schon viele Jahre in Arbeit steht, nachgegangen. Er hat einen stillen, 
soliden Lebenswandel geführt und nach keiner Richtung hin excedirt; insbesondere 
wird Potus bestimmt iu Abrede gestellt. Pat. lebt in recht guten Vermögens - 
Verhältnissen, frei von Kummer und Sorgen. 

Am 13. April 1890 stellte sich der Kranke mir zum ersten Male vor und gab 
an, am 26. Februar 1890 beim Heben einer schweren Maschine plötzlich 
einen heftigen Schmerz in der linken Schulter verspürt zu haben. Am 
Abend, als er nach Hause kam, war er nicht im Stande, seinen Rock auszuziehen. 
Obwohl die Schmerzen nicht nachliessen — eine äusserliche Verletzung war nicht 
zu sehen —, so ging er doch nicht zu einem Arzte, vielmehr wandte er sich an 
einen Kurpfuscher (Gliedsetzer), welcher die Schulter mit den Fingern gedrückt und 
gerieben haben soll. Schlimmer ist es angeblich mit seinem Leiden nach den Mani¬ 
pulationen des Gliedsetzers nicht geworden, allerdings auch nicht besser. 

In der Zwischenzeit ist er seiner Beschäftigung auf der Hütte, wo er schwere 
Arbeit nicht zu verrichten hatte — seine Beschäftigung bestand in Beaufsichtigung 
der Arbeiter —, nachgegangen. Die Zunahme der Schmerzen in der linken Schulter 
in der letzten Zeit und die Unmöglichkeit seinen Arm zu gebrauchen, veranlassen 
ihn nun ärztliche Hülfe aufznsuchen. 

Seine Hauptklagen sind augenblicklich lähmungsartige Schwäche uud 
lebhafte Schmerzen in der linken Schulter und im ganzen linken Arm. 
Die Schmerzen werden als „reissend“ und „zuckend“ bezeichnet. 

Der körperliche Befund, den ich am 13./IV. 1890 erheben konnte, war 
folgender: 

Pat. ist ein grosser, kräftig gebauter Mann, für sein Alter sehr gut conservirt. 
Allgemeiner Kräftezustand gut. 

Das Acromion linkerseits ist auf Druck schmerzhaft und zeigt in geringem 
Grade abnorme Beweglichkeit. Crepitation nicht zu fühlen. Keine Depression oder 
Dislocation des Knochens erkennbar. 

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An den Knochen und Gelenken des Schultergürtels sind weitere Verletzungen 
nicht nachweisbar, speciell an der Clavicula sind Zeichen einer Fractur nicht nach* 
znweisen. 

Der linke Arm. hängt schlaff herab, Fat. ist weder im Stande, den 
Oberarm gegen die Schulter, noch den Vorderarm gegen den Oberarm 
za bewegen, während der Gebrauch der Finger und der Hand möglich ist. Der 
M. cucullaris, pectoralis, infraspinatus, deltoideus und biceps linkerseits deutlich 
atrophisch und auf Druck empfindlich. Der linke Vorderarm ist im Ganzen (Beuger 
wie Strecker) atrophisch, die einzelnen Muskeln fühlen sich viel schlaffer an als 
rechts. Die Muskulatur des linken Daumenballens weist gleichfalls deutliche Atrophie 
auf. Die Interossei scheinen gegen rechts nicht atrophisch. 

Druck auf den Plexus brachialis linkerseits ist äusserst empfindlich; es wird 
dabei über ausstrahlenden Schmerz bis in die Fingerspitzen geklagt; auch die peri¬ 
phere Endausbreitung des Geflechtes (in der Achselhöhle, im Sulcus bicipitalis, 
Sulcus ulnaris, Spatia interossea) zeigt dasselbe Verhalten. Bei Versuchen, active 
Bewegungen im linken Schultergelenk auszuführen, treten sehr lebhafte und äusserst 
schmerzhafte ungleichmässige Zuckungen hauptsächlich im Biceps, Deltoideus und 
Triceps anf, bald hier, bald dort. Bei passiven Bewegungen treten gleichfalls sehr 
heftige schmerzhafte Zuckungen in den genannten Muskelgebieten auf; auch bei 
längerer Buhe beobachtet man fibrilläre und gröbere Zuckungen im Biceps 
und Deltoideus. 

An der Streckseite des linken Vorderarms, etwa in der Mitte, findet sich eine 
etwa handtellergrosse circumskripte Stelle der Haut, welche sich heisser an¬ 
fühlt als die Umgebung und lebhaft geröthet ist (vasomotorische Störung). 
Eigentliche Entzündungserscheinungen fehlen. Die Abgrenzung dieser gerötheten 
Partie gegen die Umgebung ist eine ziemlich scharfe. 

Sonst sind trophische Störungen an der Haut des linken Arms nicht nachzu¬ 
weisen; die Nägel an den Fingern bieten nichts Auffälliges. 

Die Muskelkraft ist links sehr bedeutend herabgesetzt, der Händedruck viel 
geringer als rechts. 

Die Sensibilität ist am ganzen linken Arm und in der Schultergegend er¬ 
heblich herabgesetzt. Am Bumpf und an der linken Unterextremität sind 
Seosibilitätsstörungen nicht nachzuweisen. 

Pak klagt über das Gefühl von Taubsein in den Fingerspitzen der linken 
Hand. 

Die Untersuchung der inneren Organe ergiebt im Uebrigen durchaus normalen 
Befand. Urin frei von Eiweiss und Zucker. Körpertemperatur normal. 

Ueber die Psyche des Kranken ist nichts Besonderes zu bemerken. 

Ordination: Bettruhe, Mitelia, kleinere Dosen Antipyrin. 

25. /IV. 1890. Im Sulcus ulnaris linkerseits deutliche Verdickung des 
Nerven zu fühlen. Seit einigen Tagen hat sich das Gefühl von Taubsein in den 
Fingern vermehrt. Pak hat öfter das Gefühl, als ob kleine Thiere (Fliegen) 
auf der Hand herumliefen. Klagt über Flimmern vor den Augen. Sehr 
starker Tremor an der linken Hand. 

2./V. Seit einigen Tagen Kopfschmerzen, sehr viel Schmerzen im Arm. 
Parästhesieen dieselben. Flimmern vor den Augen geringer. — Obstipation. 

16./V. Stat. idem. — Phenacetin 0,5 drei Mal täglich. 

4./V1. Viel Schmerzen im linken Arm während der stürmisch-kalten Tage. 

26. / VI. Klagt jetzt über Schmerzen von der Fossa supraclavicularis an den 
Hals hin ausstrahlend. Jetzt auch Klagen über Schmerzen und Schwäche im 
Unken Bein. Der N. ischiadicus ist anf Druck in seiner ganzen Endausbreitung 
schmerzhaft. Atrophie der Beinmuskulatur ist nicht bemerkbar. Keine Oedeme. — 
Halbseitiges (links) Schwitzen beim Gehen. Klagt über häufiges Kribbeln 

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im linken Arm. Die Functionsstörung des Arms hat keine wesentliche Aenderung 
erfahren. Die rothe Stelle an der Streckseite des Vorderarms ist verschwunden. 

Am 28./VI. wurde Fat. auf meinen Bath der Universitätsklinik in K. Uber* 
wiesen, hauptsächlich um event. eine elektrische Behandlung zu ermöglichen. 

Am 2./VIII. kehrte Fat von E. zurück und stellte sich mir am 13./VIII. wieder 
vor. Die Schmerzen sind etwas besser, sonst ist der Zustand völlig unverändert 

16./VIII. Die ganze linke Körperhälfte schwitzt stark (Pat ist eine 
halbe Stunde 'sehr langsam gegangen); die rechte Seite ist völlig trocken. Beim 
Gehen Schmerzen in der linken Hüfte. Die ischiadischen Schmerzen bestehen fort, 
Druckpunkte gleichfalls sehr schmerzhaft. Pat. klagt auch über „Sengein“ (Brennen) 
in der Haut des linken Beins. — Bekommt wieder Antipyrin. 

21./VIII. Wieder mehr Schmerzen, besonders im linken Arm (Unwetter!). 

6./XI. Seit gestern ist die circumscripte Hautröthe an der Streckseite 
des linken Vorderarms wieder aufgetreten, im Uebrigen ist der Zustand des 
linken Arms gänzlich unverändert. Brausen auf dem linken Ohr, Düsigkeit, d. h. 
Schwindelgefühl im Kopf beim Gehen. Diarrhöe. 

12./XI. Diarrhöe ist vorüber, sieht recht angegriffen und elend aus. 

9./II. 1891. Pat. stellt sich mir behufs Ausstellung eines Gutachtens wieder 
vor. Die Klagen über den linken Arm sind dieselben wie bei der ersten Unter¬ 
suchung. Zeitweise sind die Schmerzen weniger heftig, zu Zeiten exacerbiren die¬ 
selben indessen recht stark. Ganz frei von Schmerzen ist Pat nie. In der Hand 
hat er das Gefühl von Taubsein; es ist ihm so, als wenn die Hand todt und ab¬ 
gestorben wäre; er muss die Hand dann reiben. 

Ende September vorigen Jahres stellten sich Schmerzen in der linken Kopf¬ 
hälfte ein; jetzt hat er auch ziehende neuralgische Schmerzen im linken 
Unterkiefer. 

Zeitweise besteht linkerseits Thränenträufeln und wässeriger Ausfluss 
aus dem linken Nasenloch. 

Pat klagt über ein Gefühl von „Steifigkeit“ und Taubsein in der linken 
Gesichtshälfte; er hat dass Gefühl, als „ob die Haut hier festsitzt“. 

Klagen über Schwäche und Schmerzen in der linken Hüfte und im 
linken Bein; mitunter Nachts „Ziehen“ und „Krämpfe“, Zusammenziefaungen in der 
Muskulatur des Beines — Pat sagt: es kommen „Knubben“ = Knoten —; das Bein 
wird ihm dann ganz steif; Gefühl von Brennen und Sengein im Bein. 

Der Schlaf ist in Folge der Schmerzen oft gestört. Das Allgemeinbefinden hat 
sich verschlechtert, das Körpergewicht hat abgenommen. 

Was den objectiven Befund anlangt, so ist die Acromialfractur ohne Dislo¬ 
cation geheilt. 

Die Functionsstörung des linken Arms ist genau so, wie bei den 
früheren Untersuchungen festgestellt wurde. Die Lähmung hat keine 
Veränderung erfahren; auch die Sensibilität ist nicht gebessert Die Atrophie 
der Armmuskulatur hat etwas, doch nicht sehr erheblich, zugenommen. 

Die Halswirbelsäule erweist sich bei Druck auf die Dornfortsätze, recht 
empfindlich. 

Die Symptome an der linken unteren Extremität sind ganz die gleichen, wie 
am 28./VI. v. J. Bei der Prüfung der Druckempfindlichkeit lebhafte fibrilläre 
Zuckungen in fast allen Muskeln des Unterschenkels. Der Patellar- 
sehnenreflex fehlt links. Herabsetzung der Hautsensibilität an dem 
ganzen linken Bein. 

Weder an der oberen, noch an der unteren Extremität sind Störungen des 
Wachsthums der Haare oder der Nägel zu constatiren. 

An der ganzen linken Gesichts- und Kopfhälfte ist die Hautsensibilität 
herabgesetzt. Die linke Nasolabialfalte ist verstrichen. 


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Das Sehvermögen beiderseits gleich; keine Einengung des Gesichtsfeldes. Linker¬ 
seits Nystagmus horizontalis; derselbe kommt anfallsweise. Nachdem die 
Pendelbewegongen etwa eine Minute gedauert haben, fängt das Auge an zu thränen. 

Die Gonjunctiva des linken Auges ist stärker injicirt und geschwellt, 
secernirt reichlicher. 

Die Pupillen sind gleich und reagiren prompt auf Lichtreiz und Convergenz. 

Linkerseits deutliche Herabsetzung der Sensibilität der Cornea; bei 
Berührungen ist ein Reflex kaum auszulösen. 

Sämmtliche Druckpunkte im Gesicht linkerseits schmerzempfindlich. 

Eine elektrische Untersuchung habe ich leider nicht vornehmen können. 

Wir haben es in unserem Falle mit einer plötzlich entstandenen Arm¬ 
lähmung zu thun. 

Heber das ätiologische Moment kann keinerlei Zweifel bestehen; es handelt 
sich um ein Trauma, eine plötzliche, ruckweise Dehnung des linken Arms. 

Was die Würdigung der klinischen Symptome anlangt, so reiht sich 
der Fall offenbar der von Duchenne und Ebb eingehend geschilderten Lähmung 
des Plexus brachialis an. Ebb hat diese Lähmung sehr treffend als „com- 
binirte Schulterarmlähmung“ bezeichnet. Der linke Arm hing in unserem 
Falle schlaff herab, Pat. war weder im Stande den Oberarm gegen die Schulter, 
noch den Vorderarm gegen den Oberarm zu bewegen. Der Gebrauch der Hand 
und der Finger war noch erhalten. Die Atrophie der gelähmten Muskeln 
ist in der Krankengeschichte hinreichend gekennzeichnet worden; 10 Monate 
nach der Verletzung hatte die Atrophie noch zugenommen. Ein elektrische 
Untersuchung habe ich leider nicht vornehmen können, so dass ich über den 
von Erb als „partielle Entartungsreaotion“ bezeichneten Zustand nichts 
auszusagen vermag. 

Das Vorhandensein von heftigen Sohmerzen und Parästhesieen (Gefühl 
von Kribbeln, Taubsein, Todtsein, die Empfindung, als ob Fliegen über den Arm 
liefen u. s. w.) beweist, dass, neben den motorischen Störungen,* sensible 
Fasern von dem Krankheitsprocess mitergriffen sind. 

Ausserdem muss ich noch aufmerksam machen auf die trophischen 
Störungen an der gelähmten Extremität. Die Röthung und Temperatur¬ 
erhöhung einer circumscripten Stelle der Haut des kranken Vorderarms kann 
nur als vasomotorische Störung angesehen werden. Beachtenswert ist das 
Verschwinden und Wiedererscheinen derselben. 

Mit dieser Plexuslähmung vergesellschaftet sich bekanntlich zuweilen eine 
Affection des Sympathicus, die sich durch Verengerung der Pupille und 
der Lidspalte, sowie Betraction des Bulbus auf der Seite, wo die Lähmung Platz 
gegriffen hat, kundgiebt Diese Symptome fehlen allerdings in unserem Falle, 
vielleicht ist aber die Hyperidrosis unilateralis als eine Sympathicusaffection 
aufzufassen. 

Was nun dem geschilderten Krankheitsfall meiner Ansicht nach ein be¬ 
sonderes Interesse verleiht, das ist der Umstand, dass derselbe einen progres¬ 
siven Verlauf zeigt, so zwar, dass sich der Krankheitsprocess nicht auf die 
einmal ergriffene Extremität beschränkt, sondern vielmehr centripetal weiter- 

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schreitet. Ausstrahlende Schmerlen von der Schulter an dem Halse 
hinauf, Druckempfindlichkeit der Halswirbelsäule, Schmerzen in 
der linken Kopf- und Gesichtshälfte, Neuralgie im Unterkiefer der 
erkrankten Seite, Parästhesieen in der linken Gesichtshälfte (Gefühl von 
Taubsein, Gefühl als ob die Haut festsitze), Herabsetzung der Hautsensi¬ 
bilität der linken Kopf- und Gesichtshälfte, Schmerzempfindlich¬ 
keit sämmtlicher Druckpunkte, Verstreichen der linken Nasolabialfalte, 
anfallsweise auftretender Nystagmus des linken Auges, Hypersecretion 
der Conjunctiva desselbeu, Herabsetzung der Sensibilität der Horn¬ 
haut des linken Auges, linksseitiger Schnupfen, ferner Schmerzen und 
Schwäche in der linken unteren Extremität, Schmerzempfindlichkeit der 
Druckpunkte im Verlauf des linken Ischiadicus, Parästhesieen (Sengein und 
Brennen), das Erlöschen des Patellarsehnenreflexes, die Herabsetzung 
der Hautsensibilität am linken Bein — alle diese Erscheinungen bewiesen 
deutlich, dass nahezu die meisten Hirn- und peripheren Nerven der linken 
Körperhälfte successive befallen worden sind. Die Einzelsymptome sind so be¬ 
weisend für das Ergriffensein der betreffenden Nerven, dass ich ein näheres 
Eingehen auf dieselben mir erlassen darf. Dass es sich hier um ein Weiter- 
schreiten einer entzündlichen Reizung entlang der Nervenbahnen handelt, 
dürfte wohl zur Genüge aus der Krankengeschichte hervorgehen. Beachtens- 
werth ist, dass der Krankheitsprocess an keiner Stelle auf die entgegengesetzte 
rechte Körperhälfte Übergriffen hat 

Was die Prognose anbetrifft, so konnte dieselbe — zumal bei dem vor¬ 
geschrittenen Lebensalter des Patienten — nicht günstig gestellt werden. Leider 
habe ich den Kranken später aus den Augen verloren. 


2. Zur Elektrodiagnostik der Oculomotoriuslähmungen. 

Von Dr. J. K. A. Werthelm Salomonson, Priv.-Doc. an der Universität Amsterdam. 


1. Die Augenmuskeln gelten als einer elektrodiagnostischen Untersuchung 
unzugänglich. 

C. Ebb, Elektrotherapie und Diagnostik. 1886. S. 450. 

Remak, Grundriss der Elektrodiagnostik. 1895. S. 49. 

Hibt, Elektrodiagnostik. 1898. S. 102. 

v. Zibmssbm regt zur elektrischen Untersuchung der Iris an. ‘ Seine Thier- 
versuohe haben ihm die Möglichkeit gezeigt, den Sphincter iridis durch elektrische 
Reizung zur Contraction zu veranlassen. Ob jedoch in dieser Richtung bei 
Menschen mit Oculomotoriuslähmungen expenmentirt wurde, ist mir nicht 
bekannt. 


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Pausier in seiner Electrotherapie oculaire 1896 erwähnt die elektro- 
diagnostische Angenmnskel-Untersuchnng gar nicht. 

2. Die Ursache der ausbleibenden sichtbaren Locomotion des Bulbus bei 
der elektrischen Augenmuskelreizung wird von den meisten Autoren dem ge¬ 
ringen elektrischen Leitungswiderstande des Bulbus zugeschrieben. Die benach¬ 
barten Muskeln und Nerven haben einen so vielmals grösseren Widerstand, dass 
die meisten Stromfäden den Bulbus durchsetzen und bloss ein verschwindend 
kleiner Stromtheil den Muskel oder den Nerven trifft. Selbst wenn man nach 
EuiiEnbusg’s Vorgang nach Cocainisirung der Conjunctiva die Muskeln an ihrer 
Ansatzstelle. reizt, erhält man noch keine sichtbare Excursion des Augapfels 1 
trotz der ansehnlichen Stromstärke und Dichte von 0,5 Milliampere und 
0,5 ccm Elektrodenoberfläohe. 

Vergrösseruug der Stromstärke über 1—1,5 Milliampere, die allenfalls zum 
Ziele führen müsste, ist nicht zulässig wegen der Gefahr, die Retina zu schädigen 
(Düchenne). 

3. Einen Muskel jedoch giebt es, der unter Umständen der directen per- 
cutanen elektrischen Reizung zugänglich ist (der Levator palpebrae superioris). 

Bei normalen Individuen ist der Muskel weder galvanisch, noch faradisch 
reizbar; auch nicht bei Patienten mit peripherischer Facialislähmung. 

Während einer paralytischen Ptosis ist der Muskel bisweilen reizbar, indess 
nur mit dem galvanischen Strome. 

Die dazu nöthige Stromstärke wechselt bei den verschiedenen Patienten 
und zu verschiedenen Zeiten zwischen 0,03 und 1,4 Milliampere. Der motorische 
Funkt liegt einige Millimeter unter dem Orbitalrande, in der Mitte desselben, 
also unter dem höchsten Punkte des Orbitalrandes. Als Elektrode benutze ich 
vorzugsweise eine 5 mm grosse, runde, knopfförmige, mit Leder oder Flanell 
überzogene Elektrode. — Stromschliessungen sind vorzugsweise nicht am Elek¬ 
trodenheft, sondern am Apparat auszuführen, da die sonst fast nicht zu.ver¬ 
meidende Verschiebung der Elektrode eine Zuckung Vortäuschen könnte. — 
Bei Fixirung der Elektrode mit der freien linken Hand ist auch der Gebrauch 
des gewöhnlichen Unterbrechungsheftes zulässig. 

4. Nach Durchschneidung eines motorischen Nerven treten die bekannten 
Erscheinungen der Entartungsreaction auf. Hierzu gehört vor Allem die ver¬ 
änderte directe galvanische Erregbarkeit, welche vom 12. Tage an schon deut¬ 
lich zu finden ist. Wir sehen träge Contractionen, und noch einige Tage später 
treten diese bei erstaunlich niedriger Stromstärke zum Vorschein. Was für die 
sämmtlichen motorischen Nerven gilt, hat auch Gültigkeit für den N. oculo- 
motorius. Bei vollkommener Durchtrennung des Nerven muss auch in den vom 
Oculomotorius innervirten Muskeln nach uugefähr 3 Wochen erhöhte directe 
galvanische Reizbarkeit bestehen. Und wirklich finden wir in einem solchen 
Falle nach 3 Wochen deutlich träge Contractionen des Levator bei der directen 
galvanischen Reizung an der oben bezeichneten Stelle. 


1 EüLK5BL’EG. Centralbl. f. prakt. Augenheilk. 1887. S. 88. 

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Ich habe Levatorcontractionen zuerst am 16. Tage nach dem Entstehen 
einer Oculomotoriuslähmung gesehen. Wahrscheinlich hätte ich diese auch schon 
am 14. Tage hervorrufen können. Die nothwendige Stromstärke betrug 1,2 Milli¬ 
ampere. Man wird in der Stromstärke nur beschränkt durch das Auftreten von 
Contractionen des Orbicularis palpebrarum. Vom 14. Tage an sinkt die Strom¬ 
stärke schnell herab bis zu dem 25. Tage, zu welcher Zeit ein Strom von nur 
0,08 Milliampöre, von drei Elementen geliefert, eine minimale Contraction ergab. 
Kathodenächliessung verursacht am leichtesten eine Contraction. Bei stärkeren 
Strömen ist auch Anodenöffnungszuckung erhältlich. Einige Tage später erscheint 
auch Anodenschliessungszuckung, die schon bald stärker wird als die AnOz, 
und noch später bei der gleichen Stromstärke als die Kathodenschliessungszuckung 
erzeugt werden kann. Es dürfen aber auch andere Verhältnisse Vorkommen. 
KaDTet ist ziemlich schwierig und nur bei höherer Stromstärke, 1,4 Milliampere, 
zu erreichen. 

.5. Der weitere Verlauf gestaltet sich in den verschiedenen Fällen auch dem 
Verlaufe der Paralyse entsprechend. Bei mittelschweren Fällen sinkt die Erreg¬ 
barkeit mit eintretender Genesung sehr schnell. Bei schwereren Fällen bleibt 
die Erregbarkeit des Levator längere Zeit bestehen. Nach 8 Monaten gelingt 
es noch, Zuckungen auszulösen; die Zuckungen werden jedoch allmählich 
schwächer und sind zuletzt mit der höchsten zulässigen Stromstärke — 1,4 Milli¬ 
ampere — nicht mehr zu erzielen. 

6. Die Zuckungen sind immer deutlich träge, jedoch nicht so träge, wie 
man sie oft bei peripherischen Lähmungen sieht. Die Dauer einer maximalen 
Zuckung am 25.—80. Tage, also während der maximalen Erregbarkeit, dürfte 
jedenfalls 0,5 Secunde betragen. Die Excursion des oberen Augengliedes ist 
Anfangs sehr gering und beträgt nur Bruchtheile eines Millimeters. Später 
wird die Excursion grösser und kann bis 8 mm erreichen. 

7. Contraotionen des Levator sind erhältlich in mittelschweren und schweren 
Fällen peripherischer Oculomotoriuslähmung. Bei leichten Fällen sind keine 
Zuckungen auslösbar, wenn die gesammte Krankheitsdauer etwa 6 Wochen ist 

Bei den nucleären und fasciculären Oculomotoriuslähmungen müsste man 
a priori eine, der Entartungsreaction entsprechende, Reizbarkeit des Levator er¬ 
warten. Die von mir untersuchten Fälle entsprechen aber nicht dieser Erwartung: 
in keinem Falle fasciculär oder nucleär bedingter Ptosis habe ich eine Levator¬ 
zuckung auslösen könnend 

In einem Falle von congenitaler Ptosis war ebensowenig eine Contraction 
zu bemerken. Auch in einem Falle von recidivirender Oculomotoriuslähmung 
blieb die Reaction bis jetzt aus, obgleich sich jetzt allmählich eine permanente 
Oculomotoriusparese ausgebildet hat. Die meisten der angeführten Fälle sind 
in meiner in der holländischen Sprache verfassten ausführlichen Mittheilung 1 
dargelegt 

8. Die Reizbarkeit des Levator palpebrae superioris ist also wahrscheinlich 


1 Psychiatrische en Neurologische Bladen. 1898. Nr. 1. 


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ein Zeichen der Entaxtungsreaction bei mittelschweren und schweren Oculo- 
motoriuslähmungen. Schnelles Versohwinden der Reizbarkeit zeigt auf eintretende 
Genesung hin. 

Die Reizbarkeit scheint bei nucleär und fasciculär bedingter Ptosis zu fehlen. 
Ebenfalls bei leichten und recidivirenden Lähmungen. 

9. Die Unmöglichkeit, die Bulbusmuskeln zu reizen, dürfte, ausser von den 
ungünstigen Verhältnissen des Leitungswiderstandes (v. Ziemsskn) , von dem 
permanenten Tonus der Augenmuskeln bestimmt werden. Es ist nicht möglich, 
die Augenmuskeln willkürlich zu erschlaffen. Dadurch wird eine Exoursion des 
Bulbus unter dem Einflüsse der galvanischen directen Reizung eines erlähmten 
Augenmuskels verhindert Die unzweifelhaft stattfindende träge Zuckung kann 
den Tonus der gesunden Muskeln nicht überwinden. Wahrscheinlich wird dies 
aber in tiefer Narcose wohl möglich sein. Bis jetzt war ich nicht in der Lage, 
dies näher zu untersuchen. 


3. Ein Fall von Bernhardt’scher Sensibilitätsstörung am 

Oberschenkel. 

Von Dr. A. Good in MQnsingen. 

Als casuistischer Beitrag zur Neuritis, welche als BEENHABDT’sche Sensi¬ 
bilitätsstörung in den letzten 3 Jahren mehrfach in dieser Zeitschrift beschrieben 
wurde, möchte auch folgender Fall dienen. 

Vor etwa einem Jahre trat eine Wärterin der Anstalt in meine Behandlung 
mit Klagen über Schmerzen im linken Oberschenkel, und zwar zeitweise von 
solcher Heftigkeit, dass ihr das Stehen schwer wurde. Die Kranke, eine sonst 
ganz gesunde, sehr kräftige Person, ohne jede nervöse Belastung, hatte im 
Kindesalter Scharlach durchgemacht, war aber vollständig ohne irgendwelche 
Residuen geheilt. 

Seit 14 Jahren Wärterin in Irrenanstalten, hatte sie an einer Stelle vor 
6 Jahren viel in einem kalten Waschhaus zu arbeiten und mit nassen Füssen 
im Durchzug zu stehen. 

Damals war sie mit den ganz gleichen Schmerzen im linken Oberschenkel 
erkrankt, wie letzten Spätherbst, und zwar, wie sie glaubte, in Folge von Er¬ 
kältung. Anfänglich hatte sie damals das Gefühl von Spannung, Gefühllosig¬ 
keit, Filzigsein, Brennen, ein Gefühl als ob an der Stelle zu wenig Haut wäre. 
Hierzu kamen heftige stechende, brennende Schmerzen, die immer heftiger 
wurden, je mehr sie gehen und stehen musste. Im Bett waren sie am geringsten, 
störten sie aber doch viel im Schlaf. Ein beständiges Feuern und Stechen die 
ganze Aussenseite des Oberschenkels entlang machte ihr die Arbeit beschwerlich. 


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8 Monate hindurch wurde sie täglich massirt und faradisirt und konnte 
sich etwas schonen. Letzteres wohl mehr als die übrige Therapie, besonders 
aber die 8 Monate brachten allmählich Besserung. Die Schmerzen verschwanden 
vollständig, nur hatte Patientin noch längere Zeit links ein anderes Gefühl beim 
Betasten oder beim Reiben der Kleider als rechts. Doch auch das habe sich 
verloren, so dass man also nach Angabeü, der nebenbei gesagt zuverlässigen und 
gut beobachtenden Person, eine völlige Heilung annehmen musste. 

Ohne dass irgend ein ätiologisches Moment gefunden werden könnte, zeigte 
sich im September 1896 die gleiche Afifection zum zweiten Male und führte die 
Patientin nach einiger Zeit zum Arzte. 

Bei der Untersuchung zeigte sich völlige Anästhesie der vom N. cutaneus 
femoriB ext innervirten Hautpartie, und zwar wurden bei den mehrmals vor¬ 
genommenen Prüfungen die Grenzen der Anästhesie immer gleich und so scharf 
umschrieben angegeben, dass zweifelsohne dieser Nerv als isolirt ergriffen be¬ 
trachtet werden musste. 

Innerhalb des anästhetischen Bezirks werden ziemlich tiefe Nadelstiche nur 
als leise Berührungen empfunden. Auch der Temperatursinn war bedeutend 
herabgesetzt. Schmerzhaftigkeit oder Druckempfindlichkeit irgend eines Nerven- 
stammes am Beine bestand nicht, ebensowenig andere anästhetische Zonen am 
Körper. Es bestand ziemliche Herabsetzung der elektrischen Erregbarkeit der 
Muskeln, Nerven für alle Stromarten, hingegen keine Entartungsreaction im 
afficirten Gebiet. 

Das Leiden hatte das zweite Mal damit begonnen, dass Patientin links 
rascher müde wurde im Bein als rechts. Bei langem Stehen und Gehen bekam 
sie dumpfe Schmerzen, dann Brennen, „Feuern“ und ein starkes Spannungs¬ 
gefühl. Die Schmerzen hinderten die Kranke am Einschlafen, wurden überhaupt 
gegen Abend mit der Ermüdung imm er intensiver, so dass Patientin hinkte. 
Nach einiger Zeit milderten sie sich, wenn die Eiranke sich zur Ruhe gelegt. 
Druck auf jene Hautpartie war nicht schmerzhaft 

Die angewandte Therapie, die gewöhnlichen Mittel gegen Neuritiden halfen 
wenig; am meisten Linderung verschaffte Einreiben mit einer Chloroform¬ 
emulsion. , 

Nach und nach verloren sich die Schmerzen wieder, da der Wärterin 
möglich gemacht wurde ihr Bein etwas zu schonen, aber es blieb subjectiv ein 
anderes Gefühl links wie rechts. 

Auch jetzt noch, also ca. */ 4 Jahre nach Beginn der Affection ist die tactile 
Sensibilität, mit dem WsBBB’schen Tastercirkel gemessen, links gegen rechts 
auf 7s herabgesetzt. Leise Berührungen mit einem Pinsel fühlt Patientin in 
dem scharf begrenzten Bezirk des N. cutan. femoris ext nicht. Nadelstiche 
fühlt sie darin weniger stark, und wie sie sagt, anders als rechts. Auch braucht 
es immer noch, zur Erregung einer Zuckung, links stärkerer Ströme, wie an 
der gleichen Stelle des andern Beins. Eine rundliche, etwa 3 cm Durchmesser 
habende Stelle (vielleicht um die Austrittsstelle des Nerven herum) innerhalb 
der erkrankten Partie ist auch heute noch analgetisoh. 


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Es handelt sich also hier um einen Fall von BEBNHARDT’soher Sensibilitäts¬ 
störung am Oberschenkel oder mit anderen Worten um eine Neuritis des 
X. femoris cutan. ext. bei einer jungen Frauensperson, ein Fall, der nach 
ca. 6 Jahren recidivirte, das erste Mal in Anschluss an Erkältung und Durch- 
nässung entstand, dann völlig oder jedenfalls bedeutend mehr zurückging als 
das Recidiv, das nach 1 1 / 4 Jahren des Bestehens noch deutliche Sensibilitäts- 
störangen, wenn auch keine Schmerzen mehr, bestehen lässt. 


4. Zur Localisation des Muskelbewusstseins 
auf Grund eines Falles von traumatischer Kopfverletzung. 

Von Dr. Wladimir Muratow, 

Privat-Docenten an der Universität zn Moskau. 

Die Erscheinungen, welche einer Läsion der motorischen Sphäre des Gehirns 
folgen, sind sehr eingehend studirt worden und stellen ein am besten bekanntes 
Gebiet der Hirnpathologie dar. Für die Verletzungen der Centralwindungeu 
ist der folgende Symptomencomplex festgestellt: 

1. eine Lähmung in mono- oder hemiplegischer Form, 

2. eine Sensibilitätsstörung, welche sich parallel der Lähmung verbreitet, 
and hauptsächlich in der Störung des Muskelsinnes sich äussert, 

3. Anfälle von jAKSON’scher Epilepsie. 

Man muss dabei hervorheben, dass diese Trias der klinischen Erscheinungen 
nicht immer vorkommt Ein völlig ausgeprägtes klinisches Bild ist nur bei 
tieferen Zerstörungen der Hirnsubstanz zu beobachten. Die Frage über die 
Muskelsinnesstörung erscheint besonders streitig. Durch die experimentellen 
Untersuchungen ist diese Frage zum ersten Male angeregt, und bald treten 
einige Widersprüche in der Deutung der experimentell erworbenen Thatsachen. 
Munk \ welcher partielle Exstirpationen der einzelnen Rindenstellen anwendete, 
betrachtet die Störung des Muskelsinns als ein constantes Symptom der Ver¬ 
letzung der motorischen Sphäre; Goltz 2 , indem er die ganze Hirnoberfläche 
zerstörte, fand die Sensibilität unverändert. Bechtebew 3 studirte sehr eingehend 
die feinsten Sensibilitätsstörungen der operirten Thiere und konnte keine Störungen 
des Muskelgefühls bemerken. In der letzten Zeit constatirte Bechtebew 4 eine 
Sensibilit&tsstörung bei einem Affen; welchem er die erregbare Zone entfernt 


1 Mchk, Ueber Verrichtungen des Grosshirns. 1891. 

* Goltz, Pflügers Archiv. Bd. XXXIV. XLH. LI. 

* Bichtbrsw, Zar Physiologie der motorischen Sphäre (rassisch). Charkow 1888. 

4 Bkcbtkbkw, Sitzungsberichte der wissenschaftlichen Versammlungen der pBjcbiatr. 
Klinik der medicin. Akademie za St. Petersbarg. Wratsch 1887 (russisch); s. auch Bävue 
Neorologique. 1897. Nr. 16. 


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hatte. Auf diese Weise schliesst er sich der Meinung von Münk an. Dieselbe 
Ansicht hat Febbieb ausgesprochen. 

Im Jahre 1893 hatte ich 27 Experimente der Zerstörung der motorischen 
Sphäre an Hunden angestellt; ich habe stets eine Störung der Sensibilität 
beobachtet, welche mehr oder weniger ausgeprägt war. Es ist zu bemerken, 
dass in unseren Experimenten der Grad der Störung des Muskelgeföhls völlig 
mit der Tiefe und Grösse der Läsion übereinstimmte. Allmählich verschwinden 
diese Störungen bei kleinen Läsionen. Wie in den Versuchen von Goltz, ver¬ 
schwanden auch immer die Bewegungen, welche durch Uebung erworben waren. 
Es ist besonders zu bemerken, dass ein Stadium der Muskelsinnsstörung von 
dem Objecte der Untersuchung eine höhere psychische Thätigkeit fordert; auf 
diese Weise tritt sie aus dem Bahmen des physiologischen Thierexperiments aus 
und muss durch klinische Beobachtungen controlirt werden. Während wir yqü 
der experimentellen Forschung zur klinischen Beobachtung übergehen, treffen 
wir denselben Widerspruch in den Meinungen. 

ln den grossen Hand- und Lehrbüchern der Nervenkrankheiten findet man 
nur eine kurze Erwähnung von der Störung des Muskelgefühls, ohne eine ein¬ 
gehendere Analyse dieses . Symptoms darzustellen (Gowebs, Chabcot und 
Bbissaüd, Gbabsbt). ln der letzten Zeit haben Chabcot und Pitbes diese 
Störungen als functionelle hysterische erklärt 

Indem ich die experimentellen Resultate durch anatomische Forschungen con- 
trolirte, fand ich eine ausgedehnte Degeneration der Bogenfasern. Als Grund¬ 
lage für unsere Schlüsse über Physiologie der motorischen Sphäre haben wir 
die Ansicht von Munk und Webnioke 1 * * angenommen, dass die motorische 
Sphäre ein OrgEta für Bewegimgsvorstellungen darstelle. Die Störung des 
Muskelsinns betrachten wir als eine Störung der Associationsthätigkeit des Gross¬ 
hirns, und wir haben die Degeneration der Bogenfasem schon im Jahre 1898 
als anatomisches Substrat angenommen. Diesen Schluss haben wir mit folgenden 
Worten geäussert: „Die Störung des Muskelgefühls bei Herderkran¬ 
kungen der motorischen Sphäre der Rinde hängt von einer Zer¬ 
störung der Associationsbahnen ab.“* Im Jahre 1895 war ich 9 im Stande 
diesen Schluss durch klinische und pathologisch-anatomische Forschungen zu be¬ 
stätigen. Noch früher erschienen zwei sehr wichtige Arbeiten von Webnicke 4 * 
und Dana 6 . Webnicke stellte eine sehr genaue Beschreibung zweier Fälle von 
traumatischer Läsion des Gehirns im Gebiete der Centralwindungen an. In beiden 
Fällen beobachtete er eine Lähmung des Armes mit einer Störung des Muskel- 


1 Webnioke, Der aphasische Symptomencoraplex. Gesammelte Vorträge. 

* W. Muratow , Secnndäre Degenerationen nach Zerstörung der motorischen Sphäre 
der Rinde. Moskau 1893 (rassisch); s. auch Archiv für Anatomie and Physiologie 1893. 
Anat. Abthlg. 

* W. Mobatow, Zur patholog. Physiologie der corticalen Epilepsie. Zeitschrift für 
Nervenheilkunde. 1896. 

4 Webnioke, Arbeiten ans der psychiatr. Klinik zu Breslau. 1896. 

6 Dank, Journal of nervous and mental diseases and Brain. 1896. 


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gefähis and der tactilen Sensibilität; in einem Falle, wo die frontalen Windungen 
mitbetroffen waren, bestand auch Aphasie. Bei der Analyse der Bewegungs¬ 
störungen kommt Wernicke za dem Schlüsse, dass die Läsion in dem mittleren 
Drittel der Centralwindungen localisirt war. Den Verlust der tactilen Sensibilität 
erklärt er als eine Folge des Ausfalls der betreffenden Vorstellungen. Wernioke 
hebt in seinem „Beitrage zur Localisation der Vorstellungen“ aus¬ 
drücklich hervor, dass die Bewegungsvorstellungen und der Muskelsinn eine 
complicirte Verrichtung der Assooiationsbahnen, nämlich der Bogenfasern der 
Rinde, darstellen. Eine andere sehr bedeutende Mittheilung stammt von Dana. 

Nach einer Analyse der experimentellen Thatsachen giebt Dana eine 
Uebersicht der pathologischen Fälle. Er will nicht mit Bastian annehmen, 
dass centrale Windungen ein sensorisches Centrum darstellen, dem Wesen nach 
and sie motorisch. Die Rinde der Centralwindungen hat eine sensorisch-moto¬ 
rische Function; sie bildet ein Organ von sensorisch-motorischen Vorstellungen. 
Die Anschauung von Dana ist der Ansicht von Munk und Wernicke, welche 
die motorische Sphäre als ein Organ der Bewegungsvorstellungen bestimmen, 
sehr nahe. Man muss bemerken, dass die Ansicht von Mitbetheiligung des 
Muskelsinns in der Organisation der Raumvorstellungeu schon in den Arbeiten 
von Mbynert und Wundt ausgesprochen ist. So spricht Meynbrt von den 
Raumvorstellungen, welche durch Bewegung des Augapfels gebildet worden sind. 
In unserer Arbeit (1893) haben wir die Ansicht Meynert’s etwas weiter ge¬ 
fördert. „Die Raumvorstellungen sind nicht ausschliesslich mit den 
Augenbewegungen, sondern mit jeder Muskelbewegung verbunden. 
Die Bestimmung des Innervationsimpulses (Wundt) und die Ver¬ 
änderung der Lage eines Gegenstandes kann nicht als einfache 
Empfindung bestimmt werden: Zweifellos haben wir es hier mit 
einer Combination der Empfindungen, das heisst mit einer höheren 
psychischen Thätigkeit zu thun.“ 1 

Auf diese Weise kam ich zu diesem Schlüsse schon im Jahre 1893, indem 
ich die Ansicht Metnert’s weiter entwickelte. Nach der Terminologie, welche 
ich etwas später für die combinirte Gehimthätigkeit vorgeschlagen habe, gehört 
das Muskelgefühl zur „integrellen“ Function des Grosshims. 2 

Den Schluss, dass die Bogenfasern an der Bildung der Raumvorstellungen 
Theil nehmen, haben wir theils durch anatomische Thatsachen der Degeneration 
derselben bei focaler Zerstörung der motorischen Rinde, theils durch psycho¬ 
logische Zusammenstellung begründet. 

Kürzlich im Jahre 1895 hatten wir Gelegenheit diese experimentellen That¬ 
sachen durch eine klinische Beobachtung und pathologisch-anatomische Unter¬ 
suchung zu bestätigen. Wir werden unsere damalige Beobachtung hier kurz 
referiren. Eine 53 Jahre alte Frau. Hemiplegia sinistra, Anfälle von corticaler 


1 Mubatow , L e. S. 148, 

* Mubatow, Ueber intelloctnelle Function des Gehirns. Vortrag, gehalten in einer 
öffentlichen Sitzung des Vereins der Neuropathologen zu Moskau 1896. 

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Epilepsie, welche vom Arme beginnen, dann das Gesicht und das Bein treffen. 
Eine ausgeprägte, dem Grade der Lähmung parallele Störung der Sensibilität 
links. Nur die Extremitäten anästhesirt, die Sensibilität der Brust und des 
Rumpfes unverändert Lungenschwindsucht. Eine atheromatöse Degeneration 
der Gefässe. Tod durch tuberculöse Pneumonie. 

Ein Erweichungsherd der Rinde der Centralwindungen, das mittlere und 
das untere Drittel sind zerstört Mikroskopisch constatirte ich eine ausgebreitete 
Degeneration der Bogenfasern unter den Centralwindungen. Die Rindensubstanz 
theils zerstört, theils secundär atrophirt. Eine partielle Entartung der tiefen 
Associationsbahnen. 

Wie es durch pathologisch-anatomische Forschung bewiesen wurde, hing in 
diesem Falle die Muskelsinnstörung von der Entartung der Bogenfasern ab. Die 
sensiblen Leitungsbahnen der inneren Kapsel zeigen mikroskopisch keine Ver¬ 
änderung. In der Epikrise dieses Falles waren wir zum Schlüsse gelangt, dass 
die Störung des Muskelsinns mit der verbreiteten Degeneration der Bogenfasem 
in Zusammenhänge stehe. In der letzten Zeit beobachtete ich 1 einen Fall von 
allgemeiner Paralyse, welcher mit Störung des Muskelgefühls in hemiplegischer 
Form combinirt war; bei der mikroskopischen Untersuchung fand ich auch eine 
ausgeprägte Degeneration der Bogenfasem. 

Unserer Meinung nach ruft die Entartung der Tangentialfasera keine 
Störung des Muskelsinns hervor: bekanntlich kommt eine Affection der Tangen¬ 
tialfasera bei der allgemeinen Paralyse öfters vor, trotzdem ist die Störung des 
Muskelsinns hei diffuser Encephalitis nur selten zu beobachten. Man beobachtet 
diese bei tieferen Rindenläsionen, bei welchen die Bogenfasem auch betroffen 
sind. Für die Pathogenese dieser Störung halten wir eine tiefe und genügend 
verbreitete Affection der Rinde für maassgebend. 

Als Organ einer isolirten Bewegungsvorstellung dient die Zelle der motori¬ 
schen Sphäre der Rinde. Für die Organisation der complicirten Vorstellungen, 
welche den Muskelsinn bilden, ist eine Cooperation eine synergische Thätigkeit 
von vielen Zellen, eine Combination von vielen Bewegungsvorstellungen nöthig. 
Die Bogenfasem sind die Träger dieser Combinationen. In der That folgen den 
circumskripten, selbst tieferen Läsionen bei einem beschränkten Degenerations- 
processe weder Muskelsinnstörung, noch epileptische Anfälle. Zur weiteren Be¬ 
gründung der Ansicht, dass die Bogenfasem die Associationsbahnen der Be¬ 
wegungsvorstellungen sind, müssen wir bemerken, dass im oben angeführten 
Falle der progressiven Paralyse mit Muskelsinnstörung von den tangentialen 
Fasern nur die oberflächliche Schicht degenerirt war, indem die tieferen Fasern 
von Bechterew und Baillabgeh normal geblieben und die Bogenfasem stark 
entartet waren. 

Die Fälle von traumatischer Verletzung des Gehirns stellen ein besonderes 
Interesse dar: nach der strengen Localisation der Zerstörung kann man diese 


1 Ucber die protrahirten corticalen Krämpfe bei der allgemeinen Paralyse. Neurolog. 
Centralbl. 1897. 


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Fälle mit dem Experimente vergleichen. Ich entschliesse mich daher einen 
solchen Fall mitzutheilen. Das klinische Interesse des Falles wird dadurch er¬ 
höht, dass die traumatische Läsion im frühesten Alter stattgehabt hatte. 

Die Kranke T. K., ein 23jähr. Mädchen, ist als ein 6jähr. Kind ins Catharinen 
Asyl eingetreten. Ohne hereditäre Anlage. Die Eltern sind gesund, eine Schwester 
ist in frühester Kindheit an einer acuten Krankheit gestorben, die andere Schwester, 
20 Jahre alt, ist gesund und verheirathet. Soweit die Erinnerung der Kranken 
reicht, ist sie gelähmt und leidet an epileptischen Anfällen. Ihre Mutter sagte ihr, 
dass die Krankheit vom ersten Lebensjahre begonnen hatte. Als ein ätiologisches 
Moment führt sio einen Sturz vom Ofen herunter an. Da erschienen die allgemeinen 
Krampfanfälle, von dieser Zeit an blieb sie gelähmt. Wie wir später sehen werden, 
ist diese Anamnese durch objective Untersuchung ihres Schädels, durch eine tiefe 
traumatische Verletzung der Knochen bestätigt. 

Status praesens: Ein junges Mädchen von guter Ernährung und starkem 
Körperbau. Eine rechtsseitige Hemiparese. Der rechte Mundwinkel ist etwas herab- 
gesenkt, die rechte Nasolabialfalte ist abgeflacht. 

Im Gebiete des unteren Facialisastes sind von Zeit zu Zeit leichte clonische 
Zuckungen zu bemerken. Der rechte Arm ist paretisch, im Ellbogengelenke ist eine 
Beugecontractur, das passive Ausstrecken ist unmöglich. Im Handgelenke eine Beuge- 
und Supinationscontractur. Die Finger sind flectirt. Die Kumpf- und Nacken¬ 
muskulatur ist gut erhalten. Sie kann gut gehen, es ist nur ein leichtes Nach¬ 
schleppen des rechten Beines zu bemerken. Im Bette kann sie das Bein gut 
bewegen. Die Bewegungen im Hüft- und Kniegelenk sind normal. Im Fussgelenk 
eine massige Contractur der Achillessehne. Die Zehen sind gelähmt. Die passiven 
Bewegungen des Knie- und Hüftgelenks sind frei, nur im Fussgelenk etwas rigid. 

Die gelähmten Muskeln des rechten Armes sind atrophirt; am meisten sind die 
Muskeln des Vorderarms betroffen. Deltoideus, Triceps und Biceps sind etwas atro¬ 
phirt. Der rechte Gastrocnemius ist auch atrophisch. Die faradische Erregbarkeit 
ist erhalten, in atrophischen Muskeln etwas verringert. 

Die Pupillen sind gleich verengt, reagiren gut. Der Pharyuxreflex erhalten. 
Die Patellerreflexe beiderseits erhöht. Von den Sehnen des Triceps und Gastro- 
cnemius kann man keinen Reflex erhalten. Die Sphincteren normal. 

Die Sensibilität ist auf beiden rechten Extremitäten herabgesetzt. Der Tast¬ 
sinn ist stärker als das Schmerzgefühl betroffen. Die Kranke ist im Stande Stiche 
und Berührungen zu unterscheiden, die Stiche sind aber mit keiner Schmerzempfindung 
verbunden. Die Localisation der tactilen Reizungen rechts ist gestört. Am stärksten 
ist das Muskelbewusstsein, d. h. die Bestimmung der passiven Bewegungen, der Form 
der Gegenstände afficirt. Bei passiver Flexion der Finger nimmt sie nur eine tactile 
Beizung wahr, sie spricht dabei: „Sie halten meinen Finger.“ Die Bewegung, des 
Fingers fühlt sie nicht, und kann weder den Umfang, noch die Richtung derselben 
bestimmen. Eine ähnliche Störung des Muskelgefühls im Handgelenk. Im Ellbogen¬ 
gelenk fühlt sie die Bewegung, aber schlecht. Eine ebensolche Störung des Muskel¬ 
gefühls ist auch in den Zehen zu bemerken. Mit der Hand kann die Kranke nicht 
die Form der verschiedenen Gegenstände bestimmen. Sie kann nicht die Form eines 
Schlüssels und einer Kugel unterscheiden; eine glatte und eine rauhe Oberfläche 
unterscheidet sie auch nicht. 

Die psychische Thätigkeit unverändert. 

Auf meine Bitte hat Herr Prof. Zebnow den Schädel der Kranken mit seinem 
Encepbalometer 1 untersucht. 


1 Die Beschreibung dieses Instrumentes ist von Prof. Zbbkow in seiner Abhandlung 
„Encephalometer" russisch und französisch gegeben. 

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Er ist dabei zu folgenden Schlossen gekommen: 

Das mittlere Drittel der Centralwindnngen ist zerstört, zum Theil ist das obere 
und untere Drittel und Qyrus angularis mitbetroffen. 


Der oben beschriebene Fall stellt von vielen Seiten einiges Interesse dar. 

Die traumatische Entstehung des Leidens ist durch Anamnese festgestellt. 
Wenn wir an den Angaben der Kranken zweifeln wollen, so bestätigt doch das 
Vorhandensein des Schädeltraumas ihre Worte. Der Untersuchung des Prof. 
Zebnow verdanken wir die genaue Projection der Schädelfractur auf die Ober¬ 
fläche der Hirnhemisphäre. Die localen Symptome treffen mit der Localisation, 
welche durch encephalometrische Messung bestimmt war, zusammen. Wir werden 
doch dem Wege der gewöhnlichen klinischen Analyse folgen. 

Die Kranke stellt jetzt folgende hauptsächliche Erscheinungen dar. 

1. Eine halbseitige Lähmung der rechten Extremitäten und der rechten 
Gesichtshälfte, welche mit einer Muskelatrophie und Entwickelungshemmung des 
Knochenskeletts verbunden ist. 

2. Eine Störung der Sensibilität mit einer vorhergehenden Affection des 
Muskelgefühls. 

3. Anfalle von corticaler halbseitiger Epilepsie mit typischer Anordnung 
und constantem Anfänge der Krämpfe. 

Diese Symptome genügen, um eine genaue Localisation des Herdes fest¬ 
zustellen. 

Der Herd ist in der linken Hemisphäre und nämlich in der Rinde zu 
suchen. Ausser den typischen oorticalen Anfällen kann man diese Localisation 
auf Grund der constanten Erscheinungen annehmen. Das Muskelgefühl ist am 
stärksten afflcirt. Wie die Lähmung, so ist auch die Sensibilitätstörung in der 
oberen Extremität stärker ausgeprägt, als in der unteren. An Brust und Rumpf 
ist die Sensibilität normal. 

Wenn wir es mit einer Affection der Leitungsbahnen zu thun hätten, würde 
die Anästhesie von anderem Typus und anderer Anordnung sein. Bei einer 
Läsion der inneren Kapsel ist die tactile Sensibilität und Schmerzgefühl am 
stärksten und dazu in hemiplegischer Form afflcirt Das Muskelgefühl bei dieser 
Localisation bleibt normal, oder gesammt mit Muskelsinnstörung sind auch die 
Leitungsbahnen für höhere Sinnesorgane betroffen. (Der hintere Abschnitt der 
inneren Kapsel). Bei unserer Kranken sind keine sensible Leitungsbahnen, aber 
die Perceptionscentra zerstört Das Gebiet dieser Centra fallt mit der motorischen 
Sphäre zusammen. 

Auf Grund der klinischen Analyse unseres Falles kommen wir zum folgen¬ 
den Schlüsse: hauptsächlich sind die centralen Windungen in ihrem mittleren 
Theile betroffen, znm Theil ist auch das obere und das untere Drittel afflcirt* 
wie es die Krämpfe und Lähmungen der unteren Extremität und Gesichts¬ 
muskulatur Erweisen. Nämlich auch die von Prof. Zebnow genau ausgeführten 
Schädelmessungen zeigen die Projection des Knochendefectes in diesem Gebiet. 

Zwar kann man die Localisation der Herdveränderung nur auf Grund des 
klinischen Bildes feststellen, doch fügen die Messungen von Prof. Zebnow eine 


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wichtige Thatsache zur Diagnostik dieses Falles hinzu. Bei dem Zusammen¬ 
treffen der klinischen Localisation mit dem Knochendefect kann man sicher be¬ 
haupten, dass die Bindenläsion einen traumatischen Ursprung hat Es ist von 
einer ausserordentlichen Wichtigkeit für die operative Behandlung das Zusammen¬ 
treffen der Knochen- und Hirnläsion festzustellen. Was die Diagnose des krank¬ 
haften Processes betrifft, so muss man in unserem Falle eine traumatische 
Hirnblutung mit nachfolgender Erweichung annehmen. 

Damit ist die klinische Diagnostik unseres Falles abgeschlossen, es bleiben 
noch einige allgemein-pathologische Bemerkungen übrig. Die Genese der epilepti- 
formen Anfälle ist bei oben angeführten Localisationen leicht zu verstehen! In 
einer anderen Mittheilung haben wir die epileptischen Anfalle als ein Degenera¬ 
tionssymptom der Rinde betrachtet Wir haben dort zwei für die Entwickelung 
der corticalen Anfälle unerlässliche Bedingungen festgestellt: 

1. Das Vorhandensein eines destructiven Processes der Rinde. 


2. Eine Entartung der Bogenfasern, welche mit einer secundären Degenera¬ 
tion oder mindestens einer functionellen Veränderung der Rinde verbunden ist 


In Facialisoentrum bemerkten wir einige Erscheinungen einer constanten 
Beizung in Form von protrahirten Krämpfen. Wie wir in einer anderen Arbeit 
gezeigt haben, halten wir diese Erscheinungen für ein Degenerationssymptom 
der Rinde. Sie zeigen eine Hypertomie der Zellen an, welche der Entartung 
der Bogenfasem folgt 

Die Störung des Muskelsinns, wie wir schon früher gezeigt haben, und wie 
jetzt von Weknicke und Dana angenommen ist, stellt, eine Ausfallserscheinung 
der Associationsvorgänge in der motorischen Sphäre der Rinde dar. Wir müssen 
hier die Richtigkeit der Ansicht von Munk und Wernioke hervorheben, 
dass die sogennante motorische Sphäre ein psychisches Organ der Bewegungs- 
Vorstellungen sei. 

Die Bewegungsvorstellungen, besonders die Vorstellungen der erlernten Be¬ 
wegungen ist als ein Endresultat der complicirten Associationen zu betrachten; 
die sensiblen Reizungen treten als eine Componente hinzu. 

Die einfachen Empfindungen des Stiches nehmen wir mit dem peripherischen 
l&dapparate wahr, und diese Empfindungen erreichen das Gehirn durch Leitungs¬ 
bahnen. Die complicirten Vorstellungen von einer glatten oder rauhen Ober¬ 
fläche, die Bestimmungen der passiven Bewegungen sind streng von einfachen 
Empfindungen zu unterscheiden. 

Im ersten Falle fällt die psychologische Aufgabe mit der Wahrnehmung der 
einfachen Reizung der Haut zusammen, im zweiten ist die Haut gereizt, die 
Muskeln und der Bindeapparat passiv ausgedehnt ln der Bestimmung dieser 
passiven Bewegung ist auch eine wichtige Rolle den früheren Erinnerungen zu¬ 
zuschreiben. Dieselben Bedingungen sind auch bei den willkürlichen erlernten 
Bewegungen unentbehrlich. Hier ist eine genaue Synergie der einzelnen Hirn- 
centra erforderlich, dabei sollen die Associationsbahnen völlig intact sein. Auf 
diese Weise ist leicht zu verstehen, warum die Entartung der Bogenfasern mit 

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einer Störung des Muskelgefühls und einer Ataxie der erlernten Bewegungen 
verbunden ist 

Bei dem jetzigen Stande unserer Kenntnisse, können wir diese Ergebnisse 
der experimentellen Pathologie ohne weiteres in das klinische Gebiet übertragen. 

Die Muskelsinnstörung kann man als ein diagnostisches Zeichen 
des tiefen destruotiven Processes des motorisohen Gebietes der 
Hirnrinde annehmen. 

Neben anderen diesbezüglichen Fällen ist unsere letzte Beobachtung als 
ein neuer Beweis dieser Ansicht zu betrachten. 

Trotz eines allgemein-pathologischen Interesses hat unser Fall für die Klinik 
der infantilen Lähmungen einige Bedeutung. Wir haben schon oben die trau¬ 
matische Aetiologie festgestellt. 

Wenn wir das klinische Bild der traumatischen infantilen Lähmung und 
das der infantilen Hemiplegie, welche von diffusen Erkrankungen des Gehirns 
abhängen, vergleichen wollen, können wir einen gründlichen Unterschied zwischen 
beiden bemerken. Den Entzündungsprocessen und anderen Erkrankungen des 
Gefasssystems ist gewöhnlich eine diffuse Verbreiterung, mit einer enormen Zer¬ 
störung combinirt, eigen. Daher prävaliren dort die allgemeinen Hirnerscheinungen 
und das Bild des focalen Processes tritt nicht so deutlich zu Tage. 

Die traumatische Lähmung hat eine strengere Localisaton, dabei treten die 
ocalen Erscheinungen in den Vordergrund. 

Diese Eigentümlichkeit ist besonders in unserem Falle deutlich ausgeprägt 
und ist für die operative Behandlung besonders wichtig. 

Wie schon Bergmann 1 festgestellt hat, ist die operative Behandlung nur 
in den Fällen von corticaler Epilepsie anzuwenden. Von diesem Standpunkte 
aus ist unser Fall auch als ein operativer zu betrachten. 

Wollten wir hier die operative Behandlung anwenden, so müssen wir eine 
tiefgreifende Entfernung der grauen und weissen Hirnsubstanz vornehmen. 

Dabei können wir nur eine Verminderung der epileptischen Anfälle ver¬ 
sprechen. Man muss dabei eine Contraindication nioht ohne Bedeutung in Be¬ 
tracht ziehen, nämlich dass die Erkrankung schon 23 Jahre dauerte und weit¬ 
greifende degenerative Veränderungen nicht auszuschliessen sind. 

Ferner wollen wir noch eine klinische Einzelheit erwähnen, nämlich dass 
unsere Kranke eine deutliche Entwickelungshemmung des Gesichtsskelets und 
der Extremitäten zeigt. Die Gesichtsmuskeln rechterseits sind mässig atrophirt 
oder richtiger unentwickelt. Dabei zeigt der Arm eine vorwiegende Atrophie 
im Gebiete des N. ulnaris — „Olypodactylie cubitole“ nach F£r£. Zweifelsohne 
ist die Atrophie von cerebralen Ursprung. Wir halten dieselbe für eine 
Degenerationserscheinung der Vorderhornzelle in Folge von der secundären Ent¬ 
artung der Pyramidenbahnen. (Die Atrophie der motorischen Zellen des Rücken¬ 
marks bei der Entartung der Pyramidenbahnen habe ich anatomisch bewiesen.*) 

1 Bbkokanh, Chirurgische Behandlung der Hirnkrankheiten. 

* vergl. unsere Abhandlung: Zur Pathologie der Gehirndegenerationen, d. Centralbl. 
1895. Nr. 11. 

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F&b£ 1 betrachtet halbseitige Entwickelungshemmung des Gesichts und des 
Körpers zusammen mit „Olypodactylie cubitale“ als eine klinisches Merkmal bei 
der gemeinen Epilepsie. Das Vorhandensein dieser Erscheinungen bei einer 
focalen Epilepsie bei der Kranken, welche in früher Kindheit 1 von einer schweren 
Hirnverletzung betroffen wurde, spricht der bekannten Ansicht von Ffinfc und 
Sachs zu Gunsten, dass die Fälle von früh eintretender Epilepsie einen orga¬ 
nischen Ursprung haben und mit einem angeborenen Hirnleiden verbunden zu 
sein pflegen. Die Hirnverletzung ist zu klein, um eine angeborene Himlähmung 
hervorzurufen und doch ist sie genügend gross, um degenerative Veränderungen 
des Gehirns zu geben und zur Epilepsie zu führen. In unserer Beobachtung 
ist die focale Entstehung der degeüerativen Eischeinungen zweifellos, daher kann 
diese Beobachtung einige mehr complicirte Fälle erklären. 

Zum Schlüsse erlaube ich mir, das schon früher von mir 3 Gesagte zu 
wiederholen. 

„Die pathologisch-physiologischen Bedingungen beziehen sich auf diejenigen 
Fälle, wo kein destructiver Process vorhanden ist, sondern alle Veränderungen 
bloss functioneller Natur sind. Soweit wir berechtigt sind, von den anato¬ 
mischen Erkrankungen auf die functionelle Epilepsie zu sohliessen, müssen wir 
wegen der Aehnlichkeit der klinischen Erscheinungen die Identität der Locali- 
aation des Processes annehmen.“ 


II. Referate. 


Anatomie. 

1) An experimental researoh upon oerebro-oortioal afferent and efferent 
tracts, by David Ferrier and William Aldren Turner. (Proceedings of the 
Rojal Society. Vol. LXII.) 

Mit Hülfe von destructiven Läsionen und dem Studium der secundären Degene¬ 
rationen an Affen wurden die Faserzüge, die Eindrücke allgemeiner oder speoieller 
Sensibilität zur Hirnrinde führen, untersucht. 

1. Was zunächst die Sehbahn betrifft, so wurde der Hinterhauptslappen ent¬ 
fernt, der Gyrus angularis exstirpirt, das Pulvinar thalami zerstört und das Splenium 
corporis callosi durcbtrennt. Eine corticofugale Bahn geht vom Hinterhauptslappen in 
der Sehstrahlung zum Pulvinar thalami derselben Seite und zu dem Corpora quadri- 
gemina anteriora derselben und znm Theil der anderen Seite. Der Gyrus angularis 
bat keine absteigende Bahn zu den Basalganglien, ist aber durch Associationsfasem 
mit den Gyrus temporalis superior, parietalis superior und dem Hinterhauptslappen 


1 Fgaä, Sur l’arret de devoloppement n. s. w. Rdvue de mddecine. 1896. 

* Sachs, A treatlse on the nervons diseases in Children. 

* W. Mohatow , Zur pathologischen Physiologie der corticalen Epilepsie. Zeitsehr. f. 
Ntnrenheilk. 1896. 


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verbanden. Vom Thalamus opticus zum Hinterhauptslappen und dem Gyrus angularis 
ziehen corticopetale Fasern. Die Gyri angulares und Lobi occipitales sind durch 
Commissurfasern durch Splenium und Forceps des Corpus callosum verbunden. 

2. Am Hörapparat wurde der Acusticus distal und proximal vom Ganglion 
acusticum accessorium durchschnitten; die hinteren Corpora quadrigemina wurden zer¬ 
stört, ebenso das Ganglion geniculatum internum, und der Gyrus temporalis superior 
wurde exstirpirt. Der N. vestibuli ist mit dem Deiters’schen Kern und dem Teg- 
mentum verbunden; wahrscheinlich besteht auch eine directe Verbindung mit dem 
Abducenskern. Die Verbindungen des N. cochleae gehen durch das Corpus trape- 
zoides und die laterale Schleife zum Corpus geniculatum internum der entgegengesetzten 
Seite; von dort aus geht ein aufsteigender Strang zum Gyrus temporalis sup. Nach 
Zerstörung des Ganglion acusticum gehen Degenerationen in beide obere Oliven und 
die Corpora quadrigemina posteriora. Nach Zerstörung des Gyrus temporalis sup. 
diegenerirt ein in den oberen Theil des Fons absteigender Nervenstrang. Beide Gyri 
temporales sup. sind durch den Forceps corporis callosi mittels CommissureDfasern 
verbunden und durch Associationsfasern mit dem Gyrus angularis und dem Hinter¬ 
hauptslappen. 

3. Das System der Hautsensibilität und andere corticopetale Bahnen wurden 
mittels Zerstörung des Tegmentum des Fons, des Crus cerebri, Thalamus opticus, des 
Corpus quadrigeminum post, studirt. Es treten corticopetale Degenerationen auf, die 
durch beide Glieder der Capsula int., die Capsula ext. und das Centrum ovale zur 
Hirnrinde zu verfolgen sind. Viele Fasern vom Thalamus opticus kreuzen durch das 
Corpus callosum zur entgegengesetzten Hirnhemisphäre. 

4. Die sensible Portion des Trigeminus und der Glossopharyngeus 
wurden proximal von ihren Ganglien durchtrennt. Ausser der Degeneration der auf¬ 
steigenden Trigeminuswurzel und der Glossopharyngeuswurzel wurden keine centralen 
Verbindungen klargelegt. 

5. Die Experimente an den präfrontalen und frontalen Regionen bewiesen 
die Existenz einer fronto-pontinen Bahn, die durch den vorderen Schenkel der 
Capsula int. und den inneren Theil des Pes cruris zum Pons absteigt. 

M. Rothmann (Berlin). 


Experimentelle Physiologie. 

2) Contributo allo Studio della nuolinazzione nelle vie di projezione del 
sistema nervoso centrale, per d'Abundo. (Communicazione. 1897. Catania.) 

Verf. bringt interessante Beiträge zur individuellen Entwickelung des Nerven¬ 
systems, speciell der Myelin-Entwickelung. Zweimal fand er so das Nervensystem 
bei Kindern von 5 und 6 Tagen gleich dem eines 7 monatlichen Fötus, und einmal 
war die Myelin-Entwickelung bei einem Kinde von 8 Tagen cet. par. viel vor¬ 
geschrittener als von solchen imi Alter von 3 und 5 Monaten. In einem 6 monat¬ 
lichen Fötus war das Gowers’sehe B&ndel bis zum Bulbus mit Myelin eingehüllt 
(ebenso in einem 7monatlichen) und der Goll’sche Strang mit feinen Fasern war im 
Halsmarke wie in 2 Streifen zerlegt, einem inneren und äusseren, der oben nur wenig 
myelinisirt war. Wenig Myelin zeigte auch der Seitenstrang im hinteren Theile. 
Sehr entwickelt war dagegen die vordere Commission. Die graue Rückenmarkssubstanz 
zeigte reiche Nervenfasern aussen an der Subst. gelatinosa. Die Kopfnerven waren 
gut myelinisirt. . Vom Corpus restiforme aus gingen verschiedene Markfasem in das 
Kleinhirn; eine reichliche Portion ging in die Gegend der Nuclei dentati- und des 
tectums. Markfasern gingen auch vom äusseren Nucleus acusticus aus nach den 
Nuclei tecti hin. In einer 7 monatlichen Frucht zeigte sich kaum der Anfang einer 


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Markbildung der subcorticalen Gegenden des Kleinhirns. Bei Kindern von 5 und 
8 Tagen sah Yerf. deutlich den Markbeginn im mittleren Kleinhimstiele, während in 
anderen von 19 und 44 Tagen nichts davon zu sehen war. Mit 7 Monaten des 
Fötallebens war stets das Bückenmarksgrau, reich an Myelinfasern, mehr im Halse, 
als im Bücken, am meisten im Lumbartheile. Die Pyramidenbündel entwickelten sich 
bisweilen sehr schnell. Bei einem Kinde von 19 Tagen waren sie schon ziemlich 
markhaltig in den Peduncolis cerebri, im Pons und Bulbus, aber nicht im Bücken- 
mark, ebenso wenig Markfasern im mittleren Kleinhirnstiele. Bei mehreren Kindern 
von 9, 11 und 14 Monaten waren die Pyramidenstrangfasern lange nicht so dick 
und zahlreich wie die Kleinhimstrangfasern, ausserdem waren sie fein und dazwischen 
waren dickere eingestreut, was nicht mehr bei älteren Kindern von 20, 24 und 
30 Monaten zu sehen ist. Wir haben also verschiedene individuelle Entwickelungen, 
indem viele hereditäre und erworbene Ursachen die Markscheidenbildung verzögern 
können. Im Neurone geht sie vom Stamm aus und geht dann auf die Collateralen 
über. Unter den Ursachen spielen jedenfalls Infectionen und Intoxicationen mit die 
erste Bolle, und sie müssen besonders die noch weniger ausgebildeten Theile betreffen. 
Sie können die Entwickelung aufhalten oder die Systeme widerstandsloser machen 
und beim Erwachsenen wird bei Disposition die Störung eher an zuletzt entwickelten 
Theilen angreifen, als bei älteren. Gerade die Beobachtung der Markscheidenbildung 
wird für vergleichende experimentelle Studien sehr wichtig sein können. 

Näcke (Hubertusbürg). 


3) La thöorie des neurones en rapport aveo l'explioation de quelques 
etats psyohiques normaux et pathologiques, par Soukhanoff. (Arch. de 
Nenrol. Yol. III. 1897. Nr. 17 u. 19.) 

Die Grundlage dieser rein theoretischen Ausführungen bildet die Beobachtung 
von Wiedersheim, der die Nervenzelle eines niederen Thieres in der Thätigkeit 
beobachten konnte und Form Veränderungen derselben wahrnahm. Auf diese Beobachtung 
gründet der Yerf. die Hypothese, dass die Substanz der Protoplasmafortsätze der 
Pyramidenzelle der Hirnrinde die Fähigkeit habe, sich auf Beize mit rapider Schnellig¬ 
keit zu contrahiren, eine andere Form anzunehmen und neue Sprossen zu treiben. 
Die Protoplasmasubstanz der Neuronen, nimmt der Yerf. weiter an, ist in fortwährender 
Schwingung, die sich mit der Steigerung der functionellen Thätigkeit verstärkt. Jede 
Steigerung der moleculären Welle wirkt als Beiz und ist so begleitet von einer Form¬ 
varänderung und Proliferation der feinsten Dendritenverzweigungen und bei Neu¬ 
erwerbung von Vorstellungen von Neuerwerbung von Contacten. An die Unversehrt¬ 
heit dieser Thätigkeiten der Protoplasmafortsätze ist der regelmässige Ablauf der 
psychischen Thätigkeit gebunden. Werden die Yerbindungen zerstört und besteht 
Unfähigkeit der Protoplasmafortsätze zu neuen Verbindungen, so entsteht Demenz. 
Bei organischer Demenz gehen die terminalen Dendriten zu Grunde, bei functionellen 
ist die Thätigkeit der Protoplasmafortsätze gehemmt, vielleicht durch Giftwirkung. 
Bei Manie soll die Mobilität der Protoplasmafortsätze erhöht, bei' der Melancholie 
herabgesetzt sein. In entsprechender Weise sucht dann der Yerf. das Zustande¬ 
kommen noch einer Beihe von psychopathologischen Vorgängen zu erklären. 

M. Weil (Stuttgart). 


4) Lee neurones. Les lois fondamentales de leurs ddgöneresoenoes, par 
Klippel. (Arch. de Neurol. Yol. I. 1896. Nr. 6.) 

Der Yerf. setzt sich in dieser Arbeit zur Aufgabe, zunächst die Gesetze, denen 
das einzelne Neuron in anatomischer, physiologischer und pathologischer Hinsicht 
unterworfen ist, zu erörtern und dann die Beziehungen der Neurone zu einander zu 

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studiren. Von den Ausführungen des Verf.’s möge an dieser Steile Folgendes Er* 
wähnung finden. Das einzelne Neuron bildet eine Einheit; es besteht aus einem 
centralen Leib, der Zelle, aus den Protoplasmafortsätzen, den Dendriten, und im All* 
gemeinen aus einem Axencylinderfortsatz, dem Neurit. Die terminalen Theile dieser 
beiden Fortsätze endigen frei, ohne mit denjenigen der benachbarten Neurone zn 
anastomisiren. In Bezug auf die Function des einzelnen Neurons lässt sich der Satz 
feststellen, dass die nervöse Erregung stets durch die Protoplasmafortsätze die Zelle 
erreicht und dass sie dieselbe durch den Axencylinderfortsatz verlässt. So sind also 
die sensiblen Fasern, die von dem Spinalganglion nach der Peripherie gehen, als 
Dendriten des peripheren sensiblen Neuron aufzufassen, dessen Centrum die Zelle des 
Spinalganglion bildet und dessen Axencylinderfortsatz nach dem Rückenmark geht. 
Bei der Betrachtung der Pathologie des einzelnen Neurons ist daran festzuhalten, dass 
das Neuron eine Einheit bildet. Von diesem Gesichtspunkt aus ist es logisch, anzu¬ 
nehmen, dass die Läsion eines seiner Theile das ganze Neuron bis zu einem ge¬ 
wissen Grad mitafficirt; wird der Axencylinder eines Neurons durchschnitten, so er¬ 
leidet sowohl das periphere. Stack desselben eine Veränderung, als auch das centrale 
mit dem Centrum, jedoch ist die Veränderung an beiden Seiten nicht identisch; das 
periphere Stack degenerirt nach dem Gesetz von Waller, das centrale zeigt Ver¬ 
änderungen nach dem Gesetz der sog. retrograden Degeneration bezw. der retrograden 
Atrophie. Was die Protoplasmafortsätze anlangt, so scheibt es, dass sie demselben 
Gesetze folgen. Von diesem Grundgesetz scheint es jedoch Ausnahmen zu geben, so 
dass es vorkommt, dass das centrale Stück nach demselben Modus degenerirt wie das 
periphere und umgekehrt. Die Bedingungen, unter welchen diese Ausnahmen eintreten, 
sind vorerst unbekannt Das eine Neuron setzt sich mit benachbarten Neuronen in 
Contact und formt so Ketten von Neuronen, welche physiologische Systeme bilden. 
Die eine dieser Ketten von Neuronen bildet das motorische System, eine andere ein 
sensibles, wieder andere bilden Associations- und Commissurensysteme. Diese Neuronen¬ 
systeme sind trotz ihrer verschiedenen Function, im Grössen und Ganzen genommen, 
morphologisch und structurell einander gleich und unterliegen alle denselben Dege¬ 
nerationsgesetzen. 

Die Ausführungen des Verf.’s Ober die Pathologie der zusammengesetzten Neu¬ 
ronen mögen im Original nachgelesen werden, da sie im kurzen Referat nicht wieder¬ 
gegeben werden können; nur noch ein Hauptgesetz möge hier angeführt sein, zu 
dessen Aufstellung der Verf. im Verlauf dieser Untersuchungen kommt und das er 
folgendermaa3sen formulirt: Wenn von zwei Neuronen, die mit einander in Contact 
sind, das eine erkrankt, so beeinflusst die Läsion des einen stets auch das andere 
Neuron und zwar macht sich die Erkrankung des zweiten Neurons immer im Bereich 
der Verästelungen des Axencylinders geltend, mögen dieselben nahe dem primär er¬ 
krankten Neuron liegen oder von demselben entfernt; hier ist die Läsion immer zuerst 
bemerkbar und am deutlichsten; sie kann von hier aus mehr oder minder weit central- 
wärts fortschreiten oder an diesem Theil stationär bleiben. M. Weil (Stuttgart). 


Pathologische Anatomie. 

5) Sur les altörations des dlöments nerveux dans la dysorasie uremique 
experimentale, par Sacerdotti et Ottolenghi. (Arch. Ital. de Biologie. 
Vol. XXVII.) 

Die Verff. haben bei 4 Hunden und 1 Kaninchen die beiderseitige Nephrectomie, 
bei 2 Kaninchen die doppelseitige Ureterenligatur vorgenommen und dann sowohl 
nach Golgi als auch nach Nissl die Grosshirnrinde mit Einschluss des Ammons¬ 
horns und das Kleinhirn untersucht. Die Nissl’sche Methode liess keine wesent- 


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liehen Veränderungen erkennen, hingegen zeigte sich bei der Untersuchung nach 
Golgi im Wesentlichen folgendes: Die Dendritenfortsätze der Ganglienzellen befinden 
sich im Zustande der varicösen Atrophie, während der Axencylinder gewöhnlich nicht 
verändert ist; die Neuroglia nimmt durchweg an dem pathologischen Processe theil 
und zwar in Gestalt von varicöser Atrophie der Zellfortsätze. Die degenerirten Zellen 
finden sich aberall in der Grosshimrinde, auch im Pes bippocampi maior, und ge¬ 
hören allen Zellcategorieen an; im Kleinhirn finden sie sich in der Zona molecularis. 

Kaplan (Herzberge). 


6) Solle alterassioni degli elementi nervosi nell’inanizione, per E. Lugaro e 
L. Chiezzi. (Riv. di patolog. nerv, e ment. II.) 

Untersuchungen an Hunden und Kaninchen, die nach länger dauerndem Hungern 
theils getödtet wurden, theils von selbst starben. 

In den Spinalganglienzellen periphere Chromatolyse, in den vorgeschritteneren 
Stadien Zerfall der Chromatinschollen zu Pulver, Vacuolenbildung, Schrumpfung 
des Kerns. 

Im Rackenmark bei einem Hund und einem Kaninchen hellere Färbung der 
Pyramidenseitenstränge im Dorsaltheil. Die Strangzellen weniger gut und mehr 
diffus gefärbt als normal, die übrigen Zellen boten nichts besonderes dar, nur bei 
2 Thieren Veränderungen auch in den Vorderhornzellen. 

Die Zellen der Kleinhirorinde bei einigen Thieren normal, bei anderen geschwollen, 
das Chromatin, namentlich in dem der Hirnoberfläche entfernteren Theil der Zelle 
fehlend, so dass die Netzstructur des Protoplasmas sichtbar wurde. 

In den Pyramidenzellen der Grosshirnrinde hatten die Chromatinschollen ihre 
normalen Umrisse verloren, auch war theil weise Chromatolyse und Schrumpfung des 
Kerns eingetreten. 

Schwerere, nicht reparable Veränderungen treten an den Nervenzellen der Thiere 
erst in den letzten Stadien 'des Hungerns kurz vor dem Tode ein. Den Anfang 
machen Alterationen des Chromatins. Im Allgemeinen gleichen die Bilder, den bei 
acuten und chronischen Vergiftungen beobachteten. Die Verff. halten darum auch 
die Erkrankung der Nervenzellen während des Hungerns fttr Folgen einer Auto- 
intoxication. Valentin. 


Pathologie des Nervensystems. 

7) Casuistische Mittheilungen aus dem Gebiete der Nervenheilkunde, 
von Privatdocent Dr. F. Egger, Basel, stellvertretendem Director der allgemeinen 
Poliklinik. 

Verf. beschreibt einen Fall von isolirter Lähmung des N. axillaris, einen solchen 
von doppelseitiger Erb'scher Lähmung und einen Fall von traumatischer Hysterie. 

Im ersten Falle handelte es sich um einen 66jährigen Mann, der nach einer 
— gut reponirten — Luxation im linken Scbultergelenk trotzdem den Arm im 
Sehnltergelenk nicht mehr bewegen konnte und deshalb nach aber 2 Monaten die 
HOlfe der Poliklinik aufsuchte. 

Die Untersuchung ergab ziemlich starke Atrophie deB M. deltoideus mit voll¬ 
ständiger Entartungsreaction; Aufhebung der Berührungsempfindung, sowie erhebliche 
Herabsetzung der Schmerzempfindung und der Wahrnehmung des faradischen Stromes 
in einem ca. 10 cm langen und 6—7 cm breiten, ovalen .Bezirk, der sich von der 
Gegend des Humeruskopfes aus nach unten erstreckt. Bei Behandlung der Haut 
mit der labilen Kathode unter ziemlich starken Strömen tritt in diesem Bezirke eine 
sehr auffallende gelblich-weisse Verfärbung der Haut ein, mit deutlich erniedrigter 


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Temperatur in denselben Partieen. Nach längerer Reizung tritt eine fleckige Röthe 
in den zuerst weissen Stellen auf, von der Peripherie her strahlen rothe Protube¬ 
ranzen ein, zuletzt ist die Röthung wieder gleichmässig. (Verl erklärt diese von 
Hitzig zuerst erwähnte eigentümliche Reaction der Hautgefässe als Ausfallserschei¬ 
nung in Folge Lähmung der centrifugalen, gefässerweiternden Fasern.) 

Die Therapie — Galvanisation des Nerven, Massage und Galvanisation des 
atrophischen Muskels, passive Bewegung — führte eine wesentliche Besserung herbei 

Im zweiten Falle — doppelseitige Erb’sehe Lähmung — handelte es sich um 
einen 58jährigen, etwas decrepiden Mann, der plötzlich — angeblich nach vor¬ 
heriger vollkommener Gesundheit — beim Aufstehen früh den rechten Arm nicht . 
mehr bewegen konnte; am selben Tage noch kam Schwäche auch im linken Arm 
dazu, welche binnen 24 Stunden zu vollständiger Lähmung einzelner Muskeln des 
Almes führte. Begleitet waren die Erscheinungen von heftigen Schmerzen im Nacken, 
zwischen den Schulterblättern und in den Schultern. 

Bei der Untersuchung konnten die Arme im Schultergelenk nicht bewegt, nicht 
auswärts rotirt, im Ellenbogengelenk nicht gebeugt werden. 

Supination der gestreckten Arme soweit möglich, dass der Daumen nach vorn 
steht (Contraction des Supinator brevis). Beim Kopfbeugen nach rückwärts traten 
heftige Schmerzen im Nacken auf; Druck auf die Dornfortsätze des IV. Hals- bis 
II. Brustwirbels (hier auch geringe Schwellung und leichte Kyphose) und Umgebung 
war sehr schmerzhaft. Sensibilitätsstörungen bestanden nicht. Rechts fand sich 
Herabsetzung der elektrischen Erregbarkeit vom Erb’schen Punkt aus, partielle 
Entartungsreaction im Musculus deltoides. Nach 6 Wochen erfolgte Exitus. 

Als Ursache der Erkrankung ergab die Section eine carcinomatöse Geschwulst, 
welche von einem ganz kleinen — völlig symptomlos verlaufenen! — Epithelkrebs 
des Pharynx aus im Retropharyngealgewebe sich entwickelt hatte und von da aus 
in die Wirbelkörper und Zwischenwirbelkörper der untersten Halswirbel eingedrungen 
war. — Krebsmetastasen in der Leber. 

Mikroskopisch (nur theilweis untersucht) zeigten sich in der I., VI., VII. Cer- 
vicalwurzel ausser der das Nervenbündel umgebenden Geschwulstmasse zum Theil 
Blutextravasate zwischen den Fasern des Perineuriums und auch längs des Endo- 
neuriums bis ins Innere des Nerven hinein, sowie beginnender Zerfall desselben 
(letzterer besonders in der V. Wurzel). — Rückenmark: Im obern Cervicalmark 
neben einzelnen degenerirten Fasern in beiden Burdach’schen Strängen, ein scharf¬ 
umschriebenes, schwarz gefärbtes Bündel im linken Bur dach’sehen Strang. In der 
Höhe des V. Ceryicalsegments in Bereiche des rechten Seitenstranges eine kleine, 
circumskripte, frische Blutung. Im VII. Cervicalsegment, besonders im Gebiete der 
rechten Pyramidenseitenstrangbahn, ebenso links, und in den vorderen Grundbündeln 
beiderseits diffuse myolitische Veränderungen; z. B. Schwarzfärbung der austretenden 
Vorderwurzeln. Einzelne Ganglienzellen in den Vorderhörnern.undeutlich gezeichnet 

Im VIII. Cervicalsegment sind — bis auf die graue Substanz — auf dem 
ganzen Querschnitt diffuse myelitische Herde, namentlich auch in den Goü’schen 
Strängen; gegen das erste Dorsalsegment zu nehmen die Herde rasch ab. 

Dass klinisch die Hauptstörungen im Bereich der V. Cervicalwurzel auftraten, 
erklärt sich aus den bedeutenden pathologischen (äusserlich sichtbaren) Verände¬ 
rungen derselben beim Austritt aus dem Wirbelcanal. Es ist dies eine weitere Stütze 
für die Annahme, dass besonders die Fasern dieser Wurzel die bei der Erb’schen 
Lähmung betheiligten Muskeln versorgen. 

Im dritten Falle — traumatische Hysterie, bandelte es sich um eine isolirte 
Bewegungsunfähigkeit im III. und IV. Finger der linken Hand, welche nach einer (ge¬ 
schienten) Radiusfractur sich entwickelt hatte. Beim Flectiren aller Finger folgen 
die genannten erheblich später und nur ganz langsam, gleichzeitig, nach, ebenso beim 
Wiederausstrecken derselben. Beim Spreizen entfernen sich der III. und IV. Finger 


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nicht voneinander. Passive Bewegung in allen Fingern völlig unbehindert Starke 
Abstumpfung der Berührungsempfindung auf dem Bücken des III. und IY. Fingers, 
geringe der linken Hand und des Vorderarmes. Merklich herabgesetzte Schmerz* 
«npfindnng und Temperatursinnstörung im gleichen Bezirk. Elektrisch völlig normale 
Verhältnisse. Vorübergehend trat während der elektrischen Behandlung eine Beuge- 
eontractux der beiden Interphalangealgelenke des Mittelfingers auf, welche sich nach 
gewaltsamer passiver Streckung des Fingers löste. 

Der Annahme einer „traumatischen Neurose“ als einer besonderen Krankheit 
vermag sich Verf. nicht anzuschliessen. — Er plädirt am Schluss für eine ziel* 
bewusste psychische Behandlung der Unfallpatienten ausser der event. chirurgischen, 
and zwar insbesondere mit Rücksicht des Einflusses des Unfallgesetzes auf die 
psychogene Entwickelung der Nachkrankheiten. Paul Cobn (Berlin). 


8) Paralisi periodica del trocleare oon oefalea e nausea, per Aug. di Luzen- 
berger. (Manicomio. XIII.) 

29jähr. Mann, nie schwer krank gewesen (die Mutter litt an Hemicranie) erfuhr 
mit 12 Jahren zum ersten Male nach einem mehrstündigen Marsch, den er in der 
Sonne und unbedeckten Hauptes gemacht hatte — einen Anfall, bestehend in rechts* 
seifigem, tiefem, drückendem Kopfschmerz (während der späteren Anfälle ging der¬ 
selbe nur ausnahmsweise auf die linke Seite über) mit Unwohlsein, Appetitlosigkeit, 
Nausea (ohne Erbrechen) und Doppeltsehen. Ein während der Militärzeit am Kopf 
erlittener Hufschlag hatte auf das Leiden keinerlei Einfluss Anfangs traten die 
Anfälle fast jede Woche auf und dauerten einen Tag und Kopfschmerz und Doppelt¬ 
sehen kamen und schwanden immer gleichzeitig; im Laufe der Jahre wurden sie 
immer seltener, aber dauerten länger, schliesslich 15 Tage lang. Der vom Verf. 
beobachtete — letzte — Anfall dauerte 20 Tage; bei diesem begannen Kopfschmerzen 
und Nausea erst Nachmittags und hielten bis zum Einschlafen an; das Doppeltsehen 
dagegen war continuirlich. Beim Herannahen des Anfalls hatte Pat. das Gefühl 
klopfenden Pnlsirens im Kopfe. — Die rechte Vena temporalis war stärker gefüllt 
als die linke (beim Fehlen sonstiger Asymetrieen am Kopfe). Bei der Untersuchung 
der Augen erwies sich das Doppeltsehen als auf einer Lähmung des Trochlearis 
beruhend; die* Augen boten sonst nichts Abnormes. Durch mittlere Bromsalzdosen 
gelang es den Kopfschmerz zu beseitigen; das Doppeltsehen hielt aber noch weitere 
15 Tage an und verschwand dann spurlos; auch die abnorme Füllung der rechten 
Vena temporalis. Verf. hält dafür, dass durch periodisch auftretende Schwellung des 
Sinus cavernosus und dadurch bedingten Druck auf den I. Ast des Trigeminus und 
den Trochlearis die Erscheinungen zu Stande gekommen seien. 

Bresler (Freiburg i./Schl.) 


9) Becurrenslfthmung bei Mitralstenose, von Dr. N. Ortner, (Wiener klin. 

Wochenschr. 1897. Nr. 33.) 

Verf. theilt zwei Fälle mit, in welchen die durch Stenose des Mitralostiums 
«zeugte mächtige Dilatation des linken Vorhofes den linken Nervus recurrens durch 
Andrücken desselben an den Aortenbogen zur Degeneration brachte und linksseitige 
Stimmbandlähmung herbeiführte. Im zweiten Falle stellte Verf. die richtige Diagnose 
in vivo. J. Sorgo (Wien). 


10) sin Pall von Suprasoapularisl&hmung, von Goebel. (Deutsche med. 
Wochenschr. 1897. Nr. 19.) 

Nach einem Trauma auf die r. Schulter entwickelten sich bei dem Pat. zunächst 
ausgedehntere Muskelparesen und Beugungsstörungen, nach 10 Wochen restirte eine 


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atrophische Lähmung des Muse, supra- u. infraspinutus, bezw. des N. suprascapularis, 
mit dem ruckweise erfolgenden, zweizeitigen Erheben des Armee, dem subjectiv 
empfundenen Wackeln im Gelenk. — Bei der Annahme, dass das Schl&sselbein beim 
Auffall den Nervenplexus gegen die Wirbelsäule resp. die I. Rippe drückte, erklärt 
sich die Erkrankung der beiden Muskeln, die Läsion des N. suprascapularis leicht 
aus Beiner Verlaufsweise. 

Isolirte Supraclavicul&rislähmungen sind selten, im Ganzen nur 4 Fälle nach 
Bernhardt publicirt R. Pfeiffer (Cassel). 


11) Zur Lehre von den Arbeiteparesen an den unteren Extremitäten, von 

H. Krön. Nach einer Demonstration im Verein für innere Medicin am 30. Mai 

1897. (Deutsche med. Wochenschr. 1897. Nr. 45.) 

Zenker hat bekanntlich die Aufmerksamkeit auf Lähmungen gelenkt, die bei 
Arbeitern in Folge von anhaltender Thätigkeit in knieender oder kniehockender 
Stellung auftreten. Verf. bereichert die Casuistik durch Mittheilung einer eigenen 
Beobachtung. Die 16jährige, neuropathisch disponirte Patientin hatte vor 2 Jahren 
Torfstücke umzulegen gehabt, wobei sie mit spitzwinklig flectirten Knieen und nach 
hinten gerichteten, hyperextendirten Zehen fast den ganzen Tag auf feuchtem Boden 
kauerte. Obgleich die Füsse von Beginn dieser Thätigkeit an oft einschliefen und 
nach etwa 8 Tagen kalt und steif waren, arbeitete Pat. noch 6 Wochen lang fort. 
Es bestand nun Schmerz und Kribbeln in den Füssen, öfters Krampf der Plantar¬ 
flexoren, besonders aber Schwäche der Füsse, namentlich des rechten. Allmähliche 
Besserung. Zeitig besteht noch Schweiss und Kälte der Füsse und rechts noch 
gelegentlich Krampf der Plantarflexoren, zumal bei knieender Stellung. Die Unter¬ 
suchung ergiebt massige Atrophie des rechten M. tibialis ant. und Extensor digit. 
pedis communis mit Herabsetzung der Dorsalflexion des Fusses und der Zehen und 
mit partieller Entartungsreaction. Die Sensibilität ist normal, Druckempfindlichkeit 
nirgends vorhanden, der Plantarreflex auslösbar; die Achillesreflexe fehlen. 

Bei der Zenker’schen Lähmung ist der N. peroneus viel häufiger und inten¬ 
siver ergriffen als der N. tibialis, ferner handelt es sich immer nur um Paresen, nie 
um schwere Lähmungen. Die Sensibilität ist stets alterirt, ihre Störungen. gleichen 
sich aber bald wieder aus. Verf. bezieht die Crampi bei seiner Pat.. auf die neuro- 
pathische Disposition, Wie lange Zeit die Schädigung gebraucht, um die Lähmung 
manifest zu machen, ist nicht sicher anzugeben. Die Lähmung resultirt wahrschein¬ 
lich aus einer Compression der Nerven in der Kniekehle, die häufigere und stärkere 
Betheiligung des N. peroneus daraus, dass die bei forcirter Beugung des Kniegelenks 
stark angespannte Sehne des M. biceps femoris den oberhalb seines Eintritts in den 
Canal dicht unter ihr gelagerten Nerven gegen das Fibulaköpfchen drängt. Die 
nicht selten vorwiegende oder ausschliessliche Betheiligung eines Fusses ist darin 
begründet, dass der Oberkörper auf der Seite der Arbeitsverricbtung mehr auf dem 
Unterschenkel lastet und so eine stärkere Flexion des betreffenden Kniegelenks be¬ 
dingt. Die Prognose ist vorsichtig zu stellen, die Therapie in üblicher Weise zu 
leiten. In prophylaktischer Beziehung ist zu ratben, dem Körper beim Knieen eine 
weitere Stütze durch eine Hand zu geben, ferner sind die Leute auf die Gefahr auf¬ 
merksam zu machen und zu veranlassen, beim geringsten Kriebelgefühl oder gar 
beim Eintritt von Schwäche in den Füssen die Arbeit einzustellen. 

R. Pfeiffer (Cassel). 


12) Crampi profeasionale, per G. Pacetti. (Trattato di Medicina. VoL VI.) 

Verf. bespricht, den Schreibkrampf zum Paradigma nehmend, Pathologie und 
Therapie der Beschäftigungsneurose. Er hält die Erkrankung für ein gemischt 
central-peripheres Leiden. Valentin. 

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13) BifleMi dolorosi di origine psiohioa e di natura professionale, per 

Montesano. (Rivista quindicinale di psicologia, psychiatria. 1897. Nr. 11.) 

Im ersten Falle handelt es sich um eine 16jährige, hereditär belastete Violin¬ 
spielerin, die selbst hysterisch, mit 13 Jahren Schmerzen in den linken Fingern 
empfand, sobald sie dieselben anf die Saiten der Violine aufsetzte. Das wurde immer 
schlimmer, bis sie sogar Schmerzen ebenda empfand, sobald sie nur eine Nachbarin 
spielen hörte, ja neulich schon beim blossen Vorstellen des Geigenspiels. Sie ward 
geheilt. 

Im zweiten Falle ist es ein 35jähriger, schwer erblich belasteter Gesanglehrer, 
der seit 3 Jahren beim Geben der Stunden einen furchtbaren Ekel, allgemeine 
Schwäche, Kopfschmerzen u. s. w. von kurzer Dauer aber langer Erregung empfindet. 
Seit 2 Jahren hat er ausserdem dann Schmerzen in beiden Ohren. 

In beiden Fällen handelt es sich um psychischen Beflexschmerz, und zwar bei 
Ansübung des Berufs. Bekannt ist es schon lange, dass bei den beruflichen Krampf- 
neurosen die blosse Vorstellung, also psychisch, einen Krampf der betreffenden 
Muskeln erzeugen kann; hier aber (im ersten Falle) wird psychisch echter Schmerz 
in den Muskeln erzeugt, und das ist noch bisher unbekannt gewesen. Nach Baggi 
kann Reflexschmerz psychisch erzeugt werden 1. durch eine Emotion und 2. durch 
eine Vorstellung. Das erste ist leichter begreiflich, weil physischer und psychischer 
Schmerz einander sehr nahe stehen. Wenn es aber durch eine Vorstellung geschieht, 
30 kann es nur eine wahre Ballucination sein; so erklärt sich der Beflexschmerz 
fast allein bei den Geisteskranken. 

Auch im obigen zweiten Falle (Gesanglehrer) handelt es sich um psychischen 
Beflexschmerz, da eine Menge von psychischen Momenten eine Bolle spielten, so: 
Höhe, Stärke des Gesanges beim Schiller, seine Entfernung vom Lehrer, ob Letzterer 
den Gesang selbst auf dem Clavier begleitete oder nicht u. s. w. Während bei 
Bernfsneurosen mit Schmerz bei AusQbung dieses durch eine Muskelbewegung ent¬ 
steht, ist hier dagegen der Schmerz an das Hören, also an keine Muskelaction ge¬ 
benden, was gleichfalls bisher noch nicht beobachtet ward. Verf. ergeht sich noch 
in weitere theoretische Erwägungen interessanter Art. Näcke (Hubertusburg). 


14) Bopra nna forma rara di orampo professionale, per Montesano. (Eivista 

quindicinale di psicologia, psichiatria. 1897.) 

Eine 34jährige, verheirathete Frau, erblich belastet, die vor 11 Jahren acute 
Verwirrtheit nach Fieber gehabt hatte, sich mit Nähen und Stricken das Brot ver¬ 
dient, zeigt seit 2 Jahren bei diesen Arbeiten Steifheit in den Muskeln, die das 
Weiterarbeiten verbieten. Beim Nähen stellte sich ein zeitweiliger Krampf der 
Pronatoren der Hand, mit gleichzeitiger Schwäche des Biceps und dann der Ober* 
armmu8keln ein, besonders des Deltoideus; beim Stricken hingegen ein Krampf der 
Fingerstrecker und der Adductoren des Arms, und zwar beiderseits. Sonst zeigte 
die Untersuchung nichts Specielles, nur dass die Kniereflexe wenig deutlich und die 
Pnpillenreaction auf Licht träge war. Elektricität brachte etwas Besserung. Schneider- 
und Nähkrämpfe sind bekannt, Stickkrampf ward nur einmal bisher beschrieben. Der 
obige Fall wies verschiedene Besonderheiten auf. Verf. glaubt, dass die centrale 
Theorie des Leidens, speciell eine Störung des centralen Coordinationscentrums, am 
besten alle Symptome erklärt. Näcke (Hubertusburg). 


15) Eine eigenartige Form von progressiver Muskelatrophie bei Gold- 
polirerinnen, von Hermann Gessler. (Württemberg, med.Correspondenzblatt. 
1896.) 

Verf. hat bei zwei Polirerinnen aus den Pforzheimer Goldfabriken eine vollkommen 


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gleichartige Affection der rechten Hand beobachtet. In dem einen, genauer berichteten 
Falle handelt es sich um ein 21jähriges, 8 Jahre in solchen Fabriken beschäftigtes 
kräftiges Mädchen, bei dem vor 1 1 / 2 Jahren die beiden letzten Finger der rechten 
Hand taub worden und nicht mehr gestreckt werden konnten. Die rechte Hand 
wurde cyanotisch; schliesslich war die Hand vollkommen kraftlos, und es entwickelte 
sich ein Schwund der Handmuskeln. Gegenwärtig ist die Streckmuskulatur des 
rechten Vorderarms leicht atrophisch; an der Dorsalseite der Hand springen die 
Sehnen des Ext. digit. commun. stark vor. Der abducirte Daumen zeigt Hyper¬ 
extension der Endphalangen, der Zeigefinger ■ ist ulnarwärts abgewichen und zeigt an 
seiner Radialseite eine tiefe Grube an Stelle des atrophischen Interosseus ext. primus. 
Auch der Mittelfinger ist etwas ulnarwärts gedrängt mit leichter Beugung der End- 
phalange. Der Ring- und Kleinfinger sind stark abducirt, ihre Endphalangen stark 
gebeugt. Der Hypothenar ist stark, der Thenar leicht atrophisch. Die Sensibilität 
ist normal. Die Beweglichkeit der Finger ist stark behindert, so dass das Fest¬ 
halten von Gegenständen kaum möglich ist. Bei elektrischer Reizung der Nerven- 
stämme reagiren die Handmuskeln nicht. Die lnterossei und Lumbricales zeigen 
totale Entartungsreaction, die Muskeln des Hypothenar galvanische Uebererregbarkeit 
mit Umkehr der Znckungsformel bei herabgesetzter faradischer Erregbarkeit, die 
Muskeln des Thenar Herabsetzung der Erregbarkeit. 

Diese progressive Muskelatrophie ist bedingt durch die Beschäftigungweise. 
Die Goldpolirerinnen halten Gegenstände an eine rotirende Reinigungsmaschine, wobei 
das Handgelenk der rechten Hand hyperextendirt wird, die ersten Fingorphalangen 
im rechten Winkel gegen die Metacarpi gebeugt werden, die Endphalangen gegen 
die erste gebeugt sind, der Daumen und kleine Finger abducirt und opponirt wird. 
Es traten also in Tbätigkeit die Extensoren des Handgelenks, lnterossei und Lum¬ 
bricales, die Muskeln des Thenar und Hypothenar, auf welche Muskelgruppen auch 
die Atrophie beschränkt ist. . 

Unter regelmässiger Galvanisation, später auch Faradisation des rechten Arms 
und der rechten Hand, verbunden mit täglichen Einspritzungen von 5 g Strychnin 
trat in beiden Fällen eine wesentliche Besserung ein, wenn auch die Atrophie der 
gelähmten Muskeln noch nicht gänzlich gehoben ist. 

Verf. will diese Fälle weder der centralen, noch der neuritischen oder myo- 
pathischen Form der Muskelatrophie zurechnen, sondern einer vierten Form, deren 
Ursprung in den intermusculären Nerven und in der motorischen Terminalplatte zu 
suchen ist. Als charakteristische Symptome dieser Form von Muskelatrophie stellt 
er auf: Exacte Beschränkung einer weitgehenden Atrophie auf ganz bestimmte 
Muskelgruppen, keine Tendenz zum Weiterschreiten, Fehlen objectiv nachweisbarer 
Sensibilitätsstörungen, normales Verhalten der zu den gelähmten Muskeln gehörenden 
Nervenstämme, complette Entartungsreaction der atrophischen Muskeln, rasche Heilung 
bei sachgemässer Behandlung. Sich selbst fiberlassen, kann der Degenerationsprocess 
allerdings auf dem Wege der peripheren Nervenbahnen zum Oentralorgan vorschreiten. 

M. Rothmann (Berlin). 


16) Faraesthesia of the external femoral region, by Shaw. Read before the 

Brooklyn Medical Society. (New York Medical Journal. 1897. Nr. 7.) 

Verf. berichtet Ober 4 Fälle von Parästhesieen im Bereiche des N. cutaneus 
femoris externus, welche er zum Theil schon vor langen Jahren beobachten konnte. 
Alle Patienten, darunter zwei Frauen, standen im mittleren Lebensalter. Die An¬ 
nahme, dass das Leiden in einer Compression des Nerven durch die Fascie sein 
anatomisches Substrat hat, entbehrt der Begründung, ebenso Roth’s Hypothese der 
gestörten Venencirculation. Bernhardt's Auffassung, nach welcher eine degenerative 
Neuritis die Parästhesieen bedingt, erscheint dem Verf. unwahrscheinlich, da die 


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Symptom« schwinden können (ein nicht stichhaltiger Einwand. Bef.). Verf. glaubt, 
dass toxische Einflüsse eine Bolle spielen und-auf den prädisponirten Nerven ein¬ 
wirken. Die Behandlung muss in erster Linie die Beseitigung der eventuell vor¬ 
handenen Ursache erstreben, daneben sind Elektricität, Gymnastik, warme Bäder 
öfters von Nutzen. B. Pfeiffer (Cassel). 


17) Bin Fall von Bernhardt-Roth’soher Parästhesie (Paraesthesia n. out. 

fern, ext.), von Dr. Julius Donath. (Wiener med. Wochenschr. 1897. 

Nr. 25.) 

Ein 40 Jahre alter, früher stets gesunder Kaufmann acquirirte vor 7 Jahren 
gegenwärtiges Leiden, für welches er zwei ätiologische Momente anzufahren weise: 
erstens Luftzug; zweitens wurde er einmal von einem Frauenzimmer in die Mitte der 
Vorderfläche des rechten Oberschenkels gekniffen und empfand durch mehre Minuten 
heftigen Schmerz. Einige Monate darauf begann sein Leiden: Taubsein und Kribbeln 
an .der vorderen äusseren Fläche des rechten Oberschenkels, die sich bei längerem 
Gehen und Stehen zu Schmerzen steigern. Doch verlässt ihn auch im Liegen das 
Taubheitsgefühl nicht ganz, ln der parästhetischen Zone besteht Hypästhesie für 
alle Empfind ungsarten (Tast-, Schmerz-, Kälte-, Wärmeempfindung und farado-cutane 
Sensibilität), besonders stark auf der unteren Hälfte des Gebietes. Ausserdem deut¬ 
liche Schwäche des rechten Beins, auch objectiv nachweisbar. Sonst nichts Abnormes 
an Pat zu finden. 

Galvanofaradisation und Ichthyoleinreibungen blieben erfolglos. 

Wahrscheinlich handelt es sich bei diesem Leiden um eine chronische Neuritis 
des durch seinen oberflächlichen Verlauf mechanischen Schädlichkeiten besonders aus¬ 
gesetzten N. cut. fern ext. Muskelaction kann dann die Parästhesieen leicht zu 
Schmerzen steigern. J. Sorgo (Wien). 


18) Intomo ad aleuni punti della tearia dl Bernhardt sulla parestesia 

della eoseia, per Näcke. (Bivista quindicinale di psicologia, psichiatria. 1897. 

S. 113.) 

Verf. glaubt, dass die Parästhesie des N. cutan. femor. ext., häufiger ist, als 
man glaubt, und dass manche sogenannte Neuralgieen und Bheumatiamen nur solche 
Parästhesieen darstellen oder wenigstens im Anfänge darstellten. Parästhesieen 
werden nur zu oft mit Schmerzen verwechselt, besonders von Ungebildeten. Man 
»Ute nur diejenigen Fälle als Parästhesie hinstellen, wo solche vorwiegend und 
dauernd besteht, dagegen gehören Fälle von blosser Unempfindlichkeit nicht hierher. 
Er macht dann auf die Wichtigkeit des Traumas in der Aetiologie aufmerksam und 
auf ein anderes, was bisher ganz vernachlässigt wurde: die hereditäre Beanlagung, 
die jedenfalls, wie bei Neuralgieen u. s. w., eine Bolle spielt, weil sie einen Locus 
minoris resistentiae für den Nerven schafft. Freilich bietet nach dieser Hinsicht 
gerade die Anamnese grosse Schwierigkeiten, daher alle Statistiken über Erblichkeit 
im Allgemeinen mehr als unsicher sind. Auf der anderen Seite soll man aber auch 
den Werth der erblichen Belastung nicht überschätzen, am wenigsten die indirecte. 
Verf. macht ferner aufmerksam, wie bei allen mehr subjectiven Leiden, so z. B. bei 
Parästhesieen, gerade Selbstbeobachtungen von Aerzten hohen Werth haben, des¬ 
gleichen auch für viele psychologische Thatsachen, z. B. das Trauma. Endlich hebt 
er hervor, dass bisher nur 2 Fälle von Heilungen obiger Parästhesie bekannt sind: 
1. der Fäll Köster und 2. sein eigener, der genau l 1 /*—l 1 ^ Jahr angedauert hat, 
wie er zur Ergänzung seiner früheren Mittheilung beifügt. (Autorreferat). 


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19) Ueber die Akroparästhesie (Schultse), von Dr. L. Has ko vec. (Wiener 

klin. Rundschau. 1897. Nr. 43 — 45.) 

Auf Grund eines selbst beobachteten und ausführlich mitgetheilten Falles von 
Akroparästhesie und nach Besprechung der bisherigen Arbeiten über diesen Gegen* 
stand kommt Verf. zu folgendem Schlussergebnisse: 

Es giebt Fälle von Parästhesie und Schmerzen der Hände, ev. der Fflsse, mit 
oder ohne vasomotorische Veränderungen, welche weder von einer organischen Er¬ 
krankung des Centralnervensystems, noch von einer Neuralgie oder parenchymatösen 
Neuritis abgeleitet werden können. Nur in einigen Fällen waren die Nervenstämme 
druckempfindlich. Alle Fälle sind chronisch und nicht fortschreitend. Die Ursache 
kann in leichten perineuritischen Veränderungen der peripheren Nerven, in dm 
Wurzeln und Ganglien oder in functionellen Störungen der Medullä oblougata liegen. 
Die Krankheit tritt am häufigsten um das 40. Lebensjahr auf, öfter bei Frauen als 
bei Männern. Erbliche Belastung und Anämie sind häufig. Als unmittelbares ‘ätio¬ 
logisches Moment wird oft rascher Temperaturwechsel angegeben. Die Prognose ist 
in Bezug der Dauer ungünstig. Galvanisation des Nackens, der Plexus brachialis 
und einzelner Nerven bewährt sich am besten. Auch Franklinisation kann empfohlen 
werden. — 

In dem mitgetheilten Falle handelte es sich um Parästhesieen und Schmerzen 
besonders im 3. und 4. Finger, die sich über die .ganze Hand erstreckten; mässige 
Röthung der Haut, leichte Druckschmerzhaftigkeit der Nervenstämme, keine objective 
Sensibilitätsstörung und intacte elektrische Erregbarkeit der Muskeln und Nerven. 
Herpesartiger Ausschlag nach dem ersten Auftreten. Keine hysterischen und neu- 
rasthenischen Beschwerden, keine Störungen von Seiten des Centralnervensystems. 

J. Sorgo (Wien). 


20) Ein Fall von Dermatosis linearis neuropathioa, von K. Leven (Elberfeld). 

(Deutsche med. Wochenschr. 1897. Nr. 41.) 

Bei dem 16 Monate alten Knaben sieht man an der Hinterseite des linken Beines 
einen langen Streifen, der, einwärts vom Trochanter major beginnend, anfangs schmal 
ist, nach 4 cm Länge seine grösste Breite erreicht, um sich dann wieder zu ver¬ 
jüngen. Das Band verläuft nach innen unten bis zur Kniebeuge, macht einen kleinen 
Bogen nach aussen, läuft dann am Unterschenkel selbst anfangs wieder mehr an der 
inneren Seite, weiterhin gerade in der Mitte, und endigt auf der Achillessehne an 
der Ferse. Das Band ist dunkelroth, deutlich erhaben, macht den Eindruck, „als 
habe man einen Nervenstamm mit einem Stift auf die Epidermis aufgezeichnet“; die 
Haut zeigt nicht den Charakter der Ichthyosis, macht den Eindruck einer leicht 
ekzematös erkrankten Hautpartie. Die Affection trat nach Aussage der Mutter 
6 Wochen post partum auf und entwickelte sich schnell. Verf. nimmt für den vor¬ 
liegenden Fall eine Erkrankung der Hautnervenstämme an und zwar kämen in Be¬ 
tracht der N. cutaneus femoris posterior und N. cutaneus post, medius nach He nie, 
bezw. N. cutaneus femoris posterior, N. suralis, N. cutaneus surae extemus und 
N. cutaneus surae medius nach Heitzmann, bezw. des N. cutaneus post, und N. 
peroneus medius nach Hasse. R. Pfeiffer (Cassel). 


21) Neurofibromatose eutanee aveo xanthome profond du bras droit, par 
X. Delore. (Gazette des höpitaux. 1896.) 

Bei einem 33jährigen, hereditär in keiner Weise belasteten Brettschneider be¬ 
standen seit frühester Kindheit zahlreiche über den grössten Theil des Körpers zer¬ 
streute Tumoren in und unter der Haut von Stecknadelkopf- bis Nussgrösse, theils 
festsitzend, theils gestielt, die meisten von weicher, andere von fibröser Consistenz; 


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manche sind durch Druck zum Verschwinden zu bringen. Seit 2 Jahren hatte sich 
überdies — angeblich im Gefolge eines Schlages — an der Innenseite des rechten 
Oberarmes eine bis Faustgrösse herangewachsene schmerzlose Geschwulst entwickelt, 
von normaler Haut bedeckt und im Centrum fluctuirend. Man vermuthete einen kalten 
Abscess. Bei der Incision ergab sich ein subaponeurotischer solider Tumor mit einer 
unregelmässigen Höhle, die eine viscöse gelbe Fl&ssigkeit enthielt. Zum Zwecke histo¬ 
logischer Untersuchung wurde auch ein kleiner congenitaler Hauttumor der Thorax¬ 
gegend exstirpirt. Derselbe bestand aus fibrösem Bindegewebe, dem kleine Bündel 
von Nervenfasern beigemengt waren, und DrQsengewebe, das mit Schweinsdrflsen voll¬ 
ständig identisch erschien. Die Bildung wurde als Hydradenoneurofibrom oder ein¬ 
facher als Teratoma cutaneum bezeichnet Der grosse Tumor hatte ein myxomatöses 
Stroma. In seinen dichteren Partieen fanden sich eigenthümliche grosse Zellen, die 
auf dem ersten Blick Ganglienzellen glichen, möglicherweise aber modificirte Zellen des 
Fettgewebes waren. Ausserdem fielen runde Zellen mit grossen Kernen in der Umgebung 
der Gefässe auf. Auch hier handelte es sich um eine teratologische Bildung. 

R. Hatschek (Wien). 


22) Nevromes göneralises. BAsection d’une grande partie des nerf mAdian 
et oubital. BAtablissement des fonctions motrloe et sensitive. Foly- 
orchidle, par Plan. (Gazette des höpitaux. 1897.) 

Ein 25jähriger, hereditär in keiner Weise belasteter Patient hatte seit seinem 
4. Lebensjahr zahlreiche isolirte, erbsen- bis' nussgrosse Tumoren am Rücken, den 
Extremitäten, an der Stirne; manche davon hatten sich spontan zurückgebildet, da¬ 
gegen andere, insbesondere am linken Arm, an Grösse zugenommen, verursachten da¬ 
selbst heftige neuralgische Schmerzen. Der grösste (beinahe kindskopfgrosse) Tumor, 
der sich auch durch seine fluctuirende Consistenz von den anderen unterschied, sass 
subaponeurotisch an der Innenseite des Oberarmes. Bei der Incision desselben ent¬ 
leerte sich zunächst blutiger Inhalt, man sah dann, dass der cystische Tumor sich 
in der Dicke des N. medianus entwickelt hatte. Unterhalb und oberhalb ist der 
N. medianus durchsetzt von tbeils fibrösen, theils cystischen Tumoren von Kastanien- 
bis Orangengrösse. Die Nervenscheiden sämmtlicher Plexusnerven sind sehr beträcht¬ 
lich verdickt. Wiewohl auch im Verlauf der Ulnaris gleiche Tumoren sich zeigten, 
begnügte Verf. sich, um den Eingriff nicht zu schwer zu gestalten, mit der Resection 
des Medianus längs des Oberarmes. Schmerzen in Folge des Wachsthums der Ulnaris- 
tnmoren machten jedoch eine zweite Operation nöthig, wobei ein sehr langes Stück 
des Nerven entfernt, ausserdem Tumoren an der Schulter und am Thorax exstirpirt 
and das Scrotnm incidirt wurde, in welchem gleichfalls eine — heftige Schmerzen 
erzeugende — Geschwulst sich befand. Es stellte sich heraus, dass es sich um einen 
überzähligen Hoden handelte: an dem gemeinsamen V. deferens sass ein kleines 
Neurom, das entfernt wurde. Seitdem ist Pat. schmerzfrei. Einige Wochen nach der 
Operation begann allmähliche Restitutio. Trotzdem Ulnaris und Medianus in einer 
Ausdehnung von 25—30 cm resecirt worden waren, stellte sich die Sensibilität voll¬ 
ständig wieder her, desgleichen die Motilität bis auf geringe Beweglichkeitsbeschränkung 
des Daumens. Bei histologischer Untersuchung ergaben sich die Tumoren als reine 
Fibrome, die von den Nervenscheiden ausgingen, jedoch keinerlei neugebildete Nerven¬ 
fasern enthielten. R. Hatschek (Wien). 


23) II rifleeso musoolare provooato dei glutei nella nevralgia isohiatica, 
per C. Negro. (Bull, del Polidin. gen. di Torino. II.) 

Uebt man bei Ischiaskranken mit dem Finger einen Druck auf den M. glutaeus 
über der Inc. ischiad. aus, so erfolgt eine technische Contraction des Muskels. Ebenso 


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zieht sich der Muskel in manchen Fällen zusammen, wenn man einen Druck im Ver¬ 
lauf des Nerv. glut. sup. ausöbt. 

Verf. hält diese Contraction für einen Reflex, ausgelöst von den überempfind¬ 
lichen Nerven. Bei zweifelhaften Fällen von Ischias hilft diese Erscheinung die Diagnose 
bestätigen. Valentin. 


24) Ein Fall von chronischer Endometritis mit Erscheinungen einer Herz¬ 
neurose, von Dr. Josef Zamazal, Stadtarzt in Wsetin. (Wiener medic. 

Wochenschr. 1897. Nr. 15.) 

Eine 34 Jahre alte Frau litt an chronischer Endometritis und stenocardischen 
Anfällen ohne schmerzhafte Sensationen in der Herzgegend. Für die Abhängigkeit 
der Neurose von dem Gebärmutterleiden sprach die regelmässige zeitliche Coincidenz 
der Anfälle mit Verschlimmerung der Endometritis während der Behandlung und das 
Aufhören derselben mit Beseitigung des pathologischen Processes. 

Verf. sucht die Berechtigung der Diagnose Stenocardie trotz fehlender Schmerzen 
dadurch zu begründen, dass das Gesammtbild und nicht ein einzelnes Symptom für 
die Diagnose maassgebend sei. 

Von der Gebärmutter eine durch Reizung bewirkte reflectorische krampfartige 
Zusammenziehung der Coronararterien oder des Herzmuskels ist die Ursache der 
Neurose, der Reflexmechanismus wird hauptsächlich für die nervösen Koliken und die 
Gastralgie näher zu erläutern gesucht, ohne dass wesentlich neue Gesichtspunkte ge¬ 
wonnen würden. Das Gesetz der excentrischen Projection sei zur Erklärung dieser 
Zustände unhaltbar. J. Sorgo (Wien). 


25) Herzbeschwerden der Frauen verursaoht durch den Cohabitadonsaot, 
von Prof. Dr. E. Heinrich Kisch in Prag (Marienbad). (Münchener medic. 
Wochenschr. 1897. Nr. 23.) 

Verf. sah bei Frauen, welche eine Reihe von Jahren hindurch den Coitus reservatus 
ausübten, eine Art von Neurasthenia cordis vasomotoria mit beschleunigter Herzaction, 
sehr grossem Angstgefühl, Kopfschmerz, Schwindel, Schwäche der gesammten Körper¬ 
muskulatur und zuweilen syncopeartigen Zufällen eintreten. Das Herz erweist sich 
dabei stets als gesund, ebenso ist an den grossen Gefässen nichts nachzuweisen. 
Auch im Klimacterium kommen ähnliche Herzbeschwerden vor, welche z. Th. durch- 
Behinderungen der Cohabitation (Schrumpfungsprocesse in der Vagina) bedingt sind. 

E. Asch (Frankfurt a./M.). 


26) Paralysie of one third nerve from haemorrhagic neuritis, with extra- 
vasation over the opposite frontal lobe, by G. A. Gibson und W. Aldren 
Turner. (Edinburgh medical Journal. 1897. May.) 

11 Monate altes Mädchen kommt zur Aufnahme wegen Brechdurchfall und seit 
wenigen Tagen bestehender rechtsseitiger Ptosis. Schon seit 3 Wochen soll Pat. 
häufig einen heftigen Schrei ausgestossen haben. Die Motilität und die Reflexe am 
ganzen Körper normal. Es bestand nur rechtsseitige Ptosis, Lähmung der vom 
Oculomotorius versorgten äusseren Augenmuskeln, sowie Mydriasis der rechten, auf 
Licht nicht reagirenden Pupille. Bei der 5 Tage nach der Aufnahme erfolgten 
Autopsie fand sich eine ausgedehnte Hämorrhagie in der Gegend der linken Sylvii'- 
schen Spalte, nach vorn und oben auf die Stimwindungen, besonders die zweite 
übergreifend, mikroskopisch erwiesen sich die kleinen Arterien der Rinde sehr er¬ 
weitert, die Blutung indessen nur oberflächlicher Art. Die Untersuchung des rechten 
N. oculomotorius ergab eine intensive hämorrhagische Neuritis desselben von seinem 
Austreten aus dem Hirnschenkel bis zum Eintritt in die Orbita, der Kern war normal. 


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Die Auffassung der Yerff, dass die Ptosis u. s. w. von diesem Befände am Nerven 
abhängig zu machen ist, besteht zweifellos zu Recht, auffallend bleibt indessen, dass 
die ausgedehnte cortioale Blutung, falls sie nicht etwa agonaler Herkunft ist, gar 
tue Symptome, auch nicht solche allgemeiner Natur, wie Sopor, Oonvulsionen, ge¬ 
macht hat _ Martin Bloch (Berlin). 


27) Un oas de ndvrite systdmatisde motrioe avee annsargne, par J. Ddjerin» 

et Ch. Mirallid. (Revue de Mddecine. 1897. Janvier. S. 50.) 

Typischer Fall von acuter Polyneuritis von bestimmt infectiösem Ursprung. 
Motorische Lähmung mit Muskelatrophie an allen vier Extremitäten, besonders an 
den Beinen. Keine Spur von Sensibilitätsstörung, keine spontanen Schmerzen, nur 
Druckempfindlichkeit Herabgesetzte elektrische Erregbarkeit, Fehlen der Patellar» 
ieflexe, Tachjcardie, kein Fieber. Am Auffallendsten war aber ein starkes diffuses 
Oedem aller Extremitäten, welches allmählich unter Auftreten von erheblicher Poly- 
irie zurückging. Der Fall endete mit völliger Genesung. — Die Yerff. beziehen das 
Oedem auf eine Störung vasomotorischer Nerven und erinnern an die ähnlichen 
Oedeme bei der Beri-Beri. (Sollte man die Oedeme bei der Polyneuritis nicht ein¬ 
facher auf eine Alteration der Gefässwände durch die vorauszuBetzende toxische 
Schädlichkeit besehen können?) Strümpell (Erlangen). 


28) Ueber eepttoohe Polyneuritis, von Dr. Hngo Kraus. (Wiener klin. Wochen¬ 
schrift. 1897. Nr. 40.) 


Eine 25 jährige Schnhmachersgattm wird mit schmerzhafter Schwellung an den 
Knie- und Sprunggelenken aufgenommen. Temperatur 88,0 °. Gynäkologische Unter¬ 
suchung: Reichlich eitriger Ausfluss, Auflockerung der Yagina, leichte Vergrösserung 
des Uterus; im Secrete Gonokokken. Einige Stunden nach der Untersuchung Schüttel¬ 
frost einige Tage später Blutungen aus dem Genitale. Unter fortdauerndem Fieber 
und Gelenksschmerzen entwickelt sich das Bild einer Sepsis, Fieber Anfangs remit- 
tirend mit wiederholten Schüttelfrösten, später nahezu continuirlich; Herpes labialis, 
Decubitus, Hämorrhagieen im Gesicht und am Rumpf, Stomatitis; Blut bei Cultur- 
versuchen steril. Vom 30. Tage an beiderseitige Pneumonie. Vom 50. Tage an 
fieberfrei. Am 60. Tage Lähmung beider Unterschenkel, nachdem sie schon einige 
Tage über Schmerzen und Schwäche in den Beinen geklagt hatte. Die Untersuchung 
ergiebt: Beide Füsse befinden sich in Spitzfussstellung, active Bewegung im 8prnng- 
gatenke aufgehoben, passive sehr behindert Bewegungsfähigkeit der Zehen vollständig 
aufgehoben; Muskeln der Unterschenkel und Füsse schlaff, nicht deutlich atrophisch, 
ahne Reaction auf den faradischen Strom. Dorsum pedis vollkommen anästhetisch 
bis über den Malleol. ext, ebenso vordere Hälfte der Fusssohle; äusserer Fussrand 
von der Sensibilitätsstörung nicht betroffen. Ueber dem anästhetischen Bezirke eine 
bis fast zu den Knieen reichende hyperästhetische Zone. Druckschmerzhaftigkeit der 
Muskeln und Nervenstämme der Unterschenkel, heftige spontane Schmerzen besonders 
in den Fersen. 

Weiterhin entwickelt sich deutliche Muskelatrophie, die Herabsetzung der Sen¬ 
sibilität schreitet gegen den Unterschenkel hinauf fort - Die Beweglichkeit bessert 
aiek im weiteren Yerlaiufe um ein weniges, die spontanen Schmerzen schwinden nach 
und nach. Dies der Zustand, als Pat die Klinik verliess. 

Es sei noch erwähnt dass Pat. von den zur Zeit der septischen Erscheinungen 
angewandten Medicamenten weder Na. salicyL, noch Salol, oder Antipyrin nnd Sali- 
pjm vertrug. Auf Antipyrin resgirte sie mit Temperatnrsteigerong, einmal bis 40°, 
und Erythem der Haut und Schleimhäute. 

Ob der septische Prooess von gewöhnlichen Eitererregern oder Gonokokken her- 


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vorgerufen war, liess sich bei dem bakteriologisch negativen Blntbefunde nicht ent¬ 
scheiden. 

Verl bespricht noch die wenigen in der Litteratnr veröffentlichten Fälle von 
septischer Polyneuritis. Ein Theil derselben ist unter dem Titel der puerperalen 
Polyneuritis verzeichnet. 

Die Extensität and Itatensität der Krankheit ist nach den vorliegenden Beobach¬ 
tungen verschieden. Es findet sich einseitige und symmetrische Affection, Erkrankung 
einer oder aller vier Extremitäten; auch Rumpfmuskeln, Vagus und äussere Augen¬ 
muskeln können ergriffen sein. Lähmung der Accommodations- und Gaumenmuskeln 
wird nie erwähnt. Das mittlere Lebensalter und das weibliche Geschlecht scheinen 
bevorzugt zu sein. J. Sorgo (Wien). 


20) Ein Versuch zur Bekämpfung der Beri-Beri von Dr. Eijkmann. (Virchow’s 

Archiv. Bd. CXLIX.) 

Verf. hat, gestützt auf Beobachtungen, die er bei Hühnern gemacht bat (ref. 
Centralbl. 1897. 18), auf Java und den benachbarten Inseln Untersuchungen darüber 
angestellt, inwieweit die Ernährung mit verschiedenen Reissorten von Einfluss auf 
das Entstehen von Beri-Beri sei. Bei einer Statistik, die sich auf eine grosse Reihe 
von Jahren und auf beinahe 300 000 Sträflinge erstreckte, konnte er feststellen, dass 
in den Gefängnissen, in welchen der Reis halbgeschält, d. h. noch mit dem sogen. 
Silberhäutchen behaftet, genossen wird, die Erkrankungs- bezw. Sterblichkeitsziffer 
für Beri-Beri eine verschwindend geringe war im Vergleich zu derjenigen in den 
Strafanstalten, in welchen vollkommen geschälter Reis zur Ernährung verwendet wird. 
— Mit Recht erblickt Verf. in dieser Tbatsache einen wichtigen Hinweis für eine 
rationelle Bekämpfung der Krankheit. Lilienfeld (Gr.-Lichterfelde). 


30) Endemie multiple neuritis (Beri-Beri), by Bon dura nt Read before the 

Medical Association of Alabama, at Selma. 1897. 20. April. (New-York med. 

Journal. 1897. Vol. LXVI. Nr. 21 u. 22.) 

Die Mittheilung bezieht sich auf 71 Fälle, welche in den Jahren 1895—1896 
unter den Insassen der Irrenanstalt zu Tuscaloosa (Alabama) zur Beobachtung ge¬ 
langten. Hauptsächlich wurden Patienten mit psychisch-degenerativen Formen der 
Geisteskrankheiten befallen: 32 (von 80 im Hospital befindlichen) Epileptiker, ferner 
Imbecille, Paranoiker und Kranke mit terminaler Demenz und degenerativen Stig¬ 
mata, während die Patienten mit acuten oder heilbaren Psychosen, sowie das Anstalts¬ 
personal verschont blieben. Die Neuritis befiel besonders Männer, weniger die schwarze 
Bevölkerung, zeigte aber bei diesen ernsteren Charakter. Die klinischen Symptom¬ 
bilder entsprachen im Wesentlichen den bekannten Typen der Beri-Beri, variirten im 
Einzelfalle erheblich: bald traten die nervösen Störungen im Bereiche der befallenen 
Nerven in den Vordergrund, bald das Oedem oder die Herzstörungen, in anderen 
Fällen erlangten an sich nebensächlichere Symptome (Fieber, gastrointestinale Störungen) 
erhöhten, klinischen Ausdruck. Das im Allgemeinen der Schwere der Neuritis parallel 
gehende Oedem der Hautdecken war in der Hauptsache vasomotorischer Natur, seltener 
die Folge einer Nierenstörung. Vorher sicher constatirte, mildere Formen chronischer 
Nephritis wurden durch die Beri-Beri nur in ca. der Hälfte der Fälle vorübergehend 
verschlimmert Der Eintritt der Neuritis war plötzlich oder mehr schleichend, die 
Krankheitsdauer je nach der Schwere verschieden, die definitive Genesung erfolgte 
oft erst nach langer Reconvalescenz (11 Monate und darüber), 21 Patienten starben. 
Oft war erhebliche Anämie bemerkbar, ohne dass die Blutunterauchung dafür Anhalts¬ 
punkte lieferte; Malaria- oder andere Plasmodien fehlten. Todesursachen waren Herz¬ 
schwäche in 14 Fällen, Status epilepticus, Pneumonie, Tuberculose bezw. Combinationen 


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der genannten Zustände. — Die Behandlung war im Wesentlichen symptomatisch. — 
Bezüglich der Ursache der Beri-Beri-En- bezw. Epidemie glaubt der Autor an eine 
Entwickelung des Krankheitsstoffes in dem kürzlich eingedeichten Flusse unter Um* 
ständen, die auch das Wachsthum der Malariakeime begünstigten — und Ueber* 
tragung durch Ausdünstung oder Gebrauch des Wassers. — Keinesfalls handelte es 
ach um Malarianeuritis in diesen Fällen. Beri-Beri ist in den Vereinigten Staaten 
selten, wie der Autor an der einschlägigen Litteratur nachweist. Interessant ist 
dann eine Epidemie von Poliomyelitis anterior acuta, die 1894 und 1896 beobachtet 
wurde und besonders bezüglich der Aetiologie manche Aehnlichkeit mit der Beri* 
Beri zeigte. B. Pfeiffer (Cassel). 


31) Periplural neuritis connected with pregnanoy and the puerperal state, 
byErnest Septinus Reynolds. (Brit. med. Journ. 1897. 16. Oct. S. 1080.) 

Zwei Fälle von Schwangerschafts* bezw. Wochenbettneuritis werden genauer be* 
schrieben. Der erste der Fälle betrifft eine 24jährige Erstschwangere im 4. Monat, 
mit heftigem Erbrechen. Künstlicher Abort. Darnach 3 Wochen dauernde Blasen* 
und Rectumlähmung, welche 14 Tage anhält und verschwindet. Einen Monat später 
allmählich sich entwickelnde Paraplegie beider Beine, die oberen Extremitäten nor¬ 
mal. — Amyotrophie der Beine; keine Flexionscontractur: Fuss-, Talipes-, Equino- 
Varus. — Allmähliche Herstellung unter Zunahme der Muskellänge, aber Fortdauer der 
Kniecontractur in geringem Grade. — Zum zweiten Male Schwangerschaft ohne Er¬ 
brechen und normaler Entbindung. Die Lähmung zwar nicht gänzlich, doch grössten 
TheUs beseitigt. 

Der zweite Fall betrifft eine 18jährige Primipara, die bis dahin gesund war. 
„Chronische Pyämie“ nach Operation eines Leberabscesses; Paraplegie: Amyotrophie; 
Kniecontracturen. Die oberen Extremitäten normal. — Es erfolgte Herstellung, wenn 
auch die Erscheinungen nicht spurlos verschwanden, einige Fuss- und Zehensteifig¬ 
keit das Gehen beeinflusste, aber nicht mehr hinderte. 

L. Lehmann I (Oeynhausen). 


32) Ueber Neuritis puerperalis, von Dr. Alfred Saenger. (Mittheilungen aus 
den Hamburgischen Staatskrankenanstalten. 1897.) 


Hach eingehender Würdigung der einschlägigen Litteratur theilt Verf. 6 selbst¬ 
beobachtete Fälle von puerperaler Neuritis mit. 

In den drei ersten Fällen handelte es sich um multiple Neuritis, die einmal 
unter dem Bilde der acuten aufsteigenden Paralyse durch Athemlähmung zum Tode 
führte. Im ersten Falle bestanden auch Schlingstörungen, Mastdarmlähmung und 
Hyperämie der Papillen. Die ersten Erscheinungen in Form von Schmerzen und 
Paräethesieen waren schon in der Gravidität aufgetreten. Im dritten Falle waren 
Störungen von Seiten der Hirnnerven nicht vorhanden. 

Im vierten Falle handelt es sich um eine isolirte linksseitige Neuritis n. ulnaris 
et mediani, im fünften um doppelseitige, erst rechts, dann links auftretende Radialis- 
und Medianuslähmung. Im ersteren der beiden letztgenannten Fälle bestanden Par- 
ästhesieen der Hände schon in der Gravidität. 

Im sechsten Falle endlich befiel der neuritische Process nur die Sehnerven in 
Form einer Neuritis retrobulbaris, die in wenigen Tagen zu totaler Amaurose geführt 
batte und langsam sich besserte. 

Was die Ursache der puerperalen Neuritis betrifft, so möchte sich Verf. mit 
aller Reserve dahin aussprechen, dass dieselbe schon in der Gravidität vorhanden sei; 
hierfür sprechen die Thatsachen, dass die Vorboten häufig schon in der Schwanger¬ 
schaft beobachtet werden. Wahrscheinlich handelt es sich dabei um toxische Momente, 

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wenn man auch noch nicht berechtigt ist, von einem bestimmten, specifisch wirkenden 
Gifte zu sprechen. Dabei muss die Krankheitsursache aber in physiologischen Vor* 
gingen zu suchen sein, da die Mehrzahl der Pille normale Schwangerschaften bezw. 
Puerperieen betrifft. Martin Bloch (Berlin). 


Psychiatrie. 

38) Retrograd Amneai öfter Suspension, af Dr. Knud Pontoppidan. (Hosp.- 

Tid. 1896. 4. B. IV. 50.) 

Ein 65 Jahre alter Mann mit erblicher psychischer Belastung, hatte unter dem 
Drucke von Sorgen und Schwermuth schon längere Zeit Selbstmordgedanken gehegt 
Eines Morgens stand er zeitig auf, und seine Frau war Zeuge davon, dass er in 
halb knieender Stellung sich eine dünne Schnur um den Hals legte, doch so, dass 
er zwischen den Hals und die Schlinge ein paar Lappen einschob. Es vergingen 
etwa 2 Minuten, ehe der Erhängte abgeschnitten wurde. Im Krankenhause, wohin 
er gebracht worden war, lag er etwa 24 Stunden ohne Bewusstsein, und ebenso lange 
war der Kopf oberhalb der Strangmarke cyanotisch, dann trat eine Periode von 
Unruhe und Agitation auf, die etwa 2 Stunden dauerte, worauf Pat. in Schlaf verfiel. 
Aus dem Schlafe erwachte er mit vollem Bewusstsein, aber seine Erinnerung reichte 
nur bis zu dem Abende vor dem Selbstmordversuche. Er erinnerte sich, zu Bett 
gegangen zu sein, für Alles, was direct vor dem Selbstmordversuche und bis zu 
seinem Erwachen aus dem Schlafe im Krankenhause mit ihm vorgegangen war, fehlte 
ihm die Erinnerung noch mehr als 1 Jahr nach dem Vorfälle. — Die Amnesie beruht 
nach Verf. in der Segel auf rein mechanischen Verhältnissen. In dem vorliegenden 
Falle waren alle Zeichen einer mächtigen Hyperämie vorhanden, die durch die 
Asphyxie und die Compression der Carotiden hervorgerufen war. — Im Anschluss 
an diesen Fall theilt Verf. einen andern mit, in dem bei einem 54 Jahre alten Mann 
retrograde Amnesie als Folge eines Schädelbruches auftrat, und erinnert an das Auf¬ 
treten von Amnesie nach epileptischen Anfällen, bei Vergiftungen, bei acuten In- 
fectionskrankheiten und bei Hysterie. — Nach dem Selbstmordversuche war bei dem 
zuerst erwähnten Pat. eine partielle Paralyse des N. accessorius und von Zweigen 
des Plexus cervicalis in Folge von Beschädigung durch den Druck der Schlinge 
beobachtet worden. Dass auch andere Nervenstämme auf diese Weise beschädigt 
werden können, beweist ein vom Verf. schliesslich noch mitgetheilter Fall, in dem 
bei einem 61 Jahre alten Mann eine Paralyse des N. axillaris nach Selbstmordversuch 
durch Erhängen auftrat. Walter Berger (Leipzig). 


Therapie. 

34) De l’emploi du bäume de oopahu dans les soiatiques rebelles, par 
Dr. Glorieux. (Policlinique de Bruxelles. 1897. 15. März. Nr. 6.) 

In 3 sehr hartnäckigen und allen therapeutischen Maassnabmen trotzenden 
Fällen von Ischias hat Verf. mit der von Marsh zuerst empfohlenen Anwendung 
des Copalvabalsams (40—60 Tropfen pro die in Oblaten, mehrere Wochen bis 
Monate hindurch) gute, zum Theil überraschend gute Erfolge gesehen, die monate¬ 
lang anhielten. Er hält die diuretische Wirkung des Balsams fflr das Wesentlichste 
und räth zur Nachprüfung. Toby Cohn (Berlin). 


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HL Aus den Gesellschaften. 

Verein für innere Medioin su Berlin. 

8itzung vom 31. Mai 1897. 

(Deutsche med. Wochenscbr. 1897. Nr. 25. Vereinsbeilage Nr. 17.) 

Krön: Zur Leiere von den Arbeitsparesen an den unteren Bxtremi- 
tttea. (Der Vortrag soll in der Deatschen medicinischen Wochenschrift veröffentlicht 
werden.) 

In der Discnssion bemerkt Bernhardt, dass er derartige Lähmungen eben* 
falls beobachtet hat bei Asphaltarbeitern z. B. oder bei Bohrlegern, die in lang hin¬ 
gestreckten Gräbern knieend arbeiteten. Es kommen sodann Peroneuslähmungen ohne 
scheinbare äussere Veranlassung vor: in einem Theil der Fälle ergiebt die genauere 
Untersuchung eine Bückeamarksaffection, speciell Tabes, in anderen bleibt die Ursache 
der Lähmung unklar. 

Krön hat sich in solchen Fällen immer mit der Annahme von Neuritiden 
rheumatischen bezw. toxischen oder infeotiösen Ursprungs helfen zu müssen geglaubt. 

Gerhardt beobachtete bei einem Bäckergesellen eine Schlaflähmung des Peroneus: 
Der Pat. gab bestimmt an, er lag in tiefem Schlafe, das rechte Bein Ober das linke 
gelegt, und als er erwachte, war das linke Bein taub, es bestand ausgesprochene 
Peroneuslähmung. G. hat mehrfach derartige, in gestreckter Stellung entstandene 
„Strecklähmungen" gesehen. B. Pfeiffer (Cassel). 

Aerztlioher Verein zu Hamburg. 

Sitzung vom 29. Juni 1897. 

(Deutsche med. Wochenschr. 1897. Nr. 48. Vereinsbeilage Nr. 31.) 

Sick stellt einen Mann vor, bei dem eine Beseotion des N. radialis mit 
Erfolg vorgenommen wurde. 

Bei einem Arbeiter trat nach einer Quetschung eine Lähmung des linken 
N. radialis auf; Pat. wurde längere Zeit ohne Erfolg elektricirt, dann dem Kranken- 
hause fiberwiesen. Der freigelegte Nerv erwies sich in starre Narbenmassen ein¬ 
gebettet und zeigt nach Entfernung derselben an einer Stelle eine Verdickung, peri¬ 
pher* und centralwärts davon eine verdfinnte Partie. Naht der Wunde, primäre 
Heilung, zunehmende Degenerationserscheinungen der vom Badialis versorgten Gebiete 
trotz elektrischer Behandlung. Nach nochmaliger Freilegung des Nerven, Excision 
eines Aber 3 cm langen Stackes, Vereinigung der gedehnten Enden, glatte 
Wundheilung. — Allmähliche Besserung, Status bei der Entlassung: die Motilität 
ist ganz gut, nur eine geringe 8chwäche im Abductor pollicis longus vorhanden, 
keine trophischen Störungen, keine Sensibilitätsstörungen, nur quantitative Herab¬ 
setzung der elektrischen Erregbarkeit B- Pfeiffer (Cassel). 


28. Versammlung der sfidweetdeutschen Irrenärzte in Karlsruhe 
ana 8. und 7. November 1887. 

(Schluss.) 

II. Sitzung, 7. November, vorm. 9 Uhr. 

Vorsitzender Professor Kräpelin. 

Auf Anregung Prof. Kräpelins, die nächstjährige Versammlung in einer Irren- 
anstatt abzuhalten, damit Krankenmaterial ffir klinische Demonstrationen zur Ver- 


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fügung stehe, wird auf Vorschlag Director Ereuser's als Versammlungsort für 1898 
Heidelberg gewählt. 

An die durch Krankheit am Erscheinen verhinderten Herren Geheimrath Ludwig 
und Geheimrath Schale, werden Telegramme gesendet 

Da der I. Referent, Schale, verhindert ist, erstattet Aschaffenberg sogleich 
das Korreferat aber die Katatonie. 

Kahlbaum war bei der Aufstellung seiner Katatonie von dem Krankheits¬ 
bilde der Melancholia attonita ausgegangen, in deren Beginne sich oft epilepti- 
forme oder andere krampfhafte Zustände zeigen. Später bilden sich dauernde krampf¬ 
artige Zustände (flexibilitas cerea) heraus, eine pathetische Exstase und Verbigeration 
(Sprechen in Form der Rede mit häufiger Wiederholung derselben Worte). Die 
Psychose verläuft in Stadien, Melancholie, Manie, Attonität, Verwirrtheit und Terminal- 
blOdsinn oder Genesung, von denen aber nicht alle Stadien Vorkommen müssen. 
Wegen der grossen Rolle, die die motorischen Erscheinungen (epileptiforme oder 
choreaartige Anfälle, tonische oder klonische Krämpfe, katalepsieartige flexibilitas 
cerea, negative Willensbewegungen, Haltungs- und Bewegungsstereotypen, Mutacismus 
und Nahrungsverweigerung) innerhalb eines einheitlichen Krankheitscomplexes spielen, 
nannte Vortr. diese Psychose, da er einen Spannungszustand der Muskulatur oder 
vielmehr der Nerven voraussetzte, Spannungsirresein oder Vesania katatonica. 

Das Krankheitsbild wurde verbessert und vertieft besonders durch Hecker, 
Brosius und Neisser, endlich durch Kräpelin, der sich in seiner Anschauung 
von der ungünstigen Prognose an Brosius anschloss. 

Diesen Anhängern der Ansicht, dass die Katatonie ein selbständiger 
Krankheitsprocess sei, stehen die zahlreichen anderen Autoren gegenüber, die 
in ihr nur eine Verlaufsart der anderen Psychosen erblicken. Unter diesen hat 
zuletzt Schale sich bemüht, die motorischen Symptome zu zerlegen; er glaubt, dass 
ihre genetische Differenz auf wirkliche innere Verschiedenheiten hinweise. 

Das katatonische Zustandsbild kommt nach ihm vor als Episode bei acuter, sub- • 
acuter und chronischer Paranoia, bei Stuporzuständen, gewissen Manieen, circulärem 
Stupor und Melancholie; das Bild beherrschend bei Hysterie, primärer, oft hebe- 
phrener Demenz und periodisch-circulärer Degenerationspsychose. Der Katatonie¬ 
begriff ist nach Schale „aufgelöst und unter die anderen Gruppen vertheilt“. 

Vortr. hält die genetische Verschiedenheit der motorischen Symptome für unbe¬ 
wiesen und construirt, den Nachweis von Wahnideeen, depressiven Vorstellungen u.s.w. 
während des Attonitätszustandes für unmöglich, nebenbei auch für nebensächlich. In 
Folge dessen ist in dieser Phase der Erkrankung eine genaue Diagnose und Prognose 
für die Anhänger der Schüle’schen Auffassung nicht möglich. Nach der von ihm 
getheilten Auffassung Kahlbaum's in der Erweiterung Kräpelin’s aber, die in 
der Katatonie einen einheitlichen Krankheitsprocess sieht, ist zweierlei mit Bestimmt¬ 
heit zu erwarten: 

1. ein charakteristischer, katatonischer Weiterverlauf, 

2. ein Ausgang in specifisch gefärbte Demenz. 

Diese ist gekennzeichnet in den schwersten Fällen durch völlige Stumpfheit, stunden¬ 
langes Wiederholen der gleichen Bewegungs- und Haltungsstereotypen, Negativismus; 
in leichteren durch Interesselosigkeit, vereinzelte Wahnideeen oder Sinnestäuschungen, 
Andeutungen von Katalepsie, vor allem aber durch eigentümliche Absurditäten, Tics 
(Ess-, Schreib-, Sprechmanieren, sonderbare Bewegungen, unerklärliche Handlungen). 

. Die endgültige Störung zeigt sich, selbstverständlich in verschiedenster Ausbildung 
und Combination, vor allem in den Handlungen, dem Wollen der Kranken, das einer¬ 
seits leicht beeinflussbar ist (Katalepsie, Echolalie, Echoprascie), andererseits jeder 
Lenkung widerstrebt (Negativismus, Mutacismus, Nahrungsverweigerung), endlich in 

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den Sonderbarkeiten eigenartige Seitenwege einschlägt; dazu gehört auch noch die 
mangelnde Energie nnd die leichte Auslösbarkeit heftiger Explosionen bei nicht¬ 
erfüllten Wünschen. 

Zuweilen entwickeln sich katatonische Erscheinungen erst, nachdem schon jahre¬ 
lang eine Verblödung eingetreten ist. Dies sind Fälle, die Hecker’s Hebephrenie 
angeboren. Die Hebephrenie ist eine Erkrankung des jugendlichen Alters, die unter 
Wechsel der Zustandsformen in einen eigentümlichen Schwächezustand ausgeht, der 
durch Interesselosigkeit, unmotivirte sonderbare Handlungen, läppisches Wesen, Im¬ 
pulsivität und eine charakteristische Sprech- und Schreibweise sich auszeichnet. Dieser 
Endzustand ist mit dem nach Katatonie sich entwickelnden identisch. 

Vortr. hat versucht bei 227 Fällen (118 Männern und 109 Frauen) die Hebe- 
phrenien von den Katatonischen zu scheiden. Diese Trennung war aber nicht durch¬ 
führbar. Auch die von Kräpelin angegebenen Unterschiede in der Betheiligung 
der Geschlechter, des Alters, der Häufigkeit epileptischer Anfälle und Remissionen 
erwiesen sich als nicht stichhaltig. Deshalb ist Vortr. der Ansicht, dass die Hebe¬ 
phrenie und Katatonie einen einheitlichen Krankheitsprocess darstellen, 
wofür auch die fast stets sich zeigenden katatonischen Züge im Endstadium sprechen. 
Für diese Krankheitsform hält er die Bezeichnung Dementia praecox für die 
passendste, da sie nur die'Thatsache eines sich vorzeitig entwickelnden Schwachsinns 
enthält, keinen Hinweis auf den uns unbekannten Einfluss der Pubertät wie Hebe¬ 
phrenie noch auf hypothetische Spannungszustände in Nerv und Muskeln wie Katatonie. 

Die Differentialdiagnose zwischen Dementia praecox und Imbecillität, Paralyse 
und besonders dem circularen Irresein wird eingehend besprochen. 

Vortr. betont schliesslich, dass die Auffassung der Dementia praecox als eines 
einheitlichen Krankheitsprocesses vor der durch Schüle vertretenen den Vorzug ver¬ 
diene, da sie uns eine zuverlässige Prognose erlaube. Im einzelnen Falle sei es 
allerdings jetzt noch nicht möglich, den Grad des bestimmt zu erwartenden Schwach¬ 
sinnes vorherzusagen. So lange noch active Aufmerksamkeit vorhanden sei, seien 
Remissionen möglich, und je acuter der Process einsetze um so wahrscheinlicher eine 
Rückbildung. Aber hier sei noch viel zu thun; es müsse erstrebt werden, nicht nur 
jeden Fall frühzeitig als Dementia praecox erkennen zu können, sondern auch die 
besondere Prognose des einzelnen Falles. Dies sei aber nur erreichbar durch Ver¬ 
tiefung der allgemeinen Symptomatologie und Sammlung und Vergleichung guter 
Beobachtungen. 

Bleuler (Rheinau) hat schon seit 10 Jahren die Katatonie mit der viel selteneren 
einfachem Hebephrenie als eine einheitliche Psychose aufgefasst. Unter seinen 720 
Kranken fand er 134 ganz sichere Katatonieen. Von weiteren 80 Kranken, die an 
ähnlichen Verblödungszuständen leiden, die aber keine der eigentlich katatonischen 
8ymptome zur Zeit zeigen, gehört mindestens die Hälfte noch zur Katatonie, so dass 
also etwa ein Drittel des Krankenbestandes in Rheinau (Pflegeanstalt!) Katatoniker sind. 

Unter den psychischen Symptomen hebt er die sexuellen Ausschweifungen, den 
Eifereuchtswahn, die religiöse Färbung der Wahnideeen, Hallucinationen des Gemein¬ 
gefühles, Selbstmordversuche, häufige unmotivirte Gewalttätigkeit und absurde Hand¬ 
lungen hervor. Er hält die Onanie als Krankheitsursache für fraglich. Unter den 
körperlichen Symptomen erwähnt er die Neigung zu Oedemen, Speichelfluss, Kopf¬ 
schmerz und epileptiforme Anfälle. 

Unter fünf sogenannten Spätheilungen, die er aber nicht als wirkliche Heilungen 
betrachten könne, waren vier typische Katatonieen, die fünfte wahrscheinlich auch. 
Negativismus bei Epileptischen und Paralytischen lässt sich anscheinend wohl von 
dem bei Katatonischen unterscheiden, ebenso die Stereotypie, während diese bei 
Idioten der der Katatonischen sehr ähnlich ist. 

Auch unter den angeblich periodischen Kranken fand Vortr. in allen Fällen, in 
denen stereotype Bewegungen und auffallende Manierirtheit vorhanden war, dass sich 


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die Periodicität ent später entwickelt habe, während dar Beginn der Erkrankung 
nur dem einer Katatonie entspricht Bei einer senil Dementen, die auffallende 
Mimik beim Grossen zeigte, ist wahrscheinlich frflher eine Katatonie voraufgegangen. 
Bei anderen Kranken hat Vortr. bis jetzt nie katatonieverdäcbtige Symptome gefunden. 

Sommer: weist anf die Schwierigkeit der Differenzialdiagnose der Katatonie 
gegen Epilepsie and Verwirrtheit hin. 

KreuBer: bezweifelt die Identität der von dem Vortragenden geschilderten 
Dementia praecox, als Verblödungspsychose, mit der Kahlbaum’schen Katatonie, 
mit vorwiegend günstiger Prognose. Er neigt sich mehr der Auffassung Schäle's 
zu, dass die katatonischen Symptome unwesentlich seien. 

Vorster: hat bei Katatonikem zwar sexuelle Erregung, aber nie Priapismus 
gesehen. 

Kräpelin: weist auf die Analogie mit der Paralyse hin in Bezug auf die Ver¬ 
schiedenartigkeit der Symptomencomplexe, die Remissionsfähigkeit, die Gleichartigkeit 
der Prognose. Er betont einige Punkte, die auf einen innigen Zusammenhang mit 
dem Geschlechtsleben schliessen lassen. Schwierig sei die Specialprognose des ein¬ 
zelnen Falls. Die grosse Menge der in diese Gruppe gehörigen Kranken sei be¬ 
denklich, doch sei die principielle Zusammengehörigkeit nicht zu bezweifeln. Er 
hofft, dass die weitere Forschung die Anhaltspunkte fOr eine Zerlegung der Dementia 
praecox in kleinere Gruppen geben werde, ebenso wie bei der Paralyse. 

Das Schlusswort erhält der II. Referent Aschaffen bürg. 

Aschaffenburg (Schlusswort) bedauert im Interesse der Klärung der Kata- 
toniefrage, dass nicht mehr Gegner der von ihm vertretenen Ansicht das Wort er¬ 
griffen haben. Dass sich mit diesen Anschauungen klinisch arbeiten lässt, hat 
Bleuler durch seinen Beitrag zur Discussion in schönster Weise bestätigt. Vortr. 
geht auf einzelne der Fragen, die Sommer, Bleuler, Vorster, berührt haben, 
näher ein. Die Aetiologie hat Vortr. bei Seite gelassen, um sein Referat nicht durch 
Hypothesen zu belasten. Er erwähnt, dass ihm Masturbation nur als Symptom, nicht 
als Ursache der Krankheit begegnet sei. Wiederholt brach die Erkrankung im Ge¬ 
fängnis« aus und zeigte dann das den meisten im Gefängniss entstehenden Psychosen 
gemeinsame Vorwiegen von Gehörstäuschungen. Im weiteren Verlaufe wich das 
Krankheitshild nicht von den gewöhnlichen Erscheinungsformen der Dementia praecox ab. 

Der Einwand, dass die Verschiedenheit der Prognose bei Kahlbaum auf eine 
Verschiedenheit des Erkrankungsprooesses hinweise, ist nicht stichhaltig. Auch 
Kahlbaum’s und Neisser’s Fälle haben meist den Ausgang iu geistige Schwäche 
genommen. 

Vortr. weist an der Hand eines Falles unter vielen nach, um wie viel genauer 
die von ihm vorgetragenen Anschauungen den wirklichen Verhältnissen entsprechen, 
als die landläufige Methode der schematisirten Benennung. Die Nothwendigkeit, in 
jedem Falle eine Prognose zu stellen, sichert den Fortschritt, da sowohl das Ein¬ 
treffen des erwarteten Ausganges, wie das Nichteintreffen belehrend wirken muss. 

Zu Geschäftsführern für das Jahr 1898 werden gewählt: Prof. Sommer 
(Giessen), Director Hardt (Emmendingen). 

Als Themata für 1898 werden bestimmt: 

I. lieber periodische Psychosen. 

Referenten: 1. Privatdocent Dr. Nissl (Heidelberg), 2. Prof. v. Speyr (Bern). 

II. Irrengesetzgebung. 

Referenten: 1. Prof. Emm inghaus (Freiburg), 2. Prof, des Strafrechts v. Lilien- 
thal (Heidelberg). 


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Vorträge: 


Ni sei (Heidelberg): Peyohiatrie und Hirnanatomie. 

Die Anatomie der nervösen Centralorgane ist ein Theil der anatomischen Wissen¬ 
schaften. Der Irrenarzt verfolgt zwar mit grossem Interesse die Entwickelung nnd 
die Fortschritte dieses mächtigen Zweiges der anatomischen Wissenschaften; die 
Forschung aber auf diesem Gebiete soll er dem Anatomen überlassen. Nach dem 
heutigen Stande des Wissens ist die Beobachtung am Krankenbette die Hauptqnelle 
für die Erkenntniss des Irreseins. Im Interesse des Fortschritts und der Entwickelung 
der Psychiatrie liegt es daher, diese Beobachtung möglichst zu verfeinern und ihr 
neue Hülfsmittel zuzuführen. Es ist unvernünftig, hirnanatomische Probleme zu be¬ 
arbeiten, über deren Beziehungen zu der Lehre von den Geisteskrankheiten wir 
absolut nichts wissen, während andererseits wohl die naheliegendsten und wichtigsten 
Fragen der klinischen Psychiatrie unbeantwortet sind. 

Anders als die anatomische Forschung ist die pathologisch-anatomische Forschung 
zu beurtheilen. Für den Irrenarzt kommt in erster Linie die pathologische Anatomie 
der Bindenerkrankungen in Betracht. Abgesehen davon, dass dem pathologischen 
Fachanatomen derartige Specialprobleme an sich schon ferne liegen, mangelt ihm 
auch gänzlich die Kenntniss der besonderen Bedürfnisse. Da diese nur der Irrenarzt 
besitzt, muss er schon sich die pathologische Anatomie der Bindenerkrankungen 
selbst schaffen. Ohne eine genaue Kenntniss des Bindenbaues ist jedoch eine patho¬ 
logische Anatomie der Bindenerkrankungen ein Unding. Insofern muss sich der Irren¬ 
arzt auch eine genaue Kenntniss des Bindenbaues erwerben. 

Derjenige, der glaubt, er sei im Stande, lediglich auf Grund von ausgedehnten 
pathologisch-anatomischen Untersuchungen von Hirnrinden Geisteskranker diejenigen 
pathologisch-anatomischen Krankheitsprocesse ableiten zu können, welche den ver¬ 
schiedenen Irrsinnsformen zu Grunde liegen, hat entweder noch nie Hirnrinden 
Geisteskranker untersucht, oder er beherrscht weder die Technik noch die für die 
Beurtheilung dieser Fragen nöthigen Kenntnisse. Der Weg, der zu einer patholo¬ 
gischen Anatomie der Bindenerkrankungen führt, verläuft in diametral entgegen¬ 
gesetzter Bichtung. Bei dem heutigen Stande des Wissens muss die klinisch psychia¬ 
trische Untersuchung der pathologisch anatomischen Untersuchung den Weg dadurch 
geebnet haben, dass der letzteren ein wohlgeordnetes, sicher diagnosticirtes Material 
zur Verfügung gestellt wird. 


Vorster (Stephansfeld): Ueber einen Fall von optisoher und taotller 
Aphasie. 

Voitr. weist auf das seltene Vorkommen der Fälle von tactiler Aphasie hin und 
beschreibt eise einschlägige Beobachtung. Es handelt sich dabei um eine 74 jährige 
alte Frau, die an periodischer Melancholie litt. Bei dieser trat eine rechtsseitige 
Hemiparese, Hemianästhesie und Hemiopie auf, ferner Agraphie und verbale Alexie. 
Im I«aufe einiger Tage schwanden die motorischen Störungen, an Stelle der Hemian- 
istbesie stellte sich Hemihyperästhesie ein. Zugleich wurden Sprachstörungen im 
8iaae der optischen und tactilen Aphasie bemerkt Die Kranke erkannte alle Gegen¬ 
stände, konnte jedoch mehrere weder bei optischer, noch bei tactiler Wahrnehmung 
benennen. 

Bei der 8ection fanden sich in der linken Grosshirnhemisphäre zwei Erweichnngs- 
borde, der eine im Gebiet der Art. profunda cerebri, der andere im Marklager deB 
Gyr. marginalis. 

Vortr. geht kurz auf die optische Aphasie ein und weist darauf hin, dass die 
Beschreibung der Krankheitsbilder von Freund zur Zeit nicht mehr als völlig zu¬ 
treffend erachtet werden können, indem cerebrale Sehstörungen, die nach Freund 
zum klinischen Bilde der optischen Aphasie gehören, gelegentlich auch fehlen können. 

Ueber die tactile Aphasie hat Vortr. 8 Fälle in der Litteratur gesammelt, in 
allen bestand zugleich optische Aphasie. Eine isolirte Zerstörung der acustisch tactilen 


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Bahn wird seiner Annahme nach zur Folge haben, dass die Benennung von einfachen 
Empfindungen gestört bezw. aufgehoben ist, während die Benennung von tactil- 
stereognostischen Wahrnehmungen erhalten sein kann. 

Vortr. hält es für wahrscheinlich, dass im vorstehenden Falle die tactile Aphasie 
anf den Herd im Marklager des linken Gyros marginalis zurückzuführen sei. 

Thomann (Fussbach): Ueber Irrenfürsorge in Ereispflegeanstalten. 

Vortr. wurde durch ein Rundschreiben des Grossh. badischen Ministeriums des 
Innern, welches auf die Nothwendigkeit der Evacuation geeigneter Pfleglinge aus den 
Irrenanstalten, bei der dauernden Ueberfüllung der ersteren, hinwies, zu seinen Fest¬ 
stellungen veranlasst. Er hält es für wesentlich, ob die Ereispflegeanstalten nur 
vorübergebend, während der lusufficienz der staatlichen Irrenanstalten, für die 
Irrenfürsorge in stärkerem Grade, als es schon bisher der Fall war, herangezogen 
werden sollen, oder ob sie dauernd als Entlastungsventile dienen sollen. In jenem 
Falle müsste man sich zu behelfen suchen; in diesem wären umfangreiche Aende- 
rungen nothwendig, bei einigen Ereispflegeanstalten mehr, bei anderen weniger. 
Vortr. betont insbesondere Folgendes: Der Arzt müsse unbedingt im Hause wohnen; 
das Pflegepersonal müsste an Zahl und Güte verbessert werden; geschlossene Ab¬ 
theilungen müssten eingerichtet werden, vor Allem damit eine Trennung der Ge¬ 
schlechter durchführbar werden. Das Zusammeuleben von geistig und körperlich 
Eranken mache den Aufenthalt für beide Eategorieen zu einer Plage und discreditire 
die Ereispflegeanstalten beim unteren Volke überhaupt. Bei der bisherigen relativ 
geringen Zahl von Geisteskranken in diesen Anstalten habe sich durch geeignete 
Placirung der Zustand noch erträglich gestalten lassen. Sollten aber die Ereispflege¬ 
anstalten mehr zur Irrenfürsorge herangezogen werden, so seien umfangreiche und 
kostspielige Neubauten nothwendig. Vortr. weist ferner darauf hin, dass sich nur 
wenige Arten von Eranken für die Ereispflegeanstalten eigneten, und wünscht vor 
der Ueberführung aus den Irrenanstalten die betreffenden Acten überwiesen zu haben, 
damit sich der Leiter der Ereispflegeanstalt ein Urtheil über die Eignung des Eranken 
bilden könne. Er möchte ferner die Rückverbringung des Pfleglings in die Irren¬ 
anstalt möglichst erleichtert sehen. Er motivirt dieses Verlangen unter Anderem damit, 
dass es bei plötzlicher Nahrungsverweigerung eines Eranken nöthig geworden sei, ihn 
durch einen Wärter mit der Schlundsonde füttern zu lassen, da der Arzt eine Stunde 
von der Anstalt entfernt wohnte. Er verlangt schliesslich besondere Irrenabtheilungen 
innerhalb der Pflegeanstalten. 

Discussion. 

Eschle (Director der Ereispflegeanstalt Hub) bezeichnete unreine, zerstörungs- 
süchtige Eranke, sowie Vagabunden als ungeeignet für Ereispflegeanstalten. 

Ereuser betont die Nothwendigkeit, Geisteskranke, trotz der erwachsenden 
Eosten, in Irrenanstalten zu verpflegen, nachdem andersartige Versuche kein brauch¬ 
bares Resultat ergeben. 

Biberbach theilt mit, dass die Siechenanstalt Heidesbeim keine Geisteskranken 
mehr aufnehme, da sie sie nicht vor Misshandlung durch die anderen Eranken 
schützen könne. 

Eräpelin freut sich, aus dem Vortrage die volle Bestätigung seiner Ansichten 
entnehmen zu können. Er warnt vor der Entwickelung einer „Winkelpsychiatrie“. 

III. Sitzung, 7. November, Nacbm. 3 Uhr. 

Smith (Marbach): Ueber eine nach Aetiologie, klinisohem Verlauf und 
Prognose genau abzugrenzende, als „alkohologene, oardiale Epilepsie“ sioh 
oharakterisirende Gruppe epileptiformer Zustände. 

Vortr. hat nach der Bianchi'sehen Frictionsmethode mit dem Phonendoskop 

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Herzuntersuchungen an Alkoholepileptikern gemacht Unter den mit Herzerweiterung 
einhergehenden Fällen von Alkoholepilepeie stellte er zwei Qroppen fest: in der ersten 
schwinden die epileptischen Erscheinungen mit der Heilung der Herzerweiterung; in 
der zweiten treten nach anfänglicher Heilung später wieder Anfälle von Herzver- 
grfeserung, vergesellschaftet mit psychischen Depressionserscheinungen, auf. Vortr. 
bespricht die Differentialdiagnose gegen genuine Epilepsie, circuläres Irresein und 
Paralyse. Therapeutisch empfiehlt er Totalabstinenz, systematische Bewegung, Trional. 

Sommer (Giessen): Die Diagnose einiger Nerven- und Geisteskrankheiten 
aus motorischen Symptomen. 

Vortr. demonstrirt eine Anzahl von Curven, welche mit den von ihm in den 
leisten Jahren construirten Apparaten aufgenommen sind. Dieselben beziehen sich 
auf die Differentialdiagnose zwischen organischen Affectionen der Pyramidenseiten¬ 
stränge und Hysterie, sowie auf die Frühdiagnose des Paralysis agitans, sowie auf 
notorische Symptome larvirter Epilepsie und in den anfallsfreien Zeiten der Epilepsie. 
Vortr. weist besonders auf die Anwendung dieser Methoden in einigen Criminalfällen 
hin. Ausführliche Publication soll später erfolgen. 

Beyer (Heidelberg): Ueber Delirien nach Atropinvergiftung. 

Vortr. schildert einen solchen Fall bei einem 57 jährigen Manne, den er in der 
psychiatrischen Klinik zu Strassburg beobachtet hat. Der Verlauf entsprach den An¬ 
gaben in der Litteratur. Die psychische Störung besteht nicht bloss in motorischer 
Erregung und einer Störung der Auffassung, welche durch eine Lähmung der sen- 
nbeln Endorgane erklärt werden könnte. Vielmehr zeigte sich völlige Zerfahrenheit 
in allen psychischen Functionen, soweit sich dies aus der objectiven Beobachtung 
mangels sprachlicher Verständigung mit dem Kranken erkennen liess. Sinnestäuschungen 
kamen nur vereinzelt vor. Hinterher bestand totale Amnesie. 

Dr. Gross (Heidelberg). 


Gesellschaft der Neuropathologen und Irrenärzte zu Moskau. 

Sitzung vom 22. October 1897. 

1. Dr. N. Schataloff: Die Bolle des Unbewussten im Leben des 
Meiisehen. 

2. Dr. W. Murawjeff: Ueber den Ursprung der Sprache. 

3. Dr. G. Bossolimo: Die Furcht und die Erziehung. 

Sitzung vom 28. November 1897. 

1. G. Pribytkoff und N. Wersiloff demonstrirten einen Kranken mit Hä- 
matomyelia centralis. 

Der Kranke, ein Bauer, 18 Jahre alt, ist bis zu seiner jetzigen Krankheit stets 
gesund gewesen. Syphilis, hereditäre, wie erworbene, wird in Abrede gestellt; kein 
Usus spirit. — Am 22. Mai 1897 entwickelte sich bei ihm, im Moment einer starken 
Muskelanstrengung, ganz plötzlich eine Paralyse beider oberen Extremitäten und 
gleich darauf, im Verlaufe einiger Minuten, auch eine Paralyse der Bumpfmuskulatur, 
Paralyse des rechten Beins und Parese des linken. Im Laufe der ersten beiden 
Tage vollständige Incontin. nrin. und hartnäckige Obstipation. Nach 2—3 Tagen 
konnte der Kranke wieder etwas uriniren, nach 2—3 Wochen stellte sich auch 
Besserung der Bewegung in den unteren Extremitäten ein. Am 1. Juli konnte er 
schon ganz gut gehen, die Arme hoch heben und sie im Ellbogen beugen; aber zu 

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92 r- 


derselben Zeit ist in den kleinen Handumskeln bereits eine deutliche Atrophie, welche 
stetig progressirt, zu bemerken. 

Bei der Untersuchung ergab sich beiderseits Einschränkung und 8chwäche der 
Finger* und Handmuskulatur, degenerative Atrophie der Handmuskeln und auch der 
Extensoren und zum Theil der Flexoren der Unterarme. Paresen und Atrophieen 
der Bumpfmuskeln und der unteren Extremitäten bestanden nicht Vollständige 
Anästhesie der Schmerz* und Temperaturempfindung auf der linken Seite der Brust 
und des Backens, deren obere Qrenze vom in der Höhe der Mammilla, hinten in 
der Höhe des oberen Bandes der Scapula liegt; nach unten reicht sie bis znm 
Bippenbogen. Starke Herabsetzung der Temperatur* und der Schmerzempfindung auf 
der ganzen linken Körperhälfte, die untere Extremitäten mit einbegriffen. Etwas 
geringere Herabsetzung der Temperatur* und Schmerzempfindung der rechten Seite 
des Körpers incl. untere Extremität von der Mammilla beginnend. Ausserdem auf 
der ulnaren Seite beider Arme im Gebiete des N. cutan. med. ebenfalls geringe 
Herabsetzung der Schmerz* und Temperaturempfindung, welche Übrigens bald ver¬ 
schwanden. Die rechte Pupille > als die linke, Lichtreaction normal. Patellarreflexe 
stark erhöht, links Fussclonus. 

Nach Ansicht der Vortr. liegt hier ein Bluterguss in die graue Substanz des 
Backenmarks vor, welcher in ungleichem Grade sowohl die vorderen, wie die hinteren 
Hörner der einen, wie der anderen Seite ergriffen hat in der Höhe des 8. Hals* und 
1. Brustsegments. 

Discnssion: 

Prof. Koshewnikoff betont die Beinheit des Falles und muthmaasst eine be¬ 
trächtliche longitudinale Ausbreitung des Blutergusses ins Bückenmark. 

Ausserdem nahmen Theil Dr. Beppmann und Dr. Korniloff. 

2. B. Orlowsky: Saroomatose de« Bückenmarks und Syringomyelie, 
aur Pathologie der Höhlenbildung im Bückenmark. 

Es handelt sich um ein I4jähr. Mädchen, welches im October 1895 erkrankte; 
zuerst bestanden leichte Schmerzen im Bücken, darauf stetig progressirende Schwäche 
in den Beinen; Anfang December ist das rechte Bein schon vollständig paralytisch, 
im linken Bein leichte Parese. Den 18./I. 1896 Aufnahme in die Nervenklinik. 

Status praesens: Complete Paraplegia inferior, die Beinmuskulatur schlaff 
atrophisch, elektrische Erregbarkeit der Ab* und Adductoren der Hüfte erloschen. 
Patellarreflexe fehlen, Achillessehnenreflex lebhaft, links Fussclonus. Anästhesie des 
Bumpfes, vom 4 Fingerbreit oberhalb des Nabels, hinten in der Höhe des 9. Wirbels 
beginnend; die Anästhesie erstreckt sich bis auf die unteren Extremitäten incL indem 
sie die hinteren Oberflächen der Schenkel und die äusseren der Unterschenkel frei¬ 
lässt (Gebiet des Plexus sacralis). Oberhalb der oberen Grenze der Anästhesie eine 
schmale hyperästhetische Zone. Betentio urinae et alvi. Die obere Hälfte des 
Körpers normal. 

Verlauf: Die Krankbeit progressirte langsam und beständig. Die Anästhesie 
verbreitete sich auch auf die Sacralnerven, am Körper rückte ihre Grenze immer 
höher und höher; es stellte sich Decubitus ein, Parästhesieen und Zittern in den 
Händen, dem Intentionszittem ähnlich, Nystagmus. Im September griff die Anästhesie 
auch auf die Arme über, zunächst im Gebiete der N. ulnar.; allmähliche Entwicke¬ 
lung einer Parese der Arme; die unteren Extremitäten stark abgemagert. Die Er¬ 
scheinungen aggravirten, bald blieb nur noch die Sensibilität des Gesichts normal, 
die Bumpfmuskulatur wurde paretisch (Athmung nur vermittels des Zwerchfells), die 
Parese der oberen Extremitäten zeigte deutliche Zunahme. Ende November septi- 
cämische Symptome; eine Beihe bulbärer Erscheinungen; allmähliche Parese des 
Acust. dext.; Paralyse des Fac. dext. Exitus am 18. December 1896. 

Ergebniss der anatomischen Untersuchung: Im Wirbeloanal eine sarcomatöse 


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Neubildung, welche ihren Ausgangspunkt augenscheinlich von den weichen Bfioken- 
markshäuten nimmt (Endothelioma), ein Product von Endothel Wucherung, welche 
sämmtliche Trabekel und Lymphspalten der Pia mater und Adventitia der Gef&sse 
auskleidet. Die Neubildung hat den ganzen unteren Tbeil des Spinalmarks zerstört 
und ist in der Hohe der zwei untersten Dorsal* und des obersten Lumbalwirbels 
durch die Dura und den den Wirbelcanal auskleidenden ligamentären Apparat nach 
aussen durchgebrochen. Im Gewebe des Tumors zahlreiche Gef&sse, zum Theil obli- 
terirt und deutliche hyaline Entartung und Verkalkung aufweisend; grosse Menge 
von Bindegewebe, ebenfalls zum grössten Theil hyalin entartet. In der Höhe der 
9. Spinalwurzel beginnend, breitet sich die Neubildung gleichsam nach zwei Bichtungen 
ans. Die Hauptmasse schiebt sich in den Subduralraum vor, in Form eines Futterals 
das Bttckenmark zusammenpressend und in dasselbe an einigen 8tellen hineinwuchernd. 
Die Dicke dieses Futterals ist in verschiedenen Höhen nicht die gleiche: zuerst ver* 
jfingt sich die Neubildung in der Bichtung nach oben, aber in der Höhe der Hals* 
anschwellung erfährt sie wiederum eine bedeutende Zunahme, um dann rasch ab* 
xafallen und in der Gegend der Pyramidenkreuzung aufzuhören. 

Den anderen Verbreitungsweg der Neubildung stellt der centrale Theil des 
Bfickenmarks dar, längs welchem sie sich in Form einer ziemlich scharf abgegrenzten 
Colonne ausbreitet, mit Höhlenbildung im Inneren derselben, welche mit Bindegewebe 
ansgekleidet erscheint; im oberen Brusttheil theilen sich die centrale Neubildung und 
die Höhlenbildung: die erste ist in Fasern einer begrenzten Insel im rechten Bur* 
dach’sehen Strang gelegen, die Höhlenbildung aber, im eigentlichen Sinne Glia¬ 
wucherung mit beginnender Höhlenbildung localisirt sich im linken Hinterstrange. 
Eine andere Höhlenbildung, welche in keinerlei wahrnehmbarem Zusammenhänge mit 
der sarcomatösen Neubildung steht, befindet sich im centralen Theil des oberen Hals¬ 
marks; sie entwickelt sich in Mitten einer Gliose, welcher auch tiefer unten in der 
Ausdehnung mehrerer Segmente in Form eines Fleckens im Hinterstrange zu be¬ 
merken ist. Beide Höhlen sind nirgends mit Epithel ausgekleidet und haben augen¬ 
scheinlich keine Beziehungen zum Centralcanal. In Folge von Divertikelbildung stellt 
der letztere sich an vielen Stellen als multiple dar (so sieht man z. B. in der Höhe 
der HalBanschwellung 6—7 Canäle). Abgesehen von allen diesen Veränderungen 
kann man in der Bfickenmarksubstanz eine hochgradige Stauung des Blutes in der 
Lymphe constatiren; besonders deutlich tritt diese Erscheinung im oberen flalsmark, 
unterhalb der oberen Höhlenbildung hervor. Das verlängerte Mark hochgradig er¬ 
weicht (bis zur fifissigen Coneistenz). In der Pia mater des Gross* und Kleinhirns 
kleine Metastasen des Sarcoms. ln den Qbrigen inneren Organen keinerlei Metastasen 
der Geschwulst. 

In anatomischer Hinsicht bietet unser Fall scharfe Besonderheiten, welche ihn 
aus der Beihe anderer Beobachtungen von Sarcomatose der weichen Rfickenmarkshäute 
hennsbeben: 1. Die hochgradigen Veränderungen der Gefässobliteration, hyaline 
Degeneration und Verkalkung; 2. Beziehungen der sarcomatösen Elemente zur Bficken- 
marksubstanz selbst — die letztere ist gestört oder an vielen Stellen zerstört, selbst 
wo die Neubildung in den Häuten wenig vorgeschritten ist. Viele Facta sprechen 
dafür, dass die untere Höhlenbildung im Bfickenmark nicht in Folge Zerfall der 
sarcomatösen Neubildung entstanden ist; die Elemente der letzteren sind wahrschein¬ 
lich in die Wandung einer schon vorgebildeten Höhle hineingewuchert. Die obere 
Böhlenbildung ist eine wirkliche aus einer Gliose entstandene Syringomyelie, an der 
Bildung der Wandung nehmen keinen geringen Antheil die obliterirten Gef&sse, 
welche sich in bindegewebige Stränge umgewandelt haben. 

Beide Proceese, welche im Rfickenmarke gefunden wurden: die Gliose mit 
Syringomyelie und die Sarcomatose können nicht als ein zufälliges Zusammentreffen 
betrachtet werden, um so mehr als ein gleichzeitiges Nebeneinanderbestehen von 
Geschwulst und Höhlenbildung des Bfickenmarks in der Litteratur viele Male be- 

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schrieben worden ist. Die Neubildung ruft, indem sie in den Häuten und im 
Rückenmark wächst, in dem letzteren eine hochgradige Stauung hervor; die Stauung 
kann das ursächliche Moment zum verstärkten Wachsthum der Neuroglia bis zur 
Gliose geben, in welcher letzteren dann Höhlenbildung auftritt. Auf diese Weise 
erscheint die beschriebene Beobachtung als Bestätigung der Theorie von Langhaus 
und Eronthal Ober den Ursprung der Syringomyelie in Folge von Stauung. Dieses 
bezieht sich natürlich nur auf eine gewisse Reihe von Fällen, obgleich diese Reihe 
nicht nur durch Rückenmarksgeschwülste erschöpft wird; hierher gehört auch jede 
andere Gompression dieses Organs. Im Mechanismus der Einwirkung dieser Stauung 
bleibt vieles noch unaufgeklärt; jedenfalls ist die Betheiligung des Centralcanals im 
gegebenen Processe entgegen der Meinung von Langhaus, Eronthal und Schle¬ 
singer nicht unbedingt nothwendig. 

Der Vortrag wurde begleitet mit Demonstration einer Serie von mikroskopischen 
Schnitten mittels des Projectionsapparates. 

Discussion: Dr. Muratow bemerkt, dass ihm der Charakter der Zellen, welche 
die Wandung der Höhle im oberen Halsmark auskleiden, nicht ganz klar geworden 
ist. Ausserdem ist er mit Dr. Eorniloff der Meinung, dass dieser Fall die 
Theorie von Langhaus und Eronthal weder zu stützen noch zu widerlegen im 
Stande ist. 

Dr. Murawjeff meint, dass im gegebenen Falle sowohl die Gliose, als auch 
die Sarcomatose ein angeborener Process ist; auf diese Weise beweist der Fall die 
Theorie der embryonalen Entstehung der Gliomatosesyringomyelie. 

Ausserdem betheiligten sich an der Discussion Dr. Weydenhammer, Prof. 
Eoshewnikoff und Dr. Rossolimo. 

3. P. Strelzoff: Zur Casuistik von Fremdkörpern im Magen Geistes¬ 
kranker. 

Der Autor berichtet über einen Fall, wo ein Melancholiker einen eisernen Nuss¬ 
knacker von 250 g Gewicht verschluckt hatte ohne nachtbeilige Folgen. Nach 
2 Jahren bahnte sich die eine eiserne Branche der Zange durch die linke Seite des 
Brustkorbes einen Weg nach aussen und wurde hier nach Durchschneidung der 
Hautdecken entfernt. Die zweite Branche wurde durch diselbe Fistel aus dem 
Magen extrahiri Beide Branchen zeigten ein stark uaurirtes Aussehen, das Schloss 
war nicht zu finden. 

Die Herren Repmann, Jakovenko, Eorssakoff und Pribytkoff führten 
ihnen bekannte ähnliche Fälle an. 


IV. Bibliographie. 

Die Geschwülste des Nervensystems, von Dr. Ludwig Bruns. Eine klinische 
Studie. (Berlin 1897. Verlag von S. Earger.) 

Das vorliegende, umfangreiche Werk, welches dem Begründer der Lehre von der 
Localisation der Functionen der Grosshimrinde Hitzig gewidmet ist, nennt sich allzu 
bescheiden „eine kritische Studie“. In Wirklichkeit bietet dasselbe eine so erschöpfende 
Darstellung der Geschwülste des gesammten Nervensystems, wie wir sie bisher noch 
nicht besessen haben. Trägt das Werk einerseits den Stempel der Individualität des 
auf diesem Gebiete so erfahrenen Autors, so berücksichtigt dasselbe auf der anderen 
Seite die gesammte einschlägige Litteratur in einer so vollständigen und übersicht¬ 
lichen Weise, dass hierdurch allenthalben die Möglichkeit einer raschen Orientirung 
gegeben ist. Wer künftighin auf diesem Gebiete arbeiten will, wird dieses werth¬ 
vollen Fundaments nicht entrathen können. 


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Man wird dem Verf. darin beipflichten, wenn er die chirurgische' Behandlung 
•der Gehirn- and Bfickenmarksgeschwülste und die Erfolge, welche diese Operationen 
gezeitigt haben, zn den grössten Errungenschaften der wissenschaftlichen Medicin 
des letzten Viertels unseres Jahrhunderts zählt. Freilich muss man ihm auch darin 
beipflichten, dass die bisher auf chirurgischem Wege erzielten wirklichen Heilerfolge 
noch recht spärliche sind. Jedenfalls steht nach den bisherigen Erfahrungen soviel 
fest, dass eine Heilung der grossen Mehrzahl der Geschwülste des Nervensystems nur 
auf chirurgischem Wege möglich ist und dass es die Pflicht des Neurologen ist, 
durch seine Arbeit dazu beizutragen, dass immer mehr Fälle dieser Art möglichst 
frühzeitig und mit sicherer Diagnose, d. h. • unter den günstigsten Bedingungen für 
eine radicale Heilung dem Chirurgen zugewiesen werden können. 

Den breitesten Baum nehmen in der Darstellung naturgemäss die Hirntumoren 
ein. Diese haben wohl von jeher das Interesse der Kliniker und pathologischen 
Anatomen in hohem Maasse erregt, aber mit der Diagnose schien der Fall für den 
Kliniker beinahe erledigt, denn die Unmöglichkeit einer Besserung, geschweige denn 
einer Heilung galt fast als selbstverständlich. So sehr auch die Entdeckung der 
Bedeutung der Stauungspapille durch v. Gräfe und die physiologischen Experimente 
von Hitzig und Fritsch geeignet gewesen wären, die Diagnose zu fördern, so hat 
doch die Klinik nur langsam diese werthvollen Errungenschaften sich zu eigen zu 
machen verstanden. Es bestand nun einmal das Vorurtheil, dass bei jedem Sitz der 
Geschwulst die verschiedensten, bezw. bei verschiedenstem Sitz die gleichen Symptome 
bestehen können. Der sogenannten Fernwirkung der Hirngeschwülste wurde eine viel 
zu weitgehende Bedeutung zugemessen und man nahm allgemein an, dass die Functions- 
Störungen sich keineswegs auf die von der Geschwulst ergriffenen Partieen und ihre 
Nachbarschaft beschränken, und dass jene sich vielmehr auf zahlreiche, vom Sitze 
der Geschwulst z. Th. sehr weit entfernte Hirnprovinzen erstrecken können. 

Diese Lehre von der Unmöglichkeit, bezw. seltenen Möglichkeit der Localdiagnose 
einer Hirngeschwulst konnte indessen der fortschreitenden Erkenntniss auf die Dauer 
doch nicht Stand halten. Die exacten pathologischen und histologischen Untersuchungen 
über die Natur der Hirngeschwülste, der Ausbau der Lehre von der Localisation der 
Functionen des Grosshirns, die Vervollkommnung der chirurgischen Technik und die 
ungeahnten Erfolge der antiseptischen Wundbehandlung liessen erst den Gedanken 
aufkommen, ob es nicht möglich wäre, eine Hirngeschwulst auf operativem Wege zu 
entfernen. Den ersten missglückten Versuchen von Bonn et und Godlee folgte bald 
die erste glückliche und erfolgreiche Operation durch Victor Horsley und die An¬ 
erkennung, welche Charcot diesen Erfolgen zollte, bewirkte, dass diese Operationen 
allenthalben schnell in Aufnahme kamen. Die zahlreichen Operationen, welche nun¬ 
mehr gemacht wurden, gaben wiederum den Neurologen die willkommene Gelegen¬ 
heit, die durch das Thierexperiment gewonnenen Erfahrungen am Menschen nach- 
znprüfen. 

Pathologie, Vorkommen und Häufigkeit der Hirntumoren und insbesondere 
Symptomatologie und Diagnose sind eingeheud in besonderen Capiteln behandelt 
Wenngleich die Thatsache feststeht, dass ein Hirntumor ganz symptomlos verlaufen 
kann, so ruft derselbe doch in den weitaus meisten Fällen ein wohlcharakterisirtes 
und leicht diagnosticirbares Krankheitsbild hervor: Kopfschmerz, Schwindel, Erbrechen, 
Anomalieen der Herzthätigkeit und der Athmung, psychische Störungen, Krämpfe und 
Stauungspapille sind die häufigsten Allgemeinsymptome der Hirngeschwülste und diese 
Allgemeinerscheinungen gehen in der Begel den Localerscheinungen zeitlich voran. 
Die genaue detaillirte Schilderung der Localsymptome bildet begreiflicherweise den 
wesentlichsten Theil dieses Capitels: ist doch eine exacte Localdiagnose die wesent¬ 
lichste Voraussetzung für ein erfolgreiches operatives Vorgehen! Die bisherigen Er¬ 
fahrungen haben erwiesen, dass die Fälle, welche eine Localdiagnose nicht gestatten, 
die grosse Minderheit bilden. Konnte doch Verf. bei 76 Fällen 61 Mal eine Local- 

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diagnose stellen und in 7 mit Localdiagnose zur Operation gekommenen Pillen fand 
Verf. diese Diagnose jedesmal bestitigtl Natoigemiss pr&valiren bei den grossen 
Tumoren die Allgemeinsymptome derart, dass die Localsymptome dadurch geradezu 
▼erwischt werden und im Allgemeinen kann man sagen, dass die aus bestimmten 
Symptomen gewonnenen localdiagnostischen Schlösse um so sicherer sind, je geringer 
die Ällgemeinsymptome sind, d. h. mit anderen Worten, je kleiner der Tnmor ist 

Für die specielle Differentialdiagnose des Hirntumors kommen hauptsächlich in 
Betracht: Hirnabscess, Meningitis, Hirnsyphilis, Hämatom der Dura mater, Encepha- 
litis, Paralyse, Hydrocephalie, multiple Sclerose, Epilepsie, Neurasthenie, Hypochondrie 
und Hysterie. Besonders die letztere - spielt bei der Differentialdiagnose ziemlich 
häufig eine Bolle, und eine vom Verf. genauer mitgetheilte Krankengeschichte be¬ 
weist, dass hierbei selbst dem gefibten Untersuoher ein diagnostischer Irrthum passiren 
kann. Im Allgemeinen aber kann man wohl den Satz von Gowers gelten lassen: 
„Nie lasse man sich durch bestehende Erscheinungen von Hysterie soweit beeinflussen, 
dass man daraus die Diagnose Hysterie allein stellt und die weitere Untersuchung 
nach organischen Veränderungen aufgiebt. Bei Hirntumoren fehlen solche Verände¬ 
rungen nie!“ (? Bef.) 

Nun ist freilich von der Diagnose bis zur Operation noch ein weiter Weg. 
Denn 60 °/ 0 der Hirntumoren mit sicherer Localdiagnose fallen fflr eine chirurgische 
Behandlung schon deshalb fort, weil sie operativ überhaupt nicht zu erreichen sind. 
Da nun ferner nur 80 °/ 0 aller Fälle eine exacte Localdiagnose (im günstigsten Fall) 
gestatten, so würden von 100 Tumoren nur etwa 30 übrig bleiben, bei welchen eine 
sichere Allgemein- und Localdiagnose möglich ist und bei welchen zugleich der Tumor 
an einer chirurgisch angreifbaren Stelle sitzt. Von diesen Fällen scheidet aber noch 
eine erhebliche Zahl aus, nämlich diejenigen, welche sich bei der Operation nach¬ 
träglich noch als inoperabel erweisen. Es würde nach alledem die Zahl der operablen 
Fälle auf etwa 8 °/ 0 und nach Abzug der ungünstig verlaufenen Fälle sogar auf etwa 
4 °/ 0 herabsinken. 8o wenig dies Besultat an sich erfreulich erscheinen mag, so muss 
man doch bedenken, dass auch diese 4°/ 0 boi der exspectativen Behandlung sicher 
verloren gewesen wären. 

Eine Besserung in dieser Hinsicht ist nur zu erwarten, wenn es gelingt, die 
Diagnose in allen Fällen möglichst frühzeitig zu stellen. 

Es würde den Bahmen eines Referates weit überschreiten, wenn ich die Dar* 
Stellung der Geschwülste des Bückenmarks und der peripheren Nerven an dieser 
8telle auch nur in aller Kürze besprechen wollte. Auch hier herrscht überall in der 
Darstellung Klarheit, Uebersichtlichkeit und Vollständigkeit. Die zahlreichen, im 
Text enthaltenen guten Abbildungen tragen zum Verständniss der schwierigen Materie 
viel bei. Die Ausstattung des Buches ist tadellos. Dasselbe sei dem Fachmann 
zum Studium angelegentlichst empfohlen: Es darf ihm in seiner Bibliothek nicht 
fehlen. Adler (Berlin). 


V. Personalien. 

Unser geschätzter Mitarbeiter Herr Dr. August von Luzenberger bat sich in Neapel 
als Privatdocent für Neuropathologie habilitirt. 


Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten. 

Einsendungen für die Redaction sind zu richten an Prot Dr. E. Mendel, 
Berlin, NW. Schiffbauerdamm 80. 

Verlag von Vxit & Comp, in Leipzig. — Druck von Mareosm & Wime in Leipzig. 


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Neurologisches Centralblatt. 

Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, .Physiologie, Pathologie 
und Therapie des Nervensystems einschliesslich der Geisteskrankheiten. 

Heraasgegeben von 

Professor Dr. E. Hendel 

Siebzehnter " B * rUn ' Jahrgang. 

Monatlich erscheinen swei Nummern. Preis des Jahrganges 24 Mark. Zu beziehen durch 
alle Buchhandlungen des In- und Auslandes, die PostanBtalten des Deutschen Reichs, sowie 

direct von der Verlagsbuchhandlung. 

1898. ^ 1 Februar. Nr. 3. 

I. Originalmitthellungen. 1. Zur Frage von den Lähmungserscheinungen bei Pasteur’schen 
Impfungen, von Prof. L. 0. Darkschewitsch in Kasan. 2. Beiträge zur absteigenden Hinter- 
strangsdegeneration, von Dr r Julius Zappert. 3. Ueber angeborenen Mnskelkrampf und Hyper¬ 
trophie an der linken oberen Extremität, von Dr. S. Kalischer, Arzt für Nervenkranke. 

II. Referate. Anatomie. 1. Untersuchungen über den Faserverlauf im Ohiasma des 
Pferdes und über den binocularen Sebact dieses Thieres, von Dexler. 2. Sur les appendices 
des dendrites, par StEfanowska. — Experimentelle Physiologie. 3. Studi su teati 
ment&li, per Pinall. 4. Ueber die Veränderungen in der Blutcirculation nach Einwirkung 
des Nebennieren-Extracts, von Velich. — Pathologische Anatomie. 5. Uber die Todes¬ 
fälle und Sectionsbefunde der Zürcherischen kantonalen Irrenheilanstalt Burghölzli vom 
17. März 1879 bis 17. März 1896, von Brehm. 6. Mikroskopische Veränderungen der Nieren 
und Leber in 52 Fällen von Psychoneurosen, von Falk. — Pathologie des Nerven¬ 
systems. 7. Beiträge zur Symptomatologie und Anatomie der Akromegalie, von Schultza. 

8. Ein Beitrag zur Pathologie und pathologischen Anatomie der Akromegalie, von Strümpell. 

9. Ett fall af akromegali, af Hagelstam. 10. A case of acromegalia with autopsy, by Brooks. 
11. Ueber die Beziehungen der Akromegalie zum Diabetes mellitus, von Pineies. 12. Un 
caeo di acromegalia con eraianopsia bitemporale e inferiore, per Monteverdl e Torracchl. 
13. Süll- acromegalia, per Pausinl. 14. Sopra un caso di acromegalia parziale, per Antomlvl. 
15. Die Akromegalie, von Sternberg. 16. Notes on a case of hypertrophic pulmonary-osteo- 
arthropathy, by Edgar. 17. Dell’ osteo-artropati^ ipertrofica pneumica, per Massa longo. 18. Dege¬ 
neration of the nerves in alcoholism, by Tooth. 19. Alcoolisme, hemiplegie gauohe et Epi¬ 
lepsie consEcutive, sclErose atrophique, pachvmEningite et meningo-encEphaüte, par Bourneville 
et Rellay. — Psychiatrie. 20. Ueber alkoholische Paralyse und infectiöse Neuritis multiplex, 
von Tiling. 21. Sur l’absence d’alteration des cellules nerveuses de la moelle epiniere dans 
un cas de paralysie alcoolique en voie d’ameüoration, par Dejerine. 22. Drankzucht en 
bare genezing, door Ruysch. 23. Un cas d’ivresse patholögique, par Repond. 24. Patronage 
des alienes et alcoolisme, par de Boeck. 25. Du somnambulisme alcoolique considerE surtout 
au point de vue mEdico-lEgal, par Francotte. 26. Zur Katatoniefrage, von SchUle. 2?. Os- 
sessioni sessuali con impulsioni al suicidio per impiccamento (accessi di Autosadismo), per 
Tamburini. — Assasioni per voluttä (allucinazioni sessuali ossessive), per Guicciardi. — Auto- 
sadismo e Automasochismo, per Tamburini. — Therapie. 28. La thErapeutique de alcoo¬ 
lisme par rintemement prolongE des buveurs, par Marandon de Montyel. 29. Die chirurgische 
Thätigkeit des Irrenarztes in der Anstalt, von Nicke. 30. Sur la valeur diagnostique de la 
ponction lombaire, par Denigds et Sabrazis. 

III. Aus den Gesellschaften. Berliner Gesellschaft für Psychiatrie und Nervenkrank- * 
beiten. — Wissenschaftliche Versammlung der Aerzte der St. Petersburger Klinik für Nerven- 
und Geisteskranke. 

IV. Vermischtes. Einladung. — Notiz. 

V. Berichtigung. 


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I. Originalmittheilungen. 


1. Zur Frage von 

den Lähmungserscheinungen bei Pasteur’schen Impfungen. 

Von Prof. L. O. Darksohewitsoh zu Kasan. 

• 

In letzter Zeit stösst man in der Litteratur 1 auf Fälle, wo sich bei Personen, 
welche PASTEun’schen Impfungen unterzogen wurden, Lähmungserscheinungen 
entwickelt haben. Diese Fälle müssen unsere Aufmerksamkeit in Anspruch 
nehmen, dä sie eine Frage anregen, welche sowohl theoretisch als praktisch von 
Wichtigkeit ist. Einerseits ist es wichtig, festzustellen, ob in der That bei Wuth- 
8chutzimpfungen Lähmungen Vorkommen, andererseits, die Frage zu erörtern, 
welchen Ursprunges solche Lähmungen Sind, welchen Verlauf sie gewöhnlich 
nehmen u. s. w. Indem wir diese Fragen beantworten, erreichen wir auch 
praktische Resultate — wir stellen klar, inwiefern die Furcht vor den Pasteub’- 
schen Impfungen begründet ist, welche duroh solche Fälle, wie die in der Litte¬ 
ratur beschriebenen, in der Gesellschaft hervorgerufen wird. Das Alles wird 
aber ohne Zweifel erst dann möglich, wenn wir ein hinreichendes factisches 
Material .zu unserer Verfügung haben; für’s Erste ist dasselbe noch zu spärlich. 
Letzterer Umstand veranlasst mich, hier zwei Fälle zü beschreiben, wo sich un¬ 
willkürlich die Frage nach dem Zusammenhang zwischen den Wuthimpfungen 
und der Entwickelung von Lähmungserscheinungen aufdrängt. 

Fall I. Sch. 32 a. n., verheirathet, hat 3 gesunde Kinder; Lues und Potus 
in Abrede gestellt. Am 27./VII. 1896 Abends beim Schlafengehen bemerkte Sch. 
seinen Haushund im Schlafzimmer unter dem Bett, und rief das Thier hinaus; es 

gehorchte nicht. Er machte mit der Hand eine Bewegung, als ob er den Hund 

schlagen wolle, wobei Letzterer zwei Finger der Hand mit den ZähDen packte. Pat 
riss die Hand zurück und schlug dabei gerade mit den vom Hunde gebissenen Fingern 
an das eiserne Bett. Der Schmerz war geringfügig. Nachdem die Hand gewaschen 
war, erwies sich an einem der Finger eine Abschürfung; Patient vermochte nicht zu 
sagen, ob die Abschürfung vom Bisse des Hundes oder vom Schlage an das eiserne 
Bett herrührte. Der Hund, welcher aus dem Zimmer verjagt wurde, biss unterwegs 

noch die Mutter des Patienten, und — soviel mir erinnerlicb — auch eine Magd. 

Bei beiden Letzteren jedoch waren keine Bissspuren zu entdecken. Der Hund wurde 
getödtet und von dem besichtigenden Veterinär als toll erklärt, obgleich die Diagnose 
nicht durch Impfungen controllirt worden war. 

Vom 1. bis zum 12. August wurde der Kranke mit Pasteur’schen Injectionen 
behandelt. Innerhalb dieser Zeit war unbedeutender Husten und Schnupfen vorhanden. 
Nachdem die Impfungen beendigt waren, kehrte der Kranke am 14./VIII. nach Hause 
zurück unf fühlte sich soweit gut, dass er an demselbe Tage, wie er es gewohnt 


Bulletin de l’Academie. 1897. Nr. 24, 26. 


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war, zweimal im Flosse badete. Am 17./VIII. bemerkte Patient zuerst eine erbeb' 
liebe Schwäche im rechten Tibiotarsalgelenke. Darauf traten nacheinander anf: 
Schmerzen im linken Bein, in beiden Armen, erhebliche Abnahme der Sensibilität im 
linken Bein nnd eine gewisse Ungeschicktheit beider Arme bei feineren Bewegungen. 
Bis Ende August hatte der paretische Zustand des rechten Beines erheblich abge- 
nommen, die Schmerzen dagegen dauerten fort, wenn auch in verminderter Intensität. 

Ich sah den Kranken zuerst am 23./XI. 1896, und constatirte bei der Unter¬ 
suchung Folgendes: verminderte Kraft in den activen Bewegungen der Arme und 
Beine mit dem Charakter einer peripheren Parese; der linke Arm nnd das linke 
Bein sind deutlich schwächer als die Extremitäten der rechten Seite. Am meisten 
lusgeprägt ist die ungenügende Beugung der Finger an der linken Hand. Bei 
feineren Bewegungen der Finger — deutliche Ataxie. Der Gang ist nicht wesentlich 
verändert; RoMBEBo’sches Symptom nicht vorhanden. Kniereflexe normal, Becken¬ 
organe ungestört Die Lichtreaction der Pupillen etwas träge. Augenfällige 
Parästhesieen in den Extremitäten, besonders den Armen, und zwar sandiges Gefühl 
nnd Ameisenkriechen. Die Schmerzempfindlichkeit ist an den Extremitäten erheblich 
herabgesetzt, und zwar entspricht der Typus der Anästhesie ihrer Anordnung nach 
am meisten dem peripherischen. Die anderen Kategorien der Sensibilität weisen 
keine merkliche Abweichung von der Norm auf. Anästhesie des weichen Gaumens. 
Spontane Schmerzen in den Extremitäten sind zwar vorhanden, aber nur äusserst 
unbedeutend. Deutliche Empfindlichkeit der Muskeln und Nervenstämme ist nicht 
nachzuweisen (vor Kurzem noch vorhanden gewesen!). Deutliche Abmagerung der 
kurzen Muskeln der linken Hand, weniger erheblich an der rechten Hand; die Unter¬ 
suchung der elektrischen Erregbarkeit ergiebt eine quantitative Abschwächung der 
Beaction auf. beide Stromesarten. 

Zum zweiten Mal untersuchte ich den Kranken im Juni 1897. Von dem 
früheren Symptomencomplex war nur noch eine gewisse Unsicherheit der Finger- 
bewegungen nachzuweisen, besonders an der linken Hand; Parästhesieen in den Armen 
und unbedeutende Verminderung des Schmerzgefühls an den oberen Extremitäten. 
Im Uebrigen war nichts Anormales nachzuweisen. 

Was die beiden anderen Personen betrifft, welche von dem Hunde gebissen 
waren, so wurden sie auch mit Impfungen behandelt, und zwar gleichzeitig mit Sch., 
auf der gleichen Station; doch waren bei ihnen keinerlei Krankheitserscheinungen 
zu beobachten, weder unmittelbar nach den Impfungen, noch auch in der Folge — 
bis zum Juni 1897. 

Fall II. B. 28 a. n., unverheirathet. Bedeutender Potus. Lues wird nicht 
zugegeben und ist auch objectiv nicht nachzuweisen. Mitte Februar 1897 wurde er 
am rechten Unterschenkel von einem Hunde gebissen. Obgleich der Hund sich nicht 
ab tollwüthig erwies, so begab sich B. dennoch eine Woche nach dem Biss auf die 
Impfstation, wo er 16 Injectionen erhielt. Eine Woche nach Beendigung der Injec- 
tionen — am den 20./IIL — entwickelte sich im Laufe weniger Stunden eine 
Lähmung des n. faciali s dexter, und zwei Ta ge apäiar über Macht aueb eine Läh- 
mung des n. facialis sinister. Das Kauen fester Speisen, sowie das Schlucken flüssiger 
wurde dem Kranken äusserst beschwerlich, die Augen waren beständig offen. Was 
die Extremitäten betrifft, so war nach Angabe des Kranken an ihnen nichts Abnormes 
zu bemerken. 

Die Besserung im Befinden des Kranken begann schon eine Woche nach dem 
Auftreten der Lähmungserscheinungen sich bemerkbar zu machen, und machte seit¬ 
dem stetige, wenn auch langsame Fortschritte. 

Der Kranke wurde am 10./IX. 1897 besichtigt. Es fanden sich Spuren von 
Parese der oberen Aeste n. facialis utriueqno und eine deutlichere Parese im Gebiet 
der unteren Aeste beider Seiten. Dife' alektmche Untersuchung örgafe eine bedeu¬ 
tende Herabsetzung der Erregbarkeit auf beide Stromesarten, ohne ’jegliche Spur von 


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Alteration der Formel und des normalen Charakters der Muskelcontractionen. Von 
Seiten des Trigeminus nichts Abnormes; ebenso ist auch im übrigen Nervensystem 
nichts Anormales zu entdecken. Die Obren sind gesund. 


Die erste Frage, welche wir zü entscheiden haben, ist die, -ob die Entwicke¬ 
lung der Lähmungserscheinungen, welche hei unseren Kranken auftraten, den 
Impfungen zuzuschreiben sei, welchen sie wegen der erlittenen Bisswunden unter¬ 
zogen worden waren. 

Die Entscheidung, dieser Frage bietet sicherlich grosse Schwierigkeiten dar, 
welche aus dem Wesen der Frage selbst entspringen. Jedes Mal, wenn wir für 
irgend eine Krankheitsform ein neues ätiologisches Moment feststellen sollen, 
halten wir uns vorzugsweise an zwei Erwägungen: 1. ob die Entwickelung der 
betreffenden Erkrankung mehr oder weniger häufig mit dem Vorhandensein des 
entsprechenden ätiologischen Momentes zusammentrifft, und 2. ob in jedem ein¬ 
zelnen Falle der gegebenen Erkrankungsform andere mehr oder weniger sicher¬ 
gestellte ätiologische Momente ausgeschlossen werden können. . 

Diese Grundlagen haben jedoch begreiflicher Weise nur relative Bedeutung. 
Die erste Erwägung kann uns nur dann bei der Entscheidung der angedeuteten 
Frage von Nutzen sein, wenn die Casuistik der uns interessirenden Krankheits¬ 
form . durch Mittheilung einer grösseren Zahl von Fällen so bedeutend wird, 
dass schon die Statistik direct für die Nothwendigkeit der Annahme eines 
Zusammenhanges zwischen beiden Erscheinungen spricht. Was das zweite 
Postulat anlangt, so kann auch diesem nur in besonders glücklichen Fällen 
genügt werden, wo wir in Folge ausserordentlich günstiger Umstände, oft ganz 
zufällig, ganz ohne Zögern und mit voller Berechtigung jeden anderen Einfluss 
ausschliessen und einzig auf diejenige Ursache recurriren dürfen, deren ätio¬ 
logische Bedeutung uns hier beschäftigt. Während also die zweite der an- 
geführtep Erwägungen einen besonders glücklichen Zufall voraussetzt, erfordert 
die erste eine sehr reiche Casuistik. 


Um die beregte Frage in Bezug auf unsere zwei Fälle zu entscheiden, 
müssen wir uns natürlich vorzugsweise auf die zweite Erwägung stützen — das 
Fehlen solcher Momente, welche ausser den Impfungen der Verursachung der 
Lähmungserscheinungen hätten beschuldigt werden können. In dieser Hinsicht 
verdient unser erster Fall besondere Beachtung. Wir sahen, dass unser Patient 
sich bis zur Entwickelung der Krankheit in jeder Hinsicht vollkommen wohl 
fühlte, und dass auch in der näherliegenden Vergangenheit nichts vorlag, was 
mit der Entwickelung der paretischen Erscheinungen .hätte in Verbindung ge¬ 
bracht werden können. Unwillkürlich blieben die Gedanken bei den kürzlich 
ausgeführten Impfungen stehen, und mit diesem Gedanken — dass die Läh¬ 
mungen sich in Folge der Impfungen entwickelt hätten — kam der Kranke 
zur Consultation zu mir. In der entfernteren Vergangenheit des Kranken irgend 
ein Moment zu finden, welches in ursächlichem Zusammenhang mit der gegen¬ 
wärtigen Erkrankung gebracht.werden könnte, gelang ebenfalls nicht: Patient 
hatte nienuOf :Al{co.Kclüii?sbuänc*t getrieben, noch an Syphilis gelitten, was auch 
durch die olarjectite Untersuchung bestätigt wurde. 


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Was den zweiten Kranken betrifft, so lag der Gedanke, die Entwickelung 
der Faeialisdiplegie mit den vorhergegangenen Impfungen in Zusammenhang zu 
bringen, auf den ersten Blick bei Weitem nicht so nahe, wie hinsichtlich des 
ersten Kranken; gleichwohl erschien zuletzt die* Annahme, dass auch hier die 
Impfungen die Bolle eines ätiologischen Momentes gespielt haben könnten, doch 
näherliegend, als jede ändere Erklärung der Krankheitsentstehung. Sahen wir 
doch, dass die gewöhnlichsten Ursachen für Diplegia facialis — Syphilis und 
Ohrenleiden — bei unserem Kranken fehlten, ebenso deutete nichts auf eine 
Erkrankung der-Meningen der Hirnbasis, noch auch auf eine Affection der 
Varolsbrücke, zumal da auch der Verlauf der Diplegie in unserem Falle 
gegen eine solche Annahme sprach. Die Entstehung der Lähmung dem Alkohol¬ 
missbrauch zozuschreiben, ist ebenfalls kaum berechtigt, da weder zur Zeit der 
Entstehung der Diplegie, noch auch in der Folgezeit, als die Lähmungserschei¬ 
nungen im- Facialisgebiet nachzulassen begannen, eine Affection anderer peri¬ 
pherer Nerven beobachtet worden ist Es erübrigte noch, eine Diplegie e frigore 
auszuschliessen. Allein die Diplegia facialis e frigore ist bekanntlich eine grosse 
Seltenheit; .wenigstens ist mir persönlich im Laufe der letzten 5 Jahre im 
Ambulatorium der Kasaner Nervenklinik kein Fall von Faeialisdiplegie begegnet, 
wo die Erkrankung beider Fadales mit Sicherheit auf eine primäre und isolirte 
Polyneuritis zurückzuführen gewesen wäre. Somit dünkt uns die Annahme am 
Wahrscheinlichsten, dass auch in unserem zweiten Falle die Wuthschutz- 
impfungen nicht ohne Einfluss auf die Entwickelung der Faeialisdiplegie ge¬ 
blieben sind. 

Wenn wir constatiren, dass in unseren beiden Fällen die Wuthschutz- 
impfungen als das wahrscheinlichste ätiologische Moment anzusehen sind, so 
sind wir damit auch genöthigt, zuzugeben, dass die Lähmungserscheinungen, 
welche sich im Anschluss an diese Impfungen entwickeln, nicht nur durch einen 
myelitischen Process, sondern auch durch eine Erkrankung des peripheren 
Nervensystems bedingt sein können. Wenigstens müssen wir in unseren beiden 
Fällen die Lähmungserscheinungen mit Sicherheit auf eine Polyneuritis zurück¬ 
führen. 

Eltwickeln sich nun die Lähmungserscheinungen in Folge der Impfungen 
selbst, oder sind sie als Resultat der Affection des Organismus mit Wuthgift 
anzusehen? Sicherlich können die Impfungen an sich zur Entwickelung der 
Lähmung führen, denn in unserem zweiten Falle war der Hund, der den Pat 
gebissen hatte, notorisch nicht tollwüthig, so dass die Impfungen ausschliesslich 
zu prophylaktischem Zwecke gemacht wurden. Allein die Ursache, weshalb die 
Impfungen zu Lähmungserscheinungen führen, bleibt völlig unverständlich, ln 
dieser Hinsicht ist unser erster Fall sehr lehrreich. Gleichzeitig mit diesem 
Kranken erhielten nämlich, wie oben erwähnt, auf der gleichen Station zwei 
Angehörige desselben ebenfalls .Einspritzungen; dennoch erkrankte nur unser 
Patient, während die beiden Anderen völlig gesund blieben. 

In unseren Fällen traten die Lähmungserscheinungen recht schnell nach 
den Impfungen auf: im ersten Falle etwa am 5. Tage nach Beendigung der 


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Impfungen, im zweiten nach einer Woche. In beiden Fällen musste die Krank¬ 
heit als leichte bezeichnet werden, denn sowohl im ersten, wie im zweiten Falle 
war der polyneuritische Process nicht besonders ausgebreitet und nicht sehr 
hochgradig ausgeprägt. 


[Aus dem Laboratorium des Herrn Prof. Obebsteineb in Wien.] 

.2. Beiträge znr absteigenden Hinterstrangsdegeneration. 

% 

Von Dr. Julius Zappert. 

Ein wenige Tage altes, hereditär luetisches Kind bot ausser einigen klinischen 
Nervensymptomen, die anderweitig (Jahrbuch für Kinderheilkunde) beschrieben 
werden sollen, folgenden Interessenten Rückenmarksbefund: * 

Es bestand eine nur auf das Cervicalmark beschränkte Entzündung der 
Pia mater, welche zu Verdickung derselben und zu Verwachsung mit der 
Rückenmarkssubstanz geführt hatte; diese Meningitis war auf der rechten Seite 
stärker ausgeprägt als links; im Dorsalmark, sowie in den tieferen Abschnitten 
des Rückenmarks war die Pia völlig intact 

Als fernere Veränderungen Hessen sich an den angefertigten Mabchi- 
Präparaten Degenerationen der vorderen und hinteren Wurzeln constatiren. 

Die Erkrankung der vorderen Wurzeln, die etwas schwächer auch am 
’ Lendenmark ausgeprägt war und sich namentlich auf den intraspinalen Antheil 
der Wurzel beschränkte, ist anscheinend ein für den vorliegenden Fall nicht 
. charakteristischer Nebenbefund; zahlreiche Untersuchungen an kind¬ 
lichen. Rückenmarken haben mich gelehrt, dass derartige Dege¬ 
nerationen im Säuglingsalter einen geradezu häufigen patho¬ 
logischen Befund darstellen. 

Hingegen war die Beziehung der Degeneration an der hinteren Wurzel 
mit der Spinalmeningitis recht augenfällig. Die Wurzel Veränderung zeigte sich 
nämlich nur im Cervicalmarke r dem Sitze der Piaerkrankung, und war, ebenso 
wie diese, rechts stärker als links. Ausserdem setzte die schwarze Körnung genau 
an jener Stelle d$r hinteren Wurzeln ein, wo dieselbe beim Durchbruch duroh 
die Pia mater normalerweise eine Einschnürung erfahrt und die nach Obeb¬ 
steineb und Redlich ein Punctum minoris resistentiae des hinteren Wurzel¬ 
verlaufes darstellt. Es konnte in unserem Falle kaum einem Zweifel unter¬ 
liegen, dass die erkrankte Pia auf die durchtretende Wurzel einen schädigenden 
Einfluss ausgeübt, der sich durch die Degeneration der intraspinalen Antheile 
der Wurzel zu erkennen gab. 

Entsprechend dieser Veränderung an den hinteren Cervicalwurzeln fand 
sich eine intensive aufsteigende Degeneration der BuBDACH’sohen Stränge, 

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die auf der rechten Beite gleichfalls stärker war als links. Innerhalb des Bub- 
DACH’schen Feldes zeigte sich das hintere äussere Feld am wenigsten von der 
Degeneration betroffen und hob sich namentlich im unteren Cervicalmark recht 
deutlich von den übrigen Partieen der BüKDAOH’schen Stränge ab. Cerebral* 
wärtB sind diese Veränderungen in den Hintersträngen so weit zu verfolgen, 
als das vorliegende Rückenmarkspräpärat reichte; die Medulla oblongata war 
nicht mehr an demselben vorhanden. 

Verfolgen wir nun die Hinterstrangsveränderungen nach abwärts, so 
sehen wir bald eine auffallende Aenderung der mikroskopischen Bilder.' Ent¬ 
sprechend dem Aufhören der nur auf das Cervicalmark beschränkten Hinter¬ 
wurzelerkrankung schwindet auch die Degeneration in den lateralen Partieen 
des BüBDAOH’schen Strangs recht bald; da ja die eintretenden Wurzelzüge nur 
mehr gesunde Fasern ins Rückenmark bringen. Die schwarzen Schollen, mit 
denen sich die BußDACH’schen Stränge in den höheren Rückenmarksebenen be¬ 
deckt zeigten, nehmen auf diese Weise immer mehr ab und lassen die lateralen 
Hinterstrangsantheile allmählich ganz frei. Ein zwischen BuEDACH’scbem 
und GoLL’schem Bündel befindlicher Rest von schwarzen Körnern 
bleibt aber bestehen. Diese Degenerationszone tritt um so deutlicher hervor, 
je mehr sich die Hinterstränge sonst von degenerirten Fasern frei erweisen; sie 
ist während ihres ganzen Verlaufs rechts stärker ausgeprägt wie links. 
Im oberen Dorsalmarke stellt sie einen zwischen dem BoRDAOH’schen und 
GoLi/schen Felde gelegenen Streifen dar, dessen ventrales Ende dichter ist und 
las an die graue Substanz reicht, während der dorsale schmälere Ausläufer die 
hintere Rückenmarksperipherie nicht erreicht 

Je weiter wir nach abwärts gehen, desto spärlicher werden die degenerirten 
Fasern dieses Bündels. Etwa in der Mitte des Dorsalmarks besteht nur noch 
in den ventralen Antheilen des rechten Hinterstrafigs ein gegen die graue Sub¬ 
stanz des Hinterhorns hinziehendes, etwas compacteres Degenerationsfeld. Das¬ 
selbe verliert sich in tieferen Rückenmarkspartieen immer mehr, so dass man im 
unteren Drittel des Dorsalantheils nur bei darauf gerichteter Aufmerksamkeit 
im rechten Hinterstrange einige schwarze Körnchen zu erblicken vermag. Im 
Lendenmark fehlen dieselben vollständig. Auch an der zu beiden Seiten der 
hinteren Fissur gelegenen Partie desselben ist es bei vorurteilsfreier Beobach- . 
tung kaum möglich, degenerirte Faserquerschnitte zu erkennen. 

Die Form und der Verlauf dieser absteigenden Degeneration berechtigen 
uns zweifellos, darin das SoHULTZE’sche Comma zu erblicken; auch die 
schliessliche Anhäufung der Fasern in der Gegend der .grauen Substanz ist ganz 
gut mit Hoche’s Annahme des Uebertritts derselben in die Hinterhörner ver¬ 
einbar. 

Es besteht also in unserem Präparate eine Degeneration des ScHüLTZE’sohen 
Feldes, wie wir sie sonst — Thierexperimente ausgenommen — nur bei 'hoch¬ 
liegenden Compressionen zu sehen gewohnt sind. 

Solche Rückenmarkscompressionen, bei denen meist der ganze Querschnitt 
beteiligt ist und reichliche auf- und absteigende Degenerationen zu constatiren 

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sind, waren bisher das hauptsächlichste Stadienobject für die absteigende 
Hinterstrangsdegeneration. Dieselben waren kaum geeignet, eine endgültige 
Entscheidung dafür za bringen, welchen Ursprungs diese Fasern seien, und that- 
sächlich ist auch heute die Frage noch nicht widerspruchlos beantwortet, ob wir 
es im ScHULTZE’schen Bündel (und im dorsomedialen Felde des Lumbal- und 
Saoralmarks) mit exogenen, aus den hinteren Wurzeln stammenden, oder mit 
endogenen, von Rückenmarkszellen entspringenden Fasern zu thun haben. Ohne 
auf die Litteratur dieser Frage, die jüngst in Redlioh’s „Pathologie der tabischen 
Hinterstrangserkrankung“ ausführliche Würdigung erfahren hat, näher, eingehen 
zu wollen, sei nur darauf hingewiesen, dass Sohultze, Bbunb, LenhobsEk, 
Singeb, Redlich u. A. für den exogenen Ursprung des Cominas eintreten, 
während Tooth, Mabie, Gombault und Philippe, Daxbnbebger die endogene 
Natur für wahrscheinlicher halten. Einige neuere Autoren, Hochb, Bischöfe, 
Heymann enthalten sich eines Urtheils und Obebsteinbb, der sich noch in der 
neuesten Auflage seines Lehrbuchs für keine der beiden Ansichten entschieden 
aussprach, ist erst am voijährigen Moskauer Congress entschieden für die exogene 
Natur des Commas aufgetreten. Experimentelle Untersuchungen am Thiere rückten 
zwar die Annahme einer Beziehung der hinteren Wurzeln zum ScHULTZE’schen 
Feld in den Vordergrund, Hessen sich aber nicht ohne weiteres auf die Menschen 
übertragen. 

Von diesem Gesichtspunkte aus betrachtet, gewinnt unser Fall die Bedeutung 
eines Naturexperiments, bei welchem eine nur auf das kurze* Gebiet 
des Cervicalmarks beschränkte Erkrankung der hinteren Wurzeln 
die alleinige Quelle für Rückenmarksveränderungen abgeben konnte. 
Ebenso wie wir die aufsteigende Degeneration des BuBDACH’schen Stranges mit 
dieser Hinterwurzelerkrankung in Beziehung bringen können, sind wir auch 
berechtigt, die absteigende Erkrankung des SoHULTZE’schen Feldes 
als eine Folge der Läsion der hinteren Wurzeln änzusehen. Der- 
Umstand, dass die Cervicalwurzeln rechts stärker ergriffen waren als Unks er¬ 
höhte noch den Versuchswerth des Falles, und liess die auf derselben Seite 
stärker ausgeprägte Degeneration des Commas als directe Folge der Wurzel¬ 
erkrankung erscheinen. 

Eine andere Deutung der absteigenden Hinterstrangsdegeneration ist in 
unserem Fälle wohl ausgeschlossen. Dass dieselbe, mit den Veränderungen in 
den vorderen Wurzeln in Zusammenhang stände, ist nicht nur a priori unglaub-' 
würdig, sondern durch anderweitige zahlreiche Untersuchungen kindUcher Rücken¬ 
marke, bei welchen ausser der Vorderwurzeldegeneration keine weiteren Ver¬ 
änderungen vorhanden waren, in völhg zweifelloser Weise widerlegt Sonstige 
Erkrankungen, welche als Ursache der Degeneration im ScHULTZE’schen Bündel 
angesehen werden könnten, bot unser Rückenmark überhaupt nicht dar. Für 
die etwaige Vermuthung von Strangzellenschädigungen, die man bei Rücken- 
markseompression immerhin als Druckwirkung für mögUch halten könnte, fehlt 
hier jeder Anhaltspunkt, umsomehr als die anderen endogenen Bahnen (im 
Seitenstrange u. s. w.) vollkommen frei von Veränderungen waren. 

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Wir können nach dem Gesagten wohl .behaupten, dass unser Fall die Frage 
nach der Natur des SoHULTZE’schen Commas entschieden in dem Sinne beant¬ 
worten lässt, dass dasselbe aus absteigenden Hinterstrangsfasern, die 
aus dem oberen Rückenmarksantheile stammen, zusammengesetzt 
ist. Die Möglichkeit, dass ausserdem noch anderweitige Fasern in dieser 
Bahn verlaufen, lässt sich natürlich durch diese Thatsache nicht ausschliessen. 

Zur Entscheidung anderer, die absteigende Hinterstrangsdegeneration be¬ 
treffender Fragen bot der vorliegende Fall nicht viel Anhaltspunkte. 

Dass wir es im SoHULTZE’schen Felde mit langen Bahnen zu thun 
haben, wurde, seitdem mit der MAncm’schen Methode gearbeitet wird, von allen 
Autoren bestätigt; auoh in unseren Präparaten konnten wir die betreffenden 
Fasern durch den grössten Theil des Dorsalmarks verfolgen. 

Die von HochE neuerdings behauptete Endigung des ScHULTZE’schen 
Commas durch Einstrahlen der Fasern in die graue Substanz der 
Hinterhörner ist durch die von uns gesehenen Bilder nicht unwahr¬ 
scheinlich gemacht; wir konnten wenigstens constatiren, dass in den tieferen 
Rückenmarksebenen die erkrankten Fasern sich in der Nähe des Hinterhoms 
sammelten und bis an dasselbe heranreichten, wenn wir auch mangels an Längs¬ 
schnitten einen directen Eintritt derselben in die graue Substanz nicht beobachten 
konnten. 

Zur Frage einer eventuellen Beziehung des ScHULTZE’schen Feldes 
zu dem dorsomedial^n Bündel des Lumbal- und Sacralmarks konnten 
wir in unserem Falle keine Anhaltspunkte gewinnen. Die Degeneration war 
nicht mächtig genug, um in den tieferen Rückenmarksebenen noch deutlich 
erkennbar zu sein, und es war daher nicht zu erwarten, dass sich im Lenden¬ 
mark noch erkrankte Fasern an irgend einer Stelle würden auffinden lassen. 

Hingegen bot uns ein anderes Rückenmark, bei welchem eine Com- 
pression im 11. Dorsalis bestanden hatte, hierfür lehrreiche Bilder. 

In diesem, von einem Erwachsenen stammenden Falle, dessen klinischer 
Verlauf mir nicht bekannt ist, konnten wir an M abohi - Präparaten das stark 
degenerirte ScHuiiTZE’sche Bündel beiderseits bis zur Höhe des XI. Dorsalnerven 
verfolgen. In Schnitten, die aus der Höhe des XH. Dorsalwurzelpaares stammen, 
hat das Comma seine Gestalt verloren und einer unregelmässig über den Hinter¬ 
strang vertheilten schwarzen Körnung.Platz gemacht. 

In der Gegend des ersten Lumbalis fallen einige grobe Schollen zu beiden 
Seiten der Mittellinie auf, dieselhen treten an Schnitten, die dem Austritte des 
H. Lumbalnerven entsprechen, sehr deutlich hervor und nehmen genau die 
Stelle des dorsomedialen Bündels ein. In der Höhe des nächstfolgenden Nerven- 
paares sind die schwarzen Körner nur ganz spärlich zu sehen und in noch 
tieferen Ebenen gelingt es nicht mehr, dieselben in eine bestimmte Gruppe 
zusammenzufassen. 

Wir finden also in diesem Falle nach einer Compression des oberen 
Dorsalmarks (2. Dorsalis) nicht nur das ScHuiiTZE’sche Comma dege- 
nerirt, sondern auch einen, wenn auch geringen Antheil des dorso- 

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medialen Feldes erkrankt Es reiht sich diese Beobachtung an ähnliche 
von früheren Autoren an, von denen sich in letzter Zeit namentlich Hoche und 
Bischöfe eingehend mit der Frage eines eventuellen Zusammenhangs zwischen 
SoHui/rzB’schem Bündel und dorsomedialem Felde beschäftigen. 

Beide Autoren lehnen eine directe anatomische Beziehung zwischen den 
genannten absteigenden Hinterstrangsdegenerationen ab; doch gehen ihre Auf¬ 
fassungen über die Entstehung des dorsomedialen Bündels auseinander. Hoche 
beschreibt Degenerationsfelder, die schon im Dorsalmark sichtbar sind, anfangs 
beiderseits an der hinteren Peripherie des Rückenmarks verlaufen, sich im 
weiteren Absteigen allmählich der Mittellinie nähern und sich schliesslich zur 
Bildung des dorsomedialen Feldes vereinigen. Bischöfe konnte derartige Dege¬ 
nerationen nicht auffinden, es fielen ihm aber bereits kurz unter der Compressions- 
stelle (2.—4. Dorsalis) degenerirte Fasern auf, die sich dicht am medialen 
Septum befinden, anfangs mit dem SoHULTZE’schen Comma einen losen Zusammen¬ 
hang aufweisen, weiter abwärts aber völlig getrennt von demselben verlaufen 
und schliesslich die Stelle des dorsomedialen Bündels einnehmen. 

In unserem Falle gelang es nicht, Bilder, die denen von Hoche beschrie¬ 
benen gleichen, zu constatiren, dagegen boten unsere Präparate manche Ana- 
logieen mit den Befunden von Bischoff. 

Durch das ganze Dorsalmark konnten wir im Hinterstrange ausser dem 
deutlich degenerirten ScHULTZE’schen Felde noch anderweitige zerstreute schwarze 
Schollen beobachten, unter denen sich namentlich eine median und ventral 
gelegene Gruppe schärfer abhob; diese Gruppe tritt etwa in der Höhe des 
VIII. Dorsalnerven am deutlichsten hervor, wenn sie sich auch nirgends so 
bestimmt begrenzen lässt, wie das ScHtTLTZE’sche Comma. Weiter abwärts, 
entsprechend dem X. und-XI. Dorsalnervenpaare, ist die Scheidung zwischen 
dieser medianen absteigenden Degeneration und den Fasern des Commas nicht 
leicht, da ja auch die letzteren in den ventralen Partieen des Hinterstrangs an¬ 
gehäuft sind. In der Höhe des I. Lumbalnerven ist das ScHüLTZE’sehe Feld 
geschwunden, nicht aber die mediane Degeneration, welche noch immer die 
ventralen Hinterstrangsantheile besetzt hält Dagegen ist diese Degenerations¬ 
zone nur noch in geringem Reste sichtbar, wenn wir Präparate, die dem An¬ 
striche des II. Lumbalnervenpaares entsprechen, betrachten. In diesen 
Schnitten begegnen wir aber zum ersten Male dem bekannten Bilde 
des dorsomedialen Bündels zu beiden Seiten der Mittellinie; dasselbe lässt 
sich noch ein kurzes Stück nach abwärts verfolgen, die mediane Degeneration 
hingegen ist nun vollständig geschwunden. Das Auffallende an diesen Präparaten 
ist also, dass die absteigende mediane Degeneration sich unabhängig vom 
SoHULTZE’schen Felde bis ins Lendenmark verfolgen lässt, und dass sie mit dem 
Auftreten der compacten Degenerationszone des dorsomedialen Bündels rasch 
verschwindet. 

Es lässt sich aus diesen Befunden und der Beobachtung Bischoff's wohl 
der Schluss ziehen, dass ein Theil der das dorsomediale Bündel bil¬ 
denden Fasern bereits in höheren Rückenmarksebenen zu beiden 

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Seiten der Mittellinie verläuft und namentlich in den ventralen Hinter- 
strangspartieen verstreut ist Die Mehrzahl der Nervenbahnen des dorsomedialen 
Feldes scheint allerdings aus tieferen Ebenen zu stammen. 

Die Präparate, welche man bei tiefliegenden Compressionen zu Gesicht be¬ 
kommt, scheinen einer solchen Annahme nicht zu widersprechen. So konnten 
wir in einem Falle von Compression in der Höhe des I. Lendennerven 
gleichfalls mit der MABcm-Metbode im ventralen Hinterstrangsgebiet reichliche 
schwarze Körner erblicken, die sich immer mehr verloren, je deutlicher das 
dorsomediale Feld uns entgegentrat 

Fassen wir das Resultat dieser kleinen anatomischen Studie zusammen, so 
können wir aus den beobachteten Fällen folgende Schlusssätze feststellen: 

1. Das ScHULTZE’sche Comma wird — wenigstens zum Theil — 
aus absteigenden Hinterwurzelfasern der oberen Rückenmarks- 
antheile gebildet 

2. An der Bildung des dorsomedialen Bündels nehmen ab¬ 
steigende Fasern, die bereits im oberen Dorsalmark in den medialen, 
ventralen Hinterstrangsantheilen verlaufen, Antheil. 


3. Üeber angeborenen Muskelkrampf 
und Hypertrophie an der linken oberen Extremität. 1 

Yon Dr. S. Kalischer, Arzt für Nervenkranke. 

Der Kranke ist ein 26jäbr., russischer Student, der mich im August dieses 
Jahres wegen allgemeiner Deurasthenischer Beschwerden aufsuchte. Er litt damals 
an Kopfdruck, Schlaflosigkeit, vagen neuralgischen*-Schmerzen u. s. w. Diese Be¬ 
schwerden besserten sich nach einem Aufenthalte an der See; doch traten nach der 
Bflckkehr neuralgische Schmerzen in der rechten oberen Extremität auf, die Nachts 
anfallweise sich zeigten und bei geistiger Anstrengung, Schreiben, Zeichnen Zunahmen. 
Wegen des völlig negativen Befundes wurde die Diagnose: Neuralgia Plexus brachialis 
dextr. gestellt. Bei dem Vergleich mit dem linken, scheinbar gesunden Arm musste 
eine Dmfangszunahme der ganzen linksseitigen oberen Extremität sofort ins Auge 
fallen. Die Volumenszunahme.besteht angeblich seit - Geburt und wurde von den 
Angehörigen des Kranken auf einen Fall zutfickgeffthrt, den die sonst gesunde 
Mutter kurz vor der Geburt erlitten haben soll. Die Geburt war normal und hat 
der Kranke in der Kindheit niemals Krämpfe, noch irgend welche Zeichen einer 
Hirnerkrankung gehabt. Die Stellung, welche Hand und Finger heute einnehmen, 
besteht seit Geburt unverändert; nur will der Kranke in früheren Jahren bei An¬ 
strengungen oder besonderen Bewegungen der Hand ein krampfartiges, schmerzhaftes 
Ziehen oder Zucken in den Fingern gehabt haben, wobei die Beugestellung der Finger 


1 Nach einer Krankenvorsteilang in der Berliner Gesellschaft für Psychiatrie. No¬ 
vember 1897. 


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and Hand noch stärker wurde, als gewöhnlich; stets ging dieser tonische Krampf 
durch Beiben und Massiren der Finger schnell vorüber. Bewegungen athetotjscher, 
choreatischer Natur, tetanieähnliche Krampfstellungen, clonische Krämpfe sind von 
den Kranken nie beobachtet worden. In der Schule fiel er seinen Mitschülern durch 
die Fähigkeit auf, an dem Kleinfingerballen willkürlich eine starke Wulstbildung 
hervorzurufen; auch war die Kraftleistung mit der linken oberen Extremität eine 
übergrosse, fast athletische; doch pflegte Arm und Hand nach vorübergehender, über¬ 
mässiger Leistung sehr schnell zn ermüden. Wie früher, so benutzt er auch' heute 
bei allen üblichen Verrichtungen (Ankleiden u. s. w.) die linke Hand, wie jeder 
Gesunde; nur vermeidet er länger währende Leistungen, wie das Tragen schwerer 
Gegenstände, mit der linken Hand. 

In der Begel hängt der linke Arm schlaff ■ herab, oder - er wird ein wenig an 
den Thorax adducirt gehalten, mit leichter Beugung im Ellbogengelenk, Pronations¬ 
stellung der Hand; dabei sind die Finger zur Faust eingeschlagen, der Daumen 
leicht abducirt. Oberarm, Unterarm und Hand der linken Seite zeigen eine auffallende 
Volumenzunahme. Die Muskulatur fühlt sich am Ober- und Unterarm überall fest 
und derb an, während Haut und subcutanes Gewebe hier keine besondere Ver¬ 
änderungen zeigen. Der Umfang des Oberarms bei passiven Herabhängen beträgt 
in der Mitte links 30, rechts 27 cm, bei forcirter Beugung des Unterarms und An¬ 
spannung des M. biceps beträgt derselbe links 35, rechts 31 cm. Der Unterarm hat 
im oberen Drittel einen Umfang von 30 cm links und 24 cm rechts, im unteren 
Drittel links 22 cm, rechts 18 cm. Die Hand, in der Mitte des Metacarpus ge¬ 
messen, hat links 29 cm, rechts 22 cm im Umfang. 

Die Längenroaa88e des Unterarms und Oberarms, wie der entsprechenden Knochen 
sind links und rechts dieselben. Auf einer durch Herrn Dr. Levy (Dorn) gütigst 
angefertigteu Aufnahme beider Unterarme und Hände durch Böntgen-Strahlen 
wird zunächst die Umfangszunahme des Unterarms' wie der Hand deutlich wahr¬ 
nehmbar; die linke Hand ist auf den Böntgen-Photographieen 13 1 / 8 cm breit, die 
rechte 10 1 / 2 cm. Die Knochen des linken Unterarms wie der linken Hand sind ein 
wenig stärker als rechts, so misst der Badius in der Mitte auf der linken Seite 1,7 cm, 
rechts 1,4 cm, die Ulna links 1,4 cm, rechts 1,2 cm. Die linksseitigen Metacarpal¬ 
knochen erscheinen ein wenig dicker und kürzer als die der rechten Seite und in 
den Metacarpophalangealgelenken, soweit dieselben auf der Fig. 1 sichtbar sind, ist 
an der linken Hand eine Distorsion der Finger nach der Ulnarseite wahrzunehmen. 
Eine gewöhnliche photographische Aufnahme, die hier beigefügt ist, zeigt ebenfalls 
die Volumszuüahme der ganzen linken oberen Extremität deutlich; dabei sind die 
übermässige Abduction des Daumens, wie eine Senkung-der linken Schulter willkür¬ 
lich bei der photographischen Aufnahme entstanden und normal nicht vorhanden. 
An den Brust- und Schultermuskeln, und besonders an den Mm. pectoralis, cucullaris, 
serratus anticus major, supra-, infraspinatus u. s. w. besteht weder eine Zunahme oder 
Abnahme des Volumens, noch eine Functionsstörung. Die Thoraxhälften haben links 
wie rechts in der Höhe der Mamilla den gleichen Umfang 46—47 cm, und Schulter-, 
wie auch Ellbogen- und Handgelenk, zeigten keine Abweichung von ihrem normalen 
Zustande, ebenso die Stellung der Scapula in Buhe und bei Bewegung. Der M. del- 
toideus ist auf der linken Seite vielleicht ein wenig stärker als rechts, während die 
Beuger des Unterarms, besonders der M. biceps, und zum Theil auch die Strecker 
(M. triceps) auffallend stark entwickelt sind. Am Unterarm fallen die Flexoren, 
und besonders die der Ulnarseite: Flexor carpi ulnaris, Palmaris longus, Pronator 
teres, Flexor carpi radialis, doch auch der Supinator longus durch ihre kräftige 
Entwickelung auf. Spasmen und Contracturen sind, abgesehen von einer kaum er- 
wähnenswerthen, geringen Anspannung des M. biceps, am Ober- und Unterarm nicht 
vorhanden. Der Oberarm wird gut gehoben, gesenkt, nach innen und aussen rotirt, 
an den Thorax adducirt und von demselben entfernt. Auch die Bewegungen des 


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Unterarms: Pronation, Supination, Beugung, Streckung werden gut und meist mit 
übergrosser Kraft oder kräftiger als rechts ausgeführt. 

Am meisten verbreitert erscheint die Hand auf der linken Seite und zwar vor¬ 
wiegend durch wulstige teigige Anschwellungen, die sich über den Hypothenar in * 
der Gegend der Mm. abductor et Flexor pollicis brevis finden, und an dem Thenar 
in der Gegend der Mm. palmaris brevis, Flexor brevis, Opponens digit. min., sowie 
an der Aussenseite des V. Metacarpus in der Region des Abduct. digit. min.; hier 
haben die Schwellungen, die mit Furchen und Gruben versehen sind, eine lipom¬ 
ähnliche Consistenz, die in eine derbe, pralle Masse übergeht, sobald die Daumen¬ 
ballenmuskulatur (Opposition, Adduction) oder die Kleinfingermuskulatur (Abduction, 
Palmaris brevis) in kräftige Fuuction 
findet sich eine Einsenkung in der 
Vola manus. Meist steht die Hand in 
Buhe leicht gebeugt, pronirt und stark 
ulnarwärts gewendet. Während der 
Daumen meist in leichter Abduction 
und Opposition bei Strecksteilung seiner 
beiden Phalangen sich befindet, stehen 
die anderen 4 Finger schräg, und zwar 
stark ulnarwärts gerichtet, so, als ob 
sie im Metacarpophalangealgelenk dis- 
iocirt sind; dabei sind die Finger ge¬ 
beugt uud in die Hand eingeschlagen, 
und zwar sind die Basalphalangen am 
meisten und dauernd flectirt, während 
die Flexion der Mittel- und Endphalangen 
einen geringeren Grad hat; die Beugung 
ist am 4. und 5. Finger stärker als 
am 2. und 3. Finger, und auch der 
V. Metacarpus befindet sich ulnarwärts 
gerichtet und in Beugestellung; ferner 
sind der 2. und 3., sowie der 4. und 
5. Finger, namentlich mit den Basal¬ 
phalangen so stark aneinander adducirt 
und gepresst, dass die Interdigitalhaut 
hier meist roth und entzündet ist. Fixa¬ 
tionen und Abnormitäten an den Ge¬ 
lenken der Hand und Finger sind durch 
die Palpation nicht nachweisbar. Die 

Sehnen und Fascien der Handflächen zeigen weder Verdickungen, noch Contracturen. 

Die Hand kann kräftig gebeugt und gestreckt, pronirt, supinirt werden, und auch 
die Seitwärtsbewegungen werden kräftig und ausgiebig ausgeführt. Die in Beuge¬ 
krampf stehenden Finger können kräftig zur Faust geschlossen werden, und ist der 
Händedruck links kräftiger als rechts; auch werden schwere Gewichte mit der linken 
Hand kräftiger gefasst und gehoben als mit der rechten, doch tritt schnell eine Er¬ 
schlaffung und Ermüdung an der linken Extremität ein. Die passive Extension der 
Grund- und Endphalangen geht bei Ueberwindung des Widerstandes der Flexoren 
gut von statten, doch kehren die Finger schnell in die Beugestellung zurück; ebenso 
ist eine Auseinanderbreitung und Spreizung der adducirten und ulnarwärts gerich¬ 
teten Finger passiv möglich. Willkürlich oder activ können die Basalphalangen weder 
bei horizontaler Handhaltung, noch bei dorsalflectirter Hand gestreckt werden, während 
die Endphalangen mit einiger Mühe gestreckt werden können; dabei stehen jedoch 
die in den beiden Phalangealgelenken völlig gestreckten Finger im Metacarpophalan- 


tritt. In der Gegend des Adductor pollicis 



Fig. 1. 


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gealgelenk, also zu den Metacarpalknochen rechtwinklich gebeugt. Die passive wie 
active Radialwärtswendung der zur Ulna hingewandten Finger, namentlich des 2. und 
3. Finger, ist nicht möglich. Streckt man passiv die Basalphalangen und legt die 
' Hand auf eine feste Grundlage, so können die Endphalangen willkürlich gut ge¬ 
streckt werden, doch ist das Spreizen der Finger auch jetzt nur zum Theil möglich; 
namentlich kann der 4. Finger nicht zum 3. adducirt und der 2. nicht vom 3. ab- 
ducirt werden. Der Daumen, der meist ohne Spannung in leichter Abduction, Oppo¬ 
sition und Strecksteilung steht, kann gut gebeugt, gestreckt, opponirt, abducirt und 
auch an den ulnarwärtsgerichteten 11. Metacarpus adducirt werden; nur die Adduction 
des Daumens geschieht hier nicht so kräftig wie an der rechten Hand. Sehr kräftig 
sind die Bewegungen des kleinen Fingers: Abduction, Adduction, Flexion, Opposition; 
dabei verschwindet die lipomähnliche Auftreibung über den Thenar und neben dem 



Fig. 2. 


V. Metacarpus; namentlich bei der Innervation des M. palmaris brevis tritt eine auf¬ 
fallend starke, derbe Wulstbildung mit grubenartigen Vertiefungen über der Klein¬ 
fingermuskulatur hervor; auch gelingt es bei der dauernden Flexionsstellung des 
kleinen Fingers hier leicht den M. palmaris brevis, der stark verdickt erscheint, 
isolirt, willkürlich zu innerviren, was auch bei passiver Streckung des kleinen Fingers 
dem Kranken gut gelingt (Fig. 2). 

Alle die angeführten Bewegungen können prompt, schnell und plötzlich aus¬ 
geführt, wie auch unterbrochen werden. Eine Zunahme der Beugecontractur oder 
clonische Zuckungen konnten bei passiven Ueberdehnungon oder Ueberstreckungen 
nicht erzielt werden; auch traten nie spontane Bewegungen (athetose- oder tetanie- 
ähnliche), schmerzhafte Crampi und dergleichen auf; fibrilläre Zuckungen waren nicht 
vorhanden, ebenso fehlten trophische Störungen der Haut, Haare, Nägel, Cyanose, 
Kältegefühl und Gefässanomalieen. 

Die Streckseiten waren an beiden oberen Extremitäten stark behaart. Die 
Sensibilität war normal, die Nervenstämme nicht druckempfindlich, Tbousseaü’s 


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Phänomen nicht zn erzielen; auch fehlen Drnckschmerzpunkte in den Schlüsselbein- 
groben, an der Wirbelsäule, an Knochen und Gelenken der ganzen Extremität 

Die mechanische Moskelerregbarkeit war nicht erhöht, die Sehnenreflexe lebhaft 
doch nicht gesteigert. Auch an den anderen Körpertheilen, Schulter, Rumpf, untere 
Extremitäten, sowie an dem rechten Arm und Hand waren Atrophieen, Hypertrophieen, 
Functionsstörungen nicht vorhanden. Die Waden waren beiderseits stark und hatten 
einen Umfang von 38 cm. Die Patellarreflexe waren an beiden Extremitäten gleich 
stark, auch die Länge und die motorische Kraft dieselbe. Ebenso fehlten am Gesicht 
besondere Anomalieen; die linke Nasolabialfalte war zwar in der Rohe mehr ver¬ 
strichen als die rechte, allein bei Bewegungen, Sprechen, Lachen war eine Differenz 
in der Innervation beider Gesichtshälften nicht festzustellen. Pupillen, Hirnnerven, 
psychische Functionen waren ungestört. 

Was die elektrische Untersuchung anbetrifft, so war trotz wiederholter, ein¬ 
gehender Untersuchung eine erhebliche Abweichung von der Norm an den Nerven 
und Muskeln der linken oberen Extremität nicht festzustellen. Obwohl Nerven und 
Muskeln auf beide Stromesarten gut und schnell ansprachen, konnte von einer Er¬ 
höhung der Erregbarkeit nicht gesprochen werden. 

Vom Nn. radialis, medianus, ulnaris, wie bei directer faradischer und gal¬ 
vanischer Reizung waren alle Muskeln, so namentlich die Interossei, Adductor 
pollicis, die kleinen Daumenballen- und Kleinfingermuskulatur, der Flexor und 
Extensor carpi radialis gut erregbar und von ausgiebigen Bewegungen begleitet. 
Nur der Extensor digitorum communis, wie der Extensor indicis und digiti minimi 
bewirkten weder bei directer, noch bei indirecter Reizung eine Extension der Basal¬ 
phalangen, obwohl bei starker Reizung eine Anspannung der Muskeln am Unterarm 
und der Exteusorensehnen an dem Handrücken sichtbar und fühlbar war; nur am 
kleinen Finger war eine geringe Extension der Grundphalanx zu erzielen. Wo die 
Zuckungen vorhanden waren, traten sie prompt und blitzartig auf; überall zeigten 
Scbliessungs- und Oeffnungszuckungen, Kathoden- und Anodenreizung normale Ver¬ 
hältnisse zu einander. AoTe. war nicht zu erzielen. Nirgends war eine träge 
Zuckung, eine Nachdauer der Contractiou, Dellen-Furchenbildnng oder Unduliren bei 
tetanischen Reizen festzustellen; ebenso wie für die myotonische, fehlen die' für 
Tetanie oder Myasthenie charakteristischen Reactionen. Der M. palmaris brevis war 
an der üblichen Stelle des Hypothenar direct, wie vom N. ulnaris aus über dem 
Handgelenk und am Ellbogen gut erregbar und zeigte sich auch hier eine auffallende 
Wulst- und Furchenbildung an der Ulnarseite der Vola manus. 

Der Krampfzustand blieb während der' mehrmonatlichen Beobachtungszeit un¬ 
verändert Das psychische Verhalten hatte auf die Intensität desselben ebensowenig 
einen Einfluss, wie die elektrische Behandlung. 

Wie aus der Beschreibung ersichtlich ist, handelt es sich hier um einen 
angeborenen und stationären Zustand von Krampf und Hypertrophie bestimmter 
Muskeln der linken oberen Extremität. Wir finden eine Volumenszunahme mit 
derber und fester Consistenz an den Muskeln des Ober- und Unterarms, während 
an der Volarfläche der Hand (Thenar und Hypothenar) die Hypertrophie der 
Muskeln einen mehr teigigen, schlaffen Charakter hat. Neben der Muskel¬ 
hypertrophie, die besonders die Flexoren und die Ulnarseite betrifft, konnte eine 
geringe Verdickung der Knochen der Extremität festgestellt werden. Dazu 
kommt ein dauernder tonischer Krampf, an dem die Interossei, die langen 
Beuger der Endphalangen der Finger, die Beuger der Hand an der Ulnarseite 
betheiligt sind. Die starke Beugung der Basalphalangen und die Adduction 
der Finger musste auf einen Krampfzustand der Interossei zurückgeführt werden; 


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wären diese allein am Krampf betheiligt, so mussten wir eine gleichzeitige 
Streckung der Endphalangen erwarten können; allein die Endphalangen an den 
4. Fingern standen ebenfalls in Bengecontractor, so dass eine Betheiligung der 
langen Flexoren der Finger an dem Krampfzustand angenommen werden musste. 
Die Beugung und Ulnarwendung der Hand kam durch einen Krampf des 
Flexor carpi ulnaris zu Stande. Eine Lähmung des Extensor carpi radialis 
longus (Extensor abductorius) war ebensowenig festzustellen, wie eine solche d66 
Extensor carpi ulnaris oder anderer Muskeln. 

Die Function der langen Strecker der Finger war durch die dauernde Con- 
tractur und pathologische Beugestellung der Finger und Hand unmöglich ge¬ 
worden; wozu auch die pathologische Stellung in den Metacarpophalangeal- 
gelenken beitrug. Die anderen vom N. radialis versorgten Muskeln, wie der 
Supinator longus, Triceps, der Extensor carpi radialis et ulnaris, die Strecker 
des Daumens, funotionirten gut und kräftig, Auch war eine sichtbare Atrophie 
der langen Fingerstrecker nicht vorhanden, vielmehr sah man die Sehnen des 
Extensor digit. commun., Extensor indic. et digit. minim, bei starken elektrischen 
Beizen am Rücken der Hand sich anspannen und hervortreten. Ebenso war 
an den lipomatös oder pseudohypertrophisch erscheinenden Muskeln des Daumen- 
und Kleinfingerballens weder eine Functionsschwäche, noch eine Atrophie nach¬ 
weisbar. Die kräftige Thätigkeit derselben, die gute elektrische Erregbarkeit, 
und die derbe Wulstbildung bei der Action der Muskeln deuten darauf hin, 
dass auoh hier eine echte Hypertrophie der Muskeln trotz der weichen, teigigen 
Beschaffenheit vorhanden war. 1 

Bei den krampfartig angespannten Interossei überwiegte die Wirkung auf 
die Extension der Basalphalangen und auf die Adduction der Finger, während 
auch die durch den Krampf der langen Beuger flectirten Endphalangen in ge; 
eignete r Stellung durch die Interossei kräftig willkürlich gestreckt werden* konnten. 

Wir haben es demnach mit einem tonischen Krampfzustande zu thun, der 
einzelne Muskeln betrifft, die vom N, ulnaris und vom N. medianus versorgt 
werden; frei von dem Krampf bleiben im Gebiete des N. ulnaris der Adductor 
pollicis, der Abductor, Opponens digiti minimi, der Palmaris brevis. Vom 
N. medianus ist allein der Flexor digitorum sublimis et profundes von dem 
Krampfzustand befallen. 

An der Hypertrophie nehmen nicht nur die an dem Krampfzustand be¬ 
theiligten Beugemuskeln Theil, sondern auch die Beuger des Unterarms (M, bi- 
ceps — M. coracobrachialis) und zum Theil die Strecker (Supinator, Extensor 
carpi radialis, ulnaris und vielleicht auch der Triceps). Die Muskeln des Klein¬ 
finger- und Daumenballens zeigen allein eine Volumensvermehrung von teigiger 
Consistenz ohne Muskelkrampf. Jedenfalls dürfte der Umstand, dass die derbe 
und schlaffe Muskelhypertrophie auch an solchen Muskeln auftritt, die vom 
Krampf völlig frei sind, zum Beweis dienen, dass die Hypertrophie hier nicht 
nur eine Folge des Krampfes sein kann. 


l . Die Excision eines Muskelstückchens wollte der Pat. nicht gestatten. 


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Auffallend ist noch in dem beschriebenen Falle die Hypertrophie und die 
Fähigkeit zur isolirten willkürlichen Innerration 1 des M. palmaris b re vis, der 
bekanntlich vom Ulnarrand der Aponeurosis palmaris ausgeht und mit 3—4 
quergerichteten Streifen die Muskeln des Kleinfingerballens überspannt, um sich 
am Ulnarrand der Hand in der Haut zu verlieren. Es gelingt meist, ebenso 
wie bei dem Kranken hier, diesen Muskel durch elektrische Reize vom N. ulnaris 
über dem Handgelenk oder durch directe Reizung zwischen dem Hakenbein 
und dem Ansatz des M. opponens digit. min. zur Contraction zu bringen. Eine 
willkürliche isolirte Innervation konnte ich bei anderen Personen nicht beob¬ 
achten. Meist tritt bei diesen bei starker Beugung des kleinen Fingers oder 
noch regelmässiger bei starker Abduction des kleinen Fingers unwillkürlich eine 
Mitbewegung des Palmaris brevis auf, die sich in starker Falten- und Gruben¬ 
bildung in der Gegend des Hypothenar äussert und bei manchen Individuen 
erst langsam einige Secunden nach Ausführung der Abduction oder der extremen 
Flexion des kleinen Fingers als Mach- bezw. Mitbewegung in die Erscheinung 
tritt Versorgt wird dieser Muskel vom Ramus volaris superficialis des N. ulnaris. 
Seine Mitbewegung bei verschiedenen Muskelinnervationen, ebenso wie seine Aus¬ 
bildung und Stärke scheint individuell sehr verschieden zu sein. 

Ueber Sitz und Ursache der beschriebenen Anomalieen lässt sich kaum 
etwas Sicheres sagen; man muss zunächst wohl an angeborene Bildungsstörungen 
denken, die intrauterin entstanden und wohl eher durch periphere, als centrale 
Einwirkungen bedingt sind. In dem einzigen analogen Falle, den ich in der 
Litteratur auffinden konnte, bringt Fb. Schütze 2 diesen stationären Krampf 
mit dem angeborenen spastischen Schiefhals in Parallele. In diesem Falle 
handelt es sich um ein 18jähr. Individuum, das jede centrale Erkrankung aus- 
schliessen liess und 6eit einigen Jahren (?) einen Krampf und Hypertrophie des 
rechten Kleinfingerballens, des rechten Vorderarms, und zwar besonders der 
Flexoren und der Ulnarseite aufwies. Die rechte Hand war ebenfalls erheblich 
umfangreicher, als die linke, und die Finger standen in Beugecontractur. Sohultz’s 
Fall von stationären Muskelkrampf in den Beugemuskeln steht, wie auch 
Bbbkhabdt 9 hervorhebt, ziemlich isolirt da. Vorübergehende tonische Krämpfe 
der Beugemuskeln der Hand und Finger sind von v. Strümpell, Seeligmülleb, 
Weib Mit chell beschrieben. Auch Bernhardt 4 beobachtete einen merk¬ 
würdigen Fall von idiopathischem Muskelkrampf im Bereiche der Mn. medianus 
und ulnaris an der rechten oberen Extremität; derselbe war aber ebenfalls nur 
vorübergehender Natur und betraf einen 25jährigen Mann, dessen Patellarreflexe 
fehlten. Dort war der M. palmaris brevis an dem Krampf betheiligt, und der 
Krampf der Interossei äusserte sich in Streckung der Endphalangen und Spreiz- 


1 Dieselbe erinnert an die willkürliche Innervation nnd Bewegung der Stirn-Kopfhaut 
und Ohrenmuskeln, wie Bie bei einzelnen Personen möglich ist. 

* Ueber angewöhnlich localisirte Muskelkrämpfe und Hypertrophie der betroffenen 
Muskeln. Zeitschr. f. Nervenheilk. Bd. III. 1893. 

* Die Erkrankungen der peripherischen Nerven. II. Theil. 1897. S. 137. Wien. 

4 Archiv t Psych. Bd. XIX. Februar 1888. — 1. c. S. 136. 

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Stellung der Finger; Hypertrophieen fehlten hier vollkommen, während sie in 
dem Falle Schultze’s nur den Hypothenar, nicht auch den Thenar einnehmen. 

Eine Verwechselung des eigenartigen Symptomencomplexes mit anderen 
Krankheitserscheinungen ist wohl kaum möglich, wenn auch Berührungspunkte 
mit anderen Affeotionen vorhanden sind. Was zunächst die monoplegische Form 
der sog. cerebralen Kinderlähmungen anbetrifft, so fehlen hier die anamnestischen 
und ätiologischen Momente, ferner alle cerebralen Erscheinungen, die Lähmung 
oder Schwäche, die Wachsthumshemmung, die choreatisch-atactischen oder athe- 
totischen Bewegungen, der spastische Zustand in anderen Muskelgebieten 
(Adductoren der Beine), die Reflexsteigerung u. s. w. Zwar ist in einzelnen Fällen 
eine Hypertrophie der Muskeln dabei beobachtet worden, allein wohl nur im 
Anschlüsse an starke athetotische Bewegungen, und stets entsprach die Hyper¬ 
trophie dem Grade der Athetose. Bei dieser bleiben auch die langen Finger¬ 
beuger meist verschont, und die mittleren und Endphalangen sind überstreckbar 
und überaus beweglich und leicht spreizbar. 

Auch gegen eine posthemiplegische Spätcontractur spricht das Fehlen des 
charakteristischen Beginns und der Lähmung; es fehlt die Betheiligung anderer 
Körpertheile (Gesicht, Bein), die Muskelirritabilität und Steigerung der Sehnen¬ 
reflexe; auch sind die Interossei hierbei gar nicht oder wenig betheiligt 

Für die Dystrophia musculorum progressiva fehlten die Functionsschwäche 
der hypertrophischen Muskeln, der progressive Verlauf, die symmetrische oder 
beiderseitige Affection und die eigenartige Localisation. Hier sind bekanntlich 
die kleinen Handmuskeln von der Hypertrophie fast stets verschont, wenn wir 
von einzelnen Ausnahmen absehen (Extensor des Daumens [Gowees] und Hyper¬ 
trophie des Abductor indicis [Tatlob]). Dazu gehört ferner die hier nicht vor¬ 
handene Atrophie der Muskeln des Scbultergürtels, des Biceps, Quadriceps oder 
die Hypertrophie im Deltoideus, Gastrocneumius, Infraspinatus u. s. w. Auch 
sind Retractionen oder Contracturen dabei selten und wenig ausgeprägt 

Für Tetanie und Myotonie fehlen ebenfalls alle charakteristischen Er¬ 
scheinungen. 

Wiederholt sind endlich Muskelhypertrophieen nach übermässigem Gebrauch 
bei Athleten u. s. w. beobachtet worden; auch kommt es bei diesen gelegentlich 
nach Ueberanstrengungen vor, dass die echte Muskelhypertrophie mit ihrem 
derben, prallen Charakter unter Herabsetzung der Kraft in eine weiche, teigige 
Consistenz (Pseudohypertrophie?) übergeht, diese hypertrophischen Muskeln sind 
mitunter, wie die unseres Kranken, zu gesteigerter Kraftentfaltung für kurze 
Zeit befähigt, ohne Ausdauer zu zeigen. In der Regel ist der Sitz dieser Hyper¬ 
trophie an dem Schultergürtel, den Oberarmen, Oberschenkeln, Waden, Glu- 
taei u. s. w. 

In diese letzte Kategorie gehört wohl auch der von Jolly im Anschluss 
an diese Kranken Vorstellung erwähnte Fall von L. Auerbach . 1 Hier entstand 
bei einem jungen Manne während der Militärdienstzeit eine Hypertrophie der 


1 Ein Fall von wahrer Muskelbypertrophie. Virchow’s Archiv. Bd. LIII. 1871. 


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derben Muskulatur des ganzen rechten Arms und besonders der Mm. deltoideus, 
bioeps, des Vorderarms und Daumenballens. Mit dieser Hypertrophie ging eine 
bläuliche Marmorirung, eine Venenervreiterung und Kältegefühl der Haut einher; 
auch erlahmte der Arm schnell bei anstrengenden Uebungen. Diese Wachs- 
thumszunahme der Muskulatur kam bald zum Stillstand, und die Leistungs¬ 
fähigkeit besserte sich im Laufe der Zeit Die mikroskopische Untersuchung 
eines aus dem Biceps excidirten Muskelstückchens erwies eine echte Muskel¬ 
hypertrophie (Volumenszunahme der Muskelfasern mit proportionaler Kern¬ 
vermehrung). Auffallend war in dem Falle Aueebach’s die Zunahme der 
Schwere der hypertrophischen Extremität (um 3 Pfund schwerer als die linke), 
eine Erscheinung, die auch bei meinem Kranken vorhanden war. 


II. Referate. 


Anatomie. 


1) Untersuchungen über den Faserverlauf im Chiasma des Pferdes und 
über den binooularen Sehaot dieses Thieres, von H. Dexler. (Arbeiten 
aus Prof. Obersteiner’s Laboratorium. 1897. Wien.) 


Verf. weist zunächst darauf bin, dass eine Reihe von Momenten dafür spricht, 
dass auch das Pferd einen binocularen Sebact hat; freilich ist diese Annahme noch 
keineswegs bewiesen. Verf. bringt nun als weitere StQtze einer solchen Annahme 
seine Befunde, die eine partielle Opticuskreuzung auch beim Pferde beweisen. Er 
enuclelrte einem 2 Tage alten Fohlen einen Bulbus und tödtete das Thier nach 
3 Monaten. Das Nervensystem wurde nach Pal untersucht. Zur Controlle dieser 
Präparate wurde einem lOjähr. Pferde das eine Auge enucleirt und das Thier nach 
30 Tagen getödtet; die Präparate wurden hier nach Marchi gefärbt. Die in beiden 
Fällen erhobenen Befunde, die im Detail wiedergegeben und durch Abbildungen 
illustrirt werden, ergänzten sich in schöner Weise nnd erlaubten bezüglich des Ver¬ 
laufs der Opticusfasern beim Pferde folgende Schlussfolgerungen: Nach einseitiger 
Enucleation traten beim Pferde Degenerationen auf, welche sich in ihrer Hauptmasse 
in den contralateralen Tractus fortsetzt, zum kleineren Theile jedoch in den gleich¬ 
seitigen Tractus übergeht. Ersterer entspricht einem mächtigen gekreuzten, letzterer 
einem schwächeren ungekreuzten Bündel. Die nicht gekreuzten Fasern sondern sich 
von dem Gittergeflecht des Chiasmas in der cerebral gelegenen Partie ab, liegen im 
Tractusanstritt dorsolateral, später ganz seitlich, verlaufen jedoch nicht als isolirter 
Strang im Tractus. Die Gesammtheit dieser Fasern dürfte etwa 1 / 9 der Fasern des 
Tractus ausmachen. Diese Zahl ist jedenfalls viel zu gross, als dass sie functionell 
belanglos sein oder bloss znr Versorgung der oculo-pupillären Impulse dienen sollte. 
Vielmehr spielt dieselbe beim Sehact sicherlich eine bedeutende Rolle. Die beim 
Pferde sehr mächtige Gudden’sche und die Meynert’sche Cominissur verläuft zum 
Theil vermischt, zum Theil durch Gliasephen von einander getrennt. Aboral von 
der Commissur existirt ein schwacher gekreuzter Faserzug, der einseitig degenerirt 
und wahrscheinlich der Forel’schen Commissur entspricht, womit auch die Beobach¬ 
tungen von Leonowa am Menschen übereinstimmen. Ein directes Verfolgen ein- 


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zelner Fasern oder eines Bündels im Chiasma auf längere Strecken erscheint unmög¬ 
lich, da alle B&ndel verschiedene Windungen durchmachen. 

Verf. erachtet durch seine Befunde den Beweis der Partialkreuzung beim Pferde 
erbracht, zumal durch den oben referirten Fall von Schlangenhaufer auch der 
anatomische Beweis im Sinne Köllicker’s für die partielle Kreuzung beim Menschen 
gegeben sei; wird die partielle Kreuzung als anatomisches Substrat für das binoculare 
Sehen betrachtet, dann ist auch beim Pferde der binoculare Sebact erwiesen. 

Bedlich (Wien). 


2) Sur les appendices des dendrites, par Stdfanowska. Commun. prdlimin. 
(Bulletin publid par la Socidtd royale des Sciences mddicales et naturelles de 
Bruxelles. 1897.) 

Die Mittheilungen des Yerf.’s beziehen sich auf den reifartigen Besatz, welchen 
die Dendriten der Nervenzellen an Präparaten aufweisen, welche nach einer der 
Imprägnationsmethoden (Bamön y Gajal, Golgi) hergestellt worden sind. Derselbe 
wird von ziemlich regelmässig geformten ovoiden oder birnenförmigen Körperchen 
gebildet, für welche der Name „Corpuscules piriformes“ vorgeschlagen wird. Da die 
Dendriten diejenige Einrichtung darstellen, welche den „Nervenstrom“ zum Zellkörper 
hinleiten, so hätten die Corpusc. pirif. die Bedeutung, die Oberfläche der Dendriten 
zu vergrössern und damit die Contactbedingungen zu verbessern. Wenn die Proto¬ 
plasmafortsätze sich in dem sog. Etat perlö befinden, in dem sie ein rosenkranzartiges 
Aussehen darbieten, so sind die Corp. pirif. an ihnen der Zahl nach vermindert. 
Nicht selten habe man Gelegenheit zu beobachten, wie dieselben sich in die perlen¬ 
artigen Anschwellungen zuröckziehen und gewissermaassen in denselben untertauchen. 
Aus dem Vorkommen der rosenkranzartigen Anschwellungen der Dendriten und dem 
eigenartigen Verhalten der Corp. pirif. an denselben wird der Schluss gezogen, dass 
die Protoplasmafortsätze keine fixirten unbeweglichen Gebilde sind, sondern zu Be¬ 
wegungen sowohl in longitudinaler wie transversaler Bichtung befähigt sind. 

Max Bielschowsky (Berlin). 


Experimentelle Physiologie. 

3) Studi su testi mentali, per Budolfo Pinali. (Archivio di psichiatria, seiend 
penali ed antropologia criminale. XVIII. S. 538.) 

Verf. hat an 5 Männern und 5 Frauen Versuche Aber das Gedächtniss für 
optische und acustische Eindrücke, geometrische Figuren, Zeitschätzung, Baumstrecken¬ 
schätzung, Aufmerksamkeit beim Hören (besser wohl als Auffassungsfähigkeit zn 
bezeichnen) und Vorstellungsverbindungen gemacht. Er zeigte 10 Objecte, Worte, 
Ziffern und Eigennamen 5 Secunden lang und liess sich dieselben dann nennen; die 
gleiche Aufgabe musste dann für ausgesprochene Worte, Ziffern und Namen gelöst 
werden. Aus dem Ueberwiegen der richtigen Fälle beim Seher* oder Hören schloss 
Verf. dann auf einen visuellen, acustischen oder gemischten Typus. Das Nachzeichnen 
der geometrischen Figur gelang nie vollständig; welchen - Werth es überhaupt für 
die Beurtheilung des geistigen Zustandes haben kann, lässt der Verf. unerörtert. 
Zur Prüfung der Aufmerksamkeit benutzte er dns Zählen eines bestimmten Buch¬ 
stabens beim Vorlesen eines Prosastückes. Bei den Associationsversuchen nannte 
oder zeigte er ein Wort und liess sich nun die erste Vorstellung od<er das erste 
Bild nennen, das auftauchte. Ueber die Schwierigkeiten seines Unternehmens scheint 
sich der Verf. so wenig klar geworden zu sein, dass er sich, abgesehen von den 


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zahlreichen Fehlern seiner Methode, nicht einmal bemüht hat, zu untersuchen, ob 
die erhaltenen Resultate constant sind, und jede Person nur einmal untersuchte. 

_ Aschaffenburg (Heidelberg). 


4) Ueber die Veränderungen in der Blutoiroulation nach Einwirkung 
des Nebennieren-Extraots, von Dr. Alois Velich. (Allgem. Wiener med. 
Zeitung. 1897. Nr. 27—29.) 

Verf. prüfte die Einwirkung des Nebennieren-Extracts von Fröschen auf die 
Blutcirculation von Hunden nnd Kaninchen und fasst die Resultate seiner Experimente 
in folgenden Sätzen zusammen: 

1. Der Extract aus den Frosch-Nebennieren, und zwar von Rana esculenta und 
Sana temporaria, bewirkt bei Hunden und Kaninchen eine Blutdrucksteigerung und 
Beizung der Centra der N. vagi. 

Nach Durchtrennung der Vagi erscheint nach der Injection neben der Blut* 
drucksteigerung eine Acceleration des Pulses. 

3. Dieselbe Wirkung wie die Yagusdurchtrennung hat auch eine starke Curare* 
Vergiftung zur Folge. 

Hierin liegt scheinbar ein Unterschied der Wirkung des Nebennieren-Extracts 
von Warmblütlem und wechselwarmen Thieren, da der Extract von Warmblütern 
bei stark curarisirten Hunden eine Retardation des Pulses bewirkt. Doch hat Verf. 
in letzter Zeit nach Injection von weniger concentrirten Extracten bei stark curari- 
girten Hunden auch ein Ausbleiben der Retardation des Pulses beobachtet, was sich 
erklären lässt aus der Schwächung des Tonus der Vaguscentra durch starke Curare- 
vergiftung. Die Differenz der beiden Extracte. scheint also nur eine quantitative zu 
sein, indem Frosch-Nebennieren-Extracte die Vaguscentren schwächer reizen. 

4. Die Blutdrucksteigerung nach der Injection des Frosch-Nebennieren-Extracts 
ist von dem verlängerten Marke unabhängig, denn sie tritt auch nach Zerstörung 
desselben ein. Dabei macht sich gleichzeitig, wie bei dem Extracte der Säugethier- 
Nebennieren, auch eine Pulsacceleration geltend. 

In allen Versuchen erwies sich somit die Einwirkung des Extracts von Frosch- 
Nebennieren übereinstimmend mit jener des Extracts der Nebennieren von Säuge- 
thieren, woraus folgt, dass beide Extracte die Blutcirculation in gleicher Weise be¬ 
einflussende Substanzen enthalten, woraus man weiterhin, folgern kann, dass -die 
Nebennieren der Frösche als denen der Säugethiere vollkommen entsprechende Organe 
aufzufassen sind. Für die Verwerthung der zahlreichen an Fröschen angestellten 
Nebennieren-Experimente in der menschlichen Pathologie und Physiologie ist diese 
Thatsache von Bedeutung. J. Sorgo (Wien). 


Pathologische Anatomie. 

5) Ueber die Todesl&lle und Seotionsbefunde der Züroherisehen kanto¬ 
nalen Irrenheilanstalt Burghölzli vom 17. März 1879 bis 17. März 1896, 
von Arnold Brehm (St. Imier). (Allgem. Zeitschr. f. Psych. Bd. LIV. S. 373.) 

Während der 17 Jahre, die der Statistik zu Grunde liegen, starben von 3927 
behandelten Kranken 607 = 16,45 °/ 0 . Davon entfallen aber auf Paralyse, senile 
Demenz und andere organische Gehirnerkrankungen 382 Todesfälle (unter 690 Kranken). 
Unter den 4 als Delirium acutum geschilderten Kranken führt der Autor einen Exitus 
auf Hitzschlag zurück. Dieser entstand durch die Einwickelung in trockene Woll¬ 
decken bei anhaltendem Sträuben des tobenden Kranken. Die 510 Alkoholpsychosen 
(13°/ 0 ) hatten eine Mortalität von 7 °/ 0 . Im Ganzen fand sich Tuberculose der 


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Langen in 35, der Langen and Eingeveide in 50 Fällen, der Eingeweide allein in 
1 Fall. 14 °/ 0 aller Gestorbenen sind also der Pbtbise erlegen. 4 Kranke endeten 
durch Selbstmord. Alle anderen Einzelheiten werden am besten im Original nach¬ 
gelesen. __ Aschaffenburg (Heidelberg). 


6) Mikroskopisohe Veränderungen der Nieren und Leber in 52 Fällen 
von Fsychoneurosen, von Dr. M. Falk. (Wjestrik psichiatrii i neuropato- 
logii. 1897. XII [russisch].) 

Das klinische Material der Arbeit stammt aus der St. Petersburger städtischen 
Irrenanstalt und bestand aus 52 Fällen functioneller Psychosen; davon waren 22 
acut, aus der Gruppe Amentia, 17 subacut mit protrahirtem Verlauf, 11 Fälle 
chronischer Paranoia und secundären Schwachsinns, 2 Fälle psychischer Epilepsie. 
Die meisten standen im Alter von 18—40 Jahren. Die Todesursache war verschieden 
— in 28 Fällen Lungentuberculose, in 10 Gehirncongestion, ferner in einzelnen Fällen 
croupöse Pneumonie, Magengeschwflr, Lungengangrän u. s. w. Nieren und Leber wurden 
ausführlicher mikroskopischer Untersuchung unterzogen, und die Ergebnisse derselben 
sind in der Arbeit des Verf.’s für jede einzelne Gruppe seiner Patienten eingehend be¬ 
schrieben. In den Nieren waren in allen Fällen, sowohl den acuten, als auch den protra- 
hirten und chronischen, pathologische Befunde zu constatiren, und zwar hauptsächlich in 
Gestalt parenchymatöser Degeneration und interstitieller Nephritis. Die erstere offenbarte 
sich in allen möglichen Uebergangsformen von einfacher Trübung des Epithels bis zu 
Zerfall und Atrophie desselben, mit besonderer Neigung zur hydropischen Entartung 
Die Intensität des Processes war in den acuten Psychosen grösser als in denjenigen 
mit protrahirtem oder chronischem Verlauf. Ausserdem wurde in 19 Fällen inter¬ 
stitielle Nephritis constatirt, und die Mehrzahl derselben gehörte ebenfalls zu den 
Gruppen der acuten und subacuten psychischen Erkrankungen. — Die Veränderungen 
in der Leber bestanden in fettiger Entartung, Infiltration und Atrophie der Leber¬ 
zellen, Pigmentablagerung, Sclerose der Gefässe; ausserdem fanden sich in einzelnen 
Fällen sclerotische Veränderungen seitens des Interstitialgewebes. Auch hier 
überwog die Intensität der pathologischen Processe in den acuten und subacuten 
Psychosen, während dieselben in den chronischen Fällen bedeutend schwächer aus¬ 
geprägt waren. 

Bei der Beurtheilung der Bedeutung seiner Befunde sucht Verf. zuvörderst durch 
Zusammenstellung der betreffenden Todesursachen nachzuweisen, dass die parenchy¬ 
matösen Veränderungen der Leber und Nieren, die mit solcher Beständigkeit bei 
acuten und subacuten psychischen Erkrankungen Vorkommen, nicht durch somatische 
Affectionen des Organismus erklärt werden können. Ferner hält er es für ausge¬ 
schlossen, dass die allgemeinen Lebensbedingungen bei diesen Psychosen, z. B. unge¬ 
nügende Ernährung, Schlaflosigkeit, Aufregung u. s. w. als wesentliche Ursachen so 
intensiver pathologischer Processe im Leber- und Nierenparenchym betrachtet werden 
können. Da in vielen der untersuchten Fälle Veranlassung war, anzunehmen, dass 
die Veränderungen der parenchymatösen Organe der Entwickelung der psychischen 
Erkrankung vorausgingen, und da bei Sectionen Nichtgeisteskranker chronische inter¬ 
stitielle Nephritis bedeutend seltener constatirt wird, als bei der Untersuchung der 
Nieren von Geisteskranken (Bamberger, Bond), so gelangt Verf. zu der Annahme, 
dass die Psychose selbst durch einen toxischen Beiz bewirkt wird, durch welchen 
auch die Erkrankung der Nieren entstehen kann. Ausserdem hält er es für möglich, 
dass die Veränderungen der Nieren und Leber durch Beeinflussung seitens des cen¬ 
tralen Nervensystems bedingt sein können. P. Rosenbach (St. Petersburg). 


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Pathologie des Nervensystems. 

7) Beiträge zur Symptomatologie und Anatomie der Akromegalie, vou 
Prof. Fr. Schnitze. Mit anatomischen Beiträgen von Dr. Jores, Privatdocent 
in Bonn. (Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. XI. 1897.) 

Verf. konnte den 1889 zuerst beschriebenen typischen Fall von Akromogalie 
Jahre hindurch klinisch beobachten und kurz vor dem Exitus die eine Hand einer 
Durchleuchtung mit Röntgen-Strahlen unterwerfen lassen. Es fand sich dabei nicht 
nur eine Auftreibung der Hautcontouren in der Gegend der Mittelpbalangen, sondern 
auch eine Verdickung der Knochensubstanz der Grund- und Endphalangen. Die von 
Dr. Jores vorgenommene anatomische Untersuchung ergab eine ausgebreitete Ver¬ 
änderung des Knochensystems, besonders des Schädels, in Form einer partiellen 
Wucherung und einer theilweisen Verminderung des Gewebes; ferner Veränderungen 
einzelner Gelenke nach Art der Arthritis deformans, erhebliche Hypertrophie der 
Hypophysis und Thyroidea nebst persistirender, grosser Thymus, Vergrösserung vieler 
innerer Organe, Neigung zu multipler Geschwulstbildung der Haut (Keloide), Ver¬ 
dickung und Entartung der Muskulatur des linken Herzens, mässige Arteriosclerose 
nnd secundäre Opticusatrophie. Am Rückenmark fand sich ausser einer ganz geringen 
Degeneration der Go 11’sehen Stränge Verdickung der Pia und deren Gefässe, mässige 
Verdickung der centralen Rückenmarksgefässe und Obliteration des Centralcanals im 
Hals- und Dorsaltheil. 

In klinischer Beziehung war bemerkenswert!), dass die einzelnen Krankheits¬ 
erscheinungen im Laufe der Jahre zu- und später wieder abnahmen, nur die Störung 
des Sehvermögens blieb stationär. Eine vorübergehende Anwendung der Marchi- 
seben Hypophysistabletten brachte keine Besserung. 

Zum Schluss theilt Verf. einen weiteren, klinisch beobachteten Fall von Akro- ' 
megalie mit, bei welchem eine mässig starke, multiple Exostosenbildung am Hinter- 
hauptsbein, an dem Ober- und Unterkiefer, an der linken Clavicula und linken Tibia 
auffällig ist, während Hypophysiserscheinungen fehlen. Hierbei war eine mehr¬ 
wöchentliche Darreichung der genannten Hypophysistabletten ohne den geringsten 
Nutzen. - E. Asch (Frankfurt a./M.). 


8) Ein Beitrag zur Pathologie und pathologischen Anatomie der Akro¬ 
megalie, von Prof. Dr. Adolf Strümpell in Erlangen. (Deutsche Zeitschr. 
f. Nervenheilk. XI. 1897.) 

Bei einer 23 jährigen Dienstmagd wurden schon vor 12 Jahren Anschwellungen 
im Gesicht und an den Händen bemerkt, vor 4 Jahren stellten sich starke Men¬ 
struationsbeschwerden und bald darauf Amennorrhoe ein, wegen deren die Castration 
vorgenommen wurde. 1 Jahr darauf starker Zuckergehalt des Harns und erste Fest¬ 
stellung der Akromegalie durch den Verf. Die eingehend mitgetheilte Kranken¬ 
geschichte schildert die einzelnen Symptome des typischen Falles auf das Genaueste. 
Besonders ins Auge springend waren die allgemeinen Veränderungen der Körper¬ 
gestalt, die charakteristische Vergrösserung des Unterkiefers, die tatzenförmig ver¬ 
unstalteten Hände und Füsse und die Entwickelung eines Hypophysistumors. Die 
Gesammtdauer der Krankheit betrug 8—9 Jahre, während derselben war der Harn 
vorübergehend zuckerfrei. Im Anschluss an den Diabetes oder - an eine bestehende 
Incontinentia urinae stellte sich eine eitrige Pyelonephritis ein, deren Folgen die 
Kranke erlag. Bei der Section konnte aus äusseren Gründen nicht das ganze Scelett 
in Betracht gezogen werden. Die anatomische Untersuchung des Unterkiefers liess 
erkennen, dass die Vergrösserung der einzelnen Theile nur durch ein abnormes 
Wachsthum bedingt war, während sich am Knochengewebe nirgends entzündliche 


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Veränderungen feststellen Hessen. An der Schädelbasis fiel eine abnorme Breite der 
Sella turcica auf. Der Hypophysistumor hatte den Charakter eines weichen, bös¬ 
artigen Sarcoms, das den Keilbeinkörper und den oberen Theil der Nasenhöhle ganz 
durchwuchert und auch auf die linke Augenhöhle Qbergegriffen hatte. Während der 
nach dem Gehirn zu gelegene Theil der Geschwulst von mehr gutartigem, strumösem 
Charakter war, zeigte die untere, dem Knochen aufliegende Partie derselben sarco- 
matöses Verhalten, woraus hervorgeht, dass der ursprünglich gutartige Tumor nach 
und nach maUgnen Charakter annahm. Die Haut war fast an der ganzen Oberfiäohe 
des Körpers nicht nur verdickt, sondern auch erweitert und in Falten abhebbar. Bei 
der mikroskopischen Untersuchung derselben fand sich eine unter normal dünne Epi¬ 
dermis, während die Cutis und das subcutane Zellgewebe um das Doppelte und die 
Subcutis um das Dreifache verdickt war, in ihrem Bau indessen normale Verhältnisse 
bot. Hierdurch werden die Untersuchungen Murray’s bestätigt, welcher nachwies, 
dass bei der AkromegaUe die Vergrösserungen und Verdickungen der Zehen mehr 
durch eine Hyperplasie der Weichtheile, als durch eine Verdickung der Knochen 
bedingt sind. Im Bückenmark fand sich, abgesehen von einer kleinen, absteigenden 
Degeneration in der Gegend des Gowers’schen Bündels im Halsmarke keine Ver¬ 
änderung; dieselbe ist offenbar nur als Folgeerscheinung des vorhandenen grossen 
Gehirntumors aufzufassen. In den Hintersträngen waren keine Veränderungen nach¬ 
zuweisen. Bemerkenswert!! ist, dass Akromegalie und Sclerodermie, welche in Bezug 
auf ihre Erscheinungen in einem gewissen Gegensätze stehen, doch mancherlei 
Aehnlichkeiten darbieten. Bei beiden Krankheiten sind der untere Theil des Gesichts 
und die Hände betroffen. Während aber bei der Akromegalie die Haut hyperplastisch 
wird und die darunterliegenden Knochen mehr oder weniger mässig erscheinen, 
handelt es sich bei der Sclerodermie mehr um einen Schrumpfungsprocess, woran 
die Haut und die darunter Hegenden Knochen theHnehmen. 

Was die Aetiologie dieses Leidens angeht, so nimmt Verf. als wahrscheinlich 
an, dass die Akromegalie zu den endogenen Krankheiten gehört, welche durch eine 
von Anfang an bestehende abnorme Veranlagung des Körpers bedingt ist. Doch ist 
hierdurch nicht ausgeschlossen, dass in Folge einer Anzahl von „Gelegeuheitsursachen“ 
der Beginn der Krankheitserscheinungen hervorgerufen werden kann und sind hierzu 
vor AUem Traumen, psychische Einflüsse, acute Infectionskrankheiten und Erkältungen 
zu zählen. Die Hyperplasie und Tumorbildung bildet zwar eine fast regelmässige 
und durchaus specifische Erscheinung in dem Krankheitsbilde, ist indessen den übrigen 
hauptsächlichen Symptomen nur coordinirt und wahrscheinlich auch nur durch die 
• bis jetzt unbekannte, endogene Ursache veranlasst. E. Asch (Frankfurt a./M.). 


8) Ett fall af akromegali, af Jarl Hagelstam. (Finska läkaresälesk. handl. 

XXXVIII. 1896. S. 623.) 

Eine 40 Jahre alte Frau ohne erbliche Anlage batte vier normale Entbindungen 
überstanden. Im dritten Wochenbett hatten sich Schmerz und Schwellung an beiden 
Händen und Armen eingesteUt, nahmen aber wieder ab, als die vierte Schwanger¬ 
schaft begann. Nach der vierten Entbindung hatte die Pat. einige Tage lang heftige 
cardialgische Schmerzen, und danach traten von neuem Schmerz und Schwellung in 
Händen und Armen ein und blieben nun besteben; auch Füsse, Lippen, Zunge und 
Nase nahmen aUmählich an Dicke zu. Schon seit Jahren hatte Pat bemerkt, dass 
der untere Zahnrand vor den oberen rückte; die Zunge begann unbeholfen und steif 
zu werden, die Sprache bekam ein tiefes, klangloses Timbre. Nach dem letzten 
Wochenbette hatten sich bei der damals 32 Jahre alten Pat. die Menses nicht wieder 
eingesteUt. Pat. litt seitdem beständig an Schmerzen in den Armen, im Hinterkopf 
und im Nacken, die in Kopf und Bücken und nicht selten über den ganzen Körper 
ausstrahlten. Das Sehvermögen war zeitweise herabgesetzt, das Gedächtniss wurde 


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schlecht, die Stimmung deprimirt. Seit 1 Jahre hatte Pat. ein Gefühl von Schwäche 
in den Hüftgelenken, wodurch das Gehen, namentlich das Treppensteigen, erschwert 
wurde. Auch die Hände waren schwach, die Finger dick und plump. 

Bei der Aufnahme fand man die Haut an Händen und Füssen teigig verdickt, 
an den übrigen Theilen des Körpers in dicken Falten liegend, das Unterhautfett« 
gewebe bedeutend reducirt, die Muskulatur schlaff, etwas atrophisch, an den Händen 
waren namentlich die Daumenballen auffällig reducirt, besonders links. Die Kraft 
der Hände war bedeutend herabgeselzt. Der Kopf war verhältnissmässig gross, be¬ 
sonders das Gesicht, Unterkiefer, Nase und Lippen waren bedeutend hypertrophisch, 
nicht bloss die Weichtheile, sondern auch die Knochen; die Zunge war um das 
Doppelte vergrössert. Die Schilddrüse war atrophisch. Die Bippenknorpel waren 
verknöchert und verdickt, die Wirbelsäule war im Brusttheile kyphotisch mit leichter 
Scoliose nach rechts und bedeutender Lordose im Lendentheile. Die Hände waren 
in hohem Grade hypertrophisch, kurz, breit und dick, die Finger wurstförmig auf¬ 
getrieben mit platten, der Länge nach gerieften Nägeln. Ebenso verhielten sieh auch 
die Füsse, die kurz, dick und plump waren, an den Unterschenkeln bestanden Varices. 

Die Intelligenz war gut, die Hautsensibilität erhalten, die Patellarreflexe fehlten. 
Die Augen standen etwas hervor, auf dem linken bestand vollständige temporale 
Hemianopsie. Die Bespiration war oberflächlich, vorwiegend abdominal. 

Unter den Symptomen hebt Verf. als selten besonders das Fehlen der Patellar¬ 
reflexe hervor, sowie die Atrophie der Handmuskeln und die schmerzhafte Schwellung 
der Hände und Arme, die nach ihrem ersteren Auftreten wieder zurückging. Die 
einseitige temporale Hemianopsie weist nach Verf. auf eine partielle Vergrösserung 
der Hypophysis cerebri hin, die nicht constant gewesen sein kann, da das Seh¬ 
vermögen sich zeitweise besserte. — Thyreoidin, das wiederholt in diesem Falle an- 
gewendet wurde, hatte keine andere Wirkung, als dass die Pat. ihren vorher guten 
Appetit verlor. _ Walter Berger (Leipzig). 


10) A case of aoromegalia with autopsy, by Brooks. (New York Medical 

Journal. Yol. LXV. 1897. Nr. 13.) 

Die sehr kurze Mittheilung soll nur der Vorläufer einer grösseren Arbeit sein, 
welche demnächst in The State Hospitals Bulletin erscheinen soll. Der 30jährige 
Patient bemerkte im Laufe der letzten 3 Jahre eine Veränderung seiner Körperform: 
die Hutnummer stieg von 7 auf 8%, die Schuhgrösse von 7% auf 11, Handschuhe 
(früher 7 1 / 2 ) mussten besonders angefertigt werden; das Gewicht nahm um 75 Pfund 
(175—250 Pfund) zu. 6 Monate vor dem Eintritt in das Hospital soll Pat. an¬ 
geblich Syphilis acquirirt haben und entsprechend behandelt sein. Später eintretende 
Störungen an dem rechten Auge , wurden als luetische Iritis gedeutet, die Therapie 
war erfolglos. In der letzten Zeit zunehmende Veränderung der Psyche, anfallsweise 
auftretende Dyspnoe und constanter, intensiver Durst. — Plötzlicher Stupor mit 
Dilatation und mangelnder Reaction der rechten Pupille; Ausscheidung von Eiweiss 
(20 ° 0 ) und Zucker (7,5%) iui Urin. Exitus unter Steigerung der Temperatur 
(ca. 40°), des Pulses (128) und der Bespiration (38). Die Autopsie (3 Stunden 
p. mortem) ergab u. a. charakteristische Veränderungen des Sceletts, Vergrösserung 
der Knochen, namentlich an den distalen Epiphysen der Unterarm- und Unterschenkel- 
knochen, und einen Hypophysistnmor. B. Pfeiffer (Cassel). 


11) Ueber die Beaiehungen der Akromegalie zum Diabetes mellitus, von 
Dr. Friedrich Pineies. (Allg. Wiener med. Zeitung. 1897. Nr. 23—25.) 

24 Jahre alte Patientin. Seit 4—5 Jahren Stirnkopfschmerz in mehrwöchent- 
lichen Intervallen; seit 2 Jahren Amenorrhoe; seit 1% Jahren Zunahme der seit 


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Kindheit bestehenden Stroma und Auftreten einer Reihe von Beschwerden: Durst, 
Hunger, Mattigkeit, Hautjucken, Furunculose; seit einem Jahre Abnahme des Seh¬ 
vermögens, seit einigen Monaten Volumszunahme des Gesichts und der Nase. Pat. 
kam zur Anfnahme mit den deutlichen Zeichen des beginnenden Coma diabeticum 
(Benommenheit, tiefes geräuschvolles Athmen, Acetongeruch der Exspirationsluft). Im 
Harn reichlich Zucker, Aceton, Acetessigsäure, ^-Oxybuttersäure, etwas Albumin. 
Furunculose. Gleichzeitig bestand Obstipation, Brechreiz und Uebelkeit, welche 
sowie das Coma nach auf AbfQbrmittel hin erfolgter Entleerung grosser Kothmengen 
schwanden, so dass hier möglicherweise jene Form von diabetischem Coma vorlag, welche 
als Folge von Autointoxication vom Darm her in Folge von abnormen Zersetzungs¬ 
vorgängen aufznfassen ist (Schmitz). Von den übrigen Symptomen seien erwähnt: 
Hände, Füsse und Gesicht im Vergleich zum übrigen Körper stark vergrössert, 
Knochen und Weichtheile gleicbmässig betroffen, im Gesicht besonders Jochbeine, 
Nase und Kinn befallen; Haut geschwellt, succulent, teigig; Oedem der unteren 
Extremitäten; Struma, Amenorrhoe in Folge vorzeitiger Involution des Genitale. 

Nach 11 monatlichem Spitalaufenthalte, während welcher Zeit die Akromegalie 
zugenommen hatte, Tod im diabetischen Coma. Sectionsdiagnose: Acetonämie. Pan- 
creatitis suppurativa acuta et necrosis telae adiposae circa paucreatem. Tumor Hypo- 
physeos (Mikroskopisch Sarcom). Akromegalia, Struma. 

Die mangels eingeprägter Symptome in vivo nicht diagnosticirte Pancreatitis 
lässt sich nach Verf. mit dem Diabetes durch die Annahme einer primären einfachen 
Atrophie des Organs mit consecutiver eitriger und nekrotisirender Entzündung 
(Hansemann), die der diabetischen Gangrän und Furunculose gleichzustellen wäre, 
in Zusammenhang bringen, unter welcher Annahme die Incongruenz in der Dauer 
der Diabetes ( 2 ^ Jahr) mit dem pathologischen Befunde der eitrigen Pancreatitis 
nicht mehr stören würde und zugleich Uebereinstimmung mit der Erfahrung ge¬ 
schaffen wäre, dass Diabetes bei Entzündungen des Pancreas mit Vereiterung und 
Nekrose meist vermisst wird, wogegen die einfache Atrophie des Pancreas in der 
Aetiologie der Diabetes eine grosse Rolle spielt. 

Die Beziehungen zwischen Akromegalie und Diabetes werden nach Verf. ver¬ 
ständlich durch den Umstand, dass beiden Erkrankungen eine Functionsstörung je 
einer Blutdrüse, Hypophysis und Pancreas zu Grunde liegen, wobei noch unentschieden 
ist, ob diese Functionsstörungen coordinirt sind oder ob die Störung des einen Organs 
auch das andere schädigen könne. J. Sorgo (Wien). 


12) Un oaso di aoromegalia con emianopsia bitemporale e inferiore, per 

J. Monteverdi e C. Torracchi. 

Ein typischer Fall von Akromegalie bei einer 40jährigen Bäuerin, der sich nach 
einer fieberhaften Puerperalerkrankung entwickelt hatte. Es bestand Vergrösserung 
der Extremitäten und des Kopfes, das Gesicht bot das typische Bild dar, Kypho- 
scoliose im dorso-lumbalen Tlieil der Wirbelsäule, Makroglossie, Hyperliidrosis, übel¬ 
riechende Schweisse, Polidipsie und Poliurie, leichte Peptonurie, vorübergehend Albu¬ 
minurie, melancholischer Gemüthszustand, anfallsweise auftretender Kopfschmerz. 
Die Glandula thyreoidea fehlte. Von Seiten der Augen beiderseits Hemianopsia 
temporalis et inferior und Neuritis optica. 

Die Kranke wurde in comatösem Zustande mit zeitweise aultretenden Delirien 
ins Krankenhaus aufgenommen. Sie bot fast das Bild einer Meningitiskranken dar. 

Valentin. 


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13) Bull' aoromegalia, per S. Pausini. (Giorn. int delle scienz. med. XIX.) 

Yerf. theilt zunächst zwei eigene Beobachtungen mit: 

1. Eine 50jährige Frau erkrankte im 28. Lebensjahre während der Lactation 
mit allgemeiner Schwäche und Schläfrigkeit, dabei bestand unersättlicher Heisshunger, 
Gefühl des Abgestorbenseins in Fingern und Händen. In 5 Jahren war das voll¬ 
kommene Krankheitsbild der Akromegalie entwickelt Vergrösserung der Hände, der 
Füsse und des Gesichts, cervico-dorsale Kyphose, Sensibilität an Händen und Füssen 
herabgesetzt, eine Zone partieller Anästhesie für Berührung und Schmerz am Bücken, 
Fehlen der Patellarreflexe, kein Struma. Ein gesundes Kind gebar die Patientin zu 
Beginn der Erkrankung, ein zweites, als diese schon in ihrer vollen Entwickelung 
war; beide waren geistig und körperlich normal herangewachsen. — Auf Thyreoidin- 
tabletten subjective Besserung. 

2. Bei einem 33jähr. Schuhmacher hatte das Leiden im 19. Lebensjahre begonnen 
und zwar mit Kopfschmerzen und Polyphagie, später Vergrösserung des Gesichts, 
der Hände und Füsse, Ausbildung einer dorsalen Kyphose, Fehlen der Kniereflexe, 
Tachycardie, Dämpfung über dem Manubrium sterni (Erb’sches Zeichen). 

Verf. geht dann an der Hand der Litteratur auf Wesen und Symptomatologie 
der Akromegalie ein. 

Die Kyphose hält er für den Ausdruck des krankhaften Wachsthums der Wirbel. 
Durch dynamische Ursache wie Schwäche der Muskeln, und zwar ausgesprochener 
in den Extensoren als in den Flexoren, Schwere des vergrösserten Kopfes kommt 
bei der Osteoporose der Knochen die Verkrümmung zu Stande. 

Der Verf. neigt mehr der Theorie zu, die die Vergrösserung der Hypophysis 
für ein Symptom und nicht für die Ursache der Akromegalie hält. 

Valentin. 


14) Sopra un oaso di aoromegalia parziale, per Antomivi. (Archivio di 
Psichiatria. XVIII. 2—3.) 


Verf. berichtet über einen Fall von partieller Akromegalie bei einem im übrigen 
völlig gesunden und gut entwickelten 14jährigen Mädchen. Die Veränderung betraf 
2 Finger der rechten Hand und 2 Zehen des linken Fusses, 3 des rechten Fusses 
und 3 Finger der linken Hand. 

Die Maasse waren folgende: 


Hand, Länge der Finger: 


Daumen .... 

rechts 56 mm 

links 56 mm 

2. Finger .... 

„ 82 „ 

„ 93 „ 

3. Finger .... 

130 .. 

, HO „ 

4. Finger .... 

.. 116 .. 

•i 105 ,, 

5. Finger .... 

77 „ 

,, 83 ,, 


Fuss, Länge der Zehen: 

1. Zehe .... rechts 68 mm 

2. Zehe .... ., 65 „ 

3. Zehe ... „ 43 

4. Zehe .... „ 16 „ 


links 




35 mm 
63 „ 
65 „ 


Die Motilität und Sensibilität am ganzen Körper ohne krankhafte Veränderung. 

Verf. glaubt, namentlich des symmetrischen Sitzes der Erkrankung wegen, dass 
dem Leiden eine centrale Ursache zu Grunde liege: eine pathologisch gesteigerte 
Thätigkeit der Hypophysis oder eine krankhafte Reizung der trophischen Centren, 
hervorgerufen durch toxische oder andere Schädlichkeiten, die vom mütterlichen 
Organismus auf den des Fötus Übergehen. Valentin. 


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16) Die Akromegalie, von M. Sternberg. (Specielle Patbolog. u. Tberap. Heraus¬ 
gegeben von. H. Nothnagel. Bd. VII. 2. Theil. Wien 1897. A. Hölder.) 

Die vorzügliche Monographie bietet viel wesentlich Neues dar; das vorhandene 
Material ist mit umfassender Litteraturkenntniss kritisch verarbeitet. 

Im Capitel „Geschichte“ bringt Autor den interessanten Nachweis, dass die 
Affection schon in früheren Jahrhunderten beobachtet und von Magen die im Jahre 
1839 ziemlich genau beschrieben wurde. 

Bis jetzt liegen 47 Sectionsbefunde unzweifelhafter Fälle vor. Am genauesten 
sind die Befunde am Knochensystem erhoben worden. Typisch sind Vertiefung der 
Gefässfurchen, Verstärkung der Muskel- und Bänderfortsätze, Auftreten kleiner 
Exostosen ausserhalb der normalen Rauhigkeiten der Knochenoberfläche. Der Schädel¬ 
umfang ist oft bedeutend vergrössert, der Processus styloideus am Schläfenbeine auf¬ 
fallend stark, die pneumatischen Bäume sind erweitert; die Nähte verstreichen mit¬ 
unter frühzeitig. Die Hypertrophie der Knochen an der Schädelbasis verengt in der 
Begel die Nervenlöcher; der äussere knöcherne Gehörgang ist verlängert Genaue 
Beschreibung der Veränderungen am Keilbeine! Die Kyphose ist in manchen Fällen 
in der Form der Wirbelkörper begründet Die Domfortsätze der Wirbel sind oft 
stark verdickt, die Foramina transversaria der Halswirbel erweitert, die Intervertebral- 
löcher hingegen verengt. Der untere Band der Hippen erscheint sehr stark durch 
Vergrösserung der Gefässfurche verbreitert Von den langen Böhrenknochen ist das 
Schlüsselbein am meisten charakteristisch (durch Verstärkung der normalen Rauhig¬ 
keiten) verändert. Am Handskelett zeigt vorwiegend die volare Fläche verstärkte 
Rauhigkeiten; an den Phalangen sind die Veränderungen nicht sehr ausgesprochen. 

Eine Beibe gelungener Abbildungen neuer Fälle illustriren sehr gut die Be¬ 
schreibung. 

Die Veränderungen des Skelettes stehen zum Theil unter einander in einem 
gewissen genetischen Zusammenhänge. So wird sich die starke Ausbildung des 
Kauapparates, die Entwickelung der hypertrophischen Jochbögen, der erweiterten 
pneumatischen Bäume, die Zunahme des Himschädels erklären lassen. Die akro- 
megaliscbe Veränderung des Schädels ruft durch Verlagerung des Schwerpunktes u.s.w. 
die akromegalische Thoraxförm, die akromegalische Kyphose hervor. 

Von Knochenveränderungen sind constant: Verdickung des Pferiostes, oft ver¬ 
bunden mit Auflagerung neuer Schichten auf den Knochen; Veränderungen im 
Knochenmarke mit Zunahme der Markräume und Hypertrophie der Knochenbälkchen. 
Auch im Bereiche der Knorpel findet Knochenneubildung statt. An den -Gelenken 
entwickele sich öfters Arthritis deformans. 

Das Herz ist in der Begel vergrössert, Gefass(Arterien)veränderungen sind sehr 
hänflg. Milztumor ist ein gewöhnlicher Befund. 

Die Dickezunahme der peripheren Nerven und Nervenwurzeln, sowie die Ver¬ 
grösserung der Spinalganglien ist auf Zunahme des Bindegewebes zurückzuführen. 
Die Veränderungen der Hypophysis können verschiedener anatomischer Natur sein 
[einfache Hypertrophie, Hypertrophie mit colloider Degeneration (hierher sind vielleicht 
auch die „cystischen Tumoren“ zu rechnen), Adenom, Sarcom, Gliom], jedoch sind 
die vorliegenden Befunde nur mit Reserve zu verwerthen. 

In einem besonderen Capitel ist alles Bekannte über Morphologie und Physio¬ 
logie der Hypophysis kurz und äusserst klar zusammengestellt. 

Symptome: Im Gesichte tritt manchmal mehr die Knochenveränderung, manchmal 
mehr die Hauthypertrophie hervor; beides lässt sich durch die Aufnahme mit 
Röntgen-Strahlen unterscheiden. Die Volumszunahme der Hände hängt haupt¬ 
sächlich von den Weichtheilen ab. Verf. unterscheidet mit Marie die „verbreiterte, 
massive akromegalische Hand“ und die „ganz vergrösserte, riesige Hand". Von sen¬ 
sorischen Erscheinungen kommen Schmerzen der verschiedensten Art und in allen 
möglichen Körpertheilen vor. 

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Die Krankheit begann unter 20 Jahren: Bei 8 Männern (14,6%) nnd 10 Frauen 
(14,3 °/ 0 ), zwischen 21 und 30 Jahren bei 30 Männern (54,5 °/ 0 ) und 35 Frauen (60 °/ 0 )» 
zwischen 31 und 40 Jahren bei 14 Männern (25,4 °/ 0 ) und bei 18 Frauen (25,7%), 
nach dem 40. Lebensjahre bei 3 Männern (5,5%) und bei 7 Frauen (10,0%). Ee 
erkrankt also nahezu die Hälfte der Fälle zwischen dem 20. und 30. Lebensjahre. 

Nicht selten kommt ein apoplectiformes Einsetzen von Symptomen vor, aber 
auch sehr ausgiebige Bemissionen stellen keine Baritäten dar. 

In Bezug auf Dauer und Form kann man drei Formen unterscheiden: Die be¬ 
nigne Form mit einer bis 50jährigen Dauer und geringen Beschwerden; die gewöhn¬ 
liche chronische Akromegalie, Dauer von 8—30 Jahren; die acute maligne Form mit 
einer Dauer von 3—4 Jahren, ln allen Fällen der letzten Form — und nur bei 
dieser — fand sich ein echtes Sarcom der Hypophysis. 

Ein wichtiges Capitel handelt von den Beziehungen der Akromegalie zu anderen 
Krankheiten und Zuständen (Cranium progeneum, Myxödem und Cretinismus, Morbus 
Basedowii und Biesenwuchs, diffuse Hyperostose, Diabetes). Wahrscheinlich setzt der 
Riesenwuchs eine Disposition fflr das Auftreten allgemeiner Dystrophieen, und zwar 
insbesondere der Akromegalie. 

Bezüglich der Pathogenese äussert sich Verf. mit aller Reserve dahin, dass in 
der Aufhebung der normalen Function der Hypophyse die Ursache der Akromegalie 
gegeben sei. 

Von besonderem Werthe ist die ausführliche Besprechung der Differentialdiagnose 
der Akromegalie gegenüber anderen, namentlich den seltneren Zuständen (Cretinismus, 
Myxödem, Osteitis deformans, Pachydermie, allgemeine Hyperostose, Cranium pro¬ 
geneum, lymphatischer Habitus, partieller Biesenwuchs, Hypertrophie einzelner Körper¬ 
abschnitte, Erythromelalgie, Osteo-Arthropathie, Adiposis dolorosa, Progressive Er- 
largement of hends u. s. w.). Recht ausführlich sind die Darlegungen über den 
partiellen Biesenwuchs. 

Verf. betrachtet die Berichte über die therapeutische Beeinflussung der Akro- 
megalieen skeptisch, da spontane Remissionen bei dieser Erkrankung Vorkommen. 

Ein ausserordentlich umfangreiches Litteraturverzeichniss beschliesst die Arbeit 

H. Schlesinger (Wien). 


10) Notes on a oase of hypertrophio pulmonary - osteo -arthropathy, by 
John Edgar. (Glasgow Medical Journal. 1897. Nr. 11.) 

In dem mitgetheilten Falle handelt es sich um eine 72jährige Patientin aus 
gesunder Familie. Lues und Alkoholismus waren nicht nachweisbar. Die Pat. litt 
an chronischer Bronchitis. Im Sputum wurden keine Tuberkelbacillen gefunden. 
Die Ost6o-arthropathie entwickelte sich acut und unter Schmerzen innerhalb 
weniger Monate; die Anschwellung der Hände ging theilweise im weiteren Ver¬ 
laufe des Leidens zurück. Ausser diesen Momenten hält Verf. in seinem Falle eine 
sammetartige Beschaffenheit der Palmarfläche der Hände und dunkle Pigmentirung 
der letzteren, sowie der Füsse für bemerkenswerte Auffallend waren ferner die 
Vergrösserung der Carpo-metacarpalregion, die am meisten hervortretende Hypertrophie 
der proximalen Phalangen und die Kyphose an den oberen Abschnitten der Wirbel¬ 
säule. — Therapeutisch erwies sich anscheinend Jodkalium als günstig. 

Bayerthal (Worms). 


17) Dell* osteo-artropatia ipertroflca pneumica, per R. Massaiongo. (Poli- 
clinico. 1897. Nr. 20.) 

Zu untersuchen, ob eine Krankheitseinheit, wie die von Marie beschriebene, in 
der That besteht, das heisst, ob ein Zusammenhang zwischen chronischen Erkrankungen 

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des Bespirationsapparates und der Osteoarthropathie nachzuweisen ist, oder ob diese 
von anderen Ursachen abhängt, ist der Zweck der Arbeit Der Verf. hat einen Fall 
von Osteo-arthropathia hypertrophica bei einem Bauer beobachtet, der an hochgradiger 
Bronchitis und Bronchiectasie mit Cavernenbildung der einen und Emphysem der 
anderen Lunge litt. Hände und Ffisse waren enorm vergrössert, ebenso Vorderarme, 
Unterschenkel, Schulter* und Kniegelenk; letztere auch schmerzhaft bei activen und 
passiven Bewegungen und crepitirend; Atrophie der Vorderarm* und Unterschenkel* 
muskeln, Oedeme der Hände und Fasse. Die Erkrankung der Gelenke hatte viele 
Jahre vor dem Lungenleiden begonnen. Der Fall endete letal. Ausser den Ver* 
änderungen an Lungen und Extremitäten fand sich nur noch eine Neuritis des 
Nervus ulnaris, radialis, medianus und des Tibialis und Peroneus. 

Verf. hat 67 Fälle aus der Litteratur zusammengestellt. Von diesen bestanden 
in 17 keine Lungenvoränderungen und in 10 gingen die Erkrankungen der Extre* 
mitäten dem Lungenleiden voran. In 13 Fällen war von Seiten der Extremitäten 
nur Trommelschlägerfinger constatirt. Nach Abzug dieser Beobachtungen bleiben 
also 27 abrig, in denen das Leiden voll entwickelt und das Lungenleiden das 
Primäre war. 

Von diesen handelt es sich 

12 Mal um eitrige Pleuritis, 

5 „ „ Lungentuberculose, 

5 „ Bronchit. chron. und Bronchiectasie, 

1 „ acute Pneumonie, 

1 .. .. chronische, nicht eitrige Pleuritis, 

1 „ „ Lungengangrän, 

1 ,. „ Lungensarcom, 

1 „ Lungencarcinom. 

Am häufigsten ist also eitrige Pleuritis mit Osteo*arthropathia hypertrophica 
vergesellschaftet gefunden. Verf. glaubt aber nicht, dass zwischen beiden directe 
Beziehungen bestehen', weil die Pleuritis eine so ausserordentlich häufige Erkrankung 
ist und die Osteo-arthropathie so selten beobachtet wird. Wenn ferner die Resorption 
der bei der Eiterung erzeugten toxischen Stoffe das Knochengelenkleiden hervorruft, 
wie dies von Marie angenommen, so ist nicht einzusehen, weshalb dies nur bei 
Eiterungen der Pleura der Fall sein soll und warum andere Eiterherde nicht das¬ 
selbe vermögen. Auch gegen den ursächlichen Zusammenhang anderer Longen* 
erkrankungen mit dem in Frage stehenden Leiden macht Verf. dieselben Bedenken 
geltend. 

Auch die Frage, ob die Osteo-arthropathia pneumica eine Folge des durch das 
Lungenleiden geschädigten peripheren Blutkreislaufs sei, verneint Verf. Man könue 
der Knochengelenks* und der Lungenerkrankung höchstens insofern einen ätiologischen 
Connex zugestehen, dass man annimmt, beide seien verschiedene Localisationen des¬ 
selben Krankheitsprocesses, z. B. Ansiedelungsstellen derselben Bakterien. 

Viele und verschiedenartige Ursachen sind es, die dem Verf. zu Folge das 
Leiden veranlassen können, und er schlägt deshalb vor, den Namen in Osteo-arthro¬ 
pathia hypertrophica secundaria umzuändern. (Der Zusatz secundaria ist, da nach 
des Verf.’s eigenen Angaben die Erkrankung der Extremitäten oft das Primäre ist, 
nicht zutreffend. Ref.) Solche ätiologische Momente sind zunächst vorausgegangener 
Gelenkrheumatismus. — Auch die anatomischen Veränderungen unterscheiden sich 
nicht von den bei chronischem Gelenkrheumatismus gefundenen. — Ferner ein ner¬ 
vöser Einfluss, wie ein solcher durch Störungen der Sensibilität in einzelnen Fällen 
und durch die periphere Neuritis in dem des Verf.’s sich ausspricht, weiter Syphilis 
und vielleicht noch andere infectiöse oder dyskrasische Erkrankungen. 

Valentin. 


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18) Degeneration of the nerves in alooholism, by H. H. Tootb. (Transactions 

of the Pathological Society of London. 1894.) 

34jähr. Patientin, deren Eltern beide Alkoholisten waren, Potatrix, sonst fr&her 
gesund, klagt seit 14 Tagen über Prikeln und Brennen in den Beinen, sowie Schwäche 
in denselben. Die Untersuchung ergiebt Anämie, Leber* und Milzvergrösserung, 
Tremor lingnae et man'uum, Parese und Ataxie der Hände; Beine mager, Muskulatur 
schlaff, Druckempfindlichkeit, Fehlen der Pateliarreflexe, faradische Erregbarkeit er* 
loschen, Störungen der Ber&hrungsempfindlichkeit. Im weiteren Verlaufe nehmen die 
letzteren zn, die Parese wird stärker an allen Extremitäten. Plötzlicher Tod an 
Herzlähmung. 

Die Untersuchung des Bückenmarks ergab normale Verhältnisse. Dagegen 
fanden sich hochgradige Degenerationen der peripherischen Nerven, wenngleich überall 
noch normale Fasern zu finden waren. Die gefundenen Veränderungen entsprechen 
den bisherigen Beobachtungen; Verf. betont noch, dass vordere und hintere Wurzeln 
intact waren. Entzündliche Erscheinungen fehlen im ganzen, der Process hatte 
mehr das Ansehen einfacher Degeneration. Bei der Untersuchung kamen folgende 
Methoden zur Anwendung: Weigert-Pal, Marchi, Alauncarmin und Ehrlich’s 
Hämatoxylin. Martin Bloch (Berlin). 


19) Alooolisme, hemiplegie g&uohe et epilepsie consecutive, sclerose 
atrophique, paohymeningite et menlngo-encephalite, par Bourneville 
et Rellay. (Bull, de la Soc. anat. de Paris. 1897. Nr. 8.) 

In diesem interessanten Fall handelt es sich um ein lljähr., erblich belastetes 
Kind, welches im 4. Lebensjahr dem chronischen Alkoholismus verfiel: es trank näm¬ 
lich im Wirthshans seines Grossvaters stets die in den Gläsern zurückgebliebenen 
Reste aus. In demselben Jahr stellten sich Convulsionen ein, welche 17 Tage 
dauerten, auf der linken Körperhälfte stärker waren und eine linksseitige Hemiplegie 
und einen Intelligenzdefect zurückliessen. Die Verff. betrachten diese Convulsionen 
als das Aequivalent eines Delirium tremens. Weiterhin traten noch öfter epileptische 
Anfälle ein, der Intelligenzdefect nahm zu. Die Section ergab: Hirngewicht 1010g 
(rechte Hemisphäre 810 g, linke 572 g), Seitenventrikel auch rechts nicht erweitert, 
rechts allgemeine Atrophie, namentlich der Binde der Centralwindungen, Insel frei¬ 
liegend, beiderseits sclerotische Herde und diffuse Meningoencephalitis (links aus¬ 
gebreiteter, rechts tiefer dringend), Dura mit dem Schädel allenthalben verwachsen, 
aber ohne Auflagerungen, Pia beiderseits stark verdickt. Th. Ziehen. 


Psychiatrie. 

20) Ueber alkoholische Paralyse und infeotiöse Neuritis multiplex, von 
Tiling. (Sammlung zwangloser Abhandlungen aus dem Gebiete der Nerven- 
nnd Geisteskrankheiten, herausgegeben von Alt. Bd. II. 1897.) 

Was man früher als alkoholische Paralyse beschrieb, deckt sich fast völlig mit 
der alkoholischen and infectiösen Neuritis. Parcakow aber war es erst, der die 
nöthige Psychose bei derselben nachwies und zeigte, dass sie durch Alkohol, oder 
durch metallische Gifte, endlich durch Autointoxication entsteht. Verf. fand dann, 
dass die Neuritis and Amnesie die Krankheit aasmache und meist Pota- 
torinm die Ursache darstelle. Ob metallische Gifte es wirklich erzeugen können, 
steht noch dahin; auch die Identität der puerperalen, typhösen, gangränösen u. s. w. 

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Neuritiden mit jenem Symptomencomplex erscheint noch nicht ganz sicher. Schon 
bei den gewöhnlichen Potatoren sehen wir angedeutet die Symptome des Leidens, 
besonders aber die Gedächtnissstörung bis znr Amnesie hinauf. Die Lähmung tritt 
ziemlich plötzlich ein. Dann schildert Verf. eingehend einen solchen Fall. Es zeigen 
sich sensible und motorische Störungen, Schmerzen in den Waden, aber auch Schultern 
u. s. w., mit Parästhesieen, Druckpunkte der peripheren Nerven sind schmerzhaft, 
aber auch die Muskeln selbst; besonders die Extensoren der Beine werden paretisch 
atrophisch, dann auch die Arme. Es zeigen sich schwankende Anästhesieen, event. 
Verlangsamung der Scbmerzempfindung u. s. w. Herabsetzung der elektrischen Er¬ 
regbarkeit, sogar Entartungsreaction, mit. Schwankungen. Puls ist constant be¬ 
schleunigt. Früher aber noch tritt die Gedächtnissstörung ein, mit secundärem Er¬ 
greifen der Intelligenz. Um diese auszugleichen, geschehen Erinnerungsfalschungen 
und phantastische Ausschmückungen; zeitweise treten grössere Unruhe, Beängstigung 
mit Illusionen, auch Hallocinationen auf. Während alles Somatische allmählich ver¬ 
schwinden kann, scheint bei alkoholischer Neuritis die Gedächtnissstörung nur relativ 
reparabel zu sein. Die unterscheidenden Punkte von Dem. paralyt. werden dann 
aufgezählt. Elektricität nützt wenig. Völlige Abstinenz nöthig. 

(Bef. möchte bemerken, dass man unter Alkoholparalyse aber auch Bilder bei 
Potatoren beschreibt, die der Dem. paralyt. oft sehr gleichen, bei denen keine oder 
nur sehr geringe neuritische oder muskuläre Symptome da sind.) 

Näcke (Hubertusburg). 


21) Sur l’absenoe d’altdration des oellules nerveuses de la moelle epiniäre 
dans un eas de paralysie alooolique en voie d’amelioration, par Deje- 
rine. (Comptes rendus des sdances de la socidte de biologie. 1897. Mai.) 


44jährige, dem Abusus spirituosorum sehr ergebene Patientin erkrankte im 
41. Lebensjahre an schwerer multipler Neuritis alcoholica aller Extremitäten; hoch¬ 
gradige Atrophieen und Gontracturen mit allgemeiner Hyperästhesie. Im Laufe der 
nächsten 3 Jahre langsame Besserung, so dass die oberen Extremitäten wieder zur 
Norm zurückkehren; an den unteren nach wie vor complette Lähmung. Im folgenden 
Jahre Tod an Lebercirrhose. 

Bei der mikroskopischen Untersuchung werden hochgradige Veränderungen der 
Haut- und Muskelnerven gefunden. Die Untersuchung des Bückenmarks geschah zum 
Theil nach Nissl, zum Theil nach Marchi und Weigert-PaL Mit keiner Me¬ 
thode waren Veränderungen nachzuweisen, Zellen, vordere und hintere Wurzeln, sowie 
die übrigen Theile der Medulla waren intact. 

Der Fall beweist, dass trotz sehr schwerer Veränderungen des peripherischen 
Nervensystems die Vorderhorazellen nicht verändert zu sein brauchen; die Verff. be¬ 
nutzen ihn, um ihre Ansichten über die Bedeutung der Chromatolyse, die ihrer 
Ueberzeugung nach vorläufig nur histologisches, aber noch kein pathologisches bezw. 
physio-pathologisches Interesse beanspruchen dürfe, auseinander zu setzen. 

Martin Bloch (Berlin). 


22) Drankzuoht en hare genezing, door Dr. Buy sch. (Feestb. d. Nederl. Vereen. 
voor Psychiatrie. 1896. blz. 251.) 


Verf. geht von dem Grundsätze aus, dass die Trunksucht in genauer Beziehung 
zur Geistesstörung steht, weil sie oft eine psychische Krankheit zur Grundlage hat 
oder oft eine Vorstufe der Geistesstörung ist; durch zeitige, zweckmässige Behandlung 
von Trunksüchtigen kann in vielen Fällen der Ausbruch von Geistesstörung verhütet 
werden. In Irrenanstalten sind aber Trunksüchtige nicht am rechten Platze, für die 
in Irrenanstalten Verpflegten ist die Anwesenheit nicht von Vortheil, sondern sie 


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kann vielmehr schädlich wirken. Verf. berichtet Ober Methoden und Anstalten zur 
Behandlung der Trunksüchtigen und beschreibt das niederländische Sanatorium Hoog¬ 
hullen an der Strasse von Groningen nach Assen, das in einem 1890 angekauften 
Landgate errichtet ist Es ist in hygienischer und administrativer Hinsicht vor¬ 
trefflich eingerichtet und kann 22 Verpfegte aufnehmen. Das Offenthürsystem wird 
vollständig durchgeführt und Niemand wird gegen seinen Willen gehalten, wer sich 
dar Hausordnung nicht fügen will, kann Weggehen und, wenn er dies nicht freiwillig 
thnt, wird seine Familie genöthigt, dafür zu sorgen. Ueber die Aufnahme entscheidet 
in der Regel der ärztliche Director, der auch die Behandlung, soweit möglich, 
persönlich leitet, bei der die verschiedenen Hülfsmittel vertreten sind, auch Gym¬ 
nastik und Sport, sowie verschiedene Arbeit nicht fehlt Enthaltung von Alcoholicis 
wird von Anfang an durchgeführt, dabei wirken psychische Ruhe, kräftige Nahrung 
and Bewegung in freier Loft sowie der Umgang mit den Angestellten. Veraltete 
Fälle, in denen es zu ernstlicher Degeneration gekommen ist, schwer psychopathische 
and dipsomanische Patienten, sowie auch Trunksüchtige, bei denen sich deutliche 
Erscheinungen von Geistesstörung oder Epilepsie finden, werden nicht aufgenommen 
and, wenn sich eine derartige Complication erst nach der Aufnahme zeigt, entlassen. 

Die in Hooghullen erlangten Resultate sind im Allgemeinen günstig, besonders, 
wenn der Aufenthalt der Patienten 1 / 2 Jahr oder darüber dauert. In den Jahren 
1891 —1894 sind 69 Patienten anfgenommen worden (bis zur Zeit der Bericht¬ 
erstattung 120). Nach Abzug von 19, die die Anstalt bald wieder verliessen, ehe 
ne geheilt waren, oder entlassen werden mussten, oder starben, bleiben 50 übrig, 
von denen 21 total abstinent blieben, 10 gebessert waren, 14 rückfällig wurden, 
wahrend von 5 fernere Berichte fehlen; von den im Jahre 1895 Behandelten wurden 
50 °/ 0 geheilt, 17°/ 0 gebessert. Dass die Resultate nicht günstiger waren, liegt vor 
Allem daran, dass viele Patienten zu kurze Zeit bleiben. Ein fernerer Grund zur 
Rttckfälligkeit ist der Mangel an Leitung und Hülfe, wenn die Entlassenen in die 
alten Verhältnisse zurückkehren, noch ein dritter Grund liegt darin, dass von Zeit 
za Zeit doch noch Patienten aufgenommen werden, die in die Anstalt nicht passen. 

Walter Berger (Leipzig). 


23) Un cas d’ivreese pathologique, par Repond. (Revue mödicale de la Suisse 

romande. 1896. Nr. 2.) 

22jähr., erblich unerheblich belasteter Pat., nicht epileptisch, der kein eigent¬ 
licher Trinker ist, nur hin und wieder in baccho exidirt, zeigt keine Intoleranz 
gegen Alcoholica, ist aber nach reichlichem Alkoholgenuss streitsüchtig und äussert 
Selbstmordgedanken. Eines Nachts, 3 Stunden nachdem Pat. das Wirthshaus verlassen 
hat, wo er etwa 2 Liter Wein und etwas Schnaps getrunken hatte, steht er auf, 
ergreift eine Büchse, schlägt mit dem Kolben auf den Fussboden, schreit zum ge¬ 
öffneten Fenster hinaus „Feuer, Feuer“ und stürzt, nur bekleidet mit Hemd und 
Unterbeinkleidern, auf die Strasse und schiesst auf verschiedene Häuser. Verfolgt, 
ergreift er die Flucht und wird schliesslich 7 Stunden nach Beginn der Attacke 
Morgens 9 Uhr in der Nachbarschaft seines Wohnortes entwaffnet und gefangen. 
Von der Polizei nach der Irrenanstalt gebracht, verfällt er in tiefen Schlaf, aas dem 
er geordnet, aber mit völliger Amnesie für alles, was nach dem Verlassen des Wirths- 
hanses vorgegangen war, erwacht. Bemerkenswerth ist, dass seine Zechgenossen an 
ihm nichts von Rausch hatten wahrnehmen können, sein Gang fest und sicher ge¬ 
wesen war und auch in dem maniakalischen Zustand blieb. Der psychische Zustand 
blieb auch die nächsten Tage normal. Martin Bloch (Berlin). 


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24) Patronage des aliönös et alooolisme, par Dr. de Boeck. (Bevue de 

l’universitö de Bruxelles. 2 e Anode: 1896/97. Nr. 4.) 

Verf. beschäftigt sich mit der Frage der Fürsorge der entlassenen und nicht 
in Anstalten untergebrachten Geisteskranken, sowie der Alkoholiker; er bespricht die 
für diese getroffenen Vorrichtungen in den verschiedenen Staaten, und kommt zu 
folgenden Schlüssen. Mit demselben Anspruch wie die entlassenen Strafgefangenen, 
bedürfen die Geisteskranken der Errichtung eines Schutzes (patronage). Die Er* 
füllung des letzteren fällt in erster Linie localen Comitds zu. Diese können jedoch 
erst in wirksame Thätigkeit treten, wenn ihnen gesetzlich das Becht verliehen wird, 
nicht nur nachzuforschen, ob sich die Geisteskranken in hygienisch ausreichenden 
Lebens* und Ernährungsbedingungen befinden, sondern auch, dass sie berechtigt sind, 
ihr Hab und Gut zu verwalten und ihre gesetzlichen Vormünder zu werden. Das 
Ueberwachungscomitö hat sich auch mit der Familie, dem Erwerbszweig und dem 
Schutz des geistig Erkrankten bei seinem Eintritt in eine Irrenanstalt zu beschäftigen. 

Ein zweiter Punkt ist der Schutz der psychisch erkrankten Trinker. Diese 
finden in den Irrenanstalten nicht die für sie passenden Bedingungen zur Heilung; 
sie müssen rechtzeitig in Specialanstalten untergebracht und dort so lange zurück- 
gehalten werden, bis sie gesund sind. Die erschreckende Zunahme des Alkoholismus 
in Belgien rechtfertigt diese Maassregeln. 

Der Alkoholiker ist ein social gefährliches Individuum. Man würde den Begriff 
der Freiheit profaniren, wollte man ihm die Möglichkeit lassen, degenerirte und 
schwächliche Kinder, aus denen Verbrecher und Epileptiker hervorgehen, in die Welt 
zu setzen, die für sie eine Last sind, wollte man ihnen gestatten, den Ihrigen 
ein verderbliches Beispiel zu geben und ihre Umgebung zu entehren. (Praktisch 
dürfte diese Lösung der Alkoholiker-Frage wohl noch auf erhebliche Schwierigkeiten 
stossen. Bef.) Samuel (Stettin). 


25) Du 8omnambuli8me alooolique considere surtout au point de vue 
mödico-legal, par Prof. Xavier Francotte (Liege). (Journal de Neurologie 
et d’Hypnologie. Bruxelles. 20. Jan. 1897.) 

Das mit dem Namen Somnambulismus bezeichnete Phänomen der geordneten 
Handlungen bei Verlust des Bewusstseins und nachfolgendem Erinnerungsdefect kommt 
ausser bei Hysterie, Epilepsie und der Hypnose, auch bei Alkoholwirkung vor. Diese 
Thatsache ist besonders in foro von Wichtigkeit. Bewusstseinsstörungen im Verlauf 
des acuten und chronischen Alkoholismus sind nicht selten, weniger bekannt ist, dass 
auch ein Somnambulismus sich auf gleicher Basis entwickeln kann. Verf. theilt 
folgenden Fall mit. Ein 32jähriger Mann wird wegen Unfug auf einem öffentlichen 
Platze festgenommen. Er ist nicht zum Sprechen zu bewegen, antwortet nicht, 
erscheint vollständig geistesabwesend, er macht den Eindruck eines Idioten. Dabei 
kein Zeichen von Trunkenheit. Am nächsten Morgen bei der ärztlichen Visite ist 
er klar, giebt an, vor ca. 48 Stunden an einem weit entfernten Platze, wo er 
aufgegriffen war, viel Alkohol zu sich genommen zu haben; für die folgenden Vor¬ 
gänge von 48 Stunden Dauer fehlt ihm das Gedächtniss vollständig. Er giebt 
Excesse in alcoholicis zu, hat Zittern der Hände und der Zunge, bietet Degenerations¬ 
zeichen, eine Schwester starb geisteskrank. 

Das Bild, welches Pat. bot, war nicht eigentlich ein somnambulisches, sondern 
glich mehr dem Stupor. Von Beobachtungen ersterer Art citirt Verf. mehrere und 
kommt zu folgenden Schlüssen. 

1. Es giebt einen alkoholischen Somnambulismus, das heisst einen durch Alkohol 
hervorgerufenen Zustand, in welchem die Person dem Anschein nach sich normal 
bewegt, aber ohne Bewusstsein davon zu haben, oder wenigstens, ohne sich dessen 
zu erinnern. 


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2. In Wirklichkeit zeigen während dieses somnambolischen Zustandes das Be* 
nehmen, die Art sich zu geben, gewisse Abweichungen, letztere entgehen leicht bei 
einer oberflächlichen Untersuchung. 

3. Dieser Zustand scheint sich nur bei Degenerirten vorzufinden, oder wenigstens 
bei Individuen mit hereditär psychopathischen Antecedentien. 

4. Die im alkoholischen Somnambulismus begangenen Thaten bedingen Unver* 
antwortlichkeit, falls es sich nicht um eine beabsichtigte Trunkenheit handelt. 

Samuel (Stettin). 


26) Zur Katatoniefrage, von Schüle. (Allgem. Zeitschrift f. Fsych. Bd. LIV. 

S. 516.) 

Verf. untersucht zuerst, welche Symptome der begleitenden Motilitätspsychose 
eine pathogenetische Function für gewisse psychische Krankheitszustände besitzen: 

1. Der als „Attonität“ bezeichnete Starrezustand in der Muskulatur. 

2. Die leichteren Attonitätsgrade aus halb neurotischer, halb dunkel 
psychischer Innervation (Verdrehungen des Körpers, Posen u. s. w.) mit oft krampf¬ 
artiger Lösung der Bewegungsstereotypen, beeinflussbar durch Suggestion. 

3. Zwangsgeberden, Zwangshandlungen, automatische Acte, psychisch höher 
bemerkt als die vorige Gruppe. 

4. Gemischt tonisch-clonische Bewegungskrämpfe, wandernd und 
springend, denen Verf. einen eigenartig gemischt psychisch-neurotischen Formcharakter 
zuschreibt. 

5. Wechsel zwischen Starre und Erschlaffung in demselben moto* 
rischen Acte. 

6. Die gewollt scheinenden und paradoxen Zwangsbewegungen; hierhin gehören 
die stundenlang fortgesetzten Bewegungsstereotypen und die Maniren in den Bewe¬ 
gungen, beim Essen und dergleichen. Auch diese sind psychomotorische Krämpfe, 
aber von hoher geistiger Bewerthung. 

Einen grossen Theil dieser motorischen Symptome erklärt Verf. als Beflexe aus 
Sensibilitätsstörungen und als Wirkung von Hallucinationen auf im Beizzustand be¬ 
findliche motorische Centren; ein anderer Theil ist direct als eine genuine motorische 
(neurotische) Affection zu betrachten. 

Alle motorischen katatonischen Bewegungen stehen in thatsächlichem klinischem 
Zusammenhänge, gehen in einander über und wechseln unter sich ab. 

Der Bewusstseinszustand zeigt alle Grade von traumartigem Dämmern bis zu 
vorübergehender Klarheit. Der Uebergang von einem Zustand in den andern erfolgt 
meist ruckweise. Die Erinnerung ist oft nur eine summarische. Auf somatischem 
Gebiete findet man circulatorische, speciell vasomotorische Störungen, profuse Speichel¬ 
absonderung, starke Schweisssecretion, Cessation der Menstruation. 

Für Verf. steht fest, dass die katatonen Symptome ihrer äusseren Artung, wie 
ihrer Genese nach der Vereinigung zu einem stets das Gleiche bedeutenden Begriff 
widerstreben. Auch die klinische Erfahrung zeigt ihm, dass diese Erscheinungen 
die Vereinigung in einem eindeutigen Zustandsbilde nicht gestatten. 

Er vertritt den Standpunkt, dass katatonische Zustandsbilder Vorkommen: 

1. als Episode bei acuten und subacuten Paranoiafällen, so dass man von „kata¬ 
tonen Phasen“ sprechen kann; 

2. bei gewissen chronischen Paranoiaformen, namentlich bei den auf sogenannter 
spinaler (spinal-sensibler) Grundlage stehenden Formen, auch hier als Episode; 

3. bei Stuporzuständen; 

4. bei gewissen Manieen auf tieferer organischer Grundlage und Formstufe, 
namentlich bei periodischen Manieen, mit Vorliebe bei juvenilen Periodikern; 

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5. beim drcnlären Stupor; 

6. gelegentlich bei echten Melaneholieen auf invalider, neurastbenischer Grundlage. 

Bei diesen Erkrankungsformen bilden die katatonischen Erscheinungen nur eine 

Phase, eine Abart; daneben aber giebt es Krankheitsbilder, in denen die katatonischen 
Symptome das Bild beherrschen. In der schwereren Form dieser Erkrankungen 
erkennt Verf. im Grunde nur eine primäre (sehr oft hebephrene) Demenz oder 
eine durch katatone Erscheinungen modificirte periodisch-circuläre 
Degenerationspsychose, in der leichteren dagegen ein hysterisches Irresein. 

Es würde den Rahmen eines Referats weit überschreiten, wenn Ref. versuchen 
wollte, die Einwände alle aufzuzählen, die sich der Schüle’schen „Auflösung des 
Katatoniebegriffes" entgegenstellen lassen. Nur das sei erwähnt, dass es ihm ganz 
unmöglich erscheint, die in Einzelheiten der Schilderung vorzügliche Zerlegung der 
katatonischen Symptome praktisch durcbzuführen, und dass ihm nicht verständlich 
geworden ist, wie der Verf. die Anhaltspunkte für die mehr oder weniger hohe 
„psychische Bewerthung" der Erscheinungen gefunden hat 

Ascbaffenburg (Heidelberg). 


27) Ossessioni sessuali oon impulsioni al soioidio per impicoamento (ao- 
cessi di Autosadismo), per A. Tamburini. (Riv. sperimeni di Freniatr. 
XXIII.) — Aasasinio per voluttA (allucinazioni sessuali ossessive), per 
G.Guicciardi. (Ebenda.) — Autosadismo e Automasoohismo, per A.Tarn* 
burini. (Ebenda.) 

Als Autosadismus bezeichnet T. eine Verbindung von Zwangsideeen geschlecht¬ 
licher und selbstmörderischer Natur, die er bei einem 50jäbr. Manne mit leichten 
Degenerationszeichen und Atheromatose beobachtete. Diesem war eines Tags von 
einem Suicidium durch Erhängen erzählt worden. In der Nacht darauf erwachte er 
mit der Zwangsidee, sich zu erdrosseln und zugleich mit starken Erectionen des 
Penis. Zugleich bestand starker Blutandrang zum Kopfe und Verwirrtheit Nach 
Befriedigung der geschlechtlichen Erregung an seiner Frau verschwanden auch die 
Selbstmordgedanken. Die Anfälle wiederholten sich alle 3—4 Tage. Sie verliefen 
alle in der gleichen Weise: zuerst rechtsseitige Schmerzen im Ausbreitungsgebiet des 
N. supraorbitalis, Hitze im Kopfe, Röthung des Gesichts, Klopfen in den Schläfen, 
einige Male auch Schwindel und Tremor; dann zunächst Eintreten der geschlecht¬ 
lichen Erregung, darauf des Dranges, sich die Kehle zuzuschnüren. Unter dem Ge¬ 
brauch von Bromkali hörten die Anfälle auf. 

Dass das Leiden epileptoider Natur war, glaubt Verf. nicht Auch um eine 
blosse Ideeenassociation habe es sich nicht gehandelt, da der Kranke nicht wusste, 
dass der Tod durch Erhängen manchmal von Erectionen begleitet ist Vielmehr 
glaubt Verf., dass bei dem ersten Anfall die Vorstellung des Zusammenschnfirens der 
Gurgel eine Irritation des Rückenmarks bei dem Pat. hervorgerufen habe, die sich 
auch auf das Erectionscentrum ausbreitete. Später trat das Umgekehrte ein, zuerst 
die geschlechtliche Erregung und alsdann die impulsive Idee der Strangulation. Die 
Irritation verbreitet sich also vom Erectionscentrum im Rückenmark zu den höheren 
Theilen und brachte dann im Gehirn die Zwangsidee der Selbstbescbädigung hervor. 

Es handelt sich hier mithin um eine Combination von geschlechtlichen und 
selbstmörderischen Zwangsideen. Es ist dies eine neue Form von Sadismus, ein 
Autosadismus. Der Drang, mit der Befriedigung des Geschlechtstriebes zu töten oder 
zu verletzen, richtet sich nicht gegen andere, sondern gegen die eigene Person. 

G. berichtet von einem Degenerirten, bei dem der Geschlechtstrieb sehr früh¬ 
zeitig sich regte und allmählich nacheinander alle Formen der Perversion annahm: 
Onanie, die er so ausfübrte, dass er gleichzeitig dabei sich einen körperlichen 
Schmerz zufügt, Coitus mit brutalen und gewaltthätigen Handlungen, später benöthigte 

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er der Ausführung von Grausamkeiten, um die Wolllust anzustacheln, Anwachsen 
der erotischen Bilder, so dass sie die Träume beherrschten und im Wachen zu 
Hallucinationen führten, Homosexualität und schliesslich Lustmord. Dieser bestand 
darin, dass er im Winter auf der Landstrasse einen Mann, mit dem er zusammen 
«änderte, und mit welchem er vorher in Streit gerathen war, anfiel und zu Boden 
schlug. Er brachte ihm sodann eine tödtliche Verletzung am Halse bei, welche die 
Carotis durchschritt, kam aber nicht dazu, wie es seine Absicht war, in der Wunde 
seine Wolllust zu befriedigen, weil schon der Anblick des Blutes die fijaculation 
hervorrief. 

T., der an beide Fälle noch einige Bemerkungen anknüpft, führt aus, dass es 
sich in beiden um Autoeadismus gehandelt hat, der im zweiten Falle aber nur das 
Vorläuferstadium zum eigentlichen Sadismus bildet. Es lag kein Automasochismus 
vor, weil der Kranke beim Ausführen der betreffenden Handlung sich vorstellte, dass 
er die Misshandlung am anderen Geschlecht ansführte, nicht, dass er selbst von 
diesem misshandelt würde. 

Verf. glaubt, dass bei jedem Sadisten und Masochisten ein solches Vorstadium 
des Autosadismus und Automasochismus vorhergehe, zu der Zeit, wo in dem Be* 
treffenden zwar der krankhafte Trieb schon entwickelt ist, er aber noch nicht die 
Gelegenheit oder die Möglichkeit des Verkehrs mit dem anderen Geschlecht hat, 
ebenso wie dis Masturbation oft das Vorläuferstadium des Coitus bilde. 

Valentin. 


Therapie. 

28) La thdrapeutique de ralooolisme par 1 Internement prolongö des 
buveurs, par Dr. Marandon de MontyeL (Revue de Mödecine. Janvier 
1897. S. 23.) 

Lesenswerthe Abhandlung über den Schutz der Gesellschaft gegen die Ge* 
wohnheitstrinker und über die Behandlung der letzteren in eigenen Anstalten. Verf. 
plaidirt für ein staatliches Trinker-Gesetz, welches auch die zwangweise Unter¬ 
bringung der notorischen Trinker in die Anstalt ermöglicht Unter den delirirenden 
Trinkern sind diejenigen, deren Delirium mehr auf einer abnormen Gehimorganisation 
beruht und durch einen vielleicht an sich geringen Alkohol-Excess hervorgerufen 
wird, von den delirirenden Gewohnheitstrinkern zu unterscheiden. Erstere sind nach 
Ablauf des Deliriums unter strengen Ermahnungen aus der Anstalt zu entlassen, 
während die Gewohnheitstrinker möglichst frühzeitig und möglichst lange zu inter* 
niren sind. Von den nicht delirirenden Trinkern sind vor Allem die Verbrecher, 
die Delinquenten und die öffentlich trunksüchtigen Scandalmacher in die Anstalt zu 
verbringen. Auch der Trinker, welcher nur in seiner Familie Unheil stiftet, kann 
nach ärztlicher und juristischer Constatirung seines Alkoholismus zwangsweise in die 
Anstalt gebracht werden, welche ausserdem selbstverständlich dem sich freiwillig 
Meldenden offen steht Letzterer muss sich verpflichten die nöthige Zeit in der 
Anstalt zu bleiben und kann dann hierzu gezwungen werden. 

Strümpell (Erlangen). 


28) Die chirurgische Thfttigkeit des Irrenarztes in der Anstalt, von Näcke. 
(Irrenfreund. 1897. Nr. 3 u. 4.) 

Verf. bespricht eingehend an der Hand einer sehr grossen Erfahrung dies wich* 
tige Capitol der praktischen Psychiatrie, wobei er fortwährend noch allerhand Neben- 
bemerkungen, die das Ganze beleben, macht Er erwähnt, dass grosse Operationen 


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in der Irrenanstalt sehr selten sind, dass aber offenbar die Menge der äusseren Leiden 
bei Irren ausser Zufall gewiss sehr Sache der Basse, des Orts, der früheren Be¬ 
schäftigung u. s. w. sei, dass es viel zu weit gegangen sei, jede geisteskranke Frau 
gynäkologisch zu untersuchen u. s. w. Seine Schlusssätze sind folgende: Vom Psy¬ 
chiater, wie von jedem praktischen Arzte, kann man vernünftigerweise nur die Aus¬ 
übung der sog. „kleinen“ Chirurgie verlangen. Für grössere Operationen, wenn sie 
nicht, wie die Tracheo- oder Herniotomie, aus vitalen Gründen sofort zu geschehen 
haben, soll man einen Specialisten herbeirufen oder bei grossen Anstalten eventuell 
einen Psychiater chirurgisch, in einer grossen Weiberanstalt speciell einen gynäko¬ 
logisch ausbilden lassen. Erwünscht ist es ferner, wenn der Psychiater etwas Privat¬ 
praxis treibt, um immer Neues zu sehen und zu lernen, nicht aber am wenigsten, 
um in die Volksseele immer tiefer einzudringen, was ihm nachher bei seinen Irren 
grossen Vortheil verschafft. (Autorreferat.) 


30) Sur la valeur diagnostique de la ponotion lombaire, par G. Denigös 

et J. Sabrazäs (Bordeaux). (Bevue de Mddecine. 1896. Octobre. S. 833.) 

Die Verfif. konnten bei 7 Fällen von acuter tuberculöser Meningitis 6 Mal 
durch Lumbalpunction Flüssigkeit erhalten, welche 3 Mal reichliche Tuberkelbacillen 
enthielt. Bei chronischer Tuberculose des Gehirns und der Meningen war die 
Punction negativ. — In einem Falle von Lyssa wurden durch Lumbalpunction 
32 ccm Flüssigkeit entleert. Zwei Hunde, damit subdural geimpft, erkrankten beide 
an ausgesprochener Babies. Die chemische Untersuchung des Liquor cerebrospinalis 
ergab bei der tuberculöseu Meningitis im Liter 2,33 g* organische Substanz (Serum¬ 
albumin, Peptone, Harnstoff). Beducirende Substanzen wurden ganz vermisst oder 
nur Spuren gefunden. Die bei der Lyssa entleerte Flüssigkeit enthielt weniger 
organische Substanz im Ganzen, aber deutliche Mengen von reducirender Substanz. 
Verff. glauben, dass den verschiedenen Infectionen eine verschiedenartige Zusammen¬ 
setzung der Cerebrospinalflüssigkeit entspricht. Strümpell (Erlangen). 


HI. Aus den Gesellschaften. 

Berliner Gesellschaft für Psychiatrie und Nervenkrankheiten. 

Sitzung vom 10. Januar 1898. 

Eassirer stellt einen 8 Jahre alten Knaben vor, der aus gesunder Familie 
stammt. Im Alter von iy 2 Jahren soll Pat. eines Nachts mit einer Lähmung des 
linken Beins erwacht sein; er wurde darauf orthopädisch behandelt und lernte wieder 
gehen. Der Gang hat sich aber in der letzten Zeit wieder verschlechtert; er kann 
sich aus der liegenden Lage nicht erheben und sich nicht aufsetzen. Pat. zeigt 
gegenwärtig folgenden Befund: Das linke Bein ist stark auswärts rotirt und im 
Kniegelenk gebeugt; es besteht eine deutliche Atrophie des linken Ober- und Unter¬ 
schenkels; das Bein ist auch für gewöhnlich etwas cyanotisch und fühlt sich kühler 
an als das rechte; die Atrophie erstreckt sich auch auf die Knochen; der linke 
Unterschenkel ist deutlich verkürzt. Die Dorsalflection des Fusses gelingt unvoll¬ 
kommen; nur der äussere Fussrand wird etwas gehoben; die Plantarflection des 
Fusses wird gut ausgeführt. Wenn Pat. den linken Oberschenkel erhebt, so fällt 
der Unterschenkel schlaff herunter. Der Lähmung entsprechend ist auch links das 
Kniephänomen nicht auszulösen. Die Sensibilität des Beins ist ohne Störung; die 

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elektrische Untersuchung ergab in einzelnen Muskeln eine Verlangsamung der Zuckung; 
die Muskeln reagiren aber sowohl auf den faradischen, wie galvanischen Strom. 
Die Erscheinungen am linken Beine sprechen für eine acute Poliomyelitis anterior. 

Bei dem Pat. besteht ferner eine sehr starke Lordose der Lendenwirbel; die 
Glutaealgegend springt stark heraus, theils durch Verschiebung des Beckens, theils 
aber auch durch eine Pseudohypertrophie der Muskeln. Der Gang des Pat. zeigt 
eine Combination von Hinken und Watscheln. Aus der liegenden Lage kommt Pat. 
in die sitzende, indem er sich zuerst auf den Bauch wälzt und sich dann mit den 
Armen langsam aufrichtet. Der rechte Oberschenkel bietet in der Bewegung keine 
Störungen dar, aber auch der rechte Unterschenkel kann nicht gestreckt werden, der 
rechte M. quadriceps functionirt garnicht. Die Schulterblätter stehen von der 
Wirbelsäule ab, es besteht das Phänomen der „losen Schultern“. Das Erheben der 
Arme bis zur Horizontalen ist sehr schwach; die Unterarme erscheinen etwas hyper¬ 
trophisch. An den Händen besteht keine Atrophie, der Händedruck ist ziemlich 
normal. Diese eben geschilderten Erscheinungen am Körper sprechen für eine 
Dystrophia. Es liege hier also eine Combination einer abgelaufenen Poliomyelitis 
anterior mit einer Dystrophie vor. Ein solcher Fall sei noch nicht beschrieben 
worden, wenn es auch ähnliche Fälle gäbe, z. B. solche, bei denen in der Jugend 
eine Poliomyelitis aufgetreten, zu der dann im späteren Alter eine spinale Myopathie 
hinzukam. Der vom Vortr. vorgestellte Fall zeichnet sich besonders dadurch aus, 
dass die spätere Muskelerkrankung deutlich den Charakter der primären Myopathie 
trägt, und dass diese ziemlich rasch nach der Poliomyelitis anterior aufgetreten ist. 

Hitzig schliesst sich bezüglich der Diagnose Poliomyelitis anterior den Aus¬ 
führungen des Vortr. an, die ausserordentliche Schlaffheit im Hüftgelenk spreche 
besonders dafür. Er hält es indessen nicht für ausgeschlossen, dass Pat. zuerst 
seine Dystrophie gehabt hat, und dass zu dieser die Poliomyelitis hinzugetreten ist. 
H. hält die primären Myopathieen für keine eigentlich primären, sondern es sind 
wahrscheinlich auch Bückenmarkserkrankungen. Fasse man die Sache von dieser 
Seite auf, so erscheint die Genese der Erkrankung nicht so unverständlich. 

Goldscheider: Wenn man die histologische Veränderung des Bückenmarks 
zum Ausgangspunkt der Betrachtung nimmt, so muss man doch eingestehen, dass sie 
bei der Muskeldystrophie eine andere ist, wie bei der Poliomyelitis, bei welcher die 
Veränderungen von den Gefässen ausgehen. 

Hitzig erwidert, dass es ihm ferngelegen, beide Krankheitsprocesse zu iden- 
tificiren; er habe nur die Ansicht, dass auch die Myopathie vom Bückenmarke ausgehe. 

Bemak: Bei der Aussergewöhnlichkeit des Falles lasse sich garnichts dagegen 
einwenden, wenn man hier, wie K. es gethan hat, eine Combination von zwei Pro¬ 
cessen annehme. 

Jolly: Die Entstehung der Dystrophie aus spinaler Ursache ist zwar möglich, 
aber vorläufig nur eine Hypothese; denn es gäbe nur ganz vereinzelte Fälle, wo 
hierbei Veränderungen im Bückenmark gefunden wurden. 

Kassirer meint, dass aus der klinischen Beobachtung wohl hervorgehe, dass 
bei dem Pat. die Poliomyelitis zuerst aufgetreten ist Ein solcher Fall mache eine 
Beziehung zwischen Poliomyelitis und Myopathie möglich, man könne aber über diese 
Beziehung nichts genaueres aussagen. 

Richter (Dalldorf): Ueber Porencephalie (mit Demonstrationen). 

Vortr. unterscheidet eine vollständige und unvollständige Porencephalie je nachdem 
der Porus bis in den Ventrikel vordringt oder vor demselben stehen bleibt. Unter 
den Ursachen hebt er besonders das intra partum eintretende Trauma hervor. Die 
bei Porencephalie bestehende Atrophie des hinteren Balkenabschnittes erklärt Vortr. 
auf mechanische Weise. In der Norm bilden nämlich die Felsenbeine zusammen 
einen Winkel von 125°. Bei Idioten — und porencephalische Gehirne rühren von 


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Idioten her — ist dieser Winkel erheblich grösser. Die Auswärtadrehung der 
Felsenbeine bewirkt einen Zng am Tentorinm cerebelli; dadurch wiederum wird die 
Falx cerebri etwas nach abwärts gezogen und drückt auf den hinteren Abschnitt 
des Balkens, wodurch dieser in seiner Ausbildung gehemmt wird. Vortr. demonstrirt 
viele Präparate, welche von zwei Fällen von Porencephalie herrühren. In dem einen 
Falle sass symmetrisch im Schläfenlappen und an der Aussenwand des Seitenventrikels 
ein porencephalitischer Herd; im zweiten Falle waren viele Höhlen im Gehirn vor* 
handen. Man sieht an den demonstrirten Schnitten, dass vom Balken aus nach 
beiden Hemisphären starke Bindegewebszüge gehen, welche die Windungen auseinander 
zerren und häufig bis zur oberflächlichen Pia reichen; stets kann man die Membran 
der porencephalischen Herde bis zum Balken verfolgen. Die Pori brechen auch leicht 
in die Seitenventrikel durch, weil der Balken die Decke des Ventrikel ausmacht. Im 
Stirnhim trifft man selten porencephalische Defecte, weil das Genu corporis callosi 
nicht mit der Sichel in Conflict geräth. Die Balkenatrophie muss nach dem Vortr. 
central entstanden sein, weil sie auch das nicht nervöse Gewebe betrifft. Nicht nur 
der Forceps ist atrophisch, sondern auch die Tapete. 

Oppenheim: TJeber einen Fall von Tumor oerebrL 

Das Gehirn, welches Vortr. demonstrirt, stammt von einem 46jährigen Manne, 
der bis Ende 1896 gesund war. Er war syphilitisch inficirt und litt an eitrigem 
Ausfluss aus dem linken Ohre; seit einem halben Jahre bestehen Kopfschmerzen und 
Erbrechen. Nachdem Pat. zwei Mal kurze Zeit im Krankenhause gewesen, kam er 
in eine Ohrenklinik. Hier wurde Kopfschmerz am Hinterkopf, Erbrechen und 
Schwindelgefühl constatirt; es bestanden keinerlei Ausfallserscheinungen, hingegen 
war doppelseitige Neuritis optica vorhanden. Der linke Warzenfortsatz war druck* 
empfindlich. Nach Aufmeisselung des Warzenfortsatzes wurde die Dura mater intact 
gefunden, weshalb von einer weiteren Operation Abstand genommen wurde; eine 
wiederholte Lumbalpunction hatte auch keinen Erfolg. Vortr. constatirte bei der im 
Juni vorigen Jahres vorgenommenen Untersuchung eine Sprachstörung. Pat. spricht 
zwar geläufig, aber er muss manche Worte umgehen, indem er den zutreffenden 
Ausdruck für manchen Gegenstand nicht findet. Das Nachsprechen und Wort* 
verständniss ist gut, ebenso Lesen und Schreiben. Das Merkwürdige war, dass sich 
während der Untersuchung der Charakter der Sprachstörung änderte. Er kann sich 
dann nicht recht verständlich machen, er glaubt nicht mehr gut hören zu können, 
er percipirt nicht die einfachsten Sachen. Diese letztere Störung tritt auf, wenn 
sich Pat. aus der liegenden Stellung aufrichtet und geht wieder zurück, wenn er 
sich hinlegt; es trat also bei dem Pat. jedes Mal, wenn er sich aufrichtete, eine 
sensorische Aphasie hinzu. Vortr. stellte die Diagnose auf Tumor im Bereiche des 
Schläfenlappens ohne speciellere Localisation. Das Krankheitsbild blieb bis zum Tode 
unverändert Bei der Obduction wurde ein Tumor im Bereiche des hinteren Theils 
der Fossa Sylvii gefunden; er nimmt seinen Ausgang vom linken unteren Scheitel* 
lappen, Gyrus supramarginalis, welcher den Hauptsitz der Geschwulst bildet; von 
hier dringt der Tumor in die erste Schläfenwindung ein und zersprengt sie gleichsam. 
Die Geschwulst erwies sich als ein Sarcom. Die Sprachstörung bei dem Patienten 
war eine amnestische Aphasie und Paraphasie; die auffallendste Erscheinung war 
die, dass beim Aufrechtsetzen eine Worttaubheit hinzutrat; da sich bei Veränderung 
der Körperhaltung nur eine Aenderung allein in der Sprachstörung zeigte, so konnten 
circulatorische Störungen nicht deren Ursache sein; es hat vielmehr der Tumor beim 
Aufrichten des Körpers die erste Schläfenwindung mehr belastet und dadurch die 
Veränderung hervorgerufen. Aehnliche Erscheinungen einer Symptomveränderung findet 
man besonders bei Tumoren der hinteren Schädelgrube. Jacobsohn (Berlin). 


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Wissenschaftliche Versammlung der Aerste der 8t. Petersburger mfatfc 

für Nerven- und Geisteskranke. 

Sitzung vom 27. Februar 1897. 

Dr. Holzinger: Ueber Nervenkrankheiten in Abessinien. 

Vortr. hat in Abessinien 107 Fälle von nervösen Erkrankungen beobachtet. 
Die weitaus grösste Zahl der Kranken litt an Epilepsie. Die Epileptischen werden 
von den Abessiniern als von einem bösen Geist behaftet angesehen. An zweiter 
Stelle sind die peripherischen Paralysen, grösstentheils traumatischen Ursprungs, zu 
setzen. Die Paraparesis spastica wird häufig in Abessinien beobachtet, als Folge¬ 
erscheinung nach Genuss einer besonderen Erbsenart (Guoja); diese Erkrankung ist 
aller Wahrscheinlichkeit nach mit dem Latyrismus identisch. Von Tabeskranken 
kamen bloss sechs zur Beobachtung; ungeachtet dessen, dass in Abessinien die Lues 
ganz ausserordentlich verbreitet ist, wird Tabes daselbst sehr selten angetroffen. 
FÜle von Neurasthenie wurden unter der Localbevölkerung gar nicht beobachtet; die 
geech&ftigen und leicht erregbaren Europäer wurden von den Einheimischen für 
nervenkrank gehalten und mit Menschen verglichen, „die morgen sterben wollen“. 
Der Begriff von Erkältung, sogar in den Fällen, wo dieselbe eine augenscheinliche 
Bolle gespielt hat, ist den Abessiniern ganz fremd. Die Behandlung der Kranken 
ist äusserst primitiv; besonders oft werden von den einheimischen Zauberern An¬ 
brennungen und Aderlässen angewandt. Die Anbrennungen sind sehr populär und 
werden mit glühendem Eisen oder mit thönernen Krügen ausgeführt. Sehr verbreitet 
sind auch Maassregeln, die auf Aberglauben fussen: so soll die Mutter, die mehrere 
Kinder verloren hat, ihrem Neugeborenen, damit er am Leben bleibt, einen Theil 
dessen linken Ohrlappens abschneiden und aufessen. 

Dr. W. Larionow: Ueber oorticale Gebörsoentra bei Hunden. 

Vortr. hat bei Hunden partielle Läsionen der Binde der Schläfenlappen aus¬ 
geführt und das Gehör vor und nach der Operation untersucht und kam zu folgenden 
Schlussfolgerungen: 

1. Munk’s Ansicht über ein einseitiges gekreuztes Centrum für jedes Ohr ist 
nicht ganz richtig, da jedes Ohr, wie es scheint, mit den corticalen Centra beider 
Hemisphären in Verbindung steht. 

2. Bei geringen partiellen Läsionen der Hirnrinde fallen einzelne Töne aus. 

3. In den corticalen Centra giebt es wahrscheinlich auch eine Tonleiter, wie 
solche für die Schnecke bekannt ist 

4. Bei den operirten Hunden wurden Gehörstäuschungen beobachtet; sie wandten 
bisweilen die Augen nicht in der Sichtung zum Ursprung des Tones hin, sondern 
nach der entgegengesetzten Seite. 

5. Bei Verlust des Gehörs auf Töne reagiren die Thiere noch deutlich auf 
Geräusche. 

6. Bei Beizung mit faradischem Strome der Binde der Schläfenlappen, sowohl 
im Gebiete des Gyrus angularis, als der 1. und 2. Schläfenwindung, werden 
Bewegungen sowohl im gekreuzten Ohre, als auch in dem Ohre derselben Seite aus- 
gelöst. 

Stad. Akopenko (als Gast): Ueber den Einfluss der Entfernung der 
Schilddrüse auf die Entwiokelung des Organismus, hauptsächlich auf die 
Entwickelung des Knochensystems. 

Vortr. entfernte die Schilddrüse bei jungen Thieren verschiedener Gattungen. 
Die acuten Erscheinungen nach der Operation deuteten auf eine allgemeine Intoxi- 
cation des Organismus bin. Die chronischen Folgezustände wurden bei allen Thieren 
beobachtet, die längere Zeit gelebt hatten und bestanden in einer Wachsthumshemmung 
all« Gewebe, besonders der Knochen. Es wurden ausserdem trophische Störungen 

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beobachtet, in den Augen Conjunctivitis und Trübung der Linse. Das allgemeine 
Aussehen und der Charakter der Thiere erinnerten sehr an Cretine. Nach Ansicht 
des Vortr. verdienen die oben angeführten Erscheinungen eine besondere Beachtung 
vom Standpunkte der Theorie des Cretinismus aus. 

Sitzung vom 27. Mürz 1897. 

Stud. Wichrew (als Gast) demonstrirte den Anwesenden einen besonderen von 
ihm erfundenen Apparat für stereoskopische Betrachtung der Röntgen’sohen 
Aufnahmen. 

Der Apparat ist nach dem Princip des gewöhnlichen Stereoskops construirt und 
ermöglicht nicht nur die nach Böntgen photographirten Tbeile des Organismus in 
plastischer Form zu betrachten, sondern auch (nach Umdrehung der beiden Spiegel 
auf 170°) sowohl die vordere, als auch die hintere Oberfläche (sammt Gefässen, 
eingedrungenen Fremdkörpern u. s. w.) des photographirten Organs in Augenschein 
zu nehmen. 

Dr. W. Ossipow: Ueber centrale Endigungen des ZI. Nervenpaares. 

Vortr. hat seine Experimente an jungen Kaninchen und Hunden angestellt. 
Der N. XI wurde im Bückenmarkscanal entfernt, zu dem man durch die Membrana 
occipito-atlantica gelangte; dabei wurde entweder der ganze Nerv, d. h. der 
Accessorius vagi und spinarlis, oder bloss der letztere entfernt. Ausserdem 
wurde in einigen Fällen bloss der Muskelast des N. XI. entfernt. Die Thiere lebten 
nach der Operation bis zu 33 Tagen. Untersucht wurde nach Marchi, Pal mit 
Nachfärbung mit oxalsaurem Carmin nach Wyrubon (mit neutralem Garmin), van 
Gieson und Nissl. 

Bei der mikroskopischen Untersuchung wurde gefunden: 

1. Atrophie der Wurzelbündel des N. XI, sowohl in der unteren Abtheilung des 
verlängerten Markes, als auch im Bückenmark. 

2. Atrophie der Zellen im Dorsalkerne des N. X, besonders in dessen unteren 
Abtheilungen. 

3. Atrophie des solitären Bündels auf der Seite der Operation. 

4. Atrophie der vorderen Zellengruppe des Vorderhorns auf dem Niveau des 
unteren Abschnittes der Pyramidenkreuzung auf Seite der Operation. 

5. Atrophie einzelner Zellen des seitlichen Theiles des Vorderhorns auf Seite 
der Operation. 

6. Atrophie der Zellen des Seitenstrangkerns auf Seite der Operation. 

Auf Grund der gewonnenen Besultate kommt Vortr. unter anderem zu dem 
Schlüsse, dass die oberen Wurzelbündel des N. XI, d. h. diejenigen, die aus dem 
unteren Theile des verlängerten Markes herausgehen, als untere Wurzelbündel des 
N. X zu betrachten sind, da mit ihnen einen gemeinsamen Centralursprung aufweisend. 
Als N. XI ist bloss dessen spinaler Theil (Accessorius spinalis) anzunehmen. 

Prof. W. v. Bechterew bemerkt in der Discussion, dass auf Grund der Unter¬ 
suchungen des Vortr. der N. accessorius Willisii, d. h. eigentlich der Acces¬ 
sorius spinalis als eine der motorischen Wurzeln des gemeinsamen N. vagi- 
glossopharyngei-accessorii aufzufassen ist, dass ferner die sensiblen Kerne des 
N. vagi-glossopharyngei-accessorii allen diesen 3 Nerven gemeinsam sind und 
dass auch deren motorische Wurzelbündel einen gemeinsamen Ursprung besitzen, da 
der N. ambiguus, der als motorischer Kern des N. vagi-glossopharyngei gilt, 
im Grunde genommen im anatomischen Sinne eine Fortsetzung des Accessoriuskerns 
bildet. 

Nach v. B.’s Ansicht ist es wünschenswert, die Untersuchungen fortzusetzen 
und die Frage zu entscheiden, ob der Muskelast des N. accessorii auch Fasern 
für den N. vagus enthält, wie es von einigen Autoren angegeben ist. 


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Dr. E. Oiese: Ueber die Entwickelung der Neuroglia im Rückenmark 
des Menschen. 

Diesbezügliche Untersuchnngen sind nach der Golgi’schen Methode an mensch* 
liehen Embryonen angestellt worden. Ausser Bestätigung des bisher schon bekannten 
ergaben sie noch einige neue Details. Es wurde gefunden, dass die zuerst von 
v. Lenhossäk in der Subst. gelatinosa Rolandi gefundenen Astroblasten mit ausser¬ 
ordentlich stark sich verästelnden Ausläufern bisweilen auch unmittelbar vor derselben, 
sowie in dem äusseren Winkel des Vorderhorns anzutreffen sind. Ausserdem konnte 
mit Bestimmtheit constatirt werden, dass die Astroblasten in einer viel früheren 
Periode der embryonalen Entwickelung in die sogen. Astrocyten übergehen, als dies 
von v. Lenhossök angegeben worden ist und zwar wurde dieser (Jebergang bei 
einem Embryo von nur 14 cm Länge gefunden. 

ln der Discussion bemerkte Priv.-Doc. Erlitzki, dass ihm die Ansicht des 
Vortr. von dem ausschliesslich epithelialen Ursprünge der Neurogliazellen des Bücken¬ 
marks nicht genügend begründet erscheint. Nach seiner Meinung ist die Neuroglia 
gemischten Ursprungs: einerseits entwickelt sie sich ans Epithelzellen, andererseits 
aus Bindegewebszellen; davon konnte er sich an seinen eigenen Präparaten über¬ 
zeugen, die ebenfalls nach der Golgi’schen Methode angefertigt worden sind, und 
an solchen mit Carminfärbnng: an denselben sieht man mit Deutlichkeit die unmittel¬ 
bare Verbindung der Neurogliazellen mit der Adventitia der Gefässe, aus der sie sich 
augenscheinlich entwickeln. 

Prof. W. v. Bechterew wies auf die Nothwendigkeit hin, das Verhältnis der 
Neurogliazellen zu der Pia mater, sowie zu den Gefässen näher zu studiren. Ob 
die Zellen, die mit den Gefässen in Verbindung stehen, als eigentliche Neuroglia¬ 
zellen aufzufassen sind, bedarf noch weiterer Erörterung; es ist anzunehmen, dass 
die Neuroglia gemischten Ursprungs ist; zur endgültigen Lösung dieser Frage sind 
auch andere Färbungen, ausser der Golgi’schen, anzuwenden. 

Prof. W. v. Bechterew: Ueber oortioale Centra beim Affen. 

Diesbezügliche Experimente sind bereits im Jahre 1887 in Kasan begonnen 
worden. Das letzte Experiment an einem Macacus wurde vor kurzem vom Vortr. im 
Beisein vieler Aerzte der hiesigen Klinik ausgeführt. Auf Grund seiner Unter¬ 
suchungen kommt Vortr. zu dem Schluss, dass der erregbare Theil der äusseren 
Oberfläche der Hirnrinde beim Affen sehr umfangreich ist. Ausser dem Scbläfen- 
lappen und dem präfrontalen Abschnitte des Gehirns giebt die ganze Oberfläche der 
Hirnrinde bei Beizung mit elektrischen Strome einen motorischen Effect ab, der in 
bestimmten Muskelcontractionen sich kundgiebt. Am leichtesten erregbar sind die 
Centra, die in beiden Centralwindungen und in den hinteren frontalen Windungen 
gelegen sind. Die verschiedenen motorischen Centra sind beim Affen auf der Hirn¬ 
rinde folgendermaassen vertheilt: in den obersten Theilen beider Centralwindungen 
liegen von vorn nach hinten die Centra für den Oberschenkel, Unterschenkel und 
die Finger der hinteren Extremität. Unterhalb liegen in derselben Folge die Centra 
für den Schwanz, den Bumpf und den Hals, unmittelbar unter ihnen die Centra für 
den Ober- und Vorderarm, und noch tiefer unten die Centra für das Handgelenk 
und die Finger der vorderen Extremität. Unterhalb dieser Centra befinden sich die 
Centra für die Gesichtsmuskeln. Noch tiefer unten, am Ende der Centralwindungen, 
über der Fissur. Sylvii, liegt das Centrum für die Bewegungen der Kiefer und das 
Schluckcentrum. Bei Reizung der Binde unmittelbar hinter diesen Centren, in der 
Nähe des hinteren Abschnittes der Sylvi’schen Furche, wurde eine Bewegung im 
entgegengesetzten Ohre und oberen Augenlide erzielt. Nach vorn von der vorderen 
Centralwindung, in der Nähe der oberen Hälfte des Sulcus praecentralis, befindet sich 
das Centrum für die Bewegung der Ohren; etwas niedriger, in der Nähe des mittleren 
Abschnittes des Sulcus praecentralis, liegen die Athmungscentra. Die übrigen Theile 

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-des hinteren Abschnittes der Frontalwindangen sind von Centren für die Bewegungen 
der Augen und des Kopfes besetzt. In den hinteren Abtheilungen der Parietal* und 
Occipitallappen liegen die Centra für Pupillenerweiterung und für coordinirte Augen* 
bewegungen nach der entgegengesetzten Sichtung, sowohl nach oben, als nach unten. 
Alle diese Bewegungen erinnern sehr an diejenigen, die bei Heizung des vorderen 
Zweihügels ausgelöst werden. Diese Centra für Bewegungen der Augäpfel stehen, 
nach Ansicht des Vortr., in einem innigen Verhältniss zu den Centra, die in dem 
vorderen Zweihügel gelegen sind und sind aller Wahrscheinlichkeit nach, wie es 
auch Munk annimmt, mit verschiedenen Theilen der Sehcentra coordinirt die eben¬ 
falls in dem Occipitallappen gelegen sind. 

Bei Zerstörungen der Hirnrinde bei Affen konnte Vortr. sich davon überzeugen, 
dass den motorischen Störungen sich stets eine Herabsetzung der Haut* und Muskel¬ 
sensibilität hinzugesellt. Auf Grund dieses Factums nimmt Vortr. an, dass die sogen, 
motorische Begion als senso-motorische aufzufassen ist, in der die Muskel* und Haut¬ 
empfindungen mit bestimmten Bewegungen coordinirt werden. Zum Schluss wies 
Vortr. darauf hin, dass die Vertheilung der motorischen Centra beim Menschen un¬ 
gefähr dieselbe ist, wie beim Affen, wovon er sich bei Ausführung von Trepanationen 
überzeugen konnte. Dank diesem Umstande gewinnen die Experimente an Affen sehr 
an Bedeutung. 

Sitzung vom 24. April 1897. 

Dr. Tekutiew: Zur Behandlung der Epilepsie mit Adonis vernalis. 

Vortr. demonstrirte einen 10 Jahre alten Kranken, der am 23. Februar 1897 
in die Klinik aufgenommen worden war und seit 2 Jahren an schwerer Epilepsie litt. 
Die epileptischen Anfalle, die 15—20 Mal am Tage auftraten, hatten bedeutend die 
Geistesfähigkeiten des Knaben geschwächt; ausserdem waren Paresen einiger Muskeln 
aufgetreten. In der Klinik wurde ihm folgende Mixtur verordnet: Inf. adonis ver¬ 
nalis 1,25—360 Aq. destilL, 0,12 Codeini und 4,0 Natrii bromati, 5—7 Esslöffel 
täglich; nach etlichen Wochen wurde die Dosis des Adonis vernalis auf 2,5 gebracht. 
Die Anfälle wurden allmählig seltener und schwächer, Ende März hörten sie voll¬ 
ständig auf und bis zum 23. April, an dem der Kranke die Klinik verliess, war 
kein einziger Anfall zu verzeichnen. Er sieht jetzt ganz munter und gesund aus. 
Die Möglichkeit des Wiederauftretens der Anfälle durchaus nicht in Abrede stellend, 
weisst Vortr. bloss hin auf die unzweifelhaft sehr günstige Wirkung des von Prof. 
W. v. Bechterew vorgeschlagenen Gemisches auf die Frequenz und Stärke der 
•epileptischen Anfälle. 

Prof. W. v. Bechterew bemerkte, dass die Verordnung der Adonis vernalis 
mit Brompräparaten fast in allen von ihm behandelten Fällen von Epilepsie von 
grossem Nutzen gewesen sei. Bei einigen Kranken ist sogar von dauernder Heilung 
zu sprechen, da die Anfälle nach Verlauf von über 3 Jahren nicht wieder aufgetreten 
sind. In einigen Fällen war Digitalis von besserer Wirkung als Adonis vernalis. 

Dr. Ostankow: TJeber Hautreflexe im Anfangestadium der Tabes 
dorsalis. 

Vortr. hat 26 Tabeskranke auf Haut- und Sehnenreflexe untersucht und dabei 
Folgendes gefunden: Die Patellar- und Achillessehnenreflexe fehlen bei allen 26 Kranken; 
von 11 Kranken in der präatactischen Periode waren bei 10 die Bauchdeckenreflexe 
beiderseits stark gesteigert, bei 1 Kranken gut ausgeprägt Von 10 Fällen in der 
atactmchen Periode waren die Bauchdeckenreflexe bei 3 Kranken stark gesteigert, 
bei 5 Kranken gut ausgeprägt in 1 Falle sehr träge und bei 1 Kranken waren sie 
gar nicht auszulösen. In 5 Fällen der paralytischen Periode fehlten in 4 die Bauch- 
deckenreflexe vollständig, bei 1 Kranken waren sie verstärkt. Aus diesen Daten ist 
ersichtlich, dass in der präatactischen Periode der Tabes dorsalis eine Erhöhung der 
Bauchdeckenreflexe ausserordentlich häufig beobachtet wird (10 Mal in 11 Fällen). 

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Hervorzuheben ist auch das beständige Fehlen ausser der Patellar-' auch der Achilles- 
Sehnenreflexe. Das Vorhandensein dieser beiden Symptome — der Verstärkung der 
Bauchdeckenreflexe und das Fehlen der Patellar- und Achillessehnenreflexe — kann 
als frühes diagnostisches Merkmal der Tabes dorsalis incipiens verwerthet werden. 

Prof. W. v. Bechterew bemerkte, dass ausser dem vom Vortr. beschriebenen 
Verhalten der Bauchdeckenreflexe er schon längst noch ein anderes Frühsymptom 
der Tabes dorsalis gefunden hat; in vielen Fällen von Tabes incipiens konnte er sich 
nämlich von einer Schmerzlosigkeit der Mn. poplitei bei Druck und Beklopfen über¬ 
zeugen; dieses Symptom ist nach seinen Erfahrungen viel häufiger zu beobachten, ale 
das Symptom von Biernatzki. 

Priv.-Doc. Erlitzki demonstrirte in Ergänzung seiner Entgegnung, die er in 
der vergangenen Sitzung dem Vorredner vorgebracht hatte, dass nämlich die Neuroglia- 
zellen nicht bloss epithelialen, sondern gemischten Ursprungs sind, Präparate, an 
denen die Verbindung der Neurogliaaellen mit der Adventitia der Gefässw 
zu sehen war. 

Prof. W. v. Bechterew erklärt sich nochmals für den gemischten Ursprung 
der Neurogliazellen. An Präparaten, die nach der Golgi’sehen Methode aus dem 
verlängerten Marke angefertigt worden waren, konnte er an dessen Peripherie eine 
Menge Neurogliazellen beobachten, die ihre Ausläufer zur Peripherie schickten. Diese 
Bilder seien überzeugend für die Verbindung der Neurogliazellen mit der Peripherie 
des verlängerten Markes ohne irgend welche Beziehung zum Centralcanal; auf Grund 
dieses Verhaltens hat man einen gemischten Ursprung für die Neurogliazellen an¬ 
zunehmen: einen epithelialen und bindegewebigen. 

Dr. Eorolkow: Ueber Nervenendigungen in den Speicheldrüsen und 
in der Leber. 

Vortr. demonstrirte diesbezügliche, vortrefflich gelungene Präparate, die nach 
der Golgi’schen Methode angefertigt worden waren. 

Dr. Borischpolski: Ueber den Einfluss der Vibration auf die Erregbar¬ 
keit der Hirnrinde und auf die Blutoiroulation im Gehirn. 

Zur Erzeugung der Vibration wurde der Charcot’sche Vibrationsappparat an¬ 
gewandt Experimentirt wurde an Menschen und Thieren. Auf Grund seiner Unter¬ 
suchungen ist Vortr. zu dem Schluss gekommen, dass die Vibration keinen wesent¬ 
lichen Einfluss auf die Blutcirculation im Gehirn und die Erregbarkeit der Hirnrinde 
ausübt. Die Anwendung der Vibration als therapeutisches Mittel wird gerechtfertigt 
durch die günstige Beeinflussung verschiedener subjectiver Empfindungen bei Neurasthe¬ 
nikern und Hysterischen, besonders gute Dienste leistet dieselbe bei Schlaflosigkeit, 
die schon nach wenigen Sdancen beseitigt wird. Der Vortr. erklärt diese Wirkung 
der Vibration als auf psychischem Wege bedingt. 

Prof. W. v. Beehterew ist mit letzterer Erklärung des Vortr. nicht ganz ein¬ 
verstanden; die Frage bedarf noch weiterer Erörterung. 

Dr. Juschenko (als Gast): Ueber das Verhftltniss des Ganglion niesen- 
terloum inferius zur Innervation der Harnblase und über die automatischen 
Bewegungen desselben. 

Die Experimente waren an Katzen im physiologischen Laboratorium von Prof. 
J. Pawlow angestellt. Schlussfolgerungen: 

1. Der Harnblase sind automatische Contractionen eigen. 

2. In dem Ganglion mesentericum inferius befindet sich das reflectorische Cen¬ 
trum nicht nur für die Contraction, sondern auch für die Erschlaffung der Harnblase. 
In diesem Ganglion ist auch das Hemmungscentrum für die automatischen Bewegungen 
der Harnblase gelegen. 

In beiden Nn. hypogastrici giebt es sensitive und motorische Fasern. 

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Sitzung vom 11. Mai 1897. 

Dr, Holzinger: Ueber den Latyrismus in Abessinien. 

Vortr. hat 15 Fälle von Latyrismus in Abessinien zu beobachten Gelegenheit 
gehabt. Die charakteristischen Symptome dieser Krankheit bestehen in einer sehr 
scharf ausgeprägten spastischen Gangart und Rigidität der Oberschenkel- und Gastro- 
cnemialmuskeln, in einer Erhöhung der Patellarreflexe und Clonus der Patella und 
im Fussgelenk. Das Alter der Kranken schwankt zwischen 18—35 Jahren. Die 
Dauer der Krankheit beträgt 2—10 Jahre. Die Krankheit entwickelt sich nach 
Genuss von Guoja, einer besonderen Bohnenart (Lathyrus sativus coeruleus). Der 
Latyrismus ist nach den Erfahrungen des Vortr. in Abessinien sehr verbreitet und 
wird daselbst Guoja baschetid genannt. 

Dr. A. Trapesnikow: Ueber den Einfluss der Bettbehandlung anf die 
Geisteskranken der Männer-Abtheilung der hiesigen Klinik. 

Die Beobachtungen des Vortr. beziehen sich auf 29 Kranke, die nach Art der 
Erkrankung sich folgendermaassen vertheilen: Paralysis progress. 8, Amentia 6, 
Melancholia 5, Paranoia 4, zu je 1 Falle von Katatonia, Psychosis hysterica, De¬ 
mentia senilis und Lues cerebri. 

Auf Grund seiner Beobachtungen kommt Vortr. zu folgenden Schlossen: die 
Kranken gewöhnen sich Oberhaupt bald an die Bettbehandlung. Während des 
Aufenthalts im Bett wird die Zahl der Schlafstunden (am Tage und in der Nacht) 
absolut vermehrt, oft zum Nachtheil des Nachtschlafs. Das Gewicht der Kranken 
fällt anfangs gewöhnlich, um nach einigen Wochen sich zuweilen wieder auszugleichen. 
Auf den Puls und die Athmung war kein anerkennbarer Einfluss zu constatiren. 
Das Bettregime giebt den Kranken gute Gelegenheit zum Onaniren, dessen Ueber- 
wachung zudem sehr erschwert wird. Auf die Krankheitsdauer und den Ausgang 
der Krankheit übt die Bettbehandlung, wie es scheint, keinen Einfluss aus. 

Dr. W. Ossipow: Die Bettbehandlung in der Frauen - Abtheilung der 
Irrenklinik. 

Die Fälle, die zur Beobachtung gelangten, waren folgende: Dementia secundaria 3, 
Paranoia chronica 1, Psychosis hallucinatoria 2, Amentia 2, Exaltatio maniacalis 1, 
Melancholia 1, Psychosis circularis 1, Psychosis periodica 1, Dementia cerebri or- 
ganica 1. 

Vortr. stellt folgende Schlusssätze auf: 

1. Die Mehrzahl der Kranken gewöhnen sich leicht an die Bettbehandlung. 

2. Die Pflege der unsauberen Kranken, sowie überhaupt die Aufsicht über die 
Kranken, wird bedeutend erleichtert. 

3. Auf den psychischen Zustand der Kranken wirkt die langandauernde Bett¬ 
behandlung in einigen Fällen ungünstig, in anderen günstig. 

4. Das Sinken des Gewichts der Kranken während der Bettbehandlung ist nicht 
immer durch die Krankheit selbst bedingt, in einigen Fällen ist es dem Aufenthalte 
im Bette zuzuschreiben. 

5. Der Schlaf, der Appetit und die Darmthätigkeit wird während der Bett¬ 
behandlung meist schlechter. 

6. Die Hypnotica müssen ebenso oft angewandt werden. 

7. Die Bettbehandlung ist streng zu individualisiren. 

ln der Discussion, die nach diesen beiden Vorträgen folgte, bemerkte Priv.-Doc. 
Bosenbach, dass er in den von den Vortr. gewonnenen Resultaten eine Bestätigung 
seines skeptischen Verhaltens zur Bettbehandlung ersieht. Wenn man alle dies¬ 
bezüglichen Beobachtungen zusammenfasst, so ergiebt sich daraus, dass man zur 
Bettbehandlung sich negativ verhalten soll. Der einzige Vortheil, den das Bettregime 
bietet, besteht in der Erleichterung der Krankenpflege. 

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Prof. W. v. Bechterew hob in seinem Schlussworte hervor: 

1. dass die Bettbebandlung nicht schablonenhaft anzuwenden sei; 

2. dass in grossen Anstalten sie eine Baumerspamiss bewirke; 

3. dass sie zwar die Isolirung nicht aufhebe, doch dieselbe nicht mehr an den 
fr&heren Gefängnisstypus erinnern lasse und 

4. dass die unruhigen Kranken von den ruhigen zu trennen seien. 

Eis erscheint wQnschenswerth die Beobachtungen fortzusetzen und zu bestimmen, 
welchen Einfluss die Bettbehandlung auf den Stoffwechsel der Kranken ausübt. 

Dr. Schukowski: lieber den Einfluss der Hirnrinde und der sub* 
oortic&len Oanglia auf die Athmung. 

Der Yortr. bat seine Untersuchungen hauptsächlich an Hunden ausgeführt. Die 
Athmung wurde vom Brustkörbe, der Diaphragma und der Trachea aus auf graphi¬ 
schem Wege verzeichnet Zur Beizung der Hirnrinde und der subcorticalen Ganglia 
diente der faradische Strom. Schlussfolgerungen: 

1. Die Athmungsbewegungen sind nicht von der ganzen Hirnrinde abhängig; sie 
werden bloss von bestimmten Punkten derselben ausgelöst, die in dem vorderen Ab¬ 
schnitte des Grosshirns, in dem Frontallappen und der motorischen Begion gelegen sind. 

2. Die Ansicht von Francis Frank und Bouchefontaine ist nicht stich¬ 
haltig, da der Athmungseffect bei Beizung bloss einiger bestimmter Punkte des vor¬ 
deren Theiles des Grosshirns erzielt wird. 

3. ln der Hirnrinde giebt es ein Centrnm für Athmungsbeschleunigung (Bech¬ 
terew nnd Ostankow), in dem vorderen äusseren Theile des Gyri praecruciati 
gelegen, sowie ein Centrum für Verlangsamung und Anhalten der Athmungsbewegungen 
in der Exspiration (unweit vom Centrum für den Orbicularis oculi). Ein ebensolches 
Centrum bedeutet auch, wie es scheint, ein dritter Punkt, der vom Yortr. auf der 
oberen Oberfläche des Frontallappens gefunden ist und von dem aus auch ein An¬ 
halten der Athmungsbewegungen ausgelöst wird. 

4. Nach Entfernung dieser drei Punkte bleibt der frühere Bythmus und Charakter 
der Athmungsbewegungen erhalten, sowie die Beflexe auf die Athmung von der Haut, 
den Schleimhäuten und den Empfindungsorganen aus; auf Grund dieses Factums 
glaubt Yortr. voraussetzen zu dürfen, dass diese Centra keine reflectorischen seien, 
sondern aller Wahrscheinlichkeit nach unserem Willen untergeordnet sind und ausserdem 
an den Affecten theilnehmen, die von einer Veränderung der Athmung begleitet werden. 

5. Das Abtragen der grossen Hemisphären bis zu den Ganglien bedingt eine 
Veränderung im Bhythmus und Charakter der Athmungsbewegungen. 

6. Nach Einstich in die subcorticalen Ganglia und elektrischer Beizung derselben 
wird ein motorischer Effect erzielt, der einerseits durch Beizung der Leitungsbahnen, 
andererseits durch Erregung von besonderen Centren, die in ihrer Tiefe gelegen sind, 
hervorgebracht wird. Bei Beizung der grauen Substanz im vorderen Abschnitte des 
Thalami optici und der Cauda corporis caudati beobachtete Yortr. ein Anhalten der 
Athmungsbewegungen. Beim Einstich in den mittleren Theil des Thalamus bis zur 
Wand des 3. Ventrikels trat ein Cheyne-Stoke’sches Atbmen auf, das nach 
Herausziehung der Nadel wieder aufhörte. Beim Einstich in den hinteren Abschnitt 
des Thalamus traten seltene und tiefe Athmungsbewegungen auf, bei Beizung wurde 
das Atbmen öfter und tiefer. Bei oberflächlicher Beizung der Seitentheile des vor¬ 
deren Zweihügels trat eine Pause iu den Athmungsbewegungen in der Inspiration auf. 

Dr. W. Beimers: Ueber Degenerationen im Rückenmark nach Durch¬ 
schneidung der hinteren und vorderen Rückenmarks wurzeln. 

Die Experimente waren hauptsächlich an Hunden angestellt. Die Wurzeln 
wurden entweder im Wirbelcanal oder ausserhalb desselben durchschnitten. Behand¬ 
lung nach MarchL Nach Durcbschneidung der hinteren Wurzeln waren folgende 
Veränderungen im Bückenmark zu constatiren: 

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1. Eine aufsteigende Degeneration in den Goll’sohen und Burdach’schen 
Strängen bis zu den Kernen dieser Stränge; 

2. eine absteigende Degeneration im Scbultze’schen Comma und in dem ovalen 
Felde von Flechsig; 

3. eine Degeneration in der Lissauer’scben Bandzone, in dem Vorderhorn und 
in der vorderen Gommissur. Nach Durchschneidung der vorderen Wurzeln war so* 
wohl im centralen, als peripherischen Abschnitte derselben eine Degeneration zu 
finden, wie auch eine in der vorderen Gommissur und im Vorderhorn. 

Prof. W. v. Bechterew demonstrirt zwei Gehirne von Kranken, die an einer 
Quetschung des verlängerten Markes durch Eleinhlrngesohwfilste zu Grunde 
gegangen waren. _ E. Giese (St. Petersburg). 


IV. Vermischtes. 

Einladung. 

_ Nach dem Beschlösse der vom 17.—20. September 1895 zu Heidelberg abgehaltenen 

VIII. Conferenz, soll die IX. Conferenz für Idioten- und Epileptischen-Pflege in Verbindung 
mit Vorstehern und Lehrern an Schulen für schwachbefähigte Kinder, in der ersten Hälfte 
des Septembers 1898 zu Breslau Btattfinden. 

Alle, welche sich für die genannten Zweige der Fürsorge interessiren, insbesondere 
Psychiater, Aerzte, Geistliche und Pädagogen, werden zur Theilnahme an dieser Conferenz 
freundlichst eingeladen. 

Sie werden gebeten, Vorträge und Demonstrationen spätestens bis 1. Juni 1898 bei dem 
Unterzeichneten Vorsitzenden, Director Barthold, Hepnata bei M.-Gladbach, Rheinland, 
anmelden zu wollen. 

Der Vorstand der VIII. Conferenz für Idioten-Pflege: 

C. Barthold, Director der IdiotenanBtalt Hephata bei M.-Gladbach, Vorsitzender 
W. Geiger, Pfarrer, Inspector der Idiotenanstalt in Mosbach in Baden. 

Karl Richter, Schuldirector in Leipzig. 

H. Piper, Erziehungsinspector in Dalldorf-Berlin. 

San.-Rath Dr. 0. Berkban, prakt. Arzt in Braunschweig. 


Die Redaction des Archives für Physiologie (Phvs. Abtheilung des Archives für Ana¬ 
tomie und Physiologie), welche nach dem Tode von E. du Bois-Reymond während des 
Jahres 1897 interimistisch in den Händen der Berliner Physiologischen Gesellschaft 
lag, hat vom Jahre 1898 ab Herr Prof. Dr. Th. W. Engelmann in Berlin übernommen. 


V. Berichtigung. 

Zu meinem Aufsatze „Ueber Zwangsvorstellungen“ in Nr. 1 dieses Jahrgangs hat Herr 
Prof. v. Krafft-Ebing die Güte gehabt, mir mitzutheilen, dass nicht Westphal, sondern 
er den Namen „Zwangsvorstellungen“ in die deutsche Psychiatrie eingeführt hat, zuerst in 
seinen im Jahre 1867 erchienenen „Beiträgen zur Erkennung und richtigen forensischen 
Beurtheilung krankhafter Gemüthszustände“. Ferner hat derselbe in seinem Aufsatze „Ueber 
formale Störungen des Vorstellens“ (Vierteljahrsschr. f. ger. u. öfFentl. Medicin. 1870. Jan.) 
ausführlich die Zwangsvorstellungen besprochen. M. 


In Nr. 1 d. J., S. 34, Zeile 2 von oben, lies: „caudal“ statt „frontal"; S. 37, Zeile 7 
von unten, lies: „Körnchenaggregate“ statt Körnchenapparate". 

In Nr.2 d. J., S. 94, Zeile 8 von unten, liess: „klinische“ statt „kritische". 

Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten. 

Einsendungen für die Redaction sind zu richten an Prof. Dr. E. Mendel, 

Berlin, NW. Schiffbauerdamm 20. 

Verlag von V*tt & Comp, in Leipzig. — Druck von Mrtzöbr & Wime in Leipzig. 

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Neurologisches Centralblatt. 

Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie 
und Therapie des Nervensystems einschliesslich der Geisteskrankheiten. 

Herausgegeben yoq 

Professor Dr. E. Mendel 

Siebzehnter “ B * rlln ‘ Jahrgang. 

Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 24 Mark. Zu beziehen durch 
alle Buchhandlungen des In* und Auslandes» die Postanstalten des Deutschen Seichs, sowie 

direct von der Verlagsbuchhandlung. 


1898. 


15. Februar. 


Nr. 4. 


I. Originalmitthellungen« 1. Historische Notiz zur Lehre vom Kopftetanus (Tetanus 
bydrophobicus, Tetanus facialis, Edtn. Rose), von Prof. M. Bernhardt in Berlin. 2. Ueber 
die Erregbarkeit der Grosshirnrinde neugeborener Thiere, von W. v. Bechterew in St. Peters¬ 
burg. 3. Beitrag zur Pathologie der Spinalganglienzelle, von Dr. Otto Juliusburger und Dr. 
Ernst Meyer, Assistenzärzten. 4. Notiz betreffs des Rindenfeldes der Hinterstrangbahnen, 
von Dr. med. Armin Tschermak in Leipzig. 5. Von der Bedeutung der Associationscentren 
▼on Flechsig zur Erforschung der Entwickelung des Geistes, der* Sprache, der Psychologie 
der Sprache, wie auch der Lehre von der Sprachlosigkeit, von Dr. W. Otuszewskl. 

II. Referate. Anatomie. 1. On the endogenous fibres in the lumbo-sacral region 
of the cord, by Bruce. — Experimentelle Physiologie. 2. Neue Versuche über 
den galvanischen Reiz, von Dubols. 3. Survival movements of human infancy, by Numford. 
4. Les vaso-moteurs des membres abdominaux. Recherches experimentales, par Spallitta et 
Cofisiglio. — Pathologische Anatomie. 5. Beiträge zur pathologischen Anatomie der 
Rückenmarkscompression, von Heymann. 6 . Anatomische Untersuchungen über die combinirte, 
chronische Schweiflähmung und Sphincterenparalyse des Pferdes, von Dexler. 7. Ueber 
Bückenmarksveränderungen bei Carcinomatösen, von Lubarsch. 8 . SulP eziologia delle dege- 
nerazioni sistematicbe primario del midollo spinale, per Ceni. 9. Ueber den anatomischen 
Process im Anfangsstadium der multiplen Sclerose, von Goldscheider. 10. Pathogenese und 
pathologische Anatomie der Syringomyelie, von Schlesinger. — Pathologie des Nerven¬ 
systems. 11. Beitrag zur Kenntniss der bei der disseminirten Herdsclerose auftretenden 
Augen Veränderungen, von LObbers. 12. De la sclerose en plaques ä d£but apoplectiforme, 
par Boulogne. 13. Zur Frage über die multiple Sclerose und Gliose. Nebst einer Bemerkung 
über die Vascularisationsverhältuisse der Medulla oblongata, von Rossolimo. 14. A case of 
dissaminated sclerosis, by Hackney. 15. Zur Aetiologie der multiplen Sclerose, von Blum- 
ruich und Jakoby. 16. Zur Bedeutung der Augenuntersuchung, speciell des ophthalmo¬ 
skopischen Befundes, für die Frühdiagnose der multiplen Herdsclerose, von Nagel. 17. Ueber 
Augenmuskelstörungen bei der multiplen Sclerose, von Kunn. 18. Ueber einen Fall von 
Bückenmarkstuberkel beim Kinde, nebst Bemerkungen über die multiple Degeneration, von 
Heiz. 19. Tumor of the spine, by Cladek. 20. A case of Syringomyelie limited to one 
posterior horn in the cervical region, with arthropathy of the shoulder-joint and ascending 
degeneration in the pyramidal tracts, by Oorciim and Spiller. 21. Ueber eine seltene Locali- 
ntion einer Arthropathie bei Syringomyelie, von Hahn. 22. Troubles du thorax dans la 
Syringomyelie, par Marie. 23. My61ite enronique consecutive ä un trouble dans le döveloppe- 
ment de la moölle 6pini&re, par Hamburger. 24. Ueber Degenerationsherde in der weissen 
Substanz des Rückenmarks bei Leukämie, von Nonne. 25. Historische Notiz über Degenerations- 
berde in der weissen Substanz bei Leukämie und über Degenerationen im Rückenmark bei 
Zebrkr&nkbeiten, von Schultze. 26. Zur Lehre vom RückenmarkBabscess, von Schlesinger. 
27. Zur Kenutniss der centralen Hämatomyelie, von Bregmann. 28. A case of haematorrhachis, 
by Brain. 29. Ueber zwei Fälle von primärer, oombinirter Strangerkrankung des Rücken¬ 
marks, von Wagner. 30. Lc mecanisme des monvements rdflexes. Un cas de compression 
de la mobile dorsale avcc abolition des röflexes, par van Gebuchten. 31*. A case of purulent 
primary spinal leptomeningitis, by Ffy. 32. Pareso-analg&ie des exträmitos inferieures avec 
panaris aualgäsiqucs on maladie de Morvan. Hämipl^gie droite et paraplägie införieure, par 
Bourneville. 33. Ein Fall von Sclerodermie erfolgreich behandelt mit Extractum thyreoideae, 
von Weber. — Therapie. 34. Ein Beitrag zur Chirurgie des Rückenmarks. Heilung einer 
durch intraduralen kalten Abscess bedingten Compressionslähmung durch Eröffnung des 
Duralsackes nach Laminectomie, von Trapp. 

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III. Aut den Gesellschaften. Aerztlioher Verein in Hamburg. — Gesellschaft der Neuro- 
pathologen und Irrenärzte zu Moskau. 

IV. Vermischtes. Zum schweizerischen Irrengesetz. V. Berichtigung. 


I. Originalmittheilungen. 


1. Historische Notiz znr Lehre vom Kopftetanus 
(Tetanus hydrophobicus, Tetanus facialis, Edm. Rose). 

Von Prof. M. Bernhardt (Berlin). 

Seitdem ich im Jahre 1883 zum ersten Male Gelegenheit gehabt hatte, 
einen Fall von Kopftetanus (Tetanus hydrophobicus, Bose) zu beobachten 1 , ist 
mein Interesse für diese eigentümliche Erkrankung dauernd rege geblieben. 
Nun fand ich neulich in dem Buche des berühmten engliohen Physiologen und 
Pathologen Ch. Bell: The nervous System of the human body. Embracing 
tbe papers delivered to the Royal Society on the subject of the nerves, by 
Charles Bell, London 1880*, eine Beobachtung, welche, wie es scheint, 
dem ersten Beschreiber des Kopftetanus oder des Tetanus hydrophobicus, Edm. 
Rose, entgangen ist, und welche von Bell in seinem Werke als 42. Fall unter 
der Ueberschrift: Ein Fall von Trismus complicirt mit Gesichtslähmung aus¬ 
führlich mitgetheilt worden ist. 

Auch der spätere Bearbeiter dieses Gegenstandes, Conrad Brünebb (Ex¬ 
perimentelle und klinische Studien über Tetanus. Tübingen 1894) scheint von 
dieser Beobachtung keine Kenntniss zu haben, und auch in dem neuen Werke 
Rose’s in der 8. Lieferung der Deutschen Chirurgie, Stuttgart 1897, wo der 
Autor die Krankheit nunmehr als Kopftetanus, Tetanus facialis bezeichnet, ist 
die BELL’sche Beobachtung nicht angeführt So möge man es denn verzeihen, 
wenn ich die hochinteressante Mittheilung des englischen Autors hiermit der 
Vergessenheit entreisse. 

Beobachtung 42. s 

Ein Fall von Trismus complicirt mit Gesichtslähmung. 

Thomas Jones, 29 Jahre alt, ein Stallknecht, wurde am 10. October in das 
Middlesex Hospital unter Herrn Bell's Behandlung aufgenommen. Er klagte über 
eine schmerzhafte Steifheit der Kiefer; die Muskeln der einen Seite 
des Gesichts waren gelähmt. Am letzten September versetzte ihm nach seiner 
Aussage ein Pferd während des Striegelns mit dem Vorderfuss einen Schlag auf die 
rechte Seite des Kopfes/so dass er zu Boden fiel und einige Zeit betähbt dalag. 
Als er wieder zu sich kam, fühlte er sich schwach und empfand etwas Uebelkeit. 
Die Wunde befand sich oberhalb des Proc. angular, extern, des Stirnbeins. Es ge¬ 
schah nichts für ihn, und er behielt seine Lebensweise bei. Sein Dienstherr sagte 


1 vergl. Zeitschrift f. klm. Medicin. 1884. Bd. VII. S. 410. 
1 Uebersetzt von M. H. Rombk&o. 1882. Berlin. 

» 1. o. S. 288. 


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aus, dass er dem Trünke sehr ergeben sei, and dass in Folge dessen zuweilen Kopf 
und Hände wie bei alten Leuten zitterten. Am 4. Tage nach der Verwundung be¬ 
merkte er zuerst die Verzerrung des Gesichts, auch wurde ihm das Sprechen und 
Schlucken schwer. Erst am 6. October wandte er sich an einen Arzt, welcher ihm 
die Aufnahme in das Hospital rieth. 

Das Gesicht ist nach der linken Seite gezogen, wie in den Fällen 
Örtlicher Lähmung, durch Verletzung der Portio dura; die Entstellung der 
Geeicht8zflge ist beim Sprechen am meisten sichtbar. Die Lider des linken Auges 
können gänzlich geschlossen werden; auf der rechten Seite geschieht es unvollständig, 
und während dessen sieht man die Cornea in die Höhe rollen. Das Gefühl ist auf 
beiden Seiten gleich gut Von der Beweglichkeit der Zunge kann man sich nicht 
recht überzeugen, weil der Kranke den Mund nicht frei öffnen kann; während des 
BSeens beisst er sich leicht auf die Zunge und in die Backe. Die beinah geheilte 
Wunde hat jetzt das Ansehen eines Ritzes. Nach der Verwundung erfolgte keine 
Blutung aus dem Ohre, auch hört der Kranke auf beiden Ohren gut. 

Die Gegend um den M. masseter der rechten Seite fühlt sich aufgetrieben und 
steif an; Herr Bkll glaubt, dass auch vor dem rechten Ohre eine abnorme An¬ 
schwellung bemerklich sei. (Es wurde das Anlegen von 12 Blutegeln vor dem Ohr 
verordnet 10 g von den piluL Colocynth. cum Calomel., für den anderen Morgen ein 
Purgirtrank und zu Fomentationen der schmerzhaften Stelle eine Solution von Plumb. 
acei mit Opium.) 

11. October. Der 8tationschirurg wurde am Morgen zu dem Kranken gerufen, 
welcher wie in einem Erstickungsanfalle dalag. Er schien an einer Hemmung 
der Expectoration zu leiden; die Kiefer waren fest geschlossen; das Gesicht hatte 
eine livide Farbe; die Muskeln der rechten Seite waren erschlafft und 
nach der linken Seite gezogen; die Halsmuskeln steif und in heftiger Action. 
Zwei Wärter waren erforderlich, um ihn im Bette festzuhalten. Zwei Drachmen 
Opiumtinctur wurden in kleinen Quantitäten zwischen den Zähnen eingeffösst, wo¬ 
nach die Zufälle aufhörten. Das Bewusstsein war während des Anfalls ungetrübt. 
Die Kiefer sind fester aneinander geschlossen. Der Kranke klagt über einen 
kneifenden Schmerz im Nacken. Stuhlgang ist erfolgt. Der Puls ist hart und von 
110 Schlägen. (Blutige Schröpfköpfe auf dem Hinterkopf, 10 g Calomel, */a Drachme 
Opiumtinctur, alle 3 Stunden. 

12. October. Heute sahen die Doctoren Latham, Watsoh und Hawkins den 
Kranken. Die Zähne sind noch fester aneinander geschlossen. Der Versuch zu 
schlucken verursacht heftige Convulsionen im Halse und in der Brust; er 
verweigert aus diesem Grunde das Getränk und Einnahmen von Arzneien. 
Br beklagt sich am meisten über den Schleim in der Kehle, welcher ihn zum Husten 
reizt; er wirft den Speichel wie in der Hydrophobie aus. Während der 
Anfälle fährt er im Bett in die Höhe; wir finden ihn auf der Seite sitzend, aus 
Furcht vor der Rückkehr des Paroxysmus beim Liegen. (Calomel 10 g, Clystir mit 
Opium, blutige Schröpfköpfe an den Nacken, warmes Bad, Cataplasma mit einer 
Bleiauflöeung und Opium auf die Wunde, Extract. Tabaci., üng. hydrarg. zu gleichen 
Theilen, in Hals und Kiefer einzureiben.) 


13. October. Nach dem gestern genommenen Bade erfolgte eine starke Transpi¬ 
ration und Erleichterung. Heute überfielen ihn die Paroxysmen 4—5 Mal und dauerten 
5 Minuten. Während derselben war er ausser Stande zu sprechen, Sein Kopf war 
hinten übergeworfen, das Kinn stand in die Höhe, doch nicht in dem Grade, um die 
Krankheit Opisthotonos nennen zu können. Er hat nie über Krämpfe im Epigastrium 
geklagt, auch besitzt er seine volle Gewalt über die Arme, die Beine und den Kopf. 
Im Bette wird er von Zuckungen befallen. Gegen 7 Uhr Abends wurden die Kiefer 
erschlafft, unter den Symptomen des herannahenden Todes. Die Kräfte sanken all- 

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mählich, nachdem noch mehrere Anfalle eingetreten waren, and der Tod erfolgte 
diesen Morgen 10 Uhr. 

Leichenbefund (24 Standen nach dem Tode): Die Oesichtszflge waren 
verzerrt wie im Leben. Das rechte Auge stand weit offen, während 
das linke geschlossen war. Bei Untersachnng der Narbe fand man keinen 
krankhaften Zustand der verwundeten Theile: nur die Haat schien getrennt worden 
za sein. Die Fasern des Orbicalaris palpebrarum, welche unter der Narbe lagen, 
waren anverletzt, desgleichen der Enoehen. Die Ohrspeicheldrüse, die Zweige des 
N. sapraorbitalis und der Portio dura, welche bis in die Wunde verfolgt worden, 
verhielten sich normal. Eine kleine Drüse, von der Dicke einer Feldbohne, war in 
der Substanz der Parotis eingesackt und stand mit der Portio dura in Berührung; 
sie enthielt etwas eiterartige Materie, doch war der Nerv nicht mit ihr verwachsen 
und schien überhaupt von gesunder Structur zu sein. Nachdem der Schädel ge* 
Öffnet, fand man die Arachnoidea etwas trübe, und die Venen mit mehr Blut an* 
gefüllt, als gewöhnlich. Die Ventrikel enthielten eine kleine Quantität seröser 
Flüssigkeit. Uebrigens zeigte sich weder im Qebirn, noch in den Nerven irgend eine 
Abnormität. Die Wurzeln des Quintus und die Portio dura in ihrem Verlauf 
durch das Schlafbein wurden auf der rechten Seite genau untersucht und ge* 
sund befunden. Auch das Bückenmark hatte ein gesundes Ansehen. Die Nerven 
des sympathischen Systems in der Bauch* und Brusthöhle waren normal. Die Lungen 
mit nicht mehr Blut überladen als gewöhnlich. Die Glandulae truncatae auf der 
Zungenwurzel waren vergrössert, doch zeigte sich weder im Schlunde, noch im Kehl¬ 
kopfe eine Entzündungsröthe. 

Herr Bbi.Ii machte in seinen klinischen Bemerkungen über diesen 
Fall auf die Aehnlichkeit mit einigen anderen Fällen örtlicher Gesichts¬ 
lähmung aufmerksam, in Bezug auf die Unfähigkeit das Auge zu 
schliessen und Lippen und Backe zu bewegen. Doch fand insofern eine 
Anomalie statt, dass während auf der verwundeten Seite des Gesichts alle Muskeln, 
die ihren Einfluss von der Portio dura erhalten, gelähmt waren, die Kiefermuskeln, 
welche vom Quintus versorgt werden, sich in einem tetanischen Zustande befanden. 
Er erwähnte zwar eines Falles von halbseitiger Gesichtslähmung, die ebenfalls durch 
einen Schlag auf den Kopf entstanden war; doch liess sich hier kein genügender 
Grund für die Annahme einer Hirnverletzung, noch weniger für eine Verletzung des 
Nerven in seinem Durchgänge durch den Knochen auffinden, und er vermuthete, 
dass es ein Trismus war, in Folge einer leichten Verletzung der Haut¬ 
decken der Schläfe, welche ihren Einfluss in einem krankhaft dispo- 
nirten Körper geltend machte. Auffallend blieb die Erscheinung ört¬ 
licher Lähmung, und er konnte sich keines anderen Beispiels erinnern, 
wo dieser Zufall mit einem Trismus verbunden war. 


2. Ueber die Erregbarkeit der Grosshimrinde neugeborener 

Thiere. 

Von Professor W. v. Beohterew in St. Petersburg. 

Die Frage nach der Erregbarkeit der motorischen Centra neogeborener 
Geschöpfe hat durch die Untersuchungen von Soltmann 1 wissenschaftliche 


1 Jahrb. f. Kinde rheilk. Bd. IX. 1876. 

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Bedeutung erlangt Er zeigte, dass jene Centraltheile bei neugeborenen Welpen 
anfänglich gänzlich unerregbar erscheinen. Erst vom 10. Tage gelingt es 
durch Beizung der Binde Bewegungen in der Vorderextremität auszulösen; am 

15. Tage beginnen solche in den distalen Gliedmaassen aufzutreten, und am 

16. Tage treten die Centra der Gesichts- und Extremitätenmuskulatur bereits 
in volle Action. An Neugeborenen anderer Thierspecies (Kaninchen und 
Katze) sind späterhin von .Tabohanopp 1 und mir 8 bestätigende Befunde ge¬ 
wonnen worden. Der Erstgenannte erweiterte die SoLTMANN’schen Darstellungen 
in dem Sinne, dass jenen Thieren, die mit unentwickelten Bewegungscentren 
zur Welt kommen, andere gegenüberstehen (z. B. Meerschweinchen), deren 
motorische Rindenzone schon zur Zeit der Geburt gut ausgebildet erscheint 
Die fragliche motorische Reizlosigkeit Neugeborener hänge ferner nicht, wie 
SoLTMAXN glaubte, mit Unreifezuständen der Sinnesorgane, insbesondere der 
Gesichtsfunction, zusammen, sondern finde ihre Erklärung in mangelhafter Ent¬ 
wickelung der Pyramidenbahn und der Pyramidenzellen der Rinde. Meinen 
Ermittelungen zu Folge bestehen bezüglich des Auftretens der Bewegungscentra 
beim Hunde recht erhebliche Variationen. In manchen Fällen ist schon am 
10. Tage motorische Erregbarkeit nachweisbar, in anderen wird solche am 
12.—14., ja am 15. Tage nach der Geburt noch vermisst Die mangelhafte 
Irritabilität kann hierbei unmöglich direct auf das Conto des Gesichtssinns ge¬ 
setzt werden, denn es findet sich keinerlei Correlation zwischen dem ersten 
Augenaufschlage und der Entwickelungsstufe der psychomotorischen Centra. 
Während ferner das ausgewachsene Thierhirn zahlreiche, für die Thätigkeit be¬ 
stimmter Muskelgruppen streng differenzirte motorische Centra aufweist, finde 
ich bei neugeborenen Hunden anfänglich eine beschränkte Anzahl solcher er¬ 
regbarer Centra, deren Reizung zudem nicht von Contractionen einer einzigen 
Moskelgruppe, sondern von Zuckungen der ganzen hinzugehörigen Gliedmasse 
beantwortet wird. Sehr allmählich stellt sich im Laufe der Zeit eine strengere 
Differenzinmg in Anpassung an bestimmte Einzelbewegungen ein. Clonische 
Zuckungen, dieses so charakteristische Reizungsphänomen der erwachsenen Rinde, 
können bei Neugeborenen bis zu einem bestimmten Alter nicht erzielt werden; 
statt dessen sieht man langsame einmalige Gliedmaassencontractionen. Beachtens- 
werth erschien mir ferner das successive Anwachsen der Erregbarkeit der Be¬ 
wegungscentra vom Augenblicke ihres ersten Auftretens; in auffallender Weise 
machte sich eine starke Abmagerung (bezw. Ermüdung) der Centra, besonders 
der jüngeren Versuchstiere, geltend. Epileptiforme Anfälle waren bis zu einer 
gewissen Zeit nicht hervorrufbar. 

Die oben erwähnten Versuche Soltmann’s sind von Paneth 1 * 3 , Mabcacci 4 
und Lemoine 6 nachgeprüft worden. Die Beobachtungen dieser Autoren deuten 


1 Die psychomotorischen Centra neugeborener Thiere nnd ihre Entwickelung. 1879. 
Petersburg. Vergl. Arch. Slaves de Biologie. 1886. 

* Wratsch. 1886. Nr. 84 (rassisch). 

* Arch. f. d. ges. Physiol. Bd. XXXVII. S. 208. 

4 Qiorna B. Acad. di Torino. 1882. 4 Thäse de Paris. 1880. 


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auf eine in der Mehrzahl der Fälle relativ frühzeitige Entfaltung der motorischen 
Rindenerregbarkeit beim Hunde. Ja Lemoine fand bei zwei neugeborenen 
Hunden und ebenso vielen Kätzchen die Rinde wie bei erwachsenen Geschöpfen 
erregbar. 

Im Hinblicke auf diese Differenzen hat Herr Dr. Baby auf meinen Vor¬ 
schlag es unternommen, die Entwickelung der motorischen Rindencentra bä 
neugeborenen Thieren einer systematischen Untersuchung zu unterziehen. 
Zahlreiche Experimente, insbesondere an Hunden und Katzen, sind von dem 
Genannten zu diesem Zweck angestellt worden. Bei jungen Hunden bis zum 
20. Tage ergab Reizung der Rinde ein positives Resultat in 25 von 38 Fällen. 
18 Mal, also etwa in Vs der Fälle, war das Ergebniss ein negatives, dooh han¬ 
delte es äch hier ausnahmslos um junge Thiere unter 9 Tagen. Für das Aus¬ 
bleiben des Reizungserfolges waren nach Anächt des Autors der Versuche in 
gewissen Fällen Hirnbruch, Blutungen und Abkühlung der Hirnoberfläche ver¬ 
antwortlich zu machen, immerhin aber bleiben 4 Fälle übrig, wo mit Rücksicht 
anf den Verlauf der mit aller Vorächt ausgeführten Experimente eine derartige 
Erklärung nicht anwendbar erschien. Was die Fälle mit poätivem Ergebnisse 
betrifft, so änd deutliche Gliedmaassencontractionen einige Mal bei Hunden 
schon am ersten Lebenstage erzielt worden. Eine Reihe dieser Versuche, das 
möchte ich noch bemerken, geschah unter meiner unmittelbaren Leitung. Ver¬ 
gleiche ich die so gewonnenen Ergebnisse mit meinen früheren bezüglichen 
Ermittelungen, so erweist äch die corticale Reizbarkeit neugeborener Geschöpfe 
in Abhängigkeit von sehr manigfacben, zum Theil sogar zufälligen Factoren, 
unter welchen neben verschiedenen Reifegraden der Versuohsthiere höchstwahr¬ 
scheinlich auch individuelle Schwankungen im Spiele änd. 

So erklären äch denn die differirenden Angaben der Autoren bezüglich der 
Zeit des Auftretens der corticalen Erregbarkeit neugeborener Thiere in be¬ 
friedigender Weise durch die Inconstanz dieser Verhältnisse innerhalb einer und 
der nämlichen Thierspecies. 

Der langsame, schleppende Charakter der Contractionen trat auch in den 
Versuchen Baby’s hervor. Es erwies sich aber gleichzeitig die Latenzperiode 
der corticalen Muskelreizung bei neugeborenen Versuohsthieren von wesentlich 
längerer Dauer, als bei erwachsenen Thieren. Die Differenz zwischen jener 
Latenzperiode und der Muskelzuokung bei subcorticaler Reizung ist bäm Neu¬ 
geborenen verschwindend klein. 

Die unentwickelte marklose Pyramidenbahn erscheint also, wie die dar¬ 
gelegten Befunde erkennen lassen, nicht völlig unerregbar. Wohl aber geht ihr 
die Fähigkät ab, isolirte Reize bestimmten Muskeln und Muskelgruppen zu¬ 
zuführen. Diese Fähigkeit wird ihr im Verlaufe der späteren Entwickelung 
seit der Aufnahme der Markscheiden zu Theil. 


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[Aus dem Laboratorium der Irreuanstalt Herzberge der Stadt Berlin zu Lichten¬ 
berg (Geheimrath Moeli).] 

3. Beitrag zur Pathologie der Spinalganglienzelle. 

Von Dr. Otto Juliusburger und Dr. Ernst Meyer, 

Assistenzärzten. 

Die interessante und sehr bemerkenswerthe Arbeit Sohaffeb’s 1 : „Das Ver¬ 
halten der Spinalganglienzellen bei Tabes auf Grund Nissl’s Färbung“ giebt 
uns Veranlassung zur folgenden vorläufigen Mittheilung. 

Auch wir wollen, wie Schaffeb, von v. Lenhossäk’s 2 vorzüglicher und 
wohl für alle zukünftigen Untersuchungen Richtung gebender Beschreibung der 
normalen Structur der Spinalganglienzelle ausgehen; hierbei werden wir uns 
darauf beschränken, die bedeutsamen Thatsachen in möglichster Kürze zu 
reproduciren. 

Voran schicken wir die Methoden, die von uns angewendet wurden. Zur 
Härtung benutzten wir zum Theil 95 °/ 0 Alkohol und naohherige Celloidin- 
einbettung; Schnitte von derartigen Blöcken wurden mit Methylenblau- (Nissl 3 ) 
oder Jodgrün + bas. Fuchsin 4 gefärbt Sehr schöne Bilder erhielten wir mittelst 
Härtung in MüLLEB-Formol und nachheriger Färbung mit Thionin, Neutralroth 
oder Hämalaun. 6 

Wir gehen in unserer Besprechung zunächst von den Befunden aus, die 
wir an den Spinalganglienzellen der Lendenregion eines 18jähr. Idioten fanden, 
der während eines seit mehreren Tagen bestehenden fieberlosen Erregungs¬ 
zustandes plötzlich starb. 

Die 4 Stunden post mortem vorgenommene Section ergab ausser einem 
starken Oedem der Lungen keine bemerkenswerthe Veränderung der Organe. 

Die Spinalganglienzellen sind von einer bindegewebigen Kapsel umgeben, 
auf deren Innenfläche wir ein einschichtiges Endothel sitzen sahen. Diese 
Kapsel steht mit dem fibrillären Bindegewebe des Ganglions in unmittelbarem 
Zusammenhänge; auch wir müssen betonen, dass wir das Letztere an den Prä¬ 
paraten von unserem jugendlichen Idioten sehr reichlich entwickelt und durch 
einen deutlich hervortretenden Kernreichthum ausgezeichnet fanden. Hervor¬ 
gehoben sei das Vorhandensein zahlreicher Zellen, die wir als Mastzellen 6 an¬ 
sprechen; wir glauben in der Lage zu sein, zwei Gruppen derartiger Zellen 


1 Neurologisches Centralbl. 1898. Nr. 1. 

1 Archiv f. Psychiatrie. Bd. XXIX. S. 845. 

* Nissl : Methylenblau B. pat. 0,375 + Veuet. Seife 0,175 -f- Aq. dest. 100. 

4 Fuchsin bas. 0,6 + Jodgrün 0,2 + Aq. dest 100. Färbung 5—10 Minuten, Entfärbung 
in 95 */ # oder absolutem Alkohol. 

* Neurolog. Centralbl. 1897. S. 259. 

* vergl. Rosbhhmk, Archiv f. Psychiatrie. Bd. XVII. S. 820. 

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Unterscheiden zu können, die sich den von uns angewendeten Farben gegenüber 
tinctoriell zweifellos verschieden verhalten und auch wohl Differenzen in rein 
morphologischer Hinsicht zeigen, wenngleich wir geneigt sind, in der Farben- 
reaction das charakteristische Merkmal einer jeden Groppe zu erblicken. 

Die einen Zellen (A), deren Protoplasma wie auseinandergesprengt erscheint, 
zeigen .sehr grobkörnige, durchaus unregelmässig angeordnete Einlagerungen, die 
auf Präparaten gehärtet in 95 °/ 0 Alkohol und gefärbt mit Jodgrün + bas. 
Fuchsin leuchtend roth erscheinen; ihr mehr oder weniger rundlicher Kern zeigt 
feine blaugrün tingirte Körnchen. 

Die andere Gruppe von Zellen (B), deren Protoplasma sich schärfer ab¬ 
grenzt und mehr zusammenhängend darstellt, enthält ungleich feinere und 
sehr dicht gedrängt gelagerte Körnchen, die sich mit dem erwähnten Farb- 
gemische deutlich violett färben. Ihr Kern liess uns keinen nennenswerthen 
Unterschied gegenüber demjenigen in den ersterwähnten Zellen auffinden. — 
Auf Präparaten gehärtet in MüLLES-Formol, gefärbt mit Thionin erschienen die 
Granulationen in den Zellen der Gruppe A, die übrigens an Zahl überwogen, 
roth mit einem Stich in’s Violett, die Körnchen in den Zellen der Gruppe B 
blau gefärbt; nach Färbung mit Neutralroth waren jene mehr ockerfarbig, diese 
leuchtend roth tingirt. 

, Das Protoplasma der Zellen war stets in beiden Gruppen ungefärbt, die 
Grösse der Zellen wechselte. Wir möchten hierbei bemerken, dass wir im 
Bindegewebe der peripheren Nerven, in den extramedullären vorderen und 
hinteren Wurzelbündeln, in der Gehirnrinde, hier in unmittelbarer Nähe der 
Gefässe und im Gegensatz zu den erstgenannten Orten in sehr spärlicher 
Zahl, vorwiegend Zellen der Gruppe A bisher finden konnten. — Was die 
Spinalganglienzellen selbst anlangt, so möchten wir mit v. LenhossEk ihre 
Gestalt als rundlich bezeichnen, wenngleich auch wir gelegentlich mehr läng¬ 
liche und auch etwas eckige Formen sahen. Zwischen dem Leibe der Ganglien¬ 
zelle und der Endothelschicht ihrer bindegewebigen Kapsel liegt kein präformirter 
Spaltraum, die Zelle liegt in der That normalerweise dem Endothel unmittel¬ 
bar an. Die schwache Vergrösserung zeigt uns ein sehr buntes Bild, insofern 
der Unterschied in der Grösse und dem Färbungsgrad der Zellen sofort in die 
Augen springt. Der von v. LekhossEk gegebenen Aufstellung der wenigstens in 
ihren Extremen besonders scharf ausgesprochenen Zelltypen schliessen wir uns im 
Wesentlichen an; auch acceptiren wir die Znrückführung der verschiedensten 
Nüancirungen der inneren Beschaffenheit der Zellen bei wesentlich gleichem 
Bauprincipe auf die Verschiedenheiten in der Menge, Grösse und Anordnung 
der „Tigroidkömer und Schollen“, sowie auf die verschiedene Beschaffenheit der 
Grundsubstanz. 1 Mülles -Formolpräparate mit Thionin gefärbt, Hessen die 
Zellengrundsubstanz bald so gut wie ungefärbt, bald ganz matt wasserblau, 
gelegentlich hellgrünlioh, hier zartviolett, dort stärker violett erscheinen. Die 
grossen hellen, in der That selten grobscholligen Zellen mit ihrer charakteri- 

* cf. v. Lbnhosb&k, Archiv für Psychiatrie. Bd. XXIX. ä. 362. 

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stischen „hörnerfreien Substanzlage“ an der Peripherie sahen wir vorzugsweise 
am Bande des Ganglions reihenweise liegen. Unter den kleinen Zellen fanden 
wir jene Individuen, die bei schwacher Vergrösserung durch besonders dunkle 
Färbung hervortraten; die Betrachtung mit starker Vergrösserung lehrte, dass 
hier das Grundplasma stark gefärbt war und einen besonderen Reichthum dicht 
gelagerter, mehr oder weniger grober Schollen aufwies. Besonders deutlich traten 
alle diese Unterschiede an Präparaten hervor, die in Müller- Formol gehärtet 
und mit Hämalaun gefärbt waren. Die körnerfreie Bandschicht, wie das Pol¬ 
feld, das an Müller- Formolpräparaten uns durch seine Helligkeit auf fiel und 
niemals gefärbt oder von Schollen durchsetzt war, schien uns, mit Immersion 
betrachtet, eine äusserst feinschaumige Structur zu besitzen. 

Die perinucleäre Zone, die allerdings nicht immer deutlich hervortrat, zeigte 
im Wesentlichen eine gleiche Färbung wie das übrige Grundplasma; hin und 
wieder sahen wir in ihr feine Körnchen. Nicht selten fanden sich unmittelbar 
um den Kern eine Schicht dicht gelagerter mehr oder weniger grober „Schollen“. 
Die Körnelungen im Kern traten sehr schön und deutlich an Präparaten hervor, 
die in MüLLBB-Formol gehärtet und mit Hämalaun gefärbt waren. Wenden 
wir uns endlich der Besprechung jener Gebilde zu, die Nibsl als „Bruchstücke 
des färbbaren, d. h. sichtbar geformten Theiles des Nervenzellenkörpers“ be¬ 
schrieben und für die v. Lenhosbük die Bezeichnung „Tigroid“ vorgeschlagen 
hat, da nach ihm diese Schollen und Körner dem Zellkörper oft ein scheckiges 
tigerfellähnliches Aussehen verleihen. 

Die Bezeichnung Granula verwirft v. Lenhossäk, weil diese wieder aus kleinen 
Granulis zusammengesetzt erscheinen. Nun giebt v. Lekhoss&k aber selbst an, 
dass nur in einer Anzahl von Fällen hier der Zellkörper recht eigentlich scheckig 
erscheint, in der Begel ein mehr oder weniger granulirtes Aussehen darbietet 

Dieser Bemerkung können wir nur hinzufügen, dass nach unserer Auffassung 
die Spinalganglienzellen beim Menschen nie scheckig, sondern stets granulirt er¬ 
scheinen; wir geben gern zu, dass das Aussehen der Vorderhornzellen, der Zellen 
in den motorischen Kernen, in den grossen Pyramidenzellen in den Central¬ 
windungen hin und wieder an die Zeichnung eines Tigerfells erinnert So bereiit- 
willig wir auch einräumen, dass eine wirklich gute, knapp und präcis gefasste 
Bezeichnung für die fraglichen Gebilde bislang fehlt, können wir doch nicht 
umhin, auch die Bezeichnung „Tigroid“ nicht als wirklich ein wandsfrei zu be¬ 
zeichnen, da eben, wenigstens nach unserer Auffassung, die grosse Gruppe der 
Spinalganglienzellen kein scheckiges, tigerfellähnliches Aussehen darbietet 

Wir haben uns an anderer Stelle bei der Schilderung der fraglichen Ge¬ 
bilde in den Vorderhornzellen und den grossen Pyramidenzellen der Central¬ 
windungen dahin ausgesprochen, dass sie nur Körnchenaggregate darstellen, die 
wir in Ermangelung eines besseren Namen kurzweg „Granula“ nennen wollen; 
wir können keinen sonderlich logischen Widerspruch darin sehen, dass wir von 
Granula sprechen, die erst bei sehr starken Vergröeserungen als Aggregate mehr 
oder weniger feiner Körnchen erscheinen. Was nun die Spinalganglienzellen 
anlangt, so können wir hier nur von Körnohen und Körnchenaggregaten sprechen, 

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die — ganz wie das v. Lenhossäk für seine Tigroidschollen angiebt — eine 
„vollkommene Ungezwungenheit der Lagerung 4 * erkennen lassen. Eine wirklich 
concentrische Anordnung oder eine Zusammenfügung zu einem Netzwerk sahen 
wir nicht Wie v. Lenhobsäk, so konnten auch wir jene sternförmigen Schollen, 
wie sie Nissl 1 abbildet, nicht auffinden. Nach y. Lekhoss^k sind „die Schollen 
und namentlich die grösseren unverkennbar zusammengesetzte Bildungen; mit 
starken Immersionen betrachtet, erkennt man an ihnen einen Aufbau einerseits 
aus kleinen Granulis, andererseits aus einer diffusen, sich mit Toluidinblau etwas 
schwächer färbenden Zwischensubstanz.“ An den mit unseren oben angegebenen 
Methoden dargestellten Präparaten waren wir nicht in der Lage, in den 
Eörnchenaggregaten die Substanz zwischen den feinen Körnchen tinctoriell 
oder morphologisch von der übrigen Grundsubstanz der Zelle zu trennen. 1 Der 
Randschollenkranz v. Lknhoss&k’s setzt sich aus verschieden grossen Kömehen¬ 
aggregaten zusammen, die untereinander nicht Zusammenhängen und bei schwacher 
Vergrö8serung ein wechselndes Aussehen zeigen. Die von y. Lhnhobb&k grob¬ 
schollig genannten Zellen lassen in ihrem ganzen Leibe solche Kömehenaggregate 
in regelloser Anordnung erkennen. Wir betonen in üebereinstimmung mit 
Schaffer namentlich unter dem Hinweis auf die Beurtheilung etwaiger patho¬ 
logischer Verhältnisse, dass in der Spinalganglienzelle beim Menschen, wie dies 
der Schilderung y. Lenhobbük’s schon zu entnehmen ist, die einzelnen, diffus 
angeordneten Körnchen ein normaler Befund sind, im Gegensatz zu dem 
Verhalten der Vorderhorazellen, der Zellen der motorischen Hiranervenkeme, 
der grossen Pyramidenzellen in den Central Windungen, wo ein derartiger Be¬ 
fund, falls er in sehr ausgesprochenem Grade vorhanden ist, schon als 
pathologisch angesehen werden muss; freilich bleibt es dann auch in der Regel 
nicht bloss bei einer diffusen Anordnung der Körnchen statt ihrer normalen 
Gruppirung zu Körnchenaggregaten, sondern es kommt dann auch zu einem 
mehr oder weniger deutlichen Schwunde der Körnchen. — Wenn wir uns 
nun zur Besprechung des Verhaltens der Spinalganglienzellen bei Tabes wenden, 
so beziehen wir uns hierbei auf die Untersuchungsresultate der Spinalganglien¬ 
zellen aus der Lendenregion zweier klinisch und anatomisch ausgesprochener 
und vorgeschrittener Fälle. 

Wir können uns hier ganz kurz fassen, insofern wir, was die anatomischen 
Befunde anlangt, im Wesentlichen zu den gleichen Resultaten wie Schaffer 
gelangt sind. Die chromatische Substanz, wie sie Sohaffeb nennt, oder um 
mit y. Lenhossük zu sprechen, die Tigroidsubstanz, nach unserer obigen Darlegung 
jene Körnchen und Kömehenaggregate, zeigten in den Präparaten von unseren 
beiden Tabesfallen keinerlei Abweichungen vom Verhalten in normalen 
Spinalganglienzellen, wie wir dies der Schilderung y. Lenhobsäk’s entnehmen; 
auch konnten wir keinen Unterschied sehen gegenüber den Präparaten von dem 
jugendlichen Idioten, der klinisch keine Spinalsymptome dargeboten hatte und 

1 Neorolog. Centralbl. 1894. S. 681. 

* Dieselbe Ansicht haben wir auch von der Zusammensetzung der Granula (Körnchen¬ 
aggregate) der Vorderhornzellen. 

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dessen Hinterstränge anatomisch normal waren. Auch hinsichtlich des Kerns 
und Kemkörperchens konnten wir keine pathologische Veränderung constatiren. 
Dagegen glauben wir, den Eindruck gewonnen zu haben, dass die Zahl der Zellen 
eine Einbusse erfahren hatte, dass namentlich die mehr kleinen und dunkleren 
Zellen gegenüber den grossen und hellen Zellen in den Vordergrund traten; 
auch sahen wir eine grössere Zahl eckiger Zellen, als dies wohl der Norm ent¬ 
spricht. Eine nennenswerthe Vermehrung des interstitiellen Gewebes konnten 
wir nicht feststellen, ebensowenig eine Vermehrung der Mastzellen. 1 Aber selbst 
wenn weitere Untersuchungen eine derartige, sich immerhin in engen Grenzen 
haltende Zahlverringernng und Formveränderung der Zellen als ganz gesicherte 
Thatsache hinstellten, müsste man zugeben, dass wir es mit einem geringfügigen 
anatomischen Befunde gegenüber der anatomisch so stark ausgesprochenen 
Hinterstrangserkrankung zu thun haben. Soweit befänden wir uns jedenfalls 
im Wesentlichen in Uebereinstimmung mit Sghaffeb’s anatomischen Befunden; 
mit den Schlüssen jedoch, die dieser Autor hieraus gezogen, können wir uns 
nicht befreunden. Sghaffbb sagt: „Die Auflösung der chromatischen Substanz 
ist ein anatomischer Index der gestörten Zellvitalität. Von diesem Standpunkte 
ans müssen wir den Mangel von Veränderungen der chromatischen Substanz 
in den Spinalganglienzellen als einen Beweis dafür betrachten, dass die initiale 
Läsion der Tabes ausserhalb der Spinalganglien sich befindet 

Hierfür spricht auch schon der Umstand, dass der periphere Neuritast des 
Axencylinders unverändert ist; würde die Spinalganglienzelle der Sitz der 
initialen Läsion sein, so müsste nicht nur ihr centraler Neuritast, d. h. die 
hintere Wurzel, sondern auch ihr peripherer Ast, d. h. der periphere sensible 
Nerv, degeneriren, da doch die trophisohe Rolle des Spinalganglions wohl zweifel¬ 
los ist u. 8. w. — Mit der Localisation der primären tabischen Läsion in den 
hinteren Wurzeln, wobei der periphere Ast der Spinalganglienzellen intact bleibt, 
stimmt aufs Beste die Experimentaluntersuchung von Lugabo, laut welcher die 
Spinalganglienzellen bei Durchtrennung des peripheren Astes eine tiefgehende 
Veränderung erfahren, hingegen normal bleiben, falls das Messer den centralen 
Ast traf.“ So weit Schaffeh. 

Die Behauptung Lugabo’s, dass die Spinalganglienzellen normal erschienen, 
wenn ihr centraler Nervenast durchschnitten war, widerspricht den Befunden 
am peripheren motorischen Neuron. Nach den experimentellen Untersuchungen 
beim Thiere und den pathologisch-anatomischen beim Menschen kann es wohl 
nunmehr als eine völlig gesicherte Thatsache gelten, dass nach einer primären 
Schädigung eines peripheren Nerven secundär Veränderungen an den ent¬ 
sprechenden Ursprungszellen wahrgenommen werden, gleichgültig, welche Theorie 
man für ihr Zustandekommen annehmen will, gleichgültig auch hinsichtlich einer 
etwaigen Restitutio ad integrum der Zellen. Wir glauben gegen Lugabo nicht 
unbescheiden zu sein, wenn wir weitere Experimentaluntersuchungen für wünschens- 
werth erachten und abwarten wollen, ob die Behauptung dieses Autors, dass die 


1 eL Offbkhvk a. Sibmbbling, Wollbhbbbg, Goldsohbidbb, Stbobbb. 


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Spinalganglieuzellen nach einer acuten, experimentellen Verletzung ihres centralen 
Nerrenastes normal bleiben, wirklich vor jedem Zweifel gesichert dastehe; erst 
dann kann es an der Zeit sein, diese Ergebnisse in die Discussion einzuführen 
und weitere Schlüsse an sie zu knüpfen. Was den peripheren sensiblen Nerv 
anlangt, so glauben wir doch, dass schon bemerkenswerthe Untersuchungen vor¬ 
handen sind, welche über Veränderungen in den grösseren peripheren Nerven- 
stämmen und in den feineren sensiblen Nervenverzweigungen berichten. 1 

Wenden wir uns nun zu dem — wie uns scheinen will — Haupteinwand 
Sohaffeb’s gegen die Theorie, dass die Erkrankung des Hinterstranges bei der 
Tabes von einer Läsion der Spinalganglienzellen abhängig sei. Nach Schaffes 
ist diese Theorie unvereinbar mit dem Mangel von Veränderungen der chroma¬ 
tischen Substanz in den Spinalganglienzellen, denn „die Auflösung der chroma¬ 
tischen Substanz ist ein anatomischer Index der gestörten Zellvitalität.“ Wir 
können nur betonen, dass wir den anatomischen Befund Schaffeb’s in unseren 
zwei Fällen von Tabes bestätigen können; zwingt aber derselbe zu den Schluss¬ 
folgerungen dieses Autors? Wir glauben diese Frage verneinen zu müssen. In 
der Alteration der Granula — Schaffbb’s chromatischer Substanz — glauben 
wir, wie wir an anderer Stelle auseinander gesetzt haben, eine bereits anatomisch 
sichtbar gewordene Beaction der Zelle auf die durch die Krankheit, d. h. be¬ 
sondere Reiz Vorgänge, abgeänderten Lebensbedingungen sehen zu können, inso¬ 
fern hierdurch in mehr oder weniger acuter Weise der ganze innere Betrieb und 
das Gleichgewicht der Zelle gestört wird. 3 Die Restitution der Granula ist für 
uns ein anatomisches Kriterium, dass die Anpassung der Lebensvorgänge in der 
Zelle an die äusseren Einflüsse stattgefunden hat. Dies wird dann eintreten, 
wenn die abnormen Reizvorgänge abgeklungen sind und die Zelle jenen Reiz¬ 
einflüssen, auf die sie vordem eingestellt war, wieder unterworfen ist, oder falls 
in der Zelle Elemente hervortreten, die bei dauernder Einwirkung abnormer 
Reize diesen adäquat sind. Die Alteration der Granula ist uns ein anatomischer 
Ausdruck einer mehr oder weniger acut entstandenen intracellulären Gleich¬ 
gewichtsstörung, die an sich uns noch nicht ohne Weiteres zu Schlüssen be¬ 
rechtigt auf die Art oder den Grad einer Störung der, sagen wir der Kürze 
halber, specifischen Function der Zelle; so glauben wir z. B. eine Veränderung 
der Granula in den Vorderhornzellen nicht in einfache, directe Beziehung zu 
der Art oder dem Grade einer etwa vorhandenen Motilitätsstörung bringen zu 
können. Kehren wir zu unseren Spinalganglienzellen zurück und machen wir 
die vielleicht nicht unberechtigte Annahme, dass auch fernere Untersuchungen 
keine Veränderung der Körnchen und Körnchenaggregate in den Zellen darthun 
werden. Man könnte vielleicht geneigt sein, besondere Hoffnungen auf die 
Untersuchungen von Fällen zu setzen, die im allerersten Beginn der Hinter¬ 
strangserkrankung starben; jedoch ist zu bedenken, dass es sich hier schon nicht 
mehr -um Frühfälle sensu strictiori handelt. 

> Stbümpbll, Krankheiten des Nervensystems. 1892. Leipzig. S. 220. 

* cf. 0. Rosenbach, Grandlagen. Aufgaben and Grenzen der Therapie. 8.132. 1891. 
und: Die Krankheiten des Herzens und ihre Behandlung. 1897. S. 648. Wien u. Leipzig. 


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Ist es erat zu anatomisch sichtbaren Veränderungen in den Strängen ge¬ 
kommen, dann können wir wohl sicher annehmen, dass schon abnorme Vor¬ 
gänge vorausgegangen sind, deren erst anatomisch sichtbar gewordener Ausdruck 
eben jene Veränderungen sind. Schaffer selbst berichtet über einen derartigen 
Fall und sagt, es fiel ihm auf, dass die chromatische Substanz sich hier inten¬ 
siver, gesättigter färbte, während die Spinalganglienzellen von absoluter Tabes 
blässer tingirt erschienen. Wir glauben aber, dass auch Schaffer hierin keine 
wesentliche Differenz sieht 

Versuchen wir nunmehr in Kürze eine Erklärung für den Mangel an Ver¬ 
änderungen der Körnchen und Körnchenaggregate in den Spinalganglienzellen 
zu geben, zunächst unter der erbetenen Voraussetzung, dass eine primäre Läsion 
in den Zellen secundär die Erkrankung der Hinterstränge auslöst Gleichgültig, 
welche Vorstellung man auch über die eigentliche Ursache des tabischen Pro- 
cesses hegen mag, so wird man das Eine wohl zugestehen können, dass die 
Zellen bei ihm nicht mit einem Schlage abnormen Reizvorgängen unterworfen 
werden, dass die gewohnten Lebensreize, auf die die Zellen bislang abgestimmt 
waren, erat allmählich ihre Herrschaft abtreten, so dass den Zellen Zeit gelassen 
sein wird, den abgeänderten Lebensbedingungen sich etwa änzupassen. Wir 
stellen uns nun vor, dass die Function der Spinalganglienzellen darin besteht, 
den von der Peripherie zu ihr gelangenden Reiz in einer für die Hinterstränge 
nöthigen Weise zu metamorphosiren 1 ; diese Thätigkeit der Zelle ist den normalen 
Reizvorgängen adäquat Wir vermuthen nun, dass, sobald letztere von abnormen 
Reizeinflüssen abgelöst werden, unter der Herrschaft dieser jene Transformations¬ 
fähigkeit der Zelle dahin abgeändert wird, dass statt der normalen Metamorphose 
des von der Peripherie zur Zelle gelangenden Reizes eine abnorme zu Stande 
kommt, welche auf die Hinterstränge schädigend ein wirkt. Da dieser Umwande- 
lungsprocess der cellularen Thätigkeit sich nicht mit einem Schlage vollzieht, 
sondern sich als Product einer allmählichen Anpassung an die abgeänderten 
Lebensbedingungen daratellt, finden wir keine Alteration der Körnchen und 
Körnchenaggregate, in der wir nur einen anatomischen Ausdruck einer mehr 
oder weniger acuten Reaction der Zelle hezw. den Mangel einer Anpassung 
erblicken. Eine wesentliche Veränderung der specifisch functionirenden Grund¬ 
substanz können wir mit den hier angewendeten Methoden nicht nachweisen. 
Sollte die Formveränderung und Verkleinerung der Spinalganglienzelle als eine 
constante und sehr wesentliche Veränderung anerkannt werden, so könnte diese 
Tbatsache unserer Auffassung nicht widerstreiten. Die Anpassung der Zelle an 
ihre abgeänderten Le^tensbedingungen können wir auffassen als einen Kampf 
der Theile, in welchem gewisse Elemente der Zelle zu Grunde gehen, während 
andere überleben und weiter gedeihen. 1 — Mit dieser in Kürze dargebotenen 
Theorie wollten wir nur den Versuch machen, den Mangel an Veränderungen 

1 ef. W. Boox, Der Kampf der Theile im Organismus. 1881. Leipzig. S. 175. — 
s. auch Hösel, Association nnd Localisation. Allg. Zeitsohr. f. Psychiatrie. 1897. Bd. LIV. 
8. 326. 

' W. Boox, L c. 

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der Körnchen und Körnchenaggregate zu erklären, und darauf hin weisen, dass 
wir durch diesen negativen Befund nicht gezwungen sind, sofort die Vorstellung 
aufzugeben, dass die Erkrankung der Hinterstränge von einer primären Störung 
der Spinalganglienzelle abhängt Natürlich haben wir auch nicht den Beweis 
erbracht, dass eine solche primäre Zellläsion vorliegen muss, wir glaubten eben 
nur die Möglichkeit ihres Vorhandenseins im Hinblick auf den negativen anato¬ 
mischen Befund nicht bestreiten zu können. 

Es sei uns gestattet, im Anschluss hieran in Kürze über einen Fall zu 
berichten, den wir in der Anstalt klinisch beobachten und hernach anatomisch 
untersuchen konnten. Ein 49jähriger Paralytiker zeigte etwa 7 Wochen vor 
seinem Tode im Anschluss an vorwiegend linksseitige paralytische Anfidle eine 
bleibende Hemiparesis sinistra. Für die anatomische Unterlage derselben sprachen 
wir einen Befund an, den wir den von Bödekbb und Juliusbubobb 1 be¬ 
schriebenen Veränderungen in ähnlichen Fällen von Dementia paralytica an die 
Seite setzten. In dem vorliegenden Falle fanden wir eine Hinterstrangserkrankung, 
die den Charakter der Tabes trug. Sie zeigte zwei anatomische Ausdruoks- 
formen, einmal einen älteren Process, gekennzeichnet duroh Atrophie bezw. 
Schwund von Fasern und Zwischengewebsvermehrung, zweitens duroh einen 
jüngeren Process, der mittelst der Mancm-Methode in deutlichster Weise hervor¬ 
trat. Wir halten uns nun für vollständig berechtigt, die Hemiparese anzusehen 
als bedingt von einer primären Störung der Pyramidenzellen in den Central¬ 
windungen. Diese Thatsache könnte dem Gedanken Raum geben, auch die 
Hinterstrangserkrankung auf eine primäre Störung der Spinalganglienzellen 
zurückzuführen. Lehnt man diesen Gedanken ab, so ist man gezwungen, den 
Angriffsort der Erkrankung des Seitenstranges und der Hinterstränge nicht an 
einer gewissermaassen correspondirenden Stelle, nämlioh den jeweiligen Ursprungs¬ 
zellen der Fasern, zu suchen, sondern beide Processe principiell zu trennen; 
acceptiren wir aber jenen Gedanken, so haben wir wenigstens den einen Vor¬ 
theil, beide Processe, wenngleich wir ihren eigentlichen Auslösungsvorgang nicht 
kennen, gleiohsam auf eine gemeinsame Grösse zurüokführen zu können, insofern 
wir sie von einer primären Zellstörung abhängig machen, mag deren 
Charakter auch ein verschiedener sein. 

Weitere Beobachtungen und anatomische Befunde werden zu entscheiden 
haben, ob eine derartige Auffassung zu Recht besteht; wir wollten durch unsere 
Ausführung nur auf ihre Möglichkeit hinweisen. 

Zum Schlüsse erfüllen wir eine angenehme Pflicht, wenn wir unserem 
hochverehrten Chef, Hm. Geheimrath Mobli, für die Ueberlassung des Materiales 
unseren ergebensten Dank auch an dieser Stelle aussprechen. 


1 Neurolog. Centralbl. 1897. S. 774. 


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4. Notiz betreffs des Rindenfeldes der Hinterstrangbahnen. 

Von Dr. med. Armin Tsohermak in Leipzig. 

Nach experimenteller Zerstörung der medullären Hinterstrangkeme bei 
Katzen fand ich 1 den sog. Markscheidenzerfall nach Marchi — abgesehen von 
zahlreichen seitlichen Beziehungen, speciell zur Oliva inferior, zur Formatio 
reticularis, zum Grau der Brücke und des hinteren Paares der Vierhügel — 
nicht bloss bis in die ventrolaterale Abtheilung des Sehhügels (und zwar in das 
ventrale Kemlager des „Thalamusmassivs“, in die „Thalamusschale“ oder Gitter¬ 
schicht, zum Theil auch in das Centre mödian) sich erstrecken, wie dies die 
bisherigen Untersucher, welche denselben Weg eingeschlagen haben (Singer 
und Münzer, Ferrier und Turner, W. Mott), beobachteten. Ich konnte 
vielmehr eine nicht unbeträchtliche Anzahl degenerirter Fasern durch den Seh¬ 
hügel hindurch verfolgen, welche sehr bald nach dem Eintritte zwischen Schale 
und Massiv des Thalamus (in den „Hilus thalami“) wieder austreten, allerdings 
nicht zu einem Bündel geschlossen, sondern ziemlich verstreut. Die am meisten 
ventral gelegenen Fasern ziehen im Bogen durch den Himschenkelfuss und 
geben Collateralen an den Nucleus hypothalamicus (Corpus Luysii) ab. Ein 
verhältnissmässig kleiner Theil der Fasern wendet sich medialwärts und läuft 
am Ventralrande des Pes pedunculi, unmittelbar dem Tractus opticus aufgelagert, 
nach der Gegend des Tuber cinereum: diese Fasern bilden einen Bestandteil 
der Commissura hypothalamica media Meynert’s und gelangen nach dem 
Ueberschreiten der Mittellinie auf dem analogen Wege zwischen Pedunoulus 
und Tractus in den Globus pallidus der anderen Seite, ein Verhalten, welches 
zuerst von Flechsig erkannt wurde. 

Der grössere Theil jener Fasern, welche ventral und ventrolateral aus dem 
Thalamus wieder austreten und den Himschenkelfuss durchziehen, gelangt in 
den Linsenkera derselben Seite, und zwar einerseits durch anfängliches Entlang¬ 
ziehen längs der Basis und späteres Emporbiegen, andererseits durch direotes 
Querüberziehen nach dem Globus pallidus. Die Faserverzweigung dortselbst 
scheint nicht sehr erheblich zu sein, vielmehr verlässt wohl die Mehrzahl der 
Fasern, vorwiegend die Lamina medullaris medialis und lateralis, jedoch auch 
die Marklamelle zwischen Pu tarnen und Inselrinde benützend, den Linsenkern 
wieder und verstreut sich dorsalwärts in den Stabkranz. 

Eine weitere Zahl von sog. directen Fasern bricht lateral aus dem Seh¬ 
hügel durch die Schale hervor in die innere Kapsel und steigt verstreut durch 


1 Die hier veröffentlichten Ergebnisse habe ich bereite vor Jahresfrist in einem Vor¬ 
trage in der Leipziger Biologischen Gesellschaft mitgetheilt. — Eine ausführliche Arbeit: 
„üeber den eentralen Verlauf der aufsteigenden Hinterstrangbahnen und deren Beziehungen 
zu den Bahnen im Vordereettenstrang“ werde ich nächstens im Arch. f. Anat. von W. His 
publiciren. 

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deren Fasermasse, besonders längs der Dorsal fläche des Linsenkerns verlaufend, 
in den Stabkranz empor. 

Es besteht also bei der Katze eine nicht unbeträchtliche Zahl sog. directer 
Fasern, welche aus den Zellen der contralateralen Hinterstrangkerne entspringen 
und zar Grosshirnrinde ziehen: es ist also, soweit die Voraussetzung zutrifft, 
dass der sog. Markscheidenzerfall auf das lädirte System innerhalb einer Leitungs¬ 
bahn (wenigstens innerhalb 2—3 Wochen) beschränkt bleibt, bei der Katze 
ein kreuzendes Hinterstrangkern-Grosshirnrindensystem zu er- 
schliessen, welches die Masse des Thalamus und theilweise auch 
des Linsenkerns passirt und wohl mit ihr durch Seitenzweige in 
Beziehung tritt. Es ist aber wohl die erheblich überwiegende 
Mehrzahl der langen Hinterstrangkernfasern, welche im ventralen 
Kernlager des Thalamus definitiv endigt, also ein kreuzendes 
Hinterstrangkern-Thalamussystem darstellt. Heine Aussage hat natür¬ 
lich zunächst nur für die Katze Berechtigung. Jedoch machen mehrere Um? 
stände ein ähnliches Verhalten beim Menschen ziemlich wahrscheinlich. Ich 
glaube demnach die Anschauung, welche Flechsig immer wieder bezüglich des 
menschlichen Gehirns vertreten hat, für die Katze erweisen zu können. 



Besonderes Interesse beansprucht jener Bindenbezirk, innerhalb 
dessen die den Thalamus durchdringenden Fäsern endigen. Es ist 
dies, wie auf der obenstehenden Figur durch Schraffirung angedeutet, in erster 
Linie der Gyrus coronalis (Pars anterior gyri suprasylvii), besonders dessen 
mittleres Höhendrittel und dessen bei der Katze häufige Uebergangswindung 
zur Pars anterior gyri ektosylvii: der letztere Bezirk entspricht gerade der First¬ 
höhe des Putamen. In zweiter Linie kommt die angrenzende Pars an¬ 
terior gyri ektosylvii und das vordere Drittel des Gyrus supra- 
splenius in Betracht Dieses Gebiet lässt sich auch kurz als Region hinter 
der Fissura coronalis bezeichnen, welch letztere bei der Katze häufig von der 
sonst anschliessenden Fissura lateralis (dritten Bogenfurche) abgetrennt ist 

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Welchem Rindengebiete des menschlichen Gehirns entspricht jener Bezirk 
des Katzenhirns? Meynert 1 hat wohl als erster die Fissura coronalis, nicht 
die Fissnra cruciata, der Katzen als Homologon der Fissura centralis des 
Menschen erklärt und den Gyrus coronalis, d. h. das vordere Drittel der dritten 
Bogenwindung (Pars anterior gyri suprasylvii) der hinteren Centralwindung 
gleichgesetzt. Für das Hundehim, welches im wesentlichen denselben Windungs¬ 
typus aufweist, hat Ellenberger 8 allerdings die Fissura cruciata in herkömm¬ 
licher Weise als der menschlichen Centralfurche gleichwerthig bezeichnet, doch 
deutet er gleichfalls die Möglichkeit der Homologie der Fissura coronalis mit 
der Centralfurche an. 9 

Nach Abtragung des Gyrus sigmoides bei der Katze fand Monakow 4 die 
ventrale Kernzone des Thalamus und die Hauptschleife ziemlich intact, hingegen 
nach Entfernung fast des ganzen Gyrus coronalis (einschliesslich der Lateral¬ 
partie des vorderen Drittels vom Gyrus suprasplenius und der Medialhälfte des 
Gyrus suprasylvius, zugleich Durchtrennung des ganzen Frontalmarks) Atrophie 
der vorderen und medialen Region des Ventralkernlagers im Thalamus, sowie 
der Hauptschleife und der contralateralen Hinterstrangkeme. Hält man diesen 
Befund mit meiner Feststellung über das Einstrahlungsgebiet des kreuzenden 
Hinterstrangkem - Grosshirnrindensystems zusammen und berücksichtigt man 
spedell den pathologischen Fall Flechsig - Hösel’s 6 von completem Schwund 
der Hauptschleife nach alter Zerstörung der hinteren Centralwindung, so erscheint 
wohl die zuerst von Meynert geäusserte Ansicht sehr wahrscheinlich. Dem¬ 
nach kann man sagen, dass das von mir bei der Katze nach¬ 
gewiesene directe System in dem Homologon der hinteren Central¬ 
windung des Menschen endigt, dass jenes Thier ein kreuzendes 
Hinterstrangkern-Centralrindensystem besitzt 

Es entsteht nun die Frage, wo das thalamocorticale System einstrahlt, 
welches sich an die Stammfasern des Hinterstrangkem-Thalamussystems und 
wohl auch an Collateralen des Hinterstrangkem-Centralrindensystems anschliesst 

Monakow schliesst aus seinen Versuchen an Katzen, bei welchen er ziemlich 
ausgedehnte Verletzungen der Rinde und des Hemisphärenmarks erzeugt hatte, 
dass hauptsächlich die Zerstörung des Gyrus coronalis (und der angrenzenden 
Theile des Gyrus cruciatus posterior und des Gyrus ectosylvius anterior) zur 
Atrophie des ventralen Kemlagers des Thalamus fuhrt 6 Demnach hätten die 


1 Die Windungen der convexen Oberfläche des Vorderhirns bei Menschen, Affen und 
Baubthieren. Arch. f. Psych. Bd. VII. 1876. S. 257. 

* Arch. f. wiss. u. prakt Thierheilk. Bd. XV. 1889. 

* Anatomie des Hundes. Berlin 1891. Pjrey. S. 494 u. 496. 

4 Correspondenzbl. f. Schweizer Aerzte. 1884. Nr. 6 u. 7. S. auch Neurol. Centralbl. 
1885. 8. 268 und Haubenregion. 1895. S. 67 n. 70. 

* Nenrolog. Centralbl. 1890. S. 417 und Arch. f. Psych. Bd. XXIV. 1891. S. 452. 

* Patbolog.-anatom. und experiment. Untersuchungen Aber die Haubenregion u. s. w. 
Areh. f. Psych. Bd. XXVIL 1895. 8.1 u. 886. Auch separat: Berlin 1895. Hirschwald. 
8.94. Big. 62a. — Eine genauere Aufklärung dieser Beziehung, sowie eine Bestätigung 

11 

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den Sehhügel einfach durchsetzende und die wohl bedeutend faserreichere, im 
Thalamus „unterbrochene“ (umgeschaltete) Hinterstrang-Grosshimbahn bei der 
Katze denselben corticalen Endigungsbezirk, wie dies wohl von vornherein wahr¬ 
scheinlich ist 

Als gemeinsame Hauptendigungsstätte der kreuzenden Hinter- 
strang-Grosshirnbahnen bildet daher der Gyrus coronalis (das vor¬ 
dere Drittel der dritten Bogenwindung) der Katze das Homologon 
der hinteren Centralwindung des Menschen. Ich vertrete damit 
die zuerst von Meynert ausgesprochene, der herrschenden Ansicht 
aber widersprechende Gleichstellung der Fissura coronalis (Pars 
anterior fissurae lateralis) des Katzenhirns (und wohl der Gehirne 
mit Vierwindungstypus überhaupt) mit der RoLANDo’schen Central¬ 
furche des menschlichen Gehirns. 

Aus eben jenem Rindenbezirk entspringen hinwiederum Fasern des Pyramiden¬ 
seitenstrangsystems, geht also zum Theü wenigstens die betreffende cortico- 
musculäre Bahn hervor. Dies ergiebt sich aus den Degenerationsbefunden, 
welche Marchi und Algheri 1 nach Rindenläsionen am Hundehirn erhielten, 
welches dem der Katze durchaus analog gegliedert ist. Die genannten Forscher 
fanden nämlich wohl schon nach Exstirpation des Gyrus sigmoides reichliche 
Schollen im Pyramidenseitenstrangfelde der Gegenseite; das gleiche Resultat 
hatte aber auch die Exstirpation der oberen Hälfte des Gyrus coronalis und 
des vorderen Antheils des Gyrus suprasplenius und suprasylvius. Durch meine 
Befunde im Verein mit den angeführten Versuchsergebnissen an¬ 
derer erfährt die von Charcot auf Grund der klinischen Erfahrung 
am Menschen aufgestellte, von Flechsig anatomisch begründete, 
weiterhin vielfach verificirte These eine neuerliche Bestätigung, 
dass der um die wesentlich oberflächenvergrössernde 3 Centralfurche 
gelegene Antheil der Grosshirnrinde die gemeinsame oberste Stätte 
motorischer wie sensibler Bahnen, speciell der Hinterstrangbahnen, 
darstellt 


meiner Aufstellungen ist einerseits von der Verfolgung der Markscheidenentwiokelung am 
Qehirn der Katze oder des Hundes, andererseits vom Studium des Verhaltens der Zellen 
(NissL’sobe Methode) im ventralen Kernlager des Sehhügels, sowie in den contralateralen 
Hinterstrangkernen nach möglichst isolirter Läsion des Gyrus coronalis, etwa mit dem 
Thermo- oder Galvanokauter, zu erhoffen. 

1 Rivista speriment di freniatria. Vol. XH. 1886. S. 208. — Allerdings ist beim 
Hunde jede tiefergreifende Verletzung des Gyrus coronalis mit Läsion des Stabkranzantheile 
des Gyrus sigmoides verknüpft. 

* Die schon von Mbtnebt hervorgehobene „Neigung zur Anastomosenbildung“ am 
Katzenhirn bedeutet eine relative Verkleinerung der Oberfläche gegenüber dem sonst analogen 
Hundehirn. 


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[Aas der Anstalt für Sprachanomalien und Krankheiten der Nase und des 

Rachens in Warschau.] 

5. Von der Bedeutung der Associationscentren 
von Flechsig zur Erforschung der Entwickelung des Geistes, 
der Sprache, der Psychologie der Sprache, 
wie auch der Lehre von der Sprachlosigkeit. 

Von Dr. W. OtuszewakL 

Die überaus interessanten anatomischen Forschungen Flechsig’ s über die 
Entwickelung der Leitungswege, der Sinnes« und Associationscentren im Gehirn 
des Embryo und Neugeborenen wecken, indem sie die immer mit Geheimnissen 
erfüllte psychische Sphäre des Menschen betreffen, die Wissbegierde sowohl unter 
den Philosophen, Psychologen, Forschem der Intelligenz und der Sprache, wie 
anch unter den Logopathologen and Psychiatren. Ohne die Bedeutung zu unter¬ 
schätzen, welche diese Arbeit in allen benannten Richtungen haben wird, be¬ 
schränken wir uns allein mit dem Hinweis auf die Wichtigkeit derselben für 
die Forschungen über die geistige, sprachliche und psychophysiologische Entwickelung 
der Sprache, wie auch über die Lehre von der Sprachlosigkeit. Obgleich sie für 
die Psychophysiologie der Sprache und die Lehre von der Sprachlosigkeit nicht 
diese Bedeutung besitzt, wie für die psychische Function des Gehirns, da sie 
hier fast nichts Neues einführt, so giebt sie uns doch immer mehr die Mög¬ 
lichkeit zum erwünschten Ideale der Begründung einer rationellen Psychologie 
der Sprache und der Classification der Aphasieen näher zu kommen, indem sie 
durch anatomische Beweise viele früheren Deductionen bestätigt, die sich nur 
auf Beobachtungen über die Entwickelung der Sprache und der Intelligenz des 
Kindes, oder auf klinischen Beobachtungen der Sprachlosigkeit stützten. 

Ehe wir zum eigentlichen Gegenstände übergehen, erlauben wir uns die 
Leser mit dem Inhalt von Fleohsig’s Arbeiten 1 bekannt zu machen, nicht in 
der ganzen Ausdehnung derselben, aber in der Richtung, die uns gegenwärtig 
interessirt. 

Bei der Erforschung der Gehirne vor und nach der Geburt ist der Autor 
zu der Ueberzeugung gekommen, dass die Leitungen von verschiedener functio- 
neller Bedeutung zu verschiedener Zeit eine Markhülle erhalten. Zuerst reifen 
die Gefühlsnerven des Körpers, welche die Tastleitangen und allgemeinen Ge¬ 
fühle, wie Hunger, Durst u. s. w., wie auch das Muskelgefühl enthalten. Fast 
gleichzeitig reifen die Geruchsleitungen, die zur Rinde führen, etwas später die 
des Gesichts, am spätesten die des Gehörs. 


1 Vom 4. internationalen Congrease für Psychologie in München 1896: Ueber die Asso- 
ciationscentren des menschlichen Gehirns. — Die Loealisation der geistigen Vorgänge. 1896. 
Leipsg. — Gehirn und Seele. 1896. Leipzig. 

11 * 

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Qrifinal fro-m 

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164 


Auf Grund der ontologischen Differencirung stellte Flkchsig folgende 
Schlösse auf, welche die Gruppirung verschiedener Sinnescentren in der 
Rinde betreffen: 1. sie nehmen beim Menschen nur */$ der Hirnrinde 
ein, 2. sie sind kein verbundenes Ganzes, sondern von einander durch Theile 
der Rinde abgegrenzt, zu welchen weder sensorische noch motorische Nerven 
gelangen, 3. sie machen vier verschiedene Gegenden aus, von denen die grösste 
die Tastgegend ist, die der allgemeinen Gefühle des Muskelsinnes (Körperfuhl- 
gegend), die kleinste dagegen ist die Gegend des Geruchs (die unerforschte 
Gegend des Geschmacks verbindet sich wahrscheinlich mit der Gegend des 
Geruchs oder des körperlichen Gefühls). 



JCörperfühLsphjäre 


JUcchsphäre 

Die Localisirung der Sinnescentren ist folgende: 

Die Verlängerungen der hinteren Wurzeln localisiren sich, indem sie zur 
Rinde gelangen, um die Centralfurche (Fissura centralis) in den mittleren Hirn- 

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165 


Windungen, dem Fass der Stirnwindangen and theilweise im Gyrus paracentralis 
and im Gyrus fornicatas. 

Diese ganze Gegend nennen wir die Sphäre des körperlichen Gefühls oder 
die Tastsphäre (Körperfühlsphäre). 

Die Riechleitangen localisiren sich im Bezirk der Hirnbasis, im Gyrus un- 
cinatas, theilweise im Stirnlappen (Stirnsphäre des Geruchs bis zum Anfang 
des Gyros fornicatas) und im Gyrus hippocampi. 

Die Leitungen des Gesichts endigen in der Gegend der Fissura calcarina, 
theilweise im Cuneus, Lobulus lingualis und im hinteren Fol des Hinterhaupts¬ 
lappens. 

Die Wege des Gehörs localisiren sich hauptsächlich in der ersten Schläfen- 
windang and in beiden Wurzeln derselben in der Tiefe der Fossa Sylvii. 

Ans den Sinnescentren oder in der Nähe derselben gehen alle motorischen 
Nerven aus, und die Zellen, welche ihren Anfang bilden, unterscheiden sich 
durch ihre Grösse und pyramidalische Gestalt. Der grösste Theil der motorischen 
Nerven geht aus der Körperfühlsphäre aus, und kaum 1 j 6 aus der Gehörgegend. 
Die motorischen Fasern bilden den sog. Grosshimschenkelfuss (Pyramidenbahnen). 
So sind alle Sinnescentren im Gehirn gefühlsmotorische, die Hauptrolle in ihnen 
aber spielen die Gefühlsleitungen, welche auf dem Wege der psychischen Reflexe 
die motorischen Leitungen innerviren (Meynebt’s Projectionsfelder). 

Was die Thätigkeit der Sinnescentren anbelangt, so unterliegt es 
keinem Zweifel, dass das Bewusstsein der Eindrücke, das ist Sinneswahr- 
nehmungen, ohne Mitwirkung dieser Hirngegenden unmöglich ist (so verursacht 
z. B. die beiderseitige Zerstörung der Sehgegend Blindheit bei gänzlich gesunden 
Augen u. s. w.). Wenn wir also unter dem Ausdruck Sinneswahrnehmungen 
bewusste Bilder von im Augenblick erhaltenen Eindrücken ohne Beimischung 
irgend welcher Erinnerung verstehen, so unterliegt es keinem Zweifel, dass eben 
die Sinnescentren diese Function vollbringen, und zu solchen Wahrnehmungen ist 
schon der Neugeborene fähig. Anders verhält es sich, wenn wir unter Wahr¬ 
nehmungen eine gewisse Sammlung von Eindrücken und Erinnerungen ver¬ 
stehen. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass die Sinnescentren Wahrnehmungen 
in dieser weiteren Bedeutung bilden könnten, denn es handelt sich hier schon 
am psychische associirte Processe, die entweder aus Sinneswahrnehmungen ver¬ 
schiedener Art oder aus der Verbindung von Eindrücken und Erinnerungen, 
die sich auf dasselbe Centrum beziehen, hervorgehen. 

Bei der näheren Forschung des Hirns von Neugeborenen überzeugen wir 
uns, dass darin die Verbindungen zwischen den einzelnen Sinnescentren fast 
fehlen. Nur zwischen der Geruchsgegend und der Gegend des körperlichen Ge¬ 
fühls befinden sich wenige Associationsbündel, wie auch wenige aus der Gegend 
des Gehöre und des Gesichts zum Centrum des körperlichen Gefühls ausgehende 
Fasern, welche den Reiz einer Gegend in die andere übertragen. Verhältniss- 
mässig zeitig finden auch die Associationen mittels der Balkenfasern beider 
Gegenden des körperlichen Gefühls statt, denn schon bei reifen Neugeborenen 
gehen Fasern von einer dieser Gegenden zur anderen über. 

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166 


Was für eine Bedeutung haben also jene Rindenfelder, die durch keine 
Sinnescentren eingenommen sind und in keiner Verbindung mit der Zusammen* 
Setzung der Projectionsfasern (gefühlsmotorische Leitungen) stehen? Die 
Forschungen über die Hirnrindenentwickelung des Kindes, die vergleichende 
Anatomie (in dem Maasse, wie wir in der thierischen Hierarchie höher steigen, 
sehen wir die immer grössere Entwickelung der Associationscentren), wie auch 
die Pathologie (die Aphasieen, manche pathologische Processe im Gehirn) werfen 
darauf für uns ein entsprechendes Licht. Schon im zweiten Monat bilden sich 
markhaltige Nervenfasern, welche von den Sinnescentren zu den erwähnten Feldern 
führen und dort verschwinden (Associationsfasern im Sinne Meynebt’s). Ihre 
Aufgabe ist verschiedene Theile der Hirnrinde unter einander zu verbinden und 
eben dadurch verschiedene Functionen derselben zu associiren. Beim weiteren 
Wachsthum des Säuglings durchlaufen Millionen dieser Associationsfasern die be¬ 
sprochenen Felder, wo sich die Zusammensetzungen der Associationen treffen, 
die aus dem Centrum des Gesichts, des Gehörs u. s. w. ausgehen. Nachträglich 
kommen die Fasern schon nicht aus den Centren, sondern aus jenen Feldern 
und gehen in die andere Halbkugel über (Balkenfasern). 

Im Einverständniss mit den dargestellten anatomischen Thatsachen giebt 
Flechsig den Rindenregiouen, die zwischen den Sinnesgegenden liegen, den 
Namen Associationscentren. Sie theilen die Sinnescentren nicht, sondern 
verbinden sie unter einander, aber dies findet erst einige Monate nach der Ge¬ 
burt statt. Diese Thatsache hat ein um so grösseres Gewicht, weil, wie oben 
gesagt, sehr wenige unmittelbare Verbindungen zwischen den Centren existiren. 

Auf Grund der onthogenetischen Forschungen unterscheidet Flechsig drei 
Associationscentren, die aber unter sich eine innere Verbindung haben. Das 
grösste hintere liegt zwischen der Gegend des körperlichen Gefühls, des Ge¬ 
hörs und des Gesichts, theilweise zwischen der Gegend des Gesichts, des Gehörs 
und Gyrus hippocampi. Weit weniger Raum nimmt das vordere oder Stirn¬ 
associationscentrum ein, das sich an der Spitze des Stirnlappens und vor¬ 
nehmlich bei seiner Basis befindet. Das kleinste, insulare, liegt in der Mitte 
und nimmt Reil’s Insel ein. 

Bei Läsionen im hinteren Associationscentrum finden keine Störungen in 
den eigentlichen Sinneswahrnehmungen statt, und die Kranken sind allein nicht 
im Stande, die im gegebenen Augenblick erhaltenen Sinneseindrücke mit im Ge¬ 
dächtnis erhaltenen diesbezüglichen Bildern zu verbinden; zweifellos finden hier 
Störungen in den Associationen statt. Das sinnliche Gehörcentrum z. B. ist 
allein zur sinnlichen Wahrnehmung von Geräuschen und Lauten bestimmt, aber 
dient durchaus nicht zum Verstehen der Wörter, denn dazu ist die Mitwirkung 
weiterer Rindengegenden, die sich im hinteren Associationscentrum befinden, 
nöthig, und die hinsichtlich desselben einzeln oder zusammengenommen nach 
oben (Verbindung der Tastvorstellungen mit Wörtern'', nach unten (Verbindung 
der sachlichen Gehörvorstellungen mit Wörtern), oder nach hinten (Verbindung 
der Gesichtsvorstellungen mit Wörtern) gelegen sind. Dem hinteren Associations¬ 
centrum legt Flechsig eine wichtige Rolle in der innerlichen Sprache bei, denn er 

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schreibt ihm die Erinnerung der Wörter zu, und in den Gedächtniss- und Associations¬ 
störungen, die hier stattfinden, sieht er den Ursprung der sensorischen transcorticalen 
Aphasie, transcorticalen Alexie, der optischen Aphasie, und bei Erkrankung der 
erwähnten Centren in beiden Halbkugeln der Agnosie von Freud (Apraxie). In 
wenigen Fällen localer Veränderungen des vorderen Associationscentrums, welches 
in Verbindung mit der Körperfühlgegend steht, erscheint eine Geistesabschwächung, 
die mehr im Verlust des Interesses, der Aufmerksamkeit, des Nachdenkens, also 
der praktischen Anwendung von Begriffen und selbständigen Handlungsmotiven 
beruht, als im Vergessen der Wörter und Vorstellungen. Was endlich das 
mittlere Associationscentrum betrifft, so hat schon Meynebt die Meinung aus¬ 
gesprochen, dass sich hier die Gegend befinden muss, welohe mit dem Sprach- 
mechanismus in Verbindung steht, dass hier also die Assooiationen der Gehör-, 
Bewegnngs- und Tastfühlcentren stattfinden, welche bei der Sprache betheiligt 
sind. Im Einverständnis mit dieser Ansicht hält Flechsig die Insel Beil’s 
für das Centrum, welches in sich alle Sinnesfelder, sowohl sensorische wie auch 
motorische, die bei der Sprache betheiligt sind, vereinigt. 

In den Associationscentren findet, wie wir gesagt haben, die Association 
verschiedener Reize der Siunesgegenden, wie auch deren Gedächtnissbilder statt. 
Diese Verbindung ist wahrscheinlich die Thätigkeit vieler Zellen, deren einzige 
Aufgabe es ist, zu associiren, und diese Meinung eben bildet den Grundunter¬ 
schied in den Ansichten über den Mechanismus der Association zwischen dem 
Standpunkt Flechsig’s und den früheren Theorieen Webnicke’s, Meynebt’s u. A., 
welche behaupteten, dass verschiedene Sinnescentren mit einander unmittelbar 
durch Associationsfasern verbunden sind. Da es nicht den geringsten Beweis 
giebt, dass die Beschädigung der Associationscentren die sinnlichen Wahr¬ 
nehmungen beeinträchtigen könnte, so dürfen die Associationscentren nur bei 
Wahrnehmungen in der weitesten Bedeutung dieses Wortes thätig sein, wobei 
zu den sinnlichen Eindrücken die Gedächtnissbilder hinzukommen. 

Die centralen Felder der Associationscentren (Centralneurone) stehen in 
keiner Verbindung mit den sinnlichen Feldern. Sie befinden sich nur beim 
Menschen und menschenähnlichen Affen und haben gewiss eine besondere Be¬ 
deutung im psychischen Leben. Alle diese Centralneurone verbinden sich mittels 
langer Associationssysteme mit der Gegend des körperlichen Gefühls, welche der 
Mittelpunkt der ganzen Rinde wird. Dadurch bildet sich die Einheit des psy¬ 
chischen Functionsmechanismusses. 

Die Sinnescentren und Associationscentren nehmen zwar besondere Gegenden 
des Hirns ein, aber durch ihre Elemente sind sie in anatomischer und functio- 
neller Hinsicht so genau von einander abhängig, dass die Theilung derselben in 
einem gut entwickelten Organe ganz unmöglich ist Das Verhältniss derselben 
ist dem Verhältniss der Sinnlichkeit zum Verstände im geistigen Leben ähnlich, 
zweier Reiche, die sich theoretisch theilen lassen, aber in Wirklichkeit wie am 
engsten mit einander verbunden sind. Jedes Sinnescentrum ist der Ausgangs¬ 
punkt für unzählige Associationsfasern, welche, obwohl sie sich von demselben 
entfernen, doch durch ihren Anfang als seine Bestandteile bleiben. Die ein- 


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zelnen Sinnesceutren sind zugleich mit ihren Associationszusammensetznngen 
wirkliche Werkzeuge der Seele. Die Associationscentren erleichtern die gemein¬ 
schaftliche Thätigkeit dieser einzelnen Werkzeuge und bilden die sog. Merk¬ 
systeme. Zur selbständigen Function, ohne Antheil der Sinnescentren, sind sie 
nicht fähig, der Inhalt ihrer Function ist durch die Sinnesgegenden gegeben, 
aber das System, welches dieser Inhalt erhält, ist allein vom Associations¬ 
mechanismus abhängig. Ohne die Associationscentren hätten wir nicht die 
Möglichkeit, die Beobachtungen, welche uns verschiedene Sinne verleihen, in ein 
einziges Ganzes zn verbinden, indem wir aus ihnen Vorstellungen von Gegen¬ 
ständen bilden. 1 

Wir werden uns bemühen, die aufgezeichneten Resultate der anatomischen 
Forschungen Flgchsio’s bei den Problemen anzuwenden, die im Titel gegen¬ 
wärtiger Arbeit angegeben sind.* 

Sie finden vornehmlich die völligste Bestätigung in den Beobachtungen 
über die Entwickelung des menschlichen Geistes. Das geistige Leben des 
Neugeborenen beginnt von den Sinneswahrnehmungen, den elementarsten Ge¬ 
fühlen, die sich unmittelbar mit den Sinnesempfindungen verbinden, wie auch 
von gewissen angeborenen Bewegungen (Reflex, Impuls, Instinct). Die eigent¬ 
lichen Wahrnehmungen, die von Sinneseindrücken, welche von verschiedenen 
Sinnen empfangen werden, abhängig sind, höhere Gefühle, wie Freude, 
Furcht u. s. w., auch der impulsive Wille, als solche, die sich mit Vor¬ 
stellungen und Erinnerungen vereinigen, entwickeln sich und sind für 
unsere Beobachtung erst im 4. Monat zugänglich. Dasselbe betrifft das Be¬ 
wusstsein. Der Neugeborene hat anfangs kein einzelnes vollkommenes Bewusst- 


1 Ich wage nicht, die Arbeit Flbchsio’s, insbesondere in Betreff der anatomischen 
Seite derselben, kritisirend zn benrtheilen, denn ich besitze darin nicht die entsprechende 
Fähigkeit, nnd mit Hinsicht darauf ist es rathsamer, obgleich diese Arbeit, wie ich oben 
bemerkte, viele unserer früheren Deductionen sowohl in Betreff der Psychologie, wie auch 
Pathologie des Hirns bestätigt, die Schlüsse derselben als höchstwabrscheinliche Hypothesen 
anzunehmen, wenigstens so lange, bis andere Forscher die Ansichten dieses ausgezeichneten 
und gewissenhaften Forschers nicht theilen werden. Ueberhanpt haben sich bis jetzt nur 
sehr wenige Autoren aus dem Kreise der Aerzte mit der Kritik von Flechsiges Arbeiten 
befasst. Hierher gehört eine Notiz Schultze’b (Deutsche med. Wochenschr. 1897. Nr. 6), 
welche die philosophischen Ansichten Flechsig’s in Betreff des geistigen und körperlichen 
Verhältnisses kritisirt, wie auch einige Bemerkungen Wbrnicke’s im Leitartikel der 1. Nummer 
der Monatsschrift für Psychiatrie und Neurologie, deren weitere Entwickelung wir in der¬ 
selben Monatsschrift in der Arbeit von Sachs finden (Ueber Flechsig’s Verstandscentren). 
Obwohl dieser Schriftsteller auf Grund seiner Forschungen über die pathologischen Hirne 
Erwachsener mit Flechsig einverstanden ist, was die Existenz und Function der Sinnes¬ 
centren anbelangt, so theilt er doch nicht dessen Ansicht hinsichtlich der AssociationB- 
centren und behauptet, dass die Projectionsfasern bei Erwachsenen sich über die ganze 
Rinde verbreiten, womit er einigermaassen die Existenz der Associationscentren in Abrede 
stellt. Weitere Arbeiten in dieser Richtung werden von allen, die dieser Gegenstand inter- 
cssirt, mit Ungeduld erwartet. 

* Die Einzelheiten, welche die Entwickelung der Intelligenz und der Sprache des 
Kindes betreffen, kann man in meinem diesem Gegenstände speciell gewidmeten Werke finden: 
Die geistige und sprachliche Entwickelung des Kindes. 1897. Berlin. 

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sein, and jede Sinnesgegend stellt ein besonderes unabhängiges Werkzeug dar, 
welches die Eindrücke jeder Gattung mehr oder weniger verarbeitet, d. i. ver¬ 
bindet und nach dem entsprechenden motorischen Werkzeug überträgt. Der 
Anfang des sinnlichen oder sachlichen Bewusstseins, das allein die äussere Welt 
wiederspiegelt, von welcher das Kind sich noch nicht unterscheidet, ist für unsere 
Beobachtungen auch erst im 4. Monat zugänglich. Erst nach der Bildung der 
Persönlichkeit, welche mit dem Augenblick der Absonderung des körperlichen 
Ich von der äusseren Welt entsteht, was ungefähr zwischen dem 2. und 3. Jahre 
erfolgt, beginnt das Selbstbewusstsein sich allmählich zu bilden, welches der 
Erkennung seines Ich, als dem Subject, entspricht. 

Die Ansicht Fi<ech8iq'8 in Betreff der Thätigkeit der Sinnes- und Asso- 
ciationscentren können wir auch mit den Beobachtungen über die Entwicke¬ 
lung der Sprache des Kindes einigen, wie auch mit unserer gegenwärtigen 
Ansicht auf die Psychologie der Sprache, also auch der Lehre von der 
Sprachlosigkeit, wir müssen aber hier gewisse Erklärungen und Ergänzungen 
hinzufügen, wie auch einige in dieser Hinsicht eigene Ansichten aussprechen. 

Wir wissen aus der Entwickelung der Sprache des Kindes, dass das Laut- 
gedächtniss sich zwar im sensorischen Sinnescentrum (Webnickb’s Gegend) 
wahrscheinlich ziemlich zeitig anhäuft, die Verbindung aber der Wörter mit den 
Vorstellungen, deren Sitz wir in dem hinteren Associationscentrum finden und 
die zur Bildung der Wortvorstellung unumgänglich ist, erscheint verhältniss- 
mässig spät, und zwar führen wir den Anfang derselben erst in den 8. Monat 
Es ist dies die leichteste und bei Kindern mit normaler Intelligenz die am 
leichtesten sich entwickelnde Periode der Sprache — das Verständniss. Mit 
der Willensentwickelung und hauptsächlich mit der Entwickelung der Nach¬ 
ahmung (ungefähr gegen den 11. Monat) beginnt das Kind die gehörten Laute 
mit entsprechenden, von den Bewegungen in den Articulationswerkzeugen ab¬ 
hängigen Gefühlen, welche beim Aussprechen der Laute stattfinden, zu ver¬ 
binden, und die Aussprache derselben bildet, indem sie im motorischen Sinnes¬ 
centrum der Rinde Spuren hinterlässt (Gegend von Bkoca), das motorische 
Gedächtniss (Articulationsgedächtniss). Mit dem Maasse, wie dieses mechanische 
Gedächtniss sich immer mehr vergrössert, wie auch mit der Zunahme des sinn¬ 
lichen Gehörgedächtnisses, beginnt das Kind Wörter zu wiederholen, und diese 
Wiederholung, welche sich auf vielfachen Associationen der sensorischen und 
motorischen Hirngegend stützt, hinterlässt, wie ich muthmaasse, im mittleren 
Associationscentrum Spuren, indem sie dadurch die am spätesten, weil erst zu 
Ende des 2. Jahres, sich entwickelnde Periode der selbständigen Sprache 
vorbereitet Ausser der Ausbildung des sinnlichen sensorischen und motorischen 
Gedächtnisses bis zu einem gewissen Grade, wie auch ausser der Anhäufung 
eines entsprechenden Vorraths von Wortspuren, welche als Ergebniss früher 
stattgefundener zahlreicher Associationen von Lautreihen und Geräuschen (Wörtern) 
mit entsprechenden Bewegungen im Articulationswerkzeug entstanden sind, muss 
das Kind bei der selbständigen Sprache noch die Fähigkeit besitzen, diese sohon 
verbundenen sensorisch-motorischen Bilder an die Schwelle des Bewusstseins zu 

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führen, oder mit anderen Worten, die Fähigkeit der Worterinnerung haben. 
Alles dies geschieht anfangs mit dem Bewusstsein, geht dann in eine auto¬ 
matische Thätigkeit über, die den Vorstellnngs- und Begriffscentren untergeordnet 
ist. Dasselbe betrifft mutatis mutandis den Lese- und Schreibact, wo die Ver¬ 
bindung der Gesichts- oder motorischen Gedächtnissbilder zum Schreiben mit 
den Lautbildern, wie auch die Fähigkeit, sich dieser Bildern zu erinnern, eben¬ 
falls in diesem Centrum stattfindet, anfangs mit Bewusstsein, nachher aber 
automatisch. Aus dem, was wir von der Entwickelung der Sprache gesagt haben, 
zeigt sich, dass die selbständige Sprache sogar in ihren Anfängen wie die Wieder¬ 
holung oder die bei vielen Kindern in den frühen Perioden ihrer Entwickelung 
erscheinende — Sprache ohne Verständniss — kein Reflex ist, wie dies 
Ku88Maü1i, Webnicke und Lichtheim behaupten, sondern ein psyohischer 
Process, welcher auf der bewussten Ausarbeitung der Sinnesgedächtnisse be¬ 
ruht, wie auch auf der bewussten Verbindung der sensorisch-motorischen Laut¬ 
bilder im mittleren Associationscentrum. Zwar bleibt diese ganze intellectuelle 
Arbeit des Kindes, die zur Erzeugung des Sprachautomatismus unumgänglich 
ist, für den ungeübten Forscher verborgen, besonders bei Kindern mit regel¬ 
mässiger Entwickelung, bei irgend welchen Störungen der Intelligenz jedoch 
entwickelt sich dieser Automatismus gar nicht und bei der Ausbildung der 
Sprache bei Kindern dieser Art sind wir erst Zeugen der mühevollen An¬ 
strengungen des Kindes, die zur Entstehung derselben nothwendig sind. 

(Schluss folgt.) 


II. Referate. 


Anatomie. 

1) On the endogenous fibres in the lumbo-saoral region of the oord, by 

Alexander Bruce. (Brain. Autumn. 1897.) 

Genaue Beschreibung der Lage nnd des Verlaufs des cornu - comissuralen und 
des septomarginalen Bündels der Hinterstränge in einem Falle von vorgeschrittener 
Tabes. Die Beschreibung Btimmt genau mit der jüngst von Ho che gegebenen 
überein. Das septomarginale Bündel liegt im Sacralmark entlang dem hinteren 
Septum und an der mediansten Partie der Hinterseite der Hinterstränge; im unteren 
Lumbalmarke nimmt es das Gebiet des ovalen Feldes von Flechsig ein; weiter oben 
liegt es nur am hinteren Bande der Hinterstränge. Es enthält lange absteigende 
Bahnen. Von welchen Zellen die betreffenden Fasern ausgehen ist noch unbekannt 

Bruns. 


Experimentelle Physiologie. 

2) Neue Versuohe über den galvanischen Beiz, von Dr. Dubois (Bern). 
(Correspondenzblatt für Schweizer Aerzte. 1898. Bd. XXVIII. Nr. 1 u. 2.) 

Während bis jetzt als allgemein gültig angenommen wird, dass die Intensität 


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eines galvanischen Stromes der Maassstab für seine physiologische Wirkung sei, ergiebt 
.sieh aas den Untersnchnngen des Verf., dass es nicht die Stromstärke ist, die hier 
in Betracht kommt, sondern allein die Voltspannung. Bei Reizung motorischer 
Nerven tritt die minimale Zuckung bei wechselnden Widerständen immer bei an¬ 
nähernd gleicher Voltspannung auf und nicht bei gleicher Intensität des Stromes. 
Der Körperwiderstand, von dem die Stromstärke abhängt, hat somit keinen Einfluss 
auf die physiologische Wirkung des Stromschlusses. 

Ein zweites interessantes und überraschendes Ergebniss der Dubois’schen Ver¬ 
suche ist folgendes: Werden im Stromkreise des Körpers unbedeutende Rbeostat- 
widerstände eingeschaltet, so bleibt die physiologische Wirkung aus, trotzdem der 
Geeammtwiderstand nicht in Betracht kommender Weise vermehrt, der Hautwiderstand 
jedoch etwas vermindert und die Intensität des Stromes nur um weniges grösser wird. 
Erst durch Erhöhung der Voltspannung kann die verschwundene Zuckung wieder 
erzielt werden. Verf. erklärt dies damit, dass die Rheostate eine erhebliche Seif- 
induction haben, dass also ihr scheinbarer Widerstand grösser sei, als ihr Ohm¬ 
widerstand; für den Körper gelte gerade das Gegentheil; er habe einen grossen Ohm¬ 
widerstand, aber einen minimalen Self-iuductionswiderstand. 

Aus diesen Versuchen ergiebt sich fflr die Praxis, dass bei physiologischen 
Reizversuchen das Galvanometer durch das Voltmeter ersetzt werden muss. Die 
Dosirung der Volts soll nicht mit dem Elementenzähler geschehen, sondern mittelst 
dem Rheostat im Nebenschluss; im Hauptkreis darf kein fremder Widerstand ein¬ 
geschaltet sein. 

Die Anordnung der einzelnen Versuche kann nicht gut in abgekürzter Form 
gegeben werden, weshalb Interessirende auf das Studium der Originalarbeit verwiesen 
werden müssen. H. Wille (Basel). 


3) Survival movements of human infanoy, by Alfred A. Numford. (Brain. 

Autumn. 1892.) 

Verf. sucht die eigenthümlichen Bewegungen und Stellungen speciell der oberen 
Extremitäten bei Neugeborenen, die er „survival movements“, Bewegungen die aus 
der Kindheitsepoche des Menschengeschlechts übrig geblieben siud, nennt, auf bio¬ 
logische Weise zu erklären. Er führt zunächst an, dass die Hand des Menschen am 
meisten Aehnlichkeit mit der der Amphibien habe. Die eigenthümlich hyperpronirte 
Stellung der Unterarme und Hände, die viele Kinder besonders im Schlafe haben, 
sei auf Schwimmstellungen zorückzuführen; auch die Langsamkeit vieler Bewegungen 
der Säuglinge erinnere an Amphibien. Im Beginne des Lebens werden Daumen und 
andere Finger gleichmässig nebeneinandergestellt zu Greifbewegungen gebraucht, wie 
sie auf Bäumen lebende Thiere anwenden; bei dieser Bewegung hätten die Kinder 
oft sehr grosse Kraft. Die Opposition des Daumens zum Greifen zu benutzen lernten 
sie nicht vor dem 6. Monate. Früh zeigten sich auch Zeigebewegungen und Unter¬ 
suchungen von Gegenständen mit der Spitze der Finger, die Verf. so erklärt, dass 
sie Ueberbleibsel von Bewegungen waren, die die Affen ausführteu, um in Spalten 
und Löchern nach Nahrung zu suchen. Der Aufsatz ist jedenfalls interessant, ob 
die Erklärungen des Verf.’s sich halten lassen, vermag Ref. nicht zu sagen. 

Bruns. 


4) he a vaso-moteurs des membres abdominaux. Recherches experimentales 
par les Drs. Spallitta et Consiglio. (Arch. Ital. de Biologie. XXVIII.) 

Die Verff. haben bei grösseren Hunden Durchschneidung des Ischiadicus, des 
Cruralis, der vorderen Wurzeln des Ischiadicus bezw. des Crnralis, Durchschneidung 
des Bauchstranges des Sympathicus, Exstirpation der lumbo-sacralen Kette desselben 


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in mannigfachen Combinationen vorgenommen nnd den vasomotorischen Effect mit 
Hfllfe von Temperaturmessnngen studirt, wobei eine locale Temperatorsteigerang im 
Allgemeinen als Ausdruck einer Lähmung der betreffenden Vasoconstrictoren angesehen 
wurde. (Die bei angioparalytischer Hyperämie der einen Seite auf der gekreuzten 
Seite auftretende Oligämie [Herabsetzung der Temperatur] betrachten die Verff. nur 
als einen passiven, hydraulisch bedingten Vorgang.) 

Es ergab sich im wesentlichen, dass die Durchschneidung der vorderen Wurzeln 
des Ischiadicus die Temperatur der correspondirenden Pfote erhöht; dies geschieht 
ebenfalls, und zwar in noch höherem Maasse, nach Exstirpation der betreffenden 
Lnmbosacralkette des Sympathicus; die Durchschneidung des Ischiadicus bewirkt nach 
blosser Durchschneidung des Bauchsympathicus dauernd eine neue Temperatur¬ 
steigerung der betreffenden Pfote, während diese ausbleibt, wenn vorher die Lumbo- 
sacralkette des Sympathicus exstirpirt ist. Die Verff. schliessen daraus, dass alle 
vasomotorischen Fasern des Ischiadicus durch den Bauchsympathicus gehen, und zwar 
nach ihrem Austritt aus dem BQckenmark durch die vorderen Wurzeln und die Bami 
communicantes zunächst zu den sympathischen Ganglien und von da zu dem Nerven¬ 
stamm. Ganz entsprechende Resultate ergaben sich f&r den N. cruralis. 

_ Kaplan (Herzberge). 

Pathologische Anatomie. 

5) Beiträge zur pathologischen Anatomie der Rüokenmarksoompression, 
von Dr. Bruno Heymann. (Virch. Arch. Bd. CIL.) 

Verf. berichtet Aber drei Fälle von B&ckenmarkscompression bei Carcinomatose 
der Wirbel und liefert mit denselben einen bemerkenswerthen Beitrag zu der noch 
nicht geklärten Frage der ätiologischen bezw. pathologisch • anatomischen Entstehung 
der sogen. Compressionsmyelitis. Er fand bei der postmortalen Untersuchung der 
Fälle, welche in ihrem klinischen Verlauf das gewöhnliche Bild der Leitungsunter¬ 
brechung im Rückenmark dargeboten hatten, sowohl in den durch auf- und ab¬ 
steigende Degeneration secundär betroffenen Theilen, als auch in den direct dem 
Druck der Geschwulst ausgesetzten Partieen des Rückenmarks lediglich Veränderungen 
degenerativer Natur, Verminderung bezw. Schwund der Ganglienzellen, Untergang der 
Markscheiden, Zerfall der Axencylinder, Wucherung der Glia u. s. w., bei völligem 
Fehlen aller entzündlichen Erscheinungen. 

Besonders bemerkenswerth erschien das Verhalten der Blutbahnen an der Com- 
pressionsstelle und in deren Umgebung. Es zeigten sich die abführenden Gefisse, 
Venen, Capillaren und Lymphbahnen, stark überfüllt und namentlich die letzteren 
ausserordentlich erweitert, während die Arterien auffallend blutleer waren nnd alle 
Kriterien eines entzündlichen Vorgangs, arterielle Hyperämie, Gefässneubildung und 
Rundzelleninfiltration der Umgebung, vermissen liessen. 

Verf. zieht hieraus den Schluss, dass die sogen. Compressionsmyelitis kein ent¬ 
zündlicher, sondern lediglich ein degenerativer Process ist, hervorgerufen durch die 
durch den Druck der Geschwulst bedingte ödematöse Durchtränkung und arterielle 
Anämie der betreffenden Rückenmarksabschnitte. Ob diese ödematöse Durchtränkung 
nur durch mechanischen Druck der Geschwulst zu Stande kommt, oder ob, wie 
Enderlen meint, die zum Zerfall neigenden Tumormassen ausserdem noch einen 
lähmenden Einfluss auf die Vasomotoren ausüben und dadurch ebenfalls eine Ver¬ 
mehrung der Gewebsflüssigkeit herbeiführen, lässt Verf. dahingestellt. Jedenfalls 
widerlegen seine Befunde die von Leyden und Anderen festgehaltene Auffassung 
der Compressionsmyelitis als eines entzündlichen Processes und bilden eine Stütze 
für die Anschauung Kahl er’s, welcher dieselbe im Gegensatz hierzu schon lange 
aus rein mechanischen Momenten erklärt und für einen lediglich degenerativen Vor¬ 
gang hält. Lilienfeld (Gr. Lichterfelde). 


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6) Anatomische Untersuchungen über die oombinirte, ohronisohe Schweif- 
lihmung und Sphinoterenparalyse des Pferdes, von Dr. Horm. Dexler. 
(Wiener klin. Wochenrchr. 1897. Nr. 33—35.) 

Verf. berichtet Aber drei Fälle einer in der Litteratur unter dem Namen 
Hammelschwanz bekannten Krankheit des Pferdes, welche sich charakterisirt durch 
eine sich langsam entwickelnde, unheilbare totale motorische Lähmung des Schweifes, 
der Mastdarra- und Blasenmuskulatur, sensible Lähmung der Haut des Schweifes 
und der Umgebung desselben und umschriebene Atrophieen der Beckenmuskeln. Das 
anatomische Substrat der Krankheit war bisher nicht bekannt. Die Untersuchungen 
des Verf.'s lehrten, dass es sich um -eine chronische Entzfindung in der Höhe der 
Cauda equina handelt mit massenhafter Neubildung von Bindegewebe und dadurch 
bewirkter Zerstörung der von diesem eingeschlossenen nervösen Elemente, der Nerven¬ 
fasern und der Spinalganglienzellen. Letztere zeigten bei Nissl’scher Färbung 
schwere Degeneration. Als besonders merkwürdiger Befund verdient das vollständige 
Fehlen jeder ascendirenden secundären Hinterstrangsdegeneration hervorgehoben zu 
werden, an Marchi-, Weigert- und Carminpräparaten. Die Aetiologie der Krank¬ 
heit ist dunkel. J. Sorgo (Wien). 


7) Ueber Rüokenm&rksveränderungen bei Caroinomatösen, von 0. Lubarsch. 

(Zeitschr. f. klinische Medicin. Bd. XXXI. S. 389.) 

In 10 Fällen von Magenkrebs, 3 von Darmkrebs, 6 von Krebs des weiblichen 
Oenitaltractus, der Gallenwege, des Pankreas und des Oesophagus wurde bei der 
bezüglichen Untersuchung des Centralnervensystems 9 Mal eine Veränderung des 
Rückenmarks vorgefunden, und zwar 7 Mal bei Magenkrebs, 2 Mal bei Darmkrebs 
und 2 Mal beim Krebs der übrigen Organe. 

Diese Veränderungen zeigten in den einzelnen Fällen verschiedene Ausdehnung, 
zum Theil waren sie nur ganz gering und ohne begleitende Symptome während des 
Lebens, zum Theil waren sie bedeutender und hatten während des Lebens klinische 
Erscheinungen gemacht, zum Theil endlich waren sie sehr bedeutend und die Ur¬ 
sache einer während des Lebens bestehenden Rückenmarkserkrankung gewesen. 

Ihrer Natur nach waren die Veränderungen degenerativer Art und von Glia¬ 
wucherung begleitet Ihren Hauptsitz hatten sie in den Hintersträngen; häufig waren 
die hinteren Wurzeln mitbetheiligt. Der Process zeigte eine äusserst diffuse Verbreitung. 

Verf. hält es für zweifellos, dass das Carcinom wenigstens in einer Reihe von 
Fällen die Ursache der Veränderungen im Rückenmark abgebe, und zwar würde 
dasselbe nach ihm auf dreifache Weise deletär auf die Nervenzellen einwirken können: 

1. dadurch, dass die bei Carcinomkachexie auftretende Oligämie und Hydrämie 
die Nervenzellen schädige, oder 

2. dadurch, dass von dem Carcinom ausgehende Gifte die Veränderungen er¬ 
zeugten, oder endlich 

3. dass es sich um eine Autotoxie handele, welche durch die im Verdauungs- 
tractus durch das Carcinom hervorgerufenen Stoffwechselanomalieen bedingt sei 

Möglicherweise spielen in manchen Fällen alle drei Momente eine Rolle. 

K. Grube (Neuenahr). 


8) Bull’ esiologia delle degenerazioni sistematiohe primario del midollo 
spinale, per C. Ceni. (Rivista speriment di Freniatr. XXXIII.) 

Es war die Absicht des Verf.’s zu untersuchen, ob bei den toxisch und infectiös 
entstandenen primären systematischen Degenerationen die Schädigung der weissen 
Rückenmarkssubstanz wirklich primär entsteht, oder ob diese erst durch Alteration 
der respectiven trophischen Zellen zu Stande kommt. Zu diesem Zweck brachte der 
Verf. Hunden ausgedehntere Verletzungen der Haut bei und applicirte in diese pyo- 


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gene Stoffe oder frischen Abscesseiter, anderen Hunden brachte er das schädliche 
Agens nach Trepanation unter die Ueningen oder in die Seiteuventrikel. Fast alle 
Thiere zeigten nach dem Tode Degenerationen der Hinterstränge und der gekreuzten 
Pyramidenbändel. Hauptsitz der Erkrankung war das Cervicalmark, weniger hänfig 
auch das Dorsalmark, am seltensten die lumbalen Abschnitte. 

Bei den Thiereu, die von der Haut aus iuficirt waren, waren an Nissl-Prä¬ 
paraten fast keine Veränderungen nachweisbar, nur vereinzelt Zellen mit Vacuolen, 
bei den anderen war der grösste Theil der Zellen in Rückenmark und Gehirn mehr 
oder weniger afficirt. Sie waren gequollen, glasig, die Chromatinscbollen blass, zer¬ 
sprengt, der Kern meist wenig verändert, nur etwas geschrumpft. 

Der Umstand, dass Zellveränderungen in allen Theilen des Rückenmarks an¬ 
getroffen wurden, dass sie auch in einem Falle, wo Degenerationen der weissen 
Stränge fehlten, vorhanden waren und ihr verschiedener Grad und ihre verschiedene 
Art je nach dem Infectionsmodus bei gleichen Alterationen der weissen Substanz 
spricht dafür, dass letztere primärer Natur und gleichzeitig mit den cellulären 
Läsionen durch die toxischen Stoffe veranlasst waren. Valentin. 


9) Ueber den anatomischen Frooess im Anfangsstadium der multiplen 
Solerose, von A. Goldscheider. (Zeitschr. f. klin. Medicin. Bd. XXX.) 

22jähriges Mädchen erkrankte mit Erbrechen, Gliederschwere, Schwindel, Seh¬ 
störung in Folge von starkem Augenzittern und Gehörsstörung. 

Befund: Starker Nystagmus meist mit Bewegung der Bulbi von unten nach 
oben, linke Pupille weiter als rechte. Bewegungen der Arme unsicher und ver¬ 
langsamt, Kraft rechts herabgesetzt. Ataxie des rechten Beins; Patellarreflex ge¬ 
steigert; Zitterbewegungen des Kopfes. Gefühl von Taubheit. 

Der Exitus trat unter den Erscheinungen des Typhus abdominalis ein. 

Die Section ergab eine Encephalitis interst. chronica diffusa. Das Gehirn und 
Rückenmark waren derb. Im Halsmark, im Pons auf der rechten Seite in der Höhe 
des Abducenskerns, in der Schleife, im Dorsaltheil des Rückenmarks fanden sich 
Herde von diffuser, sehr intensiver Sclerose. Die Blutgefässe an der hinteren Peri¬ 
pherie des Rückenmarks, welche in die Hinterstränge eintreten und in den Septis 
verlaufen, waren stark mit Blut angefüllt und von grossen Massen von Körnchenzellen 
und fettigem Detritus umgeben. Auch im Inneren der Herde sah man kleine Gefäss- 
durchschnitte mit einem einfachen oder mehrfachen Kranz von Rundzellen. Lagerung 
und Abgrenzung der Herde entsprachen vollkommen der Combination mehrerer 
Gebiete von hinteren peripherischen Gefässen. 

Bei den Herden im Pons und Halsmark handelte es sich um einen von den 
Gefässen ausgegangenen Process, der die Nervenfasern zur Aufquellung gebracht und 
dadurch bei einem Theile derselben eine Auflösung und Abbröckelung des erweichten 
Myelins hervorgerufen hatte. 

Die Veränderungen hatten sehr grosse Aehnlichkeit mit denjenigen der acuten 
Myelitis, sie stellten nur einen geringeren, d. i. nicht zur Erweichung führenden Grad 
derselben dar. 

Verf. hält die disseminirte Sclerose für eine gewisse Form der disseminirten 
Myelitis. K. Grube (Neuenahr). 


10) Pathogenese und pathologische Anatomie der Syringomyelie, von Dr. 
H. Schlesinger. Correferat erstattet auf dem internationalen Congresse zu 
Moskau am 7. August 1897. (Wiener med. Wochenschr. 1897. Nr. 38 u. 39.) 
In Bezug auf obige Arbeit wird auf die Congressberichte verwiesen. 

J. Sorgo (Wien). 


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Pathologie des Nervensystems. 

11) Beitrag zur Kenntniss der bei der disseminirten Herdsolerose auf¬ 
tretenden Angen Veränderungen , von Dr. Adolf Lübbers, I. Assistenzarzt 
der Lothringischen Bezirks-Irrenanstalt in SaargemQnd. (Arch. f. Psychiatr. u. 
Nervenkrankh. Bd. XXIX. S. 768.) 

Der Verf. hat zunächst den klinischen Augensymptomen bei 11 Fällen von 
disseminirter Herdsclerose seine Aufmerksamkeit zugewendet. Ophthalmoskopisch 
fand sich in vielen dieser Fälle einfache trophische Abblassung. Die Atrophie war 
unvollständig. Die temporalen Papillentheile waren Öfter und stärker ergriffen. 
Einige Male wurden abgelaufene bezw. acute neuritische Erscheinungen an der Papille 
festgestellt. Mehrmals war der Augenspiegelbefund normal. Functionsstörungen 
des Sehapparats konnten fast bei allen Patienten gefunden werden. Dieselben waren 
nach Form nnd Intensität sehr mannigfaltig und bestanden meist sowohl in Beein¬ 
trächtigung der Sehschärfe als in Gesichtsfeldanomalieen. Centrale Scotome mit 
freier Gesichtsfeldperipherie herrschten vor. Im Bereich der Scotome war die 
Fnnctions8törung vorwiegend relativ, oft nur partiell. Die Intensität der Sehstörungen 
schwankte entsprechend dem jeweiligen Allgemeinzustand. Dauernde Erblindung war 
äosserst selten. Ein auffallendes Missverhältniss bestand zwischen dem Verhalten 
der Sehfähigkeit und dem Augenspiegelbefund. Einige Kranke hatten geringfügige, 
oft nur vorübergehend vorhandene Paresen isolirter Augenmuskeln. Einige Wenige 
hatten Paresen associirter Augenbewegungen, welche sich ausschliesslich auf die Be¬ 
wegungen der Bulbi in seitlicher Sichtung erstreckten, ln allen Fällen bestanden 
oscillatorische Augenbewegungen, und zwar entweder Nystagmus oder 
nystagmusartige Zuckungen oder beide Formen zusammen. Eigentlicher Nystagmus 
kam in des Verf.’s 11 Fällen 6 Mal vor und war stets bilateral. Die Bewegungen 
der Bolbi erfolgten vorwiegend in seitlicher Richtung. Nystagmus rotatorius wurde 
in keinem Falle beobachtet. Die Pupillen boten, abgesehen von leichter und 
wechselnder Differenz, nichts auffälliges. Einige Kranke hatten geringe, andere erheb¬ 
liche Beeinträchtigung der Lichtreaction. 

Verf. hat sodann die N. optici eines Falles von disseminirter Herdsclerose genau 
untersucht. Klinisch handelte es sich ausser um Augenmuskelparesen und nystagmus¬ 
artigen Zuckungen um wesentliche Sehstörungen (centrales Scotom), mangelhafte 
Lichtreaction der Pupillen und Abblassung der Papillen. Die N. optici zeigten weit¬ 
gehende Schrumpfung der Nervenstämme und ausgedehnte, herdförmige, atrophische 
Veränderungen, welche stellenweise die ganze Dicke des Nerven einnahmen und 
mikroskopisch die Züge der einfachen Atrophie darboten. Die Markscheiden waren 
in diesen Herden theils atrophirt, theils bereits in körnige Detritusmasse zerfallen. 
Inmitten der verkleinerten, atrophischen Markscheiden waren die Axencylinder stellen¬ 
weise noch unversehrt vorhanden und auch in den Detritusmassen befanden sich 
relativ zahlreiche, gut erhaltene, nackte Axencylinder. Die Bindegewebsfasern waren 
verbreitert, hatten fibrillär-faserige Structur, enthielten partielle Kernproliferationen, 
zahlreiche, meist sehr kleine Gefässe und Entzündungserscheinungen in der Umgebung 
der Gefässe. An der inneren Opticusscheide waren deutliche, perineuritische Er¬ 
seheinongen zu bemerken. Erscheinungen secundärer absteigender Degeneration fehlten. 
Dies und die damit in Zusammenhang stehende GeringfQgigkeit der ophthalmoskopischen 
Erscheinungen führt der Verf. auf das Intactbleiben zahlreicher Axencylinder zurück. 

Georg Ilberg (Sonnenstein). 


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12) Oe la scldrose en plaques 4 debut apopleetiforme, par P. Boulogne 
(de Lille). (Bevae de Medecine. Mai 1896. S. 404.) 

Bei einem 43jährigen Arbeiter trat ohne alle Vorboten plötzlich unter Be* 
wusstseinsverluet eine totale Paraplegie der Beine mit fast vollständiger Anästhesie 
und mit Sphincterenlähmung auf. Nach kurzer Zeit besserten sich die Erscheinungen, 
so dass Pat. wieder ziemlich gut gehen konnte, doch entwickelten sich im Laufe des 
folgenden Jahres die charakteristischen Erscheinungen einer multiplen Sclerose 
(Intentionszittern der Arme, schwankender Gang, Spinalepilepsie, leichte Sprach* 
Störung und Nystagmus). Auch diese Erscheinungen wurden langsam besser. 

Verf. glaubt eine multiple Sclerose diagnosticiren zu können, obgleich der 
Sectionsbefund fehlt. Er citirt vier ähnliche Beobachtungen aus der Litteratur, 
welche dartbun sollen, dass die multiple Sclerose zuweilen ganz plötzlich mit einer 
apoplectiform eintretenden Paraplegie beginnen kann. Auch in allen diesen 
Fällen fehlt aber eine Bestätigung der Diagnose durch die Section, so dass man 
gewisse diagnostische Zweifel doch nicht nnterdrQcken kann. 

_ Strümpell (Erlangen). 


13) Zur Frage über die multiple Solerose und Gliose. Nebst einer Be¬ 
merkung über die VasoularisationsVerhältnisse der Medulla oblongata, 
von G. Rossolimo, Privatdocent in Moskau. (Deutsche Zeitschrift f. Nerven- 
heilk. Bd. XI. 1897.) 

Ein jetzt 16jähriger, aus gesunder Familie stammender, aber in einer Malaria¬ 
gegend am östlichen Ufer des schwarzen Meeres lebender junger Mann hatte im 
3. Lebensjahre eine Verletzung erlitten. Januar 1895 Fieber, Erbrechen, Schwäche 
der rechten Hand und Undeutlichkeit der Sprache. Nach vorübergehender Besserung 
Zunahme der Beschwerden, besonders Schwäche im rechten Bein, Zuckungen im 
rechteu Facialis und in den rechten Extremitäten, Doppelsehen, Harnverhaltung. 

Status: Der ganze parieto-occipitale Theil der linken Schädelhälfte vorgewölbt, 
auf der linken Seite des Occipitalknocbens eine Narbe, vor derselben eine Knochen- 
vortiefnng, Scoliose der Brustwirbelsäule, Parese der oberen Facialiszweige rechts 
und des rechten Hypoglossus, Diplopie und leichter Nystagmus, Parese beider Abdu- 
centes, vorwiegend des linken, schleppende Sprache, rechter Arm nur schwach be¬ 
weglich, Contractur der Beuger, Bewegungen im rechten Fussgelenk unmöglich, 
Muskeln der Extremitäten rechts sehr rigide, elektrische Erregbarkeit normal. Gang 
erschwert, Sehnenreflexe erhöht, besonders rechts, auf der rechten Körperhälfte, ausser 
am Kopf und Hals, geringe Herabsetzung der Sensibilität in allen Qualitäten, Pu¬ 
pillen = weit, von träger Beaction auf Licht, Gedächtniss abgeschwächt, kein Er¬ 
brechen. Später auch Schwäche im linken Arm und linken Bein, Incontinentia 
urinae, Zunahme des Schwachsinns. 

Bei einer kurz vor dem Exitus vorgenommenen Trepanation in der Gegend der 
Knochenvertiefung fand sich beim Einstechen des Scalpells eine derbe Masse und 
wurde von weiterem Vorgehen abgesehen. Die anatomische Untersuchung des Gehirns 
ergab ein Ergriffensein des ganzen Corpus callosum, des linken Centrum semiovale 
in seiner ganzen Breite, hauptsächlich aber in seinem mittleren Drittel, sowie des 
inneren Theils des Contr. semiovale der linken Hemisphäre. Ferner fand sich am 
verlängerten Mark ein Herd, welcher sich vom äussersten, caudalwärts gelegenen 
Ende der Pyramidenkreuzung bis zum hinteren Viertel der Brücke erstreckt und 
beide Hälften des Organs einnimmt. An dem peripheren Theil der Medulla oblongata 
hat der Herd bis zum Calam. scripi die Form eines Dreiecks, dessen spitzes Ende 
am Centralcanal liegt. Im Rückenmark konnte Degeneration beider Pyramidenseiten- 
und Pyramidenvorderstränge nachgewiesen werden, wobei der linke Türk'6che Strang 
und die Pyramidenseitenbahn in ausgedehnterem Maasse ergriffen war. Der Central- 

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canal war überall mit hyperplasirten Zellen an gefüllt nnd in seiner Form verändert, 
eine Höhle war nirgends nachzuweisen. Es handelte sich also im Wesentlichen um 
das typische Bild einer doppelseitigen secnndäreu Degeneration mit vorwiegenden 
Veränderungen in der linken ungekrenzten nnd rechten gekreuzten Bahn und einer 
Hyperplasie der Wandungen des Centralcanals. 

Verf. erblickt in dem beschriebenen Process eine Uebergangsform von der disse- 
minirten Sclerose zur Gliose and bezeichnet dieselbe als Sclero-Gliose. Die Hyper¬ 
plasie der Glia bevorzugt das Gewebe, welches den Gefässen oder dem Ependym 
angrenzt. Die Herde der disseminirten Sclerose können das Gebiet irgend eines 
Gefässes einnehmen. Zar progressiven Wacherang der Nearoglia bei der multiplen 
Sclerose, der Sclero-Gliose, der Gliose und dem Gliom können sowohl Tranmen mit 
nachfolgenden Verletzungen der Glia, als anch im Blute bezw. in der Lymphe 
kreisende Schädlichkeiten endogenen Ursprungs bei gleichzeitiger hereditärer Belastung 
Veranlassung geben. Es können dabei secundäre Degenerationen auftreten und zwar 
nicht nnr in Folge von Zerstörung von Axencylindern, sondern auch unter dem Ein¬ 
flüsse snmmirender Wirkung auf die gleichen Faserbündel zweier oder mehrerer 
Veränderungen, welche einzeln dies nicht bewirken könnten. Die caudale Hälfte des 
verlängerten Marks vom Calamus scriptorius an wird von der ventralen Seite durch 
die Arteriolae spino-bulbares der Art. spinalis ant. versorgt, während der übrige 
Theil der Medulla durch die von den Art vertebrales ausgehenden Arteriolae vertebro- 
bulbares ernährt werden. E. Asch (Frankfurt a./M.). 


14) A oase of disaeminated solerosis, by Hackney. (Brit. med. Journ. 1897. 

March 6. S. 586.) 

Ein 55 jähriger Zimmermann wird plötzlich bewusstlos, wie bei Apoplexie. Das 
Wetter war sehr heiss, man diagnosticirt „Hitzachlag“. Der Kranke, zwar sehr an¬ 
gegriffen, erholt sich ohne irgend welche Lähmungserscheinungen. 

Bald darauf leichtes Zittern der Hände bei Bewegung; doch ist Pat. arbeits¬ 
fähig. — Nach etwa einem Monat ein zweiter „apoplectiformer“ Anfall mit dem oben 
beschriebenen, ähnlichen Verlaufe. Dann folgen in ähnlichen Zeitintervallen 2—3 
solche Attaquen. Nach der letzten verringerte sich das Gedächtniss auffallend; 
Dinge, die vor einigen Minuten passirten, sind nicht mehr in Erinnerung. Patellar- 
reflexe gesteigert, und beiderseitige Anästhesie, rechts am meisten. 

Also Intentionszittem neben gesteigerten Beflexen mit den apoplectiformen An¬ 
fällen begründeten die Annahme disseminirter Sclerose; zwar Zittern der Zunge nnd 
Lippen, jedoch das Sprechen nicht abnorm. L. Lehmann 1 (Oeynhausen). 


15) Zur Aetiologie der multiplen. Solerose, von Blnmreich nnd Jakoby. 

Aus der II. medicinischen Universitätsklinik in Berlin (Geh. Prof. Gerhardt). 

(Deutsche med. Wochenschr. 1897. Nr. 28.) 

Die Verff. verfügen über 29 Fälle von multipler Sclerose (23 Männer und 
6 Frauen). Eine einheitliche und durchgreifende Aetiologie für die multiple Sclerose 
ist nicht vorhanden; die Ursache bleibt in einer Beihe von Fällen verborgen, in 
anderen heben sich drei Gruppen heraus: acute Infectionskrankheiten, Intoxicationen 
und Traumen. Diese Schädlichkeiten können einmal direct die der Sclerose zu Grunde 
liegenden anatomischen Veränderungen hervorrufen: als einleuchtende Beispiele führen 
die Autoren 5 traumatische Fälle, sowie eine multiple Sclerose nach Quecksilber¬ 
vergiftungen. (Der Zusammenhang ist in diesem Falle keineswegs klar. Bef.) 
Sodann können die angeführten Noxen lediglich die Krankheit auslösen, so dass die 
bis dahin fehlenden Symptome nun erst auftreten; die ursprüngliche Veranlassung 
kann mehr oder minder lange zurückliegen, congenital sein. Umgekehrt kann durch 

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die besprochenen Einwirkungen der Keim zn der Krankheit gelegt werden/ während 
es anderen Zufällen Vorbehalten bleibt, anslösend zu wirken. Jene Schädlichkeiten 
können sich schon iu utero geltend machen, eine Thatsache, welche für diejenigen Fälle 
wichtig ist, in denen das Leiden offenbar schon congenital entstand. Unter Umständen 
ist ein Trauma nicht Ursache, sondern Folge der multiplen Sclerose, insofern 
dieselbe durch Schwindel und Unsicherheit des Qanges leicht zu einem Unfälle 
fahren kann. 

Die hier gewonnenen Erfahrungen müssen bei der Aufnahme der Anamnese und 
der Beurtheilung der Krankheit zum Zwecke gutachtlicher Aeusserung berücksichtigt 
werden. R. Pfeiffer (Cassel). 


16) Zur Bedeutung der Augenuntersuchung, speciell des ophthalmo¬ 
skopischen Befundes, für die Frühdiagnose der multiplen Herd- 
sclerose, von Dr. Günther Nagel, Volontairarzt. Aus der Universitäts- 
Augenklinik in Breslau. (Münchener med. Wochenschr. 1897. Nr. 32.) 

Der ophthalmoskopische Befand, um welchen es sich handelt, stellt sich dar 
als eine absolut weisse Abblassung der temporalen Papillenhälfte. Diese Veränderung, 
welche in dem einen von zwei angeführten Fällen nur einseitig vorhanden war, liess 
an multiple Sclerose denken, und die in dieser Richtung weitergeführte Untersuchung 
bestätigte den Verdacht. Speciell der sonstige Augenbefund (Nystagmus und asso- 
ciirte Blicklähmung) bei relativ geringer Sebstörung ist für die Diagnose von Be¬ 
deutung. E. Asch (Frankfurt a./M.). 


17) Ueber Augenmuskelstörungen bei der multiplen Sclerose, von Dr. 

C. Kunn (Wien). (L. Voss, Hamburg-Leipzig.) 

Auf Grund genauer Beobachtungen einer Reihe von 20 Fällen von multipler 
Sclerose gelangte Verf. zur Constatirung dreier in ihrem Auftreten bei der genannten 
Erkrankung für diese als charakteristisch anzusehender Symptome von Seiten der 
Augenmuskulatur. Erstens ein in seinen klinischen Erscheinungen dem Intentions¬ 
tremor durchaus ähnliches „Einstellungszittern“ bei dem Versuche, die Augen aus 
dem Zustande des einfachen Geradeaussehens zur Fixation eines bestimmten Objectes 
zu veranlassen. Dies Phänomen charakterisirt sich durch ein entweder einmaliges 
oder wiederholtes Uebermaass in der angestrebten Convergenz, gefolgt von einem zu 
geringen Convergeuzacte, bis schliesslich der richtige Convergenzgrad erreicht ist 
Das zweite Symptom besteht im Auftreten eines echten concomittirenden — in Verf.’s 
Fällen stets convergenten — Strabismus, für dessen Zustandekommen Verf. nach 
Ausschluss aller anderen etwa in Frage kommenden Ursachen, ganz besonders der 
leicht irrthümlich anzunehmenden Paresen, folgerichtig eine dissociative Störung der 
vorderen associirt gewesenen Augenbewegungen supponirt, wobei er die Hypothese 
eines besonderen circumscripten Centrums für die Coordination der Augenbewegungen 
verlässt, und statt dessen von der Annahme ausgeht, dass diese Coordination das 
Resultat einer durch Erfahrung und Uebung der associativen Bahnen erworbenen 
Fähigkeit in der Benutzung functioneil sich unterstützender Muskeln sei. Auf 
gleicher Ueberlegung basirt Verf.’s Erklärung des dritten Symptoms, der plötzlich 
auftretenden Anisokorie und des bei Fixation eines bestimmten Objectes in Erschei¬ 
nung tretenden Hippus, welches ihm die Wahrscheinlichkeit nahelegt, dies Zittern 
als ein „Begleitsymptom zitternder Bewegungen des Ciliarmuskels“ auffassen zu 
müssen. Ein durch Atropineinträufelung und Anwendung von Convexgläsern prompt 
gelingendes Experimentum crucis scheint die Richtigkeit dieser Annahme zur Evidenz 
zu erweisen. 

Unter der vom Verf. mitgetheilten Casuistik verdient besondere Beachtung ein 


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als Analogon zu den Fällen von echter Sclerose zu betrachtender Fall von Pons- 
hämorrhagie, bei welcher recidivirende Blutungen gerade jene dissociativen Störungen 
der Augenbewegungen hervorriefen ehe schliesslich Lähmung eintrat; diese Analogie 
ist um so überzeugender, als man nach Wernicke’s Vorgang in die Pons gerade 
die für associirte Seitenbewegung bestimmmten Fasern verlegt. 

Richter (Hamm). 


18) Ueber einen Fall von Büokenmarkstuberkel beim Kinde, nebst Be¬ 
merkungen über die multiple Degeneration, von Holz. (Festschrift des 

Stuttgarter ärztlichen Vereins 1897.) 

Ein 3jährige8 Mädchen bekam nach mebrwöchentlichem Fieber eine schlaffe 
Lähmung beider unteren Extremitäten. Die Haut- und Sehnenreflexe an denselben 
waren völlig erloschen. Auch die Beckenmuskulatur war gelähmt, die Arme völlig 
frei. Nach einigen Monaten entwickelte sich eine Basalmeningitis; es trat zeitweise 
geringe active Beweglichkeit im Hüftgelenk, sowie tonische Contracturstellung der 
Beine in Knie und Fussgelenk ein. Pat. ging in tiefem Coma zu Grunde. Die 
Section ergab einen Rückenmarkstuberkel in der Lendenanschwellung mit starker 
Erweichung der benachbarten Rückenmarkspartieen. An der Hirnbasis bestand eine 
tuberculöse Meningitis. Die Untersuchung des Rückenmarks ergab die bekannten 
secundären Degenerationen. Verf. geht näher auf die wiederholt bei Corapression 
des Muskels beobachtete fleckweise Degeneration des Rückenmarks ein. Er unter¬ 
scheidet Wucherungen der Adventitia der Gefässe, welche eigentliche Degenerations¬ 
herde nur Vortäuschen, und wirkliche Degenerationsherde, die auch auf Gefäss- 
veränderungen zurückzuführen sind. M. Roth mann (Berlin). 


19) Tumor of the spine, by Gladek. Read before the Society of the Alumni 
of the City (Charity) Hospital. Mai 12. 1897. (New York med. Journal. 

1897. Vol. LXVI. Nr. 7.) 

Im Mai 1896 stellten sich bei dem 51jährigen, luetisch nicht inficirten Manne 
neuralgische Schmerzen in der rechten Seite ein zwischen Rippenbogen und Darmbein, 
zeitweise in die Glans penis und den rechten Hoden ausstrahlend. Gleichzeitig be¬ 
stand vermehrte Ausscheidung von Harnsäurekrystallen in dem häufig entleerten 
Urin. Trotz geeigneter Behandlung nahmen die Beschwerden zu, das Allgemein¬ 
befinden wurde schlechter, Pat. machte den Eindruck eines Schwerkranken. 

Anfang November wurde auch das linke Bein, später die linke Brustseite und 
Schulter schmerzhaft und nach ca. 14 Tagen erfolgte Lähmung der Unterextremitäten, 
der Blase und des Mastdarms. Druckempfindlichkeit der unteren Region der Wirbel¬ 
säule ohne Deformitäten. — Die Sensibilität an den gelähmten Gliedern, zunächst 
nnr abgestumpft, schwand völlig, es entwickelte sich Decubitus und am 9. December 
trat der Exitus ein. Die Autopsie ergab eine anscheinend von der Dura ausgehende 
Geschwulst (Spindelzellensarcom), welche vom 2. Lendenwirbel bis zum 9. Brustwirbel 
reichte, den Spinalcanal vollständig ausfüllte, und durch die Intervertebralöffnungen 
nach aussen drang. Die Wirbelkörper und -bögen waren im Bereiche der Geschwulst 
erweicht, das Rückenmark comprimirt, im übrigen nicht verändert, an der Pia nicht 
adbäreni R. Pfeiffer (Cassel). 


20) a case of Syringomyelie limited to one posterior hom in the oervioal 
region, with arthropathy of the shoulder-joint and asoending dege- 
neratdon in the pyramidal traots, by F. H. Dercum and W. G. Spiller. 
(American journal of the medical Sciences. 1896. December.) 

Ein 46 jähriger, hereditär nicht belasteter, bisher gesunder Mann erkrankt mit 

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Schmerzen in den Beinen und der Brost. Allmählich entwickelt sich eine Parese 
beider Beine. Bei der Aufnahme in das Krankenhaus bestand spastische Paraplegie 
der Beine, zu der weiterhin beträchtliche Beugecontracturen traten. Die Patellar- 
reflexe waren stark erhöht, Fussclonns vorhanden. Nach anfänglicher Retention von 
Stuhl und Urin trat Lähmung der Blase und des Mastdarms auf. Die Sensibilität 
war in beiden Beinen und am Bauch bis zum Nabel völlig erloschen; am rechten 
Arm und der rechten oberen Brusthälfte bestand Aufhebung des Temperatursinns 
und Analgesie. Im Gebiet des 4.—6. linken Intercostalnerven bestand eine Neuralgie. 
Im 6. Jabre der Krankheit trat eine Schwellung der rechten Schulter ein, die all¬ 
mählich zu einer beträchtlichen Zerstörung der Gelenkenden führte. Nach 12 Jahren 
starb Pat. an Erschöpfung. 

Bei der Section zeigte das rechte Schultergelenk eine Luxatio subglenoidea des 
Humerus. Der Humeruskopf war völlig verschwunden; an der Gelenkhöhle der 
Scapula hatten beträchtliche Knochenauflagerungen Platz gegriffen. Die Untersuchung 
des in Müller’scber Flüssigkeit gehärteten Rückenmarks zeigte im Conus terminalis 
eine tumorartige Gliosis in der Mitte mit einer kleinen Höhlenbildung. Im oberen 
Sacralmark nahm die Höhle den vorderen Theil der Fissura post, und beide Vorder¬ 
hörner ein, während der Centralcanal vor derselben lag. Die hinteren Wurzeln waren 
hier wie im ganzen Rückenmark normal, die vorderen nur in einem Theil des Brust¬ 
marks degenerirt. Im Lendenmark erstreckte sich die Höhle die Fissura post, bis 
zur Pia entlang; beide Pyramidenseitenstränge waren degenerirt. Vom 2. Lumbar- 
segment bis zu den 3. dorsalen Wurzeln bestand Pachymeningitis. 

Im Brustmark ging fast das ganze Mark in Gliosis und Höhlenbildung auf; am 
obersten Ende desselben wurde die Höhle auf das rechte Hinterhora begrenzt und 
blieb hier auch im Halsmark. In beiden Seitensträngen, besonders dem rechten, und 
dem rechten Vorderstrang bestand Degeneration, ebenso in beiden Goll'schen Strängen. 
Im Halsmark waren letztere völlig degenerirt; die Degeneration an der Peripherie 
des linken Seitenstrangs war nur schwach, rechts war dieselbe stärker bis zum 
2. Halssegment zu verfolgen, am stärksten im Gebiet der Pyramidenbahn. Auch der 
rechte Vorderstrang bis hinauf zur Pyramidenkreuzung war degenerirt. Zwischen 
der Höhlenbildung im verschmälerten rechten Hinterhora und dem Centralcanal lag 
eine Zone normalen Gewebes. Die Ganglienzellen der Vorderhöraer schienen normal; 
es bestand eine beträchtliche Faserverarmung der grauen Substanz. 

Bemerkenswerth war die aufsteigende Degeneration im Gebiet der Pyramiden¬ 
bahnen, die sich im rechten Vorder- und Seitenstrang vom oberen Brustmark bis 
beinahe zur Pyramidenkreuzung erstreckte. Das geringere Befallensein der linken 
Seite kann man durch das kürzere Bestehen der Affection auf dieser Seite erklären. 
Die Degeneration der Go wer s’ sehen und Kleinhiraseitenbahnstränge von einander zu 
trennen, war unmöglich; sie liess sich bis zu den unteren Pedunculi cerebelli ver¬ 
folgen. 

Die Pachymeningitis halten die Verff. nicht für eine Folge der Syringomyelie, 
sondern für gleichzeitig entstanden. Es gelingt nicht, bestimmte Veränderungen des 
Rückenmarks oder der Spinalganglien in der Höhe der unteren Cervicalwurzeln für 
die Erkrankung der rechten Schulter verantwortlich zu machen. 

Die Störungen der Sensibilität werden durch den anatomischen Befund vollständig 
erklärt. Während im Halsmark die für Schmerz und Temperatursinn bestimmten 
Fasern durch die Höhle im rechten Hinterhora vernichtet sind, verlaufen die für die 
tactile Sensibilität bestimmten Fasern unbeschädigt durch den Burdach’schen Strang. 

M. Rothmann (Berlin). 


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21) Ueber eine seltene Localisation einer Arthropathie bei Syringomyelie, 

von Dr. Friedr. Hahn. (Wiener klin. Wochenschr. 1897. Nr. 29.) 

Die Gelenkserkrankung beobachtete Yerf. bei einer 38 Jahre alten, an Syringo¬ 
myelie leidenden Frau (hochgradige Skoliose, Muskelatrophieen im Bereiche des 
Schaltergürtels und beider Hände nach dem Typus Aran-Duchenne, trophische 
Störungen der Haut und Nägel, Verbrennungsnarben, Sensibilitätsstörungen, Spasmus 
der unteren Extremitäten). Die Arthropathie war nach einem Trauma entstanden 
und nahm das rechte Ellenbogengelenk ein: Auftreibung und Verdickung der Um¬ 
gebung des Gelenkes, besonders an der radialen Seite der Cubita bei intacter Haut; 
Olecranon deutlich tastbar; Ulna, so weit palpabel, normal; Humeroulnargelenk frei 
beweglich. An der Beugeseite des Gelenkes, medial vom Capitulum radii und scheinbar 
ohne Zusammenhang mit diesem ein baselnussgrosser, knochenharter, verschiebbarer, 
schmerzloser Tumor zu fühlen; Capitulum radii deutlich zu fühlen, liegt aber nicht 
in der Hauptachse des Radius und lässt sich durch Druck auf den peripheren 
Badiusantheil verdrängen. Deutliches Beiben bei Bewegungen im Radioulnargelenk; 
Supination und Pronation unbehindert. 

Das Röntgenbild zeigt geringe Verdickung des unteren Humerus- und oberen 
Ulnarendes, erhaltenen Gelenkscontact beider, stumpfwinklige, gegen die Beugeseite 
gerichtete Abknickung des proximalen Radiusantheiles, sowie eine klaffende Lücke 
zwischen Capitulum radii und Eminentia capitata humeri. Der knochenharte, beweg¬ 
liche Körper warf keinen Schatten, und in der Tricepssehne oberhalb ihres Ansatzes 
sah man einen dunklen bohnengrossen Fleck, wahrscheinlich als Ausdruck einer Ver¬ 
knöcherung der Sehne. Der erwähnte harte Tumor dürfte als ein freier oder ge¬ 
stielter, aus Knorpel bestehender Gelenkskörper oder als Neubildung in der Kapsel 
aufzufassen sein.. Die Abknickung des proximalen Radiusantheiles ist wahrscheinlich 
Folge einer durch das Trauma (Sturz von der Treppe) bewirkten Infraction des 
Knochens. 

Auffallend ist die freie Beweglichkeit des Gelenkes trotz der bedeutenden Dil- 
formität Den Einfluss des Traumas auf die Entstehung der Arthropathie lässt auch 
dieser Fall dunkel. J. Sorgo (Wien). 


22) Troubles du thorax dans la Syringomyelie, par P. Marie. Aus der 

Sociötö mddicale des höpitaux. (Progrös mödical. 1897. Nr. 9. S. 136.) 

Verf. und Astie beobachteten bei der Syringomyelie eine nene trophische — 
thorax en bäteau — benannte Thoraxbildung, die für diese Erkrankungsform charakte¬ 
ristisch sein soll. 

Sie besteht in einer vorderen und medianen Aushöhlung des Brustkorbes, der 
dadurch einem Schiffe ähnlich sieht. Sein vorderes. Ende befindet sich an der Basis 
dee Halses — am Jugulum Storni, sein hinteres am unteren knöchern-knorpeligen 
Ende des Brustbeines. Die Missbildung ist nicht die Folge einer Deviation der 
Wirbelsäule. Adolf Passow (Strassburg i./E.). 


23) Myelite ohronique oonsöoutive 4 un trouble dans le döveloppement 
de la mobile öpiniöre, par Dr. Hamburger, Utrecht. (Revue de Mddecine. 
1896. Janvier. S. 46.) 

Anatomischer Befund einer chronischen Myelitis bei einem Pferde. Das Rücken¬ 
mark des Thieree zeigte ausserdem Formanomalien, welche congenitalen Ursprungs 
waren. Strümpell. 


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24) Ueber Degenerationsherde in der weiseen Substans des Büokenmarkes 
bei Leukämie, von Dr. M. Nonne. Ans dem Neuen Allgemeinen Kranken¬ 
haus in Hamburg (Eppendorf). (Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. X. 1897.) 

In zwei typischen Fällen von Leukämie, deren Krankengeschichten auszugsweise 
mitgetheilt werden, fand Verf. kleine und kleinste herdförmige, aber den Rückenmark- 
querschnitt irregulär vertheilte Degenerationen von acut parenchymatösem Charakter. 
Dieselben waren in den Pyramiden-Vordersträngen am zahlreichsten und traten voll¬ 
kommen unsymmetrisch auf. In der grauen Substanz konnten keine Veränderungen 
festgestellt werden, auch waren nirgends Gefässaffectionen oder Rundzelleninfiltration 
zu erkennen. In dem einen Fall bestand ausserdem in den Hintersträngen eine 
geringe Sclerosirung. Klinische Symptome von Seiten des Nervensystems waren nicht 
nachzuweisen. Offenbar handelt es sich hierbei um die gleichen, acuten, parenchy¬ 
matösen Degenerationen, wie sie von Käst in einem Falle von lienal-lymphatischer 
Leukämie beschrieben wurden. E. Asch (Frankfurt a./M.). 


26) Historisohe Notiz über Degenerationsherde in der weiseen Substanz 
bei Leukämie und über Degenerationen im Büokenmark bei Zehr¬ 
krankheiten, von Prof. Fr. Schnitze in Bonn. (Deutsche Zeitschrift für 
Nervenheilk. Bd. XI. 1897.) 

Verf. erinnert daran, dass er die gleichen Herde, wie sie neuerdings Nonne 
bei Leukämie geschildert (Deutsche Zeitschrift f&r Nervenheilk. Bd. X), schon im 
Jahre 1884 nicht nur bei dieser Krankheit, sondern auch bei chronischer Nephritis 
gefunden und im Neurolog. Centralbl. beschrieben hat. Ferner macht er darauf auf¬ 
merksam, dass die jetzt häufiger erwähnten Degenerationen in den Hintersträngen 
bei anämischen Zuständen schon vor langer Zeit von Th. Simon bei Phtisis gesehen 
und als „Körnchenzellenmyelitis“ beschrieben wurde (Arch. f. Psychiatrie. Bd. I und 
II, besonders Bd. II. S. 351). E. Asch (Frankfurt a./M.). 


26) Zur Lehre vom Büokenmarksabsoees, von Dr. Hermann Schlesinger, 
Assistenten an der III. medic. Klinik in Wien. Aus Prof. Obersteiner’s 
Laboratorium. (Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. Bd. X. 1897.) 

Bei einem 28jähr. Mädchen, welches klinisch nicht beobachtet wurde, stellte 
sich plötzlich complette motorische und sensible Lähmung der unteren Körperhälfte 
mit GOrtelgefühl und heftigen Schmerzen in den Beinen ein. Ausserdem bestand 
Steifigkeit und grosse Druckempfindlichkeit der Wirbelsäule, sowie Blasenlähmung. 
Sensorium dauernd frei. Etwa 9 Wochen nach dem Beginne des Leidens Exitus. 
Bei der Autopsie fand sich in der ganzen unteren Partie des Rückenmarks (Lenden¬ 
mark und Conus medullaris) eine Abscesshöhle, deren Abgrenzung stellenweise eine 
scharfe war, während sich an einzelnen Stellen eine beginnende Abkapselung nach- 
weisen liess. Ferner in der nächsten Umgebung des Abscesses, und unmittelbar an 
ihn anschliessend acute, myelitische Veränderungen mit beginnender Gewebsneurose, 
in den Seitensträngen eigenartige Herde, welche Verf. als anämische Neurosen auf- 
fasst, sowie aufsteigende Degenerationen in den Hintersträngen, in den Gowers'sehen 
Bündeln und in den Kleinhirnseitenstrangbahnen. E. Asch (Frankfurt a./M.). 


27) Zur Kenntniss der centralen Hämatomyelie, von Dr. E. Bregmann in 
Warschau. (Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. Bd. X. 1897.) 

Ein 30jähr., früher gesunder, niemals luetisch inficirter Mann, der durch seinen 
Beruf stets schwere Lasten auf dem Rücken zu tragen hatte, empfand plötzlich 


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heftige Schmerzen im R&cken und Abdomen, ausserdem trat Betentio urinae und bald 
darauf Blasenläbmung nebst cystitischen Erscheinungen hinzu. Die 2*/ 2 Monate nach 
dem Beginn des Leidens vorgenommene Untersuchung ergab spastische Parese der 
linken unteren, partielle Empfindungslähmung der rechten unteren Extremität und 
der rechten unteren Bumpfhälfte, ferner die gleiche Empfindungsstörung am Bumpf 
links und an der Vorderfläche des linken Schenkels. Wirbelsäule gerade, Dornfortsatz 
des 1. Lendenwirbels etwas druckempfindlich, Patellarreflex links stark erhöht, rechts 
annähernd normal, ausserdem linksseitiger Fussclonus, Fusssohlenreflex links schwach, 
rechts fehlend. Sämmtliche Erscheinungen mit Ausnahme der Sensibilitätsstörungen 
und einer gewissen Schwierigkeit beim Harnlassen gingen im Laufe der nächsten 
2 Jahre wieder zurück. Verf. nimmt eine centrale Hämatomyelie an, wie sie Minor 
beschrieben hat und wobei neben Muskelatrophieen und Paresen eine partielle Empfin¬ 
dungslähmung aufzutreten pflegt, welch letztere durch eine Affectioti der hinteren Theile 
der grauen Substanz bedingt ist. Den Sitz der Blutung localisirt Verf. zwischen 
dem 8.—9. Brust- und etwa dem 3.—4. Lendensegment, doch spricht die entgegen¬ 
gesetzte Analgesie und Thennanästhesie, sowie die spastische Parese der linken 
unteren Extremität auch für eine partielle Zerstörung des linken Seitenstranges. 

E. Asch (Frankfurt a./M.). 

28) A oase of haematorrhaohis, by William Brain. (Brit. med. Journ. 1897. 

Aug. 21. S. 453.) 

Ein 18jähr. Dienstmädchen, anämisch, am Morgen ihres Sterbetages noch wohl, 
f&hlt nach Stuhlentleerung (2 Pillen, unbekannt, was f&r welche) plötzlich „Ein- 
geschlafensein*' des ganzen Körpers und kann nur mühsam sich fortschleppen. Im 
Bette kann sie nur mühsam athmen und fühlt Schmerz im Nacken. Intelligenz un¬ 
gestört; Sprechen mühsam und langsam. Pupillen normal; linker Arm und rechtes 
Bein gelähmt; Patellarreflex fehlt; Sensibilität verringert. — Plötzlich Stubldrang; 
wässerige Defäcation; Collapsus und Tod. 

Autopsie: Unter dem 3. Cervicalwirbel, zwischen Dura und Spinalcanal ein 
Blutgerinnsel, dessen grösserer Theil rechterseits; Dura blutgefärbt. Das Gerinnsel 
erstreckt sich vom 2. zum 3. Cervicalwirbel. L. Lehmann I (Oeynhausen). 


29) Ueber zwei Fälle von primärer, combinirter Strangerkrankung des 

Rüokenmarks, von Arthur Wagner, Assistenzarzt am Landkrankenhause 

zu Cassel. (Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. Bd. XI. 1897.) 

1. 38jähr., hereditär nicht belasteter und luetisch nicht inficirter Bäcker klagt 
seit Weihnachten 1891 über Abnahme des Gefühls in Händen und Füssen, Kraft¬ 
verminderung in den Armen, Parästhesieen in den Beinen und zeitweilig auftretender 
Incontinentia urinae. Status: Sensorium klar, Hirnnerven ohne Störung, linkes 
Schultergelenk schmerzhaft, grobe Kraft der Arme und Hände etwas herabgesetzt, 
Spannungsgefühl in den Armen und Beinen, tactile Sensibilität und Temperatursinn 
an den Endphalangen beider Hände besonders an deren volaren Flächen herabgesetzt, 
tactile Sensibilität und Schmerzempfindung an der Planta pedis, besonders an den 
Zehen und den vorderen Fussrändern vermindert, auch werden an diesen Stellen 
grobe Temperaturunterschiede nicht erkannt, Triceps- und Patellarreflexe nicht vor¬ 
handen, Bömberg’sches Symptom nachweisbar, Gang unsicher, leichte Ataxie der 
unteren Extremitäten. Im Urin anfangs etwas Eiweiss, später nicht mehr. Nach 
vorübergehender Besserung Zunahme der Beschwerden: Kopfschmerzen, Schwindel¬ 
anfälle, Erbrechen, Schmerzen in Armen und Beinen, Ataxie und Verminderung der 
groben Kraft der Arme, Anästhesie, Analgesie und Aufhebung des Temperatursinns 


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am linken Arm und beiden Beinen, später auch Sensibilitätsstörungen an dem rechten 
Arm und Hand, Druckempfindlichkeit der Brustwirbelsäule, spastische Lähmung der 
Beine, Incontinentia alvi et urinae. Während der letzten Zeit der Krankheit wurde 
das früher erloschene Kniephänomen wiederholt beobachtet, Plantarreflex beiderseits 
lebhaft. Kurz vor dem Tode Gescbmacksstörung auf beiden Zungenhälften, Trige¬ 
minus im übrigen frei, Pupillenreaction stets vorhanden. 

Die anatomische Untersuchung des Bückenmarks ergab symmetrische Degeneration 
der Pyramidenvorder- und -Seitenstrangbahnen, der Kleinhirnseiten- und der Hinter¬ 
stränge. Die hinteren und vorderen Wurzeln, sowie die graue Substanz waren 
normal. 

2. 48 jähr., früher gesunder und angeblich niemals syphilitisch inficirter Arbeiter 
klagt seit 3 Monaten über Schmerzen in den Armen, Beinen und im Leib, seit 
6 Wochen besteht ausserdem rasch zunehmende Schwäche der Beine. Status: 
Anämisches Aussehen, Hirnnerven normal, keine Muskelatrophieen, keine groben 
Sensibilitätsstörungen, Kraft der Arme gering, Hautreflexe schwach, Kniepbänomen 
lebhaft, Fussclonus, untere Extremitäten spastisch gelähmt, Urin frei von Eiweiss 
und Zucker. Zuletzt Sphincterenbetheiligung und Cystitis. Exitus. 

Bei der Untersuchung des Rückenmarks fand sich ebenfalls Degeneration der 
Pyramidenvorder- und Seitenstrangbahnen, der Kleinhirnseiten- und der Hinterstränge. 
Auch in diesem Falle waren die vorderen und hinteren Wurzeln, sowie die graue 
Substanz normal. 

Die Degeneration der Hinterstränge beginnt im ersten Falle schon im Sacral* 
mark, im zweiten im untersten Lendenmark und ist beide Mal bis in das Kerngebiet 
in der Medulla oblongata zu verfolgen. Die Pyramidenseitenstrangbahnen sind das 
eine Mal vom Sacralmark, das andere Mal vom untersten Lendenmark bis in die 
Pyramidenkreuzung betroffen, und die Pyramidenvorderstrangbahnen sind in Fall I in 
ihrer ganzen Ausdehnung, in Fall II hingegen nur in der Höhe des Brust- und 
unteren Halsmarks verändert, während die Kleinhirnseitenstrangbahnen in beiden 
Fällen von ihrem Beginn bis in die Corpora restiformia degenerirt sind. 

Die grosse Ausdehnung der Erkrankung, die scharfe Abgrenzung von der Um¬ 
gebung und die Symmetrie der Affection lassen dieselbe als eine systematische er¬ 
scheinen, und zwar handelt es sich um eine primäre Degeneration des Nerven- und 
secundäre Wucherung des Stützgewebes. Eine secundäre Degeneration der langen 
Bückenmarksbahnen, abhängig von einer primären Sclerose irgend eines Bückenmarks- 
abscbnittes erscheint ausgeschlossen und ist die Vertheilung sowohl auf dem Quer¬ 
schnitt, wie in der Längsausdehnung nicht mit dem Bilde einer Myelitis mit secun- 
dären Strangerkrankungen in Einklang zu bringen. 

Gegen die Annahme einer Tabes sprach das Intactsein der hinteren Wurzeln 
und der Lissauer'sehen Randzone. E. Asch (Frankfurt a./M.). 


30) Le möeanisme des moavements röflexes. Un oas de eompression de 
la mobile dorsale aveo abolitlon des röflexes, par A. van Gehuchten. 
(Journal de neurologie et d’hypnologie. 1897. 26. Juni.) 

Ein 58jähriger, hereditär nicht belasteter Mann leidet seit 2 Jahren an Urin¬ 
beschwerden, die in dem letzten Jahre sich wesentlich verstärkt und schliesslich zur 
völligen Urinretention geführt haben. Dazu trat starke Verstopfung und Verlust der 
geschlechtlichen Kraft. Es entwickelten sich Schmerzen im Bücken, Steifigkeit und 
Ermüdung der unteren Extremitäten mit spastischem Gang, zuletzt eine schlaffe 
Lähmung der Beine. Die Sehnen- und Hautreflexe an denselben sind aufgehoben. 
Die tactile Sensibilität ist intact, ebenso der Muskelsinn. Schmerzempfindung und 
Temperatursinn sind - in der unteren Körperbälfte hinauf bis zum Dornfortsatz des 
10. Brustwirbels herabgesetzt. Die elektrische Erregbarkeit der Nerven und Muskeln 


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an den unteren Extremitäten ist normal. Die Diagnose wird anf Compression 
des unteren Theils des Brustmarks gestellt. Im weiteren Verlauf lässt sich 
ein Wiqjlerauftreten der Patellar- und Plantarreflexe constatiren, am deutlichsten am 
rechten Bein, während Cremaster*, Bauch-, Blasen- und Rectalreflex dauernd fehlen. 

Ist die Diagnose richtig, so ist das Fehlen der vom Lumbosacralmark abhängigen 
Haut- und Sehnenreflexe beim Intactsein dieses Marktheils und der peripheren Nerven 
bemerkenswerte zumal bei Zerstörung des Brustmarks eine beträchtliche Steigerung 
dieser Reflexe zu erwarten gewesen wäre. 

Entgegen den Ergebnissen der experimentellen Arbeiten geht aus der Gesammt- 
heit der klinischen Beobachtungen hervor, dass die vollständige Querschnittsläsion 
des cervicodorsalen Rückenmarks eine schlaffe Lähmung der unterhalb der Compressions- 
stelle ihre Innervation empfangenden Muskeln zur Folge hat, ohne dass die secun- 
däre Degeneration der Pyramidenbahn Muskelrigidität oder Contracturen bewirkt. 
Es kommt ferner zur völligen dauernden Aufhebung der Patellarreflexe und der 
visceralen Reflexe, sowie der oberflächlichen Hautreflexe, bisweilen mit Ausnahme 
des Plantarreflexes. Dabei ist der Reflexbogen im Lumbosacralmark intact. Es 
existirt in der Litteratur 'kein Fall von völliger Querschnittsläsion des Cervicodorsal- 
marks mit Erhaltensein dieser Reflexe; die drei von Egger als solche angefflbrten 
Fälle weist Verf. als nicht beweisend zurück. 

Aber auch eine einfache Compression des Cervicodorsalmarks ohne Degeneration 
der weissen Stränge und ohne deutliche Sensibilitätsstörung kann die gleichen 
klinischen Symptome darbieten, wie zwei von Kadner und Babinsky anatomisch 
untersuchte Fälle und eine Reihe klinischer Beobachtungen, wie die obige des Verf., 
darthun. In anderen derartigen Fällen kommt es allerdings zur spastischen 
Paraplegie. 

Die bisher zur Erklärung der Aufhebung der Reflexe bei der cervicodorsalen 
Compression des Rückenmarks aufgestellten Theorieen sind nicht geeignet, alle Fälle 
zu erklären. Der normale Muskeltonus ist nur der Ausdruck des dauernden Er¬ 
regungszustandes der motorischen Vorderhornzellen, der wiederum von den benach¬ 
barten mit den Zellen in Contact stehenden Neuronen beeinflusst wird. Diese 
Neurone sind: 

1. die Fasern der hinteren Wurzeln, 

2. die corticospinalen Pyramidenfasern, 

3. die absteigenden cerebellospinalen Fasern, 

4. die vorwiegend aus dem Mittelhirn stammenden Fasern des hinteren Längs¬ 
bündels. 

Die hinteren Wurzelfasern bringen den motorischen Zellen einen gewissen Gtrad 
der Erregung, die Pyramidenfasern haben einen hemmenden Einfluss, die cerebello¬ 
spinalen Fasern und das hintere Längsbündel wirken offenbar energisch stimulirend. 
Der durch alle diese Einflüsse bedingte nervöse Tonus stellt in seiner Uebertragung 
nach aussen den Muskeltonus dar. Zum Auftreten des letzteren ist es nothwendig, 
dass der nervöse Tonus nicht unter ein bestimmtes Minimum herabsinke. Eine 
Steigerung des nervösen Tonus kann sich wiederum nur zeigen, wenn der Muskel¬ 
tonus unter einer bestimmten Grenze bleibt. Zum Zustandekommen einer Reflex¬ 
bewegung unter normalen Bedingungen gehört ausser der anatomischen und functio¬ 
neilen Intactheit des nervösen Reflexbogens ein bestimmter Grad von nervösem Tonus 
der motorischen Ganglienzellen. Eine Abschwächung des letzteren kann durch eine 
stärkere peripherische Reizung paralysirt werden. 

Die Aufhebung einer Reflexbewegung kann unter drei Bedingungen stattfinden: 

1. Bei anatomischer oder functioneller Unterbrechung an irgend einer Stelle des 
nervösen Reflexbogens. 

2. Bei abnorm starker Hemmungswirkung auf die Vorderhornzellen, z. B. beim 

Choc. 


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3. Beim Herabsinken des nervösen Tonus der Vorderhornzelle unter ein be¬ 
stimmtes Minimum, so bei der Querschnittsläsion des Cervicodorsalmarks und oft bei 
einfacher Compression in diesem Abschnitt. 

Ist die Hemmungswirkung der Hirnrinde allein aufgehoben, so kommt es zur 
Muskelrigidität und Steigerung der Reflexe. Kommt es zugleich zur Unterbrechung 
der cerebellospinalen Fasern, so entwickelt sich eine schlaffe Lähmung der Muskeln 
mit Abschwächung oder sogar Aufhebung aller entsprechenden Reflexe. 

M. Rothmann (Berlin). 


31) A oaae of purulent primary spinal leptomeningitis, by Frank R. Fry, 

M. D. (Journal of nervous and mental disease. VoL XXIV. 1897. S. 458.) 

Nachdem der sonst gesunde 27jähr. Fat. angeblich einige Zeit an Furunkeln 
der Rackengegend gelitten hatte, entwickelte sich unter lebhaftem Fieber und sehr 
heftigen Schmerzen eine von unten nach oben aufsteigende totale motorische und 
sensible Lähmung des Körpers und der Extremitäten, während das Bewusstsein und 
die Hirnnerven völlig intact blieben. Der Tod erfolgte am 11. Tage durch Lähmung 
der Respirationsmuskeln. 

Die Section ergab eine acute Leptomeningitis des Rackenmarks. In dem eitrigen 
Exsudat fanden sich bei bakteriologischer Untersuchung Staphylococcus pyogenes 
albus und aureus, sowie Streptococcus pyogenes. 

Die vorausgegangene Furunkulose blieb die einzige Erklärung der Infection. 

Sommer (Allenberg). 


32) Pareso - analgesie des extrömitds inferieures avee panaris analgdsiques 
ou maladie de Morvan. Hömiplegie droite et paraplögie lnferieure, 
par Bourneville. (Arch. de Neurol. Vol. I. 1896. Nr. 6.) 

Die Mittbeilung betrifft einen 21jähr. Pat. mit schwerer hereditärer Belastung. 
Bei demselben waren im Alter von 2 Jahren Krämpfe aufgetreten, nach welchen 
eine Lähmung der rechten oberen Extremität und der beiden unteren Extremitäten 
zur&ckblieb. Später entwickelten sich die nach einer cerebralen Kinderlähmung ge¬ 
wöhnlichen Erscheinungen als Atrophie, Contracturen u. s. w. an den gelähmten Seiten; 
ausserdem blieb die intellectuelle Entwickelung sehr zurück. Dieser Fat. zeigte nun 
noch die Erscheinungen der Morvan’schen Krankheit: typische sensible und tro- 
phische Störungen und Muskelatrophieen an den oberen Extremitäten. 

Der Verf. nimmt als Grundlage der cerebralen Lähmung eine Meningomyelitis 
an, welche in Sclerose ausging. Zu dieser cerebralen Lähmung hat sich dann später 
die Morvan’sche Krankheit zugesellt. M. Weil (Stuttgart). 


33) Ein Fall von Solerodermie erfolgreich behandelt mit Extraotum 
thyreoideae, von Leonhard Weber. (New Yorker med. Monatsschr. Bd.IX. 
1897. Nr. 10.) 

33jähr. Frau, die mehrfach geboren bat, früher nie erblich krank war und in 
früheren Jahren nie an Rheumatismus gelitten hat, klagt seit 6 Monaten über leichte 
Schmerzen in den Knieen. Dieselben sind etwas geschwollen und zeigen die Er¬ 
scheinungen einer leichten subpatellaren Flüssigkeitsansammlung. Vor etwa 3 Jahren 
bemerkte sie, dass einzelne Stellen der Haut der rechten Seite des Halses, Nackens 
und Armes hart und steif wurden, dass diese Partieen an Umfang Zunahmen, da 
und dort confluirten und bretthart wurden. Seit lV 2 Jahren traten bandartige, auf¬ 
fallend weisse Streifen an der Beugeseite des Vorderarms dazu, welche narbenartig 
hervorragend sich gegen das Handgelenk verlieren. Gebrauch der Extremität 
seitdem behindert. 


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Bei der Untersuchung erweist sich, dass es sich um Sclerodermie handelt, die 
den rechten Arm, die rechte Schulter und die rechte Seite des Nackens und der 
oberen Brusthälfte ergriffen hat. Einzelne Finger etwas steif, Gebrauch des rechten 
Armes im ganzen etwas gehindert. Auf Stirn, Kinn, Wangen und Unterlippe kleine, 
weisse, massig harte Plaques, in Folge deren das Gesicht etwas verbreitert und der 
Ausdruck etwas starr erscheint. Im Qbrigen normaler Befund. Zur Besserung von 
gleichzeitig vorhandenen Malariasymptomen wurde zunächst Chinin, gegen die rheu¬ 
matischen Beschwerden Salol verabreicht. Beides blieb ebenso wie Arsen ohne Ein¬ 
fluss auf die Hautaffection. Dagegen brachte etwa 7 Monate lang hindurch fort¬ 
gesetzter Gebrauch von Thyreoideatabletten völlige Heilung, die erst 6 Monate nach 
Aussetzen des Mittels einem leichten Becidiv Platz machte, das auf Thyreoidea 
abermals verschwand. Ein auch später prophylaktisch angeordneter Gebrauch von 
Schilddrflsentabletten liess erneute Erankheitserscbeinungen nicht auftreten. 

Martin Bloch (Berlin). 


Therapie. 

34) Ein Beitrag zur Chirurgie des Bückenmarks. Heilung einer duroh 
intraduralen kalten AbBeess bedingten Compressionslähmung duroh 
Eröffnung des Duralsaokes nach Lamineotomie, von Dr. Trapp. Aus 
der Chirurg. Klinik in Greifswald. (Münchener medicin. Wochenschrift 1897. 
Nr. 27.) 

In der interessanten Krankengeschichte handelt es sich zunächst um die Folge¬ 
erscheinungen einer Wirbelsäulenfractur in der Höhe des 6.- 8. Brustwirbels, welche 
sich der 20jähr. Kranke durch einen Sturz auf das Gesäss zugezogen hatte. Sofort 
vrar ein Gibbns nachweisbar, doch erst mit der allmählichen Yergrösserung desselben 
bildete sich nach und nach eine zunehmendei Schwäche der Beine in Form einer 
spastischen Parese ohne Sensibilitätsstörung aus. Hierauf gründete sich die Diagnose 
einer Rückenmarkscompression, und zwar wurde eine im Anschluss an die Fractur 
aufgetretene, tuberculöse Caries angenommen. Nachdem die eingeleitete Extensions¬ 
behandlung erhebliche Besserung im Gefolge hatte, trat ein plötzlicher Rückfall ein, 
an den sich allmählich eine progressive Verschlimmerung des Zustandes anschloss, 
so dass mit fernerer Berücksichtigung abendlicher Temperatursteigerungen und von 
Nachtschweissen ein extraduraler, vom Knochen ausgehender kalter Abscess angenommen 
wurde. Die auch im Hinblick auf die noch erhaltenen Reflexe und die intacte 
Sensibilität indicirte und ausgeführte Operation bestand in der Eröffnung des Wirbel¬ 
canals und — da sich extradural kein Herd fand — auch des Duralsackes. Auf 
letzteren Eingriff hin entleerte sich dicker mit käsigen Bröckeln untermischter Eiter. 
Unter geeigneter Wundbehandlung, wobei unter anderen ohne Schaden für das Rücken¬ 
mark und die Leptomeningen Jodoformglycerin in Anwendung kam, besserte sich der 
Zustand allmählich, um schliesslich unter Extension in völlige Heilung überzugehen, 
was bei dem intraduralen Sitz des Eiterherdes mit Recht als bedeutsam hervor- 
gehoben wird. Ein dauernd zu tragendes Gypscorsett dient zar nothwendigen Stütze 
und Schonung der geschwächten Wirbelsäule. Der Verf. hebt dann noch die dia¬ 
gnostische Bedeutung des plötzlichen Rückfalles mit daran anschliessender weiterer 
Verschlimmerung des Zustands als charakteristisch für den Durchbruch eines Eiter¬ 
herdes, sei es mit intra- oder extraduralem Sitz, hervor. Dass in dem vorliegenden 
Falle keine allgemeine Meningitis spinalis eintrat, hierfür ist die Annahme einer 
entzündlichen Abkapselung des Herdes gewiss ein Postulat 

E. Asch (Frankfurt a./M.). 


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III. Aus den Gesellschaften. 

Aerztlioher Verein in Hamburg. 

Sitzung vom 15. Juni 1897. 

(Deutsche med. Wochenschr. 1897. Nr. 46.) 

1. Krause spricht Ober tuberoulöse Spondylitis. 

Diese beginnt fast stets an den Wirbelkörpem und zwar an den Stellen des 
Hauptknochenwacbstliums, d. h. am Uebergang des Lig. longitudinale anterius in die 
vordere Fläche der Wirbelkörper und an der Grenze der Zwischenwirbelscheiben und 
der Körper. Ausgeprägt ist bei der tuberculösen Spondylitis sodann die Neigung, 
in vielfachen Herden aufzutreten. Selten ist der Beginn in der Mitte eines Wirbel* 
körpers ohne Zusammenhang mit dem Lig. longitudinale anterius oder einer Zwischen¬ 
wirbelscheibe. Die tuberculösen Granulationen zerfallen bei weiterem Fortschreiten 
des Leidens eitrig, es entstehen prävertebrale Abscesse, die Zwischenwirbelscheiben 
werden zerstört, die nur hinten gestützte Wirbelsäule bricht nach vorne zusammen, 
es resultirt ein Gibbus. — Selten entsteht dieser ohne Eiterung, wenn ein Zwischen¬ 
wirbelknorpel oder ein Wirbelkörper nur durch Granulationsmassen ersetzt wird. In 
diesem Krankheitsstadium wirken als neue schädliche Factoren die gegenseitige In- 
fection der blossliegenden Knochen durch den tuberculösen Eiter und der Druck der 
Wirbelkörper auf einander. Das Calot’sche Kedressement wird in der Mehrzahl der 
Fälle zur Correctur des Buckels genügen, nur bei starkem, knöchernem Callus soll 
nach Calot eine keilförmige Resection der Wirbelsäule vorgenommen werden, eine 
Operation, der gegenüber sich Vortr. ablehnend verhält, da das Leiden in diesen 
Fällen meist ausgeheilt, ein so schwerer Eingriff daher nicht gerechtfertigt ist. 

2. Hess: Demonstration eines Falles von rechtsseitiger Hemiplegie. 

Bei dem jetzt 57 2 jährigen Knaben trat mit 1 j 2 Jahre plötzlich rechtsseitige 
Lähmung auf; Gesichtsbetheiligung fraglich. — Das Bein besserte sich rasch, Pat 
lernte mit 1 Jahr laufen. Zeitig besteht Verkürzung und Abmagerung des rechten 
Armes mit Beweglichkeitsbeschränkung und geringen Muskelspasmen, an der rechten 
Unterextremität Verkürzung (besonders am Unterschenkel), Atrophie und Steigerung 
des Patellarreflexes. Sensibilität und elektrische Reaction intact. Undeutliche Sprache, 
geringe Idiotie. — Keine Aphasie, keine epileptischen Krämpfe, keine choreatischen 
oder athetotischen Bewegungen. — Normale Kopfmaasse. 

Vortr. nimmt als wahrscheinlich eine mehr allgemeine Erkrankung des Cortex 
etwa nach Art der Mikrogyrie an und neigt dazu, gröbere Narben, Cysten u. s. w. 
und Hydrocephalus auszuschliessen. Die Prognose des Falles ist relativ günstig, 
doch können Complicationen (Epilepsie, Chorea, Athetose) noch hinzutreten. 

R. Pfeiffer (Cassel). 


Gesellschaft der Neuropathologen und Irrenftrate au Moskau. 

Sitzung vom 19. December 1897. 

1. I)r. W. Semidaloff und Dr. W. Weydenhammer: Zur Frage über das 
Delirium aoutum. 

Nach vorangehender Uebersicht der letzten Arbeiten über das Deliriüm acutum 
gehen die Autoren zur Beschreibung ihrer Fälle über: 

Erster Fall: Frau von 34 Jahren; in der Anamnese weder Lues noch Abusus 
spirit. Mitte October 1896 grosse motorische Unruhe, Bewusstseinstrübung, Hallu- 
cinationen. Von Mitte November aggraviren alle diese Erscheinungen, es können 
Pupillendifferenz und Fehlen der Patellarreffexe constatirt werden, reichliches Grimas- 
siren, Zuckungen in verschiedenen Gebieten der Muskulatur, hochgradiger Kräfteverfall. 
Vom December Erhöhung der Temperatur bis auf 38,5°, halb willkürliche Grimassen 

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im Geeicht, Nahrungsverweigerung; von Mitte December adynamische Phase der 
Krankheit mit stark ausgesprochenen trophischen Störungen. Tod den 31. December. 

Zweiter Fall: Frau von 31 Jahren. Psychopathische Heredität. Die letzte 
Geburt den 25. März 1896, stillte selbst. Die fast jedes Jahr sich wiederholenden 
Geburten verliefen ohne Temperaturerhöhung, nach der letzten Geburt geringfügige 
Störung des subjectiven Befindens. Den 3. Juli Erhöhung der Temperatur bis auf 
38,5°, vom 6. Juli Bewusstseinstrübung, Hallucinationen, starke motorische Unruhe. 
Pupillendifferenz und Abschwächung der Patellarreflexe. Bis zum 11. Juli, wo der 
Exitus erfolgte, bestand ausserdem noch hochgradiges Sinken in der Ernährung, 
Nahrungsverweigerung, halb willkürliches Grimassiren und unregelmässige hohe Tem¬ 
peraturen. 

Nach eingehender Betrachtung dieser Fälle vom Standpunkte der klinischen 
Erscheinungen, scheiden die Autoren bestimmte Gombinationen physischer und psy¬ 
chischer Symptome bei Delirium acutum aus und ziehen damit die Grenzen von den 
schweren Formen der Amnesie. Zur Unterscheidung des acuten Deliriums von den 
galloppirenden Formen progressiver Demenz bleiben sie bei der Betrachtung eines 
von ihnen genau untersuchten Falles galloppirender progressiver Paralyse stehen, bei 
welchem der Symptomencomplex des acuten Deliriums die Symptome der Paralyse 
nicht verwischt hatte. In Bezug auf den Verlauf des acuten Deliriums werden von 
ihnen auch Fälle mit protrahirtem Verlauf zugelassen, wie das auch im ersten der 
beschriebenen Fälle constatirt wäre. 

Die Obduction des ersten Falles ergab folgenden Befund: Dura mater normal, 
Pia cerebralis stark hyperämisch, leicht ödematös; diffuse kleine Blutungen. Binde 
des Grosshirns stark hyperämisch, unterscheidet sich scharf von der darunter liegenden 
weissen Substanz; diffuse punktförmige Hämorrhagieen in der Binde. In der Binde 
der Stirnwindungen (namentlich der 3.), in der Insul, ßheilii, in der 1. Schläfen- 
und in den Centralwindungen zerstreut liegende kleine encephalitische Inseln, welche 
sich ein wenig in die darunter liegende weisse Substanz fortsetzen. Die mikrosko¬ 
pische Untersuchung ergab das Bild einer subacuten hämorrhagischen Encephalitis, 
welche in. den makroskopisch sichtbaren, oben angeführten Herden stärker aus¬ 
gesprochen war. 

Im zweiten Falle ist die mikroskopische Untersuchung nicht ausgeführt worden. 
Bei der makroskopischen Betrachtung liess sich Folgendes constatiren: starke Hyper¬ 
ämie der Binde und der Pia cerebralis. Punktförmige Hämorrhagie im centralen 
Höhlengrau des 4. Ventrikels. Ungeachtet des Fehlens der mikroskopischen Unter¬ 
suchung, nehmen die Autoren auch in diesem Falle an, dass es sich hier wahrschein¬ 
lich um eine acute hämorrhagische Encephalitis bandelt, welche in Folge des raschen 
Ablaufs der Erkrankung nicht Zeit gefunden hatte, sich durch deutliche anatomische 
Veränderungen zu documentiren. 

Indem die Autoren die Besultate ihrer Untersuchungen mit den Ergebnissen 
früherer Arbeiten vergleichen, kommen sie zur Ueberzeugung, dass in der letzten 
Zeit dank den sorgfältigen Untersuchungen das anatomische Substrat des acuten 
Deliriums sich immer häufiger als eine acute hämorrhagische (Meningo-)Encephalitis 
erweist (die Fälle von Bianco und Piccinini, Popoff, Chmelewsky, Suchanoff); 
in den älteren Arbeiten ist ebenfalls in den meisten Fällen Encephalitis oder Meningo¬ 
encephalitis und häufiger die hämorrhagische Form gefunden worden. Fälle, wo bloss 
eine Hyperämie der Binde oder sogar gar keine Veränderungen des Grosshirns ge¬ 
funden worden, sind mikroskopisch nicht untersucht worden, haben folglich keine 
Bedeutung. Auf diese Weise halten es die Autoren für möglich, festzustellen, dass 
einem vollständig klinisch bestimmten Symptomencomplex des Delirium acutum in 
allen Fällen ein bestimmtes anatomisches Substrat und zwar die acute hämorrhagische 
Encephalitis entspricht ln Anbetracht dessen halten es die Autoren für möglich, 
das Delirium acutum als eine besondere selbständige Form mit bestimmtem anato- 
machem Substrat auszuscheiden und betrachten das Delirium acutum als eine voll- 


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kommen isolirte Unterart aus der umfangreichen Gruppe der hämorrhagischen Ence¬ 
phalitiden, als eine ebenso isolirte Unterart, wie die Formen von Strümpell, 
Wernicke, Poliencephalitis inferior. In Anbetracht dessen, dass der Process haupt¬ 
sächlich sich in der grauen Substanz des Gehirns — in der Binde — localisirt, 
sind die Autoren geneigt, das Deliriam acutum zur Gruppe der acuten Poliencephali- 
tiden zuzuzählen. Eine vollkommen strenge Abgrenzung von den anderen Formen 
der hämorrhagischen Encephalitis hat das Delirium acutum ebenso wie auch diese 
letzteren nach der Meinung der Autoren nicht; es ist eine Beihe von Combinationeu 
und Uebergängen zu den Formen Strümpell, Wernicko und vice versa möglich. 
Der Verlauf der Krankheit bei Delirium acutum kann ein acuter oder subacuter sein. 
Im Allgemeinen lässt sich eine grosse Aehnlichkeit des Verlaufs mit den übrigen 
Formen der acuten hämorrhagischen Encephalitis constatiren. Der Unterschied hängt 
von der Verschiedenheit der Localisation des Processes ab. — Die Aetiologie des 
Delirium acutum kann nach Meinung der Autoren eine verschiedene sein; die Grund¬ 
lage kann, ebenso wie bei den anderen Formen der acuten Encephalitis, die Infection 
und Intoxication (im allgemeinen Sinne) abgeben. 

Discussion: 

Dr. W. Muratoff: Die von den Autoren gefundenen Veränderungen sind so 
wenig charakteristisch, dass bis jetzt noch kein Grund vorliegt, dieselben als eine 
besondere Gruppe der Encephalitiden aufzufassen. 

Dr. G. Bossolimo erwähnt, indem er Bich mit den Schlüssen der Autoren ein¬ 
verstanden erklärt, eines Falles von Delirium acutum, bei dem die Section einen 
acut hämorrhagischen encephalitischen Herd im Gebiete einer Centralwindung ergab; 
die Ausdehnung des Herdes und der Blutungen müssen von den Besonderheiten des 
ergriffenen Abschnittes des Blutgefässsystems abhängen. 

Dr. W. Serbsky hält die strenge Durchführung einer Grenze zwischen Amentia 
und Delirium acutum für nicht möglich. 

2. Dr. N. öolowzeff: Ueber Missgestaltungen des Qrosshirns im Zu¬ 
sammenhang mit spinalen Veränderungen. 

Vortr. hatte Gelegenheit, im anatomischen Theater des Moskauer Findelhauses 
drei Kinder mit unentwickeltem Grosshirn zu seciren; von denselben lebte eines 
60 Tage, die beiden anderen bis zu 6 Tagen. In allen diesen drei Fällen ergab 
die Section in der Schädelhöhle nur das Kleinhirn und den Himstamm mit disfor- 
mirten Corpora quadrigemina und Thalamus opticus, welche mit der Hirnhaut bedeckt 
waren, vom Grosshirn jedoch war bloss ein formloser kleiner Auswuchs zu sehen. 
Die mikroskopische Untersuchung zeigte vollkommenes Fehlen der Pyramidenbabnen 
in ihrer ganzen Ausdehnung. Die Untersuchung der Bückenmarkszellen nach Nissl 
(nach vorhergegangener Formolhärtung) zeigte interessante Besultate. Während die 
Zellen der Hinterhörner und der Intervertebralganglien keine Abweichung von der 
Norm aufwiesen, bestanden die Zellen der Vorderhörner hauptsächlich aus einem 
grossen Kern, welcher von einem bald schmäleren, bald breiteren achromatinen Netz 
von grobem Maschenwerk umgeben war, in dem nicht selten sich Vacuolen vorfanden. 
Chromatophile Körner fehlen gänzlich, obgleich die chromatophile Substanz augen¬ 
scheinlich in der Zelle enthalten ist, aber in diffusem Zustande. Parallele Unter¬ 
suchungen von unausgetragenen Kindern ergaben grosse Aehnlichkeit der Vorderhom- 
zellen in beiden Fällen: die chromatophilen Körner erscheinen erst im 7. Monat des 
intrauterinen Lebens. Aus diesem Umstande hält der Vortr. die Zellen in den drei 
beschriebenen Fällen als stehengeblieben in ihrer Entwickelung und sieht den Grund 
in der Abwesenheit der Pyramidenbahnen, welche die Vorderhornzellen tonisiren. Bei 
normalen Embryonen wachsen die Fasern der Pyramidenzellen der Hirnrinde bis an 
die motorischen Zellen der Vorderhörner des Bückenmarks ungefähr im 7. Monat 
heran, und von dieser Zeit an beginnt die endliche Formirung dieser Zellen. 


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Der Vortrag wurde begleitet von Demonstration makro- und mikroskopischer 
Präparate. 

An der durch den Vortrag hervorgerufenen Debatte nahmen die Herren Drr. Kor- 
niloff, Muratoff, Kosbewnikoff und Pribytkoff Theil. 

3. Dr. N. M. Wersiloff: Myelitis centralis acuta asoendens (mit Demon¬ 
stration von Präparaten). 

Der 29 Jahre alte Kranke trat in die Klinik för Nervenkrankheiten (24. Nov. 
1895) mit den Erscheinungen einer vollständigen Paralyse der linken und Parese der 
rechten Hand, von Schwäche der Halsmuskeln, geringgradiger Sprach- und Scbluck- 
störungen ein; degenerative Atrophie der paralysirten Muskeln und dissociirte An¬ 
ästhesie des linken Arms und der linken Körperhälfte. Diese Erscheinungen ent¬ 
wickelten sich acut ohne Temperatursteigerung in wenigen Stunden im Juli 1895. 
In der Klinik langsame Besserung, aber Ende Januar 1896 allgemeine Schwäche, 
darauf Parese des linken Beins, bald darauf Erschwerung des Athmens und Schluckens, 
Anfang März vollkommene Unbeweglichkeit der Augäpfel; 14. März 1896 Exitus 
letalis. Die Temperatur erhielt sich während dieser ganzen Zeit normal. 

Die anatomische Untersuchung ergab einen entzündlichen Process im oberen 
Abschnitt des Bückenmarks bis zum 3. Dorsalsegment. Ergriffen erscheint haupt¬ 
sächlich die vordere Hälfte des Bückenmarks: die Vorder- und Seitenhömer und die 
Grundbündel der Vorder- und Seitenstränge; zur Peripherie des Bückenmarks ver¬ 
ringern sich die Veränderungen. Die Zellen der Vorder- und Seitenhörner stark 
degenerirt, Hyperämie und Infiltration der Gefässe der grauen Substanz. Im Hirn- 
stamm ist der Process um die Ventrikel herum localisirt und hat die Kerne der 
Hirnnerven (III, IV, VI, X u. s. w.) ergriffen. Degenerirt sind (an Marchi-Prä¬ 
paraten): die Corpora restiformia bis zum Wurm, die Fortsetzung der Grundbündel 
der Vorder- und Seitenstränge bis zu dem Thalam. optic., die Gowers’schen Bündel 
bis zum Pons Varoli. 

Der ganze Process muss als ein entzündlicher aufgefasst werden; das ist eine 
Myelitis, welche im gegebenen Falle einen ascendirenden Verlauf genommen hat und 
später das Bild einer Encephalitis zeigt. Der Bückenmarksprocess, der älteren Ur¬ 
sprungs ist, hat degenerative Veränderungen im Hirnstamm hervorgerufen. 

Das anatomische und klinische Bild gegen einander haltend, kann man annehmen, 
dass es sich hier um denselben Process handelt, wie bei der Poliencephalitis, nur 
mit anderer Vertheilung der entzündlichen Herde, um einen Process, welcher dennoch 
ein gewisses System und gewisse Begularität zeigt. 

Discussion: 

Prof. Both ist der Meinung, dass im gegebenen Falle die Bezeichnung acut 
nicht ganz correct sei, vielmehr ist das ein subacuter Process. Was die Anästhesie 
betrifft, so könnte sie auch peripheren Ursprungs sein. 

Dr. Bossolimo -und Dr. Orlowsky nehmen an, dass die Localisation der Er¬ 
krankung im gegebenen Falle abhängig gemacht werden könnte von der Verbreitung 
des Processes längs bestimmten arteriellen Systemen. 

An der Discussion nahmen ausserdem Theil: Kosbewnikoff, Murawjeff, 
Pribytkoff und Muratoff. 


IV. Vermischtes. 

Zum schweizerischen Irrengesetz. 

ln Bd. XXVIII des Archivs für Psychiatrie nod der Monatsschrift für Psychiatrie and 
Neurologie. Bd. II. H. 2 findet sich der Abdrack „der Grundsätze für ein Bandesgesetz zum 
Schutze der Geisteskranken“, die vom Verein Schweizerischer Irrenärzte aufgestellt wurden. 
Da der Verein sich jedoch überzeugte, dass einstweilen ein Bundesgesetz zum Schutze der 
Geisteskranken nicht zu erlangen sei, beschloss er, eine interkantonale Vereinbarung anzn- 


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streben. Die Anregung wurde günstig aufgenommen und an der Conferenz, die auf den 
5. März 1897 einberufen wurde, nahmen Vertreter fast aller deutsch-schweizerischen Kantone 
Theil. Die Grundzüge fanden Zustimmung und eine aus den Theilnehmern der Conferenz 
erwählte, aus Abgeordneten der Regierungen und des Vereins der Sehweizerisehen Irrenärzte 
bestehende Commission nahm folgende Vereinbarung an, die jenen Kantonen nun zur Be- 
rathung überwiesen wurde: 

Vereinbarung zum Schutze der Geisteskranken. 

Art 1. Die vertragschliessenden Kantone bestellen zum Schutze und zur Beauf¬ 
sichtigung der Geisteskranken ein fachmännisch gebildetes und erfahrenes Inspectorat, welchem 
ein Secretär zur Verfügung beigegeben wird. 

Art. 2. Diese Beaufsichtigung durch ein Inspectorat erstreckt sich auf sämmtliohe 
Geisteskranke, die 

a) in öffentlichen oder privaten Anstalten verflogt werden, 

b) aus solchen Anstalten als nicht geheilt entlassen und desshalb der privaten Pflege 
überlassen werden, 

c) bevogtet sind oder öffentlich unterstützt werden, 

d) sie von sich aus begehren. 

Art 8. Die kantonalen Behörden sorgen dafür, dass dem Inspector die Namen und 
der Aufenthalt aller im Kanton befindlichen, in Art 2 litt, a—d angeführten Geisteskranken 
mitgetheilt werden. 

Art. 4. Der Inspector wird von den vertragschliessenden Kantonen ernannt und hat 
sich ausschliesslich der ihm übertragenen Aufgabe zu widmen, 

Art. 5. Seine Wahl, die Festsetzung seiner Besoldung und der des Secretärs, sowie 
der Erlass eines Reglements erfolgen durch eine Delegation der vertragschliessenden Kantone, 
wozu jeder derselben zwei Mitglieder abordnet 

Art. 6. Die Besoldungen und die übrigen Kosten des Inspectorats werden im Ver- 
hältniss ihrer Bevölkerungszahl auf die einzelnen Kantone vertheilt. 

Art. 7. Für die Begutachtung der in Betracht kommenden rechtlichen Verhältnisse 
bezeichnet jeder Kanton eine bestehende Amtsstelle, an die sich der Inspector im gegebenen 
Falle zu wenden hat 

Art 8. Dem Inspector liegt ob: 

1. Die in den vertragschliessenden Kantonen befindlichen Irrenanstalten, sowie die in 
Art. 2 litt, b — d genannten Kranken mindestens in den vom Reglement festzasetzenden 
Zeiträumen zu besuchen und über seinen jeweiligen Befund an die betreffende Kantons¬ 
regierung Bericht zu erstatten. 

2. Alle von Geisteskranken oder von dritter Seite an ihn gelangenden Beschwerden, 
namentlich auch solche über Verpflegung und Behandlung, zu prüfen und zu Händen der 
betreffenden Kantonsregierung seine Anträge zu stellen. — Der endgültige Entscheid bleibt 
in allen Fällen den kantonalen Behörden Vorbehalten, deren Competenzen durch die gegen¬ 
wärtige Vereinbarung in keiner Weise berührt werden. 

8. Der Inspector erstattet jährlich Über seine Thätigkeit den vertragschliessenden 
Regierungen einen einlässlichen Bericht. 

Art. 9. Die bisherige unmittelbare Aufsicht über die Geisteskranken durch die 
Regierungsorgane und die Aufsichtscommissionen, sowie die kantonalen gesetzlichen Bestim¬ 
mungen über Organisation und Verwaltung der Irrenanstalten werden durch diese Verein¬ 
barung in keiner Weise berührt. 

Diese Vereinbarung wird in Kraft treten, nachdem sie von den betheiligten Kantonen 
angenommen worden ist. 

Die Commission hat den kantonalen Regierungen den Beitritt zu der Vereinbarung 
unter ausführlicher Begründung empfohlen. H. Wille (Basel). 


V, Berichtigung. 

S. 119, Zeile 22 von oben, lies: Merck’sche statt Marchi’sche. 


Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten. 

Einsendungen für die Redaction sind zu richten an Prof. Dr. E. Mendel, 
Berlin, NW. Schiffbauerdamm 20. 

Verlag von Vbit & Comp, in Leipzig. — Druck von Mztzobb & Wittiö in Leipzig. 


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Neurologisches Centralblatt. 


Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie 
und Therapie des Nervensystems einschliesslich der Geisteskrankheiten. 

Herausgegeben von 

Professor Dr. E. Mendel 

Siebzehnter " b * tHd ’ Jahrgang. 

Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 24 Mark. Zu beziehen durch 
alle Buchhandlungen des In- und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reibhs, sowie 

direct von der Verlagsbuchhandlung. 


1898. 


1. März. 


Nr. 5. 


I. Originalmittheilungen. 1. Ueber Localisation innerhalb des äusseren Knieganglions, 
von S. E. Hänschen. 2. Die partielle Kreuzung der Sehnerven in dem Ghiasma höherer 
Säugetbiere, von Prof. W. v. Bechterew in St. Petersburg. 3. Ein Fall von Hirngeschwulst 
in der linken motorischen Sphäre, linkseitiger Lähmung, Abwesenheit der Pyramidenkreuzung, 
von Dr. Philip Zenner. 4. Von der Bedeutung der Associationscentren von Flechsig zur 
Erforschung der Entwickelung des Geistes, der Sprache, der Psychologie der Sprache, wie 
auch der Lehre von der Sprachlosigkeit, von Dr. W. Otuszewski. (Schluss.) 

10. Referate. Anatomie. 1. Quergestreifte und längsgestreifte Muskeln, von Schult*. — 
Experimentelle Physiologie. 2. Di un riflesso pupillare di origine auricolare, per 
Pisenti. — Pathologische Anatomie. 3. Contributo sperimentale alla conosceuza dell’ 
istogenesi del r&mmollimento cerebrale ischemico, per Guizzettl. * 4. Rückenroarkshefunde bei 
Gehirntumoren, von Ursin. 5 . Ulteriori ricerche istologiche sulle alterazioni luetiche delle 
arterie cerebrali, per Stanziale. 6 . Zur Kenntniss der Meningocele spuria (Billroth'schen 
Krankheit) in neuropathischer Hinsicht, von Bayerthal. — Pathologie des Nerven¬ 
systems. 7. Sensory aphasia with sector-shaped homonymous defect of the field of vision: 
a study in localisation, by Thomson. 8. Un cas de surditö verbale pure terminäe par aphasie 
sensorielle suivi d'autopsie, par Dfjerine et Sirieux. 9. Ueber gewisse, den aphasischen 
analoge Störungen des musikalischen Ausdrucksvermögens, von Knauer. 10. Beitrag zur 
Lehre der amnestischen Sprachstörungen, nebst Bemerkungen über Sprachstörungen bei 
Epilepsie, von Blschoff. 11 . Fall af afasi samt emboli af arteria mesenterica snperior, af 
Köster. 12. A hangklprö körpontok körtana (Pathologie der Laut bildenden Centren, von 
Onodi. 13. Du mntisme chez Tenfant qui entend, par Boyer. 14. Observation d’aphasie 
stationnaire pendant trente-huit ans, par Brunet. 15. Troubles moteurs precödant l’articu- 
lation de la parole chez uu degänlrö, par Planat. 16. Hysterical mntism and other functional 
speech defects, by Bastian. 17. Hemianopsia, with especial reference to its transcent varieties, 
by Harris. 18. Ueber doppelseitige homonyme Hemianopsie und ihre begleitenden Symptome, 
von Kaestermann. 19. Om Hemianopsi, af Meisling. 20. Et Tiefälde af bitemporale hemi- 
anopiske Skotomer, af Pontoppidan. 21. Contributo clinico ed anatomico allo studio del 
ciaticerco del cervello umano, per Gianni. 22. Sulla fisiopatologia dei lobi prefrontali del 
cervello, per Christian!. 23. Beitrag zur Kenntniss der Stirnhirnerkrankungen, von Voegele. 
24. Ueber Affectionen im Gebiete der Varolsbrücke, von Borowikow. 25. Four cases of cere- 
bellar disease (one autopsy) with reference to cerebellar hereditary ataxia, by Spiller. 26. Un 
cas de gliome volumineux du cervelet (symptomes de compression et phenomenes hallucina- 
toires), par Trdnel et Antheaume. 27. Contributo allo studio della ependimite acuta, per 
Cervesato. 28. Casuistische Mittheilungen aus dem Gebiet der Neuropathologie, von Dinkler. 
29. Ueber Varietäten der Gehirnblutung, von Pascheies. 30. Plötzlich tödtliche Gehirnblutung 
bei einem 9jährigen Knaben, von Jellfnik. 31. Hemiplegie in a young child, by Abrahams. 
82. Ueber Störungen des Würgreflexes, der Sprache und der Deglutition bei Hemiplegie, von 
Kattwinkel. 33. Ueber das Verhalten der Sehnenreflexe und der passiven Beweglichkeit bei 
der Hemiplegie. Kritisches Sammelreferat von Mann. 34. I movimenti anxiliari degli emi- 
plegici in rapporta alla patogenesi ed alla prognosi delle contrattnre, per Glubardlcci. 
85. Note snr les donleurs prdhemipldgiques, par FM. — Psychiatrie. 36. Ein Fall von 
posteclamptischem Irresein mit rückschreitender Amnesie, von Sander. 37. Note sur an cas 
de toxicomanie variable, par FM. 38. Relazione su dne casi di cbirurgia cerebrale per 
leaione dei lobi frontali, per Crespi. — Therapie. 39. Zar Behandlung der Hemiplegie, von 
Heehzarmeyer. 40. Ueber das Brisement des Buckels nach Calot, von Lorenz. 

III. Aus den Gesellschaften. Finska Läkaresällskap. 

IV. Vermischtes. Verein der deutschen Irrenärzte. 


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I. Originalmittheilungen. 


1. Ueber Localisation 
innerhalb des äusseren Knieganglions. 1 

Von S. E. Hensohen. 

Unsere Kenntnisse über die physiologischen Vorgänge und speciell über die 
Localisation in den Hirnganglien sind überhaupt recht dürftig. Indes ist 
ihre feinere Structur durch die Forschungen des letzten Decenniums bedeutend 
erweitert und der Zusammenhang der Nervenfasern mit den Ganglienzellen in 
ein klareres Licht gestellt So z. B. wissen wir, dass einige Ganglien, welche 
in den verschiedenen Sinnesbahnen eingeschoben sind, die Sinneseindrücke 
nur in eine gewisse Richtung hin leiten, obschon die Nervenfasern, 
welche den Sinneseindruck vermitteln, in diesen Ganglien unterbrochen sind; 
dass andere Ganglien Reflexe vermitteln, ist auch unzweifelhaft Aber ob in 
diesen Ganglien eine genauere Localisation hinsichtlich der Verbreitung der 
peripheren Sinnesnerven stattfindet, so dass auch in den Ganglien eine 
Projeotion vorhanden sei, darüber sind unsere Kenntnisse noch sehr mangel¬ 
haft Und überhaupt scheinen die Aussichten, hierhergehörende Fragen zu lösen, 
sehr gering zu sein. Betreffs der Ganglien der Geruchs- und Geschmacksbahnen 
und der Gehörganglien, sowie auch hinsichtlich der in die Empfindungsbahn 
eingeschobenen Hirnganglien, sind die Aussichten besonders trübe. 

Etwas lichter gestaltet sich die Sache betreffs der Ganglien der Sehbahn. 
Die anatomische Lage dieser Bahn ist besser bekannt, die Bahn ist kürzer und 
der Schlusspunkt sowohl. zur Lage wie Ausdehnung wenigstens meiner Meinung 
nach mit grösster Sicherheit erkannt und endlich können Störungen in dieser 
Bahn bei dem Lebenden mit grösster Schärfe diagnosticirt werden. 

In Folge dieser Momente kann man auch hoffen, dass wir bei eventuellen 
Störungen der in dieser Bahn eingeschobenen Ganglien zu einer tieferen Kennt- 
niss der in denselben abspielenden physiologischen Vorgänge eindringen werden. 
Aber nur durch die combinirte, bei Lebzeiten vorgenommene klinische und die 
spätere pathologische Untersuchung werden wir dieses Ziel erreichen. 

Ein Beitrag in diese Richtung hin, betreffs der Sehbahn, erlaube ich mir 
hiermit mitzutheilen. Indessen wird es dabei nothwendig, zuerst eine Uebersicht 
unserer gegenwärtigen Kenntnisse einiger Punkte betreffs dieser Bahn Voraus¬ 
zuschicken. 

Die optische Bahn (die Sehbahn), welche in der Retina anfangt und iu 
der Rinde des Occipitallappens, bezw. Fissura calcarina endet, besteht wesentlich 


1 Vortrag, gehalten auf dem XII. medicinischeu Congress za Moskaa 1897. 

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aus zwei Neuroneu, von denen das frontale sich von den Retinagangliehzellen 
aus bis in das Corpus geniculatum, wo sich dieses Neuron verästelt, erstreckt; 
das occipitale geht von den Knieganglienzellen aus und endet mit seinen Arbores- 
ceuzen in der Rinde der Fissura calcarina. Das Knieganglion unterbricht also 
die Continuität der Bahn; hier wird der Seheindruck durch den Contact der 
Retinalnerven mit den Ganglienzellen in den occipitalen Abschnitt übergeführt. 

Wie diese Vermittelung stattfindet, darüber existiren nur Hypothesen, von 
denen die von v. Monakow aufgestellte die am allgemeinsten anerkannte ist. 

Was nun den frontalen Abschnitt der Sehbahn betrifft, so kann man 
die Lagerung der Bündel vom Auge aus recht gut verfolgen. Wie ich in 
meinem Werke: „Klinische und anatomische Beiträge zur Pathologie des Gehirns“ 
(L,II.u. III. Th.), näher nachgewiesen habe, liegen hier die Bündel im allgemeinen 



Fig. 1. Frontalschnitt durch das Chiasma. I — links, r — rechts, Ter = gekreuztes 
Bündel, unkr = ungekreuztes Bündel (beide degenerirt). 

homolog mit den Elementen in der Retina. Die Beweise für diesen Satz sind 
mehrfach. Man war im Stande, die Lage des maculareu Bündels genau ana¬ 
tomisch zu verfolgen; so konnte man auch in geeigneten Fällen die Lage der 
gekreuzten und ungekreuzten Bündel bestimmen. Auch klinisch-anatomische 
Beobachtungen, wie in einem Falle von Marchand, einem von Nakris, einem 
von mir, existiren, welche alle miteinander darin übereinstimmen, dass der 



Fig. 2. Frontalschnitt durch das Corpus genicul. externum (Cge) dextrum. 
W = Werxickes Feld, D = Degenerirtes Feld, Cy = Cyste, T = Temporale 
Kinde, H = Gyrus hippocampi, SS = Sehstrahlung, HS = Haubenstrahlung, 
Ne = Nucleus caudatus, Fl = Fascicul. longitud., t' = Sulcus temp. prim. 


dorsale Quadrant der Retina durch das dorsale Bündel des Sehnerven und des 
Tractus innervirt wird, und der ventrale durch das ventrale. 

Endlich ist Prof. Pick durch seine interessanten physiologischen Versuche 
zu demselben Resultat gelangt. 


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Die Lage der Bündel im frontalen Abschnitt der Sehbahn ist also genügend 
festgestellt. 

Was dann den occipitalen Abschnitt betrifft, so haben wir die corticale 
Fläche und die parieto-occipitale Bahn jede für sich zu betrachten. 

Die corticale Sehfläche beschränkt sich auf die Lippen der Fissura 
calcarina. Hier entspricht die dorsale Lippe den dorsalen Retinalquadranten 
beider Augen, wie der interessante Fall Hun zeigt. Das stimmt auch mit 
meinen. eigenen Beobachtungen (s. mein Werk. I. Theil). Hinsichtlich der 
unteren Lippe existirten bisher nur wenig beweiskräftige Beobachtungen, aber 
unser weither College aus Mexico, Dr. La vista, hat im Congresse zu Rom einen 
Fall von Abscess im Kleinhirn mitgetheilt, wo eine Quadranten-Hemianopsie 
nach oben beobachtet wurde. 

Zwar deutet Herr Lavista den Fall als einen Beweis für die Existenz 
eines Sehcentrums im Kleinhirn, aber es dürfte richtiger sein, anzunehmen, 
dass der Abscess auf das Sehcentrum im Occipitallappen eingewirkt hat, und 
zwar vorzugsweise auf den ventralen Abschnitt des Sehcentrums. So gedeutet 
wird der Fall ein werthvoller Beitrag zur Kenntniss der Anordnung der Fläche 
im Sehcentrum. 



Tap = Tapetum, SS = Sehstrahlung. 


Untersucht man den von Herrn Sachs neulich veröffentlichten, aus ana¬ 
tomischem Gesichtspunkte sehr complicirten FoEBSTEE’schen Fall von bilateraler 
Hemianopsie, so bestätigt auch dieser Fall, sowie ich sehen kann, meine Ansicht 
über die Projection des Gesichtsfeldes im Sehcentrum. 

Endlich werde ich in der zusammengesetzten neurologisch-chirurgischen 
Section einen interessanten Fall mittheilen, wo eine Kugel aus dem dorsalen 
Abschnitte des occipitalen Lappens herausgenommen wurde, und wo die Aus 
me8Sungen des Gesichtsfeldes eine ventrale Quadranten-Hemianopsie zeigten, 
d. h., dass der dorsale Abschnitt des occipitalen Lappens dem oberen Retinal¬ 
quadranten entspricht. 

Betreffend die parieto-occipitale Bahn sind die Beweise hinsichtlich der 


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Lagerung der Bündel sehr spärlich und schwach, aber zwei nicht zur Section 
gekommene Fälle, nämlich eine von Beuns mitgetheilte Beobachtung, wo nach 
einem Trauma von oben auf dem einen parietalen Lappen eine Quadranten* 
Hemianopsia nach unten entstand, und ein neulich im Neurologischen Central* 
blatte mitgetheilter Fall, wo eine analoge, aber bilaterale Läsion mit Hemi¬ 
anopsia horizontale nach unten entstand, scheinen, wie auch ein von mir mit¬ 
getheilter Fall, zu beweisen, dass das dorsale Bündel der occipitalen Bahn dorsal 
liegt, und das ventrale ventral. 

Fassen wir diese Beobachtungen zusammen,' so liegen also Beweise vor, 
dass das Bündel des dorsalen Quadranten der Retina sowohl in der frontalen, 
wie in der parieto-occipitalen Bahn dorsal liegt, und dasjenige des ventralen 
Quadranten ventral. Die Lagerung der Elemente sind also hinsichtlich der 
verticalen Lage in der Retina und im corticalen Sehcentrum übereinstimmend. 

Man' könnte unter solchen Umständen vermuthen, dass eine analoge An¬ 
ordnung auch im äusseren Kniehöcker existire, aber bisher fehlte jeder 
Beweis dafür. Ich hin jetzt in der I>age einen solchen klinisch - anatomischen 
Beweis zu bringen, wo eine im Kniekörper begrenzte Läsion eine Quadranten*. 
Hemianopsie hervorrief, und zwar während längerer Zeit. Der Fall dürfte um 
so überzeugender wirken, da er erst von dem bekannten Specialisten Dr. Wil- 
brand in Hamburg beim Lebenden beobachtet und das Gehirn dann von mir 
anatomisch untersucht wurde. 

Der Fall ist folgender: 

Eine 51jähr. Frau fühlte sich, nachdem sie vorher ganz gesund gewesen, 
plötzlich schwindelig und bekam eine Apoplexie mit Hemiplegie und Anästhesie 
in der linken Seite. Am- 9./VI. 1889 wurde von Dr. Wzlbrand eine links¬ 
seitige vollständige Hemianopsie nachgewiesen, und zwar mit concentriscber 
Verengung der rechten Hälfte des Gesichtsfeldes. Am 20./X. 1889 fand sich 
nur noch eine Hemianopsie des unteren linken Quadranten vor. Am 8./IIL 1890 
wurde im Ganzen dieselbe Quadranten-Hemianopsie bestätigt, und endlich wurde 
noch 6 Wochen vor dem Tode der Patientin im März 1893 derselbe Sehdefect 
constatirt, aber der Zustand der Patientin erlaubte nicht mehr eine Aufnahme 
einer Perimeterkarte. Sie starb Ende April 1893. Bei der Section wurde eine 
hämorrhagische Cyste im occipitalen Abschnitt des Thalamus und des Pulvinars 
angetroffen, welche bis zur oberen Grenze des Kniekörpers hervordrang und so¬ 
wohl den Tractus, wie die occipitale Sehbahn intact gelassen, aber die dorsale 
Hälfte des Kniekörpers zerstört hatte. 

Ich schliesse aus diesem Falle: 

1. Dass der dorsale Abschnitt des Kniekörpers dem dorsalen Quadranten 
der Retina entspricht Hierdurch wird also eine Lücke m der von mir schon 
längst ausgesprochenen Ansicht über die Lagerung der Bündel in der Sehbahn 
und die Anordnung des Sehcentrums in erfreulicher Weise gefüllt Die vielen 
einander*ergänzenden Beobachtungen geben eine genügende Festigkeit der'Theorie 
über die Anordnung der intracerebralen Sehbahn. 


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2 . Weiter ist man berechtigt, aoznnehmen, dass das afficirte Gebiet des 
Kniehöckers die beiden Retinahälften innervirt, denn die Quadrant- 
Hemianopsie war immer lateral — eine Ansicht, welche ich schon früher mit 
Stütze anatomischer Untersuchungen vertheidigt habe (Pathologie des Gehirns. 
Theil 1). Also mischen sich im oberen Abschnitte des Kniehöckers die Fasern 
der beiden oberen Retinahälften, und wahrscheinlich gilt dies auch für jedes 
kleinere Gebiet des Kniehöckers; aber bis zum Kniehöcker verlaufen die Bündel 
der beiden Augen, wie ich nachgewiesen habe, völlig getrennt. 

3. Diese Quadrant-Hemianopsie war während mehrerer Jahre im Ganzen 
unverändert, nachdem erst die indirecte Wirkung der Blutung verschwunden 
war. Es können also die dorsalen und ventralen Hälften des Kniekörpers einander 
nicht vertreten. Es giebt also eine constante Localisation im Kniehöcker. 

Dieser Schluss steht mit anderen klinischen Thatsachen, welche ich in 
meiner Klinik beobachtet habe, in vollständiger Uebereinstimmung. Ich habe 
nämlich drei mit dem eben beschriebenen Fall ganz analoge Fälle von Quadrant- 
Hemianopsie beobachtet, in welchen aller Wahrscheinlichkeit nach die Läsion 
den dorsalen Abschnitt des äusseren Kniekörpers getroffen hat, und in welchen 
eine ganz constante Quadrant-Hemianopsie (in einem Falle selbst während 
mehrerer Jahre) vorhanden war. 

4. Wie man durch die anatomische Untersuchung weiss, enden die aus den 
Retinaganglienzellen herstammenden Nervenfasern in dem Kniehöcker bündel¬ 
förmig; es liegt dann nahe, anzunehmen, dass auch jede solche Nervenfaser 
mit mehreren Ganglienzellen in physiologischer Verbindung stehe, und dass also 
beim Ausfall der Function einiger von den Retinalfasern ihre Function durch 
andere vertreten werden könne, und dass also auch beim Functionsausfall der 
dorsalen Hälfte des Ganglions die ventrale die Function übernehmen könne. 
Eine solche Annahme scheint in der That der v. MoNAxow’schen Theorie 
über den Bau des Knieganglions und der occipitalen Sehbahn zu Grunde zu 
liegen. Er nimmt auch mit Vialet an, dass ein solches Suppliren der ver¬ 
schiedenen Gebiete des Sehcentrums stattfinde. 

Schon früher habe ich im Congresse zu Rom dagegen mit Stütze 
anderer Thatsachen opponirt. Hier begegnen wir neuen klinisch-anatomischen 
Thatsachen, welche mit einer solchen Ansicht in schroffem Gegensatz stehen. 
Wie schön auch die Lehre von dem Austausch und der Supplirung der ver¬ 
schiedenen Gebiete im Knieganglion sein möchte, so wird diese Lehre doch von 
den Thatsachen widerlegt. Auch sprechen die Degenerationen in dem angeführten 
Falle gegen eine solche Deutung der Thatsachen. Es waren die ventralen 
Bündel der occipitalen Bahn verhältnissmässig erhalten, die dorsalen degenerirt. 

Alle diese Thatsachen deuten auf eine Projection der Retina in dem Seh¬ 
centrum — eine auch früher von mir vertheidigte Theorie. 

5. Durch die neueren Untersuchungen ist es festgestellt, dass in den Ganglien 
jede Nervenfaser durch ihre Endbäumchen mit mehreren Ganglienzellen in 
Contact tritt. Es scheint also auch, als ob der Nervenßtrom nach allen Seiten 
hin gleichförmig ausstrahlen könnte und, wie* sich auch v. Monakow betreffe 


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des Kniehöckers vorstellt, eine Gesichtsempfindung sich auch in vielen Bahnen 
fortpflanzen könnte, aber der oben beschriebene Fall beweist, dass die Ver¬ 
bindung der Endbäumchen mit den Ganglienzellen eine sehr begrenzte ist. In 
der That spricht die Constanz selbst der kleinen Scotome intracerebralen 
Ursprungs dafür, dass die Nervenleitung nur in eine gewisse Richtung nach 
dem Sehcentrum hin fortgeleitet wird. 

Welche physiologischen Bedingungen dabei vorhanden sind, wird weiteren 
Forschungen Vorbehalten sein. 


2. Die partielle Kreuzung der Sehnerven in dem Chiasma 

höherer Säugethiere. 

Von Prof. W. v. Bechterew in St. Petersburg. 

Ob die Kreuzung der Sehnerven im Chiasma eine vollständige oder nur 
eine theilweise sei, ist eine Frage, die noch bis in die allerletzte Zeit hinein 
auf der Tagesordnung der neurologischen Discussion angetroffen wird. Während 
die Mehrzahl der Forscher, gestützt auf anatomische und klinische Thatsachen, 
die Annahme einer incompletten Kreuzung für die höheren Säugethiere und den 
Menschen mit Entschiedenheit aufrecht erhält, hat sich noch ganz unlängst eine 
erste Autorität auf anatomischem Gebiete, Köllikeb, gelegentlich des Anatomen- 
congresses in Berlin und in der neuesten Ausgabe seines Handbuches der 
Gewebelehre mit aller Bestimmtheit für eine totale Sehnervenkreuzung im 
Chiasma ausgesprochen. Es sind fenier neuerdings klinische Beobachtungen in 
dem letztgenannten Sinne mitgetheilt worden. Ist nun' auch der Behauptung 
jedes Mal eine entsprechende Widerlegung fast sofort auf dem Fusse gefolgt, 
so geht doch aus der ganzen Sachlage hervor, dass die Frage gegenwärtig noch 
nicht als endgültig erledigt erscheinen darf. Ihre Entscheidung ist auf ana¬ 
tomischem und klinischem Wege allein offenbar nicht zu erreichen. Andere 
Zweige des Wissens, so vor allem'das Gebiet der experimentellen Nervenphysio- 
logie, können hier nicht umgangen wer'den. 

In letzterer Hinsicht müssen wir auf die Arbeiten von Knoll und Brown- 
SRquard zurückgehen. Knoll constatirte nach Durchschneidung des Nervus 
opticus Erblindung des gleichseitigen Auges mit Erweiterung der Pupille; Durch¬ 
trennung des Tractus opticus hatte den nämlichen Erfolg, aber an dem ent¬ 
gegengesetzten Auge. Leider ist mir die Arbeit des Genannten 1 im Originale 
nicht erreichbar gewesen und vermochte ich nicht zu eruiren, an welchen Thier- 
species seine Experimente ausgeführt wurden, was ja für die hier vorliegenden 
Verhältnisse nicht belanglos ist. 


1 Kroll, Eckhard’a Beiträge zfar Anatomie and Physiologie. Bd. IV. 1869. Giessen. 


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Bbown - SfiQUABD’s Versuche 1 betreffen Meerschweinchen und Kaninchen. 
Es handelte sich nm Durchschneidung eines Tractus, Trennung des Chiasma 
in antero-posteriorer Richtung, Zerstörung des lateralen Kniehöckers und des 
Yierhögels. Hierbei gelangten Sehstörungen der mannigfachsten Art zur Beobach¬ 
tung; so nach Durchschneidung eines Traotus Erblindung des gekreuzten Auges, 
nach der angegebenen Beschädigung des Chiasma totale beiderseitige Blindheit. 
Als wesentlichste Ergebnisse sind zu nennen: 

1. Zum binocularen Sehen genügt das Yorhandensein Einer Hirnhemisphäre; 
jeder Tractus opticus steht mit der gleichseitigen Hemisphäre, daher mit beiden 
Netzhauthälften in Yerbindung. 

2. Die nach Beschädigung des Tractus opticus, des lateralen Kniehöckers, 
des Yierhögels und anderer Theile der gleichseitigen Hemisphäre auftretende 
Amaurose ist nicht Folge der Functionsstörung in den optischen Centren oder 
in der Leitung, sondern Folge des von der Lasionsstelle auf die Ernährung des 
Auges, bezw. des Nervus opticus ausgeübten Reizes. 

Wie natürlich konnte diese Darstellung die Kliniker und Physiologen nicht 
befriedigen. Bei- der Beurtheilung der Bbown -SfiQUABD’schen Opticus- und 
Chiasmadurchschneidungen macht sich ferner der Umstand gelteud, dass hier 
Thiere zur Verwendung kamen, bei welchen für das Bestehen einer partiellen 
Kreuzung keine unzweifelhaften anatomischen Befunde beigebracht sind. Gudden’s 
Experimente versuchen allerdings für das Kaninchen diesen Nachweis zu führen, 
allein es liegt bisher keinerlei Bestätigung derselben vor. Auf jeden Fall ist 
auch beim Kaninchen die Anzahl der ungekreuzten Fasern im Verhältniss zu 
den kreuzenden verschwindend klein. 

Spätere Untersuchungen von Nicati 2 führten zu abweichenden Ergebnissen. 
Bei der Katze hatte antero-posteriore Durchschneidung des Chiasma weder auf 
dem einen, noch auf dem anderen Auge völlige Blindheit im Gefolge, woraus ge¬ 
schlossen werden muss, dass bei diesem Thiere eine unvollständige Durchkreuzung 
der Sehnerven statthat. 

Von mir 8 hegen solche Versuche mit antero-posteriorer Chiasma- und mit 
Tractusdurchschneidung am Hunde vor. Beide Versuchsreihen stimmen darin 
überein, dass sie mit Entschiedenheit auf eine partiale Kreuzung im Chiasma 
hinweisen. Nach der angegebenen, antero-posterioren Durchschneidung des 
Chiasma erweisen sich nämlich die operirten Hunde nicht gänzlich erblindet, 
denn es werden Gegenstände, die man ihnen vorhält, unzweifelhaft gesehen und 
vorsichtig umgangen. Nur eine gewisse Divergenz der Augenaxen, wie beim 
Sehen in die Ferne, tritt bei den Thieren aüf. Die Pupillen aber zeigen deut¬ 
liche Lichtreaction. 

Durchtrennung eines Tractus opticus beim Hunde ergab beiderseitige Hemi¬ 
anopsie mit gleichfalls beiderseitigem Ausfall der contralateralen Gesichtsfeldhälfte. 


1 Areh. de Ph'ysiol. norm, et pathol. Bd. IV. 1872. S. 261. 

* Centralbl. f. med. Wissensch. 1878. S. 449. 

* W. v. Bechterew, Experimentaluntersnchungen über die Kreuzung der Sehnerven 
im Chiasma nn. opticorum. Neurolog. Centralbl. 18kl. 

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ln meiner vorhin angezogenen Arbeit war ich nicht in der Lage, die Aus¬ 
dehnung des Gesichtsfelddefectes an beiden Augen mit voller Genauigkeit zu 
ermitteln, konnte mich daher auch nicht in bestimmterer Weise hier äussern. In 
der Folge aber habe ich mehrfach Gelegenheit gehabt, den Tractus opticus beim 
Hunde zu durchschneiden und vermochte da . die IJeberzeugung zu gewinnen, 
dass die Einengung des Gesichtsfeldes in dem contralateralen Auge stets eine 
sehr viel bedeutendere sei, als auf der Seite der Verletzung. Der Ausfall im 
Gesichtsfelde wird bei den Thieren, wie genauere Prüfungen darthun, in beiden 
Augen durch eine verticale Linie begrenzt Allein das deutliche Sehen erscheint 
in dem contralateralen Auge stets herabgesetzt, in dem homoläteralen unversehrt. 

Zerstörung des Corpus geniculatum externum oder der weiteren Optieus- 
bahnen hat ganz denselben Erfolg, nämlich Hemianopsie mit Ausfall der ge¬ 
kreuzten Gesichtsfeldhälfte in beiden Augen. Der Defect ist auch hier in dem 
der Läsion entgegengesetzten Auge erheblicher.. 

Die Weite der Pupille erleidet durch die erwähnten Eingriffe im ganzen 
keine auffallenderen Veränderungeü. Immerhin aber erscheint ( wenigstens bei 
gewöhnlicher Beleuchtung, die Pupille des entgegengesetzten Auges etwas er¬ 
weitert, entsprechend dem stärkeren Gesichtsfelddefcct auf dieser Seite. 1 

Im wesentlichen erhalten bleibt auch die Pupillenreaction. Wird die 
Prüfung bei direct von vorn her einfallendem Lichte vorgenommen, so sind in 
dieser Beziehung bei den Thieren keine nennenswerten Abweichungen wahr¬ 
nehmbar. Meine ursprünglichen dahinzielenden Versuche ergaben mir daher 
negative Resultate. In der Folge aber eruirte ich beim Hunde nach Durch- 
schneidung des Tractus opticus sog. hemiopische Pupillenreaction, wie sie Wil- 
bra^d zuerst beim Mensehen und andere Forscher 2 auch an Versuchshunden' 
zu beobachten Gelegenheit hatten. In einigen dieser Versuche erschien die 
Pupille des contralaterälen Auges schon bei gewöhnlicher Beleuchtung um ein 
weniges erweitert. . * 

Es tritt hinzu, dass auch beim Affen Durch&hneidung des Tractus opticus 
homonyme Hemianopsie beider Augen, auf der gekreuzten Seite mit hemiopiseber 
Pupillenreaction zur Folge ' hat (Febmeh). In physiologischer Beziehung ist 
hierdurch jeder Zweifel’an dem Bestehen einer partiellen Kreuzung im Chiasma 
der höheren Säugethiere beseitigt Dieser Thatsache werden jene Anatomen und 
Kliniker, die der Vorstellung einer vollständigen Sehnervenkreuzung im Chiasma 
Raum geben, wie mich bedünken will, sich nicht leicht verschliessen können. 
Anatomische und klinische Befunde sind hier nicht die allein ausschlaggebenden 
Factoren. Die vorhandenen experimentellen Ermittelungen müssen widerlegt 
sein, ehe dazu geschritten wird, jener Vorstellung die Form einer stricten Be¬ 
hauptung zu verleihen. ,• • ’ 

Was aber den Menschen betrifft, so wird von der erdrückenden Mehrzahl 
der Kliniker an der Thatsache der unvollständigen Kreuzung der Sehnerven bei 


1 W. v. Bechtbrew, Neurolög. Centralbl. 1894. Nr. 22. 

Ä vergl. z. B. Sinani, Verh. d. psych. Gesellsch. in Petersburg. 1883. 


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. 202 


demselben gegenwärtig nicht der geringste Zweifel gehegt. Gegenteilige Mel¬ 
dungen der Presse stossen nach wie vor auf unmittelbaren Widerspruch. Wie 
mir scheint ist die Zeit nicht mehr fern, wo die vorliegende Angelegenheit als 
für immer' erledigt von der wissenschaftlichen Tagesordnung zu streichen 
sein wird. 


3. Ein Fall von Hirngeschwulst 
in der linken motorischen Sphäre, linkseitiger Lähmung, 
Abwesenheit der Pyramidenkreuzung. 

Dr. Philip Zenner, 

Docent der Neuropathologie an der Cincinnati*Universität. 

Obschon ^lechsig Abwesenheit der Pyramidenkreuzung als ein nicht sel¬ 
tenes Vorkommniss betrachtet, so weiss ich doch von 'keinem Falle in der 
Litteratur, wo diese Anomalie im Gehirn des Erwachsenen beschrieben worden 
ist und aus diesem Grunde halte ich folgende Veröffentlichung für angebracht 
W. D., 33 Jahre alt, Kellner, wurde am 18. Mai 1896 in's Spital auf¬ 
genommen. Er zeigte linksseitige Hemiparese. Beim Gehen hinkt er und der 
linke Fuss schleift etwas nach. Der Handdruck ist links schwächer als rechts. 
Linke Facialisläbmung,. absolut im Gebiet der oberen, unvollständig in dem der 
unteren Zweige des 7. Nerven; jedoch bestand keine Entartungsreaction. 

Beim Hervorstrecken der Zunge zeigte sich eine geringe Ablenkung nach 
links, auch wurde eine Neigung des Kopfes zum Vorwärtsfallen beobachtet 
Patient empfand scheinbar mehr. Schwierigkeit in der Links-, als in der 
Rechtsdrehung der Augen. • ’ 

Die Hautsensibilität war anscheinend normal, die Percussion des Schädels 
links schmerzhafter als rechts, Patient klagt über Kopfweh über Stirn- und 
rechten Schläfengegend und grosser Schwäche. Die Intelligenz war sehr ab¬ 
gestumpft, Antworten wurden in sehr langsamer Weise' gegeben, überhaupt war 
es unmöglich, eine zuverlässige Krankengeschichte zu erhalten. Von der 
Existenz der Facialislähmung hatte der Kranke keine Ahnung. 

Gleich hier will ich noch constatiren, dass der Patient, wie mir nach seinem 
Tode von anderer Seite mitgetheilt wurde, über den Zeitraum eines Jahres wieder¬ 
holt Anfälle von clonischen Krämpfen der linken Seite gehabt haben soll 

Die ophthalmoskopische Untersuchung ergab Congestion der Papille, be¬ 
deutend erweiterte Arterien und Venen, jedoch keine ausgesprochene Sehnerven¬ 
entzündung. • 

Patient war zwei Monate lang im Spital, ohne dass sein Zustand sich 
wesentlich geändert hätte. Appetit und Verdauung blieben gut Kopfweh war 
zuweilen heftig, dann wieder unbedeutend. Sein Ausdruck war stumpfsinnig, 
öfters melancholisch; auch Neigung zur Somnolenz wurde an ihm beobachtet 

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Er hatte während seines Verweilens im Hospital zwei Anfalle übergrosser 
Schwäche, doch nie Krämpfe. 

Ich hatte nach der ersten Untersuchung die Diagnose auf Gehirntumor 
gestellt, jedoch nicht mit vollster Sicherheit. 

Während Patient sich unter meiner Beobachtung befand, ereignete sich 
nichts, das den Fall hätte mehr aufklären können; die Lähmung nahm nicht 
zu, Kopfweh war meistens nicht allzu heftig, Sehnervenentzündung hatte sich 
nicht entwickelt und auch von JACKSON’schen Anfällen war zur Zeit nichts 
bekannt. 

Patient empfand keine Besserung und verliess unbefriedigt das Spital. Er 
starb jedoch am 4. August 1896 im Congoirw-Asyl, dem staatlichen Irrenhaus 
und die Autopsie ergab: Gehirntumor. Dr. H arm an , der Anstaltsarzt, übergab 
mir gütigst das Gehirn zur Untersuchung. Die Geschwulst befand sich unter¬ 
halb der Dura über den Central Windungen und schien dieselben mehr zu ver¬ 
drängen als zu zerstören. Ihre Ausdehnung war ca. 8 cm von oben nach 
unten, 6 cm von vorne nach hinten und reicht 5 cm in die Tiefe. Wegen des 
schlecht erhaltenen Zustandes jedoch war eine genaue Untersuchung bezüglich 
präci8er Lage und Ergriffensein der Nachbartheile nicht gemacht worden. Die 
mikroskopische Untersuchung ergab: Gliosarcom. Die Geschwulst war in der 
linken Seite, die paralytischen Erscheinungen betrafen die linke Seite; eine 
Untersuchung der Medulla oblongata und des continuirlichen Rückenmarks- 
theiles — Dr. S. P. Kbameb führte dieselbe aus und machte zahlreiche Schnitte 
von oben nach unten.— ergab: Abwesenheit der Pyramidenkreuzung. 

Zum Schluss möchte ich noch hervorheben, dass das einzige Symptom, das 
auf eine Läsion der richtigen Seite hindeutete, Schmerzhaftigkeit bei Percussion 
auf der linken Seite des Schädels war. 


[Aus der Anstalt für Sprachanomalien und Eirankheiten der Nase und des 

Rachens in Warschau.] 

4. Von der Bedeutung der Associationscentren 
von Flechsig zur Erforschung der Entwickelung des Geistes, 
der Sprache, der Psychologie der Sprache, 
wie auch der Lehre von der Sprachlosigkeit. 

Von Dr. W. OtussewskL 
(Schloss.) 

Wie ich in Nr. 4 d. Centralbl. bemerkte, schreibe ich die anatomische Fähig¬ 
keit der Darstellung von Wörtern ohne Antheil der Vorstellungscentren, welche 
zu der innerlichen Sprache unentbehrlich ist, dem mittleren Centrum zu, welches 


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in den Anfangsperioden der Sprachentwickelnng eine eben solche Rolle beim 
Sprachact spielte, wie jetzt das hintere Centrum bei der psychischen Sprache, 
d. h. bewusstsinnige Verbindung der Vorstellungen und Begriffe mit Worten 
erfüllt. Diese Hypothese findet ihren Grund darin, dass diese automatische Er¬ 
innerung der Wörter bei Erwachsenen sich zwar immer mit Vorstellungen und 
Begriffen verbindet, denn wir denken vornehmlich mittels der Wörter, jedoch 
bei Kindern, sogar mit regelmässiger Intelligenz, haben wir bei der Sprach- 
entwickelung eine entsprechende Periode, in welcher dieselben ohne Verständniss 
sinnlos viel sprechen können, was sich besonders bei Kindern mit schwach ent¬ 
wickelter psychischer Sphäre zeigt, wo die automatische Sprache, ohne Antheil 
der Vorstellungs- und Begrififscentren sehr grell hervortritt. Für die Unab¬ 
hängigkeit unserer Wortbegriffe von der automatischen Erinnerung der Wörter 
spricht auch der Umstand, dass bei vielen Sprachlosigkeiten, die ihren Sitz im 
hinteren Associationscentrum haben, die automatische Sprache nicht aufhört zu 
existiren, obgleich die Kranken auf hören, die Vorstellungen und Begriffe mit 
Wörtern zu verbinden.. Also die Localisation des Automatismusses der Sprache 
in dem mittleren Centrum widerspricht keineswegs der Behauptung Flbchsio’s, 
welcher betont, dass die psychische Worterinnerung, d. h. die Verbindung unserer 
Vorstellungen und Begriffe mit entsprechenden Wörtern, von dem hinteren 
Centrum abhängig ist. 


Die Hypothese hinsichtlich der Bestimmung des mittleren Associations¬ 
centrums steht ebenfalls nicht im Widerspruch mit den bisherigen klinischen 
Beobachtungen verschiedener Formen von motorischer Aphasie, aber im Gegen- 
theil, mit Hülfe derselben können wir uns sehr viele, bisher nicht ganz ver¬ 
ständliche und sich hierauf beziehende Fragen erklären. Obgleich wir in der 
BnocA’schen motorischen Gegend die Sammlung des motorischen Wortgedächt¬ 
nisses (Sinnesgedächtniss) finden wollen, so rufen die hier stattfindenden orga¬ 
nischen Veränderungen höchstwahrscheinlich nur den Verlust der Articulations- 
bewegungen hervor, ohne die innerliche Sprache zu beseitigen, die früher sog. 
subcorticale motorische Aphasie,' wo der Kranke beim Verlust der selb¬ 
ständigen Sprache die Schrift versteht und schreiben kann, die functionelle Ab¬ 
schwächung jenes motorischen Gedächtnisses aber verursacht die früher sog. 
transcorticale motorische Aphasie, wo der Kranke beim Verlust der selb¬ 
ständigen Sprache nicht nur die Schrift versteht, sondern auch laut lesen und 
wiederholen kann (Associationsthätigkeit des peripherischen Reizes). Wenn unsere 
Muthmaassung hinsichtlich der Bestimmung des mittleren Gentrums richtig ist, 
so muss man erwarten, dass allein organische Veränderungen in der Insel Reil’s 
die gänzliche motorische Aphasie mit der Agraphie und Alexie verursachen, 
indem sie die Spuren angehäufter sensorisch-motorischer Associationsbilder, wie 
auch die automatischen Erinnerungen der Wörter vernichten. Zwar fehlt es bis 
jetzt auch nicht an anatomisch-pathologischen Forschungen, welche bis zu einem 
gewissen Grade die Richtigkeit der oben angeführten Ansicht über verschiedene 
Formen der motorischen Aphasie bestätigen, da man aber nicht in allen Fällen 
die Aufmerksamkeit auf den Ort der Veränderungen, wie auch auf den Stand 


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des Lesens und Schreibens beim Verlust der selbständigen Sprache lenkte, so 
wird schliesslich also die Aufklärung dieser Sache von genauen klinischen 
Beobachtungen in dieser Richtung abhängen, wie auch von anatomisch-patho¬ 
logischen Forschungen, die genau die Veränderungen bei verschiedenen Arten 
der motorischen Aphasie bestimmen. 

Auf den Antheil der Insel Reil’s bei den motorischen Aphasieen hat zuerst 
Dftjs&iN die Aufmerksamkeit gelenkt. Pascal hat in seinem Werke: „Du röle 
de Tinsula de Reil dans l’aphasie“, Bordeaux 1890, diesen Gegenstand in allen 
Einzelnheiten bearbeitet und 12 Beobachtungen beschrieben, die hierher gehören 
und durch anatomisch-pathologische Forschungen bestätigt sind. In allen diesen 
Fällen motorischer Aphasie war die dritte Stirnwindung ganz unbeschädigt und 
man fand eine anatomische Läsion allein in der Insel Reil’s. Diese Beobach¬ 
tungen, obgleich sie den, wie es scheint, heute schon keinen Zweifeln unter¬ 
liegenden positiven Fact bestätigen, dass Veränderungen der Insel von der moto¬ 
rischen Aphasie begleitet werden, geben uns aber nicht das Recht, den wichtigsten 
Schluss zu ziehen, und zwar in welchem Grade diese Kranken die innerliche 
Sprache verloren hatten, also in welchem Grade die Aphasie mit der Alexie und 
Agraphie verbunden war, denn der grösste Theil der Beobachtungen war nicht 
genau genug, entweder deshalb, dass man diese Symptome nicht berücksichtigte, 
oder dass die Kranken nicht zu lesen und zu schreiben verstanden, oder auch 
die Fälle selbst waren durch anatomische Veränderungen in anderen Theilen 
des Hirns verwickelt. Aus der ganzen Reihe dieser Beobachtungen haben nur 
zwei für uns eine Bedeutung, und zwar der Fall von D£jeren, wo der Kranke, 
abgesehen von der motorischen Aphasie, schreiben und lesen konnte und der 
Fall Sabubln’s, wo das Lesen und Schreiben in Verbindung mit der motorischen 
Aphasie erschwert war. Ohne auch nur den Fact zu überschätzen, denke ich, 
inwiefern die anatomischen Forschungen in der Zukunft ein genügendes Licht 
auf die uns hier interessirende Sache werfen werden, dass wenn auch in dieser 
Hinsicht sich irgend welche Widersprüche zeigen würden, ebenfalls wie auch bei 
anderen Aphasieen wir dieselben auf diese AVeise einigen können, dass umfang¬ 
reichere organische Veränderungen der Insel die gänzliche motorische Aphasie 
begleiten wird, also mit der Alexie und Agraphie, unbedeutende Veränderungen 
oder functionelle Störungen die motorische Aphasie ohne den Verlust der Schreib¬ 
end Lesefahigkeit (Mangel der selbständigen Action des Centrums, die gemein¬ 
schaftliche Wirkung desselben mit den Gesichtsbildern der Laute oder mit dem 
Gedächtniss der Handbewegungen beim Schreiben). Der Unterschied zwischen 
der letzten Art der Aphasie und der motorischen organischer Entstehung, die 
ihren Ursprung in der dritten Stirnwindung hat, würde allein im Verlust der 
selbständigen Sprache beruhen, welcher im ersten Fall von der Störung des 
ärmlichen motorischen Gedächtnisses abhängig ist, im zweiten aber — von der 
Beeinträchtigung der Fähigkeit, sich der Wörter automatisch zu erinnern. 

Zur Kategorie der sog. subcorticalen und transcorticalen Aphasieen, die ihren 
Sitz im BnocA’schen Centrum haben, und die bei anatomisch-pathologischen 
Forschungen bestätigt sind, zählen wir zwei Fälle subcorticaler motorischer Aphasie 


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von D&rfcBiN, wo man in einem Falle eine Läsion unter dem Centrum von Bboca 
fand, im anderen aber war eine Veränderung unter der Rinde der dritten Stirn- 
windung, wie auch die Fälle transcorticaler motorischer Aphasie, und zwar einer 
von Magnat, wo aus der harten Hirnhaut eine Neubildung hervorkam, die auf 
die linke Halbkugel fiberging und mit ihrem Gipfel bis zur dritten Stimwindung 
und bis zum vorderen dritten Theil des Randes von Rkil’s Insel reichte, und 
zwei Fälle von Hammond, wo man in einem Falle eine Sugillation im linken 
vorderen Stirnlappen fand, welche sich bis zum hinteren Rand desselben hinzog, 
und im anderen den Bruch der innerlichen Lamelle diplöes und ein Stückchen 
Knochen, welches auf die Windung von Bboca drückte. 

Was unsere Ansicht über die Psychologie der Sprache betrifft, so muss 
man vor Allem bemerken, dass der Process der Sprache, wie auch alle geistigen 
Processe allein in der Rinde stattfinden, und ferner, dass wir jene Sinnesgedächt- 
nisse jetzt nicht für irgend welche für die Sprache besondere Centren halten, aber 
für sinnliche und motorische Nervenden, welche gleichzeitig zur Aufnahme anderer 
Reize, ausser derjenigen, die sich zur Sprache beziehen, dienen. 1 Die Bedingungen 
der Entstehung der Sprache sind dieselben, wie die der Erkenntniss, d. L das 
Gedächtniss, die Fähigkeit zu Associationen und die Aufmerksamkeit Wie zur 
elementarsten Erscheinung der psychischen Seite des Menschen — der Wahr¬ 
nehmung, ausser den Sinnescentren höhere Associationscentren nöthig sind, ebenso 
spielen dieselben Factoren zu demselben Zweck eine analoge Rolle beim psy¬ 
chischen Sprachact, sowohl beim activen (Articulation, Schrift), wie auch beim 
passiven (Verständniss der Sprache, der Schrift). Der Unterschied besteht allein 


1 Die Frage der Localisirnng des motorischen und sensorischen Sinnesgedächtnisses in 
der dritten Stirnwindung and in der ersten Schläfenwindung ist schon längBt erledigt. Hin¬ 
sichtlich des Gesichtsgedächtnisses der Buchstaben nehmen einige ein besonderes Centrum 
an, andere dagegen, wie z. B. Webnicke, schreiben diese Bolle, was weit rationeller ist 
den Verzweigungen des Sehnerven bei. So oder anders nimmt der gesehene Laut erst dann 
die Bedeutung eines Bestandteiles der Sprache an, wenn die Association desselben mit dem 
acustiscben Centrum erfolgt, und das gelesene Wort verstehen wir dann, wenn wir das 
Gesichtsbild desselben mit seinem Tonbild und dem Begriff oder der Vorstellung, die dem 
gegebenen Worte eigen sind, verbinden. Was das Sinnescentrum des Schreibens anbelangt 
welches sich in der zweiten Stirnwindung befinden soll (Exneb, Chaecot, Pitkes), so ver¬ 
sagen viele Autoren, einigermaassen ganz richtig, ihm das Becht der Bürgerschaft und sehen 
es als ein gewöhnliches motorisches Centrum an, welches eine Muskelgruppe regiert die 
beim Schreiben thätig ist, und welches das Gedächtniss der Bewegungen einnimmt die beim 
Schreiben nöthig sind. Dieses Gedächtniss kann bei Personen, die im Schreiben sehr geübt 
sind, oft selbst ausreichen, ohne das Gesichtsbfid des gegebenen Wortes im Geiste hervor¬ 
zurufen. Dies hat bei den subcorticalen Alexieen eine wichtige Bedeutung, wovon weiter 
unten. 

Das sinnliche Wortgedächtniss concentrirt sich nur hauptsächlich in der linken Halbkugel. 
Diese Localisation erklären wir uns durch die mehr verbreiteten und subtilen Bewegungen 
der linken Körperhälfte, denn es unterliegt keinem Zweifel, dass eine Verbindung zwischen 
diesen Bewegungen und der Entstehung der Sprachcentren existirt. Dafür spricht eine ge¬ 
wisse Parallele ihrer Entwickelung mit der Entwickelung des Gehens, die Entstehung dieses 
letzteren in der rechten Halbkugel bei Personen, die sich der linken Hand bedienen u. s. w. 

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in der mehr complicirten Action der Sprache and zwar, dass sinnliche Wortgedächt¬ 
nisse sich zuvor mit dem mittleren Associationscentrum verbinden müssen, um 
die automatische Sprache zu bilden, hingegen wir aber die Beobachtungen voll¬ 
fuhren, indem wir nur verschiedene Sinnesgegenden der Rinde im hinteren 
Associationscentrum vereinigen. Beim psychischen Sprachact sind also zwei 
Mechanismen thätig: der niedrigere bis zu einem gewissen Grade automatische, 
in der Insel Reil’s befindliche, und der höhere für Wortbegriffe im hinteren 
Associationscentrum (die Gegend Gyri supramarginalis und Gyri angularis). Der 
letztere dient zur Verbindung unserer Vorstellungen mit Wörtern, die den ganzen 
Inhalt derselben in sich aufnehmen. 

Entsprechend den von uns dargestellten Grundsätzen der Psychophysiologie 
der Sprache, die in ihren Anhaltspunkten in keinem Widerspruch mit Flechsiq’s 
Arbeiten stehen, und im völligen Einverständniss mit den eigenen Forschungen 
über die Entwickelung der Sprache bleiben, wie auch auf Grund des reichlichen 
Materials von Störungen derselben, sehen wir die Sprachlosigkeit als eine 
Störung des Sinnesgedächtnisses (des motorischen, sensorischen und Ge¬ 
sichtsgedächtnisses der Buchstaben) oder des Associationsgedächtnisses 
im mittleren oder hinterem Associationscentrum an, was sowohl die 
Thätigkeit des sinnlichen motorischen Gedächtnisses, wie auch die Aufnahme 
äusserer Reize von den Sinnescentren der Sprache unmöglich macht, oder die 
Spuren der gesammelten automatischen' Worterinnerung im mittleren Asso¬ 
ciationscentrum vernichtet, oder auch die Associationen, welche im hinteren 
Associationscentrum beim Verständniss der Sprache, eventuell der Schrift, oder 
bei der Sprache (bezw. bei der Schrift) mit Verständniss, aufhebt. In der 
Aetiologie der Sprachlosigkeit müssen wir uns ausser den organischen Ver¬ 
änderungen die functioneile Abschwächung des Sinnesgedächtnisses oder der 
Associationscentren als ein sehr wichtiges Moment ansehen, welche entweder 
selbständig auftritt oder durch unbedeutende Veränderungen begründet als 
functioneile Erscheinung ihrer verminderten Reizbarkeit. Im Einverständniss 
damit unterscheiden wir ausser Sinnes- und Associationsaphasieen (sowohl 
im mittleren wie auch im hinteren Centrum) noch organische und functio¬ 
neile Aphasieen. 

Zu den organischen Sinnesaphasieen zählen wir: 1. die isolirte 
motorische Aphasie bei Veränderungen in der dritten Stirnwindung (die 
vorhin sog. subcorticale motorische Aphasie), wo die Kranken bei dem Mangel 
der selbständigen Sprache die innere Sprache beibehalten, d. i. sie verstehen die 
Schrift und können schreiben; 2. die sinnliche Aphasie (Worttaubheit), die 
sich damit charakterisirt, dass der Kranke die Worte und folglich auch die 
Sprache nicht versteht, paraphatisch spricht, denn das mittlere Associationscentrum 
wirkt ohne Controle des sinnlichen Gehörgedäcbtnisses. In diesen Fällen haben 
wir auch die Alexie in Folge vom Mangel im Geiste der Tonbilder der Laute, 
und also auch die Agraphie (mit Ausnahme solcher Personen, die sehr geübt 
im Schreiben sind, aber auch dann versteht der Kranke das Geschriebene nicht); 
3. die isolirte Alexie (die perceptive Wortblindheit), die darauf beruht, dass 

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solche Kranken die Buchstaben sehen, aber sie nicht erkennen und nicht zu 
benennen verstehen, also auch die Schrift nicht verstehen können. 1 

Zu den organischen Associationsaphasieen des mittleren Asso¬ 
ciationscentrums gehört die motorische Aphasie, die sich immer mit der 
Alexie verbindet (eventuell auch mit. der Agraphie), weil wir in diesem Falle 
den Verlust der sensorisch-motorischen Associationsbilder haben, der Kranke kann 
sich die Wörter im Geiste nicht vorstellen und besitzt keine innerliche Sprache, 
abgesehen von der Existenz des sensorischen Sinnesgedächtnisses zum Verstehen 
der Sprache. 

Zu den organischen Associationsaphasieen des hinteren Centrums 
zählen wir: 

1. die sensorische Associationsapbasie (vorhin sog. transcorticalische 
sensorische) bei Veränderungen in der Gegend Gyri supramarginalis, wo die 
Wörter, abgesehen von der Möglichkeit des verständnisslosen Wioderholens, 
Schreibens und Lesens (automatische Thätigkeit des mittleren Associationscentrums), 
nicht verstanden werden und der Kranke paraphatisch spricht; 

2. die Associationsalexie oder die Associations-Wortblindheit 
(früher sog. transcorticale Alexie von Webnicke) bei Veränderungen in der 
Gegend Gyri angularis, wo die Worte, abgesehen von der Möglichkeit des Lesens 
der Buchstaben und Wörter (automatische Thätigkeit des mittleren Associations- 
centrums), mit entsprechenden Vorstellungen nicht verbunden werden; 

3. die optische Aphasie, die darauf beruht, dass der Kranke die Gegen¬ 
stände sieht und erkennt, aber nicht im Stande ist, sie zu benennen, und erst 
dann im Stande ist, den Namen zu bezeichnen, wenn eine andere Sinnesgegend 
der Rinde gereizt wird, und zwar die der Tastsinnsphäre, des Geruchs oder 
des Gehörs. Mit Hinsicht hierauf, dass das Sprachwerkzeug solcher Kranken 
ganz unbeschädigt ist, können wir allein eine theilweise Störung der Associationen 


1 Id den Fällen, wo die Kranken, abgesehen von der erhaltenen inneren Sprache, wie 
auoh der Möglichkeit des Wiederholens der selbständigen Sprache verlustig siud, haben wir 
die vorhin sogenannte transcorticalische motorische Aphasie. Was die vorhin sogenannten 
suboorticalischen sensorischen Aphasieen anbelangt, so gehören deren Symptome zur extra- 
cerebralen Aphasie im eigentlichen Sinne des Wortes (extracerebralen Worttaubheit) und 
haben ihren Ursprung im Gehörorgane. Hierher zählen wir die Fälle beiderseitiger theilweiser 
Erkrankung des Labyrinths bei der angeborenen Taubstummheit und die Fälle erworbener 
beiderseitiger theilweiser Veränderungen im mittleren Ohre. Die extracerebrale Worttaub¬ 
heit, welche der Taubstummheit mit erhaltenen Gehörresten ganz ähnlich ist, unterscheidet 
sich von der gewöhnlichen Worttaubheit dadurch, dass die Kranken manche Wörter, be¬ 
sonders gewisse Seihen ihnen bekannter Benennungen, verstehen und sogar oft wiederholen 
können, von der gänzlichen Taubheit aber unterscheidet sie sich durch die Möglichkeit Ge¬ 
räusche und Laute zu unterscheiden. Die sogenannte subcorticale Alexie, die sich von der 
gewöhnlichen dadurch unterscheidet, dass beim Mangel des Verständnisses der Schrift die 
Fähigkeit zum Schreiben erhalten ist (wobei der Kranke das Geschriebene nicht versteht) 
mit dem Verlust der Fähigkeit zum Abschreiben (Copiren), erklären wir uns ebenfalls durch 
die Möglichkeit des Schreibens ohne Gesichtsbilder, allein mit Hülfe des cheirokinetischen 
Gefühls der Hand, was meistens bei solchen Leuten stattfindet, die sehr geübt im 
Schreiben sind. 


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zwischen dem Wort* und Vorstellungscentrum annehmen und zwar zwischen 
seinen Gesichtscomponenten; 

4. die Seelenblindheit, die sich dadurch charakterisirt, dass der Kranke 
den grössten Theil seiner früheren Gedächtnissvorstellungen verliert und zugleich 
damit auch die Fähigkeit der Erhaltung neuer im Gedächtnisse. Solche Kranke 
sehen Gegenstände, aber erkennen sie nicht und sind nicht im Stande, sie zu 
benennen, dabei orientiren sie sich im Baume schlecht, denn sie haben keine 
Vergleichung der erhaltenen Sinneseindrücke mit den Gedächtnissbildern. Bei 
der Seelenblindheit leichteren Grades bleibt ein gewisser Theil der Gedächtniss- 
bilder erhalten, die Kranken haben einen Begriff vom Gegenstände, aber sind 
nur unfähig zur Identificirung neuer Eindrücke mit im Gedächtniss existirenden. 1 
Bei der Seelenblindheit haben wir also Störungen der Associationen, welche von 
allen Sinnen zum Vorstellungscentrum gehen, wobei die Gesichtscomponenten 
sich am meisten hervorheben, als solche die wichtigste Bolle bei der Vollführung 
unserer Vorstellungen und Begriffe spielen. Den anatomischen Grund der Seelen¬ 
blindheit finden wir auf der äusseren Oberfläche des hinteren Hirnlappens und 
des in seiner Nachbarschaft sich befindlichen Scheitellappens in beiden Halb¬ 
kugeln. 

Dieselbe Eintheilung nehmen wir in Bezug auf die amnestischen 
Aphasieen (functioneile) an. Wir unterscheiden unter anderen folgende 
amnestische.sinnliche Aphasieen: 

1. die motorische, von welcher oben die Rede war; 

2. die sensorische, zu welcher die Aphasieen Gbabhbt’s gehören, ferner 
die Fälle, wo die Abschwächung des sinnlichen Gehörgedächtnisses das Ver¬ 
ständnis der ausgesprochenen Wörter und Sätze erschwert, und viele andere 
Formen, welche Goldsohbedeb ausführlich beschrieben hat; 

3. die Alexie; hierher gehören die Fälle der Unmöglichkeit Wörter zu 
lesen bei erhaltener Möglichkeit des Lesens der Buchstaben (was vom mehr 
complicirtem Mechanismus des Lesens der Wörter als der Buchstaben abhängt), 
die Fälle der Unmöglichkeit des lauten Lesens, obgleich das Gelesene verstanden 
wird, die Fälle, wo der Kranke lesen, aber nicht schreiben kann, d. i. er kann 
das Wortbild im Gedächtniss so lange nicht behalten, bis er es aufgeschrieben 
hat, endlich die Dyslexieen (eine Art der intermittirenden Alexie), die sich damit 
charakterisirt, dass der Kranke anfangs gut liest, nach einem Augenblick aber 
erscheint die Unmöglichkeit weiter zu lesen. 

Zu den functionellen Associationsaphasieen des mittleren Asso- 
ciationscentrums gehört die motorische Aphasie ohne Alexie uud Agraphie, 
von welcher oben die Rede war. Endlich zählen wir zu den amnestischen 
Associationsaphasieen im hinteren Centrum die Fälle, wo der Kranke 


1 Die leichtere Form der Seelenblindheit dient als der beste Beweis der Unabhängig¬ 
keit des Voretellangscentrums vom Sprachact, denn abgesehen von den Störungen der Asso¬ 
ciationen, welche von allen Sinnen znm Vorstellnngscentrnm führen, bleibt die Tbätigkeit 
der Sprache (Bowohl die Articolation, wie auch die Schrift) ungestört. 


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nicht im Stande ist dem Gegenstände, den er sich im Geist vorstellt, den 
entsprechenden Namen zu geben. 

Ausser der Rücksicht auf die oben angegebene Eintheilung der Aphasieen 
müssen wir in jedem concreten Falle noch die Aufmerksamkeit auf die ge¬ 
mischten Fälle richten, wo wir bei einer gewissen organischen Veränderung 
functioneile Erscheinungen haben können, welche nur bis zu einem gewissen 
Grade das reine Bild der organischen Aphasie maskiren. Dennoch glauben wir 
nicht, dass wir irgend welche Schwierigkeiten antreffen könnten, wenn wir die 
Analyse der Erscheinungen, die jeder Form eigen sind, in allen Einzelnheiten 
durchführen. 

Wir glauben durchaus nicht, dass man die Acten der Psychologie der 
Sprache, wie auch die Lehre von den Aphasieen schon jetzt schliessen könnte, 
von der Zeit aber des einst fast allgemein angenommenen Schemas von Wer- 
nicke-Lichtheim haben wir gewiss einen bedeutenden Schritt vorwärts gemacht, 
indem wir eine weit rationellere Psychologie der Sprache geschaffen haben, wie 
auch, dass wir die ungemein verwickelten, und bis jetzt in vielen Fällen ganz 
unverständlichen Aphasieenbilder vereinfachten. Es unterliegt keinem Zweifel, 
dass uns dazu Flechsig’s Arbeit von den Associationscentren geholfen hat, die 
wir bis jetzt mit irgend einer Unbekannten vertreten mussten. 

Weitere klinische Beobachtungen von Sprachlosigkeiten in Verbindung mit 
den anatomisch-pathologischen Forschungen werden uns vielleicht binnen Kurzem 
erlauben auch die Lücken auszufüllen, welche auch heute noch zweifellos uns 
auf den Gedanken bringen. 1 


II. Referate. 


Anatomie. 

1) Quergestreifte und längsgestreifte Muskeln, von P. Schultz. (Arch. f. 

Anat. u. Phys. 1897. Phys. Abth.) 

Verf. unterscheidet nicht glatte und quergestreifte Muskeln, sondern längsgestreifte 
und längs- und quergestreifte Muskeln. Die letzteren bezeichnet er auch abgekürzt 
einfach als quergestreifte Muskeln. Physiologisch unterscheiden sich beide Formen, 
insofern als die Contraction des längsgestreiften (d. h. glatten) Muskels träge erfolgt, 
die des quergestreiften hingegen als Zuckung, chemisch, insofern der längsgestreifte 
Muskel myosinfrei und wasserarmer ist und bei der Thätigkeit neutral reagirt, 
während der quergestreifte myosinhaltig und wasserreich ist und bei der Thätigkeit 
sauer reagirt. — Aus den experimentellen Arbeiten desselben Autors (ibid. S. 1 u. 
S. 307) kann hier nur hervorgehoben werden, dass Verf. gegen Engelmann die 
reflectorische Natur der peristaltischen Bewegungen des Darms, Ureters u. s. w. dar- 
thut. Er stützt sich dabei namentlich auch darauf, dass ihm der Nachweis sensibler 


1 Diese Arbeit war auf der Sitzung des Warschauer ärztlichen Vereins aiu 15. Mai 1897 
vorgelesen worden. 


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nervöser Apparate in den bez. Muskeln, welchen Engelmann vermisst batte, ge¬ 
lungen ist. Auch die Beobachtungen Ober den Einfluss verschiedener Medicamente 
auf die glatten Muskeln verdienen Berücksichtigung. Th. Ziehen. 


Experimentelle Physiologie. 


2) Di an rifleaso papilläre di origine auricolare, per G. Pisenti. (Atti e 
rendic. della accad. med.-chirur. di Perugia. IX.) 

Ein Patient mit einer nicht eitrigen Otitis media, den Verf. unter anderem mit 
Katheterisiren der Tuba Eustachii behandelte, zeigte, wenn die Sonde über den 
Boden der Choanen glitt, Blasswerden des Gesichts, Kleiner- und Langsamerwerden 
des Pulses, Stillstand der Athmung, Thränen der Augen. Zugleich gerieth die Pu¬ 
pille, die sich anfangs verkleinert batte, in lebhafte oscillatorische Bewegungen, 
welche nach einigen Secunden aufhörten und dann mit geringerer Heftigkeit wieder 
einsetzten. Ein zweiter Sondirungsversuch, nach einer Pause unternommen, rief 
wieder die gleichen Erscheinungen hervor. Ebenso stellten sie sich nach einigen 
Tagen ein, als durch den Katheter Luft in das Mittelohr eingeblasen wurde. 

Es handelt sich hier zweifellos um einen Reflexvorgang. 3 Wege sind möglich, 
auf denen dieser Reflex zu Stande kommen kann: 

1. Durch die mechanische Reizung des Trigeminus wurde, da diese mit dem 
Ganglion ciliare durch dessen lange Wurzeln anastomosirt, auch dieses Ganglion 
gereizt 

2. Es wurden die Nn. nasales inf. et post, die den unteren Nasengang und die 
untere Muschel versorgen, irritirt. Diese Nerven sind Zweige des N. palatin. vom 
Ganglion spbeno-palatinuro. Von dort aus verbreitet sich die Erregung weiter auf 
den Stamm des Trigeminus und auf das Ganglion ciliare. 

3. Der Reflex ist centralen Ursprungs. Durch die in das Mittelohr geblasene 

Luft steigt der Druck dort und mithin auch die Spannung im Itabyrinth und den 
halbcirkelförmigen Canälen, ln Folge dessen Reizung der Nervenendigungen in den 
Ampullen, Fortleitung der Reizung durch den N. vestibulär, anf seine Kerne, auch 
auf den Deiters’schen Kern. Dieser hat Verbindung mit dem Abducens, der seiner¬ 
seits wieder mit dem Oculomotorius in naher Beziehung steht. Valentin. 


Pathologische Anatomie. 


3) Contribato sperimentale alla oonosoensa dell’ istogeneai del rammolll- 
mento cerebrale isohemioo, per P. Guizzetti. (Archivio per le scienze roed. 
1897. Nr. 1.) 

Verf. hat seine Versuche an Hunden angestellt. Kaninchen erwiesen sich un¬ 
geeignet Dem Versuchsthier wurde mittelst einer Pravaz’schen Spritze eine 
physiologische Kochsalzlösung, in welcher Korbsägemehl suspendirt war, in die linke 
Carotis eingespritzt (1—2 ccm). Nachher wurde die Arterie unterbunden. Die 
Härtung der Hirnstücke, in welchen sich Erweichungsherde fanden, geschah theils 
in Sublimat theils im Flemming'schen Säuregemisch, theils in einem Gemisch von 
Chromsäure (0,3 °/ 0 ) und Essigsäure (l°/ 0 )> theils in Müller’scher Flüssigkeit. 
Alle üblichen Färbemethoden wurden angewandt, namentlich auch die Färbung mit 
Safranin (gesättigte Anilinwasserlösung) nnd die Färbung nach Bizzozero-Vassale. 
Die Thiere starben, bezw. wurden getödtet 14 Stunden bis 17 Tage nach der In- 
jection. Der Befund wird für 7 Thiere genau mitgetheilt. Die Hauptergebnisse 
sind folgende: 


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1. Die Fettkörnchen zellen stammen theils ans aasgewanderten Leukocyten, 
theils aus den vermehrten, transformirten endothelialen Elementen, welche die peri- 
vasculären Lymphscheiden begrenzen. Durch Earyokinese vermehren sich die Fett¬ 
körnchenzellen weiter. 

2. Die Ganglienzellen und Axencylinder gehen sowohl in der Mitte des 
Erweichungsherdes, wie an seiner Peripherie zu Grunde, ohne sich je in Körnchen¬ 
zellen zu verwandeln. 

3. Die Neurogliazellen gehen gleichfalls zu Grunde, ohne sich in Körnchen¬ 
zellen zu verwandeln; nur in der Umgebung des Herdes vermehren sie sich in 
massigem Grade und hypertrophiren. 

4. Das Stfitzgewebe des ausgebildeten Herdes ist nnr durch Vermehrung der 
Zellelemente der Gefässwandungen entstanden; unter bestimmten Umständen betheiligt 
sich an der Bildung des Stroma auch ein feines zusammenhängendes Reticulum, 
welches ebenfalls vom MeBenchym abstammt. 

Zum Vergleich hat Verf. bei 4 Hunden direct in die Hirnsubstanz 2 Tropfen 
einer 2°/ 0 Chromsäurelösung injicirt. Diese chronische Encephalitis zeigtein cen¬ 
trales nekrotisches Gebiet und zahlreiche Hämorrhagieen. Vielkernige Körnchenzellen 
scheinen etwas häufiger als bei der Erweichung. Einen Unterschied bezüglich der 
activen und degenerativen Körnchenzellen (Virchow-Friedmann) lässt Verf. nicht 
gelten. Der Ursprung der Körnchenzellen scheint bei der chronischen Encephalitis 
derselbe wie bei der Erweichung. Einen Uebergang der Neurogliazellen, welche 
viel zahlreichere Karyokinesen zeigen, in Körnchenzellen scheint Verf. nicht aus* 
schliessen zu wollen. Die von Friedmann beschriebenen Spindelzellen leitet er 
nicht wie dieser von Neurogliazellen, sondern von Elementen der Gefässwand ab. 
Scheinbare Karyokinesen in Ganglienzellen finden sich bei der chronischen Encepha¬ 
litis nicht selten, hingegen sehr selten bei der Erweichung. Th. Ziehen. 


4) Bückenmarksbefunde bei Qehlrntumoren, von Dr. Josef Ursin. Aus der 
Klinik für Geistes- und Nervenkrankheiten des Prof. Dr. G. Anton in Graz. 
(Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. Bd. XI. 1897.) 

An der Hand dreier einschlägiger, eigener Fälle, sowie der betreffenden Litteratur, 
weist Verf. nach, dass der Ansicht C. Mayer’s gewichtige Erscheinungen entgegen¬ 
stehen, wonach Rückenmarksveränderungen bei Hirntumoren auf Drucksteigerung des 
Liquor cerebrospinalis, also auf hydrostatische Wirkung zur&ckzufQhren seien. Dem 
gegenüber erklärt Verf. das wirksame Agens in Intoxicationsvorgängen und Er¬ 
nährungsstörungen und befindet sich im Grossen und Ganzen in Uebereinstimmung 
mit Dinkler, welcher ebenfalls zu einer von G. Mayer abweichenden Erklärung 
gekommen ist. Es sollen hier nur die aus den eigenen Beobachtungen des Verf. 
sieb ergebenden, seinen Standpunkt rechtfertigenden Momente hervorgehoben werden. 
So fand sich ein Mal überhaupt keine besonders nachweisbare Drucksteigerung und 
trotzdem Degeneration in den Hintersträngen (1. Fall). Umgekehrt standen sich im 
3. Falle Zeichen bedeutend vermehrter CerebrospinalflQssigkeit und relativ geringe 
Degenerationen in den Hintersträngen gegenüber. Ferner fand sich in den betreffenden 
Fällen die Degeneration im Halsmark, also in einem höher gelegenen und dem Druck 
einer geringeren Flüssigkeitssäule ausgesetzten Abschnitt, viel stärker ausgebildet 
als im Lenden- und Sacralmark. Von Bedeutung ist auch, dass sich der eine, z. B. 
der rechte Hinterstrang stärker lädirt erweisen kann, als der andere. Hierfür ist 
die event. Mitbetheiligung der extramedullären Wurzelabschnitte ausschlaggebend, 
welche dann zu der primären, intramedullären Hinterstrangerkrankung noch eine 
secundäre, aufsteigende Degeneration hinzutreten lässt. Dieser ganze „elective“ 
Charakter des Processes erinnert eben sehr an die Wirkung toxischer Stoffe. 

E. Asch (Frankfurt a./M.). 

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5) Ulteriori rioerche istologiohe Bulle alterasioni luetiohe delle arterie 
cerebrali, per B. Stanziale. (Giornal. ital. delle malatte venere et della pelle. 
IY. 1897.) 

An Fällen von Hirnsyphilis mit hauptsächlicher Betheiligung der Gefässe studirte 
Verf. die Veränderungen an den Arterien. In 3 Fällen waren die Meningen mitergriffen, 
und zwar vornehmlich die Dura. Sie befand sich im Zustand der chronischen Ent¬ 
zündung oder war gummös erkrankt 

Die Affection der Gefässe ging stets von der Tunica externa aus: die Adventitia 
war kleinzellig infiltrirt, es bildeten sich neue Gefässe, auch fanden sich oft Biesen- 
zellen. Weiter entwickelte sich in der Adventitia ein fibröser Zustand oder Coa- 
gulationsnekrose. Nach der Adventitia wird auch die Media kleinzellig infiltrirt 
dann atrophisch und schwindet schliesslich gänzlich. Die Lamina elastica verdickt 
sich anfangs, zeigt später Unterbrechungen ihrer Continuität und kommt zum Schluss 
ebenfalls zum Schwinden. 

Die Intima, in den kleinen Arterien oft nur durch junges Bindegewebe mit 
vielen rund- und kleinzelligen Elementen verdickt, neigt dazu in das fibröse Stadium 
fiberzugehen. Die neugebildeten Gefässe obliteriren wieder. Da der Process an der 
Innenfläche beginnt und das Epithel betheiligt kommt es leicht zur Gerinnung des 
Blutes und zur Thrombenbildung. Arteriitis obliterans entsteht, wenn die Intima 
an ihrer ganzen Circumferenz an der Veränderung Theil nimmt, die ßetraction des 
fibrösen Gewebes bewirkt Trennung der Intima von der Lamina elastica, und wenn 
sie unregelmässig vor sich geht die Bildung von Canälen und Lakunen, die, sich 
mit Endothel auskleidend, dem Blutstrom wieder einen Weg bieten können. Die 
Schrumpfung des fibrösen Gewebes löst ferner bei der Arteriitis obliterans die Intima 
von den fibrigeu Gefässhäuten, lässt sie frei im Lumen flottiren und eventuell vom 
Blutstrom fortführen und Ursache einer Embolie werden. Eine neue Elastica kann 
sich von der freien Seite der Intima her entwickeln. 

In allen Fällen mit Ausnahme eines einzigen fand Yerf. miliare Aneurysmen. 
Anf Grund des histologischen Bildes kann man mit genügender Sicherheit luetische 
Gefässveränderungen von atheromatösen unterscheiden. 

Die Schlüsse, zu denen Yerf. kommt, decken sich mit den in einer seiner 
früheren Arbeiten aufgestellten. Valentin. 


6) Zur Kenntniss der Meningooele spuria (Billroth’sohen Krankheit) in 
neuropsthiseher Hinsieht, von J. Bayerthal in Worms. (Deutsche med. 
Wochenschr. 1898. Nr. 3 u. 4.) 

Der 31jährige Arbeiter G. S. stammt aus gesunder Familie. Im Alter von 
3 / 4 Jahren fiel dem bis dahin normal entwickelten Kinde ein Ziegelstein auf den 
Kopf, es bildete sich an der Stelle des Traumas eine pulsirende Geschwulst, welche 
langsam mit dem Schädel wuchs. Pat. lernte erst im 4. Jahre gehen, entwickelte 
sich aber im übrigen normal und hielt sich, von ärztlicher Seite auf die Lebens¬ 
gefahr seines Zustandes bei eventueller Verletzung des Schädeldefects aufmerksam 
gemacht, sorgsam von allen Gelegenheiten zu derartigen Eventualitäten fern. Vom 
26. Lebensjahre ab zeitweise Neuralgie des linken Supraorbitalis, seit 3 Jahren im 
Anschluss an körperliche Anstrengungen epileptische Anfälle unter starkem Vordrängen 
der Geschwulst, eingeleitet durch Zucken in den Gliedern ohne bestimmten Ausgangs¬ 
punkt. Die Untersuchung ergiebt auf der rechten Hälfte des Stirnbeins eine 
Meningocele spuria mit den typischen Merkmalen, sowie eine geringe Schädel¬ 
asymmetrie, indem die rechte vordere Schädelpartie stärker entwickelt ist als die 
linke. — Sonstiger Befund normal. 

Nach kurzer, znsammenfassender Darstellung der Entstehungs- und Wachsthums- 
weise, der äusseren Form und der pathologischen Anatomie der Meningocele spuria — 

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die Details sind im Originale uachzulesen — kommt Verf. zur Besprechung der 
Cerebralerscheinungen. Es handelt sich um initiale und temporäre oder erst später 
auftretende und bleibende allgemeine Cerebral- oder Herdsymptomo. Den initialen 
Erscheinungen, welche im wesentlichen dem Symptombilde der Commolio cerebri 
entsprechen, folgen unmittelbar oder meist nach mehr oder weniger lauger Latenz¬ 
periode die dauerden Cerebralsymptome. Entsprechend dem Lieblingssitz der 
Meningocele — das Scheitelbein deckt die Kolando’sche Furche — treten besonders 
halbseitige Bewegungsstörungen hervor, in geringerem Grade an der Gesichtsmusku¬ 
latur, in höherem, aber wechselndem Maasse an den Extremitäten. Die Wachtsthums- 
differenz der gelähmten Körperseite beruht auf trophischen Einflüssen der Grosshirn¬ 
rinde. Die topische Diagnose ist bei dem falschen Gebirnbruch bisher zu wenig 
beobachtet worden. 

, Weitere Symptome sind Erkrankungen des Sehnerven, Reizerscheinungen 
localisirter Natur und solche, welche wie Athetose und Epilepsie auf allgemeinen 
Functionsstörungen der Hirnrinde beruhen. Die Meningocele spuria ist keine eigent¬ 
lich chirurgische Erkrankung, sondern bezüglich des weiteren Verlaufs in erster 
Linie eine Erkrankung des Gehirns, deren Symptomencomplex nahezu völlig dem der 
cerebralen Kinderlähmung entspricht und der nur sehr selten durch operative Ein¬ 
griffe günstig beeinflusst werden kann. 

Die Prognose ist ungünstig, da auch in den leichtesten Fällen mit dem Ent¬ 
stehen der Meningocele eine intracranielle Verletzung verbunden ist, Epilepsie 
wahrscheinlich in keinem Falle bei genügend langer Beobachtungs¬ 
dauer vermisst wird, ln allen Fällen von Meningocele spuria kommt nur eine 
Behandlungsweise in Betracht: das Tragen einer Schutzkappe gegen äussere Schädlich¬ 
keiten, die unabsehbare Folgen nach sich ziehen können. — Bei ihrer gutachtlichen 
Beurtheilung müsste man sagen, dass chronisch entzündliche Vorgänge im Gehirn, 
die bisher schleichend verliefen, durch ein Trauma Epilepsie herbeizuführen vermögen. 

R. Pfeiffer (Cassel). 


Pathologie des Nervensystems. 

7) Sensory aphasia with seotor-shaped homonymous defeot of the fleld 
of viaion: a study in looalisation, by W. Ernest Thomson. (Edinburgh 
medical Journal. 1897. Mal) 

öljähr. Pat. leidet seit 8 Monaten an Anfällen von sehr heftigem Kopfschmerz 
mit Erbrechen, die von allgemeiner Abgeschlagenheit gefolgt sind. Nach einem 
solchen Anfalle treten deutliche Symptome von amnestischer Aphasie und Paraphasie 
auf, ferner partielle Buchstabenblindheit; Copiren und Dictatschreiben ohne Störung, 
keine Worttaubheit. Der auffallendste Befund wurde bei der Prüfung der Gesichts¬ 
felder erhoben. Es fand sich nämlich ein homonymer sectorenförmiger Defect in den 
rechten oberen Hälften beider Gesichtsfelder, deren stumpfer Endabschnitt rechts bis 
zum 5.°, links bis zum 10.° vom Fixirpunkt reicht. Bemerkt sei, dass Pat. über' 
Sehstörung nicht klagte; es ist daraus der Schluss zu ziehen, dass es sich hier 
nicht etwa um den Ueberrest einer ursprünglichen homonymen Hemiopie handelt, da 
eine solche auch subjective Störungen voraussetzen lässt, sondern dass die jedenfalls 
central bedingte Affection von vornherein grösseren Umfang nicht gehabt hat. 

Verf. ist geneigt, zwei Herde anzunehmen, einen älteren, der die Seh-, und 
einen jüngeren, der die Sprachstörung verursacht hat Ueber seine weiteren dia¬ 
gnostischen Bemerkungen sei auf das Original verwiesen. 

Martin Bloch (Berlin). 


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8) Un cas de surdite verbale pure terminöe par aphasie sensorielle suivi 
d’autopsie, par J. Uejoriue et P. Sörieux. (Comptos rend. de la sociötö de 
biolog. 1897. 18. ddcembre.) 

Der von den Verff. beschriebene Fall von „reiner Wortstummheit“ scbliesst sich 
den weniger bisher beschriebenen Fällen dieser Erkrankung an (Lichtheim, Pick, 
Sdrieux, Ziehl), unterscheidet sich jedoch von ihnen dadurch, dass hier zum 
ersten Male eine genaue makro- und mikroskopische Untersuchung des Central¬ 
nervensystems statt finden konnte. — Die betr. Patientin wies 5 Jahre hindurch 
(1887 ; —1892) die Symptome „der reinen Wortstummheit“ auf: Integrität des spon¬ 
tanen Sprechvermögens, Unfähigkeit Gehörtes zu wiederholen, Fähigkeit spontan zu 
schreiben und zu copiren, Unfähigkeit nach Dictat zu schreiben, Fähigkeit laut zu 
lesen. — Im Jahre 1892 begannen nun einige Symptome sensorischer Aphasie sich 
geltend zu machen, Paraphasie und Paragraphie, und diese Erscheinungen steigerten 
sich schliesslich zum völligen Verlust des Schriftverständnisses, zugleich nahm die 
Intelligenz und das Hörvermögen ab. — Die Kranke starb 1895 im Alter von 
55 Jahren. 

Bei der Section fand sich eine beiderseitige hochgradige Atrophie der Schläfen¬ 
lappen und zwar waren die obersten Windungen am meisten betroffen. — Das 
ganze übrige Centralnervensystem, insbesondere die Stirnwindungen und die Insel 
waren absolut intact. 

Bei der mikroskopischen Untersuchung der Binde der Schläfenlappen erwies sich 
die Atrophie vorwiegend als eine celluläre, und zwar betraf sie hauptsächlich die 
am meisten peripherisch gelegenen Schichten. Die Zellen sind theils verkleinert, 
theils völlig geschwunden, Neuroglia und Kerne vermehrt. Insbesondere sind die 
kleinen Pyramidenzellen auffallend spärlich. Die Gefasse und die Pia mater sind 
verdickt, die Radialfasem an Zahl vermindert. 

Diese Krankengeschichte ist nach verschiedenen Richtungen hin interessant und 
lehrreich. Zunächst wird hierdurch definitiv bewiesen, dass die „reine Wortstumm¬ 
heit“ eine Rindenerkrankung ist, und zwar eine Poliencephalitis chronica des Schläfen¬ 
lappens. Ferner zeigt der Sectionsbefund, dass die surditä verbale pure auf eine 
Erkrankung der Hörsphäre zurückzuffihren ist, und nicht, wie Lichtheim u. A. 
angenommen hatten, auf eine Leitungsunterbrechung zwischen dem Hörcentrum und 
dem Worterinnerungscentrum. 

Eine genauere Beschreibung des eigenthümlichen Falles, besonders im Hinblick 
auf die interessanten Beziehungen, welche sich hier zwischen der surditä verbale, der 
sensorischen Aphasie und der Taubheit entwickelten, wird in Aussicht gestellt. 

W. Gohnstein (Berlin). 


9) Ueber gewisse, den aphasischen analoge Störungen des musikalischen 
Ausdrucksvermögens, von Knauer. (Deutsche med. Wochenschr. 1897. 
Nr. 46.) 

Eine 30jähr., mit Morbus Basedowii behaftete, hysterische Patientin, welche für 
Musik grosses Interesse und hohe Befähigung besass und darin eine sehr gute Aus¬ 
bildung genossen hatte, verlor plötzlich in einer Nacht das Gehör für Töne und 
musikalische Klangbilder, nachdem sie am Tage vorher noch normal musicirt hatte. 
An Ohrensausen schlossen sich Schwindel, Würgkrämpfe, Kopfschmerzen, Anfälle von 
Bewusstlosigkeit ohne voraufgegangene Aura, ziemlich starke Schwerhörigkeit (L > B) 
und Schlaflosigkeit. Häufiges Ohrenklingen, das meist in Hören von Melodien über¬ 
ging. — Sprach eine Person allein zu ihr, so konnte Pat. sie zeitweilig verstehen; 
sprachen mehrere, so hörte sie ein unbestimmtes Geräusch. Wie die Untersuchung 
ergab, waren verloren: das Tonklangverständniss, das Notenschriftverständniss, das 
Nachsingen, das Notenschreiben nach Gehör und Absingen von Noten, erhalten: 

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das Schreiben von Notenschriftzeichen n. s. w., das Notenabschreiben, das willkürlicne 
Singen. 

Es handelt sich nach dem Verf. um einen reinen Fall von sensorischer Amnsie, 
von Musik oder Tontaubheit; die Beobachtung weist hin auf die grossen Analogieen 
zwischen Sprach Vorgängen (Articulation, sprachliche Aeusserung, graphische Dar* 
Stellung) und den musikalischen Functionen (Darstellung und Aufnahme musikalischer 
Töne und Klänge, schriftliche Wiedergabe derselben). 

„Es werden vom Individuum im Gehirn die analogen Centra und Leitungsbahnen 
ebenso eingebbt für die Sprachvorgänge u. s. w. wie fflr die musikalischen Functionen.“ 

Der Eintritt der Gehörstörungen erinnert an den Meniöre’sehen Symptomen* 
complex. Verf. neigt dazu, das ganze Krankheitsbild einheitlich aufzufassen als 
Intoxicationsneuropsychose in Folge Parafunction der Schilddrüse. 

Die Details der Krankengeschichte sind im Originale nachzulesen. 

B. Pfeiffer (Cassel). 


10) Beitrag zur Lehre der amnestischen Sprachstörungen, nebst Bemer¬ 
kungen über Sprachstörungen bei Epilepsie, von Dr. E. Bischoff. 

(Jahrbücher für Psychiatrie u. Neurologie. Bd. XVI.) 

Verf. geht bei seinen Ausführungen von folgendem Falle aus: 

Ein indirect neuropathisch belastetes Kind hatte mit l l j a Jahren Fraisen, erlitt 
mit 2 Jahren eine Himerschütterung und machte im 5. Lebensjahre die Blattern 
durch, es erkrankte im 6. Lebensjahre an anfallsweise auftretenden Zuckungen im 
Gesichte, vorwiegend rechts, und im 10. Jahre an Schwindelanfällen, welche allmäh¬ 
lich in epileptische Krampfanfälle übergingen; diese waren wieder vorwiegend in der 
rechten Gesichtshälfte und im rechten Arm localisirt; später kam es zu allgemeinen 
epileptischen Convulsionen, die zeitweise täglich auftraten und dann zu Dämmer¬ 
zuständen führten. Im 15. Lebensjahre stellte sich im Anschlüsse an einen Status 
epilepticus eine seither durch 2 Jahre bestehende Sprachstörung ein; dieselbe besteht 
in bedeutender Einschränkung des Wortschatzes und dem Unvermögen, Gegenstände 
zu benennen, sowie in einer Störung des Dictatschreibens und des Lautlesens, während 
das Verständnis der Sprache und der Schrift, die Fähigkeit zu agiren und nach¬ 
zusprechen intact sind. Ausser dieser als amnestische Aphasie bezeichnten Störung 
findet sich keine Abnormität im Gebiete der Hirn- und Extremitätennerven, daB 
Gedächtnis, die Intelligenz sind nicht grob gestört, Gesichtsfeld und Sehschärfe 
sind normal 

Verf. stellt nun die Frage, ob diese Aphasie functionell oder organisch be¬ 
gründet sei und wohin dieselbe zu localiiren wäre. Auf Grund einer Durchsicht 
der Literatur kommt er zur Aufstellung folgender Sätze: Amnestische Aphasie kommt 
sowohl bei Läsion des motorischen, als des acustischen Sprachcentrums, als auch 
der optischen Centren vor. Dass amnestische Aphasie bei Läsion des Klangbilde- 
centrums oft vorkommt, beruht darauf, dass mit dem Klangbildecentrum zugleich oft 
auch das optische Centrum oder seine Verbindungsbahnen zum Sprachcentrum zerstört 
werden. Zwei Fälle der Literatur mit totaler Zerstörung, im ersten Falle der 
linken 1. und 2. Schläfenwindung (Gi rode au), im zweiten Falle der rechten 1. und 
2. Schläfenwindung und der linken 1. Schläfenwindung (Pick), in welchen voll¬ 
ständige Worttaubheit ohne amnestische Sprachstörung bestand, beweisen, dass am¬ 
nestische Aphasie bei Läsion des acustischen Sprachcentrums nicht vorzukommen 
braucht, wenn die optischen Centren und Bahnen, sowie das motorische Sprachcentrum 
intact sind. Bezüglich der amnestischen Aphasie bei Läsion des motorischen Sprach¬ 
centrums weist Verf. nach, dass dieselbe einen leichten Grad der motorischen Kern- 
aphasie darstellt. Dies geht daraus hervor, dass sie sowohl bei partieller Läsion 
des Centrums als auch während der Ausheilung anfänglich totaler motorischer Kern- 


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aphasie beobachtet wurde. Die amnestische Aphasie bei Läsion der optischen Centren 
and ihrer Bahnen deckt sich vollständig mit der optischen Aphasie. 

Diese Befände sind geeignet, die bisher von mehreren Seiten noch aufrecht er¬ 
haltenen Ansichten betreffs der Aphasie etwas zu modificiren, und zwar weisen sie 
darauf hin, dass erstens nicht immer das Klangbildecentrum unerlässlich zu allen 
Sprachfnnctionen ist, sondern dass auch ohne Klangbildecentrum das Sprechen in 
manchen Fällen normal von statten gehen kann, und dass zweitens die Art einer 
Sprachstörung nicht allein von der Lage der Läsion, sondern auch von dem Grad 
und der Intensität derselben abhängig ist. Man kann im Anschluss an Bastian 
3 Functionsarten der Sprachcentren schematisch unterscheiden: 

1. eine reflectorische, z. B. das einfache Nachsprechen gehörter Worte, 

2. eine innerhalb des Sprachcentrums selbst associativ ausgelöste, z. B. das 
Hersagen geläufiger Wortfolgen. 

3. eine spontane, welche durch associative Vorgänge mit dem übrigen Vorstellungs- 
complex ausgelöst wird. 

Die erstgenannte ist die einfachste, die letzte die schwierigste Function. Durch 
eine geringe Läsion wird nur diese schwierigste Function gestört, nnd daraus entsteht, 
wenn die Läsion das motorische Sprachcentrum betrifft, die amnestische Aphasio, 
welche Verf. mit der transcorticalen motorischen Aphasie für identisch hält. 

Diese Theorie ist geeignet, die verschiedenen Formen der sub- und transcorti¬ 
calen Aphasie zu erklären, ohne anatomisch unmögliche Localisationen anzunehmen. 

Anf die functionellen Sprachstörungen übergehend, weist Verf. aus der Litteratur 
nach, dass diese dauernd nur in Form vollständiger Sprachunfähigkeit, z. B. Hysterie 
Vorkommen, transitorisch aber regelmässig in Begleitung motorischer und sensorischer 
Lihmungserscheinungen auftreten, was zeigt, dass über grosse Hirnabschnitte aus¬ 
gebreitete functioneile Störungen Ursache dieser Aphasieen sind. Das Ergebniss der 
hier nur flüchtig skizzirten Unternehmungen zwingt für den Fall des Autors zur 
Annahme einer organischen Erkrankung, aller Wahrscheinlichkeit nach innerhalb oder 
in nächster Nachbarschaft des motorischen Sprachcentrums. Dafür spricht auch der 
Beginn der Erkrankung mit Krämpfen in der rechten Gesichtshälfte und im rechten 
Arm. — Zum Schlüsse stellt Verf. die bei Epilepsie bisher beschriebenen Sprach¬ 
störungen zusammen und führt in einem Litteraturverzeiclmiss die wichtigsten Arbeiten 
über amnestische Aphasie, über functionelle Aphasieen und über Epilepsie mit 
Aphasie an. Redlich (Wien). 


11) Fäll af afasi samt emboli af arteria mesenterica superior, af l)r. 

Köster. (Hygiea. L1X. 1897. S. 219.) 

Bei einer 53 Jahre alten Frau war nach einem apoplectischen Anfall vor 
5 Jahren rasch vorübergehende Parese der rechten Glieder beobachtet worden, und 
Sprachstörung, die fortdauerte, mit Abnahme des Gedächtnisses. 8 Tage vor der 
Aufnahme hatte sie plötzlich heftigen Schmerz im Unterleib bekommen. Wenn sie 
reden wollte, quoll ein Strom von Worten mit vielen Wiederholungen hervor, oft 
ohne directen Zusammenhang mit dem, was Pat. sagen wollte. Es schien sich um 
eine Art von amnestischer Aphasie zu handeln (obwohl Pat. zu wissen schien, was 
säe sagen wollt«, konnte sie nicht die rechten Worte finden), sowie um nicht un¬ 
bedeutende Paraphasie; Worttaubheit schien nicht vorhanden zu sein. Pat. collabirte 
und starb an Embolie der Art mesenterica superior. 

Beifder^Section fand sich in der Gegend der Fossa Sylvii keine Einsenkung in 
die Hirnmasse, wo der Raum zwischen Pia und Gehirn von klarer Flüssigkeit erfüllt 
war. Dieee Höhle, die sich von der Grenze zwischen dem vorderen und dem mitt¬ 
leren Drittel de« Temporallappens nach hinten bis gegen den hinteren Rand des 
Ocdpitallappeaa erstreckte und ungefähr 1 cm tief und 1 l j a cm breit war, war durch 

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eine totale Atrophie der hinteren zwei Drittel des Gyros temporalis primus und die 
mittleren Theile der an der äusseren Seite des Ceutrallappens gehenden Gyri gebildet; 
auch die unteren Theile der Insula waren atrophicli, dagegen waren gesund und 
unverändert der Gyrus temporalis secundus, der Gyrus angularis und supramarginalis, 
die Centralgyri und der Gyrus frontalis tertius. Das Centrum für die Klangbilder, 
dessen Zerstörung Worttaubheit hervorruft, war also zerstört, während die 3. Stirn* 
Windung vollständig intact war. Nur die Paraphasie findet genügende Erklärung 
durch die Läsion der Insula und der 1. Temporalwindung. Ausserdem ergiebt sich 
aus diesem Falle, dass die Sehcentra in der inneren Fläche der Occipitallappen zu 
suchen sind, denn ein grosser Theil der äusseren Fläche war zerstört, ohne dass 
irgend welche Sehstörungen vorhanden gewesen waren. 

Walter Berger (Leipzig). 


12) A hangkdprö körpontok körtana (Pathologie der Laut bildenden 

Centren), von A. Onodi. (Mittheilung der ung. Akademie der Wissenschaften. 

1897.) 

Die vielfachen Untersuchungen des Verf. au Tbieren führten zu der Erkenntniss, 
dass bei Thieren ausser des Rindencentrums noch ein „subcerebrales“ Centrum auch 
vorhanden ist. Dieses Verhalten erklärt, dass die Lautbildung auch nach der Zer* 
Störung der Rinde möglich bleibt, ferner erklärt dieser Umstand wieso die Destruc- 
tion des oberhalb des Vagusaustritts bis zur Vierhügelgegend reichenden Theiles die 
Lautbildung aufhebt. So bestimmt auch diese Verhältnisse im Thierexperimente sich 
nachweisen lassen, decken sie sich nicht vollkommen mit den bisherigen Beobachtungen 
an Menschen. Doch ist das Material der pathologischen Erfahrungen an Menschen 
noch sehr ungenügend und viel zu wenig zahlreich, als dass man die Gesetze der 
cerebralen Lähmungen der Stimmbänder schon jetzt definiren könnte. 

Jendrässik (Budapest). 


13) Du mutisme ohez Penfant qui outend, par Boy er. (Arch. de Neurol. 

Vol. IV. 1897.) 

Bei einem Kinde mit normalem Gehör kann aus verschiedenen Ursachen die 
Entwickelung der articulirten Sprache eine Verzögerung erfahren, es kann sogar die 
Ausbildung derselben ganz unterbleiben 1. in Folge einer physischen Schwäche, 
2. durch Schwäche der Intelligenz, 3. durch vorübergehende oder dauernde nervöse 
Störungen, 4. durch Heredität, 5. durch locale Erkrankungen des Articulations- 
apparats. 

Der Verf. berichtet über einen Fall dieser Art Es handelt sich um einen 

10jährigen, geistig und körperlich sehr zurückgebliebenen Knaben, der bei intactem 
Gehör anscheinend vollständig stumm war, bei dem es aber gelang, durch geeigneten 
Unterricht die articulirte Sprache zu entwickeln. Der Knabe wurde als taubstumm 
zugeführt. Die Taubstummheit war nach Aussage der Eltern im Alter von 2 Jahren 

im Anschluss an Convulsionen aufgetreten. Vor dieser Krankheit hatte das Kind 

kaum einige Worte sprechen können. 

Gleich bei der ersten Untersuchung stellte sich nun heraus, dass das Kind 

hörte, ja sogar einige einfache Worte verstand, es gab aber nur durch Gesten oder 
durch unverständliche Töne Zeichen, dass es hörte und verstand. Der Knabe war 
also stumm, aber nicht taub. 

Die initiale Ursache des Mutismus und des Zurückbleibens der geistigen Ent* 
Wickelung war zweifellos eine cerebrale Läsion; insbesondere dürften es wohl die 
Functionen der Aufmerksamkeit und des Gedächtnisses gewesen sein, die gelitten 
hatten, welcher Umstand ohne Zweifel ein Hinderniss für die Entwickelung der 

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Nachahmuugsfähigkeit war. Da uuu die imitatorische Fähigkeit zur Erlernung der 
Sprache unbedingt nöthig ist, so ist es klar, dass der Knabe, obgleich er normales 
Gehör hatte, die articulirte Sprache nicht erwerben konnte. Dio Intelligenz des 
Knaben war nun, wenn auch verringert, so doch derart, dass mau hoffen konnte, dem 
Pat. durch geeigneten Unterricht die Fähigkeit, sein Gehör zu gebrauchen, wieder* 
geben zu können und ihm damit die Erlernung der articulirten Sprache zu ermög¬ 
lichen. Vielleicht war es auch möglich, zugleich hierdurch die Intelligenz des 
Knaben zu fördern, da die Entwickelung der geistigen Fähigkeiten zweifellos durch 
den Mangel der Sprache gehemmt war. 

Der Verf. beschreibt nun eingehend die Methode seines Unterrichts. Der Knabe 
wurde, wie die Taubstummen, zunächst präparatorischen Uebungeu unterworfen, die 
den Zweck hatten, ihm den Gebrauch der visuellen Aufmerksamkeit beizu¬ 
bringen und die Fähigkeit der Nachahmung üben; dann wurde die Entwickelung der 
auditiven Aufmerksamkeit versucht. Diese Uebungen ergaben alle ein günstiges 
Resultat; der Knabe lernte aufmerken, bekam Gedächtniss und Vorständniss. Nun 
wurde die Erziehung der zur Sprachbildung dienenden Organe vorgenommen. Das 
gelang vermöge der bei dem Unterricht der Taubstummen angewandten sog. „oralen“ 
Methode; zuvor war es aber nöthig gewesen, die Zungen- und Lippeumuskulatur, 
die bei dem Knaben sehr schwach entwickelt war, durch Gymnastik zu stärken. 
Auf diese Weise wurde, nach 2jähriger Unterrichtsdauer, erreicht, dass der Knabe 
in verhältnissmässig recht zufriedenstellender Weise articulirt sprechen konnte. Wie 
angenommen war, trat zugleich mit der Beseitigung des Mutismus eine erhebliche 
intellectuelle Besserung ein; der Knabe fing an zu lesen und zu schreiben. 

Der Verf. betont, dass der Unterricht bei dem Knaben noch keineswegs beendet 
sei, insbesondere aus dem Grunde, weil die auditive Fähigkeit bei ihm noch nicht 
in normaler Weise zur Ausübung kam; der Knabe hörte wohl ganz gut, wenn man 
mit ihm direct sprach, er war aber noch nicht im Stande zu hören, wenn nicht 
direct mit ihm gesprochen wurde; die „audition indirecte“, die für die Ausbildung 
der Sprache sehr wesentlich ist, ging ihm noch ab. M. Weil (Stuttgart). 


14) Observation d’aphasie stationnaire pendant trente-huit ans, par D. 

Brunet. (Archives de Neurologie. 1897. August.) 

Interessanter Fall von motorischer Aphasie, Atrophie und Wortblindheit, der 
wegen des Krankheitsverlaufs besonderer Würdigung werth erscheint. Zu Trousseau 
kam 1863 der damals 25jähr. Patient. Die Mutter gab an, dass Pat. mit 21 Jahren 
plötzlich mehrere Tage Kopfweh und Kopfschmerzen bekommen hätte. Dann sagte 
er eines Tags: „mir wird so eigentümlich", worauf die rechten Extremitäten starr 
wurden. Die dann eingetretene Hemiplegie ging sehr langsam und nur gering zu¬ 
rück; als Tr. den Pat sah, konnte dieser mit Mühe allein gehen und seine Hand 
nur zu den gTÖbsten Hantirungen brauchen. Die Aphasie war jedoch seit dem Be¬ 
ginne dieselbe. Seine Intelligenz war sehr gering; er konnte nur Non, maman und 
seinen Namen mit der linken Hand schreiben. Er hatte wohl Lust am Kartenspiel 
und ergriff auch hie und da ein Buch mit scheinbarem Interesse; dieses schwand 
aber sehr bald und Pat starrte nur auf die Buchstaben. 

Auf die ausführlichen Notizen von Tr. gestützt beobachtete Verf. den Pat. 
weiter und konnte bis zum Tode im Alter von 59 Jahren (an Pleuropneumonie) — 
also während 34 Jahren — keine Besserung der Aphasie constatiren. Sie war sich 
völlig gleich geblieben. 

In den letzten 16 Jahren hatte Pat. mit der linken Hand noch zwei Worte 
mehr, jedoch verkehrt geschrieben, statt Francois — Fraieu oder Francis und statt 
Brouette — Broutive. Die Intelligenz war geschwächt, er batte kindliche Ideeen 
und lachte oft ohne Grund. 


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Bei der Section fand sich ein alter Herd in der linken Hemisphäre, welcher 
sich von der dritten OccipitalWindung bis zur dritten Frontalwindung erstreckte und 
die letztere nebst den Centralwindungen und die untere Parietalwindung in sich be- 
griff. Der Unterschied des Gewichts der Hemisphären betrug 250 g (rechts 575, 
links 325). Das ganze Gehirn wog nur 1063 g. 

Der interessante Aufsatz schliesst mit einer Besprechung der Broca’sehen An¬ 
sicht, des vicariirenden Eintretens der anderen Hemisphäre, was in diesem Falle 
während 38 Jahren nicht eingetreten war. Adolf Passow (Strassburg i./E.). 


15) Troubles moteurs preoödant l’articulation de la parole ches un de- 
gdnerd, par Planst. (Arch. de Neurol. Vol. II. 1896. Nr. 10.) 

Bei dem I9jähr. Patienten, der mannigfache Zeichen der geistigen Entartung 
darbot, war im Anschluss an eine heftige Gemfithsbewegung Stottern aufgetreten. 
Kurz nachdem sich diese Affection eingestellt hatte, trat eine andere auf, die eng 
mit der ersteren verknüpft war. Es zeigten sich stets kurz bevor Fat. zu sprechen 
anfing, eigentümliche Krämpfe, die zunächst die Gesichtsmuskulatur betrafen, dann 
auf die des Halses, der Brust und der Extremitäten fibergriflfen. Im Gesicht blieben 
die Krämpfe tonisch, während sie am übrigen Körper zuerst tonisch, dann clonisch 
waren. Der Verf. weist darauf hin, dass diese Krämpfe in Bezug auf ihre Aus¬ 
breitung mit der Jackson’schen Epilepsie Aehnlichkeit haben, er betont aber zu¬ 
gleich, dass es sich in diesem Falle nicht um letztere Erkrankung handelt, Er ist 
vielmehr der Ansicht, dass eine Art von „Tic“ vorliegt, der mit Stottern complicirt 
ist, zwei Affectionen, die bei Degeneration nicht eben selten sind. 

M. Weil (Stuttgart). 


16) Hysterioal mutism and other funotional speeoh defeots, by Charlto.n 

Bastian. (Lancet. 1897. 25. Sept.) 

Verf. giebt einen Ueberblick Ober die häufigsten functioneilen Formen der 
Aphasie. Er fasst dabei den Begriff „functionell“ erheblich weiter, als es sonst ge¬ 
schieht. Er unterscheidet folgende Fälle: 

1. „Irritative Congestion oder Thrombose“ nach geistiger Ueber- 
anstrengung oder rheumatischen Einwirkungen (Fälle von Trousseau und Scoresby 
Jackson). 

2. Kleine Embolien (Nothnagel, Hammond). 

3. Gefässkrämpfe (Fall von Daly in Brain, 1887). 

4. Exogene Intoxicationen (Ogle, Heymann u. A.). 

5. Infectionen und constitutioneile Intoxicationen, wieTyphus, Malaria, 
Puerperalinfectionen, Diabetes, Gicht. Verf. nimmt an, dass in diesen Fällen bald 
leichte oder vorübergehende Thrombose von Kindengefässen, bald spastische, durch 
das Gift bedingte Gefässcontractionen, bald directe Schädigungen der Bindenelemente 
vorliegen. 

6. Vor oder nach epileptiformen Anfällen vom Typus der Jackson’¬ 
schen Epilepsie. Hierzu theilt Verf. einen eigenen Fall mit, der unzweifelhaft 
als Dementia paralytica aufzufassen ist. 

7. In Verbindung mit „Geistesstörung, Katalepsie und Ekstase.“ 

8. In Folge starker Affecte (Schrecken u. s. w.). Hierher gehört z. B. je 
ein Fall von Kussmaul, Pophain und Todd. 

9. Beflectorisch bei Neuralgieen, Helmintliiasis u. s. w. Die Fälle von 
Aphasie bei Kothstauung im Dickdarm (Jones, Mattei) führt Verf. auf Auto- 
intoxication zurück. 

10. In Folge hypnotischer Suggestion. 

11. Bei Hysterie. 

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Die Schilderung, welche Verf. von der hysterischen Stummheit giebt, bietet 
nichts Neues. Er theilt auch kurz einen eigenen Fall mit, welcher wegen der 
Combination clonischer Convulsionen und psychischer Erregungszustände mit transi¬ 
torischer Aphasie bemerkenswerth ist. Während Yerf. früher die hysterische Stumm¬ 
heit als eine functionelle Leitungsunterbrechung der centrifugalen Sprachbahn, also 
als subcorticale Aphasie anffasste, ist er jetzt auf Grund des von Banti mitgetheilten 
Falles geneigt, doch eine functionelle Läsion des Broca'sehen Bindencentrums selbst 
anzunehmen. Er glaubt, dass zwischen hysterischer Aphonie und hysterischer Aphasie 
nur ein gradueller Unterschied besteht. Das Broca'sehe Centrum soll aus einem 
Centrnm für Flüstersprache und einem Centrum für Sprache mit Phonation bestehen; 
beide denkt er sich natürlich eng verbunden. Gegen Charcot und mit Wyllie 
nimmt er an, dass auch bei der Flüstersprache Kehlkopfinnervationen betheiligt sind. 
Endlich ist nach Yerf. entsprechend seinen früher geäusserten Anschauungen die 
hysterische Aphasie und Aphonie anf eine doppelseitige functionelle Erkrankung 
des Sprachcentrums zurückzuführen. Er beruft sich dabei auf die bekannten Locali- 
sstionsversuche von Semon und Horsley und Bisien Bussei. 

Th. Ziehen. 


17) Hemianopsia, with eapeoial referenee to its traneoent varieties, by 

Harris. (Brain. 1898. Autnmn.) 

Die Arbeit bietet eine gute Uebersicht über alle bisher bekannten Formen und 
Yerlaufsweisen der Hemianopsie, wenn sie auch im allgemeinen nur die englische 
Litteratur berücksichtigt. Während die bitemporale Hemianopsie sehr häufig und in 
ihrer Entwickelung klar ist, ist die binasale sehr selten. Hamilton will sie einmal 
in einem Falle von Aortenaneurysma gesehen haben und führt sie auf Gefäss- 
erkrankuugen zurück — Bef. sah einmal bei einem Aneurysma des Arcus aortae 
horizontale Hemianopsie nach unten mit entsprechender Atrophie der Papillen. Dass 
bei Hysterie auch homonyme Hemianopsie Vorkommen kann, ist bekannt, und Yerf. 
beweist es durch einen sehr klaren Fall. Quadrautenhemianopsie fällt schwer für 
die Annahme einer ßindenaffection in die Wagschale, doch kann sie auch bei Läsion 
der inneren Kapsel (ein Fall des Yerf.’s) oder des Corpus geniculatum (Henschen) 
oder der Sehstrahlungen im Hinterhauptslappen (Bef.) Vorkommen. Dass, wie an¬ 
gegeben, bei ßindenaffectionen der Ausfall des Gesichtsfeldes nicht gemerkt wird 
(Yision nulle), bei Markaffectionen dagegen Scotome bestehen, stimmt auch nach des 
Bef. Erfahrungen nicht. Yerf. glaubt, dass bei Läsionen des Cuneus zwar subjective 
Licht- und Farbenerscheinungen entstehen könnten, dass aber beim Zustandekommen 
eomplicirterer Hallucinationen eine Beizung eines höheren optischen Centrums — des 
Gyrus angularis — stattfinden müsse; seine Beizung könne von allen Theilen der 
Sehbahn ausgehen; beweisen kann er natürlich diese Ansicht nicht. Beim Eintreten 
einer Hemianopsie besteht zunächst häufig Blindheit der anderen Hälfte, oder wenig¬ 
stens Gesichtsfeldeinengung (Bef.); hellt sich die Hemianopsie wieder auf, so thut 
sie das fast immer vom Centrum zur Peripherie, so dass excentrische blinde Streifen 
oder Quadrantenhemianopsie Zurückbleiben; sehr selten ist es umgekehrt, so dass cen¬ 
trale Scotome überbleiben. Bei doppelseitiger Hemianopsie bleibt meist ein centrales 
Gesichtsfeld frei, die Maculagegend des Cuneus muss besonders gut vascularisirt 
sein (Förster), dementsprechend lässt auch jede organische Hemianopsie das Macula¬ 
gebiet frei, während bei Hemianopsieen durch Erschöpfung, die meist rasch vorüber¬ 
gehende sind, die Trennungslinie nach Yerf. meist durch das Centrum des Gesichts¬ 
feldes geht 

Vorübergehende Hemianopsieen hat Yerf. bei Migräne — die er wie Jackson 
für eine sensible Epilepsie hält —, bei Epilepsie, bei Paralyse gesehen, er glaubt 
auch, dass sie bei Urämie Vorkommen wird, ln einem Falle, der zur Autopsie kam, 

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waren die Krampfanfälle umschrieben; hier fand sich eine Cyste im rechten Lobulos 
quadratus, dicht beim rechten Cuneus. Sonst ist bei Jackson’sehen Krämpfen 
Hemianopsie sehr selten. Dass sie bei Paralyse nach den Anfällen vorkommt, ist 
eine längstbekannte Sache. Der citirte anatomische Befand ; — Cyste im Lobulns 
quadratus — beweist, dass auch kleine Affectionen entfernt von der motorischen 
Zone umschriebene Krämpfe auslösen können. Bruns. 


18) Ueber doppelseitig© homonyme Hemianopsie und ihre begleitenden 

Symptome, von Dr. Karl Kaestermann in Hamburg. (Monatsschrift fQr 

Psychiatrie u. Neurologie. Bd. II. 1897.) 

Verf. bringt die Krankengeschichten von 2 Fällen von doppelseitiger homonymer 
Hemianopsie, von denen er den einen einer genauen mikroskopischen Untersuchung 
unterzogen hat. Aus der Litteratur hat er 27 einschlägige Fälle gesammelt, die er 
mit den selbstbeobachteten verglich. Es stellte sich heraus, dass sich die Papillen 
durchgängig normal verhielten, dass die Sehschärfe bei einer grossen Anzahl von 

Fällen völlig ungestört war, dass die Pupillen meisten normal reagirten, und dass 

die Function der äusseren Augenmuskeln fast ungestört war. Farbensinn war oft 
erhalten, zuweilen nicht zu prüfen, einige Male aufgehoben. Mehrfach fanden sich 
Störungen des Ortsgedächtnisses und der Orientirung, Seelenblindheit und hemi- 
plegiscbe Motilitätsstörungen. Einige Kranke waren durch den Gesichtsfeldausfall 
dauernd völlig erblindet; vielfach war der Fixationspunkt mit einem mehr oder minder 
grossen Stück vom peripheren Gesichtsfeld erhalten. Das besondere eines vom Verf. 
beobachteten Falles ist ein Ausfall des ganzen Gesichtsfeldes mit Ausnahme 
einer peripheren, homonymen Gesichtsfeldzone auf der linken Gesichts* 
hälfte. Bei diesem Falle handelte es sich zuerst um rechtsseitige homonyme Hemi¬ 
anopsie; in einem späteren Anfalle kam es durch Hinzutreten von linksseitiger 

homonymer Hemianopsie zur Erblindung. Mit diesem zweiten Anfall traten Störungen 
von Seiten des Ortsgedächtnisses (Ortssinn, topographische Vorstellung, Orientirungs- 
vermögen) hervor, zeigten sich Symptome von Seelenblindheit und kam es zu einem 
Verlust des Empfindungs- und Vorstellungsvermögens für Farben. Bei der Section 
fanden sich Erweichungsberde in beiden Occipitallappen. Vom Gebiet der 
Fissura calcarina waren nur zwei symmetrisch gelegene Stücke am Boden einer jeden 
Fissur nahe der Spitze der Hinterhauptslappen erhalten geblieben. 

Verf. kommt durch seine Untersuchungen zu der Ueberzeugung, dass sich der 
Sitz des Sehfeldes in der Rinde der Fissnra calcarina oder ihrer nächsten Umgebung 
befindet, dass die homonymen Gesichtsfelddefecte von Erkrankungen der Fissura 
calcarina abhängig sind, und dass Störungen des Ortsgedächtsnisses auf Erkrankung 
der Hinterhauptslappen hinweisen. In allen Fällen, in denen dauernd Störungen 
des Ortsgedächtnisses vorhanden waren, wurden Herde in beiden Occipitallappen 
gefunden. G. Ilberg (Sonnenstein). 


19) Om Hemlanopsi, af Aage A. Meisling. (Hosp.-Tid. 1897. 4. R. V. 33.) 

Unter den 10 Fällen von Hemianopsie, die Verf. mittheilt, betrafen 3 stationäre 
laterale Hemianopsie, in 2 von ihnen fehlte Hemiparese, im 3. war sie gleichzeitig 
mit der rechtsseitigen Hemianopsie auf der gleichen Seite aufgetreten, schwand aber 
wieder, während die Hemianopsie fortdauerte, ausserdem war vorübergehende am¬ 
nestische Aphasie vorhanden gewesen. Im 4. Falle handelte es sich um Hemianopsia 
fugax alternans ohne Nervenerscheinungen. Im 5. Falle hatte der Pat. mehrere 
Jahre früher an Augenmuskelparesen (Rectus, Trochlearis) gelitten, später an 
Trigeminusneuralgie mit Neuritis nervi optici und bekam eine vorübergehende Hemi¬ 
parese der linken Glieder mit vorübergehender Hemianopsia dextra. Der 6. Pat, 

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ein 64 Jahre alter Mann, hatte schon 2 Mal Anfalle von rechtsseitiger Lähmnng 
gehabt, er litt an wiederkehrender Hemianopsie der rechten Seite auf beiden Angen, 
Geachmacksstörung und Herabsetzung der Sensibilität an der rechten Körperhälfte. 
Vollständige hemianopische homonyme Farbenblindheit für Roth, Grün, Blau und 
Gelb im linken Sehfeld bestand im 7. Falle; die Störung ging zurück, und als die 
Function der linken Sehfelder fast vollständig wieder hergestellt war, trat plötzlich, 
gleichzeitig mit Sensibilitätsstörungen an der rechten Körperhälfte und Schwäche in 
den rechten Gliedern, Farbenblindheit auf einem begrenzten Theile der rechten Seh¬ 
feldhälfte auf beiden Augen auf. Im 8. Falle bestand ein fast vollständiger Defect 
im unteren linken Quadranten der Sehfelder beider Augen, mit scharfer Abgrenzung 
in der verticalen, weniger schärfer in der schrägen Richtung; der Befund war noch 
nach 13 Monaten derselbe. Im 9. und 10. Falle handelte es sich um temporale 
Hemianopsie mit genauer Begrenzung des Defectes in der Mittellinie, im 10. Falle 
hielt sich dieser Befund 10 Jahre lang unverändert. In beiden Fällen war erst das 
eine, dann das andere Ange ergriffen worden, in dem 9. Falle fand sich ausserdem 
Muskelparese am linken, im 10. Atrophia nervi optici am rechten Auge. 

Bei den homonymen Hemianopsieen waren Blutungen, eventuell Embolien als 
Ursache angenommen worden, im 5. und 7. Falle konnte Hirngeschwulst nicht ganz 
ausser Acht gelassen werden, nur im 4. Falle handelte es sich jedenfalls nur um 
ein fonctionelles Leiden. Walter Berger (Leipzig). 


20) Et Tiefälde af bitemporale hemianopiake Skotomer, af Prof. Knud 

Pontoppidan. (Hosp.-Tid. 1897. 4. R. V. 48.) 

Ein 34 Jahre alter Cigarrenmacher, der an wesentlich im rechten Trigeminus 
und in beiden Occipitales maj. localisirten Neuralgieen litt, hatte seit 4 Jahren 
immer häufiger werdende Anfälle von Schwindel, Kopfschmerz und Erbrechen. Vor 
17* Jahren hatte eine Augenuntersuchung Neuritis nervi optici retrobulbaris mit 
Scotomen ergeben. Der Kopfschmerz wurde sehr heftig; neben den neuralgischen 
war noch ein diffuser, tief sitzender vorhanden. Die Schwindelanfälle waren manchmal 
von kurzem Verlust des Bewusstseins und Contraction in den Extremitäten begleitet. 
Die Augäpfel prominirten etwas, zeigten aber weder Schmerz bei Druck, noch ver¬ 
mehrte Spannung. Die Augenuntersuchung erwies die Scotome als heteronyme laterale 
hemianopische Sehfelddefecte, später ergab sie beginnende Atrophie des temporalen 
Theils der rechten Papille, Röthung und verwischte Begrenzung der linken. Nach 
etwa 5 Monaten (im April 1894) bestand Abducensläbmung auf der linken Seite. 
Nach weiteren 2 Monaten war die rechte Pupille grösser als die linke, das Seh¬ 
vermögen war zn Zeiten bis auf Lichtempfindung erloschen, die rechte Papille war 
vollständig weiss, die linke begann bei noch bestehenden Stauungserscheinungen an 
der temporalen Seite weiss zu werden. Im September bekam Pat. einen Anfall mit 
Erschlaffung des linken Arms, Zuckungen in der linken Gesichtshälfte, Unfähigkeit 
zu sprechen und unfreiwilligem Harnabgang. Solche Anfälle wiederholten sich häufiger, 
wobei Zuckungen in den Gliedern bald links, bald rechts auftraten. Die Sehnerven¬ 
papillen wurden vollständig weiss. Pat. versank immer tiefer in Demenz und starb 
am 1. Januar 1895. 

Bei der Section fand sich eine etwa wallnussgrosse Geschwulst (Sarcom) an der 
Basis cerebri, sich vom vorderen Ende des Pons bis zum Ghiasma nervosum opt. 
erstreckend, in der die Corpora candicantia ganz, und die Tractus optici, namentlich 
der linke, theilweise aufgegangen waren, beide Nervi optici, namentlich der rechte, 
waren in der Nähe des Foramen opticum stark abgeflacht und atrophisch. Die 
Geschwulst erstreckte sich bis zum Boden des 3. Ventrikels, dessen vorderen Theil 
sie einnahm, infiltrirte die Commissura anterior und media und drängte die Columnae 

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fornicis zur Seite; bis za den grossen Ganglien reicht sie nicht, obtorirte aber das 
Foramen Monroi. Ausserdem bestand chronischer Hydrocephalus internus. 

Walter Berger (Leipzig). 


21) Contributo olinico ed anatomico allo Studio del oistioeroo del cer- 

vello umano, per G. Gianni. (Biv. speriment. di Freniatria. 1897.) 

Krankheitsgeschichte eines hereditär nenropathisch belasteten Mannes, der von 
Kindheit an an Krämpfen litt. Diese verschwanden im 20. Lebensjahr für ungefähr 
10 Jahre und traten in langen Intervallen wieder auf. Zwischendurch Anfälle von 
Geistesstörung charakterisirt durch zahlreiche schreckhafte Gesichts- und Gehörs- 
hallucinationen und durch Tobsucht. 5 Tage vor dem Tode trat ein Krampfanfall 
von ungefähr 1 Minute Dauer auf, der Kranke verlor das Bewusstsein und erlangte 
es nicht wieder. Die Anfälle wiederholten sich in fast ununterbrochener Aufeinander¬ 
folge bis 24 Stunden vor dem Exitus. 

Sectionsbefund: Auf der Oberfläche der Hemisphären zahlreiche, mit trüber, 
gelatinöser Flüssigkeit gefüllte Cysten von der Grösse einer kleinen Nuss und die 
graue Rinde der ganzen Tiefe nach durchsetzend. Einige Cysten hatten im Centrum 
einen kleinen schwarzen Körper. Eine ungeheuere Anzahl gleicher Cysten in den 
Muskeln der oberen und unteren Extremitäten, Bauch- und Brustorgane frei. Es 
handelte sich, wie auch der mikroskopische Befund bestätigte, um Cysticercus 
cellulosae. 

Das Krankheitsbild war vollkommen das der genuinen Epilepsie, später mit 
psychischen Degenerationen. Dass eine solche Vorgelegen, bestreitet Verf. Die Ur¬ 
sache des beobachteten Symptomencomplexes waren die Cysticerken, die Epilepsie 
also der gewöhnlichen Eintheilung folgend eine symptomatische. Der Fall zeigt nach 
des Verf.’s Meinung wiederum die Unhaltbarkeit der Scheidungen der epileptischen 
Erkrankungen in genuine, symptomatische u. s. w. Valentin. 


22) Sulla fisiopatologia dei lobi prefrontali del cervello, per Dr. A. 

Christiani. (Manicomio. XIII. Nr. 1—2.) 

24jähr. Mann, stets gesund, niemals syphilitisch gewesen, nicht belastet, kein 
Alkoholiker, erlitt durch einen am Ende zugespitzten Balken eine Schädelverletzung, 
durch welche, ganz wie bei einer Craniectomie, im Bereich der linken Frontoparietal - 
gegeud von vorn nach hinten ziehend, ein Stück Knochen nebst der darunter befind¬ 
lichen Hirnhaut und Hirnrinde, ohne die weisse Substanz abgetragen wurde. Die 
Wunde war 8 cm lang und 3 cm breit und die Rindenverletzung entsprach dem 
hinteren und mittleren Theile der ersten und zweiten linken Stirnwindung; im un¬ 
mittelbaren Anschluss an den Unfall leichte vorübergehende Commotio cerebri. Der 
Verletzte erlangte alsbald das Bewusstsein wieder und erschien bis auf die Wunde 
selbst ein völlig gesunder Mensch. Erst eine Stunde nachher ein Anfall von „psy¬ 
chischer Epilepsie“: Pat. glaubt, bei der Vorbereitung zur Operation, beim Anblick 
der Instrumente u. s. w., man wolle ihn umbringen, und gerieth unter dieser Vor¬ 
stellung in völlige Tobsucht; gewissermaassen ein Verstandsdelirium mit hochgradiger 
emotiver und motorischer Reaction, ohne Sinnestäuschungen und Illusion; als der 
chirurgische Eingriff beendet und die bei demselben nothwendig gewesenen mechanischen 
Zwangsmittel abgenommen waren, wurde der Pat. wieder ruhig, bot aber noch lauge 
Zeit eine auffallende Urtheilsschwäche bezüglich der Gefährlichkeit seiner Verletzung, 
so dass er z. B. mit einem Heftpflaster auf der Wunde wieder nach Hause gehen 
wollte; ferner eine merkwürdige furchtsame, äugstliche Auffassung seiner Umgebung, 
nicht nur während seines anfänglichen Aufenthalts im Einzelzimmer (unter bestän¬ 
diger Aufsicht eines Wärters), soudern auch noch später als er in einen Krankensaal 


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verlegt worden, angeachtet dessen, dass er schon früher einmal als Patient in diesem 
chirurgischen Spital gewesen und dasselbe geheilt und zufrieden verlassen hatte. 
Später gesellte sich dazu und trat ganz in den Vordergrund eine allmählich zu¬ 
nehmende geistige und gemüthliche Stumpfheit, Qedächtnissschwäche und verminderte 
Entschlussfähigkeit. 3 Monate dauerte dieser Zustand an, dann erfolgte eine ziemlich 
schnell vor sich gehende Bückkehr der einzelnen Seelenvermögen und schliesslich 
völlige geistige Wiederherstellung auf den Status quo ante mit Krank¬ 
heitseinsicht. Störungen von Seiten der Sprache, Motilität, Sensibilität und Sinnes¬ 
organe, sowie der Beflexe waren während der ganzen Beobachtungszeit nicht auf¬ 
getreten; auch nicht solche von Seiten der Blasen- und Mastdarminnervation, des 
Pulses und der Athmung. Die linke Papille war andauernd etwas weiter als die 
rechte. Keine Krämpfe. 

Die Verletzung war durch keinerlei Hämorrhagie, Entzündung u. s. w. complicirt. 
Die Behandlung beschränkte sich auf antiseptische Verbände, unter welchen die 
Himhernie sich zurückbildete und mit einem festen pulsirenden Narbengewebe be¬ 
deckte. 

Der Fall hat die Bedeutung eines Experiments. Wahrscheinlich haben die 
entsprechenden Partieen der rechten Hemisphäre den Ersatz der verloren gegangenen 
linksseitigen übernommen. Bresler (Freiburg L/SchL). 


23) Beitrag rar Kenntniss der Stirnhirnerkrankungen, von H. Voegele 

(Freibarg i./Br.). (Allgem. Zeitschr. f. Psych. Bd. LIV. S. 588.) 

Eine ledige Krankenwärterin erkrankte mit 32 Jahren unter den Erscheinungen 
religiöser Schwärmerei mit depressiven Vorstellungen, meist Selbstanklagen, Nahrungs¬ 
verweigerung, Umherknieen, Visionen. Während ihres 3jährigen Aufenthaltes in der 
Freiburger psychiatrischen Klinik war sie in der Begel theilnahmlos, äusserte Ver- 
sündigungsideeen, abstinirte zeitweise, so dass sie mehrfach mit der Sonde ernährt 
werden musste. Etwa ®/ 4 Jahr, und dann wieder einen Monat vor ihrem an Pneu¬ 
monie erfolgten !Tode traten mehrere typische epileptische Anfälle auf. Bei der 
Autopsie fand sich eine von der Hypophyse ausgehende Geschwulst, über deren Natur 
Verf. nichts angiebt. „Sie hat local durch Druck zerstörend auf die zunächst be¬ 
troffenen Theile eingewirkt, sie hat offenbar auch einen Beizzustand gesetzt, der in 
der entzündlichen Hyperämie und Zellenanhäufung im Nervengewebe, ebenso wie in 
der Vermehrung der Cerebrospinalflüssigkeit zum Ausdruck kam, und der letztere 
Zustand wiederum hat die Compression der entfernter liegenden Hirntbeile im Gefolge 
gehabt“ 

Verf. findet, dass in der ersten Zeit der Erkrankung die Beizungserscheinungen 
(die epileptoiden und epileptischen Anfälle, die nebenbei erst ganz zum Schlosse 
auftraten, ferner die üeber- und Unterschätzungsideeen) vorwiegen, während die 
völlige Interesselosigkeit den terminalen Blödsinn als Ausfallserscheinungen auffasst 
Er glaubt, dass der Tumor erst durch Beizung des Stirnhirns eine Veränderung der 
Persönlichkeit, insbesondere in ihrer Beziehung zur Aussenwelt nach Flechsig, 
hervorgerufen habe, dann durch Fortschreiten des Beizes auf die motorische Zone 
epileptische Anfälle; dann verhinderten die Ausfallserscheinungen die weitere 
Beobachtung von Beizsymptomen. Dem Versuche die Flechsig’schen Sinnescentren, 
deren Bestehen doch einstweilen noch als mindestens unbewiesen betrachtet werden 
muss, mit klinischen Erfahrungen in Zusammenhang zu bringen, dürften wohl be¬ 
rechtigte Bedenken entgegenstehen. Aschaffenburg (Heidelberg). 


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24) Ueber Affeotionen im Gebiete der V&rolsbrüoke, von l)r. Borowikow. 

(Wjestnik psichiatri i nevropatologii. 1897. XII. [Russisch.]) 

Eine klinische Beobachtung aus dem Dünaburger Milit&rhospital mit Sections- 
befund: 

Pat., ein 22jähr. Soldat, wurde am 12./IV. 1894 aufgenommen, mit folgendem 
Status: Hemiparese der linken Körperseite mit Einschluss des Gesichts (ausser dem 
Frontalast), geringfügige Ptosis linkerseits, Motilitätsstörung der Zunge und der 
Kaumuskeln rechterseits, Sprache etwas undeutlich, Parese des rechten N. abducens 
mit Diplopie, Hautsensibilität an der linken Körperhälfte und am ganzen Gesicht 
herabgesetzt. Die Anamnese ergab, dass die Erkrankung vor einem halben Jahre 
mit heftigen Kopfschmerzen begonnen hatte, und dass Doppelsehen, Störungen beim 
Kauen und Schwäche der linken Extremitäten seit ungefähr zwei Monaten hinzu* 
getreten waren. 

Im Laufe der ersten drei Wochen der Beobachtung nahmen die Parese der 
Extremitäten und des N. abducens, sowohl als auch die Sprachstörung allmählich 
zu, und ausserdem stellten sich Schmerzen im Hinterkopfe, Schluckstörungen, Schwindel, 
Gehörsschwäche am rechten Ohr und Sensibilitätsverlust an der Schleimhaut der 
Mundhöhle und Zunge ein. Am 18./V. wurde ausserdem Gesichtsabnahme am rechten 
Auge und zeitweilige Erweiterung der linken Pupille constatirt, ferner Geschmacks¬ 
verlust. Am l./VI. Beginn von Stauungspapille an beiden Augen, Parästhesieen an 
der linken Körperseite, Neigung zum Zurückfallen und intellectuelle Störungen in 
Gestalt von Delirien und Aufregungszuständen. Am 10./VI. entwickelte sich Parese 
des linken N. facialis und ausgeprägte Stauungspapille am rechten Auge. Am 20./VI. 
Muskelatrophie an der linken Oberextremität, Parese des linken M. rectus internus. 
Seit Mitte Juli wurde der Allgemeinzustand bedeutend schlechter, die Kopfschmerzen 
nahmen zu, es kam häufig Erbrechen vor. Seit dem 23./VII. soporöser Zustand mit 
beschleunigtem Puls und Temperatursteigerung; zu den früheren Hirnsymptomen kam 
noch Parese des rechten Facialis hinzu. Am 7./VIII. Exitus letalis im comatösen 
Zustande. 

Die Untersuchung des Gehirns ergab das Vorhandensein einer Neubildung in 
der Varolsbrücke. In beiden Hälften derselben waren grau-gelbe sclerotische, harte 
Knötchen eingesprengt, von Weizenkorn- bis Haselnussgrösse. Hauptsächlich war die 
rechte Ponshälfte afficirt, wo der ganze mittlere Theil von zwei sclerotischen Herden 
eingenommen war. Kleine Herde waren auch in der rechten Hälfte des verlängerten 
Marks zerstreut. 

Genauere Angaben über die feinere Structur der Herde und die Topographie 
der Ponsaffection fehlen. Im Anschluss an seine Beobachtung stellt Verf. neun Fälle 
aus der Litteratur zusammen, in welchen Erkrankungen der Varolsbrücke ähnliche 
Erscheinungen bewirkt hatten. P. Rosenbach (St. Petersburg). 


25) Four oases of oerebellar disease (one autopsy) with reference to 
cerebellar hereditary ataxla, by William A. Spiller. (Brain. 1896. 
Winter.) 

Verf. bringt 4 Beobachtungen angeblicher Kleinhirnerkrankungen, eine 
davon mit Autopsie. Von dem Fall 2 und 3 — der Fall 2 erinnert in seinen 
Symptomen ausserordentlich an multiple Sclerose — giebt er übrigens selbst die 
Zweifelhaftigkeit seiner anatomischen Diagnose zu, und meint, dass es sich auch um 
cerebrale Diplegieen handeln könne; jedenfalls sei auch das Grosshirn betheiligt — 
wegen der Intelligenzstörung. In Fall 1 ist die Intensität der Coordinationsstörung 
bemerkenswerth, der Pat. bewegt sich meist auf allen Vieren; er kann aber auch 
einigermaassen stehen; eine Lähmung besteht nicht. Es besteht ausserdem Tremor, 


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besonders der Arme, Nystagmus, erhöhte Sehnenreflexe, die Sprache ist behindert, 
die Intelligenz geschwächt. Hit 3 Jahren hat der Pat. an epileptischen Anfällen 
gelitten. Auch hier ist also eine reine Kleinhirnerkrankung wohl nicht vorhanden. 
Ueber den 4. Fall ist klinisch wenig bekannt gegeben; der Gang war unsicher, aber 
er konnte doch Mitglied einer Schulcompagnie sein und an ExercirQbungen theil- 
nehmen. Es fand sich anatomisch sehr erhebliche Atrophie beider Kleinhirnhemi- 
spbären und ein Balkendefect; die Atrophie der Kleinhirnhemisphäre ging von 
sclerotischen Stellen in beiden Hälften des Cerebellum aus. Der Fall ist vom Verf. 
genau auf Serienschnitten untersucht, die Befunde namentlich der secundären Dege¬ 
nerationen entsprechen im allgemeinen den bisher bekannten. Klinisch will der 
Verf. diesen Fall zur Hörddoataxie cdröbelleuse von Harie rechnen. Bruns. 


26) Un cas de gliome volumineux du oervelet (symptömes de oompression 

et phdnombnes hallucinatoires), par Trdnel et Antheaume. (Arcli. de 

Neurol. Vol. IV. 1897. Nr. 19.) 

Anamnese: 64jähr. Frau. Beginn der Erkrankung vor 6 Jahren mit Kopf¬ 
schmerzen, Erbrechen und Schwindelanfälle; letztere waren stets mit Schwäche im 
Unken Facialis und mit hochgradiger Blässe des Gesichts, gleichfalls auf der linken 
Seite, verbunden. Die Facialisparesen und die Gesichtsanämie schwanden stets 
wieder, wenn die Schwindelanfälle vorüber waren. Gehstörung seit 2 Jahren; pro¬ 
gressive Amaurose mit Gesichtshallucinationen, progressive Taubheit, die linkerseits 
total wurde; Abnahme der Intelligenz, Depression und melancholische Wahnideeen, 
seit mehreren Jahren. 

Status: Gang paretisch und taumelnd. Im weiteren Verlauf Parese im rechten 
Bein und Bchliesslich Flexionscontractur der unteren Extremitäten mit Erhöhung der 
Sehnenreflexe. Die oberen Extremitäten blieben intact. Pupillen weit, starr; oph¬ 
thalmoskopisch: Stauungspapille beiderseits mit Uebergang in Atrophie. Totale 
Amaurose mit eigentümlichen Gesichtshallucinationen; die Pat. sah ganze Stuben 
von Personen und Gegenständen, die stets von links nach rechts sich bewegten. 
Liess man die Pat. nach links und oben blicken, so gab sie regelmässig an, eine 
brennende Petroleumlampe zn sehen. Totale Taubheit links, rechts starke Herab¬ 
setzung des Gehörs. Auf psychischem Gebiet war Abnahme der Intelligenz pro¬ 
gressiver Art zu coustatiren, ferner war die Pat. hochgradig deprimirt und producirte 
melancholische Wahnideeen. 

Die Autopsie ergab ein gefässreiches Gliom, das vom vorderen Rand der linken 
Kleinhirnhemisphäre ausgehend die benachbarten Regionen des Gehirns, des Klein¬ 
hirns, der Brücke und des Bulbus comprimirte. Der linke N. trigeminus zeigte 
leichte Degenerationserscheinungen, der linke N. facialis eine geringe Verminderung 
an Nervenfasern, der linke Acusticus zeigte nur noch wenige Fasern und hochgradige 
Degenerationserscheinungen an denselben. 

Interessant an diesem Falle sind einmal die Erscheinungen von Blässe der 
linken Gesichtshälfte, die mit den Schwindelanfallen zugleich auftraten, nnd die 
Gesichtshallucinationen, zwei Symptome, die bei Kleinhirnerkrankungen sehr selten 
bis jetzt beobachtet wurden. Das erstere Symptom führt der Verf. auf Reizung der 
Vasoconstrictoren, die im N. trigeminus verlaufen, zurück. Was das Auftreten der 
Gesichtshallucinationen anlangt, so ist dasselbe, nach der Ansicht des Verf.’s, nur 
erklärlich mit der Annahme, dass die Pat. eine Disponirte ist, bei der aber in Folgo 
der Disposition ein „hallucinogener“ Geisteszustand bestand, auf Grund dessen die 
durch die Stauungspapille im Opticus auftretenden Reize zu Hallucinationen führten. 

M. Weil (Stuttgart). 


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27) Contributo allo studio della ependimite acuta, per D. Cervesato. (Poli- 

clinico. 1897. Nr. 20 u. 22.) 

Es sind namentlich bei Kindern acut unter Fiebererscheinangen einsetzende 
Flüssigkeitsansamrolungen in den Ventrikeln beobachtet, die durch entzündliche Ver¬ 
änderungen des Ependyms und des Plexus chorioideus und Erweichungen der nächst- 
gelegenen Hirntheile charakterisirt sind, ohne irgend welche Betheiligung der Hirn¬ 
häute und ohne andere Krankheitsherde, die mechanisch oder durch Infection die 
Ependymerkrankung verursacht hätten. Diese Ependymitis ist sehr verschieden be- 
urtheilt worden. Während einige ihr Vorkommen ganz leugnen oder wenigstens für 
äusserst selten erklären, sehen sie andere für eine Abortivtuberculose an, bei der der 
schnelle Verlauf es nicht zur Entwickelung von Tuberkelknoten hat kommen lassen, 
andere bestreiten die Theilnahme des Ependyms an der Erkrankung, wieder andere 
halten sie für secundär im Gefolge von Bronchitis, Keuchhusten u. s. w. auftretend. 

Verf. hat 3 Fälle von Ependymitis in seiner Klinik gesehen: 

1. 3 jähriges Kind, das an Keuchhusten mit Bronchitis und Bronchopneumonie 
erkrankt war und dann von tonischen und clonischen Krämpfen befallen wurde, in 
denen es zu Grunde ging. Bei der Section fand sich das Ventrikelependym injicirt, 
mit punktfürmigen Blutungen durchsetzt, bedeckt von zartem Exsudat. Die einzelnen 
Zellen nicht erkennbar. Die Glia proliferirt, mehr von der Oberfläche entfernt 
Lücken aufweisend, die mit homogenen, hyalinen Massen ausgefüllt waren. 

2. Im zweiten Falle — l 1 /, jähriges Kind — Bronchitis, später Convulsionen, 
Tod. Im Gehirn Erguss in den Ventrikeln, Hämorrhagieen und gelatinöses Ex¬ 
sudat auf dem Ependym. 

3. Derselbe Befund im dritten Fall bei einem zweijährigen Kinde. 

Verf. bestreitet nach seinen Beobachtungen, dass der acute, nicht tuberculöse 
Hydrocephalus so selten sei, wie es die meisten Autoren annehmen und dass er nur 
ganz junge Kinder befällt. Die anatomische Grundlage ist eine Entzündung des 
Ependyms, in einigen Fällen auch nur eine solche des Plexus chorioideus, oft beider 
zusammen. 

Intra vitam die Diagnose zu stellen, ist unmöglich, wenigstens wenn die Er¬ 
krankung so schnell zum Tode führt, wie bei den drei vom Verf. beobachteten 
Kindern. Das klinische Bild zeigt neben Symptomen, die der einfachen Meningitis, 
solche die der tuberculösen Meningitis eigen sind. Ein sicheres ätiologisches Moment 
für die Ependymitis ist nicht bekannt. Valentin. 


28) Casui8tisohe Mittheilungen aus dem Gebiet der Neuropathologie, von 
Prof. Dr. M. Dinkler, Oberarzt der inneren Abtheilung des Louisenhospitals in 
Aachen. (Deutsche Zeitschrift für Nervenheilkunde. 1897. XI.) 

I. Encephalitis acuta haemorrhagica(?) recidiva. 

Bei einem neuropathisch nur schwach belasteten 4 jährigen Knaben traten im 
Gefolge von Kopftraumen, welche dem Kinde bei seinem ausgesprochenen Hang zum 
Klettern besonders häufig widerfuhren, mehrmals eigenthümliche Anfälle auf, deren 
Symptomenbild vor Allem durch seine flüchtige Dauer auffallen musste. Bevor der 
kleine Patient eine derartige Affection unter genauer Beobachtung im Hospital fiber¬ 
stand, war er schon 3 Mal in ähnlicher Weise erkrankt und zwar mit zurückbleibender 
Herabsetzung der geistigen Fähigkeiten. Nach einem erneuten, übrigens unbedeuten¬ 
den Fall, stellten sich unter Fieber in der linken Körperhälfte Krämpfe, danach 
Bewusstlosigkeit und linksseitige Hemiplegie ein. ln früheren Jahren war 2 Mal die 
rechte Körperhälfte der ergriffene Theil gewesen. Zu den genannten Erscheinungen 
gesellten sich ferner Incontinenz, .Schluckbeschwerden, Nackenstarre, Zähneknirschen, 
Druckempfindlichkeit des Kopfes hinzu. Mit Besserung dieser Symptome stellte sich 

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eine vollständige Amaurose beider Augen ein, die nach 6 — 8 Wochen gleichfalls 
ausgeglichen war, so dass das Kind anscheinend geheilt entlassen werden konnte. 
Unter Betonung der Schwierigkeit der Diagnose motivirt Verf. seine gewonnene An¬ 
schauung des Falles. Während die Allgemeinerscheinnngen einer Meningitis zuzu¬ 
schreiben sind, stellen die Herdsymptome (Hemiplegie, doppelseitige Amaurose) unter 
gleichzeitiger BerOcksichtigung des günstigen Ausgangs Momente für die Annahme 
einer nicbteiterigen acuten Encephalitis dar. Bei Berücksichtigung der bezüglichen 
Sectionsbefunde aus der Litteratur ist an eine hämorrhagische Form der Entzündung 
zu denken. Den Sitz des Herdes, oder vielmehr zahlreicher, kleiner Entzündungs¬ 
herde verlegt Verf. in’s rechte Corpus Striatum und giebt die Gründe an, die ihn von 
der Annahme eines corticalen Sitzes abhalten. Der doppelseitigen Amaurose ohne 
Pupillarstörungen soll eine Läsion des Marklagers in beiden Occipitallappen zu Grunde 
liegen. Hierzu kommt eine Meningitis, die sich in charakteristischen Symptomen 
manifestirte. In ätiologischer Hinsicht ist der Verf. geneigt, den Traumen nur die 
Bolle von „agents provocateure“ zuzuerkennen. Durch Schaffung eines Locus minoris 
meistentiae wurde die Ansiedelung von im.Blute kreisenden Krankheitserregern ein¬ 
geleitet. 

II. Luetische Erkrankung des rechten Stirnhirnes mit Neuritis 
optica duplex praecipue dextra. 

Eine verdächtige Anamnese, der Befund von Pläques muqueuses der Mund¬ 
schleimhaut, heftige Nachts exacerbirende Kopfschmerzen, besonders in der rechten 
Stirn-, und Schläfengegend, wie schliesslich der Heilerfolg nach Anwendung von Jod¬ 
kali, begründen die Annahme eines luetischen Processes. Herdsymptome, wie eine 
doppelseitige, rechts erheblich schwerere Neuritis optica mit geringer Mydriasis 
rechts und eine Gleichgewichtsstörung, die sich in einer Zwangsbewegung nach links 
beim Sitzen und Gehen äussert, weisen auf eine intracranielle Erkrankung hin. 
Deren Localisation ist mit grosser Wahrscheinlichkeit an den Verlauf der Sehnerven 
vom Chiasma zum Foramen opticum zu knüpfen und zwar so, dass der Process seinen 
Ausgang im Bereich des rechten Nerven genommen und hier auch den stärkeren 
Grad erreicht hat. Die Gleichgewichtsstörung, ein allerdings cerebellares Symptom, 
wäre auf das benachbarte Gebiet des rechten Frontallappens zu beziehen, da neuere 
Erfahrungen berechtigen, eine diesbezügliche Function für die Stirnlappen in An¬ 
spruch zu nehmen. 

III. Syphilitische Gefässerkrankung im Bereiche der linken Art. 
fossae Sylvii. 

Ein Fall von prämaturer Lues cerebralis mit dem charakteristischen Kommen 
und Gehen der Symptome und der Zugänglichkeit der specifischen Therapie, liegt 
dieser Mittheilung zu Grunde. Das vielseitige Bild der Erscheinungen sucht der 
Verf. zu entwirren, indem er den anatomischen Process, seine Localisation und die 
Höhe seiner Entwickelung einer kritischen Besprechung unterzieht. Im grossen und 
ganzen wird eine Erkrankung der linken Arteria fossae Sylvii und ihrer Aeste, also 
eine auf circulatorischer Basis beruhende Ernährungsstörung dem klinischen Bilde 
zn Grunde gelegt, wobei der Grad der Gefässverengerung bezw. des Elasticitätsver- 
1 ostes die Intensität und vor Allem die Möglichkeit der Respiration bestimmt. Für 
die Localisation in dem Gebiet eines einheitlichen Gefässbezirkes wird mit besonders 
grossem Gewicht hingewiesen, dass die nervösen Symptome an ein umschriebenes 
Gehirnterritorium gebunden erscheinen. Eine transitorische Hypoglossuslähmung er¬ 
scheint corticalen Ursprungs. Hemiplegische Erscheinungen werden auf eine Alteration 
im Bezirk des hinteren Kapselschenkels zurückgeführt. Symptome motorischer Reizung 
sind nicht ohne Weiteres auf corticale Störung zu beziehen, da Bubcorticaler Sitz 
eines Herdes ähnlichen Effect hervorbringen kann. Homonyme, rechtsseitige Hemi- 

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anopsie mit hemiopischer Pupillenreaction und Opticasatrophie vorwiegend des rechten 
Auges, — dieser Sehbefund nimmt in mehrfacher Beziehung das Hauptinteresse in 
Anspruch. Einmal liegt hier eine das ganze Krankheitsbild soweit abschliessende, 
theilweise irreparable Affection vor. Andererseits bietet dieser Symptomencomplex 
die Möglichkeit einer besonders exakten Diagnose. Das erste optische Neuron auf 
der Stelle vom Chiasma nervorum opticorum (excl.) bis zum Thalamus opticus (incl.) 
hat den Sitz der Erkrankung abgegeben. E. Asch (Frankfurt a./'M.). 


29) Ueber Varietäten der Gehirnblutung, von W. Fascheies. (Wiener klin. 

Wochenschr. 1897. Nr. 14.) 

Yerf. konnte in 5 Fällen von Qehirnhämorrhagieen die Diagnose des secundären 
Blutergusses in alle Gehirnkammern intra vitam stellen. Die wichtigsten Phänomene 
waren: Typische Hemiplegie, Vertiefung des Comas und zeitweiliger Umschlag der 
motorischen Herderscheinungen in diffuse Keizsymptome, Polyurie und Glycosurie, 
bulbäre Lähmungserscheinungen. In den .prodromalen Krampferscheinungen ist nach 
dem Autor die Beaction der anfänglich betroffenen Hemisphäre auf ihre plötzliche 
Entlastung bei einem mächtigen Einbrüche des Extravasates in die Ventrikel zu 
suchen. Die sehr seltene primäre Ventrikelblutung ist klinisch wohl kaum zu 
diagnosticiren. Die secundären Ventrikelhämorrhagieen bieten in den meisten Fällen 
die gleichen anatomischen Veränderungen dar. 

Differentialdiagnostisch kommen besonders in Betracht: Meningeale Blutungen, 
deren Oonvulsionen aber öfters den Charakter der Bindenopilepsie zeigen und Pons* 
blutungen, bei welchen aber das wichtige und beständige Symptom der ursprfing* 
liehen Halbseitigkeit der Lähmung, die Schlaffheit der Extremitäten und die Parese 
des Facialis derselben Seite im Allgemeinen in Wegfall kommen. Frische doppel¬ 
seitige Hirnblutungen werden nicht mit Beizerscheinungen der anfangs hemiplegischen 
Körperhälfte verlaufen. Einzelheiten sind in der Originalarbeit einzusehen. 

H. Schlesinger (Wien). 


30) Plötzlioh tödtliche Gehirnblutung bei einem 9jährigen Knaben, von 

Dr. A. Jellinek. (Allgem. Wiener med. Ztg. 1897. Nr. 45.) 

Ein 9jähr., vorher gesunder Knabe erwachte 4 Uhr Fr&h mit starken Kopf* 
schmerzen. Hierauf Erbrechen, Stuhldrang, aber Unfähigkeit, einen Stuhl abzusetzen, 
dann MattigkeitsgefQhl, Bewusstlosigkeit. Bei der Untersuchung zeigten sich tonische 
Krämpfe der oberen und unteren Extremitäten, Myosis, Puls Verlangsamung; Druck 
auf den Nacken erzeugt Stöhnen. Später änderte sich das Bild: Die Krämpfe der 
Extremitäten wurden immer seltener, schwanden endlich; allmähliche Mydriasis ad max. 
erst der rechten, dann der linken Pupille, Cheyne-Stockes’sches Athmen, Exitus 
V 4 6 Uhr Morgens. Die Section ergab eine reine Cerebralapoplexie in das rechte 
weisse Marklager zwischen die Ganglien bis an die Binde des Scheitel- und Schläfen¬ 
lappens. Hirnarterien zart ohne auffallende Veränderung. Ebenso Herzklappen. 
Wenn auch eine Veränderung an den Gefässen nicht nachzuweisen war, so mQsse 
man doch bei dem sonstigen negativen Obductionsbefunde eine Structurveränderung 
der Gefässwände im Sinne Baginsky’s annehmen, in welchem Sinne sich auch 
Obducent Prof. Haberda geäussert habe. J. Sorgo (Wien). 


31) Hemiplegie in a young ohild, by Bertram Abrahams. (Brit. med. Journ. 
1897. Och 30. S. 1263.) 

Verf. stellt der klinischen Gesellschaft in London ein 2jähr. Kind mit rechts- 
s eitiger Hemiplegie vor. Eine Woche vor der Lähmung war Stickhusten eingetreten, 

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danach Convulsionen ohne gänzlichen Verlust des Bewusstseins, bei 68 Respirationen 
und 103 °F. Temperatur. Keine Aphasie. Albuminurie geringen Grades. — Wahr* 
scheinlich Hämorrhagie. Das Bein besserte sich ansehnlich. 

L. Lehmann I (Oeynhausen). 


33) Ueber Störungen des Würgreflexes, der Sprache und der Deglutition 

bei Hemiplegie, von W. Kattwinkel. (Deutsches Archiv f&r klin. Medicin. 

Bd. L1X. 1897.) 

Das Verhalten der genannten Reflexe wurde bei zahlreichen Fällen von Hemi¬ 
plegie geprüft Einige Male konnte die Section gemacht werden, und da fand sich, 
dass bei linksseitiger Hemiplegie mit Sprachstörungen die rechte dritte Stirnwindung 
der Sitz des Herdes war, während bei gleichzeitig bestehender Störung des Rachen- 
und Kehlkopfreflexes und der Deglutition der rechte Linsenkern getroffen war. 

Bei 50 Fällen von linksseitiger Hemiplegie war der Würgreflex 40 Ma 
gestört, und zwar 25 Mal ganz erloschen und 15 Mal herabgesetzt; der Kehlkopf¬ 
reflex 29 Mal gestört: 11 Mal erloschen und 18 Mal herabgesetzt. 

Bei 50 Fällen von rechtsseitiger Hemiplegie war der Rachenreflex 
7 Mal gestört: 2 Mal erloschen und 5 Mal vermindert; der Kehlkopfreflex 3 Mal 
gestört: 1 Mal erloschen und 2 Mal herabgesetzt. 

Bei 38 Fällen von Hemiplegie der infantilen Paralyse fand sich der Würg¬ 
reflex 10 Mal erloschen, bezw. vermindert unter 14 Fällen von linksseitiger Läh¬ 
mung, und 7 Mal unter 24 Fällen von rechtsseitiger Lähmung. 

Das Centrum für den Würgreflex befindet sich wahrscheinlich im Corpus 
striatum. Es sprechen nämlich folgende Gründe dafür: 

1. Die meisten Hirnblutungen entstehen durch Läsion der Arteria lenticulo- 
striata, und dabei ist das Corpus striatum fast immer mit lädirt. 

2. Das Verhalten des Reflexes bei der Pseudobulbärparalyse; bei derselben ist 
nämlich das Corpus striatum stets lädirt, der Würgreflex aber ist nach Untersuchungen 
von P. Marie fast immer erloschen oder herabgesetzt, während er umgekehrt bei 
der wahren Bulbärparalyse fast immer normal bleibt. 

Bei 50 Fällen von linksseitiger Hemiplegie fanden sich 41 Mal Sprach¬ 
störungen, davon 25 Mal dauernde, 16 Mal vorübergehende. 

Bei 50 Fällen von rechtsseitiger Hemiplegie fanden sich 40 Mal Sprach¬ 
störungen, dabei 11 Mal vorübergehende. 

Die Sprachstörungen bestanden bei der linksseitigen Hemiplegie in reinen 
Dysarthrieen, und zwar alle Stufen von der reinen Anästhesie bis zur leichten Er¬ 
schwerung der Sprache. Zur Erklärung dieser Sprachstörung liessen sich nicht, wie 
es häufig geschehen ist, Facialis- oder Hypoglossusparesen verantwortlich machen, 
vielmehr muss man annehmen, dass das Centrum für die Articulation sich nicht allein 
in der linken dritten Stimwindung, sondern auch in der rechten befindet, und 
dass beide coordinirt wirken. Zwischen den beiden Centren verlaufen Associations¬ 
bahnen durch die beiden Corpora striata. Von dem linken Centrum, in welchem die 
Wortbilder liegen, werden die Impulse zum Sprechen dem eigentlichen Articulations- 
centrum in der rechten Hirnhemisphäre mitgetheilt. 

Sitzt der Herd in dem Associationsbündel selbst, oder wird dasselbe sonstwie 
lädirt, so ist die Verbindung mit dem Broca’schen Lappen abgeschnitten, und es 
treten die Erscheinungen der sogen, subcorticalen motorischen Aphasie auf: die will¬ 
kürliche Sprache, das Nachsprechen und Lautlesen sind aufgehoben, Lesen, Schreiben 
und Verstehen der Sprache sind dagegen ungestört. 

Störungen der Deglutition fanden sich häufig bei linksseitigen Hemiplegieen. 
Das Centrum derselben liegt im Corpus striatum, besonders in dem der rechten 
Hemisphäre. 


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Zam Schluss fasst der Verf. die Ergebnisse seiner Arbeit in folgenden Sätzen 
zusammen: 

1. Der Broca’sche Lappen ist das Centrum für die Wortbilder. 

2. Die dritte rechte Stirnwindung ist das Centrum für die Articulation. 

3. Beide Centren sind durch eine Associationsbahn verbunden, welche durch 
das Corpus striatum geht 

4. Das Beflexcentrum für den Bachen und den Kehlkopf befindet sich im 
Corpus striatum, besonders demjenigen der rechten Seite. 

5. Daselbst liegt auch das Centrum für die Deglutition. 

K. Qrube (Neuenahr). 


33) Ueber das Verhalten der Sehnenreflexe und der passiven Beweglioh- 

keit-bei der Hemiplegie. Kritisches Sammelreferat von Dr. Ludwig Mann. 

(Monatsschr. f. Psych. u. Neurol. S. 410.) 

Ueber den Entstehungsmechanismus der Beflexsteigerung und der Muskel- 
contractur bei den alten Hemiplegieen sind eine Beihe von Hypothesen von den 
verschiedenen Autoren aufgestellt worden. Verf. erörtert zunächst einige physio¬ 
logische Vorfragen über das Wesen beider Erscheinungen und hält für sicher, dass 
die hemiplegischen Contracturen Steigerungen eines normaliter vorhandenen physio¬ 
logischen Muskeltonus (Hypertonieen) sind, dass die Sehnenphänomene wirkliche 
Beflexe sind, und dass die beiden genannten Symptome in keinem Abhängigkeits- 
verhältniss zu einander stehen, wenn sie auch in sehr vielen Fällen im gleichen 
Sinne beeinflusst werden. 

Verf. bespricht alsdann eingehend und kritisch die zahlreichen zur Erklärung 
beider Symptome aufgestellten Theorieon, von denen keine zum Verständnis sämmt- 
licher Fälle ausreicht. Für den Grundfehler aber hält er es, dass man es bisher 
unterlassen hat, „vor der Aufstellung von Theorieen die thatsächlich vorliegenden 
klinischen Erscheinungen mit genügender Genauigkeit zu beobachten“, besonders auch 
die näheren Beziehungen der Localisation der Contractur zur Localisatien der hemi¬ 
plegischen Lähmung. Verf. und Wer nicke haben gezeigt, dass bei alten, „resi- 
duären“, Hemiplegieen nur ganz bestimmte Muskelgruppen gelähmt bleiben, und Verf. 
kann nun nach seinen Beobachtungen behaupten, dass sich ein ContracturzuBtand nur 
in den relativ functionsfähig gebliebenen Muskeln findet, niemals in völlig gelähmten; 
auch die Steigerung der Sehnenreflexe findet man vorwiegend in den ersteren. Ge¬ 
nauere Untersuchungen, die Verf. in Aussicht stellt, sollen erst klarlegen, wie das 
zu erklären ist (vielleicht durch die Annahme, dass die excitomotorischen Fasern 
einer Muskelgruppe mit den hemmenden Fasern ihrer Antagonisten zusammenfallen?). 

_ Toby Cohn (Berlin). 


34) I movimenti auxlliari degli emiplegioi ln rapporta alla patogenesi ed 

alla prognoai delle contratture, per F. Glubardicci. (Policlinico. 1897. 

Nr. 22.) 

Früher bereits hat Verf. Beobachtungen mitgetheilt, wonach es einigen Hemi- 
plegikem möglich ist, die Contractur der Fingerbeuger durch Hülfe anderer Muskel¬ 
gruppen zu überwinden. In 6 weiteren Fällen konnte Verf. dies bestätigen. Er 
definirt danach die von ihm auxiliäre (Hülfs)Bewegungen genannten, als solche will¬ 
kürlichen Bewegungen bestimmter, für jeden Kranken feststehender Muskelgruppen, 
durch die es sich der halbseitig Gelähmte ermöglicht, die Beugecontractur zu lösen 
und die Finger zu strecken. 

Diese Bewegungen betreffen eine oder mehrere Muskelgruppen; ihre Zahl und 
Vertheilung ist verschieden je nach der Schwere der zu Grunde liegenden Läsion. 


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Bei der gewöhnlichen Hemiplegie genflgt zur Lösung der Bengecontractnr die blosse 
Supination des Vorderarms; in schwereren Fällen ist diese verbunden mit Auswärts* 
rollen des Humerus, und in den allerschwersten wird zugleich die Schulter der 
kranken Seite gesenkt nnd der Rumpf zur Seite geneigt. In 2 Fällen von Rinden- 
sclerose des Gehirns wurde zur Lösung der Contracturen der Vorderarm von den 
Kranken pronirt und erhoben. Die Extensoren setzen in keinem Falle passiven 
Bewegungen irgend welchen Widerstand entgegen. 

Die einzige Theorie, das Zustandekommen der Contracturen zu erklären, die 
nach des Verf.’s Meinung sich mit den von ihm gefundenen Thatsachen in Ueber- 
einstimmung bringen lässt, ist folgende: Die Contractur ist eine Steigerung des 
Muskeltonus. Dieser ist eine Reflexfunction des Rackenmarks, die unterhalten wird 
durch die in den Ganglien und im Kleinhirn aufgespeicherten Kräfte und ausgelöst 
wird durch Reize, die die centripetalen Nerven an der Peripherie treffen. Je nach 
der Stärke des Reizes' richtet sich die Stärke der reflectorischen Contractur. Vom 
Centrum aus wird nun von der motorischen Rindenregion auf dem Wege der Pyramiden* 
bahnen ein ständiger und langsamer Hemmnngseiufluss auf diese Reflexthätigkeit der 
Contractur ausgeübt. Die Hemmung ist stark genug, um bei Gesunden der von der 
Peripherie kommenden Erregung das Gleichgewicht zu halten; nicht so beim Hemi* 
plegiker, weil hier die Wege fflr den hemmenden Nervenstrom verlegt oder die 
Bindenzellen selbst geschädigt sind. Nur wenn sich die Tbätigkeit der motorischen 
Rindenzellen zur äussersten Leistung erhebt, das heisst bei willkfirlicben Bewegungen, 
ist auch der Hemmungsstrom stark genug, um die Contracturen zu heben. Je 
schwerer also die Schädigung, je grösser die Widerstände in der Hemmungsbahn 
sind, um so mehr Energie muss zur Geberwindung dieser Widerstände und somit 
zur Lösung der Contracturen entfaltet werden, eine um so. grössere Anzahl von 
Rindenzellen muss in Thätigkeit gesetzt und mithin um so mehr Muskeln zur auxi¬ 
liären Bewegung gebracht werden. Eine Besserung oder Verschwinden der Contractur 
erklärt sich, wenn der Herd in der Rinde selbst sitzt, durch ZurQckgehen des 
Krankheitsprocesses und Wiederinkrafttreten von motorischen Rindenzellen, bei anderem 
Sitz der Läsion dadurch, dass der von der Rinde kommende Hemmungsstrom sich 
neue Wege bahnt oder die alten wieder gangbar werden. 

Prognostisch spricht die Möglichkeit, durch Auxiliärbewegungen die Contractur 
zu aberwinden, dafür, dass diese ganz zurückgehen wird. Der Grad, bis zu welchem 
*die Gebrauchsfähigkeit der Hand sich wiederherstellt, steht im umgekehrten Ver¬ 
hältnis zur Zahl der Muskelgruppen, die der Kranke in Thätigkeit setzen muss, um 
die Contractur zu lösen. Valentin. 


35) Note sur les douleurs pröhdmiplögiques, par För 6. (La Normandie 
mädicale. 1897. Nr. 23.) 

Den cerebralen Hemiplegieen gehen oft motorische und sensible Symptome vorauf. 
Dies besonders bei Erweichungen, Geschwülsten, Porencephalitis und oft bei Hysterie. 
Welr Mitchell hat auch neuerdings auf die Schmerzen, die vor der Hemiplegie 
eintraten, oft bis zu 2 Jahren vorher, aufmerksam gemacht, die in Anfällen oder 
continuirlich die Gelenke oder deren Bänder oder Muskeln befallen (bisweilen mit 
Gelenkschwellung), und zwar stets auf der gelähmten Seite. Verf. fand nun bei 
Hemiplegikern 7 Mal in Nerven (6 Mal im Ischiadicus und 1 Mal im Radialis) ocker¬ 
farbene Herde von alten Hämorrhagieen stammend, und zwar handelte es sich 6 Mal 
am die gelähmte Seite nach Apoplexia cerebri. Er musterte nun seine lebenden 
Hemiplegiker und fand, dass unter 126 Kranken 14 bloss über einseitige Schmerzen 
vor der Lähmung geklagt hatten. Meist waren sie an beiden Extremitäten, meist 
waren die Gelenke, ihre Bänder oder Muskeln, bisweilen die Haut darüber betroffen, 
meist bandelte es sich um mehrere Gelenke, die selten etwas geschwollen und nie 

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geröthet waren. Die Schmerzen — bis auf 3 Jahre zurückdatirend — zeigten sich 
continuirlich, oder in unregelmässigen Krisen (vermehrt durch Druck oder Bewegung), 
und hörten nach der Lähmung gewöhnlich ganz auf. Sehr selten sind blosse 
Schmerzen im Nervenverlaufe (5 Fälle hierfür werden angeführt). Die Genese ist 
dunkel. Jedenfalls können also einseitige arthralgische, myo- und neuralgische, 
sich wiederholende Schmerzen als Vorläufer einer cerebralen Hemiplegie auftreten. 

Näcke (Hubertusburg). 


Psychiatrie. 

30) Ein Fall von posteolamptisohem Irresein mit rüoksehreitender Am¬ 
nesie, von H. Sander (Frankfurt a./M.). (Allg. Zeitschr. f. Psych. Bd. L1V. 
S. 600.) 

Bei einer 29jäbrigen Primipara traten am Tage nach der Geburt eclamptische 
Anfälle auf, die nach 24stündiger Dauer in ein ebenso lange dauerndes Goma über¬ 
gingen. Beim Erwachen aus der Bewusstlosigkeit zeigte die bis dahin geistig normale 
Frau einen deliriösen Zustand, der nach etwa einer Woche allmählich abklang. Die 
Erinnerung für den deliriösen Zustand ist lückenhaft; ausserdem ist aber die Geburt 
selbst und ihre begleitenden Nebenumstände fast völlig aus dem Gedächtniss ent¬ 
schwunden, und diese rückschreitende Amnesie erstreckt sich sogar auf einen Zeit¬ 
raum von etwa 4 Wochen vor der Geburt, obgleich die Kranke in dieser Zeit 
zweifellos nicht die geringsten Spuren von geistiger Störung oder Benommenheit 
gezeigt hatte. Verf. glaubt, dass für den vorliegenden Fall nicht ein Verlust der 
Erinnerungsbilder, sondern eine Störung der associativen Elemente, welche die einzelnen 
Erinnerungsbilder verknüpfen, znr Erklärung der Amnesie herangezogen werden müsse, 
wofür besonders die Möglichkeit spreche, durch Anknüpfen an einzelne erhaltene 
Ereignisse nach und nach auch das Gedächtniss für die meisten anderen Geschehnisse 
der amnestischen Periode zurückzurufen. Aschaffenburg (Heidelberg). 


37) Note sur un cos de 'toxioomanie variable, par Förö. (Journal mödical 

de Bruxelles. 1897. Nr. 48.) 

Es sind meist nur mehr oder minder abnorme Personen (angeboren oder später' 
so geworden), die den Trieb haben nach allerlei Excitantien, besonders nach Alkohol 
und Narcotica. Vergnügen bietet uns nicht nur die Beizung der Sinne, sondern auch 
die unserer Activität. Ziel der Erziehung und socialen Maassnahmen ist es, jene zu 
bekämpfen, diese auszubilden. Aber Gesetze können die Sinnesreize nicht unter¬ 
drücken; nur durch Ablenkung auf die Betätigung der speciellen Individualität kann 
es geschehen. Nur durch Aufklärung des Volkes kann z. B. der Alkoholismus 
schwinden; vor allem darf der Alkohol nicht durch andere Excitantien ersetzt werden. 
Die erworbenen Toxicomanieen können auch das Symptom einer habituellen Ver¬ 
giftung sein. Morphiomanie z. B. kann nach Morphinismus auftreten, der in anderen 
Umständen dagegen wieder Folge von jener ist. So bleibt gewöhnlich nach Be¬ 
hebung des Morphinismus die Morphiomanie latent zurück, und dies gilt von allen 
übrigen Excitantien oder Narcotica. Je schneller nach scheinbarer Heilung das 
Recidiv eintritt, um so grösser war die constitutionelle Disposition, die sich besonders 
im Wechsel von Excitantien zeigt, wie ein ausführlicher Fall des Verf.’s beweist, 
indem nach Sucht zu Alkohol, die nach Aether, wieder dann nach Alkohol, später 
nach Morphium, endlich nach Cocain auftrat. Man sieht also, dass je nach Gelegen¬ 
heit dies Mittel gegen ein anderes umgetauscht werden kann. Specialasyle können 
nur erworbene Fälle heilen und oft auch diese nicht, wenn sie zu chronisch wurden. 
Noch nicht stricte ward nacbgewiesen, dass durch Beglemeutirung des Alkohol- 

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Verbrauchs Irrsinn oder Verbrecher Abnahmen. Dies erklärt sich daraus, dass bei 
Verbot von Alkohol zu anderen Mitteln gegriffen wird. Auch die bessere Becti- 
ficirung des Alkohols nützt wenig. Es ist noch unbewiesen, dass die heutigen 
monopolisirten Alkohole wirklich rein seien. Die Besteuerung ist schon besser. Der 
Alkohol degenerirt bekanntlich und ist so eines der besten Selectionsmittel, das auf- 
zugeben vielleicht nicht gänzlich erwünscht ist Wohl kann die Person der Vergiftung 
widerstehen, aber die Nachkommenschaft wird vergiftet. Die Abstinenz aber von 
Alkohol kann nur dann von Nutzen sein, wenn kein anderes gefährlicheres Mittel 
dafür eintritt Letzteres aber, meint Bef., ist vielleicht mit die schwierigste Frage 
der ganzen Alkohol*Angelegenheit, die ganz verschwiegen wird! 

Näcke (Hubertusburg). 


38) Relazione su due casi di ohirurgia cerebrale per leeione dei lobi 

frontali, per Crespi. (Atti e rendicont della acad. med.-chir. di Perugia. 

Vol. IX.) 

Zwei Fälle von Bruch des Stirnbeins mit Verletzung des vorderen Stimlappens, 
die beide eigentümliches psychisches Verhalten zeigten. 

1. Hufschlag gegen den rechten Stirnhöcker, Splitterfractur, Verfall des Gehirns. 
Es wechselten comatöse mit maniakalischen Zuständen ab. In letzteren macht der 
Kranke die Geste des Pferdeantreibens, schnalzt mit der Zunge und stösst dann einen 
Fluch aus, eine Situation, in der er sich befunden, als ihn die Verletzung traf. 
Nach Entfernung der Knochensplitter und Stillung der Blutung sah Verf., dass der 
vordere Stirnlappen fast zertrümmert war und Knochenstücke, Strohhalme und Schmutz 
in andere Theile des Gehirns eingedrungen waren. Nach dem Eingriff Aufhören des 
maniakalischen Zustandes. 2 Stunden darauf kam der Kranke wieder zu sich, blieb 
aber in seinen Bewegungen ungestüm, instinctiv. Der Pat. starb am 7. Tage unter 
epileptischen Krämpfen an einer acuten, diffusen Meningoencephalitis. 

2. Sturz von einer Treppe, Splitterfractur in der Gegend des rechten Stirn* 

höckers, Erbrechen, Coma, Blutung aus dem rechten Ohr und aus der Nase. Bei 
Entfernung der Knochenbruchstücke sah Verf., dass zahlreiche Bisse die Schädel* 
knoeben durchsetzten. Auch bei diesem Patienten propulsive Bewegungen: Gegen* 
stände, die er ergreifen wollte, riss er mit grosser Heftigkeit an sich, Getränke 
stürzte er hinunter, und das Essen verschlang er gierig. Valentin. 


Therapie. 

39) Zur Behandlung der Hemiplegie, von Fr. Iluchzermeyer. (Deutsche 
med. Wochenschr. 1898. Nr. 1.) 

Die übliche Behandlungsmethode der Hemiplegie bedarf einer Modification. 
Charakteristisch für alle Fälle ist das Zurückbleiben der Besserung in der Extremitäten¬ 
muskulatur gegenüber der stets vorhandenen erheblichen Besserung in der Gesichts¬ 
und Schlundmuskulatur, sowie die bedeutende Schmerzhaftigkeit bei Versuchen, ge¬ 
eignete passive Bewegungen vorzunehmen. Diese Uebelstände beruhen darauf, dass 
man nicht regelmässige und geeignete passive Bewegungen in Verbindung mit activen 
vornimmt, sobald solche möglich sind. 

Die Diät ist mehr zu individualisiren, bei der oft vorhandenen Plethora einzu¬ 
schränken, Alkohol, wenn möglich ganz zu verbieten. 

Wird das Sensorium frei, so beginne man mit passiven Bewegungen der ge¬ 
lähmten und activen der gesunden Seite und achte bei ersteren besonders auf die 
Excuraionen der Gliedmaassen nach der Seite der gewohnheitsgemäss am meisten 

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gelähmten Muskelgruppen. Diese Uebungen sind von gewissenhaften Masseuren unter 
häufiger Controlle des Arztes 2 Mal täglich V 2 Stunde lang vorzunehmen. Wöchent¬ 
lich sind 4—5 kräftige Kochsalzbäder (10, 20 und mehr kg) in der Wanne zu 
geben, 26—27 °R. warm, sobald als möglich aber die Gelähmten in ein kochsalz¬ 
haltiges und an CO a reiches Soolbad zu senden. Das Bad gewährt die Möglichkeit, 
ca. 2—3 Monate früher Spuren von Eigenbewegungen sichtbar zu machen (Aufhebung 
des Gewichtes der Gliedmaassen im Bade mit specifisch schweren Flüssigkeiten, 
Fortfall des Beibungswiderstaudes der Bett- und Leibwäsche, psychische Beein¬ 
flussung u. s. w.). Aehnlich wirkt die senkrechte Körperstellung, am besten in einem 
Laufstuhl, „so fest gebaut, dass er das Körpergewicht trägt, und so leicht, dass der 
Pat. den Stuhl, in ihm stehend, mit dem gesunden Arm vorwärts bewegen kann“. 
Diese 3 Anwendungsformen (passive Gymnastik, Bäder, Laufstubl) müssen möglichst 
frühzeitig angewandt werden. Dem Heilwerthe der Elektricität gegenüber nimmt 
Verf. den Moeb ins'sehen Standpunkt ein, auch die Massage beurtheilt er abfällig, 
da sie neben anderen Nachtheilen die Entwickelung der Contracturen gänzlich un¬ 
beeinflusst lässt. B. Pfeiffer (Cassel). 


40) Ueber das Brisement des Buokels nach Calot, von Lorenz. (Deutsche 

med. Wochenschr. 1897. Nr. 35.) 

Die bisherige, allerdings kurze Erfahrung hat festgestellt, dass die Gefahren, 
welchen das Bückenmark beim Bedressement etwa ausgesetzt ist, weit überschätzt 
wurden, wenngleich gelegentlich prävertebrale Abscesse bei diesem Verhalten platzen 
können und der frei gewordene Eiter in die umgebenden Gewebsräume eingepresst 
werden kann. Liegt demnach im ganzen kein Grund vor, sich gegen das Bedresse¬ 
ment auszusprechen, so warnt Verf. doch vor allzu übertriebenen Hoffnungen 
und hält bei dem destruirenden Charakter der Tuberculose eine grosse Skepsis be¬ 
züglich der Dauererfolge des Brisements für erforderlich. In schweren Fällen mit 
grossem Knochendefect und starkem Gibbus muss die nach dem Bedressement 
klaffende Lücke in der Wirbelkörperreihe entsprechend gross sein und es ist äusserst 
unwahrscheinlich, dass derartig grosse Lücken durch neugebildetes Knochenmaterial 
zur Ausfüllung kommen sollten. Ohne genügende Knochenneubildung wäre aber eine 
statische Fixirung der Wirbelsäule nur denkbar, wenn an Stelle des Gibbus eine 
künstliche circumscripte Lordose träte, eine an der von vornherein lordotischen 
Lendenwirbelsäule gewiss mögliche Einstellung. Verf. betont, dass Becidive bei den 
Calot’schen Verfahren mit grösster Wahrscheinlichkeit früher oder später zu er¬ 
warten sind, und warnt davor, alle befriedigenden Besulte, die in Zukunft etwa nach 
den Calot'schen Vorschriften erzielt werden mögen, ohne weiteres der Methode zu¬ 
zuschreiben, da auch die bisherige Spondylitistherapie grosse Erfolge aufweisen kann. 
Nach dem Verf. ist die Grösse des künftigen Gibbus von vornherein und lediglich 
durch die Grösse des Krankheitsherdes bestimmt, durch unser Zuthun kann nur 
erreicht werden, dass der Gibbus nicht grösser wird, als er unbedingt werden muss. 
In der Einleitung und Weiterentwickelung des Gibbus fällt die grösste und wich¬ 
tigste Bolle den reflectorischen Muskelspasmen zu; durch die muskuläre Fixirung 
des Bumpfes wird derselbe zweifellos auch in der Bichtung der Längsaxe comprimirt 
und zunächst unter dem Einfluss dieser Muskelpressung erfolgt die Bildung des 
Gibbus. Auch der Calot’sche Gypspanzer dürfte die Entstehung des Buckels bis 
zu dem unbedingt nöthigen Grade nicht absolut hindern können. Die durch para- 
gibbäres Bedressement (Lange) gewonnenen orthopädischen Besultate sind weniger 
schön, aber dauerhafter als bei dem centralen Brisement. Calot’s Behauptung, dass 
seine Methode viel früher als alle anderen zum Erlöschen des Krankheitsherdes 
führe, bedarf erst der Begründung. Die Technik des Calot'schen Bedressements 
ist sehr mangelhaft und verbesserungsbedürftig. „Das Calot’sche Brisement 

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steht and fällt mit der Frage, ob die Beproductionskraft der Natur 
der durch das Brisement an sie gestellten Forderung gerecht zu werden 
vermag.“ 

Verf. sah bei einem Falle von Spondylitis dorsalis superior eine leichte Parese 
der Beine nach dem Bedressement in complete Paralyse fibergehen, eine Lähmung 
von Blase und Mastdarm dazutreten. Letztere ging allmählich zurfick, dagegen be¬ 
steht die Paraplegie 2 Monate nach der Operation noch unverändert fort, auch hat 
sich der Qibbus reproducirt. Es ist somit das Brisement, zum mindesten eines 
oberen dorsalen Gibbus, keineswegs ein absolut harmloses Verfahren. 

B. Pfeiffer (Cassel). 


HL Aus den Gesellschaften. 

Finska Läkaresällskap. 

Prof. Homdn stellte in der Sitzung vom 22. Februar 1896 (Finska läkare- 
sällsk. handl. 1896. XXXVIII. 3. S. 473) einen schon frfiber (vgl. dies. Centralbl. 
1896. XV. S. 766) vorgeffihrten Pat. mit gekreuzter Anästhesie (aller Sensibilitäts- 
qualitäten) vor, die wahrscheinlich auf einer Läsion im Pons beruhte. Nach einer 
energischen Schmierkur mit gleichzeitiger innerlicher Anwendung von Jodkalium trat 
bedeutende Besserung des Allgemeinzustandes wie der Hirnsymptome ein, und zur 
Zeit bestand nur noch fflr die Kälteempfindung eine ziemlich vollständig gekreuzte 
Anästhesie, stellenweise verbunden mit einem gewissen Grade von Dysfisthesie, während 
die Störung der fibrigen Geffiblsqualitäten bedeutend gebessert war. 

In der Sitzung vom 21. März berichtete Prof. Homön (a. a. 0. 6. S. 577) Ober 
seine unter Mitwirkung von Cand. med. Laitinen ausgeffihrten experimentellen Unter¬ 
suchungen fiber die Wirkung der Bakterien und Toxine auf das Nerven¬ 
system. Diese Untersuchungen sind später von Prof. Homdn (a. a. 0. 9. S. 625) 
ausfflhrlicher mitgetheilt worden. Es wurde direct in den Ischiadicus, auch manch¬ 
mal in das Bfickenmark von Kaninchen Bouilloncultur eines durch Weiterimpfung zu 
hoher Virulenz gebrachten Streptococcus eingespritzt. Die Untersuchung der Nerven 
ergab bei den der Injection erlegenen oder getödteten Thieren, dass sich die Bakterien 
schon nach 24 Stunden auf dem Wege der Gewebsinterstitien und Lymphräume im 
ganzen Verlaufe des Nerven, von der Injectionsstelle an bis zum Bfickenmarke, wie 
auch in dem von der Injectionsstelle peripher gelegenen Theile ausgebreitet hatten. 
Je weiter central, je näher den Centralganglien, desto mehr nahmen die Bakterien 
eine grössere Localisation an, sie fanden sich hauptsächlich im Perineurium und 
drangen in das Innere der Nervenfasern ein, von der Peripherie nach dem Centrum 
zu; wenn längere Zeit seit der Injection verstrichen war, drangen sie immer mehr 
in das Innere. Mit dieser Ausbreitung der Bakterien gingen histologische Ver¬ 
änderungen Hand in Hand (kleine Hämorrhagieen, Entartung und Zerstörung der 
Nervenfasern und Zellen), die 10 Tage nach der Injection den ganzen Querschnitt 
durchsetzten, während dann Bakterien nicht mehr gefunden wurden. Im BQckenmark 
nahmen die Veränderungen den gleichen Verlauf; bei directer Einspritzung in das 
Bfickenmark geschah die Ausbreitung der Bakterien hauptsächlich zwischen den 
Meningen und durch den Centralcanal. Nach Injection von aus denselben Bakterien 
bereiteten Toxinen traten ähnliche Veränderungen ein, die sich ziemlich in derselben 
Weise verbreiteten, aber weniger scharf ausgesprochen waren. Diese Untersuchungen 
dürften der immer mehr sich verbreitenden Ansicht als Stfitze dienen, dass ver¬ 
schiedene Bflckenmarksinfectionen infectiöser oder toxischer Natur sind, ausserdem 
dürften sie eine anatomische Grundlage ffir die Theorie der aufsteigenden Neuritis 
bieten. 


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Dr. Linden berichtete in der Sitzung vom 11. April (a. a. 0. 7. S. 649) aber 
einen Fall von Meningitis, die von einem Cholesteatom im innern Ohre aus¬ 
gegangen war. Der 38 Jahre alte Kranke hatte im Alter von 10 Jahren einige Tage 
lang Ausfluss aus dem linken Ohre gehabt, im Alter von 13 Jahren war, wie Pat. 
meinte, aus demselben Ohre Blut ausgeflossen. Mehrere Jahre lang hatte Pat an 
unbestimmten, fOr rheumatisch gehaltenen Erscheinungen gelitten. Anfang Januar 
1896 war nach plötzlich aufgetretenem heftigen Kopfschmerz eine Lähmung des 
linken Facialis erschienen, die sich wieder besserte. Ende März hatte sich Schmerz 
im linken Ohr eingestellt, der den Charakter einer Trigeminusneuralgie annahm, die 
auf die rechte Seite flberging. Daran schlossen sich meningitische Erscheinungen an, 
aber das Sensorium blieb frei und motorische Erscheinungen fehlten. Anfang April 
traten Schmerzen im Kreuz und in beiden Ischiadicis auf. Am 8. April wurde der 
sclerotische Processus mastoideus eröffnet, die hintere Wand des knöchernen Gehör- 
gangs abgemeisselt und ein zerfallendes Cholesteatom entfernt. Der Zustand besserte 
sich nicht und der Kranke starb am 9. April. Bei der Section fand sich allgemeine 
Meningitis, am stärksten auf der linken Seite, sich bis in das R&ckenmark erstreckend. 
Der Acusticus und Facialis der linken Seite waren im Porus acusticus erweicht und 
eitrig infiltrirt 

In der Sitzung vom 9. Mai stellte Prof. Runeberg (a. a. 0. 10. S. 837. 842) 
eine Pat. mit einer eigentümlichen Form von motorischer Aphasie und Hemi¬ 
plegie der linken Seite in Folge von Thrombose der Art. fossae Sylvii vor; die 
Pat. war linkshändig und bietet ein Beispiel dafür, dass bei Linkshändigkeit das 
Sprachcentrum in der rechten Hirnhemisphäre liegt. 

In der Sitzung vom 7. November stellte Prof. Runeberg (a. a. 0. 12. S. 1060) 
einen Pat mit nach Trauma entstandener Paohymeningitis oervioaüs hyper- 
trophioa vor. 

Dr. Sievers theilte in der Sitzung vom 6. December (a. a. 0. 1897. XXXIX. 1. 
S. 185) einen Fall von Brown-Sequard’soher Lähmung bei einem 29 Jahre alten 
Seemann mit, der 2 Jahre nach einer ungenügend behandelten secundär syphilitischen 
Halsaffection eine Lähmung des rechten Beines bekam, mit Erschwerung der Harn¬ 
entleerung, die nur tropfenweise vor sich ging. Die Darmthätigkeit war sehr träg. 
An dem fast paralytischen rechten Beine bestand starke Hyperästhesie, der Patellar- 
reflex war gesteigert. Am linken Beine, dessen Bewegungen nicht gestört waren, 
bestand fast vollständige Analgesie und Lähmung des Temperatursinnes, der Patellar- 
reflex war kaum bemerkbar. Auch über den unteren Theil des Bauches bis drei 
Fingerbreiten unterhalb des Nabels erstreckte sich eine Zone starker Hyperästhesie, 
weiter nach oben war das Gefühl normal. Nach einer Schmierkur nahm die Lähmung 
des rechten Beines ab, der Patellarreflex blieb aber erhöht. Sensibilität, Harn- und 
Darmentleerung wurden normal.— Prof. Runeberg erwähnte bei dieser Gelegenheit 
einen gleichen Fall, in dem trotz der Behandlung die Krankheit fortschritt. Prof. 
M. W. af Schulten erwähnte zwei Fälle, in denen die Krankheit traumatischen 
Ursprungs war. In einem von Dr. Holmberg beobachteten Falle besserte sich die 
Blasenlähmung nach Pilocarpiniqjection. 

Dr. Krogius (S. 186) theilte einen Fall von schwerer Lingualisneuralgie 
mit, in dem die Resection des dritten Astes des Trigeminus nach Krönlein aus¬ 
geführt wurde. Der 60 Jahre alte Kranke hatte vor 2 Jahren plötzlich beim Essen 
einen äusserst heftigen schneidenden Schmerz in der rechten Zungenhälfte bekommen; 
2 Monate später kehrten gleiche Schmerzanfälle in Zwischenzeiten von einigen Tagen 
wieder, wurden häufiger und heftiger und traten schliesslich fast täglich auf, wieder¬ 
holten sich mehrere Male an einem Tage, bisweilen sogar mehrere Male in einer 
Stunde. Der Schmerz strahlte bis zur Schläfe und bis zum Ohre aus. Essen und 
Sprechen wurden immer schwieriger, weil Pat. sich bemühte, die Zunge so wenig 


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als möglich zu berühren. Nach der Operation [kaum 3 Wochen vor der Mittheilung] 
war Pat. vollständig befreit von den Schmerzanfällen, konnte unbehindert essen und 
sprechen, doch bestand Anästhesie in der rechten Zungenhälfte und in der rechten 
Unterkieferhälfte. Von zwei weiteren Fällen von Besection des 2. und 3. Trigeminus* 
astes, die Krogius erwähnte, war in einem keine Heilung erzielt worden. Nach 
einer Mittheilung von Prof, af Sch ul tön (S. 188) verschwanden in diesem Falle 
die Schmerzen, nach einer vorübergehenden Exacerbation in Folge der Extraction 
eines Weisheitszabues, nach einer Gussenbauer’schen Laxirroittelkur. Doch 
war auch diese Besserung, wie Krogius in der Sitzung vom 6. Februar 1897 
(a. a. 0. 1897. XXXIX. 3. S. 512. 513) mittheilte, nicht von Dauer; Pah war 10 Tage 
lang frei von Schmerz, hatte dann 3 Tage lang wieder mehrere Anfälle; diese setzten 
dann ziemlich 4 Wochen lang aus, begannen aber dann, trotz Fortsetzung der Kur, 
wieder. Nach Besection des Ganglion Gasseri war Pat. frei von Schmerz bis 
zur Zeit der Mittheilung [25 Tage], af Schultön hat nach den von ihm aus* 
geführten Nervenresectionen fast immer Becidive eintreten sehen, die Besection ist 
deshalb nach ihm nur als Ultimum refugium zu betrachten. 

In einem von Wahlfors (S. 188) erwähnten Falle verschwand eine schwere 
Gesichtsneuralgie nach der Extraction eines schmerzenden Zahnes, an dessen Wurzel 
eine kleine Exostose entdeckt wurde. Hj. von Bonsdorff, der ebenfalls einen 
mittelst Besection nach Krönlein behandelten Fall erwähnt, hat an dieser Operation 
auszusetzen, dass das kosmetische Besultat nicht vollständig gut sei und die Function 
des Unterkiefers gewöhnlich eingeschränkt werde. 

Prof. Homön (S. 188) stellte in derselben Sitzung einen 19 Jahre alten Pat. 
vor, der an einer Bulbäraffection mit gekreuzter Lähmung litt. Pat. war am 
25. August 1896 vom Pferde auf harten Grund gefallen, so dass der Hinterkopf 
zuerst aufschlug, und bewusstlos liegen geblieben. Als er nach einigen Stunden 
wieder zu sich kam, hatte er Empfindlichkeit am Hinterkopfe, wo sich keine Wunde, 
aber Geschwulst vorfand. Die Empfindlichkeit im Hinterkopfe liess nach einigen 
Tagen nach, aber es stellten sich oft spastische Zuckungen in den Muskeln der 
linken Gesichtshälfte ein, bei Bewegungen des Kopfes hatte Pat das Gefühl von 
Steifheit im Nacken. Ausserdem bestanden Bulbärsymptome (schwerfällige Sprache, 
Schwierigkeit beim Schlucken, Flüssigkeiten kamen oft durch die Nase wieder heraus, 
vorübergehend bestand Beschleunigung der Athmung und des Pulses). Bald trat 
Schwäche im linken Arme (die Nackenmuskelu der linken Seite, der linke Supra* 
und Infraspinatus und der hintere Theil des Deltoideus zeigten verminderte elektrische 
Beaction) und im rechten Beine auf, später auch eine gewisse Schwäche im rechten 
Arme. Bei der Aufnahme, am 22. October, wurde die Zunge gerade herausgestreckt 
das Gaumensegel hing links tiefer herab und war weniger beweglich als rechts, die 
Sprache war nicht auffällig gestört, aber das Schlucken. Der Patellarreflex war links 
sehr schwach. Die active Beweglichkeit in einem Achselgelenk war bedeutend ein¬ 
geschränkt, namentlich konnte Pat. den Arm nicht hoch heben, im Uebrigen war 
der Arm schwach, in geringerem Grade der rechte. Es war geringe Demographie 
vorhanden. Der Zustand besserte sich allmählich. 

Als Krankheitsursache war mit grösster Wahrscheinlichkeit eine Affection der 
Medulla oblongata anzunehmen, und zwar an einer Stelle, wo die Kreuzung der 
motorischen Bahnen für die oberen Extremitäten schon stattgefunden hat, die für 
die unteren noch nicht, worauf die Kreuzung der Lähmung hindeutet. Ausserdem 
mochten wohl die oberen Cervicalnerven und ihre Verzweigungen bei dem Falle direct 
verletzt worden sein, wofür die relativ stärkere Affection der Nacken- und Schulter¬ 
muskeln spricht. 

In der Sitzung vom 12. December 1896 stellte Prof. Buneberg (a. a. 0. 1897. 
XXXIX. 2. S. 352) einen Pat. mit auf Blutung im Occipitallappen beruhender typischer 
optischer Aphasie vor, sensible und motorische Störungen fehlten ganz. Pat., der 


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als Kind die schwedische und erst als Erwachsener die finnische Sprache gelernt 
hatte, konnte oft vorgezeigte Gegenstände nur finnisch, nicht schwedisch benennen, 
weil er, wie Vortr. meint, die schwedischen Benennungen mit Seheindrficken, die 
finnischen dagegen mit GehörseindrQcken verband. Walter Berger (Leipzig). 


IV. Vermischtes. 

Verein der deutschen Irrenärzte. 

Preisansschreibnng für einen Leitfaden beim Unterricht des Pflegepersonals. 

Bedingungen. 

Der Leitfaden soll dem Pflegepersonal in die Hand gegeben werden. Er soll in ge¬ 
drängter Eürze und in einfacher, leicht verständlicher und von Fremdwörtern freien Sprache, 
entsprechend der geistigen Ausbildung des Durchschnittspflegers, ihm den Grundriss eines 
Unterrichtscursus darbieten. 

Er soll jedenfalls folgende Gegenstände enthalten, deren Beihenfolge dem Verfasser 
überlassen bleibt: 

1. Einen ganz kurzen geschichtlichen Ueberblick über Krankenpflege, Irrenpflege, 
Irrenanstalten und Pflegepersonal. 

2. Einen Abriss der Krankenpflege im Allgemeinen. Hierbei ist Über Bau und Ver¬ 
richtungen des menschlichen Körpers nur so viel zu sagen, wie etwa in der obersten Stufe 
der Volkschule gelehrt wird. 

Bei dieser Besprechung sind überall gleich Hindeutungen auf wichtige krankhafte 
Zustände (oder Verletzungen) der besprochenen Theile zu machen, insofern sie Be¬ 
ziehungen zur Krankenpflege und Irrenpflege haben. 

3. Eine kurze Besprechung der Aufgaben und der Hygiene des Krankenhauses und 
der Irrenanstalt, mit Rücksicht auf die besonderen Einrichtungen der Letzteren. 

4. Eine besondere Anleitung zur Pflege der Geisteskranken. Hierbei ist unter Ver¬ 
meidung wissenschaftlicher Abhandlungen über Psychiatrie, nur in soweit eine Beschreibung 
zu geben von der Aeusserungsweise des Irreseins, als diese für die Aufgaben der dem 
Wartpersonal zufallenden Pflege in körperlicher und geistiger Hinsicht von Wichtig¬ 
keit ist. 

Der Leitfaden soll für alle deutschen Anstalten passen. Besonderes, was in der Haus¬ 
ordnung und in. der Dienstanweisung für das Wartpersonal in jeder Anstalt gesagt ist, 
braucht der Leitfaden nicht zu enthalten. 


Sodann wird gefordert: 

Leserliche, druckfertig geschriebene Arbeit oder gedrucktes Heft. — Nachweislich ror 
dem Preisausschreiben im Druck und Verlag bereits erschienene Arbeiten sind so wie sie 
sind, oder mit entsprechenden Nachträgen und Ergänzungen zugelassen. 

Die Arbeit (sofern sie noch nicht im Drucke erschienen ist) ist mit einem Kennwort 
(Motto) zu versehen und in einem verschlossenen Briefumschlag, welcher das Kennwort als 
Aufschrift trägt, der Name des Verfassers anzugeben. 

Die Arbeiten sind bis zum 1. Januar 1899 an einen der Unterzeichneten einzureichen. 

Der Preis beträgt 500 Mark. 

Das Autorrecht verbleibt dem Verfasser. Der mit dem Preis ausgezeichnete Leitfaden 
muss sofort gedruckt werden. 

Der vom Verein gewählte Preisauschuss: 

Pelman (Bonn). Paetz (Altscherbitz). Siemens (Lauenburg i./Pom.). 

Ganser (Dresden). Alt (Uchtspringe). 


Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten. 

Einsendungen für die Redaction sind zu richten an Prof. Dr. E. Mendel, 
Berlin, NW. Schiffbauerdamm 20. 

Verlag von Vmt & Comp, in Leipzig. — Druck von Mstzokb & Wittio in Leipzig. 


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Neurologisches Cent ra lblatt. 

Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie 
und Therapie des Nervensystems einschliesslich der Geisteskrankheiten. 

Herausgegeben von 

Professor Dr. E. Mendel 

Siebzehnter " B * rlK Jahrgang. 

Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 24 Mark. Zu beziehen durch 
alle Buchhandlungen des In* und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie 

direct von der Verlagsbuchhandlung. 

1898. 15. März. Nr. 6. 


I. Originalmlttheilungen. 1. Ueber den Markfasergehalt der Ceutralwindungen eines nor¬ 
malen männlichen Individuums, von Dr. Adolf Passow. 2. Zur Casuistik der Kleinbirntumoren, 
von Dr. A. Boettiger, Nervenarzt in Hamburg. 3. Zur Aetiologie der functionellen Neurosen 
(Hysterie und Neurasthenie), von Dr. E. Biernacki, ord. Arzt am Wola-Krankenhaus zu Warschau. 


II. Referate. Anatomie. 1. Beiträge zur Kenntniss der Hautnerven des Kopfes, 
von Zander. 2. Experimentelle Untersuchungen über die Wurzelgebiete des N. glosso- 
pharyngeus, Vagus und Accessorius beim Affen, von Kreidl. — Experimentelle Physio¬ 
logie. 3. Artikel cerveau in: Dictionnaire de physiologie par Charles Eichet. § 1. Histo- 
rique. § 2. Röle de l'ecorce cerebrale en general. § 5. Des centres de Tecorce cöräbrale, 

{ >ar Soury. 4. Zar Frage der Ursachen der Linkshändigkeit, von Rothschild. 5. Ueber den 
Einfluss der Schilddrüse auf den Stoffwechsel, von Schöndorff. 6 . Experimentelle Beiträge 
znr Schilddrüscnfrage, von Wormser. 7. Zur Lehre der Schilddrüse, von Munk. 8. Ueber den 
Jodgehalt von Schilddrüsen in Steiermark, von v. Rositzky. 9. Kehlkopfnerven nnd die Functionen 
der Thyreoidea, von Exner. — Pathologische Anatomie. 10. Till kännedomen om de 
eftcr amputationer uppkommande förändringarna i nervsystemet med special hänsyn tili de 
spinokntana neuronerna, af Sibellus. 11. Les alterations de la mobile epiniere chez les chiens 
op^res d’exstirpation des glandes parathyröo'idiennes, par Vassale et Donnaggio. 12. Beitrage 
znr Kenntniss des Markfasergehaltes der Grosshirnrinde bei Idioten mit vergleichenden 
Rindenmessungen, von Kaes. — Pathologie des Nervensystems. 13. Ett fall af per- 
nicios progressiv anemi med forändringar i ryggmärgens bakre strängar, af Johnson. 14. Notes 
on enaemic goitre in northeast Bengal, by Waters. 15. Dn goitre exophtalmique, symptömes, 
pathogenie, traitement (section dn grand sympathique cervical), par Valenpon. 16. Natnre 
et traitement du goitre exophtalmique, par Abadie. 17. Ueber das Auftreten von Oedemen 
bei Morbns Basedowii, von Löw. 18. A case of acute Graves disease with a description of 
its morbed anatomy and of a series of mikroscopical sections, by Forwell. 19. Mölancolie et 
goitre exophtalmique, par Devay. 20. Myxoedema, by Davidsohn. 21. Myxödem auf seltener 
Basis, von Burghart. 22. Om myxödem, af Pfannenstill. — Tva fall af myxödem, bebandlade 
med tbyreoidintabletter, af Pfannstill. 23. To Tilfälde af Myxödem, äf Möller. 24. De la 
t&anie, par Tordeus. 25. Zwei weitere Fälle von juvenilem Totalstar bei Tetanie, von 
Wettendorfer. 26. Ein Fall von Phosphorvergiftung mit Tetanie, von Stransky. 27. La tetanie 
chez lenfant, par Oddo. 28. Ueber Tetanie im Kindesalter, von Kalischer. — Psychiatrie. 
29. De Pinfan tilisme myxoedömateux, par Brissaud. 30. Idiotie myxoedematense (myxoed&me 
infantile) et Pinfluence par Fingcstion de glande. tbyroide du mouton, par Bourneville. 
31. Tiroide e cretinisrao, per Cristiani. 32. Ueber das Bewusstsein der Hallucinirenden, 
von Berze. 33. Die puerperalen Psychosen, vom ätiologischen, klinischen nnd forensischen 
Standpunkt, von Shdarow. 34. Drei casnistische Beiträge zur Lehre von den Psychosen mit 
Chorea, von Knauer. 35. Zusammenstellung der sich in dem bürgerlichen Gesetzbuch für 
den Psychiater ergebenden, z. Th. neuen Gesichtspunkte für die Erstattung von Gutachten, 
von Schultze. 36. Zwei Fälle sogen. Folie par transformation (Folie en commun), von Finkei¬ 
stein. 37. Contribution ä la patnologie des rapports sexuels. Paralysies postparoxystiqnes, 
par F6r4. 38. Betrachtungen über die Umkehrung des Geschlechtstriebes, von Laupts. 39. La 
puberta stndiata neiruomo e nella donna etc., per Murro. 40. Welche besonderen An¬ 
forderungen — abgesehen von den für den Ban von Krankenhäusern gültigen — sind bei 
Bau und Einrichtung einer grossen einklassigen Anstalt für Geisteskranke zu berücksichtigen? 
von Pastow. —■ Therapie. 41. Les distractions dans le traitement des alilnös, par Nicke, 
42. Ueber subcutane Chinininjectionen, von Köbner. 43. Ueber Thyreoidinbehandlqng der 


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StrameD, von Hanszel. 44. Ein Beitrag zur Thyreoidintherapio, von Hiebei. 45. Trois cas 
d'idiotie myxoedömateuse traites par Tingestion thyrloidienne, par Bourneville. 46. De la 
rösection bilaterale du grand sympathique cervical dana le goitre exophtalmique, par Gerard- 
Marchant. 47. Resection bilaterale du grand sympathique cervical, dabs le goitre exophtal¬ 
mique, par Reclus et Faure. 48. Le traitement du goitre exophtalmique par la section ou 
la r&ection du sympathique cervical, par Jabaulay. 49. Ein opGrirter Basedow-Pall, von 
Saenger. 50. Regrowth of liaft in myxoedema under treatment with thyroid tabloids, by 
Raven. 51. Le traitement des mälancoliques par le repos au lit, par Sfrleux. 

III. Aus den Gesellschaften. Aerztlicher Verein zu Hamburg. (Schluss folgt.) 


I. Originalmittheilungen. 

[Aus der psychiatrischen Klinik (Prof. Dr. Fübstneb) in Strassburg i./E.] 

1. lieber den Markfasergehalt der Central Windungen eines 
normalen männlichen Individuums. 

Von Dr. Adolf Fassow, II. Assistenten der Klinik. 

Die Arbeiten von Kaes über den Faserreichtbum der Rinde erstrecken sich 
bis jetzt auf Gehirne von normalen, männlichen Culturmenschen von 6 / 4 bis 
50 Jahren (1-3), auf zwei Gehirne von Angehörigen der niederen Rasse (4) und 
auf je ein mikro- und makrocephales Gehirn (5). 

Da er aber bei seinen Untersuchungen des ganzen Gehirns nur eine ver- 
hältnissmässig kleine Anzahl Schnitte berücksichtigen konnte, stellte ich mir die 
Aufgabe, den Faserreichthum der Centralwindungen genauer in einer fortlaufenden 
Reihe von Schnitten za studiren und zahlengemäss festzulegen. 

Ich wählte dazu das Gehirn eines 33 Jahre alten Schreiners, welches ich 
der Güte des Prosectors am Hamburg-Eppendorfer Krankenhause, Herrn Dr. 
Eugen Fbänkel, verdanke. Der Patient war geistig normal gewesen und an 
Phthise sehr schnell gestorben. 

Nach mehrwöchentlicher Härtung in MüLLEB’scher Lösung theilte ich die 
rechten CentralwinduDgeu in sechs ungefähr gleich grosse Blöcke, numerirte sie 
so, dass der am grossen Längsspalt gelegene der erste, das Operculum der 
sechste war, bezeichnete durch eine eingestochene Nadel die vordere Central¬ 
windung, härtete in Alkohol fertig, bettete in Celloidin ein und fertigte dann 
Serienschnitte an, die die Zahl von 1741 einzelnen Schnitten ergaben. 

Gefärbt wurden sie dann alle hinter einander nach der von Kaes modi- 
ficirten WoLTEns’schen Methode (6), deren Vorzüge auch ich nach jetzt fast 
4jähriger Benutzung für Markscheidenfärbungen des ganzen Nervensystems nicht 
warm genug empfehlen kann. 

Die Benennung der einzelnen Schichten kurz berührend, schliesse ich mich 
den von Ed ingeb vorgeschlagenen provisorischen Namen (7) an. 

Wenn ich auch an dieser Stelle von einer Mittheilung der genaueren 
Messungen absehe, ergeben sich doch bei einfacher makroskopischer, und noch 
mehr bei mikroskopischer Untersuchung interessante Facta, deren wichtigste im 
folgenden kurz mitgetheilt seien. 

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Beim Vergleich der Schnitte der vorderen rechten Centralwindung finden 
sich unter dem schmalen gliösen Saum die Taugentialfaseru von Block zu Block 
zunehmend stärker geschichtet; ihre Breite ist im ersten am geringsten, im 
vierten am grössten; dann wird sie im fünften und sechsten wieder geringer. 

Das Hauptinteresse wendet sich aber der Betrachtung des darunter gelegenen 
superradiäreu Faserwerks zu, auf dessen Wachsthumsverhältnisse bereits Kaes 
in seinen Veröffentlichungen des öfteren hingewiesen hat. 

Während im ersten Blocke basalwärts gerechnet nur einzelne Fasern auf- 
treten, finden wir im zweiten und dritten eine gleichmässige, stetig zunehmende 
Schichtung, so dass im vierten diese bis au die Tangentialfasern heranreicht. 
Gleichzeitig geht mit wachsendem Faserreichthum ein Schmälerwerden der ganzen 
Schicht einher. Bei deu beiden letzten Blöcken finden wir jedoch eine wieder 
breitere, fast völlig faserlose Schicht. 

Das interradiäre Flechtwerk nebst äusserem (Baillarger, auch Gennari ge¬ 
nanntem) Streifen bedingt das oben erwähnte Schmälerwerdeu des superradiäreu 
Faserwerkes, indem es gleichsam peripher gerechnet hinaufrückt Gleichzeitig 
finden wir sodann eine tiefer gelegene Schichtung des zweiten Baillarger-Streifens, 
der schmäler und weniger dicht als der äussere ist. Beide sind nicht scharf 
abgegrenzt, sondern heben sich mit verschwommenen Rändern durch stärkere 
Schichtung hervor. r — _ 

Wir finden also in diesen 
beiden Schichten ein regelmäs¬ 
siges schrittweises Auftreten von 
Fasern vom ersten bis zum vierten 
Block, so dass wir in letzterem 
die faserreichsten Partieen vor 
uns haben. 

Die Fig. 1 entstammt dieser 
Gegend und ist, mittelst Ocular- 
mikrometer genau gemessen, ab¬ 
gezeichnet Die Fig. 2 ist der 
correspondirende Schnitt der 
hinteren Centralwindung. 

Die deutlichen Unterschiede 
in allen Schichten springen uns 
sofort in die Augen; im allge¬ 
meinen sind sie alle faserärmer, 
weniger dicht und seltener mit 
dickeren Fasern durchsetzt, wie 
die vordere Centralwindung. 

Den interessantesten Befund bil- p ig t Fig 2 . 

den wiederum das super radiäre 

Faserwerkjund das interradiäre Flechtwerk. Auch die verschiedenen Verhältnisse in 
den Markstrahlen beider Windungen treten deutlich in den Zeichnungen hervor. 


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244 


Ohne mich auf voreilige Schlösse einzulassen, weise ich darauf hin, dass 
diese faserreichsten Partieen des vierten Blookes der Hand- und Fingerregion (8), 
die faserärmsten des fünften und sechsten der Region des Kopfes, der Facialis- 
und Hypoglossusgegend entsprechen. 

Ich behalte mir vor, die genaueren Befunde meiner Messungen in einer 
grösseren Veröffentlichung niederzulegen, zumal Emngeb (9) noch kürzlich den 
Werth solcher genauen Messungen anerkannte. Auch beabsichtige ich sodann, 
meine Resultate durch Zeichnungen aus den verschiedenen Blöcken zu illustriren. 


Litteratur. 

1 Kaks, Thbodob: Ueber den Markfasergehalt der Grosshimrinde eines % jährigen 
männlichen Kindes. Irrenanstalt Friedrichsberg. Jahresberichte der Hamburger Staats- 
krankenanstalten. 1893—1894. 

2 Derselbe: Beiträge zur Kenntniss des Reichthums der Grosshirnrinde des Menschen 
an markhaltigen Nervenfasern. Arch. f. Psycb. u. Nervenkrankh. XXV. 1893. 3. 

3 Derselbe: Ueber die markhaltigen Nervenfasern in der Grosshimrinde des Menschen. 
Neurolog. Centralbl. 1894. Nr. 11. 

4 Derselbe: Ueber Grossbirorindenmaasse und über Anordnung der Markfaseraysteme in 
der Rinde deB Menschen, ein Beitrag zur Frage: Unterscheidet sich die Rinde des Cultur- 
menschen von der der niederen Rasse. Vortrag, gehalten auf der Naturforscherversammlung 
zu Lttbeck 1895. 

& Derselbe: Beiträge zur Kenntniss des Markfasergehaltes der Grosshimrinde bei 
Idioten mit vergleichenden RindenmesBungen. Monatsschr. f. Psyoh. u. Neurologie. 1897. 
S. 307 u. 379. 

6 Derselbe: Die Anwendung der WoLTBBs’schen Methode auf die feineren Fasern der 
Hirnrinde. Neurolog. Centralbl 1891. Nr. 15. 

7 Edingeb, Ludwig : Nervöse Centralorgane. 5. Aufl. Leipzig 1896. S. 223. 

8 von Monakow : Gehirnpathologie. Wien 1897. S. 881. 

9 Edingeb, Ludwig u. Wallenbekg, A.: Bericht aber die Leistungen auf dem Gebiete 
der Hirnanatomie. 1895—1896. S. 35. 


2. Zur Casuistik der KleinWmtumoren. 1 

Von Dr. A. Boettiger, Nervenarzt in Hamburg. 

Werner St, 11 Jahre alt aus Altona, Eisenbahnbeamtensohn, kam am 14. De- 
cember 1897 in meine Sprechstunde. Er ist hereditär nicht belastet der zweite 
von sieben lebenden Geschwistern, die ausser ihm alle gesund sind; das erste Kind 
wurde tot geboren. 

Patient selbst wurde leicht geboren, litt dann an Rhachitis und lernte erst mit 
3 Jahren laufen und noch etwas später sprechen. Er war immer stiller und mehr 
für sich als seine Geschwister und seine Altersgenossen, hiess nur immer der 
Träumer. Mit ca. 3 Jahren stürzte er von einem Wagen und musste 1—2 Tage zu 
Bett liegen, hatte eine grosse Beule am Kopfe. 


1 Demonstration im ärztlichen Verein zu Hamburg am 18. Januar 1898. 


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Vor einem Jahre fing er an, unsicher zn gehen; er schwankte zeitweilig, hatte 
Neigung nach rückwärts za fallen, ging breitbeinig und klagte über Schwindelgefühl; 
doch scheint er unter Schwindel hauptsächlich nur seinen unsicheren Gang zu verstehen. 
Drehschwindel nach einer bestimmteu Seite will er nicht gehabt haben, hingegen zuweilen 
Schwindelanfälle mit Einstürzen. Seit ungefähr 1 j 2 Jahre verschlechterte sich allmäh¬ 
lich seine Schrift in ganz auffälliger Weise und schliesslich in solchem Grade, dass 
der Lehrer, nachdem er die schriftlichen Arbeiten anfangs mit Censur 4 und 5 bedacht 
hatte, dieselbe endlich als krankhaft erkannte und den Patienten nach Hause schickte. 
Gleichzeitig waren Kopfschmerzen, namentlich in der Stirn, und hin und wieder 
Nackensteifigkeit aufgetreten, ferner Erbrechen, und zwar vorwiegend Nachts oder 
gegen Morgen. Vor ca. 3 Monaten begannen Sehstörungen sich bemerkbar zu 
machen, er hatte Nebel vor den Augen und ab und zu Doppeltsehen, aber nur beim 
Blick gerade ans und in die Ferne. Anfallsweise soll auch Sausen in den Ohren 
bestanden haben. In letzter Zeit will er beobachtet haben, dass er beim Torkeln 
meist nach der rechten Seite zu fallen droht. Und den Eltern ist aufgefallen, dass 
er in allen Hantirungen, beim An- und Auskleiden immer ungeschickter und lang¬ 
samer geworden ist. 

Status: Patient ist ein mittelgut genährter Junge mit leicht benommenem 
Gesichtsausdruck; er hält den Kopf in steifer gerader Haltung fixirt, steht breit¬ 
beinig da und zeigt dabei deutliches Wackeln und Balanciren des Rumpfes. Lässt 
man ihn die Füsse schliessen, so nimmt das Schwanken noch erheblich zu, nicht 
aber, wenn ausserdem noch die Augen geschlossen werden. Sein Gang ist gleichfalls 
breitbeinig, schwankend, bei Wendungen noch besonders stark torkelnd, bei ge¬ 
schlossenen Augen nicht unsicherer als bei offenen. Er scheint stets mehr nach 
rechts als nach links zu schwanken. * 

Die weitere Untersuchung ergiebt keine Schmerzhaftigkeit des Kopfes bei Be¬ 
klopfen, namentlich auch nicht über der Stirn, wo die spontanen Kopfschmerzen 
sitzen. 

Die Pupillen sind normal, die Bulbi nach allen Seiten ausgiebig und gleich- 
massig beweglich; kein Nystagmus. Doppeltsehen wird nicht angegeben. 

Sehschärfe etwas herabgesetzt, Zeitungsdruck wird mit jedem Auge erst in 
ca. 12—15 cm Entfernung gelesen. Keine Hemianopsie. Im Augenhintergrund be¬ 
steht beiderseits Stauungspapille mit frischen Blutungen, links stärker als rechts. 

Mimische Bewegungen sind auf beiden Seiten gleich gut. Der linke Gaumen¬ 
bogen steht tiefer als der rechte und ist viel weniger gut beweglich. Die Zunge 
wird in ganz choreatischer Art and Weise im Munde spontan hin- und hergeworfen, 
gerade und ohne Zittern auf Geheiss herausgestreckt. Sensibilitätsstörungen fehlen 
im Geeicht wie überhaupt am ganzen Körper. 

Gehör beiderseits gleich gut, Geruch und Geschmack ohne Abnormitäten. 

Herz and Lungen normal. Puls 120—130, Athmung 14—16 in der Minute. 

Die Wirbelsäule ist auf Druck nicht schmerzhaft. 

An den Armen ist die grobe Kraft beiderseits gleich, nur mässig; die activen 
Bewegungen sind sämmtlich ausgiebig vorhanden, nur fällt bei den feineren Finger¬ 
bewegungen rechts eine sehr deutliche Schwerfälligkeit und Verlangsamung im Ver¬ 
gleich zur linken Seite auf. Die passiven Bewegungen sind frei. Bei Greifen nach 
Gegenständen, namentlich bei raschem Tempo, sieht man rechts leichte Zick-Zack- 
bewegungen und etwas Ausfahren, links nichts derartiges. Die ausgestreckten Hände 
zittern nicht; lässt man den Patienten hingegen schreiben, so beobachtet man an 
dem entblössten rechten Unterarm einen ganz langsamschlägigen rhythmischen 
Tremor, welcher den Bleistift in eine direct undulirende Bewegung versetzt. Schreib¬ 
er mit der linken Hand, so fehlt dieses Symptom. 

Ich bringe einige Schriftproben ans der Zeit der Entwickelung der Krankheit, 
welche ich aus seinen Schulheften entnommen habe und die das allmähliche Fort- 

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— 246 


schreiten dieser Störung in exquisiter Weise veranschaulichen. Abbildung 1 zeigt 
die ersten Anfänge, welche fast nur bei längeren Strichen hervortreten; die Schrift 
stammt vom 6./V. 1897. Schon am 26./VI. 1897 theilt sich der Tremor auch den 



Nr. 3. 



Nr. 6. 


kleineren Strichen mit (Abbildung 2). Weitere Verschlimmerungen sehen wir auf 
Abbildung 3 und 4 vom 27./VIII. und 9./XI. 1897, Schriften, welche beide aus 
häuslichen Arbeiten stammen, während bei Dictaten schon früher noch hochgradigere 
Störungen ersichtlich wurden, wie Abbildung 5 vom 13./IX. 1897 zeigt. Eine 

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häusliche Arbeit endlich vom 2./XII. 1897 ist nur noch mit Mähe zu entziffern 
(Abbildung 6) und wurde endlich als krankhaft in der Schrift erkannt. Der 
Charakter der Störung ergiebt sich ohne weitere Beschreibung aus den gegebenen 
Stichproben. 

Die Schrift mit der linken Hand zeigte hie und da Anklänge an die rechts¬ 
seitigen Störungen, aber nur in sehr geringem Grade. 

Im Uebrigen bestand an den Armen noch beiderseits herabgesetzte mechanische 
Muskelerregbarkeit und Fehlen der Sehnenreflexe. 

An den Beinen ist gleichfalls kein Unterschied in der groben Kraft zwischen 
beiden Seiten, active und passive Bewegungen ohne Besonderheiten, nur werden die 
Zehenbewegungen rechts etwas langsamer ausgefQhrt als gleichzeitig links. Bewegungen 
der Beine in Rückenlage zeigen keine Ataxie, auch nicht bei geschlossenen Augen. 
Der Kniereflex ist nur rechts und auch da nur mit Jendrässik’ schem Kunstgriff 
zu bekommen. Der Achillessehnenreflex ist rechts normal, fehlt links. Die Haut¬ 
reflexe sind normal auf beiden Seiten. 

Blasen- und Mastdarmstörungen fehlen. Urin normal. 

Patient erhielt Jod und Eisen in grossen Dosen mit dem bisherigen Erfolg, 
dass das Erbrechen bedeutend seltener, die Schrift etwas deutlicher und die Stauungs¬ 
papille beiderseits etwas geringer geworden ist. Die übrigen Symptome sind ziemlich 
unverändert geblieben, die Unsicherheit im Gehen und Stehen hat noch zugenommen. 

Die Diagnose lautet im vorliegenden Falle auf einen Tumor des Kleinhirns, 
das steht wohl ausser allem Zweifel. Der Beginn mit Gleichgewichtsstörungen, 
das frühzeitige Auftreten von Erbrechen und Stauungspapille, sprechen für die 
hintere Schädelgrube. Die Ataxie beim Gehen und Stehen zeigt zudem einen 
ganz cerebellaren Charakter. Und ausserdem haben wir noch constatirt: Fehlen 
des BoMBEBQ’schen Symptoms und Ueberwiegen des Schwankens nach rechts, 
sowie Schwindelanfalle. Ferner Parese des linken Gaumenbogens, choreiforme 
Bewegungen der Zunge, Beschleunigung des Pulses; Behinderung der feineren 
Finger- und Zehenbewegungen rechts, deutliche, wenn auch nur geringe Ataxie 
im rechten Arm, Intentionstremor in der rechten Hand besonders bei com- 
plicirteren Bewegungen wie dem Schreiben, herabgesetzte mechanische Muskel¬ 
erregbarkeit (die elektrische war normal), Fehlen der Sehnenreflexe mit Aus¬ 
nahme des in normaler Stärke vorhandenen rechten Achillesreflexes und des 
stark abgeschwächten rechten Patellarreflexes. 

Um zu einer genauen Diagnose der Seite zu kommen, auf welcher der 
Tumor sich entwickelt hat, ist es nothwendig genau zu analysiren, welche von 
den Krankheitssymptomen als directe Kleinhirnsymptome und welche als sogen. 
Nachbarschaftssymptome zu betrachten sind. Wir werden dabei, wie alle 
neueren zu diesem Thema sich äussernden Autoren, zugleich die vorzüglichen 
physiologischen Forschungen Luciani’s zu berücksichtigen haben, welche ge¬ 
eignet sind, wesentlich zur Klärung der uns beschäftigenden Fragen beizutragen. 

Wir wollen zunächst absehen von den allgemeinen Hirndruckerscheinungen, 
Kopfschmerz, leichte Benommenheit, Erbrechen und Stauungspapille; von letzterer 
ist nur speciell hervorzuheben, dass sie links stärker als rechts ist. Am frühesten 
trat bei unserem Patienten auf und beherrscht überhaupt das ganze Krankheits¬ 
bild die cerebellare Ataxie, die als directes Kleinhirnsymptom zu deuten ist. 
Das Schwanken findet mehr nach rechts statt und, wie mehrfach von anderer 


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284 


Seite hervorgehoben worden ist, soll dies für linksseitigen Sitz des Tumors 
sprechen. Doch sind auch Beobachtungen im entgegengesetzten Sinne gemacht 
worden, so dass vorläufig mit dieser Erscheinung noch nichts Sicheres anzu¬ 
fangen ist 

Schwindelgefühl und Schwindelanfälle sind mit Läsionen des Laby¬ 
rinths oder des N. vestibularis in seinen peripheren oder centralen Bahnen in 
Zusammenhang zu bringen. Da Gehörstörungen bei dem Patienten fehlen, so 
ist eine Läsion des peripheren Vestibularis auszuschliessen, da sonst wohl eine 
gleichzeitige Schädigung des N. cochleae kaum ausbleiben würde. Vielmehr 
haben wir an die Gegend des Corpus restiforme und der centralen Kerne des 
Kleinhirns, als die centralen Bahnen und Endausbreitungen, bezw. Ursprünge 
des Vestibularis zu denken. Doch kann bisher keine weitgehende Schädigung 
derselben stattgefunden haben, da der Schwindel doch nur vereinzelt zur Be¬ 
obachtung gelangt ist. 

Nach Luciani ist der functionelle Einfluss des Kleinhirns auf die Körper¬ 
muskulatur ein dreifacher, nämlich athenischer, tonischer und statischer, und 
Läsionen des Kleinhirns bedingen demnach Asthenie, d. h. Schwäche der Musku¬ 
latur, Atonie, d. h. Verminderung des Tonus derselben, und Astasie, d. h. co- 
ordinatorische Unregelmässigkeiten in der Aufeinanderfolge der Muskelcontractionen. 
Sind die Kleinhirnläsionen auf eine Seite beschränkt, so zeigen sich diese 
Störungen auf der gleichen Körperseite. Von asthenischen Erscheinungen haben 
wir, wenn wir nicht nach dem Vorgänge Luciani’s und beistimmenden Be¬ 
merkungen Anderer, z. B. Risien Russel’s, Bbuns’ und A. Steffen’s, die 
cerebellare Ataxie auf Schwäche der gesammten Muskulatur, und besonders der 
Rumpfmuskulatur zurückführen wollen, bei unserem Patienten keine zu er¬ 
wähnen. Hingegen fiel bei ihm eine deutliche Herabsetzung der mecha¬ 
nischen Muskelerregbarkeit auf und ich möchte hierin den Ausdruck eines 
herabgesetzten Muskeltonus erblicken. Auf ein Symptom möchte ich gleich hier 
noch eingehen, das ist das Verhalten der Sehnenreflexe. Sie fehlen links 
ganz und sind rechts zum Theil sehr herabgesetzt. Speciell das Fehlen der 
Patellarreflexe ist bei Kleinhimtumoren öfter beobachtet worden, ohne bisher 
eine sichere Erklärung zu finden. In einzelnen Fällen, so von Wollenbebg, 
wurden ja Rückenmarksveränderungen gefunden, von Nonne auch gleichzeitige 
Sarcomatose der Rückenmarkshäute, aber es giebt eine grosse Reihe sicherer 
Beobachtungen, in denen das Fehlen der Reflexe bei uncomplicirter Kleinhirn- 
erkrankung bestand. Nonne hat noch kürzlich die verschiedenen in Betracht 
kommenden Theorieen zur Erklärung dieses Verhaltens zusammengestellt. 1 Die 
erste derselben, Annahme der Aufhebung einer supponirten antagonistischen 
Wirkung des Kleinhirns gegenüber dem Reflex hemmenden Einfluss des Gross¬ 
hirns, ist eine durch nichts bewiesene Vermuthung. Die zweite, welche das 
Fehlen der Reflexe auf einen complicirenden Hydrocephalus zurückführt, kommt 
in unserem Falle nicht in Betracht, da sich dann nicht erklären liesse, warum 


1 Neorolog. Centralbl. 1897. S. 286. 

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die Reflexe links aufgehoben, rechts (wenigstens an den Beinen) jedoch theils 
vorhanden, theils abgeschwächt sind. (Dasselbe Moment spricht Qbrigens in 
unserem Falle auch gegen die schon ausgesprochene Theorie von einem toxischen 
Einfluss der Tumorsäfte auf die Hinterstränge des Rückenmarks und dadurch 
bedingte Ausfallserscheinungen auf dem Gebiete der Reflexe.) Eine 3. Theorie 
nimmt Druckreizung in der Medulla oblongata an, wobei aber wunderbar bleibt, 
dass eine Reizung motorischer und Reflexbahnen die Reflexe aufheben soll, 
was mit sonstigen pathologisch - anatomisch gestützten klinischen Beobachtungen 
im Widerspruch steht Endlich führt eine 4. Theorie das Schwinden der Reflexe 
auf Atonie der Muskulatur zurück, eine Theorie, die mir in unserem Falle am 
meisten anwendbar zu sein scheint, da wir ja auch schon die herabgesetzte 
mechanische Muskelerregbarkeit zu registriren hatten. Ausserdem lässt sich die 
Halbseitigkeit der Erscheinung sehr gut mit den Ergebnissen Luciani’s ver¬ 
einigen, nach denen halbseitige Kleinhimläsionen Atonie derselben Körperseite 
hervorrufen. Wir hätten demnach den Rückschluss zu machen, dass der Tumor 
bei unserem Patienten linksseitig sässe. 

Ob die choreatischen Bewegungen der Zunge als Zeichen von Astasie auf¬ 
zufassen sind, lasse ich dahingestellt Ein directes Herdsymptom kann es sein 
nach anderen Beobachtungen, z. B. denen von Petersen, welcher bei einem 
Gliom des Mittellappens choreatische Bewegungen in den Muskeln des Gesichts, 
Halses und aller 4 Extremitäten sah. 1 

Die nächste Gruppe von Krankheitserscheinungen wollen wir zusammen¬ 
betrachten, nämlich die Unbeholfenheit in den feineren Finger- und 
Zehenbewegungen rechts ohne Herabsetzung der groben Kraft, die 
leichte Ataxie in der rechten Hand und dem Intentionstremor 
namentlich ebenda. Von der Ataxie ist gewiss, dass sie nicht als directes 
Herdsymptom des Kleinhirns anzusehen ist, dass sie vielmehr auf Druckwirkung 
auf den darunterliegenden Hirnstamm zurückzuführen ist, wie eine grosse Anzahl 
von Einzelbeobachtungen beweist, cf. Oppenheim und Bruns. Die cerebellare 
Ataxie charakterisirt sich durch gleichmässiges Betroffensein der ganzen Körper¬ 
muskulatur, aber nicht einzelner beschränkter Körperabschnitte. 

Der in unserem Falle so schön ausgeprägte Intentionstremor des rechten 
Armes ist gleichfalls mit grosser Wahrscheinlichkeit auf Druck der Bahnen des 
Hirnstammes zu beziehen, wie andere Fälle mit Obductionsbefund, z. B. von 
Oppenheim, Bruns, Wollenberg, Donath u. A. beweisen. Da durch den 
Druck des Tumors die linksseitig verlaufenden, noch ungekreuzten motorischen 
Bahnen betroffen sein müssen, weil ja die Störungen die rechte Seite befallen 
haben, so hätten wir darin ein weiteres Argument für die Annahm e eines links¬ 
seitig sitzenden Kleinhirntumors gewonnen. Auch die Ungeschicklichkeit in den 
rechten Fingern und Zehen ist ein Symptom der Läsion der centralen moto¬ 
rischen Bahnen zwischen Grosshirnrinde und Rückenmarksvorderhörnern, wie 
man bei entsprechend sitzenden Tumoren des Grosshirns oder Pons öfter 

1 Journal of nervous and mental diaeaaes. Vol. XXI. iS. 398. 

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beobachten kann. Auch sie spricht demnach für Druck auf die linke Hälfte 
des Hirn8tammes. Man darf diese Ungeschicklichkeit übrigens nicht mit der 
halbseitigen Asthenie Luciani’s verwechseln. Zweifelhaft könnte schon eher sein, 
ob der Tremor ein Symptom der Asthenie ist, was aber für unseren Fall zu 
verneinen ist, da ja sonst der Tremor links auftreten müsste. 

Erscheinungen seitens der Hirnnerven haben wir nur in sehr spärlichem 
Grade, solche der Augenmuskelnerven und des Trigeminus fehlen ganz. Da¬ 
gegen deutet wohl die Pulsbeschleunigung auf eine Beeinträchtigung des Vagus¬ 
centrums oder -Nerven. Für die Diagnose der Körperseite ist damit nichts 
anzufangen. Ausserdem hat die Untersuchung nur noch eine Parese des 
linken Gaumenbogens ergeben und schliesslich hat Patient einmal geäussert, 
dass ihm das zuweilen auftretende Ohrensausen das linke Ohr zu be¬ 
treffen scheine. Diese beiden Symptome sind, wenn überhaupt, dann auf Be¬ 
theiligung des linken Facialis und Acusticus zu beziehen und würden also 
gleichfalls für linksseitigen Sitz des Tumors sprechen. Ferner deutet das 
Verschontbleiben der Augenmuskelnerven darauf hin, dass der Tumor so weit 
nach hinten im Kleinhirn sitzen muss, dass vorwiegend die distalen Hirnnerven- 
paare seinem Druck ausgesetzt sind. 

Alles in allem ergiebt die Analyse der Krankheitserscheinungen, dass mit 
grosser Wahrscheinlichkeit ein Tumor des Kleinhirns, und zwar im hinteren 
Theil der linken Hemisphäre diagnosticirt werden darf. Welcher Art dieser 
Tumor ist, lässt sich schwer sagen. Gegen einen Tuberkel spricht, wenn auch 
nicht absolut, dass Tuberculose in der Familie des Patienten nicht heimisch 
ist und Patient selbst auch keinerlei Erscheinungen sonstiger Tuberculose dar¬ 
bietet Bleibt nur die Annahme eines Glioms oder Sarcoms. Das verhältniss- 
mässig langsame Fortschreiten der Symptome und demnach wohl auch nur 
langsame Wachsthum der Geschwulst lässt die Annahme eines Glioms berech¬ 
tigter erscheinen. Damit werden auch die Aussichten einer etwaigen Operation 
auf ein äusserst niedriges Niveau herabgedrückt. Sollte eine Obductio iutra 
vitam oder post mortem vorgenommen werden, werde ich nicht verfehlen, den 
Befund kurz mitzutheilen. 


3. Zur Aetiologie der functionellen Neurosen (Hysterie und 

Neurasthenie). 

Von Dr. E. Biernacki, 
ordinir. Arzt am Wola-Krankenhaus zu Warschau. 

Was im Nachfolgenden über die Aetiologie und das Wesen der Hysterie 
und Neurasthenie mitgetheilt wird, kann vorläufig nur als Hypothese gelten. 
Es ist dies aber eine Frage, welche in so bequemer Weise und so beweiskräftig, 
wie z. B. die Aetiologie der Infectionskrankheiten, kaum je beantwortet werden 
kann. Zweitens darf ich meine Auffassung ganz neu vielleicht nicht nennen: 

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dieses and jenes lässt sich wahrscheinlich hier und da auffinden, die Idee exi- 
stirt, sozusagen, im schlummernden Zustande. Es scheint nur, dass die mitzu- 
theilenden Ansichten in der gewählten Form und Abrundung noch nicht aus¬ 
gesprochen wurden. Und wenn auch in unserer Wissenschaft die geringsten 
Tbatsachen mit Recht mehr bedeuten, als die geistreichsten Hypothesen, so wage 
ich doch meine Theorie zu publiciren in der Ueberzeugung, dass sie besser als 
die bisherigen viele Erscheinungen der Hysterie und Neurasthenie klärt. 

Gegenwärtig werden Hysterie und Neurasthenie als primäre Erkrankungen 
des Nervensystems angesehen, welche sich mit ihrem Charakter und Symptomen 
von einander unterscheiden, doch sehr häufig zusammen Vorkommen („Hystero- 
neurasthenie“)* »Hie Symptome der Neurasthenie sind die der Ermüdung; die 
Neurasthenie ist eine durch Thätigkeit herbeigeführte gesteigerte Ermüdbarkeit; 
je grösser die angeborene Anlage, um so geringer braucht die krankmachende 
Thätigkeit zu sein“ (Moebius). 1 Dagegen ist die Hysterie gemäss den Arbeiten 
der französischen Schule (Charcot, Janet) und in Deutschland vor Allem 
Moebius eigentlich eine Geisteskrankheit, deren Symptome meistens auf psy¬ 
chischem Wege entstehen. „Alle hysterischen Erscheinungen sind Suggestionen 
der Form nach, ein Theil von ihnen ist dem Inhalte nach nicht suggerirt, 
sondern eine krankhafte Reaction auf Gemüthsbe wegungen“ (Moebius). 2 Was 
für ein Zustand der Nervenzellen den unmittelbaren Ausgangspunkt für die 
„functioneilen“ Nervensymptome bildet, bleibt bisher vollkommen dunkel. Man 
hofft die Lösung der Frage auf anatomischem Wege zu finden. Allerdings liegt 
die Ursache dieses Zustandes (als Ursache der Hysterie) in der Heredität: bei 
angeborener Anlage haben anderweitige Momente — Gemüthserschütterungen, 
Trauma, chronische Constitutionserkrankungen, chronische Intoxicationen u. dgl. —, 
welche auch als „Ursachen“ der Hysterie angegeben werden, nur die Bedeutung 
von „Agents provocateurs“. 

Der Gedanke, dass der pathogenetische Schwerpunkt bei functioneilen Neu¬ 
rosen nicht im Nervensystem liegen kann, ist bei mir anlässlich der Blut¬ 
untersuchung in zwei Fällen schwerer Neurasthenie vor einigen Jahren ent¬ 
standen. Trotzdem das Blut bezüglich des Wasser- und Hämoglobingehaltes, 
weiter des Gehaltes an anorganischen Bestandtheilen, seitens der Blutkörperchen¬ 
zahl u. s. w. normal oder fast normal war, zeigte es einige Eigenthümlichkeiten, 
und namentlich einige Zeichen des defibrinirten Blutes: es sedimentirte so 
langsam, wie das defibnnirte Blut, und bildete dabei ein grösseres Sediment, 
als in der Norm. Es wurde sogar dieser Zustand unter dem Namen von 
„Oligoplasmie“ von mir beschrieben, indem deren Ursache Armuth an Fibrinogen 
zu sein schien. In der That liess sich das frisch aus der Ader gelassene 
Blut dieser Neurastheniker sehr schwer defibriniren und war die Fibrinaus¬ 
scheidung makroskopisch sehr gering. Ja, auch bei qualitativer Fibrinbestim¬ 
mung in zwei späteren Fällen von Neurasthenie mit „oligoplasmischen“ Blute 
wurden unternormale Werthe bestimmt (l,7°/ 00 statt der normalen 2°/ 00 ). 


1 Moebius, Nenrolog. Beiträge. II. S. 69. 
* I. c. 1. S. 31. 

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Noch mehr machte auf sich aufmerksam ein Fall von hysterischer Stumm¬ 
heit bei einer 30jähr. kräftig gebauten Frau. Das Blut enthielt bei normalen 
sonstigen Verhältnissen ca. 4°/ 00 Fibrin, d. h. zweimal mehr als in der Norm, 
obgleich keine der üblichen Ursachen der Fibrinsteigerung (vor Allem Fieber) 
vorhanden war. Die Beobachtung blieb nicht vereinzelt: bald darauf habe ich 
in einem Falle von männlicher Hysterie 4°/ 00 Fibrin gefunden. 

Seitdem die spontane Blutsedimentirung, als eine wissenschaftliche und 
praktische Untersuchungsmethode angewendet worden war, konnten die obigen 
Beobachtungen systematisch fortgesetzt werden. Das Wesen der Methode 1 
besteht darin, dass man die Geschwindigkeit der spontanen Blutsedimen¬ 
tirung, d. h. der Theilung des Blutes in zwei scharf abgegrenzte Schichten, die 
des Plasmas und die des rothen Bodensatzes im Oxalatpulverblute (ungeronnenen 
Blute), auch im defibrinirten Blute verfolgt. Man bedient sich nur a kleiner, 
durch Punction der Vena mediana gewonnenen Blutmengen (1 ccm), welche 
gleich nach der Entnahme in speciellen in l / 10 ccm getheilten Cylinderohen zur 
Sedimentirung gelassen werden. Die Ausscheidung des Plasmas erfolgt sehr 
rasch, so dass der grösste Theil desselben häufig schon nach 1 Stunde abge¬ 
schieden wird. Man liest die angesammelte Plasmaquantität nach %, nach 1 
und dann nach 24 Stunden ab, d. h. zur Zeit, als der Sedimentirungsprocess 
zu Ende gekommen ist. In der Norm werden nach der ersten halben Stunde 
etwa 25—35%, nach der ersten Stunde 45—70% der gesammten (nach 
24 Stunden sichtbaren) Plasmamenge ausgeschieden. Für die normale Sedi- 
mentirungscurve erscheint es dabei charakteristisch, dass in der ersten halben 
Stunde annähernd ebensoviel, mitunter etwas mehr Plasma als in der zweiten, 
zum Vorschein kommt. Endlich ist im normalen Blute das Volumen des constanten 
rothen Sedimentes, merkwürdigerweise, der Zahl von Hunderttausenden Blutkörper¬ 
chen gleich, oder steht es ihr sehr nahe. So z. B. werden aus 5,35 Millionen 
Blutkörperchen im ganz normalen Menschenblute etwa 51—54 Vol. Procent, 
aus 5,6 Mill. 55—58 Vol. Procent Sediment u. s. w. gebildet 

Thatsache ist, dass die spontane Blutsedimentirung kein rein mechanischer 
Vorgang ist; als Thatsache kann auch angesehen werden, dass die Geschwindig¬ 
keit der Blutsedimentirung mit dem Fibrinogengehalte im Zusammenhänge 
steht: mit der Zunahme des Fibrinogens nimmt die Sedimentirungsgeschwindig- 
keit zu, mit dessen Abnahme nimmt sie auch ab. 2 Eben dank diesem Umstande 
ist die Sedimentirungsgeschwindigkeit im defibrinirten Blute in der Kegel ge¬ 
ringer als im diesbezüglichen Oxalatblute. Die Fibrinogene erleiden aber im 
stehenden Oxalathlute eine Umwandlung und ihre Menge nimmt langsam, doch 
constant ab. Andererseits findet im stehenden defibrinirten Blute häufig eine 
Regeneration der Fibrinogene statt Durch diese Processe und ihre verschiedene 


1 Die Beschreibung der Methode s. in der Deutschen med. Wochenschrift. 1897. Nr. 48, 
auch Gazeta lekarska. 1897. Nr. 86 u. 87. 

1 Die nähere Besprechung dieser Thesen s. in meiner Arbeit: Weitere Beobachtungen 
Uber die spontane Blutsedimentirung. Zeitschrift f. physiolog. Chemie. 1897. Bd. XXIII. 
H. 4 u. 6. 

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Intensität in verschiedenen Blutarten wird natürlich auch die Sedimentirungs- 
curve anders, das gegenseitige quantitative Verhältniss der zeitlich abgeschiedenen 
Plasma* und Serumportionen verschieden beeinflusst und modificirt 

Bei Untersuchung von 18 Fällen von Hysterie und Neurasthenie, bezw. 
Hysteroneurasthenie habe ich nun ausgesprochene Veränderungen der Blutsedi- 
mentirung constant feststellen können, der Art, dass bei Subjecten mit vorwie¬ 
genden neurasthenischen Symptomen sehr häufig (doch nicht immer) eine abnorm 
langsame Sedimentation, und bei den Kranken mit hysterischem Krankheits¬ 
bilde sehr häufig eine abnorm rasche Senkung zum Vorschein kam. Bei der 
abnorm langsamen Sedimentation war das Sedimentvolum trotz normaler Blut¬ 
körperchenzahl grösser und bei der abnorm raschen unter denselben Bedingungen 
kleiner als in der Norm. Die Veränderungen waren desto frappanter, als bei 
einer Reihe von diesen functionellen Nervenkranken, bei welcher auch das 
specifische Gewicht des Blutes u. dgl. bestimmt wurden, das letzte sich als 
normal erwies. Unter 7 quantitativen Fibrinbestimmungen wurden dabei 2 Mal 
abnorm hohe (oben erwähnt) und 2 Mal abnorm niedrige Werthe getroffen. 

Auf meine Anregung unternahm Herr Dr. Luxenbubg, früherer Assistent 
der hiesigen medicinischen Facultätsklinik, die weitere Bearbeitung des Themas, 
indem er ausser den Sedimentirungsverhältnissen zugleich den Wassergehalt des 
Gesammtblutes und des Plasmas, die Blutkörperchenzahl und in vielen Fällen 
auch den Fibringehalt in sorgfältigster Weise bestimmte. Die Untersuchung 
fand in über 30 Fällen Hysterie und Neurasthenie (meistens länger bekannte 
Fälle, darunter viele von „grosser“ Hysterie) statt Indem nun Luxenbubg 
die Blutkörperchenzahl und den Wassergehalt des Blutes in 8 / 10 der Fälle als 
absolut normal (auch bei anscheinend stark anämischem Aussehen der Kranken) 
fand, vermisste er Sedimentirungsanomalieen fast nie. ln den meisten 
Fällen (etwa */J waren sie so stark ausgesprochen, dass ihre Existenz auch bei 
den breitesten Grenzen der Norm keinem Zweifel unterliegen konnte, in den 
übrigen zeigte die Sedimentirung allerdings diese oder jene Zeichen, durch 
welche sie von dem normalen Verhalten charakteristisch abwich. Besonders 
traten in letzteren Fällen häufig Anomalieen der Sedimentirungscurve stark 
hervor, so dass in der zweiten halben Stunde gegen die Norm 3—6 Mal mehr 
Plasma abgeschieden wurde, als in der ersten. Auch bei den quantitativen 
Fibrinbestimmungen begegnete Luxenbubg abnorm hohen und abnorm niedrigen 
Fibrinwerthen nicht selten. 

Es sind also bisher ca. 50 Fälle von Hysterie und Neurasthenie auf die 
Sedimentirungsverhältnisse untersucht; nach den Ergebnissen darf man behaupten, 
dass Abnormitäten der spontanen Blutsedimentirung bei diesen Krankheiten 
constant existiren. Indem, wie gesagt, die spontane Blutsedimentirung mit 
dem Fibringehalte des Blutes im engen Zusammenhänge steht, darf man es als 
feststehend annehmen, dass bei Hysterie und Neurasthenie der Gehalt 
anFibrinogenen, derenUmwandlung undRegeneration im absterben¬ 
den Blute und die Fibrinmenge im Verhältniss zur Fibrinogenmenge 
constant abnorm sind. 

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Diese Thatsacbe gewinnt au Sinn und Bedeutung, nachdem die physio¬ 
logische Bolle der Fibrinogene einigermaassen geklärt worden ist Es sind 
Körper, welche dem Blute Eigenschaften des lebenden Gewebes verleihen; sie 
reguliren die Sauerstoffcapacität und den Sauerstoffbestand des Blutes und 
geht die Fibrinbildung mit der Bindung von lockerem Sauerstoff einher. Die 
Fibrinogene dürfen als in Oxydation begriffene Ei weisskörper angesehen werden. 1 
Wenn nun einmal mittelst der spontanen Blutsedimentirung Anomalieen des 
Fibrinogenbestandes nachgewiesen werden, so gewinnt man dadurch mittelbar 
Hinweise auf einen abnormen Ablauf derjenigen Processe, welche mit der 
Regulation und dem Bestände an Sauerstoff zu thun haben, d. h. der Oxy- 
dationsprocesse. Gewiss sind dies keine so genauen und bestimmten Hin¬ 
weise, wie sie mitunter durch die Harnuntersuchung (Nachweis von Zucker, 
Aceton, Oxybuttersäure u. dgl.) geliefert werden. Dadurch kann aber der Werth 
der Blutsedimentirung nicht herabgesetzt werden in denjenigen Fällen, in welchen 
bisher keine Zeichen der abnormen Oxydatiou bekannt waren, überhaupt keine 
Methoden zur Ermittelung der letzteren existirten. 

Dass das oben gesagte speciell in Bezug auf die Hysterie und Neurasthenie 
keine zu kühne Schlussfolgerung, keine leere Hypothese ist, dafür spricht fol¬ 
gende merkwürdige Erscheinung. Bei einigen Neurasthenikern ist mir schon 
vor längerer Zeit eine helle Färbung des venösen Blutes aufgefallen — 
um zu betonen — neben ganz normaler Blutkörperchenzahl und ganz nor¬ 
malem Wasser- und (natürlich) Hämoglobin gehalte. Luxknbubq 
beobachtete dasselbe über 10 Mal unter seinen 30 Fällen, auch in dem Falle 
von klassischer traumatischer Neurose. Diese Helligkeit ist häufig so stark 
ausgesprochen, dass das venöse Oxalatblut im Gegensatz zu normalen Ver¬ 
hältnissen sich nur wenig mit seiner Farbe von dem arterialisirten defibrinirten 
Blute unterscheidet. Angesichts des Mangels von Hydrämie lässt dieses Ver¬ 
halten des venösen Blutes den Schluss machen, dass es zuviel Oxyhämoglobin 
enthält, ln einem Falle von langsamer Sedimentirung bei einer Hysterischen 
habe ich in der That bei directer Gasbestimmung so viel lockeren Sauerstoff 
im venösen Blute gefunden (ca. 13 °/ 0 ), wie in keinem anderen. In einem 
anderen Falle von Neurasthenie mit nervöser Dyspepsie trat das abnorme Ver¬ 
halten des Sauerstoffbestandes im arterialisirten Fluoratblute hervor. In der 
Regel findet man in solchem Blute desto weniger lockeren Sauerstoff, je später 
es nach dem Aderlässe arterialisirt und entgast wird, während das defibrinirte 
Blut am häufigsten das entgegengesetzte Verhalten zeigt (mehr 0 bei späterer 
Entgasung). Im Falle von Neurasthenie wurden 1 Stunde nach dem Aderlässe 
im arterialisirten Fluoratblute 16,02 Vol. Procent, und 24 Stunden später 
20,68 Vol. Procent Sauerstoff gefunden: es ähnelte also das Fluoratblut in dieser 
Hinsicht dem sonstigen defibrinirten Blute. 

Ich bin leider nicht im Besitze von Gasanalysen in den Fällen mit rascher 


1 Näheres darüber s. in meiner Abhandlung: Beiträge zur Pnenmatologie des 
pathologischen Menschenblutes u. s. w. Zeitschr. f. klin. Medicin. 1896—1897. 


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Sedimentation bei functionellen Neurosen: um nach sonstigen Krankheitsformen 
zu beurtheilen, dürfte hierbei zu wenig Sauerstoff im venösen Blute zu erwarten 
sein. Es fallt ausserdem an solchen rasch sedimentirenden Blutarten bei Hysterie 
eine erhöhte Gerinnbarkeit häufig auf. Trotz Ueberschusses an Natriumoxalat 
(0,2°/ 0 ) bildete das Blut im Sedimentirungscylinderchen in einigen Fällen eine 
Gallerte, welche merkwürdigerweise manchmal sich wieder auflöste, um nachher 
rasch zu sedimentiren. Ehe ich diese Eigenschaft kennen gelernt hatte, warf 
ich die Gallerte aus dem Sedimentirungsgefässchen fort und verlor somit die 
Beobachtung. 

Beobachtet man einmal zwei congruente Erscheinungen, so wird sofort der 
Verdacht auf ihren gegenseitigen ursächlichen Zusammenhang erweckt Es 
spitzt sich dabei natürlich die Frage dahin zu, was primär und was secundär 
ist Gemäss den modernen Ansichten über die Hysterie und Neurasthenie als 
„primäre“ Nervenkrankheiten würde die Auffassung der festgestellten Sedimen- 
tirungsanomaheen, als secundärer Erscheinungen Manchem ganz einfach 
erscheinen. Dieser Annahme steht aber im Wege — die Constanz der 
Blutveränderungen. Was secundär bei einer Erkrankung ist, pflegt vielleicht 
nur selten constant zu sein. Primäre Erscheinungen als Ursachen sind 
constant und ausserdem specifisch. 

Nun sind diejenigen Sedimentirungsanomalieen, welche bei Hysterie und 
Neurasthenie Vorkommen, zwar constant, doch durchaus nicht diesen Erkran¬ 
kungen allein eigen. Ganz dieselbe rasche Sedimentirimg, wie bei Hysterie, 
kommt in der Regel bei febrilen Erkankungen, bei Tuberculose, bei 
Anämieen u. dgl. vor; die langsame tritt bei Nierenkrankheiten, Herzfehlern 
nicht selten ein. Es ist aber zu bemerken, dass die rasche und langsame Sedi¬ 
mentation bei anderweitigen Erkrankungen am häufigsten gleichzeitig mit Hy- 
drämie verschiedenen Grades existiren, während bei functionellen Neurosen, wie 
einmal erwähnt, das Blut nur ausnahmsweise erhöhten Wassergehalt zeigt 

Man muss die Thatsache ins Auge fassen, dass die Sedimentirungsano¬ 
malieen, indem sie auf gestörte Oxydation hinweisen sollen, an sich nur ein 
Symbol sind, in analoger Weise, wie das bronchiale Athemgeräusch Symbol 
von verschiedenartiger Lungenverdicbtung ist. Somit kann eine und dieselbe 
Sedimentirungsverändernng Symbol von verschiedenartigen Oxydationsstörungen 
sein. Dem ist auch so: die rasche Sedimentirung bei Icterus und Infections- 
krankheiten darf in der That auf identische Oxydationsstörung nicht hinweisen. 
Mag auch die rasche und die langsame Sedimentation bei functionellen Neurosen 
dieselben Anomalieen des tbierischen Chemismus, wie z. B. bei Infecüonskrank- 
heiten und Nephritis bedeuten, so haben wir in letzteren Erkrankungen mit 
einer Organerkrankung und Infection zu thun, was beides in der Hysterie und 
Neurasthenie fehlt 

Eine beweiskräftige Lösung der Frage nach der Specifität und dem Primär¬ 
sein der besprochenen Sedimentirungsbefunde lässt sich übrigens auf bisherigem 
Wege nicht auffinden. Ich würde auch die Analyse dieser Befunde nicht so 
weit führen, wenn es eine Reihe von anderweitigen Thatsachen nicht gäbe. 

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Diese Th&tsachen stehen im besten Einklang mit unserer Deutung der 
Sedimentationsanomalieen bei Nervenkranken, als Zeichen der gestörten Oxy¬ 
dation; dadurch gewinnt auch diese Deutung immer mehr an Wahrscheinlichkeit, 
zugleich auch die Vermuthung, dass Störungen der thierischen Oxydation bei 
Hysterie und Neurasthenie primär sind. 

Thatsache ist es vor allen Dingen, dass der hystero-neurasthenische 
Symptomcomplex im Anschluss, besser gesagt als Folge verschiedenartiger 
Constitutionserkrankungen (deren Ausgangspunkt gemäss der modernen Ansichten 
durchaus nicht im Nervensystem liegt) also seoundär sich einstellen kann. Den 
schlagendsten Beweis bietet die Chlorose. 1 Die sogenannten Chlorosesymptome, 
abgesehen von unmittelbaren Symptomen der Hydrämie, anders die subjectiven 
Chlorosesymptome bieten eigentlich Symptome einer allgemeinen Neurose, einer 
Hysterie, bezw. Hysteroneurasthenie, welche sich mit der Bluterkrankung ein¬ 
stellt und beim Zurücktreten derselben auch meistens verschwindet. Das war 
schon Troüsseau bekannt; die meisten modernen Autoren wissen davon, wie es 
scheint, nur wenig, indem sie die subjectiven Symptome als echte Chlorosesymptome 
beschreiben und ausserdem von der Combination der Chlorose mit Hysterie 
sprechen. Von einer solchen Combination dürfte vielleicht nur dann die Bede 
sein, wenn bei einer Hysterischen ohne Blutkrankheit sich erst nachher die 
Chlorose entwickelt. Wer aber den hystero-neurasthenischen Symptomencomplex 
einigermaassen kennt, für den unterscheidet sich die Chlorotische Neurose von 
der „idiopathischen“ durch Nichts. Sie ist gewiss nicht in allen Fällen gleich 
stark entwickelt, mitunter fehlt sie sogar bei der grössten Hydrämie fast voll¬ 
ständig, ein anderes Mal ist sie mehr monosymptomatisch, indem Globus, Kopf¬ 
schmerzen, Neuralgie, Intercostalneuralgie u. dgl. an eine andere Stelle treten. 
Diese „kleine“ Hysterie kann sich auch zu einer „grossen“, zu hysterischer Psychose 
steigern; nicht selten hat man eine typische „Irritatio spinalis“ vor sich. Ich 
brauche das Alles mit Krankheitsgeschichten nicht zu illustriren, denn jeder 
Arzt kann dasselbe in seinem Material wiederfinden. Practisch wichtig ist es, 
dass in manchen Fällen trotz des Zurücktretens der Blutkrankheit die Neurose 
fortbesteht: somit wird die Chlorose zu „Agent provocateur“ der Hysterie. 

Diese enge Mitexistenz der allgemeinen Neurose und der Bleichsucht tritt 
besonders beweiskräftig in den Fällen hervor, welche „Formes frustes“ der 
Chlorose genannt werden können, d. h. Fälle, wo trotz ausgesprochener Hydrämie 
äussere Zeichen der Chlorose fehlen. Es werden solche Fälle von den einen 
Aerzten — ich sage das ans persönlicher Erfahrung —, als idiopathische 
Hysteroneurasthenie diagnosticirt, während sie für die anderen — besonders, falls 
man die Blutuntersuchung ausgeführt hat — nur „chlorotische“ Neurose mit 
sich bilden. 

Bekannt und anerkannt — um nach dem neuesten Referate von Eulen¬ 
burg zu beurtheilen — ist weiter das secundäre Auftreten der functioneilen 


1 Vgl. meine Abhandlung: Ueber den Krankheitsbegriff der Chlorose. Wiener medicin. 
Wochensohr. 1897. Nr. 8—11. 


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Neurose bei Morbus Basedowii. Es handelt sich dabei um Coexistenz einer 
Reihe von speciellen Symptomen (Exophtalmus, Struma u.s.w.) mit einer Hystero- 
neurasthenie, welche bei Besserung der Erkrankung abnimmt oder vollkommen 
verschwindet. Indem der Ausgangspunkt und das Wesen des Morbus Base¬ 
dowii in einer Erkrankung der 61. thyreoidea und nachfolgender Intoxication 
bestehen soll, liegt die Entstehung der Hysteroneurasthenie bei dieser Krankheit 
als Folge der Intoxication des Centralnervensy.stems auf der Hand. 

Drittens scheint das secundäre Auftreten der Hysterie im Anschluss an 
arthritische Oxydationsstörung auch höchst wahrscheinlich, vielleicht ganz 
sicher sein. Es giebt eine Reihe von Personen im Alter von 35—45 Jahren, 
bei welchen neben allgemeinen Zeichen der harnsauren Diathese, wie Neigung 
des Harns zu Sedimentum lateritium, hartnäckiges Befallensein eines Nerven 
oder Muskels in der Nähe der Gelenke, hartnäckige Lumbago und Ischias u. dgl. 
ein klares Bild von Hysterie oder Neurasthenie sich allmählich einstellt. In 
einigen eigenen Fällen, welche ich seit längerer Zeit beobachte, bessern sich die 
specifischen Zeichen der Neurose (Globus, Parästhesieen neben objectiv constatir- 
baren Anästhesieen, Herzbeschwerden) im Sommer, um im Winter oder Frühling 
an Intensität zuzunehmen: es ist dies also das analoge Verhalten, welches von 
Löwenfeld in den Fällen von „Witterungsneurose“ beobachtet wurde. 


Dieses Auftreten der functioneilen Neurose auf Basis der harnsauren 
Diathese fiel manchen Aerzten so stark auf, dass sie die Ansicht aussprachen 
— die hatte nur wenig, wenn nicht keinen Anklang gefunden —, die Hysterie, 
sogar die Psychosen seien nur Folge der Intoxication des Centralnervensystems 
mit Harnsäure. 

Es scheint, dass auch anderweitige Erkrankungen eine functionelle Neurose 
secundär herbeifuhren können. Ich kenne einen 35jähr. Patienten, der bei 
gutem Aussehen (in der letzten Zeit eine Neigung zur Corpulenz) seit 11 Jahren 
an schwerer Neurasthenie leidet, auch als Neurastheniker viele Jahre hindurch 
(bei ambulatorischer Behandlung) verschiedene antinervöse Curen mit verschie¬ 
denem Erfolg durchmachte, bis er erst vor V/ 2 Jahren als Nephritiker entpuppt 
worden ist. Der intelligente Patient (ein Journalist) kennt seine Krankheits¬ 
geschichte recht gut. 

Beabd erzählt in seinem Buche von der Albuminurie, als einer Folge der 
Neurasthenie. Dafür kann ich aus eigener Beobachtung keinen Beweis liefern. 
Ich kenne aber einen anderen Fall von Nephritis nach Scharlach mit 14jähr. 
Krankheitsdauer, wo die „nephritischen“ Symptome (leichte Oedeme, urämisches 
Erbrechen) erst sub finem eingetreten waren. Sonst bot der Pat nur einen 
ausgesprochenen Habitus hystericus. 

Die zweite Reihe von Thatsachen bezieht sich auf die nahe hereditäre 
Verwandtschaft der Neurosen, speciell der Hysterie mit den Erkrankungen, 
deren Wesen auf abnormen Oxydationsprooessen beruht. In den Werken von 
Chabcot ist häufig die Rede davon, dass in denselben Familien, in welchen 
Nervenkrankheiten hereditär Vorkommen, auch Gicht, Diabetes, Adiposität, chro¬ 
nischer Rheumatismus zu treffen sind. Ich glaube, dies kann von jedem prak- 


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tischen Arzte aus eigener Erfahrung bestätigt werden. Ich möchte ein folgendes 
Beispiel anfflhren: Vater und Mutter Blutsverwandte, Vater gesund, Mutter seit 
vielen Jahren schwer hysteroneurasthenisch, die älteste Tochter (19 Jahre) seit 
mehreren Jahren „kleine“ doch hartnäckige Hysterie, ein Sohn (17 Jahr) Idio¬ 
tismus, die zweite Tochter (14 Jahre) monstruöse Adiposität, seit 2 Jahren hart¬ 
näckig und stetig sich entwickelnd. Aus derartigen Beobachtungen trägt man 
den Eindruck aus, dass es sich im Grunde um eine und dieselbe pathologische 
Störung handelt, welche je nach dem Subjecte specielle Richtung einnimmt. 

Endlich ist das Anftreten der Hysterie unter dem Einflüsse von 
rein materiellen Agentien höchst bemerkenswert]!. Man hat sich gewöhnt, 
in der Anamnese dieser Krankheit vor Allem nach Gemüthsbewegungen zu 
suchen: ja, die Entstehung der Neurose nach Trauma führt man auch auf die 
psychische Erschütterung (Schreck) am liebsten zurück. Es hat aber die Cha.b- 
coT’sche Schule genug Beweise dafür geliefert, dass ebenso häufig weun nicht 
häufiger, die Hysterie unter dem Einflüsse der chronischen Intoxication mit 
Morphin, Schwefelkohlenstoff, Infectionskrankheiten u. s. w. als „Agents provo- 
cateurs“ sich entwickeln kann. Seitens meiner Hysteriker und Neurastheniker 
wird die „Erkältung“ als Ursache der Krankheit nicht selten angegeben. Ich 
möchte — und das kann, glaube ich, jeder Arzt, — Beispiele anführen, wie 
sich hartnäckige Hysteroneurasthenie im Anschluss an Abortus (trotz Aus- 
gleichens der Uterus Veränderungen) eingestellt hat, ein anderes — Recidiv von 
hysterischen „Attaques“ unter dem Einflüsse einer Angina Simplex u. s. w. In 
manchen solcher Fälle lässt sich die hereditäre Belastung nicht nachweisen und 
imponirt dann die chronische Metritis als echte Ursache der Erkrankung. 

Die aufgezählten Thatsachen passen für einander auffallend. Nimmt man 
einmal die Existenz von secundärer Neurose für gesichert an, so entsteht die 
Frage, ob nicht jede Hysterie, jede Neurasthenie nur ein secundärer Symptom- 
complex seitens des Centralnervensystems ist Indem weiter die secundäre 
Neurose im Anschluss an auf Oxydationsstörungen beruhende Erkrankungen auf- 
treten kann und ausserdem als hereditäres Aequivalent solcher Krankheiten 
ganz deutlich sich vorstellt, taucht die Vermuthung auf, ob sie nicht auch eine 
Art von Oxydationsstörung mit secundären Nervensymptomen ist. Diese Ver¬ 
muthung erscheint desto mehr gerechtfertigt, als die Hysterie nach rein mate¬ 
riellen Agentien, unter denen viele in erster Linie die Oxydationsprocesse im 
lebenden Organismus (Intoxicationen, febrile Erkrankungen u. dgl.) beeinflussen, 
zweifellos sich einstellen kann. Dazu kommen endlich unsere Blutbefunde, 
welche auf die constante Existenz von Oxydationsstörungen bei Hysterie und 
Neurasthenie hinweisen. 

Die Verallgemeinerung aller dieser Erscheinungen in ihrem gegenseitigen 
Verhältnisse gelingt nun sehr leicht unter Zugrundelegung einer folgenden Auf¬ 
fassung. 

Es erscheint wahrscheinlich, dass die sogenannten functioneilen 
Neurosen (Hysterie und Neurasthenie) keine primären Erkrankungen 
des Centralnervensystems, sondern nur secundäre Symptomen- 

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complexe in Folge der Einwirkung der Produkte einer primären 
Oxydationsstöruug auf das Nervensystem sind. Somit sollen die 
Hysterie undNeurasthenieErkrankungen ganz von demselben Wesen 
sein, wie Zuckerkrankheit, Gicht, krankhafte Adiposität, überhaupt 
pathologische Zustände, welche auf abnormen Oxydationsprocessen 
im Organismus beruhen. 

Es soll sich dabei natürlich um eine speoifisohe Oxydationsstörung 
handeln, wie specifisch die harnsaure, diabetische und dgl. Oxydationen sind: 
dementsprechend entstände die allgemeine Neurose bei Chlorose oder Gicht da¬ 
durch, weil gleichzeitig „hysterische“ Oxydationsstörung herbeigeführt wird. 
Weniger wahrscheinlich erscheint die Annahme, dass die Symptome der Neurose 
durch die Hydrämie oder harnsaure Diathese an sich allein ausgelöst werden. 
Uebrigens giebt es kein Material zur weiteren Discussion über diese Frage, auch 
zur Analyse der gegenseitigen Verhältnisse der Hysterie und Neurasthenie. Ich 
will auch die Frage unberührt lassen, wo der Ausgangspunkt dieser hypothe¬ 
tischen „nervösen“ Oxydationsstörungen liegt: ob sie auf einer allgemeinen fehler¬ 
haften oxydativen Function der Zellen beruht oder fehlerhaften Function eines 
oder mehrerer Organe, welche von specieller Bedeutung für die thierischen Oxy¬ 
dationen sind, ln Uebereinstimmung mit der CHABOOT’schen Hereditätslehre 
scheint allerdings eine angeborene Fehlerhaftigkeit des Oxydationsapparates 
unentbehrlich zu sein, welcher unter gewöhnlichen Bedingungen im Gleichgewicht 
sich befindet, doch aus demselben sehr leicht — im Gegensatz zu normaler Indi¬ 
vidualität — austreten kann. 1 

Gegen die ausgesprochenen Ansichten können gewiss viele Ein wände ge¬ 
macht werden: es wäre zwecklos dieselben bei gegenwärtigem Stande des Mate¬ 
riales zu analysiren. Dass die functionellen Neurosen nach Gemüthsbewegungen 
häufig sich entwickeln, beweist für die primäre Natur dieser Erkrankungen 
nur wenig. Die Gichtanfälle oder Verschlimmerung der Zuckerkrankheit hat 
man auch unter denselben Einflüssen zur Genüge beobachtet. Es werden aber 
andererseits bei unserer Auffassung manche. Erscheinungen leichter verständlich, 
als bisher. Es ist und bleibt Thatsacbe, dass sehr viele Symptome der Hysterie 
auf psychischem Wege entstehen (Autosuggestionen): dies deute ich mir in der 
Weise, dass die Produkte der hystero-neurasthenisohen Oxydation die Suggestibilität 
in analoger Weise modificiren, wie der Weingeist den Gang der Associationen 
steigert. Es kommen aber bei functionellen Neurosen rein materielle Symptome 


1 Um etwaigen Missverständnissen vorzubeugen, muss es ausdrücklich betont werden, 
dass ich dabei eine Steigerung der Oxydationen als wesentlich bei Hysterie und eine Ab¬ 
nahme derselben bei Neurasthenie (was-Manchem angesichts der oben angegebenen Blut- 
befände erscheinen möchte) durohaus nicht annehme. Die Blutbefunde bilden für mich nur 
Zeichen davon, dass die Oxydationen bei Hysterischen und Neurasthenischen anders vor 
sich gehen, als in der Norm. Ob es sich aber dabei um mangelhafte Oxydation, z. B. der 
Eiweisskörper handelt, oder ob die wichtigste Abnormität die der Oxydation vorausgegangenen 
Spaltungen betrifft, eventuell die wichtigste Rolle dem gegenwärtig so viel besprochenen 
„Oxydationsferment“ zukommt u. dergl., darüber lassen Bich gegenwärtig keine entferntesten 
Vermuthungen aussprechen. 


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vor, welche von den Neurologen vom Fach meistens nur wenig beachtet werden 
und deren Entstehung auf „psychischem“ Wege unmöglich erscheint Ich meine 
hier die so häufigen Anomalieen der Magensaftsecretion (Hyperacidität und Ana¬ 
cidität), die so häufige Prostatorrhoe bei Neurasthenikern, Neigung zn Schweissen, 
hysterisches Fieber u. dgl. Das Alles ist doch, leichter verständlich bei Annahme 
von Toxinen, als Producten der abnormen Oxydation, welche neben der Ein¬ 
wirkung auf das Centralnervensystem gleichzeitig mehr locale Einflüsse ausüben. 
Eine Hyperhydrosis oder Hyperacidität bei Hysteroneurasthenikern erinnert z. B. an 
die Wirkung des Pilocarpins stark. 

Bemerkenswerth sind einige Eigentümlichkeiten des Kranheitsverlaufes der 
Hysterie. Eine gut entwickelte Hysterie oder Neurasthenie ist eigentlich un¬ 
heilbar, bezw. so selten heilbar, wie der Diabetes oder die Dicht Diese Er¬ 
krankungen sind aber besserungsfähig. Seltener kommt es vor, dass die Hysterie 
von Anfang an in gleicher Intensität fortbesteht: im Gegensatz, treten am 
häufigsten Perioden der Besserung ein, welche für die Angehörigen als völlige 
Heilung imponirep. Nun zeigt der Verlauf mancher Fälle letzterer Art eine 
auffallende Aehnlichkeit mit dem der „regulären“ Gicht Wie bei Gicht, ent¬ 
wickelt sich nach einem materiellen oder moralischen „Agent provocateur“ bei 
einer beanlagten Person ein Anfall von Hysterie mit vielen Symptomen, oder 
mehr von monosymptomatischem Charakter, indem Hemianästhesie, Contrac- 
turen, Aphasie, hysterisches Fieber u. dgl. einander Platz machen. Diese Periode 
dauert verschieden lange, wenige Wochen oder mehrere Monate, um unter der 
Behandlung, vor Allem Isolation und Suggestion, einer „Heilung“ Platz zu machen. 
Die Heilung dauert wieder verschieden lange Zeit, Wochen, Monate, seltener 
mehrere Jahre. Freilich kann auch in dieser Periode ein aufmerksamer Arzt 
Dieses oder Jenes auffinden, etwaige Eigentümlichkeiten der Psyche, von Zeit 
zu Zeit einen Globus, oder eine Intercostalneuralgie, Magenbeschwerden (meistens als 
„Magencatarrh“ behandelt), was auf den latenten Zustand der Hysterie hinweist 
So kommt es auch zu gegebener Zeit zum zweiten Anfall, wieder Besserungs¬ 
periode, wieder Recidiv u. s. w. — endlich constantes Vorhandensein von leich¬ 
teren oder schwereren Symptomen. Obiges zeichne ich auf Grund einiger eigenen 
erlebten Fälle. 

Ueber die Behandlung des Gichtanfalles gilt als das Beste „Geduld und 
Watte.“ Der Gichtanfall geht eigentlich von selbst vorüber um nach einiger 
Zeit wiederzukehren. Aehnliches darf man über die Behandlung der Hysterie 
aussprechen. Es unterliegt keinem Zweifel, dass die Suggestion und Isolation 
die Hysterie günstig beeinflussen können. Die Ueberführung einer Hysterischen 
mit grossen Symptomen aus dem Elternhause in eine Nervenanstalt übt mitunter 
einen zauberhaften Einfluss aus: es verschwinden auf einmal viele unangenehme 
Symptome, vor Allem diejenigen, die durch Autosuggestion entstehen nnd für 
die Angehörigen sehr beschwerlich sind. In anderen Fällen entwickeln sich 
aber die Symptome trotz Isolation und Suggestion ununterbrochen, um auf 
einmal ohne nachweisbare Ursache zu verschwinden. Das macht den Eindruck 
aus, dass hierbei die Besserung von selbst eingetreten ist, wie sie von selbst, 

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durch Ausgleichung der oxydativen Processe bei Gicht sich einstellt Gemäss 
unserer Auflassung über das Wesen der functionellen Neurosen würde ich die 
Besserungsperioden bei Hysterie vor Allem auf „Selbstheilung“ in Folge der 
temporären Ausgleichung der speciellen Oxydationsstörung zurüokführen. 


II. Referate. 


Anatomie. 

1) Beiträge sur Kenntniss der Hautnerven des Kopfes, von Richard Zander 
in Königsberg i./Pr. (Anatom. Hefte, herausgeg. von Fr. Merkel in Göttingen 
und R. Bonnet in Greifswald. 1897. Bd. VII. H. 3.) 

Die vorliegende Arbeit enthält die Resultate zahlreicher Untersuchungen, welche 
auf dem Wege der anatomischen Präparation der Kopfhaut gewonnen wurden und 
durch Sensibilitätspr&fungen an Patienten ergänzt worden sind, denen ein oder mehrere 
sensible Nerven durch Operation entfernt waren. Ausser eigenen Prüfungen dieser 
Art hat der Verf. eine Reihe in der Litteratur mitgetheilter Befunde verwendet. 
Die anatomische Präparation geschah in der Weise, dass die Haut mit allen darunter 
liegenden Weichtheilen vom^ Knochen abgelöst und von den Nervenstämmen- her die 
feineren Zweige bis in die innere Fläche der Haut verfolgt wurden. Zur Präparation 
der feineren Nervenverzweigungen in der Cutis musste das derbe Bindegewebe der* 
selben durch Essigsäure zum Aufquellen gebracht werden. Mit Hülfe von Lupen* 
Vergrößerungen gelang es, auf diesem Wege Nervenfädchen zur Darstellung zu 
bringen, welche nur noch eine geringe Anzahl von Fasern enthielten. Dass zu dieser 
Methode nicht nur viel Zeit und Geduld, sondern auch eine virtuose Geschicklichkeit 
in der Handhabung des Messers gehört, ist leicht verständlich. 

Das Resultat der Untersnchungen über das „Ausbreitungsgebiet der Hautnerven 
des Kopfes und seine Variabilität“ im allgemeinen wird in folgenden Sätzen zusammen¬ 
gefasst: 

1. Das Ausbreitungsgebiet der einzelnen sensiblen Kopfnerven sowohl der 
Cervicalnervenzweige, als der Verästelungen des N. trigeminus ist erheblich grösser 
und ist im allgemeinen weiter peripherwärts ausgedehnt, als in den Handbüchern 
angegeben wird. 

2. Es variirt an Grösse in erheblichem Maasse bei verschiedenen Individuen. 

3. Es variirt auf der linken und rechten Seite des Kopfes bei demselben Indi¬ 
viduum. 

Der erste der mitgetheilten Sätze wird verständlich durch die anatomische 
Feststellung folgender wichtigen Thatsache: entgegen den bisherigen Darstellungen 
schneiden die Ausbreitungsgebiete benachbarter Nerven nicht scharf gegen einander 
ab, sondern in gewissen Zonen besitzt die Kopfhaut eine doppelte und mehrfache 
Innervation. Wie diese Verhältnisse sich im speciellen verhalten, darüber muss auf 
das Original verwiesen werden; hervorgehoben werde nur, dass eine doppelte Inner¬ 
vation besonders auch den der Mittellinie des Kopfes benachbarten Gebieten eigen 
ist Von allen in Betracht kommenden Nervenzweigen können hier eine Anzahl 
feiner Aeetchen anf die entgegengesetzte Seite verfolgt werden. 

Am Schluss der Arbeit entwickelt der Verf. auf Grund dieser Befunde seine 
Anschauung Über das Zustandekommen partieller Empfindungslähmungen bei Läsion 

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eines sensiblen Nerven, welche für den Neuropatbologen von besonderem Interesse 
sind. Durch 60 Figuren sind die erhobenen Befunde in vortrefflicher Weise illustrirt 

Max Bielschowslcy (Berlin). 


2) Experimentelle Untersuchungen über die Wurzelgebiete des N. glosso- 
pharyngeus, Vagus und Aooessorius beim Affen, von Dr. A. Kreidl. 
(Sitzungsberichte der kaiserl. Akademie der Wies. Bd. GV1. 1897. Wien.) 

Verf. giebt zunächst eine historische Uebersicht der Frage, wobei er insbeson- 
dere den Arbeiten von Grossmann gerecht wird. Seine eigenen, am Affen an* 
gestellten Versuche f&bren Verf. zu folgenden Schlussfolgerungen: 

1. Der N. laryngeus superior verläuft im oberen Bündel, und zwar in dem als 
„voroberstes“ Bündel bezeichnten Antheil (dabei betrachtet Verf. die drei genannten 
Nerven gemeinsam und spricht mit Grossmann von einem oberen, mittleren und 
unteren Bündel). 

2. Der N. laryngeus inf. bezieht seine Wurzelfasern aus dem mittleren Bündel. 

3. Die Wurzelfasem für die Constrictoren und für die Mm. palatoglossus und 
palatopharyngeus verlaufen im „vorobersten“ Bündel, und zwar die für die letz* 
genannten Muskeln im unteren Abschnitte desselben. ■ 

4. Die Ursprungsfasem für die Muskulatur des Oesophagus lassen sich ebenfalls 
im „vorobersten“ Bündel nach weisen. 

5. Die zum Levator veli verlaufenden Nervenwurzeln liegen im mittleren Bündel. 

6. Die herzhemmenden Fasern befinden sich ebenfalls im mittleren Wurzelbündel. 

7. Die Hering-Breuer’schen Fasern, und zwar jene, welche den Athemrythmus 
reguliren, verlaufen im „vorobersten“ Bündel. 

Verf. fand also im wesentlichen dieselben Resultate, wie sie Grossmann und 
Rdtha für das Kaninchen angegeben hatten. Für die Kehlkopfmuskulatur, bezüglich 
deren bisher die grössten Meinungsverschiedenheiten herrschten, giebt Verf. an, dass 
alle Autoren die Innervation der einzelnen Kehlkopfmuskeln den gleichen Wurzel* 
fasern zumessen, dass der Streit vielmehr nur darum geht, ob die betreffenden Fasern 
zum N. accessorius oder zum Vagus gehören. Redlich (Wien). 


Experimentelle Physiologie. 

3) Artikel oerveau in: Diotionn&ire de Physiologie par Charles Biohet. 
§ 1. Historique. f 2. Hole de l’dooroe oeröbr&le en gdndral. § 5. Des 
oentres de l’öcoroe oeröbrale, par Jules Soury. (Paris 1898.) 

Seit einigen Jahren erscheint in Frankreich der Dictionnaire de Physiologie 
von Charles Richet. Zahlreiche Mitarbeiter haben sich vereint, um, etwa in der Art 
des W'agner’schen Handwörterbuches, ausführliche Monographien zu liefern. Wohl 
der besten eine ist sicher die Monographie, welche neuerdings Jules Soury dem 
Gehirne gewidmet hat, und auf sie möchte Ref. hier die Aufmerksamkeit der Fach* 
genossen lenken. Soury bekleidet an der Sorbonne eine Lehrkanzel, welche aus¬ 
schliesslich der Lehre vom Bau und den Verrichtungen des Gehirns gewidmet ist. 
Mit welch’ peinlicher Sorgfalt er alle Forschungen auf diesem Gebiete verfolgt, mit 
welch’ eingehender Kritik und vortrefflicher Darstellungskunst er sie zu verwerthen 
weise, davon haben mehrere Arbeiten in den letzten Jahrzehnten Kunde gegeben. So 
war es gewiss ein guter Griff, wenn Richet gerade ihm die Bearbeitung einzelner 
Kapitel übertragen hat. Zunächst haben wir hier eine Geschichte der Hirnanatomie 
und Physiologie erhalten, wie sie wohl seit dem Erscheinen der grossen Burdach’- 
schen Monographie nicht mehr geschaffen worden ist 123 Seiten Grossoctav sind 


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der Entwickelung unserer Kenntnisse von den ältesten Zeiten bis zu unseren Tagen 
herunter gewidmet. Für die Zeit von Willis bis Flourens haben wir gerade 
eben durch Max Neuburger auch ein deutsches Buch erhalten, das den gleichen 
Gegenstand trefflich behandelt. Bef. weiss aus persönlicher Mühe und Erfahrung 
wohl zu schätzen, was durch das Erscheinen dieser beiden Werke an Erleichterung 
für die Forschung an interessanter Lectüre für den geboten ist, der sich einmal nur 
orientiren will. Auch die specielle Anatomie und Physiologie der Grosshirarinde ist 
Soury übertragen. Ich glaube nicht, dass wir bisher eine Darstellung besitzen, 
welche auf eine so umfassende Kenntniss des vorhandenen Materiales gestützt mit 
weitem Blicke eine so vortreffliche üebersicht ermöglicht, wie die Soury’sche. Von 
den Anfängen einer auf anatomische Beobachtung gestützten vergleichenden Psycho* 
logie bis zu der so ausgearbeiteten Lehre vom Bau und den Verrichtungen des Seh- 
apparates, von dem ganzen Streit und über die Art, wie man die Localisation in 
der Binde anfzufassen hat, bis zu Lehren von Flechsig, welche hier eine Art Ab¬ 
schluss geben möchten, findet man alles ausführlich und klar vorgetragen. Es ist 
ein ziemlich dicker Abschnitt jenes Handwörterbuches der Physiologie aus dem hirn¬ 
anatomischen Theile geworden. Wahrscheinlich würde es dankbar begrüsst, wenn 
der Verleger ihn auch separat abgeben wollte. Als genussreiche Lectüre und als 
reichhaltiges Nachschlagewerk ist er gleich werthvoll. Edinger. 


4) Zur Frage der Ursachen der Linkshändigkeit, von Dr. A. Bothscliild. 
(Jahrbücher f. Psychiatrie. 1897. Bd. XVI.) 

Ein Ueberblick der in der Litteratur vorhandenen Ansichten über die Links¬ 
händigkeit führt den Verf. zu der Ansicht, dass in einer kleinen Minderzahl eine 
zureichende Erklärung für die Linkshändigkeit sich findet, nämlich dann, wenn 
pathologisch-anatomische Veränderungen des Gehirns in der linken Hemisphäre be¬ 
stehen. — Unsicher ist die Erklärung auf Grund der Vererbungstheorie, zweifelhaft 
ist der Zusammenhang zwischen Linkshändigkeit und Transposition der Eingeweide 
und Anomalieen der Gefässe, am unsichersten ist die Theorie, welche die Linkshändig¬ 
keit als Bückschlag im anthropologischen Sinne bezeichnet, wenn sie auch an und 
für sich sehr plausibel erscheint. 

Schliesslich erwähnt Verf. eine eigene Beobachtung, Linkshändigkeit bei einem 
4jährigen Mädchen betreffend, wo es ihm gelang, durch Hypnotismus Bechtshändig- 
keit hervorzurufen, die dauernd anhielt. Er schliesst mit Bücksicht auf diesen Erfolg, 
dass in diesem Falle eine Präponderanz der rechten Hemisphäre die Ursache der 
Linkshändigkeit nicht gewesen sein kann, sondern dass eine gleichwerthige Anlage 
beider Hemisphären bestanden habe. Bedlich (Wien). 

5) Ueber den Einfluss der Schilddrüse auf den Stoffwechsel, von B. Schön- 
dorff. (Pflüger’s Arch. 1897. Bd. LXVII.) 

Im Hinblick auf die zunehmende Verwerthung der Schilddrüse selbst und ihrer 
Ertracte in der neuropathologischen Therapie sind folgende Ergebnisse der experi¬ 
mentellen Untersuchung des Verf.’s hervorzuheben: Fütterung mit Schilddrüse (theils 
Tabletten von Borroughs Wellcome, theils in vacuo getrocknete Hammelschilddrüse) 
bewirkt bei einem im Stoffwechsel- und Stickstoffgleichgewicht befindlichen Hunde 
bei gleichbleibender Nahrung eine bedeutende Steigerung des Stoffwechsels. Der 
Eiweissstoffwechsel wird dabei zunächst nicht beeinflusst, indem die anfänglich auf¬ 
tretende Steigerung der Stickstoffausscheidung wohl nur durch eine vermehrte Aus¬ 
scheidung von Harnstoff und anderen stickstoffhaltigen Extractivstoffen bedingt ist. 
Das gesteigerte Bedürfniss wird anfangs durch Verbrauch des vorhandenen Körper¬ 
fettes gedeckt, was sich durch Gewichtsabnahme und Steigerung des Sauerstoff- 


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Verbrauchs bemerklich macht Erst 'nenn der Fettbestand auf ein gewisses Minimum 
gesunken ist, wird auch das Eiweiss angegriffen. Nach dem Aussetzen der Schild* 
drfisenfQtterung sinkt der Stoffwechsel wieder, und das Körpergewicht nimmt durch 
Ansatz von Fett und Eiweiss wieder zu. Eine Nachwirkung der SchilddrOse findet 
nicht statt Eine erneute Darreichung der SchilddrOse bewirkt dann keine Steigerung 
der Stickstoffausscheidung. Th. Ziehen. 


6) Experimentelle Beiträge zur Schilddrüsenfrage, von Edm. Wormser. 

(Pflüger’s Arch. 1897. Bd. LXVII.) 

Bei dem grossen Interesse, welches die Neuropathologie an der SchilddrOse 
nimmt, seien wenigstens die Hauptergebnisse der Wormser’schen Arbeit mitgetheilt 
Verf. findet, dass das aus der SchilddrOse von Schwein und Hammel nach ver¬ 
schiedenen Verfahren dargestellte Jodothyrin nicht im Stande ist, bei thyreoidec- 
tomirten Hunden die acute Tetanie und den Tod zu verhüten. Die mit dem Jodo¬ 
thyrin durch Essigsäure gefällten • Eiweissstoffe erhöhen die Wirksamkeit des 
Jodothyrins nicht. Die neben dem Jodothyrin in der SchilddrOse enthaltenen, durch 
Essigsäure nicht gefällten basischen Körper ergaben ebenfalls ein negatives 
Resultat. . Einfache, wie organische, synthetisch dargestellte Jodverbindungen 
verhinderten die Anfälle und den Tod nicht. Getrocknete Thymus und Nebenniere 
zeigten keinen Einfluss auf den Ablauf der Tetania thyreopriva. Es bleibt nach 
Verf. also nur Übrig mit Gottlieb zu sagen, dass keine der bis jetzt aus der 
SchilddrOse isolirten Substanzen (Fraenkel’sche Base, Jodothyrin, Kocher’sche 
Base) allein die ganze Function der SchilddrOse zu ersetzen vermag, sondern dass 
sie gemeinsam in den Organismus eingefQbrt werden müssen, um den Ausfall der 
SchilddrOse zu decken. Verf. selbst nimmt an, dass das Jod der Schilddrüse zur 
Bereitung eines Antitoxins dient; findet sich zu wenig Jod in der Nahrung, so kann 
das betreffende Gift nicht ganz neutralisirt werden, es sammelt sich in der Schild¬ 
drüse an und führt zu einer Struma parenchymatosa. Andererseits bedingt totale 
Ausschaltung der Schilddrüse Kachexie durch Anhäufung toxischer Substanzen im 
Blute. Th. Ziehen. 


7) Zur Lehre der Sohilddr&se, von H. Munk. (Yircliow’s Archiv f. pathol. 

Anatomie. Bd. CL. 1897.) 

Gerade in diese Zeit des „SchilddrOsen-Fanatismus und der Organotherapie“ 
fällt obige Arbeit des berühmten Berliner Ehysiologen wie eine Bombe. An der 
Hand sehr zahlreicher, an verschiedenen Thieren unternommenen Versuche weist 
Verf. Oberzeugend nach, dass die Schilddrüse nicht ein lebenswichtiges 
Organ ist, dass ihr Ausfall weder eine Vergiftung durch normale Stoff-- 
wechselproducte, noch myxödematöse Kachexie zur Folge hat, und 
dass der Glaube an ihren functionellen Ersatz durch eine trans- 
plantirte Schilddrüse unbegründet ist Wenn ihre Entfernung auch das 
Leben gefährden kann, so ist das noch kein Beweis dafür, dass sie ein lebens¬ 
wichtiges Organ ist. 

Künstliche Zufuhr yoh Scbilddrösensubstanz in irgend einer Form verhütet oder 
beseitigt durchaus nicht die durch Schilddrüsen ? Exstirpation eventuell herbeigeführte 
Krankheit. Von seinen operirten Thieren erkrankten gar nicht oder nur leicht und 
vorübergehend Über-50°/ o der Affen und Kaninchen, und etwa 25°/ 0 der Hunde 
und Katzen. Die Schilddrüse kann also kein lebenswichtiges Organ sein, wie Verf. 
dies schon vor 10 Jahren nachwies. „Die Hauptsache ist aber, dass viele der über¬ 
lebenden gar kein SchilddrQsengewebe mehr enthalten. Nie fand sich ein 
Ersatzorgan, weder die Hypophyse, noch die accessorische Schild- 


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drüse. Nie sah Verf. etwas von Myxödem u. s. w., wie es Horsley beschrieb, 
nur dass der Exstirpation „Tremor mit Paroxysmen folgt oder richtiger folgen kann.“ 
Ausser an Affen sah überhaupt noch nie Jemand an Thieren nach Schilddrüsen* 
Entfernung Myxödem auftreten. Klassisch ist der Versuch Thuneberg’s, wonach 
von „12 Hunden die 11 mit Schilddrüsenextract behandelten Hunde alle erkrankten 
and starben, während der zur Controlle nicht behandelte Hund gesund blieb.“ Nie 
sah Verf. nach der Operation Myxödem oder Cretinismus sich ausbilden, auch nur 
spurweise, nie ward ein Affe geistig immer schwächer oder apathischer. 

Man sieht also, meint Ref., wie vorsichtig und skeptisch man der ganzen 
Organotherapie gegenüber stehen muss, da es an grundlegenden Experimenten, wie 
die vom Verf., fast ganz fehlt, und selbst die anscheinend so überzeugenden von. 
Horsley und von Eiseisberg, wie Verf. zeigt, durchaus nicht beweisend sind. 
Die ganze Lehre der für ein normales Functioniren des Körpers angeblich so nöthigen 
Drüsensekrete der Schilddrüse, Hypophyse u. s. w. schwebt noch sehr in der Luft, 
und es steht zu befürchten, dass die ganze Organotherapie dereinst als reine Illusion 
sich erweist. Näcke (Hubertusburg). 


8) Ueber den Jodgehalt von Sohilddrüsen in Steiermark^ von Dr. Alex, 
v. Rositzky. (Wiener klin. Wochenschr. 1897. Nr. 37.) 

Die an normalen und pathologischen Schilddrüsen von Erwachsenen und Kindern 
nach Rabourdin’s calorimetrischem Verfahren gewonnenen Werthe sind folgende: 

Normale Drüsen Erwachsener; Durchschnittliches Trockengewicht 8 g (Min. 
5,1 g, Max. 11,5 g); Jodgehalt in 1 g Trockensubstanz 0,37 mg (Min. 0,14 mg, 
Max. 0,62 mg), in der ganzen Drüse 3,21 mg (0,73 bezw. 6,21 mg). Das durch¬ 
schnittliche Trockengewicht ist etwas niedriger als jenes von Freiburg (8,2 g), höher 
als das von Hamburg (4,6 g), Breslau (7,2 g) und Berlin (7,4 g). Der mittlere 
Jodgehalt ist geringer als jener der Drüsen von Hamburg (3,83 mg), Breslau (4,04 mg) 
und Berlin "(6,6 mg), aber grösser als der von Freiburg (2,5 mg). Dies spricht zu 
Gunsten der Baumann’schen Ansicht, dass in endemischen Kropfgegenden der 
durchschnittliche Jodgehalt der Drüsen geringer ist, als in den kropffreien Gegenden. 

Für ausgesprochene Kröpfe: Durchschnittsgewicht der frischen Drüse 150 g (8 
bezw. 231 g), der Trockensubstanz 38,85 g (11,5 bezw. 67 g), des. Jodes in 1 g 
trockener Drüse 0,32 mg (0,08 bezw. 0,7 mg), in der ganzen Drüse 11,5 mg (3,38 
bezw. 27,5 mg). 

Eine zweite Tabelle zeigt, wie sehr eine dem Tode vorhergegangene Jodbehand¬ 
lung die Werthe zu beeinflussen vermag. Der Jodgehalt 1 g Trockensubstanz beträgt 
zwischen 0,57 und 2,08 mg, in der ganzen Drüse zwischen 7,49 und 22,05 mg 
(bei normalen Drüsen). 

Bei Kindern fand Verf. ein durchschnittliches Trockengewicht von 1,06 g mit 
einem mittleren Jodgehalt von 0,28 mg. 

In 20 ccm des Inhaltes einer Kropfcyste Hessen sich 0,193 mg Jod nachweisen. 

30 Stüpk Hypophysen (= 2,5 g Trockengewicht) ergaben in Bezug auf Jod ein 
negatives Resultat; wohl wegen der geringen Menge des verwertheten Materials. 

J. Sorgo (Wien). 


0) Kehlkopfnerven und die Functionen der Thyreoidea, von A. Exner. 
(Pflüger’s Arcb. Bd. LXVI1I.) 

Verf. weist nach, dass einseitige Exstirpation der Schilddrüse und gegenseitige 
Durchschneidung der Nn. laryngei sup. und inf. bei der Katze eiue leichte Tetanie 
hervorruft. Tetaniscbe Symptome traten auch dann noch ein, wenn zwischen der 
Exstirpation der Drüse und der Nervendurchschneidung geraume Zeit verflossen ist. 


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2*36 


Wird ausser der DrÖsenexstirpätion nur ein gegenseitiger Nerv (N. lar. inf. oder 
8up.) durchschnitten, so zeigen sich bald keine, bald schwächere tetanische Symptome. 
Doppelseitige Durchschneidung sämmtlicher Kehlkopfnerven (ohne Drüsenexstirpation) 
überlebte nur eine Katze eine Woche lang.- Dieselbe zeigte — trotz Heilung per 
primam — ausser leichten tetanischen Symptomen einen eigenartigen Nystagmus. 

Die Schilddrüse zeigte bei keinem der operirten Thiere Atrophie oder Hyper* 
trophie. Der Jodgehalt der Schilddrüse zeigte keine constante Vermehrung oder 
Verminderung. Th. Ziehen. 


Pathologische Anatomie. 

10) Till kännedomen om de öfter amputationer uppkommande förfindrin- 
g&rna i nervsystemet med speciel hftnsyn tili de spinokutana neuro- 
nerna, af Cbr. Sibelius. (Finska läkares&llsk. handl. 1897. XXXIX. 10. 
S. 1379.) 

Aus den genauen Untersuchungen und Messungen, die Verf. an der Leiche eines 
an Pneumonie gestorbenen 70 Jahre alten Mannes ausgeführt hat, dem 5 Jahre vor 
dem Tode das linke Bein dicht oberhalb des Kniegelenks amputirt worden war, ergab 
sich, dass die Ganglienzellen im vorderen Home im Lumbaltheile des Rückenmarks 
auf der der Amputation entsprechenden Seite geringer an Zahl waren, als auf der 
gesunden Seite. Die Verminderung betraf hauptsächlich die postero-laterale Gruppe, 
aber auch, obwohl in geringerem Grade, die übrigen .Ganglienzellengruppen in dem¬ 
selben Vorderhora (die commissuralen Gruppen wurden nicht untersucht). Die Ver¬ 
änderungen in den vorderen Wurzeln in der der Amputationsstelle entsprechenden 
Region waren ziemlich gering, bedeutend weniger hervortretend, als in den hinteren. 
Die grossen Ganglienzellen waren, obwohl verschiedener, afficirt in den sacralen und 
lumbalen Spinalganglien, theils waren sie zu Grunde gegangen, theils atrophirt; ganz 
besonders gilt dies von den unteren Spinalganglien auf der der Amputation ent¬ 
sprechenden Seite. Im linken Hinterstrang fanden sieb, ausser einer allgemeinen 
Atrophie des vorderen Theiles derselben, Stellen mit deutlich rareficirtem Nerven¬ 
fasergehalt. Bei Verfolgung dieser Stellen Segment für Segment, sah man, dass 
ihre Lage einem Degenerationsfelde entsprach, das durch Läsionen der den hinteren 
Wurzeln entsprechenden Spinalganglien bedingt war. Die Reflexcollateralen waren 
in der der Amputationsstelle entsprechenden Region bedeutend geringer an Zahl, als 
auf der gesunden Seite. Die Ganglienzellen in den Clarke’schen Säulen waren 
ebenfalls in der der Amputationsstelle entsprechenden Region in der Dorsolumbal- 
gegend an Zahl vermindert. 

Nach Verf. beweisen die Veränderungen in den Hintersträngen, den Wurzeln 
und den Spinalganglien, dass die spinocutanen Neurone in Folge von Beschädigung 
ihrer Fasern in den peripherischen Nerven degenerirt waren, und zwar nicht nur die 
centralen Ramiflcationen ihrer Nervenfasern, sondern auch ihre trophiseben Centra, 
dass sie also demselben Gesetze unterliegen, wie die anderen Neurone. 

Walter Berger (Leipzig). 


11) Los alterations de la moSlle epinlöre ohez les chiens opdres d’exetir- 
pation des glandes parathyröoldiennes, par G. Vassale et A. Donnaggio. 
(Arch. Ital. de Biologie. Tom. XXVII.) 

Die Verff. untersuchten das Rückenmark der Hunde, welchen Vassale und 
Generali die vier Gland. parathyreoldeae exstirpirt hatten, und welche von 8eiten 
des Centralnervensystems im wesentlichen Depression, Trismus, Rigidität der Hinter« 


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beine, unsicheren, schwankenden Gang, allgemeine Muskelschwäche und leichte 
Zuckungen gezeigt hatten (of. Bef.: Neurolog. Centralbl. 1897. S. 316). Es fand 
sich eine nach Härtung in Mfiller bereits makroskopisch deutlich erkennbare syste¬ 
matische Degeneration der gekreuzten Pyramidenbahnen und der Hinterstränge (bald 
im Gebiete des Goll’schen, bald des Bur dach’sehen Stranges). Mikroskopisch 
zeigten sich die Axencylinder der Fasern aufgebläht, granulirt und nicht scharf von 
der atrophischen Myelinscheide abgesetzt; auch wurden varicöse Auftreibungen der 
atrophischen Axencylinder beobachtet. Kaplan (Herzberge). 


12) Beiträge zur Kenntnisa des Markfasergehaltes der Grosshirnrinde bei 

Idioten mit vergleichenden Bindenmessungen, von Dr. Th. Kaes in 

Hamburg. (Monatsschr. f. Psych. u. Neurolog. Bd. I.) 

Der durch seine ausserordentlich sorgfältigen Untersuchungen hinreichend be¬ 
kannte Verf. hat das Gehirn einer 21jährigen makrocepbalen Zwergin, welches nach 
der Härtung 1590 g wog, und das Gehirn eines etwa 2jährigen mikrocephalen 
Kindes, das nach der Härtung 233 g wog, in Bezug auf den Markfasergehalt der 
Grosshimrinde studirt. So verschieden auch die Volumina beider Gehirne waren, 
hinsichtlich der Breite ihrer Hirnrinde waren sie einander sehr ähnlich, und zwar 
entsprachen die Bindenmasse bei beiden Idioten denen eines 1—2jährigen normalen 
Kindes. Die mikroskopische Untersuchung von Präparaten, die nach der Weigert- 
Wolters’schen Methode angefertigt worden waren, ergab, dass die Badiärfaserzflge 
und deren Ausstrahlung mit fortschreitendem Alter noch weiter in die Binde hinein¬ 
gewachsen waren, als bei einem normalen Kinde von 1—2 Jahren. Die Associations¬ 
faserschichten der Binde zeigten bei der makrocepbalen Zwergin eine etwas reichere 
und vorgeschrittene primäre Anlage als bei einem lV 4 jährigen Kinde. Das super- 
radiäre Faserwerk Edingers erschien aber bei der Zwergin fast faserfrei. Bei der - 
Mikrocephalin waren in den wenigen, relativ entwickelten Windungen noch lange 
nicht soviel Markfasern vorhanden, wie bei einem l'jährigen Kinde. Aber selbst an 
den unentwickelten Stellen zeigte sich ein schwacher Versuch zur Bildung einer 
radiären Ausstrahlung Meynert’scher Bogenzüge. Am wenigsten gehemmt war bei 
der Mikrocephalin die Entwickelung der Bindenfaserung derjenigen Gegenden, welche 
mit dem Biech- und Geschmacksapparate in Beziehung gebracht werden. Die zonale 
Faserschicht war bei der Makrocephalin nur in Spuren vertreten, bei der Mikro¬ 
cephalin dagegen war sie mächtig ausgebildet; hier war die Projectionsausstrahlung 
kümmerlich, doch entsprach sie derjenigen eines normalen Individuums von lV 4 Jahren. 

G. Ilberg (Sonnenstein). 


Pathologie des Nervensystems. 

13t Btt teil af pernioiös progressiv anemi med förändringar i ryggmärgens 
bakre strängar, af Dr. E. G. Johnson. (Nord. med. ark. 1897. Vni. 2. 
Nr. 33.) 

In einem Falle von progressiver pemieiöser Anämie bei einem 33 Jahre alten 
Manne, in dem binnen nicht ganz 2 Jahren der Tod eintrat, wurde der Pat. gegen 
das Ende des Lebens nie reizbar und die Patellarreflexe verschwanden. Bei der Sec- 
tion fand man eine acute Pachymeningitis im Gehirn, im Backenmark, Sclerose in den 
Goll’sehen Strängen im Hals- und Brustmark, in geringerer Ausdehnung auch in 
den Burdach’schen Strängen, diese Sclerose setzte sich in die mittlere Wurzelzone 
der Hinterstränge im oberen Theil des Lendenmarks fort. PetrSn (Nord. med. ark. 
N. F. VI. 1896. 2. — Neurolog. Centralbl. 1896. S. 749) hält es für wahr- 


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scheinlich, dass ein toxischer Zustand sowohl der progressiven perniciösen Anämie, 
als auch der bei derselben in manchen Fällen vorkommenden Erkrankung des Rücken* 
marks zu Grunde liegt. Verf. meint, dass die Sclerose und die Entartung der 
nervösen Elemente von den rigiden, mit einer proliferirten Adventitia versehenen 
Gefässen ausgehe. Dass diese Veränderung der Gefässe durch einen toxischen Ein¬ 
fluss zu Stande kommen könne, sei wohl denkbar und wahrscheinlich, ebenso ist es 
auch denkbar, dass dieser toxische Einfluss auf dem Wege der Blutcirculation auch 
ohne Vermittelung einer Sclerose direct schädlich einwirken und Degeneration der 
Neurone hervorrufen kann. Walter Berger (Leipzig). 


14) Notes on endemio goitre in northeast Bengal, by E. E. Waters. (Brit. 

med. Journ. 1897. Sept. 11. S. 650.) 

Im Baksadistrict (Bengalen), 2000 Fuss Seehöhe, in Nachbarschaft des hoch¬ 
gradig malariaverseuchten Terai nach Süden, und des Himalaya nach Norden, wurden 
vom Verf. folgende, die endemische Kropfbildun'g betreffende Beobachtungen gesammelt. 
Der Boden besteht aus vegetabilischem Dammerdegneis, Thon, Schiefer, Kiesel, 
weichem Sandstein und etwas Lignit; in der Nachbarschaft reichlich Kalkstein. Der 
Boden ist sehr porös, so dass im Winter die Ströme streckenweis versinken. 

Es giebt zwei scharf von einander getrennte Bevölkerungstypen: die dauernd 
dort Ansässigen (Bhutias), mongolischer Rasse, handfeste, untersetzte Leute, Arbeiter; 
die vorübergehend Ansässigen, d. h. Militärpersonen und deren Zugehörige. — Die 
ersteren sind arm, Omnivoren, leiden vor allem bedeutend an Malaria, Syphilis, Intesti¬ 
nalwürmern, Kropf. Die zweiten leben in guten Verhältnissen, sind fast alle Vege¬ 
tarier und meist frei von Syphilis. 

169 Personen (Bhutia), 12—70 Jahre alt, wurden auf ihre Gl. thyreoidea 
untersucht: 

Kein Kropf ... 42 = 24,8°/ 0 - 
Sehr geringer ... 37 = 21,9 „ 

Geringer . . . . 36 = 21,3 „ 

Ziemlich bedeutend . 30 = 17,8 „ 

Sehr bedeutend . . 24 = 14,2 „ 

Also von 169 Bhutias hatten 127 = 73,2 °/ 0 Kropf. 

Kinder unter 12 Jahren wurden von der Beobachtung ausgeschlossen. Von 
diesem Alter an gezählt, hatten 87,5 °/ 0 (von 120) Kropf. — Von Kindern unter 
12 Jahren hatten nur 44,8 °/ 0 Kropf. 

Die Militärpersonen (Sepoys), 20 Monate in Baksa, gesund, hergekommen aus 
einem Landstrich ohne endemische Struma, zeigten unter 380 205 = 54°/ 0 Struma 
(118 oder 30°/ o hochgradig). 

Gretinismus kam dabei nicht vor, auch nicht Myxödem; desgleichen ist die 
Intelligenz der Befallenen intact. — Es gilt die Annahme als richtig, dass die Kröpfe 
in der Regenzeit zunehmen. Die Beobachtung ergab entsprechende Feststellungen. 

Wasseranalysen, im Original zahlenmässig mitgetheilt (Eisen, Kalk, Härte), 
geben keinen ätiologischen Anhalt für die Entstehung der Struma. Kalk im Trink¬ 
wasser kann nicht angeschuldigt werden; denn viele Bhutias, welche Kalkesser sind, 
haben keine Kröpfe, dagegen die Sepoys, welche keinen Kalk essen. 

Ist es nicht anzunehmen, dass Struma durch eine animalische oder vegetabilische 
Noxe entsteht? Verf. glaubt an ein animalisches Gift, etwa demjenigen in Malaria 
ähnlich. Die Behandlungsresultate (Jod, Thyreoidea) sprechen dafür; ferner das Vor¬ 
kommen von Strumaepidemieen im Pungas und den nordwestlichen Provinzen. 

L. Lehmann I (Oeynhausen). 


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16) Du goitre exophtalmique, symptömes, pathogönie, traitement (seotion 

du grand sympathique oervioal), par Valent^on. (Gazette des höpitaux. 

1897. 69.) 

Nach kurzen geschichtlichen, klinischen, ätiologischen Erörterungen bespricht 
Verf. die Theorieen des Morb. Basedowii und entscheidet sich für die Hypothese von 
Abadie, wonach es sich um eine permanente Erregung der vasodilatatorischen Fasern 
des Hals8ympathicus handle. Für schwere Fälle, bei denen die auch vom Verf. be¬ 
sprochenen üblichen medicinischen Behandlungsmethoden nicht ausreichen, empfiehlt 
Verf. von den verschiedenen Operationsverfahren am meisten die Besection des Hals- 
sympathicus. Bei Durchschneidung oberhalb des mittleren Ganglion, oder Exstir¬ 
pation desselben soll der Exophthalmus verschwinden. Bei Durchschneidung unter¬ 
halb desselben soll die Thyreoidea zur Norm zurückkehren. Bei extremer Tachy- 
cardie muss man noch tiefer herabgehen und die vom unteren Ganglion entspringenden 
Fasern durchtrennen. 

Verf. citirt einige in dieser Weise mit günstigem Erfolge operirte Fälle. 

B. Hatschek (Wien). 


16) Nature et traitement du goitre exophtalmique, par Abadie. (Gazette 

des höpitaux. 1897. 77.) 

Nach Verf. beruhen die Erscheinungen des Korb. Basedowii auf permanenter 
Excitation der vasödilatatorischen Fasern des Halssympathicus, demgemäss hält er 
Durchschneidung oder Besection eines kleinen Stückes des Halssympathicus unterhalb 
des oberen Ganglion für das rationelle operative Verfahren. Vollständige Exstirpation 
des Sympathicusstranges und der Ganglien erscheint ihm überflüssig, da es sich 
nicht um eine wirkliche Läsion des Sympathicus, sondern um einen abnormen Er¬ 
regungszustand handelt, der von den Centren des obersten Halsmarkes und des 
Bulbus ausgeht und vermittelst vasodilatatorischer Fasern auf die Kopf- und Hals- 
gefisse einwirkt. B. Hatschek (Wien). 


17) Ueber das Auftreten von Oedemen bei Morbus Basedowii, von Dr. 

Joh. Löw. (Wiener med. Presse. 1897. Nr. 23.) 

Es kommen bei Morbus Basedowii 3.Gruppen von Oedemen vor, dyskrasische, 
cardiale und nervöse (Millard). Die nervösen Oedeme charakterisiren sich gegen¬ 
über den beiden anderen Arten zunächst durch die Eigentümlichkeit der Localisation, 
besonders die Unabhängigkeit von dem Gesetze der Schwere und das Beschränktsein 
auf einen einzelnen Körperteil. Ferner sind sie oft von sehr kurzer, nur stunden¬ 
langer Dauer, können plötzlich auftreten und sehr rasch an Ausbreitung gewinnen. 
Gleichzeitig finden sich noch andere vasomotorische Störungen, wie Erweiterung und 
Klopfen der kleinen Arterien, abnormes Hitzegefühl, Congestionen, Erytheme, Urti¬ 
caria, T&ches cöröbrales u. s. w. 

Ausser zweifellos ödematösen Anschwellungen kommen noch solche vor, welche 
Kowalewski als der erste dem Myxödem zurechnete. Dieses kann voll entwickelt 
auftreten oder auf einzelne Züge beschränkt bleiben. Verf. teilt zwei Fälle mit, in 
deren Verlaufe es zu prallen Anschwellungen an den unteren Extremitäten ohne 
Hinterlassung von Fingereindrücken kam. Das Dorsum pedis blieb frei. 

Fall I. 23jähriges Mädchen. Entwickelung der Krankheit seit zwei Jahren 
ohne bekannte Ursache. Beginn mit Herzklopfen und Schwellung der Beine. Bald 
darauf dunkle Pigmentirung der Hände mit helleren Flecken. Pigmentirung und 
Schwellung wechselten an Intensität und Extensität im Laufe der nächsten 2 Jahre. 

Die Untersuchung ergiebt: keinen Exophthalmus, deutliches Stellwag’sches, 
Graefe’sches undMöbius’sches Symptom, deutlich schwirrende Struma, Verbreiterung 

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der Herzdämpfung. Pulsbeschleunigung (120). Haut des Gesichts, des Stammes, 
der oberen Extremitäten bis za den Fingern, der unteren bis zum Dorsum pedis 
dunkel pigmentirt mit Vitiligoflecken. Vom mittleren 1 / 3 des Oberschenkels an 
mächtige Volumszunahme der Beine in Form einer derben, prallen, keinen Finger¬ 
eindruck hinterlassenden Anschwellung. Dorsum pedis und Knöchelgegend frei. 

Fall II. 24jähriges Mädchen. Nach einem Trauma stellt sich schon in den 
nächsten Tagen Herzklopfen, Exophthalmus, Strnma und Tremor manuum ein. Einige 
Monate später an den Knöcheln beginnende Anschwellung der Beine und Ausfall 
der Haare. Status praesens: Ausser den Cardinalsymptomen des Morb. Based. Ver¬ 
breiterung der Herzdämpfung, Albuminurie, derbe, elastische, den Fingereindruck nicht 
zurQcklassende Schwellung der Beine von der Mitte der Oberschenkel an bis zu den 
Knöcheln. Dorsum pedis nur in geringem Grade betheiligt. 

Verf. wendet sich gegen die Schilddrflsentheorie des Morbus Basedowii und die 
von Möbius gegebene Erklärung der Coincidenz dieser Krankheit und des Myxödems, 
wonach die Basedow’sche Krankheit die Folge einer vermehrten Function der Schild- 
drfise, einer Hyperthyreoidisation des Organismus, das Myxödem aber die Folge einer 
schliesslichen Erlahmung der Schilddrüse, einer Athyreoidisation sei. Eine Functions¬ 
änderung der Schilddrüse beim Morb. Based. sei noch nicht erwiesen, und da der 
Name „Myxödem“ eiue Lähmung der Schilddrüsenfunction zur Voraussetzung habe, 
so sei er für klinisch wenig ausgeprägte Fälle, wie die obigen, nicht am Platze. 
Die beschriebenen Anschwellungen liessen sich, wie Sclerodermie, Pigmentanomalieen 
u. s. w., als trophische Veränderungen deuten, ohne dass man eine gestörte Schild¬ 
drüsenfunction anzunehmen brauche. Die Möbius'sche Erklärung für das Zusammen¬ 
treffen von Morb. Based. und Myxödem habe zur Voraussetzung, dass das Myxödem 
der ’ Basedow'sehen Krankheit immer vorausgehe, die letztere substituire. Ein 
solches Verhalten finde aber nur in der Minderzahl der Fälle statt. In der Mehr¬ 
zahl blieben die Symptome des Morb. Based. bestehen auch nach voller Ausbildung 
des Myxödems, ja in einem Falle Sollier’s gingen die Erscheinungen des Myx¬ 
ödems denen des Morb. Based. voraus. Daher, dass man nicht gleichzeitig eine Hyper¬ 
und eine Athyreoidisation des Organismus annehmen könne, haben die Anhänger der 
Schilddrüsentheorie diesen Fällen gegenüber zur Annahme einer qualitativen Aenderung 
neben einer abnormen Vermehrung der Schilddrüsenfunction gegriffen. 

J. 8orgo (Wien). 


• 18) A oase of aoute Graves disease with a desoription of ita morbed 
anatomy and of a seriös of mikrosoopioal seotions, by Forwell. ‘ (Braiu. 
. Autumn. 1898.)- 

.In einem acut verlaufenden Falle von Basedow — combinirt mit Tuberculose — 
fand Verf. Veränderungen der Pia des Wurmes und des Ependyms des 3. Ventrikels, 
Erweichung der Oberfläche beider Thalami; sehr erhebliche Hyperämie und kleine 
Blutungen in der Rinde, der inneren Kapsel, in Kleinhirn und Medulla. Auch die 
Kerne des 10. Nerven, des Funiculus gracilis und der Pyramiden waren sclerosirt. 
Verf. hütet sich selbst, diese Veränderungen als Ursachen des Basedow aufzufassen. 

Bruns. 

10) Mölanoolie et goitre exophtalmique, par F. Devay. (Arch. de neurolog. 
1897. December. S. 491.) 

Auf Grund der Complication eines Basedow-Falles mit Melancholie, wie nnter 
Berücksichtigung nnd Würdigung der Litteratur kommt Verf. zu folgenden Schlüssen: 

1. Im Verlaufe der Basedow-Erkrankung kann es zu Melancholie wie eben 
so häufig zu Manie kommen. 

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2. Die Behandlung dieser Psychosen unterscheidet sich in nichts von der 
bei Degenerirten oder Hereditariern vorkommenden Geistesstörungen. Es muss aber 
gleichzeitig das Basedow-Leiden behandelt werden. 

Adolf Passow (Strassburg i./E.). 


20) Myxoedema, by A. Davidsohn. (Brit med. Journ. 1898. Febr. 12. 

S. 437.) 

ln der medicin. Gesellschaft zu Liverpool berichtet der Verf. über eineu Fall 
von Myxödem, der vor 24 Jahren Struma exophtbalmica zeigte, gegenwärtig aber keine 
Thyreoidea mehr fühlen lässt 

Cast er hebt dabei hervor, dass Myxödem auch ohne Atrophie der Thyreoidea 
entstehen könne, und dass keineswegs Hypertrophie der JDrüse und Myxödem sich 
ausschlössen. — Er rühmt gegeo die Krankheit Fluorwasserstoffsäure, bei welcher 
der Umfang des Halses in einem seiner Fälle von 15 auf 12 Zoll hinabgegangen 
sei. Daneben Thyreoideatabletten (5 g). Völlige Heilung. 

L. Lehmann I (Oeynhausen). 


21) Myxödem auf seltener Basis, von Stabsarzt Dr. Burghart. (Charite- 

Annalen. Bd. XXII. 1897.) 

Die Mittheilung ist die Fortsetzung der Krankengeschichte eines bereits von 
Köhler mitgetheilten Falles von Actinomykose der Schilddrüse (Berliner klin. Wochen¬ 
schrift 1894. Nr. 41), bei dem nach operativer Entfernung der erkrankten Partieen 
relative Heilung eingetreten war, die man vor späteren Becidiven der myxödematösen 
Erkrankung gesichert glaubte. Bald nach ihrer Entlassung traten indesseu Krank¬ 
heitserscheinungen progredienten Charakters auf, wegen deren sie 2 Jahre später in 
der Klinik Aufnahme fand. Es wurde alsbald das typische Bild des Myxödems con- 
statirt, Pat erhielt Jodotbyrin mit ausgezeichnetem Erfolge; nach Aussetzen des 
Mittels Wiederauftreten der Symptome. Der Wechsel im Befinden der Pat und das 
Hervor- bezw. Zurücktreten der objectiven Krankheitssymptome konnte dann noch 
zwei Mal wie im Experiment je nach Gebrauch oder Aussetzen des Mittels constatirt 
werden. An der specifischen Wirkung des Jodothyrins kann demnach nicht gezweifelt 
werden. Martin Bloch (Berlin). 


22) Om myxödem, af S. A. Pfannenstill. (Hygiea. 1897. Bd. L1X. 12. S. 537.) 

— Tvä fäll af myxödem, behandlade med thyreoidintabletter, af 

PfannstilL (Ibid. S. 582.) 

Ausser einer eingehenden Darstellung der Pathologie des Myxödems tbeilt Verf. 
zwei Fälle mit, in denen durch Anwendung von Thyreoidintabletten Heilung erzielt 
wurde. Der erste Fall betraf ein 61 Jahre altes unverheirathetes.Frauenzimmer, das 
seit mindestens 10 Jahren an Myxödem litt, das aber seit einer Beihe von Jahren 
keine weiteren Fortschritte gemacht hatte. Ueber Ursachen und Auftreten waren 
keine zuverlässigen Nachrichten zu erlangen. Neben den gewöhnlichen Symptomen 
des Myxödems bestand stark ausgeprägtes Zittern des Kopfes, das durch die Behand¬ 
lung ebenso beeinflusst wurde, wie die übrigen Symptome und mit diesen schliesslich 
verschwand. Auch Hämorrhoidalschmerzen, die zugleich mit dem Myxödem aufgetreten 
waren, verschwanden durch die Behandlung. Die Schweisssecretion hatte nie auf¬ 
gehört, obwohl sich die Krankheit in einem vorgeschrittenem Stadium befand. Als 
die Pat. 2 Monate lang mit Thyreoidintabletten behandelt worden war, traten In- 
toxicationssymptome auf, die sich in Kopfschmerz, Schwindel, Pulsbeschleunigung, 
Hitzegefühl zeigten und nach Verminderung der Dosis rasch verschwanden. Nach 
Aussetzen der Behandlung kehrten die myxödematösen Symptome ziemlich rasch 

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wieder, woraus folgt, dass das Mittel nur auf die Symptome specifisch wirkt Unter 
Beibehaltung der Tabletten in geringer Dosis befand sich Pat. später wohl. — Im 
zweiten Falle war bei einer Witwe im Alter von 50 Jahren das Myxödem aufgetreten 
mit Gebärmutterblutungen und Blutungen aus dem Munde. Die Krankheit bestand 
bei Beginn der Behandlung seit fast 20 Jahren und war weit vorgeschritten. Die 
myxödematösen Symptome verschwanden unter Anwendung von Thyreoidintabletten 
ziemlich rasch, und Fortnehmen der Tabletten in sehr geringer Dosis genügte zur 
Erhaltung fortdauernder Besserung. In noch zwei anderen Fällen, die Verf. beobachtet 
hat, hatte diese Behandlung ebenfalls günstige Wirkung. 

Walter Berger (Leipzig). 


23) To Tilfälde af Myxödem, af J. S. Möller. (Hosp.-Tid. 1897. 4 R. V. 30.) 

Verf. theilt zwei Fälle von Myxödem mit, von denen der erste eine 54 Jahre 
alte verheirathete Frau aus gesunder Familie und mit Ausnahme einer in Folge von 
Arthritis deformans verkrüppelten Tochter, gesunden Kindern. Die ersten Anfänge 
des Myxödems waren vor 2 Jahren bemerkt worden. Die Schilddrüse war klein und 
sehr fest. Unter Anwendung von Schilddrüse wurde in etwa 2 Monaten der frühere 
Zustand wieder hergestellt, doch blieb Neigung zu Recidiv vorhanden. Der zweite 
Fall betraf eine 47 Jahre alte Frau mit drei gesunden Kindern, bei der die Krank¬ 
heit kurz nach der Geburt des dritten Kindes (vor 9 1 / a Jahren) begonnen hatte. 
Durch Thyreoidintabletten wurde baldige Besserung erzielt, aber, wenn die Pat. die 
Dosis der Tabletten verminderte, begannen die Krankheitserscheinungen sich wieder 
einzustellen. , Walter Berger (Leipzig). 

24) De la tötanie, par E. Tordeus. (Journal de clin. et de thörap. infant. 1897. 

Nr. 40.) 

Ausser einer kurzen Besprechung der Tetanie theilt Verf. eine Beobachtung einer 
seltenen Krampfform mit. Ein junges anämisches Mädchen, das schon ein Mal 
2 Monate früher gleiche Symptome dargeboten, merkte Morgens beim Erwachen, dass 
Kinn und Lippen nach links abgewichen und die Kiefer einander genähert waren. 
Die linken unteren Backenzähne standen vor den oberen, umgekehrt auf der rechten 
Seite. Die Sprache war behindert, das Kauen unmöglich. Die Pat. konnte nur 
flüssige Nahrung zu sich nehmen. In der Nacht verschwand der Krampf und trat 
am Morgen wieder auf. Auf Galvanisation Verschwinden der Symptome nach un¬ 
gefähr 3 Wochen. 

Es handelte sich um einen Krampf der Pterygoidei. Ein gleicher Fall ist erst 
ein Mal in der Litteratur beschrieben, und zwar von Leube (Deutsches Archiv für 
klin.-Med. 1869. Bd. VI.) Valentin. 


25) Zwei weitere Fälle von juvenilem Totalster bei Tetanie, von Dr. Felix 
Wettendorfer. (Wiener med. Wochenschr. 1897. Nr. 36.) 

Verf., welcher bereits einen Fall von Cataract bei Tetanie mitgetheilt hat 
(Wiener med. Wochenschr. 1897. Nr. 11 u. 12), bringt zwei weitere einschlägige 
Beobachtungen. Im ersten Falle, bei einer 37 Jahre alten Strohflechterin, war die 
Tetanie combinirt mit epileptiformen Anfällen, die zum ersten Male während einer 
Gravidität auftraten. Accommodationskrämpfe. die sich mit jedem Anfalle einstellten, 
waren anamnestisch nachweisbar. Im zweiten Falle, bei einem 29jähr. Mädchen, 
waren sie in der Anamnese nicht nachzuweisen, doch meint Verf., sie können in 
Folge der Schmerzhaftigkeit der Muskelkrämpfe der Wahrnehmung entgangen sein. 
Die Erklärung der Cataracte durch Accommodationskrämpfe (Magnus) scheint Verf. 

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wahrscheinlicher als die durch tropbische Störungen, und spricht für erstere Auf¬ 
fassung ausser der Analogie mit den zahlreichen Fällen von Ergotinstar, welchen 
Accommodationskrämpfe vorangingen, auch das Aussehen der Cataracte, die dichten 
diffusen CorticaltrQbungen in der Höhe der Linsenpole, besonders der hinteren, da 
eben die Linsenpole die Hauptpforten f&r den Lyraphstrom der Linse bilden. Wenn nun 
nach der Magnus’schen Theorie die Cataracte eine Folge der durch Accommodations¬ 
krämpfe gestörten localen Lymphcirculation sind, so erscheint die stärkere Betheiligung 
der Corticalis an der Allgeroeintröbung in der Nähe der Pole erklärlich. Im zweiten 
Falle waren zwar tropbische Störungen der Nägel vorhanden, doch ist es fraglich, 
ob die Cataracta damit in Analogie zu setzen ist. 

Verf. rätb, in allen Fällen von juvenilem Totalstar nach den Cardinalsymptomen 
der Tetanie zu fahnden. J. Sorgo (Wien). 


26) Ein Fall von Phosphorvergiftung mit Tetanie, von Dr. v. Stransky. 

(Prager med. Wochenschr. 1897. Nr. 32.) 

Verf. berichtet über einen Fall von Phosphor Vergiftung, in deren Verlauf sich 
das Symptomenbild der Tetanie entwickelte. Ein 18jähr. Mädchen nahm in selbst¬ 
mörderischer Absicht eine Auflösung von Z&ndhölzchenköpfchen, entsprechend etwa 
einer Phosphormenge von 0,45 g. Die Erscheinungen der Phosphorvergiftung besserten 
sich bald wieder. 4 Tage später stellten sich, nachdem subfebrile Temperatur vor¬ 
ausgegangen war, tonische Krämpfe in den oberen Extremitäten und im Gesichte, 
sowie Parästhesieen ein. Die Krampfanfalle, die mit typischer Stellung der Hände 
einhergingen, dauerten 15 Minuten. Den folgenden Tag liess sich das Trousseau’sche 
Phänomen nachweisen, den zweitfolgenden Tag war das Symptomenbild der Tetanie 
complet geworden, was durch 4 Tage anhielt. Einige Tage später cessirten die 
sogen. Krämpfe, später verschwand auch die mechanische Uebererregbarkeit der Nerven. 

Trotz des Zusammentreffens der Phosphorvergiftung mit Tetanie hält der Autor 
letztere für eine idiopathische, wenn auch vielleicht die vorhergehende Intoxication 
als ein prädisponirendes Moment für das Auftreten der Tetanie gelten kann. 

ßedlich (Wien). 


27) La töt&nie chez l’enfant, par Dr. C. Oddo (Marseille). (Revue de Medecine. 
1896. Juin. Juillet. Aoüt. Septembre.) 

Sehr ausführliche, umständliche, auf umfassende Literaturstudien beruhende 
Darstellung der Pathologie, Aetiologie und Therapie der Tetanie, mit besonderer 
Berücksichtigung der Tetanie im Kindesalter. Da die Arbeit keine eigenen neuen 
Beobachtungen enthält, sondern rein referirender Natur ist, eignet sie sich nicht zu 
einem Auszuge. Als literarhistorische Quelle ist sie nicht ohne Werth. 

Strümpell (Erlangen). 


28) Ueber Tetanie im Kindesalter, von Dr. S. Kalischer, Arzt für Nerven¬ 
krankheiten in Berlin. Aus der Nervenabtheilung der Kinderpoliklinik des 
Privatdoc. Dr. H. Neumann. (Jahrbuch f. Kinderheilkunde. Bd. XLII.) 

Die Angaben der Autoren über die Häufigkeit der Tetanie im Kindesalter 
schwanken, selbst wenn sie aus denselben Gegenden stammen; dies liegt zum grössten 
Theil in der so wenig übereinstimmenden Auffassung des Begriffes der Tetanie. Verf. 
präcisirt das Krankheitsbild genau und bezeichnet mit Tetanie nur die Fälle, wo 
typische tetanische Krampfanfälle Vorkommen. Die Krankheit kommt in der That 
bei Säuglingen und Kindern in den ersten Lebensjahren vor, wenn auch in Berlin 
selten, ein gewisser, allerdings nur indirecter Zusammenhang mit der Rachitis ist 

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nicht völlig von der Hand za weisen. Die Untersuchung der Kinder erfolgte nach 
einem, alle für die Tetanie bezüglichen Fragen enthaltenden Schema. Die Unter¬ 
suchung auf das Vorhandensein des Chrostek’schen Zeichens und des Trousseau'- 
schen Phänomens erfordert gewisse Vorsichtsmaassregeln. 

Von 9481 Kindern (1893—1896) litten 7 an Tetanie. Verf. untersuchte selbst 
5 Kinder bei im Oanzen 2191 zur Beobachtung gekommenen; von letzteren waren 
1116 rachitisch, davon hatten Tetanie 3, während von 1077 nicht rachitischen 2 Tetanie 
hatten. Alle Kinder waren in den beiden ersten Lebensjahren. 

Von den ö Kindern litten 3 zugleich an fieberhaften Magendarmaffectionen, in 
allen Fällen bestand Spasmus glottidis, welcher als zum Symptomenbilde der Tetanie 
gehörig betrachtet werden muss, ebenso auch allgemeine Convulsionen, die sich bei 
3 Kindern fanden. Das Trousseau’sche Phänomen fand sich bei 3 Kindern, es 
kann also bei Tetanie fehlen. Das Gleiche gilt vom Facialisphänomen. In allen 
Fällen bestand eine erhöhte mechanische Erregbarbeit der motorischen und sensiblen 
Nervenstämme. Erhöhte galvanische Erregbarkeit am N. ulnaris und peroneus liess 
sich einmal nacbweisen. 

Verf. untersuchte ferner 82 rachitische Kinder auf nervöse Erkrankungen, speciell 
auf einzelne tetanische Symptome (latente Tetanie, tetanoide Zustände). Von diesen 
82 litten 61 am Spasmus glottidis, 2 an Anfällen von Apnoe, 14 zeigten das 
Trousseau’sche Phänomen, 28 das Facialisphänomen, 3 Spasmus nutans mit 
Nystagmus, 1 Nystagmus allein, 2 Strabismus, 1 Hydrocephalus und 30 allgemeine 
Convulsionen. Von den 61 Kindern mit Spasmus glottidis hatten 21 weder Facialis¬ 
phänomen, noch das Trousseau’sche Zeichen, 14 das Facialisphänomen allein, 2 
Trousseau’sches Phänomen allein, 12 beides. Bei 31 rachitischen Kindern ohne 
Spasmus glottidis fand sich nur 2 Mal das Facialisphänomen. Nie das Trousseau’sche 
Zeichen. 

Die Häufigkeit nervöser Affectionen bei Rachitis entspricht der vonKassowitz 
angegebenen. Weder der Grad der Rachitis, noch der Ernährungszustand der Kinder 
war von Bedeutung für die Intensität und Häufigkeit der nervösen Störungen. Auf¬ 
fällig ist der Umstand, dass mechanische Uebererregbarkeit der motorischen Nerven 
häufig vorkommt bei Rachitis, wahre Tetanie dagegen selten, Uebergang der sogen, 
latenten Tetanie in manifeste wurde nie beobachtet. 

Das Facialis- und das Trousseau’sche Phänomen kommt auch in Gegenden 
vor, wo Tetanie unbekannt ist, während es andererseits bei der Tetanie der Er¬ 
wachsenen und Kinder fehlt, beide Zeichen reichen also zur Diagnose der echten und 
latenten Tetanie nicht aus. Der Laryngospasmus ist bei Erwachsenen sehr selten, 
bei Kindern sehr häufig; bei letzteren scheint die Tetanie häufiger alle vier Ex¬ 
tremitäten zu befallen, der Therapie zugänglicher zu sein und einen mehr aenten 
Verlauf zu nehmen, als bei Erwachsenen; bei diesen ist Tetanie in Berlin jedenfalls 
sehr selten. 

Symptome, der Tetanie ähnlich, finden sich bei Hysterie, Hydrocephalie und 
Tetanus, Verf. erörtert die Differenzpunkte. Die Tetanie sei als selbstständige Krank¬ 
heitsform aufzufassen, etwa wie Epilepsie, trotzdem beide eine mannigfaltige Aetiologie 
haben. Allen Ursachen gemeinsam ist, dass sie zu einer chronischen Ernährungs¬ 
störung des Gesammtorganismus, speciell des Nervensystems, führen. 

In einem Nachtrag theilt Verf. mit, dass er innerhalb 3 '/* Monaten 5 weitere 
Fälle von echter Tetanie beobachtet hat. Diesem gehäuften Vorkommen legt Verf. 
vorläufig keinen Werth bei. Alle Kinder genasen; sie waren alle rachitisch, 3 hatten 
Spasmus glottidis und allgemeine Convulsionen, in 4 Fällen war das Trousseau’sche 
Phänomen vorhanden, in 3 das Facialphänomen. Alle 6 hatten erhöhte elektrische 
Erregbarkeit. Ein Kind hatte im ersten Jahre latente Tetanie mit Spasmus glottidis, 
im zweiten nur letzteren. Dieser verschwand, um einem echten Petit mal Platz zu 
machen, das bestehen blieb. Samuel (Stettin). 


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Psychiatrie. 

29) De l’infantilisme myxoedömateux, par E. Brissaud. (Nouv. Iconographie 
de la Salpötriöre. 1897.) 


Verf. versteht in Uebereinstimmung mit H. Meige unter Infantilismus Zustände, 
welche dadurch gekennzeichnet sind, dass die körperlichen und geistigen Eigen* 
schäften der Kindheit in höherem Alter bestehen bleiben: körperlich dauernd kind* 
liehe Proportionen, also verhältnissmässig grosser, runder Kopf, länglicher Rumpf, 
vorstehender Bauch, runde, volle Extremitäten; Fehlen der seenndären Geschlechts¬ 
charaktere, also rudimentäre Geschlechtsorgane, Mangel der Behaarung an den Ge* 
schlechtstheilen und in der Achselhöhle, geringe Entwickelung der Brustdrflse u. s. w.; 
geistig geringe Ausbildung der Intelligenz, rasches und abnorm leichtes Eintreten, 
sowie spurloses Verschwinden starker Affecte, übertriebene Neigungen n. s. w. — Unter 
„Infantilisme myxoedömateux“ versteht Verf. nun die Zustände von Infantilismus, 
welche dadurch entstanden sind, dass die gesammte Entwickelung durch eine in der 
Jugend eingetretene Störung der Schilddrüsenfunctionen zum Stillstand gekommen ist. 
Klinisch zeigen solche Individuen natürlich ausser den oben angedeuteten infantilen 
Eigentümlichkeiten auch mehr oder weniger deutlich die gewöhnlichen tbyreopriven 
Symptome' (Myxödem); jedoch betont Verf. besonders das Vorkommen von „formes 
frustes“ sowohl des Myxödems, wie des Infantilismus, wobei eben nnr einige, aber 
nicht sämmtliche typische Erscheinungen nachweisbar seien. In Anbetracht der 
fliessenden Uebergänge und der zahllosen Abstufungen bestehe auch zwischen dem 
„Inf. myx.“ des Verf.’s nnd der „Idiotie myxoeddmateuse“ von Bourneville kein 
qualitativer, sondern nur ein quantitativer Unterschied, insofern als eben einerseits 
die „Idiotie myx.“ den höchsten Grad des „Inf. myx.“, den Infantilismus par ex- 
cellence darstellte, während es Bich andererseits bei den leichtesten Fällen von 
„Inf. myx.“ im Principe auch um Idioten handele, wenn auch um „idiots tröe 
snpärieurs.“ 

Die Unterschiede der einzelnen Fälle führt Verf. 1. auf die Intensität der 
8childdrüsenläsion zurück und 2. auf den Zeitpunkt, in welchem diese zur Entwicke- 
lnngshemmung geführt hat Andere als Infantilismns beschriebene Formen („type 
Lorain“, geringe Körpergrösse, aber Proportionen des Erwachsenen, geringe Ausbildung 
der Genitalien, Fehlen der sexuellen Functionen u. s. w.) trennt Verf. scharf von 
dem eigentlichen Inf. (myx.); jene Formen seien nur Manifestationen allgemeiner 
Schwächezustände, für welche besonders hereditäre Lues, Alkoholismus, Störungen in 
der Entwickelung des Herzens und der grossen Gefässe („infantilisme anangioplasique“) 
von ätiologischer Bedeutung seien. Verf. beschreibt und reproducirt hierbei ein 
18jähr. Individuum, welches die Grösse eines 4jähr. Kindes hat und eine Combination 
des „infantilisme anangioplasique“ nnd des „infantilisme myxoedömateux“ zeigt; es 
war einerseits schwer hereditär belastet und trank selbst enorm, andererseits hatte 
ee durch Lymphdrüsentnbercnlose die Schilddrüse eingebüsat. Zum Schluss betont 
Verf., dass weder das complete, noch das abortive angeborene Myxödem unbedingt 
mit psychischen Störungen einhergehen müsse; es sei daher mit Rücksicht auf die 
Experimentalergebnisse über die Function der bei vielen Thieren noch getrennt von 
der Thyreoidea liegenden Gl. parathyreoideae (cf. Ref.: Vassale et Generali, Sur 
lee effets de l’exstirpation des glandes parathyröoidiennes. Arch. It de Biol. 
Tom. XXVI. 1 . — Vassale et Donaggio, Les altörations de la moölle öpiniöre 
chez les chiens opdrds d’exstirpation des glandes parathyröoidiennes) anznnehmen, 
dass das Aufhören der Function des thyreoiden Gewebes die Dystrophieen der Haut 
und des Skeletts verursache, während die nervösen, speciell die psychischen Störungen 
auf den Functionsausfall des parathyreoiden Gewebes zu beziehen seien. 

Kaplan (Herzberge). 


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30) Idiotie myxoeddmateuse (myxoedeme infantile) et l’influenoe par 
l’ingestion de glande thyroide du mouton, par Bourneville. (Progräs 
medical. 1897. Nr. 10—11.) 

Verf. schildert den wohlthätigen Einfluss der Verabreichung frischer Hammel* 
Schilddrüse bei zwei 4- bezw. 5 Jahre alten idiotischen Kindern, die ausserdem an 
Myxödem litten. Eine Beihe Tabellen, Photographieen und Zahlen zeigen die Unter¬ 
schiede vor, während nnd nach der Behandlung. Da sämmtliche Mittheilungen sehr 
ausführlich und genau sind, eignet sich der Aufsatz leider nicht für eine kurze 
Besprechung. Es soi aber hiermit auf ihn aufmerksam gemacht. 

Adolf Passow (Strassburg i./E.). 


31) Tiroide e cretinismo, per (üristiani. (Annali di freniatria. 1897. S. 349.) 

Sehr eingehende, gründliche Arbeit mit grosser Litteraturkenntniss. und wohl- 
thuender Objectivität geschrieben. Pathologisch und klinisch vergleicht Verf. den 
Cretinismus mit den Zuständen nach Exstirpation der Schilddrüse, dem Myxödem, 
auch mit dem M. Basedowii und kommt zu dem Schlüsse, dass der Cretinismus das 
Primäre einer Veränderung des Schilddrüsenparenchyms sei, die eine „Hypofunction“ 
derselben erzeuge und in Folge dessen durch Vergiftung direct das gesamtste Central* 
nervensystem angegriffen werde und davon wieder abhängig die übrigen somatischen 
Zeichen, während die Stoffwechselveränderungen weniger in Betracht kämen. Freilich 
giebt es noch manche Punkte aufzuklären und bei dem endemischen Cretinismus sind 
die Resultate der Thyreotherapie nicht so brillant, wie beim Myxödem. Verf. meint, 
dass das Ganze sehr bestechend wäre, wenn nicht ganz neuerdings die experimentelle 
Arbeit Munck ’s erschienen wäre, die alle bisherigen experimentellen Ergebnisse und 
Inductionen Anderer in Frage stellten. Er leugnet darin die Wichtigkeit der Schild¬ 
drüse für den ganzen Organismus, ebenso auch den Zusammenhang von Myxödem, 
Cretinismus u. s. w. mit der Thyreoidea, ebenso den Erfolg der Thyreotherapie. 
Solchen gewichtigen und, wie Ref. glaubt, ausschlaggebenden Untersuchungen gegen¬ 
über harrt unruhig die definitive Frage des Zusammenhangs von Schilddrüse und 
Cretinismus u. s. w. der Lösung. Verf. erwähnt einige interessante Daten. So ist 
vieler Orten erst Kropf beobachtet worden, später Cretinismus. Kropf hält Lombroso 
für abgeschwächten Cretinismus (1 Ref.). Kropfkranke erkranken leicht psychisch, mehr 
als Andere, und zwar an den degenerativen Formen der Psychose, der Paranoia, 
Epilepsie und besonders der Idiotie. (Auch hierüber sind die Beobachtungeu noch 
zu spärlich. Ref.) Marzocchi und Antonini wollen ferner gefunden haben, dass 
bei den Irren mit Kropf weniger Hämoglobin, Harnstoff, P 2 0 6 und giftigerer Harn 
gefunden wurde, als bei den übrigen Geisteskranken. (Auch das wäre noch weiter 
zu erhärten. Ref.) Während aber hier die depressiven Formen vorherrschen, sollen 
bei M. Basedowii, wo es sich um „Hyperfunction“ handele, mehr erregte Psychosen 
und Zustände auftreten (? Ref.) Als eifriger Jünger Lombroso’s endlich hält Verf. 
die Degenerationszustände am Körper bei Cretins u. s. w. durch dystrophische Processe 
im embryonalen Leben für „ethnische Rückschritte, atavistische Charaktere“ (! Ref.). 

Näcke (Hubertusburg). 


32) Ueber das Bewusstsein der Halluoinirenden, von Dr. Josef Berze. 

(Jahrbücher für Psychiatrie u. Neurologie. Bd. XVI.) 

Der Unterschied zwischen Perceptions* und Apperceptionshallucination zeigt sich 
in genetischer Beziehung namentlich in der Verschiedenheit des Verhältnisses zur 
Bewusstseinsstörung. Die Perceptionshallucination an sich setzt keinerlei Bewusstseins¬ 
störung voraus; sie entsteht aus Reizvorgängen in dem betreffenden Sinnescentrum 
und stellt einen vom Zustande des Associationsorganes x<u’ ganz unabhängige!! 

Einbruch in das letztere vor, als dessen Ursache — zum Unterschiede von der physio- 

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logischen Sinneswahrnehmung, bei der dieser Effect nur durch die Einwirkung auf 
das entsprechende periphere Sinnesorgan bewirkt wird — eine spontane Entladung 
des Sinnescentrums anzusehen ist. Eine etwa doch vorhandene Störung des Bewusst¬ 
seins spielt demnach nur eine accidentelle Rolle und findet ihren Ausdruck in der 
pathologischen Verwerthung des Hallucinirten. Die Apperceptionshallucination weist 
auf die eigentlichen Associationscentren als Ursprungsstätte und lässt a priori eine 
Störung des Bewusstseins erwarten; diese ist nicht nur thatsächlich klinisch nach¬ 
weisbar, sondern dürfte sogar, wie der Verf. auszuführen bestrebt ist, ohne Hinzu¬ 
treten eines weiteren pathologischen Factors die Genese der Apperceptionshallucination 
begründen. Das Bewusstsein erscheint nämlich bei den in Betracht kommenden 
Kranken gestört im Sinne einer Einengung auf einen Rest von Vorstellungen, die in 
dem Falle, als sie wahnhaft entstellt sind, eben den Wahn vorstellen. Die Enge 
entsteht in verschiedener Weise, beispielsweise dadurch, dass der übrige Bewusstseins¬ 
inhalt in Folge Rindenerschöpfung ausser Function gesetzt ist, oder dadurch, dass 
er sich in Folge der erschwerten Auslösbarkeit in einem Zustande functioneller 
Latenz befindet. Zur Erläuterung der Genese der Apperceptionshallucination aus 
diesem Zustande zieht der Verf. den Vergleich dieses Zustandes, den er kurz als den 
der hallucinatorischen Disposition bezeichnen möchte, mit dem hypnotischen Zustande 
heran. In diesem erfährt der „functionirende Rest“ des durch die Hypnose ausser 
Function gesetzten Associationsmechanismus in Folge einer Weigerung der ideo- 
sensoriellen Reflexerregbarkeit eine pathologische Verwerthung in der Richtung, dass 
eine Umsetzung der Vorstellung in Empfindung erfolgt (Bernheim). Ganz dieselben 
Verhältnisse gelten für die hallucinatorische Disposition, welche demnach gelegentlich 
zur hallucinatorischen Wahrnehmung der im eingeengten Bewusstsein mit um so 
grösserer Potenz auftauchenden Vorstellung führen muss. Der Verf. stellt sich also 
für diese Form der Hallucinationen auf den Boden der centrifugalen Theorie, von 
der er aber ausführt, dass sie im Lichte der neuesten Forschungen (namentlich 
Flechsig’s) einen anderen Charakter gewonnen hat, dem gegenüber manche Ein¬ 
wände, welche gegen die centrifugale Theorie früher mit grösserer oder geringerer 
Berechtigung in’s Treffen geführt werden konnten, an Bedeutung wesentlich verloren 
haben. Von Seiten der Sinnescentren möchte der Verf. für die Entstehung der 
Apperceptionshallucinationen eine erhöhte Ansprechbarkeit keineswegs postuliren, ob¬ 
wohl er die Erleichterung ihrer Entstehung im Falle des Bestandes der letzteren 
zuzugeben nicht versäumt. Erhöhte Ansprechbarkeit ist aber nicht etwa identisch 
mit einem zur spontanen Entladung tendirenden Reizzustande der Sinnescentren, der 
nur die Grundlage für die Entstehung von Perceptionshallucinationen bilden kann. 

Nebenher wird in der Studie die Frage nach dem Zusammenhänge von Reiz- 
zuständen in den peripheren Sinnesorganen — z. B. von entotischen Geräuschen — 
mit der Entstehung von Sinnestäuschungen berührt. Unabweisbar ist zunächst die 
Annahme, dass sie ebenso wie der durch äussere Objecte angeregte Reiz im Sinnes¬ 
organe, die Grundlage für Illusionen abgeben können; als naheliegend muss ferner 
die Annahme bezeichnet werden, dass sie bei dem Umstande, als sie einen Reiz¬ 
zustand im Sinnescentrnm bewirken können, gelegentlich zu Perceptionshallucinationen 
führen können. Den Ueberlegungen dagegen, welche den peripherischen Reizen auch 
eine Bedeutung bei der Entstehung psychischer Hallucinationen einräumen möchten, 
kann der Verf. keine Berechtigung zusprechen. Hier sei zum Schlüsse noch des in 
der Studie nicht berührten Umstandes Erwähnung getban, dass die von den Autoren, 
welche sich mit dieser Frage beschäftigt haben, angeführten Gehörsstörungen zumeist 
von der Natur sind, dass sie neben Reizerscheinungen eine verschiedengradige Ver¬ 
minderung des Gehörvermögens bedingen; für die Entstehung von psychischen Hallu¬ 
cinationen scheint nun dieser letztere Factor eher von Bedeutung zu sein, indem er 
durch den Ausfall der Gehörseindrücke zur Entstehung einer Bewusstseinsenge bei¬ 
tragen kann. (Autorreferat.) 


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33) Die puerperalen Psyohosen, vom ätiologischen, klinischen und foren- 

sisoben Btandpunot, von Dr. Sbdarow. (Moskau. 1896 [russisch].) 

Eine 436 Seiten umfassende Monographie. Als Einleitung dient ein ausgezeich¬ 
neter historischer Ueberblick über die Lehre von den Puerperalpsychosen. Verf. theilt 
die Geschichte derselben in drei Perioden: die älteste beginnt mit Hippokrates und 
reicht bis znm Anfang unseres Jahrhunderts, als Puzo's Theorie von den „Milch¬ 
ablagerungen“ durch Ghossier (1801) gestürzt wurde; die zweite, mittlere, umfasst 
eine grosse Menge wissenschaftlicher Untersuchungen über dieses Thema und endigt 
1887, als durch Campbell Clark mit Bestimmtheit Intoadcation als ätiologisches 
Moment der Puerperalpsychosen angesprochen wurde; seitdem ist eine Reihe von 
Arbeiten erschienen, die znr weiteren Klärung dieses, die neueste Periode kennzeich¬ 
nenden Standpunktes beitragen. Verf. scheidet ans seinem Untersuchungsgebiet die 
Schwangerschaftspsychosen und auch diejenigen ans, die zur eigentlichen Lactations- 
periode gehören, und zählt zu den Puerperalpsychosen nur solche Geistesstörungen, 
die im Laufe der ersten sechs Wochen post partum entstehen. Indem er die Häufig¬ 
keit derselben in diesem streng begrenzten Sinn berechnet, findet er, dass nach den 
Angaben verschiedener Autoren und Berichten verschiedener Anstalten die Puerperal¬ 
psychosen gegenwärtig ungefähr 4—4,8°/ 0 der Geistesstörungen ausmachen, die 
überhaupt bei Weibern beobachtet werden, nnd dass dieser Procentsatz in früheren 
Zeiten grösser war (bis zu 6,3°/ 0 ), dass also in neuerer Zeit eine Abnahme der 
Frequenz der Puerperalpsychosen zu constatiren ist. Speciell in Russland ergiebt 
eine Zusammenstellung ans fünf grösseren Irrenanstalten, dass auf 2841 Aufnahmen 
geisteskranker Weiber 117 Puerperalpsychosen (also 4,1 °/ 0 ) kommen. 

Das eigene klinische Material des Verf.’s beträgt 87 Fälle von Puerperal¬ 
psychosen, davon 45 persönliche Beobachtungen und 42 Krankengeschichten aus 
verschiedenen Moskauer Irrenanstalten. Die Analyse der ätiologischen Verhältnisse 
dieser Fälle zeigt, dass zur Entstehung puerperaler Psychosen ein Zusammenwirken 
mehrerer Momente erforderlich ist, unter welchen die Hauptrolle drei spielen, und 
zwar hereditäre Belastung (sie war in 79 % vorhanden), puerperale Infection 
(64,5 °/ 0 ) und Gemüthsbewegungen (56,3%). Ausserdem hat auch Eclampsie wesent¬ 
liche Bedeutung, aber dieselbe tritt wegen ihres verhältnissmässig seltenen Vorkom¬ 
mens in practischer Hinsicht zurück. 

Was den klinischen Verlauf der Puerperalpsychosen beetrifft, so handelt es sich 
unter den 87 Fällen 70 Mal, also 80,5 % um Amentia. Andere Irreseins formen 
kamen nur vereinzelt vor, und zwar Melancholie und Cerebropathia toxaemica je 
4 Mal, Paranoia acuta 3 Mal, Mania 2 Mal, nnd andere Formen 4 Mal. In dieser 
Weise gehört die Puerperalpsychose in den allermeisten Fällen in das Gebiet der 
Amentia, und Verf. vermisste irgendwelche klinische Unterscheidungsmerkmale zwischen 
der puerperalen Amentia und derjenigen, die bei Weibern unter anderen Verhält¬ 
nissen zur Beobachtung gelangt Ungefähr in drei Vierteln der Fälle kam es zur 
Genesung. 

Das forensische Capitel enthält hauptsächlich allgemeine Betrachtungen über 
Bewusstseinsstörungen im Puerperium in Bezug auf Kindesmord bei aussereheiiehen 
Geburten. Im Schlusscapitel hebt Verf. die prophylactische Bedeutung hervor, die 
die Vermeidung von Gemüthsbewegungen (Schreck, Aerger, Aufregung) für die 
Pnerperalpsychosen — neben dem Vorbeugen puerperaler Infection — besitzt 

Am Schluss der werthvollen Arbeit sind die 87 eigenen Fälle des Verf. in 
Tabellenform znsammengestellt und 529 Schriften über das ihn beschäftigende Thema 
angegeben. P. Rosenbach (St. Petersburg). 


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34) Drei oasutstiaohe Beiträge gar Lehre von den Psyohoeen mit Chore«, 
von Dr. Knauer in Görlitz. (Monatsschrift für Psychiatrie und Neurologie. 
Bd. I. 1897.) 

Die choreatischen Bewegungsstörungen worden bei einem erblich schwer be¬ 
lasteten 18jährigen Knaben, der an Zwangsvorstellungen und Sinnestäuschungen litt, 
bei einer 11 */j Jahre alten Patientin, die hallucinirte und verworren war, und bei 
einem erwachsenen Mädchen mit Cyclothymie, beobachtet. Im ersten und im dritteu 
Fall entwickelte sich die Chorea vor Ausbruch der psychischen Störungen, im zweiten 
Fall entstanden beide Krankheiten gleichzeitig. G. Ilberg (Sonnenstein). 


36) Zusammenstellung der sich in dem bürgerlichen Gesetzbuch für den 
Psychiater ergebenden, s. Th. neuen Gesichtspunkte für die Erstattung 
von Gutachten, von Landgerichtsrath C. Schnitze in Berlin. (Monatsschrift 
für Psychiatrie und Neurologie. Bd. U. S. 204.) 

Es ist f&r den Frieden zwischen Juristen und Psychiatern wohl wesentlich, dass 
beide Parteien in ihren Schranken bleiben. Ein medicinischer Sachverständiger 
kann seinem Gutachten nur schaden, wenn er sich allzusehr auf juristische Deduc- 
honen einlässt, deren Tragweite er in der Begel nicht ermisst Mit Dank ist daher 
die vorliegende Arbeit zu begrüssen, deren Autor die aus dem Titel ersichtliche Auf¬ 
lösung ertheilt. Er bespricht, inwiefern Geisteskrankheit nach dem bQrgerlichen 
Gesetzbuch Grund ffir Entmündigung, Einsetzung einer Pflegschaft, Bevormundung . 
Volljähriger, Geschäfts- und Testirunfähigkeit nnd für Ehescheidung ist. 

Durch die Entmündigung wird die rechtliche Persönlichkeit eines Menschen 
völlig aufgehoben. Mit Rücksicht auf die schwere Beeinträchtigung der persönlichen 
Freiheit haben alle Gesetzgebungen diese Fälle möglichst einzuschränken versucht. 
Gegenwärtig sind die Bestimmungen über die Entmündigung Geisteskranker in den 
einzelnen deutschen Staaten verschieden. Von medicinischer Seite ist namentlich 
gegen den in einzelnen Staaten gebräuchlichen Ausdruck „des Vernunftsgebrauchs 
beraubt“ lebhafter Widerspruch geäussert worden. Vom Jahre 1900 an tritt im 
ganzen deutscheu Reiche die einfache und klare Bestimmung des bürgerlichen Ge¬ 
setzbuches in Kraft, dass, wer in Folge von Geisteskrankheit oder Geistesschwäche 
seine Angelegenheiten nicht zu besorgen vermag, entmündigt werden kann. Geistes¬ 
krankheit oder Geistesschwäche müssen einen solchen Grad erreichen, dass der Kranke 
oder Schwache seine Angelegenheiten nicht zu besorgen vermag. Unter Angelegen¬ 
heiten ist die Gesammtheit aller Beziehungen des Einzelnen zu seiner Familie, 
seinem Vermögen und zur Gesellschaft zu begreifen. Seine Angelegenheiten besorgen 
kann nur Jemand, der mit freier Willensbestimmung bandelt, der eine klare Vor¬ 
stellung der von ihm gewollten Handlung hat und die Folgen seines Handelns, soweit 
sie normaler Weise vorauszuseben sind, zu überlegen im Stande ist. Der begut¬ 
achtende Psychiater musste bisher das von ihm Ermittelte in einer von dem mate¬ 
riellen Rechte vorgeschriebenen Formel zum Ausdruck bringen, die den Begriffen 
seiner Wissenschaft oft nicht entsprach. In Zukunft braucht er lediglich festzustellen, 
ob der Entmündigende geisteskrank bezw. geistesschwach ist oder nicht; ausserdem 
hat er das Material zu liefern, ob der Explorirte seine Angelegenheiten zu besorgen 
vermag, d. b. ob er mit freier Willensbestimmung oder unter dem Einfluss abnormer 
Sealenthätigkeit handelt. In jedem concreten Falle soll die Eigenart des einzelnen 
Individuums berücksichtigt werden. Es bleibt aber selbstverständlich Sache des 
Sichters zu entscheiden, ob die Voraussetzungen für die Entmündigung thatsächlich 
gegeben sind. Der wegen Geisteskrankheit Entmündigte ist unfähig, Rechtsgeschäfte 
«der rechtswirksame Willensakte vorzunehmen. Ist die Entmündigung nur wegen 
Geistesschwäche ausgesprochen worden, so handelt es sich um geringere Rechtsver- 


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k&rzung. Auch in dem auf Wiederaufhebung einer Entm&ndigung gerichteten pro* 
cessualen Verfahren nach erfolgter Heilung oder derartiger Besserung, dass Besorgung 
der Angelegenheiten möglich ist, hat der psychiatrische Sachverständige mitznwirken. 
Nach erfolgter Entmündigung erhalten geschäftsunfähige Volljährige einen Vormund. 
In bestimmten Fällen kann das Vormundschaftsgericht schon nach beantragter Ent« 
mündigung eine vorläufige Vormundschaft eintreten lassen; dann kann ein 
Gutachten darüber nothwendig werden, ob der Kranke sich oder Andere zu gefährden 
geneigt ist. 

Personen, die in Folge von geistigen Gebrechen einen Theil ihrer Angelegen« 
heiten nicht besorgen können, erhalten mit ihrer Bewilligung für die Besorgung dieser 
Angelegenheiten einen Pfleger, ohne den sie hierbei nicht rechtsverbindlich handeln 
können. Auch hier kann der Psychiater nach verschiedenen Richtungen mitzu¬ 
wirken haben. 

Der wegen Geisteskrankheit Entmündigte ist geschäftsunfähig. Seine 
Willenserklärungen sind rechtlich unwirksam; z. B. ist eine während der Zeit der 
Entmündigung geschlossene Ehe bezw. ein während dieser Zeit errichtetes Testament 
nichtig. Aber auch die Willenserklärung des nicht Entmündigten ist nichtig, wenn 
sie im Zustand der Bewusstlosigkeit oder vorübergehender Störung der Geistesthätig- 
keit abgegeben worden ist. Und auch derjenige ist geschäftsunfähig, der sich in 
einem die freie Willensbestimmung ausschliessenden Zustande krankhafter Störung der 
Geistesthätigkeit befindet, sofern dieser Zustand nicht seiner Natur nach vorüber¬ 
gehend ist. Der Psychiater hat in solchen Fällen die Thatsache der vorübergehenden 
oder nicht vorübergehenden krankhaften Störung der Geistesthätigkeit festzustellen, 
oder er bat die Umstände aufzuklären, die auf den Grad der Krankheit schliessen 
lassen. Den Schluss aber, ob die betreffende Person ohne freie Willensbestimmung 
gehandelt hat, hat der Richter zu ziehen. 

Das bürgerliche Gesetzbuch hat Geisteskrankheit eines Gatten als Eheschei¬ 
dungsgrund acceptirt, wenn die Krankheit andauernd, hochgradig und unheilbar 
ist. In einem derartigen Ehescbeidungsprozess soll untersucht werden, ob der be¬ 
treffende Gatte ein Leiden mit den vorgedachten Eigenschaften hat und ob dadurch 
die geistige Gemeinschaft zwischen den Gatten ausgeschlossen wird. Der Psychiater 
hat sich in seinem Gutachten darüber zu äussem, ob Geisteskrankheit vorliegt, ob 
sie 3 Jahre gedauert hat und unheilbar ist, ob der Zustand des Kranken einen 
dauernden Aufenthalt in einer Anstalt bedingt und ob Hoffnung auf Wiederherstel¬ 
lung der geistigen Gemeinschaft zwischen den Gatten ausgeschlossen ist. Dem Richter 
fällt die Aufgabe zu aus den gelieferten Materialien zu folgern, ob durch die Seelen¬ 
störung thatsächlich die geistige Gemeinschaft zwischen den Ehegatten aufgehoben 
worden ist. 

Wir Aerzte würden ja sehr zufrieden damit sein, wenn wir uns in unserem 
Gutachten nur mit dem medicinischen Theil zu beschäftigen hätten. Oft genug 
aber begnügen sich die Juristen in ihrer Fragestellung hiermit nicht und verlangen 
ein juristische Begriffe enthaltendes Schlussurtheil. Auch aus dem obigen Referat 
der Schultze’schen Ausführungen dürfte hervorgehen, dass ein vollständiger Ver¬ 
zicht auf juristische Dinge unmöglich und unthunlich ist. Aber das muss anerkannt 
werden, dass die nach dem bürgerlichen Gesetzbuch erforderten psychiatrischen Gut¬ 
achten — den Wünschen der Irrenärzte entsprechend — viel weniger juristische 
Dinge zu verarbeiten haben werden als die jetzigen. 

Zum Schluss möchte Ref. gegen die Bemerkung Schultze’s Verwahrung ein* 
legen, dass bei dem gegenwärtigen Stand der Seelenheilknnde die einzelnen Formen 
oder Stadien der Geisteskrankheiten nicht genau untereinander abgegrenzt werden 
können. Das entspricht nicht mehr der Wirklichkeit. Im Gegentheil muss für jedes 
brauchbare Gutachten als erforderlich bezeichnet werden, dass die Beschreibung der 
Symptome und die Schilderung des Verlaufs mit einer bestimmten klinischen Diagnose 


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endigt Nur dann kann vom psychiatrisch-wissenschaftlichen Standpunkt der Beweis 
der Geisteskrankheit als erbracht angesehen werden. Dass es oft schwierig ist, eine 
Diagnose zu stellen, ist doch kein stichhaltiger Ein wand; dann kann wenigstens ge« 
sagt werden, welche Krankheitsformen in Frage kommen. Wer keine psychische 
Diagnose stellen bezw. die für die Differentialdiagnose in Betracht kommende Ge« 
sichtspunkte benrtheilen kann, sollte sich eben der Abgabe psychiatrischer Gutachten 
enthalten. Georg Ilberg (Sonnenstein). 

36) Zwei Fälle sogen. Folie per transformstion (Folie en oommun), von 

Dr. Leo Finkeistein. (Jahrb. f. Psych. Bd. XVI. 1897.) 

Als Folie par transfonnation bezeichnet man jene Abart des inducirten Irreseins, 
wobei von zwei Geisteskranken der eine seine Wahnideeen auf den anderen überträgt, 
ihn gewissermaassen inficirt. Verf. giebt zunächst eine litterarische Uebersicht dieser 
im Allgemeinen seltenen Vorkommnisse, dann bringt er zwei eigene hierher gehörige 
Beobachtungen. 

1. In der ersten Beobachtung handelt es sich um zwei Paranoiker; nach 3wöchent« 
liebem engen Beisammensein zeigte sich beim zweitangekommenen Kranken eine Nach« 
ahmnng des ersten zunächst auf motorischem Gebiete, so dass er in seinen Bewegungen 
eine getreue Copie des ersten Kranken wurde. Später äusserte dieser zweite Kranke 
auch die gleichen Wahnideeen wie der erste, schliesslich eignete er sich dessen 
Hallucinationen und Wahnsysteme vollständig an. Dabei äusserte der Kranke keine 
seiner früheren eigenen Wahnideeen und Hallucinationen. Der inducirende Theil 
war hier deutlich das active Element, der zweite Kranke durchaus passiv, wozu er 
durch seine schon früher bestandene Charakterschwäche und Trägheit geeignet war. 

2. Auch in der zweiten Beobachtung handelt es sich um zwei Paranoiker, die 
ähnliche Ideeen hatten, jedoch in ihrem sonstigen Verhalten sich verschieden zeigten. 
4 Tage nachdem sie ein gemeinsames Zimmer bewohnt hatten, äusserte der zweite 
Kranke eine von dem ersten entlehnte Wahnidee (hypnotisirt zu sein), und zwar 
richtete sich dieselbe gegen den ersten Kranken selbst. Nachdem die Kranken von 
einander getrennt waren, verschwand diese inducirte Wahnidee bald. Als nach 
einiger Zeit wiederum eine Annäherung der Kranken erfolgt war, entlehnte der zweite 
Kranke eine zweite Wahnidee von dem ersten, die er gleich wie beim ersten Vor« 
kommnisse ganz gegen seine sonstige Gewohnheit mit grossem Affect vorbrachte. Die 
neuerliche Entfernung des Kranken aus der Nähe des anderen liess diese Wahnidee 
wiederum bald verblassen. Auch dieser zweite Kranke war auffallend schlaff und 
apathisch, ausserdem physisch abgeschwächt. 

Verf. legt für das Zustandekommen der Folie transformöe ausser auf die be« 
kannten Momente, die zum grossen Theil aach für die Folie ä deux Geltung haben, 
grosses Gewicht auf das Verhalten der emotiven Sphäre. Die activen inducirenden 
Elemente waren hartnäckige energische Naturen mit sehr ausgesprochener, mit ihren 
Wahnideeen zusammenhängender emotiver Veranlagung, während die passiven Elemente 
schlaffe, apathische Naturen waren. Redlich (Wien). 


37) Contribution ä la pathologie des rapports sexuale. Paralysies post- 
paroxyetiquee, par Förö. (Revue de Mddecine. 1897.) 

Verf. macht zunächst auf die physiologischen Begleiterscheinungen beim Coitus 
aufmerksam. Der Coitus reservatus spielt besonders bei der Neurasthenie und hier 
wieder bei der sexuellen eine grosse Rolle. Die Excitation beim Coitus kann 
mannigfache Störungen bei Disponirten bewirken, so z. B. epileptische Anfälle, Migräne, 
Asthma, Hysterie, Irrsinn (besonders bei Frauen als „post-connubial insanity“), aber 
aach mehr localisirt als Mnskelkrampf, Zähneknirschen, Hasten, Borborygmen u. s. w., 


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auf sensiblem Gebiete: Photopsieen, Erythropieen, Ohrensummen, Pruritus, Reflex* 
schmerz im Rachen u. s. w., auf arteriellem: Gehirnblutung (bei Greisen und Arterio- 
sclerose; oft bei den Hausvögeln), Nasenbluten, Schweisse u. s. w., auf motorischem: 
kurz andauernde Paresen und Paralysen (Hemiparaplegieen). Die nach normalem 
Coitus eintretende leichte Depression kann bis zur Erschöpfung gehen, Herzstillstand 
und Tod erzeugen, oder Circulationsstörungen zu Wege bringen: Polyurie, Durchfall, 
Hämotysen, oder Schmerzen, oder Amblyopie, Taubheit, Gefühllosigkeit (bei Hysterie 
besonders) u. s. w. Bei Hysterie und Neurasthenie wird auch stupuröser Schlaf nach 
Coitus beobachtet. Der Tod der männlichen Biene nach dem Coitus erfolgt nur durch 
Erschöpfung in Folge der Erethismen. Aber nach Coitus kann auch leichte Bewusst* 
seinsstörung, Amnesie u. s. w. auftreten oder motorische Störungen, besonders gern 
bei Hysterikern, bei denen also der Coitus genau so wie Ermüdung, Gem&ths* 
affect u. s. w. einwirkt und die schwache Stelle trifft Bei gewissen Neurasthenikern 
tritt nach Coitus Aenderung der Sprache ein. Zum Schlüsse theilt Verf. noch zwei 
interessante, hierher gehörige Beobachtungen mit Im ersten Falle handelte es sich 
um einen Epileptiker, der wiederholt nach Krämpfen vorübergehende Hemiplegieen 
zeigte und später auch solche nach dem Coitus. Im zweiten Falle war es ein 
durchaus gesunder Mann, nicht hereditär belastet, der nur spät hatte laufen lernen, 
immer in den Beinen einen gewissen Grad von Schwäche behalten hatte nnd durch 
Sorgen neurasthenisch geworden war; danach stellte sich bei ihm transitorische 
Paraplegie nach dem Beischlafe ein, was nur nach Behebung der Neurasthenie ver¬ 
schwand. N ä c k e (Hubertusburg). 


38) Betrachtungen über die Umkehrung des Gesohlechtstriebes, von Laupts. 

(Zeitschr. f. Criminalanthrop. 1897.) 

Verf. stellt über obiges Thema interessante, originelle, aber nicht einwandfreie 
Betrachtungen an. Für ihn sind Invertirte stets Kranke, die Inversion stets eine 
anormale Art der Liebe. Derselben liegen verschiedenartige Gründe vor. Bei durch 
das Milieu, die Mode u. s. w. erzeugten gelegentlichen Invertirten können ererbte 
Momente oder Stigmata abgehen; sie übernehmen die active Rolle, während der an* 
geboren conträr Sexuelle sich passiv verhält und physische Stigmata aufweist (immer? 
Bef.) in den weiblichen Formen, doch kann es letztere auch bei normal sexuellen 
Männern geben und einmal bei Jenen fehlen. Verschiedene Eintheilungen werden 
gegeben, auch Verf. giebt eine solche, die er in folgende Sätze schliesslich zusammen¬ 
fasst: 1. Physische Merkmale: wenn Mann, weibische conträr sexuelle Natur¬ 
anlage, wenn Weib, männliche conträr soxuelle Naturanlage. 2. Keine physischen 
Merkmale: Angeborene Inversion oder starke Prädisponirtbeit; Mann: cerebrale 
Feminiphilie und Pädophilie; cerebrale Masculiphilie; Weib: cerebrale Masculiphilie, 
cerebrale Feminiphilie. 3. Zeitweise Homosexualität: Mann: zeitweise Femini¬ 
philie und Pädophilie, zeitweise Masculiphilie; Weib: zeitweise Masculiphilie, zeitweise 
Feminiphilie. 4. Indifferentismus: Bloss zeitweise oder Prädisponirtbeit, vielleicht 
auch angeborene conträre Sexualempfindung bei vorhandenen körperlichen oder cere¬ 
bralen Mängeln. &. Verkommenheit: Entartung. — Nur die angeborene Homo¬ 
sexualität ist Symptom der Degeneration. Verf. glaubt, dass die Inversion gegen 
früher nicht zugenommen hat; er sieht sie als eine mehr oder minder allgemeine 
körperliche Missbildung an, bald als bloss rein nervöse, bald als heil- oder unheil¬ 
bares Leiden und theilt die Homosexuellen also in difforme Kranke und bloss ge¬ 
legentliche. Er giebt endlich einige geschichtliche Daten und einen Fragebogen, um 
weiteres Material zur Lösung vieler schwebenden Fragen zu erlangen. 

Näcke (Hubertusburg). 


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30) La pubertä studiata neU’uomo e nella donna eto., per Murro. (Torino 

1897.) 

Das vollkommenste Werk, das je Aber die wichtige Pubertätszeit in anthropo¬ 
logischer, psychiatrischer, pädagogischer und sociologischer Beziehung geschrieben 
wurde, dürfte wohl das vorliegende sein, aus dem verschiedene Partieen, z. B. die 
Pubertätspsychosen betreffend, in diesen Blättern schon referirt wurden, da die Hälfte 
des Buches, der theoretische Theil, bereits in den Annali di freniatria etc. veröffent¬ 
licht ist. Man staunt billigerweise Aber die Fülle von Thatsachen, die hier auf¬ 
gespeichert liegen, und der Psychiater, Criminolog und Sociolog werden des Inter¬ 
essanten überall viel antreffen. Aber auch der praktische Theil, die Hygiene des 
Jünglingsalters ist sehr breit und tief behandelt und erst nach der Lection des 
Ganzen wird Einem klar, wie unendlich wichtig der Gegenstand für das Ge¬ 
deihen der Gesellschaft ist Es sollte daher jeder denkende Menscheufreund das 
Buch lesen, dessen baldige Uebersetzung in’s Deutsche nur zu wünschen wäre. Ref. 
spricht endlich noch den Wunsch aus, dass Verf. in der gleichen Art, wie jenes 
Thema, auch das Greisenalter und Climacterum behandeln möchte. 

Näcke (Hubertusburg). 


40) Welohe besonderen Anforderungen — abgesehen von den für den 
Bau von Krankenhäusern gültigen — sind bei Bau und Einrichtung 
einer grossen einklassigen Anstalt für Geisteskranke su berücksich¬ 
tigen P von Dr. A. Passow. (Vierteljahrsschr. f. ger. Med. u. öffent Samariter¬ 
wesen.) 

Verf. resumirt die Resultate seiner umsichtigen Arbeit ungefähr wie folgt: Die 
Anstalt, welche beide Geschlechter gemeinsam verpflegen soll, muss in der Nähe 
einer Eisenbahnlinie und einer mittelgrossen Stadt, in gesunder Gegend gelegen, 
1 j t ha pro Kopf gross, und nach dem Pavillonsystem und dem colonialen Princip 
erbaut sein. Die — aussen und innen einfachen — Pavillons sind von grossen 
Gärten umgeben und in Abtheilungen und Gruppen zu zerlegen; ihre Einrichtung hat 
sich nach dem Grade der Zuverlässigkeit der Kranken zu richten. Für eine Gruppe 
von Kranken sind Abtheilungen mit ummauerten Gärten und vergitterten Fenstern 
erforderlich; die anderen Abtheilungen bilden Uebergänge von Krankenhäusern zu 
Wohnhäusern ähnlich eingerichteten Gebäuden. Die Zahl der Einzelräume ist mög¬ 
lichst einzuschränken und soll zusammen mit den in grosser Menge vorhandenen 
einfenstrigen Zimmern gewöhnlicher Einrichtung ca. 10°/ 0 der Belegungsziffer be¬ 
tragen. Es sollen nicht mehr als 8, oder ausnahmsweise 10 Kranke zusammengelegt 
werden. Gärten, Arbeitsstuben für alle Berufsarten, Ackerland mit vollem land- 
wirthschaftlichen Betriebe, müssen in möglicher Ausdehnung vorhanden sein. Auf 
100 Kranke ist ein Arzt zu verlangen. Leiter der Anstalt muss der ärztliche 
Director sein. Paul Cohn (Berlin). 


Therapie. 

41) Lee distractions dans le traitement des alienös, par Näcke. (Revue de 
Psychiatrie. 1807. Nr. 10.) 

Verf. bespricht ein nicht unwichtiges Kapitel der praktischen Psychiatrie, nämlich 
die verschiedenen Zerstreuungen für Geisteskranke und geht ziemlich eingehend 
darauf ein, indem er dabei sehr wohl Unterschiede für frisch erkrankte, chronische, 
gebildete, ungebildete, Anstalts- und Privatkranke macht. Er verlangt namentlich 
Ar die chronischen Patienten der Anstalt ein möglichstes no-restraint auch nach der 


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Richtung der Vergnflgungen hin, da die Kranken, besonders chronische, vielmehr 
daran Theil nehmen können, als Manche wollen. Man muss so viel als möglich die* 
selben als erwachsene Personen und nicht als Kinder behandeln, ihnen möglichstes 
Vertrauen schenken, und kann in der Lectflre, im Briefschreiben n. 8. w. ihnen 
möglichste Freiheit gewähren. Der Arzt muss natürlich den Tact haben — der 
leider nicht angelernt werden kann — die richtige Grenze za bestimmen und das 
Vergnügen wie Medicin richtig dosiren, wobei man aof locale Gewohnheiten, Rasse, 
Bildungsgrad der Kranken zu achten hat. Der Arzt muss nicht bloss guter Psycho¬ 
loge im allgemeinen, sondern auch Psycholog des Volks und der einzelnen Stände 
sein. Das innere Leben der Anstalt muss sich möglichst au das der betreffenden 
Volksschichten anlehnen, sollen sich die Kranken heimisch fühlen und Vertrauen 
gewinnen. Auch ist eine möglichste Berührung der Kranken mit der gesunden 
Aussenwelt im Interesse beider Theile und der Anstalt mit allen Mitteln anzustreben. 

(Autorreferat.) 


42) lieber suboutane Chininmjectionen, von Prof. Heinr. Köbner, Berlin. 

Offener Brief an den Redacteur der Wiener klin. Rundschau. (8. diese. 1898. 

Nr. 3.) 

Verf. erinnert im Anschluss an einen Artikel von v. Stoffelia an die von ihm 
schon seit 1870 erprobte Anwendung subcutaner Chinininjectionen, durch welche es 
ihm u. A. gelang — schon bei Chinindosen, die viel geringer waren (0,12—0,15) 
als die vorher intern eingeführten — intermittirende Neuralgieen zu rascher Heilung 
zu bringen. Auch bei Intermittens erwies sich die subcutane Behandlung als zweck¬ 
mässig. Insbesondere aber gelang auf ähnliche Weise „die schnelle Coupirung 
acuter Exaltationsepisoden bei chronischen Geisteskranken.“ (Dr. Rieh. 
Kohn- Breslau). 

Das zur Injection benutzte Chinin ist Chinin, hydrochloricum, dessen besondere 
Löslichkeit noch durch Zusatz von Glycerin und durch Erwärmen gesteigert werden 
kann. — 

Verf. warnt trotz der relativ geringen Schädlichkeit dieser Chininlösungen vor 
Anwendung zu hoher Dosen — insbesondere bei der von Baccelli angewandten 
intravenösen Injection — und namentlich bei Personen mit Idiosyncrasieen gegen 
das Mittel, weil hier leicht unangenehme Nebenerscheinungen möglich sind. 

Paul Cohn (Berlin). 


43) Ueber Thyreoidinbehandlung der Strumen, von Dr. Fr. Hanszel. 

(Wiener klin. Wochenschr. 1897. Nr. 46.) 

Verf. erwähnt in der Arbeit auch eine mit Basedow behaftete Patientin 
(nähere Symptome sind nicht angegeben), bei welcher durch Thyreoidin, welches 
Uebelkeiten hervorrief, keine, durch Thymustabletten insofern eine Besserung des 
Leidens erzielt wurde, als sich Herzklopfen und Tachycardie verminderten. Objectiv 
war keine Aenderung nachweisbar, und die Pat. entzog sich nach 5 wöchentlicher 
Behandlung der Beobachtung. J. Sorgo (Wien). 


44) Ein Beitrag zur Thyreoidintherapie, von Th. Hiebei. (Wiener med. 
Presse. 1897. Nr. 37.) 

In Verwendung kamen die Präparate der Firma Wellcome u. Bourroughs, in 
steigender Dosis bis 5 Tabletten pro die. Beobachtet wurden während der Behand¬ 
lung ausstrahlende Schmerzen in den Extremitäten in 3—4 Anfällen täglich von je 
V 4 — 1 / 1 Minute Dauer; einmal Angstgefühl, Herzklopfen, Pulsacceleration, Kopf* und 

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Kackenschmerz. Verf. berichtet über 4 Fälle von O.beaitas and 1 Fall von Struma 
bei einer Hysterischen. Nach jeder Behandlangswoche war eine Abnahme des Körper* 
gewichts am 1—l 1 /» kg, ein Mal sogar von 2—6 kg zu verzeichnen. In den ersten 
Wochen trat verhältnissmässig die grösste Abnahme am Halse und Thorax ein, Ab¬ 
domen und obere Extremitäten kamen erst in zweiter Linie, während ein grösserer 
Schwund des Panniculus an den unteren Extremitäten erst in den letzten Wochen 
erfolgte. In dieser letzten Zeit blieben die Verhältnisse am Halse stationär, oder 
erfuhren sogar eine geringe Zunahme. In dem Falle von Struma war die Verringerung 
des Halsumfanges ebenfalls auf Fettverlust zu beziehen. Die Beeinflussung des 
Kropfes scheint fraglich zu sein. J. Sorgo (Wien). 


45) Troia oaa d’idiotie myxoedemateuse traites par l’ingestion ttayreoidienne, 
par Bourneville. (Arch.de Meurol. Vol. I. 2. sörie. 1896. Nr. 1.) 

Der Verf. berichtet Über 3 Fälle von Idiotie bei Myxödem, welche durch die 
Behandlung mit Schilddrüse günstig beeinflusst wurden. Im ersten Fall handelt es 
sich um einen 30 Jahre alten Idioten, die beiden anderen Pat. waren Mädchen im 
Alter von 20 bezw. 18 Jahren. In allen Fällen bestanden die myxödematösen Ver¬ 
änderungen und die Idiotie seit der frühesten Kindheit. Die Besserung wurde durch 
Darreichung von Hommels Schilddrüse in Substanz erzielt; Thyreoideaextract war 
ohne Erfolg. Die Dosirung bestand im Beginn der Behandlung in einem halben 
Lappen, später wurde ein ganzer Lappen gegeben. Besserung war bei den 3 Pat. 
sowohl in körperlicher Hinsicht, als auch in Bezug auf die intellectuellen Fähigkeiten 
zn constatiren. Die Hautanschwellungen gingen zurück, das Körpergewicht nahm 
ab, die vorher subnormale Temperatur ging in die Höhe, die Trockenheit der Haut 
machte einer profusen Schweissabsonderung Platz, die Bewegungen wurden flinker 
ansgeführt. In intellectueller Hinsicht war zu bemerken, dass die vor Einleitung 
der Behandlung geistig stumpfen Pat. regsamer wurden, der Gesichtsausdruck wurde 
lebhafter und verrieth Affecte, die sich vordem nie gezeigt hatten. Die Auffassungs¬ 
fähigkeit beim Unterricht nahm beträchtlich zu. Bei sämmtlichen Pat. traten während 
der Behandlung Zeichen von Thyreoidismus auf, bestehend in Tachycardie, Zittern, 
Schwäche in den Beinen und Erregungszuständen, die ein zeitweiliges Aussetzen der 
m Behandlung erforderten._M. Weil (Stuttgart). 

40) De la reseotion bilaterale du grand sympathique eervioal dann le 
goitre exophtalmique, par Gerard-Marchant. (Gazette des höpitaux. 
1897. Nr. 74.) 

Die Patientin, bei der Verf. sich zur Operation entschloss, litt seit einem Jahr 
an hochgradigem Exophthalmus, dagegen waren die anderen Symptome des Morbus 
Basedowii, besonders die des Herzens weniger auffallend. Es wurde beiderseits die 
untere Partie des oberen Cervicalganglion und ein ca. 4 cm langes Stück des Sytn- 
pathicus abwärts davon resecirt. Ein mittleres Cervicalganglion Hess sich beiderseits 
nicht differenziren. An den Pupillen ging im Momente der Durchschneidung keine 
Aenderung vor; am äusseren Segment des rechten Bulbus traten während der 
Operation kleine subconjunctivale Blutergüsse auf. Verf. erklärt sich dieselben damit, 
dass nach Durchschneidung des Sympathicus bei Beizung des oberen Endes auf dem 
Umweg über die Medulla die vasodilatatorischen Fasern des entgegengesetzten Sym¬ 
pathicus erregt werden. Unmittelbar nach der Operation erschien der Exophthalmus 
an der linken erst operirten Seite geringer, am folgenden Tage hatte er beiderseits 
sichtlich abgenommen, die früher sehr weiten Pupillen waren enger geworden. Als 
die Patientin am 9. Tage das Spital verliess, war der Exophthalmus ganz ge¬ 
schwunden, doch erschien er noch später bei Erregungen und bei Ermüdung in ge¬ 
ringem Grade, ging aber stets wieder zurück. B. Hatschek (Wien). 


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47) Röseotdon bilaterale du grand sympathique oervioal, dans le goitre 

exophtalmique, par Beclns et Faure. (Gazette des höpitaux. 1897. Nr. 71.) 

Bei einer 31 jährigen Patientin, bei der seit 10 Jahren die typischen Erschei¬ 
nungen eines Morb. Basedow in steter Progression bestanden, nahmen die Verff., 
durch die Schwere des E rankheitsbild es veranlasst, endlich die Sympathicusresection 
vor. Es wurde das rechte obere Cervicalganglion abgelbst, sammt dem Strange des 
Sympathicus vorgezogen, letztere ca. 6 cm weit frei gemacht und — unterhalb eines 
anscheinend das mittlere Ganglion bildenden Plexus — durchschnitten. In derselben 
Weise erfolgte die Besection links, hier ein wenig erschwert durch vorliegende tuber- 
culöse Drüsen. Während der Durchschneidung des Sympathicus wurde weder am 
Pulse, noch sonst irgend etwas besonderes wahrgenommen. Abends hatte der Puls 
zwar noch seine gewöhnliche Frequenz von 150, war aber viel regelmässiger; zum 
ersten Mal seit 10 Jahren war Lidscblnss möglich. Am nächsten Morgen betrug' 
die Pulsfrequenz nur 100 — 120. Am 7. Tage complette Heilung der Wunde per 
primam. Im Beginn der dritten Woche ist der Exophthalmus bedeutend geringer, 
der Halsumfang von 39 auf 36 cm zurückgegangen, der Tremor, die Schweisse, 
Diarrhöen u. s. w. verschwanden: der Puls erhebt sich nicht über 60. Die Frage, 
ob es sich vielleicht nur um vorübergehende Besserung handelt, vermögen die Verff. 
nicht zu entscheiden. B. Hatschek (Wien). 


48) Le traitement du goitre exophtalmique par la eection ou la reseotiou 
du sympathique oervioal, par Jabaulay. (Gazette des höpitaux. 1897. 
Nr. 85.) 

In 9 Fällen hat Verf. stets nach der Operation wesentliche Besserung oder 
Heilung eintreten sehen, ohne dass sonst nachtheilige Wirkungen derselben zur 
Beobachtung kamen, Die — auf die Rosenthal-Abadie’sche Theorie basirende — 
Operation wäre für die schweren, hartnäckigen Fälle, besonders für die bei Frauen 
mit starkem Exophthalmus zu reserviren. Die Resultate sind bei älteren Personen 
besser, was Verf. durch die mit dem Alter progrediente Functionsverminderung des 
sympathischen Systems erklärlich findet. Häufig scheinen anatomische Abnormitäten 
zu bestehen, z. B. zwei Stränge zwischen oberem und mittlerem Ganglion, so dass m 
Verf. räth, bei ungenügendem therapeutischem Effect die Operation zu wiederholen, 
um die Anomalie aufzusuchen oder um nochmals höher oben zu durchschneiden. 

R. Hatschek (Wien). 


49) Ein operirter Basedow - Pall, von Dr. Alfred Saenger in Hamburg. 

(Münchener med. Wochenschr. 1897. Nr. 14.) 

28jährige, früher gesunde Näherin Überstand im März 1895 eine schwere In¬ 
fluenza, nach welcher heftige Kopf- und Rückenschmerzen zurückblieben und allmählich 
noch Zunahmen. Ausserdem stellten sich Gemüthsverstimmung, Herzklopfen, Neigung 
zu Schweissen, Hervortreten der Bulbi und Anschwellung des rechten Lappens der 
Thyreoidea ein. Es wurde Morbus Basedowii festgestellt und Anfang September 1896 
der vergrösserte Schilddrüsenlappen exstirpirt. Abgesehen von einer vorübergehenden 
Verminderung der Herzbeschwerden steigerten sich allmählich sämmtliche Symptome 
und fühlt sich Patientin elender, als vor der Operation. Verf. hält die Strumectomie 
für ein vorläufig noch recht gefährliches Unternehmen und möchte gern an der Hand 
operirter Fälle von Morb. Basedowii die schon oft geschilderten Dauererfolge kennen 
lernen. E. Asch (Frankfurt a./M.). 


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50) Begrowth of hair in myxoedema ander treatment with thyroid tabloids, 
by Thos. F. Baven. (Brit. med. Joorn. 1897. Jaly 81. S. 214.) 

Verf. veröffentlicht 2 Photographieen einer 66jährigen Myxödemkranken, vor 
und nach 15 monatlicher Behandlung (täglich 2 Thyreoidtabletten). Die schlagend 
wirkende Veränderung der Physiognomie der Patientin, neben der Wahrnehmung, dass 
das Kopfhaar vortrefflich wiederwuchs, sind gewiss der Veröffentlichung werth. Es 
sei hier auf diese Illustration aufmerksam gemacht. 

_ L. Lehmann I (Oeynhausen). 


51) I<e traitement des melanooliques par le repos au lit, par Serieux. 

(Revue de psychiatrie. 1897. Br. 8.) 

Verf. vertritt mit aller Macht die Bettbehandlung bei acuten Psychosen, speciell 
bei der Melancholie, und erwähnt eingehend die Vortheile dieser Behandlung. Weniger 
bekannt dürfte sein, dass nach Hayem in der Buhe weniger rothe Blutkörperchen 
zerstört werden, daher von ihm bei Chlorose empfohlen, ebenso auch, dass indirect 
bei Frauen durch Ablegen des Corsetts die Dyspepsie nachlässt. Schon Gur dain 
hat die Bettbehandlung bei Psychosen, speciell aber bei Melancholie 1862 empfohlen, 
nach ihm Fahret sen. Trotzdem hatte diese Methode nicht in Frankreich Wurzel 
gegriffen, und erst 1888 wiesen Belle und Lemoine von Beuern auf die vortreff¬ 
lichen Resultate der Bettbehandlung bei der Melancholia anxiosa bin, später Cullere, 
Röges, Dagouet und Dechamel. Verf. ist mit Recht überzeugt, dass diese Be¬ 
handlung nebst dem Bon-restreint-, Open-door-System und die Colonisation zu den 
werthvollsten Errungenschaften der modernen Psychiatrie gehört. (Solchen Ansichten 
wenden sich denn immer mehr die französischen Irrenärzte zu, und es ist sehr zu 
bedauern, dass ganz kürzlich erst ein Mann wie Christian in der Sociötö mödico- 
psycbologique bezüglich der Irren und des Open-door-Systems u. s. w. vorsündfluth- 
liche Ansichten entwickelte. Ref.) Bäcke (Hubertusburg). 


III. Aus den Gesellschaften. 

Aerztlicher Verein zu Hamburg. 

Sitzung vom 4. Januar 1898. 

Sa enger stellt einen Fall von asthenischer Bulbärparalyse vor. 

Eine 22jährige, seit l 1 /, Jahren verheiratbete, kinderlose Frau erkrankte vor 
4 Wochen angeblich nach einer Angina mit Kopfschmerzen. Es stellten sich bie 
und da Schlackstörungen und Doppeltsehen ein. Früher war Pat. gesund. Als Kind 
Rachitis. Nie Lues. Kein Alkoholismus. 

Die Anamnese ergab, dass schon vor der Angina Augenstörungen bestanden. 

Die blasse Patienten hat einen schlaffen, müden Gesichtsausdruck. Sie blinzelt 
fortwährend mit den Lidern, weil die Oberlider vor Müdigkeit zufalleu, und Pat. 
Mühe hat, dieselben zu heben. Des Abends fallen nach ihrer Angabe die Inder 
„ganz herunter". Die Augäpfel können weder nach aussen, noch nach innen bewegt 
werden. 6s besteht Doppeltsehen. 

Iris- and Accommodationsmuskeln functioniren normal. Pupillen sind beider¬ 
seits gleich. 

Es bestehen bie jind da Schluckstörungen. Das Gaumensegel wird schwach 
gehoben. 

Beim Sprechen wird der Mundfacialis schwach und ungleich innerviri 

Die Stimme ist schwach. Pat. hat einen trockenen Husten (keine Bronchial-^ 
keine Longenaffection). 

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Puls etwas beschleunigt; gleichmässig. 

Leichter Tremor mamuum. Hochgradige Herabsetzung der groben Kraft der 
oberen und unteren Extremitäten. Gang ist normal. Pat. ermüdet sehr beim Geben. 

Hie und da Schwäche der Nackenmuskulatur. 

Des Morgens sind sämmtliche Erscheinungen weniger intensiv als des Abends, 
wo es oft zu completter Ptosis kommt. 

Die Sensibilität, die Reflexe, das Sensorium sind intact. Es besteht weder 
myasthenische, noch Entartungsreaction. » 

Vortr. bespricht die etwa in Frage kommenden Krankheiten, und berichtet dann 
über einen zweiten Fall von asthenischer Bulbärparalyse, den er beobachtet hat. 

Es handelt sich um ein 20jähr. Mädchen, das am 26. April 1896 mit doppel¬ 
seitiger Ptosis erkrankte, nachdem sie im Anfang April plötzlich einmal auf der 
Strasse hingefallen war. Die Untersuchung ergab: doppelseitige Ptosis und Oph- 
thalmoplegia ext. totalis. Binnenmuskeln frei. Stimme leise. Häufig Schluck- 
Störungen. Pulsfrequenz wechseln. Schwäche der Nackenmuskulatur und der Extre¬ 
mitäten. Ungleichheit des Mundfacialis, der sehr schwach innervirt wurde. Schlaffer 
Gesichtsausdruck. Albernes, kindisches Wesen. 

Im weiteren Verlaufe Verschwinden und Wiederkehr der einzelnen Symptome. 
Schneller Wechsel in dem Grade der Ermüdbarkeit 

Ende December 1896 Exitus letalis. Section nicht gestattet. 

Ferner demonstrirt Sänger einen Fall von geheilter hysterischer rechts¬ 
seitiger Hemiplegie mit Mutismus. 

Ein 26jähr. Mann war Ende November 1896 eine Treppe hinuntergestürzt und 
hatte eine rechtsseitige Lähmung mit Verlust der Sprache davon getragen. Eine 
Privatunfallversicherungsgesellschaft, bei der der Pat. versichert war, meinte, es läge 
ein Gehirnleiden vor, in Folge dessen der Mann die Treppe heruntergefallen wäre, 
forderte daher den Vortr. zur Begutachtung auf. Der Hausarzt nahm eine trau¬ 
matische, organische Gehirnläsion an. 

Der Vortr. untersuchte den seit 3 Wochen im Bette liegenden rechtsseitig ge¬ 
lähmten, apbasischen Patienten und constatirte eine Parese der rechten oberen und 
unteren Extremität. 

Die Sehnenreflexe waren beiderseits gleich lebhaft. Der rechte Abdominalreflex 
war bei der ersten Untersuchung schwächer als der linke; bei Nachuntersuchungen 
jedoch gleich dem linken, ebenso Cremaster- und Plantarreflex. 

Rechter Mundfacialis nicht paretisch. 

Zunge wurde mühsam gerade herausgestreckt. Die Aphasie stellte sich als 
Mutismus heraus. Rachen- und Conjunctivalreflex fehlten. 

Der Vortr. stellte die Diagnose auf traumatische, hysterische Hemiplegie und 
ordnete im Beisein des Hausarztes an, dass Pat. elektrisirt würde, wodurch rasch 
die Heilung einträte. 

Nach zwei Tagen stand Pat. auf, ging und sprach wieder. 

Die nunmehrige Untersuchung ergab noch das Vorhandensein einer linksseitigen 
hysterischen Amaurose. (Autorreferat). 

(Schluss folgt.) 


Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten. 

Einsendungen für die Redaction sind zu richten an Prof. Dr. E. Mendel, ■ 
Berlin, NW. Schiffbanerdamm 20. 

Verlag von V*rr & Comp, in Leipzig. — Druck von Mktzgkr & Wim# in Leipzig. 


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Ideologisches Centralblatt. 

Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie 
und Therapie des Nervensystems einschliesslich der Geisteskrankheiten. 

Herausgegeben von 

Professor Dr. E. Mendel 

Siebzehnter " Jahrgang. 

Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 24 Mark. Zn beziehen durch 
alle Buchhandlungen des In- und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Beichs, sowie 

direct von der Verlagsbuchhandlung. 

1898. 1. April. Nr.7. 

I. Originalmittheilungen. 1. Ueber die Bedeutung der Cardiaca bei der Behandlung der 
Epilepsie, von Prof. W. v. Bechterew in St. Petersburg. 2. Der Blutschutz des verlängerten 
Markes, von Prof. Albert Adamkiewicz in Wien. 3. Eine Verbindung caudaler Hirntheile der 
Taube mit dem Striatum (Tractus isthmo - striatus oder bulbo - striatus?), von Dr. Adolf 
Wallenberg in Danzig. 4. Zwei Fälle von Friedreich scher Ataxie, von Dr. Paul Cohn. 

II. Referate. Anatomie. 1. Les terminaisons centrales de la racine labyrinthique, 
par Thomas. 2. The cortical motor centres of the opossum, didelphys Virginiana, by Cun- 
ningham. — Experimentelle Physiologie. 3. Les centres moteurs corticaux du cerveau 
humain, par Lamacq. 4. Decerebrate rigidity and refiex coordination of movements, by 
Sberrington. 5. Ueber Hemmung der Contraction willkürlicher Muskeln bei elektrischer 
Heizung der Groashimrinde, von Hering und Sherrington. 6. De la destruction des cellules 
nerveuses par les leucoeytes chez les aminaux äg4s, par Pugnat. — Pathologische Ana¬ 
tomie- .7. Ueber die feineren Nervenzellen Veränderungen bei magendarmkranken Säuglingen, 
vorläufiger Bericht von Müller und Manicatide. — Pathologie des Nervensystems. 
8. Sulla velocita della corrente nervosa negli epilettici, per Rossf. 9. A study upon the 
disordered consciousness of epilepsy, bv Clark. 10. A plea for a more accurate investigation 
of epilepsy, by Clark. 11. Note sur rinfluence de l&ions cebrales sur la forme deB acc&s 
d’epilepsie präexfstanfce, par Fdrd. 12. AlcooliBme; hömiplegie gäucbe et Epilepsie consfoutives. 
Sclerose atrophique, pachym^ningite et möningo - enc^phalite, par Bourneville et Rellay. 
13. Ueber die Beziehungen zwischen Alkoholismus und Epilepsie, von Neumann. 14. Alkoho¬ 
lismus und Epilepsie in ihren wechselseitigen Beziehungen, von Wartmann. 15. Notes upon 
the epileptic aura with report of some rare forms, by Clark. 16. Equivalenti musicali di 
attacchi — att&cchi di canto, per Santo de Sanctis. 17. Reflex epilepsy, by Harris. 18. Pre- 
putial refiex epileptiform convulsions, with report of a case, by Hodgdon. 19. Zur Kenntniss 
der „Herzepilepsie“ im Allgemeinen und der „senilen artenosclerotischen Epilepsie** von 
Mahnert. 20. Beitrag zum Verhalten des Respirationsapparates bei epileptischen Krämpfen, 
von Bresler. 21. Note sur un cas de mölanoaermie r£currente chez un 4pileptique, par Fird. 
22. Ueber das Nebeneinandervorkommen von Epilepsie (bezw. epileptiformen Anfällen) und 
Diabetes mellitus (bezw. Glycosurie), von Ebstein. 23. Haut mal with Jacksonian epilepsy, 
by Renton. 24. Beiträge zur Pathogenese und Aetiologie des Pavor nocturnus, von Rey. 
25. La tossicita del sudore negli epilettici, per Cabitto. 26. Les röves chez les ^pileptiques, 
par Fdrd. — Therapie. 27. II bagno d’aria calda come mezzo terapeutico d’alcuni paros- 
sismi epilettici, per Cabitto. 28. Beneficial effects of the withdrawal of bromides in the 
treatment of epilepsy, by Peterson. 29. Fyra operativt behandlade fall af traumatisk epi- 
lepei jämte statistisk samroanställning af Operationresultaten vid 97 fall af samma affection, 
af Siven. 30. Epilepsy: its surgical treatment with the report of a case, by McGrew. 
31. Modern methods of treating epilepsy, by Sudduth. 32. Zur Opiumbehaudlung der Epi¬ 
lepsie nach Flechsig, von Bratz. 33. Ueber die Erfolge der Flecnsig’schen Opium -Brom¬ 
behandlung, von Kalinor. 34. Erfahrungen über die Behandlung der Epilepsie mit Opium- 
Brom, von Warda. 

III. Aus den Gesellschaften. Biologische Abtheilung des ärztlichen Vereins zu Ham¬ 
burg. — Berliner Gesellschaft für Psychiatrie und Nervenkrankheiten. — Verein für innere 
Medicin in Berlin. 

IV. Vermischtes. HI. Versammlung mitteldeutscher Psychiater und Neurologen. — 
WanderveYsammlang der südwestdeutschen Neurologen und Irrenärzte. 

V. Personalien. — VI. Berichtigung. 


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I. Originalmittheilnngen. 


1. Ueber die Bedeutung der Cardiaca bei der Behandlung 

der Epilepsie. 

Von Prof. W. v. Bechterew in Si Petersburg. 

Nach der Veröffentlichung meiner ersten Beobachtungen über die An¬ 
wendung von Adonis vemalis und anderen Cardiaca in Combination mit Bromiden, 
mit oder ohne Codein 1 , habe ich meine Beobachtungen über die Wirkung dieser 
Combination fortgesetzt und bin gegenwärtig im Stande, und zwar schon an der 
Hand von bedeutendem Beobachtungsmaterial, meine in dem ersten Artikel aus¬ 
gesprochene Ansicht über die günstige Wirkung dieser Combination in einigen 
Epilepsieanfällen vollkommen zu bestätigen . 2 Meine Beobachtungen fanden ge¬ 
wöhnlich an Personen, bei welchen die Bromsalze allein gar keine, oder nur 
eine geringe Wirkung geäussert hatten, statt; wurde aber mein Bath von solchen 
Epileptikern eingeholt, welche vorher keiner Brombehandlung unterworfen ge¬ 
wesen, so verordnet« ich meist versuchsweise und des Vergleiches halber erst 
grosse Bromdosen und, nur nachdem ich mich über die Behandlungsresultate 
mit diesen Mitteln orientirt hatte, verschrieb ich die in Bede stehende Com¬ 
bination. Der Vergleich der Behandlungsresultate zeigte, dass in vielen Fällen 
von Epilepsie dem Qemenge der Bromide mit den Cardiaca vor der gewöhn¬ 
lichen Therapie mit Bromiden unbedingt der Vorzug gebührt, was übrigens 
auch schon von anderen, meine Empfehlung berücksichtigenden Autoren be¬ 
stätigt worden ist. Es ist mir in einigen, sogar sehr schweren Epilepsiefallen, 
wo die Therapie mit Bromiden gänzlich versagt oder nur von geringem Erfolg 
gewesen, gelungen, die epileptischen Anfälle vollständig zu beseitigen und eine 
dauernde Wiederherstellung zu erzielen; in anderen Fällen wurde die Zahl und 
die Intensität der epileptischen Anfälle durch den Gebrauch der Mixtur wirk¬ 
samer als mit den Bromiden herabgesetzt; und nur in verhältnissmässig wenigen 
Fällen, in welchen die Bromide keine Besserung bewirkt hatten, ist es auch 
mit der Combination der Bromide mit den Herzmitteln nicht gelungen, einen 
merklichen Einfluss auf den Verlauf der epileptischen Anfälle auszuüben. Fälle 
aber, in welchen sich die Bromide bei der Epilepsie nützlicher erwiesen hätten 
als die Mixtur, sind mir gar nicht vorgekommen. 

Ich verfuge schon jetzt über einige Fälle, in welchen mit Gewissheit eine 
dauernde Heilung der Epilepsie durch die in Bede stehende Combination be- 


1 Codein gehört nicht unbedingt mit zur Mixtur; es wird mit verordnet, wenn es gilt 
deprimirte Qemttthsstiinmung und allgemeine Reizbarkeit, welche bei Epileptikern nicht 
selten zur Beobachtung gelangen, zu beseitigen. 

* Nenrolog. Bote 1893 und Neurolog. Centralbl. 1894. 

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hauptet werden kann, denn es sind schon mehr als 3 Jahre verflossen, und bei 
den mit der Mixtur Behandelten hat sich in dieser Zeit keine Andeutung von 
epileptischen Anfällen gezeigt, während doch vorher dieselben Anfalle keiner 
Therapie gewichen waren. Zur Illustration des Gesagten sei folgender Fall 
angeführt: 


Patient G. ist 24 Jahre alt; sein Vater leidet an periodischer Psychose, and es 
gehen bei ihm Nierensteine ab. Als Kind ist G. immer gesund gewesen. Beachtens- 
werth ist nur, dass im Alter von 2 Jahren er eine Contusion erlitt; ausserdem ist 
er im 8. Lebensjahre bei gymnastischen Uebungen mit dem Kopf auf die Diele ge¬ 
fallen, ohne jedoch dabei das Bewusstsein zu verlieren. Es ist weder hereditäre 
noch erworbene Syphilis vorhanden. Die ersten epileptischen Anfälle stellten sich 
ohne sichtlichen Grund im 16. Lebensjahre ein: Sie trugen den Charakter der ge¬ 
wöhnlichen, krampfartigen, epileptischen Anfälle, beganuen mit einem Schrei und 
waren von vollständiger Besinnungslosigkeit und Krämpfen begleitet. Sie traten 
meist in der Nacht, mehr gegen den Morgen, zuweilen aber auch am Tage auf. 
Die Frequenz der Anfälle war verschieden zu verschiedenen Zeiten; doch, mit Aus¬ 
nahme der ersten Anfälle, wiederholten sie sich im Ganzen nach 2—4 Wochen, 
zuweilen waren sie nur etwas häufiger oder auch seltener. Ausser solchen Krampf¬ 
anfällen hatte der Patient noch schwache Anfälle von epileptischer Bewusstseins- 
trfibung, welche der Kranke als „Nebel im Kopfe“ bezeichnete. 

Die im November 1892 vorgenommene Untersuchung des Patienten ergab eine 
flache, dem Kranken wie seinen Angehörigen schon lange bekannte Erhebung in der 
Scheitelgegend, Aber deren Entwickelungszeit er aber ausser Stande war irgend welche 
Aufschlüsse zu ertheilen. Gegen starke Perkussion ist diese Stelle empfindlich, 
gegen einfachen Druck aber nicht. Ausserdem bestand bei dem Patienten eine ge¬ 
ringe Differenz in der Pupillenweite. Im Uebrigen waren weiter keine objectiven 
Symptome irgend eines krankhaften Zustandes vorhanden. Die Krampfanfälle fielen 
auf folgende Zeiten: 

1892: 28. März, 19. October, 30. October, 4. December. 

1893: 10. Januar, 28. Januar, 6. April, 29. April, 15. Juni, 19. Juni, 7. Juli, 
2. September, 22. September, 2. October, 19. October und 1. November. 

Unter dem Einfluss der Anfälle hatte sich schon bei dem Kranken Gedächtniss- 
schwäche ausgebildet, und da die Anfälle selber durch geistige Anstrengung frequenter 
wurden, so musste der Patient den Besuch des Gymnasiums aufgeben. 


Da weder eine anhaltende Behandlung mit Bromiden, noch mit grossen 
Gaben von Jodkaliom und ebenso mit anderen Mitteln einen Einfluss auf die 
epileptischen Anfalle ausgeübt hatte, so wandte sich die Mutter des Pat an 
mich, um sich Aber etwaige Trepanation, welche sie als ultimum refugium 
betrachtete, zu beraten. Auf meinen Vorschlag, vor der Operation es doch 
nochmals mit einer internen Behandlung zu versuchen, wollte sie in Anbetracht 
der Erfolglosigkeit der bisherigen Behandlung gar nicht hören, und nur mit 
grosser Mühe war sie zu überreden, es noch auf einen Versuch ankommen zu 
lassen. Zuerst verordnete ich Anfang November Bromide in grossen Gaben, 
aber bald darauf, noch im November, stellte sich wieder ein Anfall mit der 
früheren Intensität ein. Hierauf wurde eine Mixtur aus Inf. Adon. vemal. 
2,0—180,0 und Kal. bromat 12,0 tägl. 6 Löffel verschrieben. Fast einen Monat 
darauf, den 4. December, trat wieder ein Anfall auf, war aber schon schwächer. 
In Anbetracht dessen wurde das Inf. Adon. vernal. verstärkt, bis 2,8—180,0, wobei 

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das Bromkalium in der früheren Dosis und ebenso die Anzahl der Gaben der 
Mixtur blieben. Hiernach hatte der Pat. den 23. December nur einen sehr 
schwachen Anfall, darauf aber schon gar keinen mehr und auch die Anfalle 
der Bewustseinstrübung waren ganz verschwunden. 

Drei Jahre lang, bis zum November 1896, hat der Pat die Mixtur un¬ 
unterbrochen in derselben Zusammensetzung und Quantität eingenommen. 
Während dieser ganzen Zeit hatte der Pat. keinen einzigen epileptischen Anfall 
und sogar keine vorübergehende Bewusstseinstrübung und konnte wieder seine 
Beschäftigungen aufnehmen und hat auch das Abiturientenexamen bestanden. 
Zu erwähnen ist, dass Pat in dieser Zeitperiode, an Scharlach erkrankt, 2 bis 
3 Wochen die Mixtur nicht gebrauchte und trotzdem während dieser, übrigens 
ganz günstig verlaufenden und keine üble Folge hinterlassenden Krankheit keine 
Zeichen der Epilepsie wahrgenommen hat Tom November an wurde der Ge¬ 
brauch von Adon. vernal. ganz eingestellt und nur Brom allein weitergegeben, 
um bei dem Pat eine ruhigere Gemüthsstimmung zu unterhalten. Da bis dato 
schon mehr als 3 1 /, Jahre vollkommen anfallsfrei verflossen sind, so muss wohl 
in diesem Falle eine dauernde, durch die Combination von Adon. vernäh mit 
den Bromiden erzielte Wiederherstellung zugelassen werden. 

Der vorgeführte Fall beweist unter Anderem, dass Adon. vernäh mit Bromiden 
ununterbrochen im Verlaufe vieler Jahre ausgezeichnet vertragen wird. Auf 
meine Erfahrung gestützt, kann ich bezeugen, dass trotz der äusserst lang¬ 
dauernden Behandlung mit Adonis vernalis nebst Bromiden mir gar keine un¬ 
angenehmen Folgen zu Gesicht gekommen sind. Verhältnissmässig selten sah 
ich nach der Verordnung von Adon. vernal. Neigung zum Durchfall auftreten, 
da ich aber gewöhnlich zu der Mix tur noch Codein als beruhigendes Mittel 
gegen überflüssige Aufgeregtheit hinzufüge, so tritt die soeben erwähnte Wirkung 
von Adon. vernal. gewöhnlich nicht oder nur in äusserst seltenen Ausnahme¬ 
fällen auf. Der Codeinzusatz ruft im Gegentheil in einigen Fällen sogar Neigung 
zur Obstipation hervor, welche aber gewöhnlich durch gleichzeitige Verordnung 
von Tinct. Bhei Dorelli oder Rheumpillen, wenn nöthig mit Aloözusatz, leicht 
hinten anzuhalten ist. Den Zusatz von Codein zu der Mixtur aus Adon. vernal. 
und den Bromiden halte ich aber durchaus nicht für gleichgültig, besonders in 
den Fällen, wo die epileptischen Anfalle von äusserster Reizbarkeit und ge¬ 
drückter Stimmung begleitet sind, welche sich nicht selten vor dem Anfalle 
noch verstärken. In allen übrigen Fällen kann man zweifellos auoh ohne Codein 
auskommen. Nur in Ausnahmefällen wird Inf. Adon. vernal. sogar bei gleich¬ 
zeitiger Verordnung des Codelns vom Magen nicht vertragen. In solchen Fällen 
gebrauche ich bei der Behandlung der Epilepsie eine Combination von Inf. 
Digitalis mit Bromiden (Inf. digiti 0,5—0,75—180,0 Natr. bromat. et Kal. bro- 
mat ää 6,0—8,0, Codein 0,15—0,2, täglich 4—8 Löffel voll). Ferner verschrieb 
ich diese Combination, um den Pat. einige Erholung von der sioh durch einen 
bitteren Geschmack auszeichnenden Mixtur aus Adon. vernal. zu gönnen. Auch 
dieser Combination muss ich auf Grund persönlicher Erfahrung ausgezeichnete 
Eigenschaften bei der Behandlung der Epilepsie zuschreiben. In einigen Fällen 

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war ich sogar gezwungen, ihr den Vorzug vor der ersten Combiuation ein¬ 
zuräumen. 

Zu bemerken ist, dass ich anfangs Besorgniss hegte in Bezug auf die 
cumulative Wirkung von Inf. Digitalis, welche ja dem Adon. vem. abgeht In 
der Folge überzeugte ich mich aber, dass Inf. Digitalis in der oben angegebenen 
Dosis viele Monate lang ohne jegliche Cumulation, welche wohl bei grossen 
Dosen zur Beobachtung gelangt, ausgezeichnet vertragen wird. In Anbetracht 
dessen fing ich in der letzten Zeit an, auch zu der Combination von Inf. Digit 
mit Bromiden viel häufiger als in früherer Zeit meine Zuflucht zu nehmen und 
bin im Stande, aus meiner Praxis einige Fälle zu vermerken, in welchen die 
Behandlung mit der Combination aus Adon. vemaL mit Bromiden obgleich 
nicht ganz nutzlos war, aber doch nicht die epileptischen Anfälle beseitigen 
konnte, während die Anwendung von Inf. Digitalis mit Bromiden zur voll¬ 
kommenen Einstellung der epileptischen Anfälle führte. Hieraus muss übrigens 
nicht geschlossen werden, dass der Combination aus Inf. Digitalis mit Bromiden 
bei der Behandlung der Epilepsie überhaupt ein Vorzug vor der Mixtur aus 
Adon. vernal. mit Bromiden einzuräumen wäre. Meine Beobachtungen sprechen 
im Gegentheil mehr zu Gunsten des Adonis vernalis, obgleich, wie ich erwähnt, 
in der Praxis einzelne Fälle angetroffen werden, in welchen Inf. Digit, in Com¬ 
bination mit Bromiden bessere Erfolge giebt, als Adonis vernalis in derselben 
Combination. 

Mit gutem Grund ist anzunehmen, dass auch andere Herzmittel bei der 
Behandlung der Epilepsie nicht nutzlos sein müssen, über grosse Erfahrung 
jedoch verfüge ich in dieser Hinsicht nicht. Doch weiss ich, dass Tinct. convall. 
majalis ihres schwachen Einflusses wegen in besagter Hinsicht keine besondere 
Beachtung verdient. 

Was die Frage über das Wesen der Wirkung der Cardiaca bei der Epi¬ 
lepsie anbelangt, so ist es wohl kaum möglich, schon jetzt hierüber ein end¬ 
gültiges Votum abzugeben. Zweifellos ist hier der regulirende Einfluss der 
Cardiaca auf das Herz als Hauptfactor im Auge zu behalten. Dieser Umstand 
erlangt eine wesentliche Bedeutung, weil die Herzthätigkeit, wie ioh beobachten 
konnte, bei den epileptischen Anfällen gewöhnlich äusserst beschleunigt erscheint, 
und das sogar dann, wenn der Anfall sich nicht durch allgemeine oder mehr 
oder weniger ausgebreitete Krämpfe äussert, sondern nur von schwachen krampf¬ 
haften Erscheinungen begleitet ist oder sogar ganz ohne solche verläuft In 
anderen Fällen beobachtet man schon vor dem Anfall eine vom Angstgefühl 
begleitete Beschleunigung der Herzschläge: und einige von den Patienten erinnern 
sich sogar der Entwickelung der Herzpalpitationen vor dem epileptischen Anfall. 
In solchen Fällen handelt es sich gleichsam um eine cardiale Aura. Jedenfalls 
gehört meiner Meinung nach die Beschleunigung der Herzschläge zu den con- 
stanten Symptomen der Epilepsie und ist aller Wahrscheinlichkeit nach nicht 
ganz bedeutungslos bei der Pathogenese der Anfälle selber. Von diesem Gesichts¬ 
punkte aus fällt es nicht schwer, sich der Bedeutung der Cardiaca bei der 
Behandlung der Epilepsie klar zu werden. Hinzuzufügen ist, dass einige von 

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den Epilepsiefallen, in welchen durch die besagte Combination die Anfalle voll¬ 
ständig beseitigt wurden, letztere zweifellos mit stark ausgeprägter Beschleunigung 
der Herzcontraction begleitet waren. Selbstverständlich ist aber durch den soeben 
erörterten Einfluss auf die Herzthätigkeit die Wirkungsweise der Cardiaca bei der 
Epilepsie nicht erschöpft 

Die Herzmittel, somit auch Adonis vemalis und Digitalis, wirken bekannt¬ 
lich gewissermaasssen harntreibend. Da wir nun voraussetzen können, dass 
einige Epilepsiefälle durch im Blute circulirende Toxine bedingt sind, so ist 
wohl die Annahme zulässig, dass der günstige Einfluss der Cardiaca auf die 
Epilepsie theilweise auf ihrer gleichzeitigen Wirkung auf die Harnabsonderung, 
folglich auf der verstärkten Elimination unnöthiger Stoflwechselproducte durch 
die Nieren beruht 

Ferner ist bei der Erörterung der Frage über die Wirkungsweise der Car¬ 
diaca bei den epileptischen Anfällen ein wichtiger Umstand, nämlich ihr Einfluss 
auf die vasomotorische Sphäre, auch nicht zu vergessen. Wenigstens für einige 
von ihnen, wie z. B. für Adonis vemalis, ist die gefassverengemde Wirkung mit 
in Betraoht zu ziehen. Andererseits ist durch die in meinem Laboratorium (von 
Dr. Todobski und Dr. Bobiohpolski) ausgeführten Versuche unzweifelhaft dar- 
gethan worden, dass die epileptischen Anfälle mit einem activen Zufluss des 
Blutes zum Gehirn nebst Erweiterung der Gehimgefässe einhergehen. In An¬ 
betracht dessen wäre es möglich, die Wirkung solcher Mittel, wie Adonis ver- 
nalis, durch die Verengerung der Gehimgefässe zu erklären. Gegen diese 
Erklärung könnte aber der Einwand erhoben werden, dass ein elektiver Einfluss 
auf die Hiragefässe allein für dieses Mittel noch nicht bewiesen ist, sondern 
eher eine gleiche Wirkung auf alle Gefassgebiete im Körper angenommen werden 
muss. Es kann deshalb wohl vorausgesetzt werden, dass die gefassverengemde 
Wirkung von Adonis vemalis auf irgend eine Weise die Function bedeutender 
innerer Organe (z. B. der Leber) beeinflusst und hierdurch einen günstigen Ein¬ 
fluss auf den Verlauf der Epilepsie ausübt, falls letztere in irgend welcher Be¬ 
ziehung zu der Functionsstörung dieser Organe stand. 

Welche von diesen Wirkungen bei der Entscheidung der Frage über die 
Bedeutung der Cardiaca bei der Epilepsie besonders in Betracht kommt, bleibt 
zukünftigen Untersuchungen nachzuweisen. Zur Zeit können wir aber wohl 
annehmen, dass diese Mittel bei der Epilepsie sowohl durch ihren Einfluss auf 
das Herz und den Gefassapparat, wie auch auf die Nierenabsonderung wirk¬ 
sam sind. 

Schliesslich muss ich noch erwähnen, dass ich die oben angeführte Com¬ 
bination von Adonis vemalis mit Bromiden und zuweilen auch die von Digitalis 
mit Bromiden, oft mit gutem Erfolg auch bei Neurasthenie und ebenso bei 
anderen functionellen Störungen allgemeinen Charakters, besonders wenn letztere 
von nervösen Herzpalpitationen begleitet sind, angewendet habe. 

Einzelne Fälle haben in mir die Ueberzeugung wach gerufen, dass die 
Bromide in Combination mit den Cardiaca etwas leichter als allein vertragen zu 
werden scheinen, was ich jedoch noch nioht als positiv entschieden betraohte. 


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2. Der Blutschutz des verlängerten Markes. 

Von Prof. Albert Adamkiewicz in Wien. 

Unter den mannigfachen Krankheitserscheinungen, welche die syphilitische 
Infectdon des Rückenmarkes hervorbringt, giebt es eine, welche durch die Schärfe 
ihres Bildes, die Constanz ihres Verlaufs und die Häufigkeit ihres Vorkommens 
aufiallt — In relativ kurzer Zeit habe ich sie in fünf congruent verlaufenden 
Fällen gesehen und als eine „syphilitische Tabes“ beschrieben . 1 

Ihr in die Augen springendes Symptom ist die Ataxie. — Aber eine 
Ataxie, die mit Muskelschwäohe einhergeht. Daneben bestehen: Mangel der 
Sehnenphänomene, tabische Parästhesieen, Störungen in der Function der 
Beckenorgane, Integrität der elektrischen Erregbarkeit von Nerv und Muskel, 
Integrität des Empfindungsvermögens für objective Reize. 

Sehr charakteristisch für die „syphilitische Tabes“ sind die beiden Ausgänge 
des Leidens. 

Es giebt eine subacute Form der syphilitischen Tabes, die in eine gewöhn¬ 
liche, chronische, stabile Form der Tabes ausläuft mit allen dieser Tabes eigen- 
thümlichen Zeichen. — Die schon erwähnte, auch hier die Ataxie begleitende 
Muskelschwäche nähert diese stabile syphilitische Tabes der FaiBDBEiOH’schen 
hereditären oder der WssTPHAL’schen combinirten Tabes. 

Und es giebt eine acut verlaufende „syphilitische Tabes“, die in schwere 
Lähmungen übergeht und entweder mit dem Tode endigt, wenn sie sich selbst 
überlassen bleibt, oder geheilt wird, wenn man sie rechtzeitig einer antiluetischen 
Behandlung unterwirft 

Ich habe in den oben erwähnten Arbeiten die genauen und ausführlichen 
Belege für diese Thatsachen gegeben. 

An dieser Stelle möchte ich kurz auf ein einzelnes Phänomen im Verlauf 
der acuten Tabes aufmerksam machen, das zwar unter der Wucht der schweren 
Symptome der Krankheit verschwindet, durch seine eminente allgemeine 
Bedeutung aber weit über sie alle hervorragt. 

Wenn die acute Form der syphilitischen Tabes aus dem Stadium der atac- 
tischen Parese in das der schweren Lähmungen übergeht, vollziehen sich diese 
in einer ganz bestimmten, gesetzmässig verlaufenden Weise. 

Die Lähmungen beginnen an den Unterextremitäten, greifen auf die 
Muskeln des Beokens, des Bauches, der Oberextremitäten, des Nackens und des 
Halses über und bleiben hier stehen, entweder bis der Kranke geheilt wird 
oder an den Folgen der über Rumpf und Extremitäten, also fast über den 
ganzen Körper verbeiteten Lähmungen, stirbt — Oder die Lähmungen springen, 
nachdem sie alle Muskeln bis an den Kopf brach gelegt haben, auf gewisse 
Nerven des Kopfes über, speciell auf die Nn. oculomotorii, faciales, hypoglossi. 


1 Die degenerativen Krankheiten des Rückenmarkes. Stattgart 1886. — Wiener med. 
Presse. 1895. Nr. 4 n. 5. — Wiener med. Wochenschr. 1896. 

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Das Kauen und Schlucken, die Athmung und die Herzthätig- 
keit aber wird nicht gestört. 

Das ist eine sehr bedeutsame Thatsache. 

Indem der Kranke trotz der Lähmung seines ganzen Körpers athmen 
d. h. leben, und schlucken d. h. sich nähren kann, kann sich das Wrack längere 
Zeit über Bord halten, und so die Natur oder die Kunst die Mittel gewinnen, 
dasselbe flott zu machen und zu retten. 

Unter solchen Umständen muss es uns um so mehr interessiren, wissen¬ 
schaftlich aufzuklären, weshalb die syphilitische Lähmung an den Muskeln des 
Körpers in die Höhe kriecht, selbst auf Ner?en des Gehirns übergreift und 
dennoch den Nervenapparat des Schluckmechanismus und der Ver¬ 
dauungsorgane, der Athembewegungen und der Blutströmung — 
mit anderen Worten das .verlängerte Mark — verschont, als bei 
allen Formen der aufsteigenden Lähmungen analoge Wahrnehmungen 
gemacht werden können. 

Ich habe in einer der oben erwähnten Arbeiten dargelegt, wie die Syphilis 
des Rückenmarkes, indem sie in den Rückenmarksgefässen die Endarteriitis 
hervorbringt und durch dieselbe arterielle Stämmchen des Rückenmarkes verengt 
oder verschliesst, den Blutzufluss zu den von den ergriffenen Gefässchen ver¬ 
sorgten Rückenmarksabschnitten stört oder unterbricht und dadurch auch die 
Function der so betroffenen Rückenmarkstheile schädigt oder aufhebt. 

Nun entspringt im Gegensatz zu den Lehren der Anatomie der Hauptstrom 
des zum Rückenmark fliessenden Blutes nicht aus den Vertebralarterien, um in 
der Richtung nach abwärts zum Conus zu fliessen, sondern, wie ich 1 gefunden 
habe, aus den Lumbalarterien, um umgekehrt in der Richtung nach 
oben zum Halsmark zu verlaufen. Das geschieht, indem aus den Lumbal¬ 
arterien eine mächtige Arterie, meine Art magna spinalis, mit den vorderen 
Wurzeln des Plexus ischiadicus auf die vordere Fläche des Lendentheils gelangt 
und nach Abgabe eines abwärts gehenden Astes längs der Mittellinie des 
Rückenmarkes nach oben fliesst. 

Der mächtige Impuls der Art. magna spinalis giebt dem gesammten in 
dem reichen Gefassnetz der Rückenmarksoberfläche kreisenden und von seit¬ 
lichen Zuflüssen, meinen Artt. spinales, unterstützten Blutstrom die Directive von 
unten nach oben. 

Da nun, wie ich an anderer Stelle gezeigt habe, die Art magna spinalis 
ihrer Grösse wegen unter allen Rückenmarksgefässen auch am leichtesten im 
Blut kreisende Infectionsstoffe aufnimmt und daher unter anderem auch für die 
Syphilis ein Haupteingangsthor bildet, so geht hieraus klar hervor, wie die 
Endarteriitis syphilitica gerade die Art. magna spinalis zu allererst befallen und 


1 Adamkiewicz, Die Blutgefässe des menschlichen Rückenmarkes. Sitzungsber. der 
k. Akad. d. Wissensch. zu Wien. 1884. Bd. IV. 1882. Bd. LXXXV. — Ich sehe mich 
genöthigt, diesen meinen wissenschaftlichen Besitz besonders zu schützen, da der Versuch 
gemacht worden ist, ihn mir in doloser Weise zu entreissen. 


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nach and nach in der Stromesrichtung dieses Gefässes, d. h. in auf¬ 
steigender Richtung am Rückenmark sich aasbreiten und in Folge dessen 
dieses Organ auch in derselben Richtung angreifen und krank machen 
muss. 

Die Art. magna spinalis und weiter oben die an diesen Hauptstamm sich 
anschliessende, von mir so genannte „Vordere Anastomosenkette“, giebt, indem 
sie gerade über dem Sulcus des Rückenmarkes verläuft, die von mir so genannten 
„Arth suld“ ah, die in die Tiefe des Sulcus wie die Sprossen einer Leiter dringen, 
in die vordere Commissur sich einsenken, in die beiden Artt sulco-commissurales 
sich spalten und durch deren Vermittelung die Vorderhörner der grauen 
Substanz mit Blut versorgen. 

Daraus ergiebt sich, wie die von einer Endarteriitis syphilitica der Art magna 
spinalis aus geleitete Circulationsstörung in der vorderen Anastomosenkette ausser 
dem aufsteigenden Charakter noch eine zweite Eigenschaft besitzen muss, — 
die, die Function der grauen Vorderhörner, d. h. die der multi“ 
polaren Ganglienzellen und also die Muskulatur des Eörpers zu 
lähmen. 

Weshalb die Syphilis einzelne Gehirnnerven angreift, ist leicht verständlich. 

Diejenigen Gehimnerven sind der syphilitischen Parese am meisten aus¬ 
gesetzt, welche in der nächsten Nachbarschaft syphilitisch erkrankter Arterien 
verlaufen und daher von den durch diese Erkrankung hervorgerufenen Circu- 
lationsstörungen zu leiden haben. Aber noch ein zweites Moment tritt hinzu, 
welches neben der Circulationsstörung der angrenzenden Gefässe auf die Function 
einzelner Gehimnerven störend wirkt, das ist der Einfluss der syphilitischen, 
gummösen Exsudationen aus den kranken Arterien. 

Bekanntlich finden letztere, besonders dort statt, wo die Gefässe durch 
lockere Gewebe odergar Lymphräume verlaufen. Im Gehirn bilden die sub- 
arachnoidealen Höhlen solche Räume. In ihnen findet daher auch mit Vorliebe 
die Exsudation der syphilitischen Gallertmassen statt Daher werden auch die¬ 
jenigen Gehimnerven von der Syphilis vorzugsweise ergriffen, welche am Circulus 
arteriosus (N. oculomotorius), an der Art basilaris (N. abduoens, N. facialis) oder 
an den Vertebralarterien (N. hypoglossus) verlaufen. 

Wenn der Gang der syphilitischen Lähmung des Rückenmarkes von den 
Gesetzen des spinalen Kreislaufs beherrscht wird, wenn der Antheil, den das 
Gehirn an der Syphilis nimm t, gleichfalls mit der Verkeilung und dem Ver¬ 
lauf der Gefässe des Gehirns in Zusammenhang steht, dann lässt sich vermuthen, 
dass der relative Schutz, den das verlängerte Mark gegen die Syphilis findet, 
ebenfalls in speciellen Einrichtungen ihren Grund haben wird, welche im ver¬ 
längerten Mark die Gefässe besitzen. Und es fragt sich, oh diese Vennuthung 
zutrifft 

Darauf mögen folgende Thatsachen antworten: 

Injicire ich das Rückenmark von der Art magna spinalis aus, so schiesst 
die Injectionsmasse züngelnd am ganzen Rückenmark in die Höhe, 
ähnlich wie die Flamme an der Zündschnur eines Feuerwerkskörpers. 


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An der vorderen Rückenmarksfläche gelangt sie hoch hinauf bis zum 
Halsmark und zwar bis an diejenige Stelle desselben, wo die beiden Vertebral* 
arterien die Dura mater durchbrechen, wo also die Pyramiden ihren Anfang 
nehmen und das erste Cervicalnervenpaar entspringt Hier endet die vordere 
Anastomosenkette mit der ersten Art sulci, die den grauen Vorder¬ 
hörnern des ersten Cervioalnervenpaares ihr Blut zuführt 

Wie die vordere, so kann auch die hintere Rückenmarksoberfläche 
von der Art magna spinalis aus injicirt werden. An dieser Fläche gelangt die 
Injectionsmasse bis scharf an die Grenze des vierten Ventrikels. Ueber 
diese Grenze hinaus dringt, falls man zur Injection eine aus Glaserkitt bereitete 
consistentere Masse verwendet, dieselbe auch nicht um Ein Millimeter in das 
verlängerte Mark ein. 

Injicire ich umgekehrt von der Art basilaris in der Richtung nach unten, 
so dringt die Injectionsmasse durch die Artt. vertebro-cerebellares in das Klein¬ 
hirn, aber ebenfalls nicht in das verlängerte Mark. 

Es ist damit bewiesen, dass sich die groben Wellen des sichtbaren 
cerebralen, wie spinalen Blutstromes an den Grenzen des ver¬ 
längerten Markes brechen, dass also das verlängerte Mark that- 
sächlich gegen den directen Anprall der Wellen dieser beiden 
Hauptströme geschützt ist 

Wie wird nun das verlängerte Mark mit Blut versorgt und wie hält diese 
Blutversorgung die Isolirung des verlängerten Markes von den Strömen der 
beiden Hauptblutbahnen — des der Art basilaris und des der Art magna 
spinalis — aufrecht? 

Darüber habe ich folgendes feststellen können: 

Es giebt für das verlängerte Mark keine anderen gröberen Zuflüsse, als die 
beiden Gefasschen, welche direct unter dem Delta der beiden Vertebralarterien 
aus deren inneren Seiten entspringen und über dem unteren Abschnitt der 
beiden Pyramiden zusammenfliessen. 

Das sind die Artt vertebro-spinales anteriores, wie ich sie 
nenne. Die Anatomie nannte sie früher in der irrigen Meinung, dass diese 
Gefasschen längs des ganzen Rückenmarkes bis zum Conus verliefen und das 
ganze Rückenmark mit Blut versorgten, die „Artt spinales“. 

Thatsächlich enden diese Arterien sohon an der unteren Grenze 
der Pyramiden, dort, wo die vordere Anastomosenkette nach oben zu — in 
der Höhe des ersten Cervioalnervenpaares — aufhört 

Wenn nun die Injection der Art basilaris nach abwärts ausreicht, diese 
Stämmchen zu füllen, aber nicht genügt, die Medulla oblongata selbst zu inji- 
ciren; so musste, sagte ich mir, die Injectionsmasse beim Uebertritt aus den 
Vertebro-spinales in das verlängerte Mark sehr grossen Widerständen be¬ 
gegnen. 

Diese zu überwinden, würde eine gesteigerte Injectionskraft erfordern. Da 
aber die Stärke, mit welcher injioirt werden kann, an der Brüchigkeit cada- 
veröser Gefasse ihre ganz bestimmte Grenze findet, so steigerte ich den ge- 


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gebenen Druck für das Injeotionsgebiet dadurch, dass ich nur die Artt. 
vertebro-spinales offen liess, alle anderen Gefasse aber, die von der Artt. verte* 
brales ausgingen, unterband, und so von der Art basilaris den zwar begrenzten, 
aber vollen Druck der Injection auf die Artt vertebro-spinales wirken liess. 

Auf diese Weise steigerte ich den gegebenen und nicht veränderlichen 
Injectionsdruck nur relativ und zwar nur für das zu injicirende Stromgebiet 

Nun drang Canninleim thatsächüch in das Innere des verlängerten Markes 
ein und lehrte die wunderbare Einrichtung der Gefässversorgung in diesem so 
wichtigen Organ kennen, wie ich sie in meiner Arbeit über diesen Gegenstand 
genauer dargelegt und in den Denkschriften der kaiserL Akademie der Wissen¬ 
schaften zu Wien veröffentlicht habe . 1 

Fällt schon der ausserordentlich grosse Unterschied in der Weite der 
Artt vertebro-spinales gegen ihre nächsten Stämme, die Artt vertebrales, schwer 
in’s Gewicht, um für den Eintritt des Blutes aus den weiten Vertebralarterien 
in das Stromgebiet der Medulla sog. „Uebergangswiderstände“ zu schaffen, so 
ist die Art und die Vertheilung der Gefässe innerhalb der Medulla noch ganz 
besonders geeignet, den Anprall der vertebro - spinalen Welle noch einmal zu 
brechen, bevor sie in das Gebiet des Point vital eintritt. 

Während es eine Regel ist, wie ich gefunden habe, dass der arterielle 
Zufluss zum Rückenmark mit der Mächtigkeit des zu versorgenden 
Ganglienlagers wächst und daher von um so grösseren Arterien besorgt 
wird, je mehr das Bückenmark an Volumen zunimmt, emancipirt sich die 
Medulla von diesem Gesetz, dem sie sich im Prinoip doch nicht entziehen 
kann, durch einen, wenn ich so sagen darf, sinnreichen mechanischen 
Kunstgriff. 

Nach der Zahl und der Bedeutung ihrer Ganglien sollte das verlängerte 
Mark Zuflüsse besitzen, die die grössten spinalen Arterien, also selbst die Art. 
magna, an Umfang übertreffen müssten. Und dooh ist das nicht der 
Fall Es wird vielmehr das Bedürfniss des verlängerten Markes an Blut nicht 
durch einzelne Gefasse von grossem Caliber, sondern durch eine grosse 
Zahl von Gefässchen kleinsten Calibers befriedigt Was die Natur am 
Rückenmark durch die Stärke der Gefässe, erzielt sie am verlängerten 
Mark durch die Zahl der Gefässchen. 

Wie das im Speciellen geschieht zu schildern, muss ich mir für meine 
ausführliche Arbeit aufsparen. 

Hier beschränke ich mich darauf, festzustellen, dass die doppelte Wellen - 
brechung, welche der Blutstrom erfährt, indem er aus den starken Artt ver¬ 
tebrales in die feinen Artt vertebro-spinales und aus den letzteren sofort in 
Capillaren eintritt, nicht nur wie eine Doppelschleuse, sonden gleichzeitig 
auch wie ein Doppelsieb wirkt Während letzteres das geweihte und heikle 
Gebiet der wichtigsten Nervencentren vor den zahllosen Feinden möglichst be- 


1 Die Arterien des»verlängerten Markes vom Uebergang bis znr Brücke. Denkschriften 
der k. Akad. d. Wissensch. zn Wien. Bd. LY1I. 1882. 


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hütet, welche auf der allgemeinen Strombahn frei verkehren, schützt jene das¬ 
selbe Gebiet vor den heftigen Wellenbewegungen und Druckschwankungen des 
allgemeinen Blutstromee, die an allen Orten des Körpers leichter vertragen 
werden, als gerade dort, wo — wie im verlängerten Mark — für die Erhaltung 
eines Gleichmaasses der wichtigsten nervösen Functionen des 
Körpers eine möglichst grosse Gleichförmigkeit und Buhe des 
physiologischen Zustandes, und also vor Allem des Blutstromes 
eine unabweisbare Bedingung darstellt 


3. Eine Verbindung caudaler Himtheile der Taube mit dem 
Striatum (Tractus isthmo-striatus oder bulbo-striatus?). 

Von Dr. Adolf Wallenberg in Danzig. 

Bei meinen Versuchen, das Ganglion isthmi der Taube zu zerstören, bin 
ich mehrfach mit der Nadel in centrale Theile des Isthmus gerathen und habe 
daselbst in verschiedenen Höhen von der oaudalen Mittelhirngrenze bis in die 
Quintusregion hinein Läsionen verursacht, deren Folgen ich mit Mabchi näher 
studiren konnte. Bei dieser Gelegenheit habe ich constant eine Gruppe von 
Fasern aus dem Isthmus in das Vorderhirn verfolgt. In der Höhe des Trochlearis- 
kemes (Fig. 1) liegt der rundliche Querschnitt (a) dieses Bündels ziemlich gleich 
weit entfernt von der Baphe, vom lateralen und ventralen Isthmusrande sowie 



Fig. 1. Fig. 2. 


von der ventralen Grenze des centralen Höhlengraues. Am proximalen Pole 
des Trochleariskernes und des Ganglion isthmi (Fig. 2) beginnt eine partielle 
Kreuzung seiner Fasern zum gegenüberliegenden identischen Tractus (Figg. 2 
und Sa'). Während seines Verlaufes durch das Mittelhirn nähert sich das 
Bündel in ventromedialer Richtung der dorsolateralen Grenze der Infundibular- 
wand, liegt in der Höhe des Ganglion ectomammillare (Edengeb) diesem dorsal 
auf, nur durch eine schmale Schicht von ihm getrennt (Fig. 4) und bildet von 


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da ab den ventromedialen Abschnitt des Tractus striothalamicus centralis 
(Fig. 5). Mit diesem zieht es frontal wärts, bleibt aber proximal von der vorderen 




Commi8Sur, während die anderen Fasern dorsolate ral wärts zum Pu tarnen fächer¬ 
förmig ausstrahlen, bis in frontale Theile des Vorderhims als Längsbündef im 



Stiele des Fächers sichtbar (Fig. 6). Erst hinter der candalen Grenze des 
Bolbns olfactorius tritt in lateraler und dorsaler Richtung eine Auflösung des 



Bändels ein (Fig. 7). Seine Fasern verzweigen sich am ventralen Striatumrande 
(etwa mittleres Drittel), sowie in den anstossenden ventralen Theilen des proxi- 
malsten Linsenkernabschnittes (Fig. 8). 

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Im Hinblick auf die von Tsohebmak 1 bei der Katze gefundenen Hinter- 
strangkem-Linsenkemfasern dürfte die Thatsache interessiren, dass bei der Tanbe 



eine Bahn vom Isthmus zu frontalen Theilen des Striatum eiistirt, die sich 
caudal vom Mittelhirn theilweise kreuzt. Da ich bisher nicht entscheiden kann, 
ob die Fasern in caudalen Isthmusregionen entspringen oder ihren Ursprung 
in der Medulla oblongata besitzen, muss ich mir die Benennung des Bündels 
(Tractus isthmo-striatus oder bulbo-striatus) noch Vorbehalten. 


[Aus der Prof. Mmrem/schen Klinik.] 

4. Zwei Fälle von Friedreich’scher Ataxie.* 

Von Dr. Paul Cohn, Assistenten der Poliklinik. 

Die Fälle, zwei Brüder, sind am 22. Januar 1898 in die Prof. Mmn>EL’sche 
Klinik aufgenommen worden. Der ältere ist IS 1 /,, der jüngere fast 11 Jahre alt. 

Bezüglich der Familie liess sich eruiren, dass die Grossmutter väterlicherseits 
an „Reissen“ leidet nnd dass ihr das „Wasser abläuft“ (?); die Grossmutter mütter¬ 
licherseits leidet an Reissen in einer Schalter, zeigt objectiv — ausser einer geringen 
Pupillendifferenz — nichts besonderes. Die Eltern sind nicht 3 blutverwandt, auch 
besteht zwischen ihnen keine erhebliche Altersdifferenz. Die Mutter der Pat. ist 
völlig gesund. 

Der Yater trinkt ziemlich stark; er klagt über Reissen im linken Arm, 
hat objectiv keine nennenswerthen Besonderheiten. Eine ältere Schwester der Knaben, 
14 Jahre alt, ist noch nicht menstruirt, will häufig Kopf- und Kreuzschmerzen 
haben. Ein jüngeres Kind, Bruder, 4 Jahre alt, soll, wie die Mutter seit etwa drei 
Monaten bemerkt hat, zuweilen im Schlafe mit den Armen zucken. 

Nervöse oder geistige Erkrankungen sind in der Familie sonst, soweit bekannt, 
weder in aufsteigender-, noch in Seitenlinien vorgekommen. — 

Die gemeinschaftliche Anamnese der Knaben ist kurz folgende: 


1 Armin Tsohxruax, Notiz betreffs des Rindenfeldes der Hinterstrangbahnen. Neurolog. 
Centralbl. 1898. S. 159. 

1 Nach einem in der Berliner Gesellschaft für Psychiatrie und Nervenkrankheiten am 
14. März 1898 gehaltenen Vortrage. 

* Es wird dies deshalb besonders bemerkt, weil von mancher Seite dieser Factor bei 
der „ererbten“ Disposition zn der in Frage stehenden Krankheit mit in Rechnung gebracht 
worden ist. 


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Sie sind normal zur Welt' gekommen and beide bis za 1V 8 Jahren von der 
Matter — die nach 9 Monaten wieder zu menstruiren begann and aach während 
der jeweiligen Menstruation stillte — ernährt worden. Sie haben sich beide normal 
entwickelt, zur rechten Zeit laufen and sprechen gelernt and niemals Krämpfe gehabt 
Während der ältere schon mit 1 Jahr sauber war, soll der jflngere noch bis zum 
5. Lebensjahre ins Bett urinirt haben. Beide haben in den ersten Lebensjahren viel 
an (scropholösen) Drüsenschwellungen gelitten, dem jüngeren wurde noch im ver- 
gangenen Jahre eine „vereiterte Drüse“ am linken Ohre geöffnet; auch soll letzterer 
bis zum 6. Lebensjahre starke Hand- und Knöchelgelenke, sowie „O-Beine“ gehabt 
haben. 

Beide haben, der ältere mit S 1 ^, der jüngere mit 3 Jahren, Scharlach 
dnrchgemacht; der erste hatte 1 Jahr vorher auch Masern. 

Die Erscheinungen nun, welche die Mutter bei dem älteren Knaben schon im 
5. Lebensjahre, bei dem jüngeren im 6. zu bemerken begann, waren im Wesentlichen 
die gleichen. Das erste, was auffiel, war eine Verschlechterung des Gehens. 
Der Gang wurde zuerst unsicher, dann wankend, schwankend, taumelnd; die Knaben 
fielen Öfter hin. 

Dazu gesellte sich eine Unsicherheit der Hände. Die Bewegungen derselben 
wurden ungeschickt, zitternd; beim an den Mund führen von Speisen bemerkte man 
hin und herfahrende Bewegungen, der Inhalt von Gläsern und Tellern wurde ge¬ 
legentlich verschüttet. 

Das Leiden hat in allmählichem Fortschritt bis zum heutigen Tage langsam 
zugenommen. 

Erbrechen und Kopfschmerz ist nicht dagewesen; indessen gaben die Knaben 
(auf Befragen) an, dass sie zuweilen früher Schwindel empfunden hätten. 
Schmerzen traten niemals auf; ebenso wenig eine Störung der Stuhl- oder Harnent¬ 
leerung. Doppeltsehen wurde nie bemerkt Auch Verschlucken beim Essen kam nicht 
vor. Der Appetit war gut, der Schlaf desgleichen. 

In der Schule sind die Knaben nur schwer fortgekommen, besonders machte 
ihnen das Bechnen Schwierigkeiten. Eine Abnahme oder mangelnde Entwickelung 
der Verstandeskräfte ist von nahestehender Seite aber nicht beobachtet worden. — 
In letzter Zeit wurde bemerkt dass die Pat, besonders der ältere, häufig — auch 
ohne ersichtliche Ursache — lachen. — 

Es folge zunächst die Beschreibung des älteren Knaben, Willy S., jetzt 
13 1 /] Jahre alt (Aus seiner persönlichen Anamnese ist noch hervorzuheben, dass 
er sich in seinem 6. Lebensjahre in Folge eines Falles eine Verletzung des linken 
Beines zuzog, welche zu einer zunehmenden Schwellung in der Gegend des linken 
Kniegelenks führte. Dieselbe wurde Jahre lang verschiedentlich erfolglos behandelt. 
Das Gelenk nahm langsam Beugestellung an und konnte nur noch in mässiger Ex- 
cursion im Sinne der Beugung bewegt werden. Vor l 1 /* Jahren wurde chirurgischer- 
seits eine gewaltsame Streckung des Beins vorgenommen, und das Bein ca. 8 Wochen 
lang im Gypsverband gehalten. Das Bein ist seitdem in Strecklage unbeweglich, 
Pat. hat seit 1 x / a Jahren das Zimmer nicht mehr verlassen und sich fast stets in 
sitzender oder liegender Stellung — besonders auch viel im Bett — gehalten. Es 
handelte sich bei der Erkrankung, wie der Augenschein auch jetzt lehrt, um einen 
Fangas genu). 

In Folge des dauernden Zimmeraufenthaltes hat sich bei dem Pat. eine etwas 
deprimirte, weinerliche Gernüthsstimmung ausgebildet. — 

Fall L Pai, der in sitzender Stellung verharrt, ist ein für sein Alter etwas 
kleiner, blasser, schwächlicher, magerer Knabe. Der Gesichtsausdruck hat etwas Tristes. 

Der Kopf ist im Verhältniss zum Gesicht ziemlich gross, rund; auffallend ist 
die Kleinheit des Unterkiefers. 


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Die Ohrläppchen sind angewachsen, der innere Helix sehr tief. Beklopfen des 
Kopfes ist nirgends schmerzhaft. 

Man bemerkt bald eigentümliche, leichte, zockende Bewegungen am Kopfe, 
meist korze, alternirende Drehbewegungen in vorwiegend horizontaler Bichtang. Der 
Sitz derselben sind, wie Augenschein und directes Befühlen zeigen, zum Theil sicher 
die Mm. sternodeidomastoidei. 

Die Zähne sind rhachitisch gekerbt, Gaumen-, Bachenbewegungen, Bachenreflex 
in Ordnung. Die Zunge wird gerade herausgestreckt, zeigt aber bei im wesentlichen 
erhaltener Längsachse fast stetig ziemlich grobe, unruhige, zuckende Bewegungen; 
zugleich mit diesen treten deutliche (Mit) Bewegungen im Facialis um den Mund 
herum auf (von denen sich in der Buhe nur schwache Andeutungen zeigen). 

Die Prüfung der Himnerven ergiebt sonst bis auf den eben zu erwähnenden 
Nystagmus nichts Abnormes; die etwas über mittelweiten Pupillen reagiren gut, der 
Aiigengrund ist normal. 

In der Buhe ist an den Augäpfeln nichts von abnormer Bewegung wahrzunehmen; 
dagegen treten bei stark seitlicher Blickrichtung, beim Fixiren eines seitlich gehal¬ 
tenen Gegenstandes, bei schnellem Vorbeiführen eines solchen, deutliche — wenngleich 
nicht sehr grosse — oscillirende Bewegungen der Augäpfel auf. 1 

Am Bumpfe und den Armen ist die Dürftigkeit der Muskulatur auffallend. Die 
grobe Kraft der Muskeln ist ihrem Aussehen entsprechend gering. Beim Vorstrecken 
der Arme tritt starkes Schwanken derselben ein; die gespreizten Finger zeigen eigen¬ 
artige an Athetose erinnernde Bewegungen. 

Beim Greifen nach einem vorgehaltenen Gegenstände werden die atactischen 
Bewegungen der Arme sehr deutlich (links anscheinend etwas stärker als rechts); 
Augenschluss verstärkt sie in nur geringem Grade. 

Ausserordentlich erschwert sind complicirtere Bewegungen, wie z. B. Knöpfen. 

Auch das Schreiben geschieht nur sehr mühsam, unter Anstrengung; die Schrift 
ist ungleichmäs8ig und zittrig. 

Nimmt man mit den Endgliedern der Finger passive Bewegungen — auch solche 
von nicht ganz geringer Excursion — vor, so zeigt sich, dass die Bichtung derselben 
(anscheinend links häufiger als rechts) oft falsch angegeben wird. 

Der Tricepsrefiex — es sei ausdrücklich darauf hingewiesen — ist vorhanden. 

Der Brustkorb des Pat. ist asymmetrisch; die linke Brusthälfte tritt — wie 
bei Betrachtung von oben her besonders deutlich wird — merklich mehr hervor, als 
die flachere rechte. Die Wirbelsäule, an der eine Skoliose nicht sichtbar ist, ist 
nirgends druckempfindlich. 

Die Betrachtung des Unterkörpers in der Bettlage ergiebt ein Tieferstehen der 
linken Beckenhälfte mit dadurch bedingter scheinbarer Verlängerung des linken Beins. 
Die Beine werden mässig honen rotirt gehalten, die Füsse stehen im Ganzen in 
Spitzfussstellung. Am linken Kniegelenke 8 fällt eine unförmige Schwellung auf; die 
Haut über dem Gelenke ist etwas wärmer als auf der andern Seite. Das Gelenk 
zeigt sich völlig steif. Geringste Bewegungsversuche an demselben werden sehr 
schmerzhaft empfunden. 

Die Muskulatur der Beine, namentlich der Unterschenkel, ist sehr dürftig; be¬ 
sonders der linke Unterschenkel ist sehr mager. Die grobe Kraft ist nach dem eben 
Gesagten nur rechts zu prüfen und hier entsprechend dem Aussehen der Muskeln 
gering. 

Prüft man das rechte Bein auf Ataxie, so ergeben sich schon beim Versuche, 
es gestreckt zu erheben, stark ausfahrende Bewegungen desselben; es besteht dabei eine 


1 Statische and locomoto rische Coordin&tionsstörang der Augenmuskeln. 

* cf. oben Vorbemerkung. — Bezüglich des ganzen Zustandes der Muskulatur an den 
Unterextremitäten ist wobl die lange Inactivität derselben in Rücksicht zu ziehen. 

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Neigang des Beins, nach links hinüber zu sinken. Der Knie-Hacken versuch macht 
die Ataxie gleichfalls sehr augenfällig, namentlich bei Angenschlnss. 

Das Bein zeigt ausserdem eine ausserordentliche Flexibilität; Pat. kann dasselbe 
ganz leicht mit Hülfe der Hand soweit nach hinten bringen, dass der rechte Fass 
tief im Nacken liegt. Stehen nnd Gehen (ohne Stützapparat und gleichzeitiges An« 
halten) ist aus den erwähnten Gründen unmöglich. 

Die (cf. oben) im wesentlichen in Spitzfassstellung gehaltenen Füsse zeigen 
eine sehr tiefe Excavatio plantaris mit entsprechender verstärkter Krümmung dee 
Fussrückens. Die Zehen sind deutlich hyperextendirt, besonders die grosse; die 
Halluxsehne springt stark vor.' 

Bei Prüfung des Lagegefühls an den Zehen ergeben sich ähnliche unrichtige 
Angaben, wie bei den Fingern erwähnt. 

Der Patellarreflex (links ist er nicht zu prüfen) fehlt; die Achillessehnen* 
reflexe desgleichen. Die Hautreflexe sind lebhaft. 

Das Verhalten der Sensibilität ist (bis auf die genannten Störungen des 
Lagegefühls) am ganzen Körper normal. Die elektrische Erregbarkeit zeigt keine 
Veränderungen. 

Was endlich die inneren Organe anlangt, so ergiebt sich als wesentlich eine 
Schallverkürsung nnd Schallabsohwächung über der rechten Lungenspitze mit ver* 
längertem Exspirium und inconstantem Giemen. 

BHO überall abgeschwächtes Athmen. 

Am Herzen hört man über der Pulmonalis — über der Aorta weniger — ein 
systolisches hauchendes Geräusch; keine Verstärkung der zweiten Töne. 

Puls weich, mittel voll, 100 p. Minute. 

Geringe, allgemeine Drüsenschwellungen. — Urin frei. — Gewicht 45,100 Pfund. 

Die Intelligenz lässt keine 8törung erkennen.^ Die Sprache ist etwas langsam 
und ungleichmäsmg. — 

Bezüglich des zweiten Bruders, Rudolf S., können wir uns kürzer fassen, da 
er im Wesentlichen nur die Symptome des älteren in abgeschwächter Form wiederholt 

Fall II. Pat. ist 11 Jahre alt und ganz gnt entwickelt; munterer Gesichts* 
ausdruck, gesunde Gesichtsfarbe. Stetige, ungleiche, abwechselnde Bewegungen des 
Kopfes — der immer wenig vornüber gehalten wird — in vorwiegend horizontaler 
Richtung; fortwährende leichte Verziehungen und Zuckungen der mimischen Musku¬ 
latur, bald hier, bald da, besonders auch im Gebiete des Frontalis. 

Geringer Nystagmus beim seitlichen Fixiren. 

Pupillen normal weit, rechte ein wenig grösser als linke; Reaotion o. B. — 
Sehschärfe rechts •/ 7 , links ®/ l0 ; ophthalmoskopisch erhebliche Abblassung bei¬ 
der Sehnerven. Gesichtsfeld links für alle Farben leicht eingeengt 

Zuckende Bewegungen der herausgestreckten Zunge. — Muskulatur am Körper 
gau gut entwickelt, nirgends Atrophieen. Grobe Kraft genügend. 

Choreaähnliche zuckende Bewegungen an Schultern, Armen 1 (Fingern), Beinen. 

Deutliche statische und locomotorische Ataxie an Armen und Beinen. 
Stehen unruhig; meist mit etwas gespreizten Beinen, vornübergehaltenem Kopfe, oft 
mit einer Tendenz zur Schiefhaltung des ganzen Körpers nach links 8 (keine 


1 Am linken Arm. besteht in der Gegend des linken Condylns ext humeri eine 
knöcherne-Vorwölbung, die Folge eines daselbst vor 4 Jahren durch Fall von einer Schaukel 
erlittenen Bruches. 

* Es ist diese jetzt vorhandene Tendenz zu einer einseitigen Körperhaitang mit ihren 
durch längere Gewohnheit entstehenden Consequenzen vielleicht für die Entstehung einer 
sich später etwa entwickelnden Scoliose (wie sie bei der Krankheit häufig ist) nicht ohne 
ittologiachea and möglicherweise nach therapeutisches Interesse. 

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Scolibse); dabei auaser den schon in der Ruhelage vorhandenen — jetzt etwas ver¬ 
stärkten — verschiedenen Zuckungen noch grössere equilibrirende Bewegungen 
wechselnder Richtung am Rumpfe, an den Armen, an den Beinen. Unstetes Spielen 
der Fussstrecker. Zunahme der balancirenden Bewegungen im Yerhältniss, in dem 
die F&886 einander genähert werden (die Basis sich verkleinert). Bei Aneinander¬ 
stellen der FQsse Stehen mit offenen Augen kaum Secunden lang möglich, bei 
Augenschluss unmöglich. Gang unsicher, wankend, taumelnd, von der geraden Linie 
bald rechts, bald links (zuweilen auch länger plump nach ein und derselben Seite) 
abweichend, dem eines Trunkenen ähnlich. Dabei zuweilen Ueberkreuzen der Beine. 
Der linke Fass wird auffallend einwärts aufgesetzt 

Langsames Gehen anscheinend schwerer als schnelles (hier mehr eine Art Vorn¬ 
überfallen des Körpers). 

An den Füssen Excavatio plantaris sehr ausgesprochen, Neigung zu dauernder 
Hyperextension der grossen Zehen; an den Zehen leichte Störungen des Lagegefühls. 

Patellar- und Achillessehnenreflexe fehlen. (Tricepsreflex vorhanden.) 
Hautreflexe vorhanden. Sensibilität (cf. Zehen) normal. Elektrische Erregbarkeit 
normal. Systolisches Hauchen an der Herzspitze; verstärkter II. Ton. Puls 104, 
mittelvoll. — Geringe (Cervical- und Inguinal-) Drüsenschwellungen. — Urin frei. 
— Gewicht 51,100 Pfund. — Intelligenz gut Sprache langsam, zeigt angedeutet 
skandirenden Charakter. — 

Ueberblicken wir kurz die beiden Fälle, so haben wir es also mit einer in 
der Kindheit entstandenen Krankheit zu thun, welche bei zwei Geschwistern 
auftritt, deutlich progressive Tendenz hat und folgende Hauptsymptome zeigt: 

1. (Statische und locomotorische) Ataxie. 

2. Fehlen der Patellar- (und Achillessehnen-) Reflexe. 

3. Intacte (Haut-) Sensibilität, doch Störungen des Lagegefühls. 

4. Intaoten Blasen- und Mastdarmreflex. 

5. Nystagmus. — Geringe Sprachstörungen. 

6. Fbikdbbich’ sehen Fuss (im einen Falle sehr ausgesprochen, im anderen 
angedeutet). 

Dazu kommt im zweiten Falle 7. Opticusatrophie (im ersten Complication 
mit einem chronischen destructiven Process in der Lunge). 

Im Vordergründe des Krankheitsbildes steht die Ataxie. — Bei einem so 
ausgesprochenen Befunde wie dem unsrigen dürfte die Diagnose kaum Schwierig¬ 
keiten bereiten; doch mögen die wenigen Erkrankungen, welche überhaupt 
differentialdiagnostisch in Frage kommen, hier nachstehend einzeln ausgeschaltet 
werden. Gegen einen Theil derselben könnte man schon von vornherein das 
Auftreten bei zwei Geschwistern als sehr mitentscheidend in’s Feld führen; 
indessen möchte der — immerhin gezwungene — Einwand hingehen, dass es 
sich ja um ein zufälliges Zusammentreffen handeln könnte, oder zweitens — was 
sich eher hören liesse — dass die hereditäre Disposition, welche dem Symptom- 
complex der FniEDEKiCH’schen Krankheit zur Grundlage dient, auch die Basis 
für jene anderen nervösen Erkrankungen (z. B. infantile Tabes) abgeben könnte. 

Es bleiben auch dann ausreichend differentialdiagnostisohe Kriterien, um 
die Auffassung unserer Fälle als solcher von FnmnnEiOB’scher Ataxie zu sichern. 

Krankheiten wie Chorea infantilis — die zuckenden Bewegungen wären 


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das einzige Symptom, welches daran erinnert — können nicht wohl in Frage 
kommen. 


Es bleiben etwa übrig: 

1. Multiple Sclerose; — leitet sich nicht mit Ataxie ein, der Tremor 
ist mit der Ataxie nnserer Fälle nicht zu verwechseln, die Reflexe sind meist 
gesteigert 

2. Tabes; — (abgesehen vom Alter) entscheidet die Ausdehnung der Ataxie 
(hier Rumpf), die Art des Ganges (der hier tabetisch und cerebellar), der 
Mangel an Sensibilitätsstörungen, an Papillensymptomen, die Intactheit der 
Blasen- und Mastdarmfunction. 


3. Hereditäre Lues; — auch wenn die Anamnese nicht das Fehlen der 
Lues bei den Eltern ergeben würde, würde der Verlauf unserer Fälle (langsam 
fortschreitend, kein Remittiren), das Nicht-Auftreten von Anfällen, der Mangel 
an degenerativen Lähmungserscheinungen genügen. 

4. Ataktische Paraplegie (Gowebs); — das jugendliche Alter der Pat., 
das Fehlen der Patellarreflexe sind zur Widerlegung hinreichend. 

5. Kleinhirntumor; — der Mangel an Kopfsymptomen, das Mitbetheiligt- 
sein der Arme hier spricht dagegen. 

6. „Hörödoataxie cöröbelleuse“ (durch P. Mahif, als selbständige Form 
von der FsiKDBEiCH’schen Ataxie abgeschieden); es genügt die Angabe, dass 
diese Erkrankung viel später auftritt, dass die Sehnenreflexe normal oder ge¬ 
steigert sind, dass der Muskelsinn ungestört ist. Niemals wurde auch der 
FuizDBBiCH’sche Fass beobachtet 

Die Frage, ob und inwieweit Entwickelungshemmungen des Kleinhirns 
Bilder von FniEDBEiCH’scher Krankheit erzeugen können, scheint uns noch 
nicht genügend geklärt, um „für“ oder „gegen“ mit herangezogen zu werden. 
Auch Vermuthungen darüber anzustellen, wie etwa genau in unserem Falle 
pathologisch-anatomisch der Krankheitssitz im Rückenmark sich begrenzen 
möge, wäre nach den numerisch zu geringen und in sich oft noch gar nicht 
unbeträchtlich verschiedenen Ergebnissen, welche bisher vorliegen, verfrüht und 
unfruchtbar; eine präcise Localisation der Ausbreitung des Processes wenigstens 
ist bis jetzt nicht möglich. — 

Bei der rigorosen Schärfe, mit welcher in jüngerer Zeit von mancher Seite 
an dem genau umschriebenen und eng umgrenzten Symptomenbild, wie es 
Fbiedbkich selbst gezeichnet hat, festgehalten wird, scheint es nicht so ganz 
überflüssig, einem Einwande zu begegnen, der etwa gegen den zweiten Fall 
erhoben werden könnte. 1 Die Opticusatrophie nämlich ist in der ursprüng¬ 
lichen Beschreibung Fbiedbeich’s nicht mit vorhanden und fehlt thatsächlich 
auch in der weit überwiegenden Mehrzahl der bisher sonst beschriebenen Fälle. 


1 Der Einwand, dass im ersten Fall das klinische Bild — wegen der oben begrün¬ 
deten Unmöglichkeit, linkerseits den Patellarreflei zn prüfen and daselbst eine exacte Ataxie- 
Untersuchung vorznnehmen — nicht „oomplet“ sei, dürfe wohl von keiner Seite gemacht 
werden. 


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Nun, — erstens hat der Schöpfer des in Rede stehenden Krankheits¬ 
begriffes bei der allgemeinen Seltenheit der Erkrankung nur relativ wenige Fälle 
sehen können; zudem stammten die von ihm selbst geschilderten Fälle aus nur 
zwei Familien. Es ist nicht anzunehmen, dass bei einer so beschränkten Zahl 
gleich alle vorkommenden Formen des Krankheitsbildes zu sehen waren, — 
abgesehen davon, dass die aus gleicher Familie stammenden Fälle nach einigen 
Angaben überhaupt einen in sich ähnlichen Typus zeigen sollen. 1 

Zweitens sind Fälle von hereditärer Ataxie mit Opticusatrophie seither 
von anderer Seite mit Sicherheit mehrfach beobachtet worden. 

Drittens schliesslich wäre aber auch theoretisch nicht recht einzusehen, 
warum ein ausgeprägter Fall von FniEDBBiCH’scher Krankheit wegen einer zu 
dem übrigen degenerativen Process im Centralnervensystem noch hinzukommen¬ 
den Opticusatrophie nicht mehr als FnxEDBEiGH’sche Krankheit bezeichnet werden 
sollte. Dass das anatomische Substrat in beiden Fällen bezüglich seiner topo¬ 
graphischen Begrenzung nicht ganz genau das gleiche ist, kann doch 
nicht wohl als cardinaler Unterschied angesehen werden. So lange wir wenig¬ 
stens mit dem Begriff eines bestimmten Krankheitsbildes einen bestimmten, sich 
im Wesentlichen stets gleich bleibenden Symptomencomplex meinen und 
nicht ex post nach der räumlich genau beschränkten (wennmöglich mikrosko¬ 
pischen!) Gleichheit des eventuell später festgestellten pathologisch-anatomischen 
Befundes schematisch die Krankheiten rangiren wollen, — so lange wird eine 
solche Anschauung hinsichtlich der Betrachtung unserer Krankheit nicht maass¬ 
gebend sein dürfen. 

Es heisst also nicht: Kein Friedreich, weil Opticusatrophie, sondern: ein 
Friedreich mit Opticusatrophie; statt durch die Opticusatrophie umgestossen zu 
werden, gewinnt der Fall durch sie nur ein um so grösseres Interesse. — 

Was die Disposition zu der „hereditären Ataxie“ in unsern Fällen anlangt 
(vielleicht wäre die Krankheit als „familiäre“ Ataxie zu bezeichnen, weil sie 
wohl meist mehrere Glieder aus einer Familie betrifft, aber nur ausserordent¬ 
lich selten direct „vererbt“ wird), so möchte daran erinnert sein, dass der 
Vater Potator ist, und dass beide Knaben in frühen Jahren Scharlach durch¬ 
gemacht haben. 

Der erste Factor ist ja auch sonst bei nervösen Erkrankungen in der 
Descendenz mit in Rechnung zu ziehen, und für unsere Krankheit von T,at>amv. 
besonders betont worden. Der andere, die Scarlatina, könnte in zweierlei 
Richtung gewirkt haben: 

a) sie hat die vorhandene Disposition zur Erkrankung nur gesteigert (wie 
auch andere Infectionskrankbeiten das im Stande sind), oder 

b) sie hat die latente Disposition zum Ausdruck gebraoht, als „agent pro¬ 
vocateur“ gewirkt. Dass eine noch so starke Scharlachinfection für sioh allein 
(„Toxine“) bei sonst intactem Nervensystem die in Rede stehende Krankheit 
erzeugen könnte, dürfte wenigstens unwahrscheinlich sein. 


1 Von diesem Verhalten würden unsere Fälle also eine Ausnahme machen. 


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(Ob die Tuberculose, mit welcher sich im einen Fall das Krankheitsbild ver¬ 
knüpft, die Disposition zur Erkrankung etwa mit gesteigert hätte, möchte aller¬ 
dings dahingestellt bleiben.) 

Sollte nun auch von den erwähnten Factoren jeder für sich vielleicht 
nicht einflussreich genug gewesen sein, so könnte doch ihr Zusammenkommen 
geeignet sein, das Entstehen der Krankheit zu begünstigen. — 

Ausser der Opticusatrophie — über deren mögliche Ursachen an dieser 
Stelle nicht discutirt werden soll — erscheinen dem Verf. die oben beschriebenen 
eigenartigen, theils tic-ähnlichen (Kopf), theils auch an Athetose und Chorea 
(Finger) gemahnenden unregelmässigen Bewegungen der geringen Beachtung 
nicht ganz würdig, die ihnen allgemein bisher zu Theil geworden ist. Ein Theil 
derselben tritt bloss beim Stehen oder bei aufgerichtetem Oberkörper ein und 
ist vielleicht vorwiegend als auf equilibrirender Tendenz basirend aufzufassen. 
Ein anderer Theil aber geht — wie sich jeder Zeit beobachten lässt — auch 
schon in der Ruhelage vor sioh. Wir erinnern besonders an dem zweiten 
Patienten. 

Es ist wohl nicht unberechtigt, diese Bewegungen in Analogie zu den bei 
Tabikern häufig im Oeleit der Ataxie auftretenden „Spontanbewegungen“ zu 
setzen. Mit diesen haben sie auch gemeinsam, dass sie den Kranken selbst 
nicht zu Bewusstsein kommen (ein Factum, das vielleicht in den Störungen 
des Muskelsinns seine Erklärung findet). 1 

Bezüglich der Therapie möchte Verf. das Hauptgewicht (ausser der robo- 
rirenden Ernährung) auf Massage und besonders auf nach FnENEBL’schen Prin- 
cipien vorzunehmende, compensatorisohe Uebungen gelegt wissen. 

Der complicirenden Spitzfussstellung im speciellen liesse sich vielleicht im 
zweiten Falle noch durch möglichst dünn gewählte Bettbedeckung, durch rechtzeitig 
eingeleitete Massage, event. auch durch einen frühzeitig angelegten, im entgegen¬ 
gesetzten Sinne wirkenden elastischen Zugverband mit einiger Wahrscheinlichkeit 
Vorbeugen. Ebenso wäre eine frühzeitig eingeleitete, zweckgemässe Massage bei 
den ersten Anzeichen einer Neigung des Körpers zu seitlicher Verbiegung 
(cf. Krankengeschichte n.) vielleicht geeignet, der Entwickelung einer Scoliose 
bis zu einem gewissen Grade vorzubeugen. — 

Herrn Prof. Mendel, meinem hochverehrten Chef, sage ich auch an dieser 
Stelle für die mir liebenswürdig überlassene Bearbeitung der Fälle meinen 
ergebenen Dank; desgleichen danke ich Herrn Collegen P. Schustee bestens 
für die mir freundlichst gestattete Einsioht in die klinischen Krankengeschichten 
und seine stets bereite thätige und forderliche Theilnahme an den Unter¬ 
suchungen. — 


* Wenn nach in der ßahel&ge eine Coordin&tion noch Btatt hat, so ist vielleicht theo¬ 
retisch die Annahme nicht gänzlich von der Hand zu weisen, dass auch jene Bewegungen 
nur der Ausdruck dieser gestörten „Coordin&tion in der Rnhe“ sind, und somit statische 
Coordia&tionsstörungen geringsten Grades darstellen. 


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310 


Litter&tur. 

Strümpell , Lehrbach der speciellen Pathologie and Therapie der inneren Krankheiten. 
Bd.ü. 1. 

Oppenheim, Lehrbach der Nervenkrankheiten. 1894. 

Gowebs, Handbach der Nervenkrankheiten (deutsch von K. Grobe). 1892. Bd. I. 
Chabcot, Poliklinische Vorträge (deatsch von Freud). 1894. 

Nearolog. Centralbl. Jahrgang 1890—1897. 

Frirdrbioh, Virchow's Archiv. 1868. XXVI und XXVII. 1876. LXVIII („Ueber 
Ataxie mit besonderer Rücksicht der hereditären Form'*). 1877. LXX. 

Leyden, Klinik der RückenmarkBkrankheiten. 1875. II. 

Marie , Vorlesungen über die Krankheiten des Rückenmarks (deatsch von Dr. Wbiss- 
Wien). 1894. 

Dbjbrinb et Lbtudlb, Sur les caases de 1'inWgritä de la sensibilit4 dans la maladio 
de Friedreich etc. Ball. mdd. 1890. 26. Febr. 

P. Blooq et G. Mabinbscu, Sar l’an&tomie pathologiqae de la maladie de Friedreich. 
Seance de la socidtd de Biologie. 1890. 1. Mars. 

Brousbb, Sur la maladie de Friedreich. 1882. 

Senator, Ueber hereditäre Ataxie. Berliner klin. Wochenschr. 1893. Nr. 21. 1894. 
Nr. 28. 

Schultzb, Deutsche Zeitschrift für Nervenheilkunde. 1894. V. — Berliner klin. 
Wochenschrift. 1894. Nr. 33 (Erwiderung u. s. w.). 


II. Referate. 


Anatomie. 

1) Les terminaisona centrales de la racine labyrinthique, par Andre 
Thomas. (Comptes rendus de la Sociätä de biolog. 1898. 12. Fävr.) 

Um die noch schwebenden Streitfragen Ober die centrale Endignngsweise des 
N. acnsticus definitiv zu erledigen, hat Verf. bei einem Hunde die intracranielle 
Durchschneidung desselben vorgenommen, das Versuchsthier nach 14 Tagen getödtet 
und das Gehirn sodann, nach Marchi behandelt, untersucht. 

1. Ramus cochlearis. Er endet im Nucleus lateralis und im Tuberculum acusti- 
cum. Diejenigen Fasern, welche im Nucleus lateralis enden, treten von unten nach 
oben senkrecht in denselben ein und vertheilen sich durch seine ganze Ausdehnung. 
Ein kleiner Theil der Fasern zweigt rechtwinklig ab und dringt in die oberen 
Olivenkerne und die Nebenolive der gleichen Seite. — Einige vereinzelte Fasern 
kreuzen bei ihrem Austritt aus dem Nucleus lateralis die absteigende Wurzel des 
Trigeminus und scheinen im Facialiskem zu enden. 

2. Ramus vestibularis. Die Fasern desselben dringen oberhalb der Cochlearis- 
fasern in die Medulla ein, kreuzen das Corpus restiforme und erreichen die vorderste 
Spitze des Deiters'sehen Kerns. Hier theilen sie sich in zwei Zweige, einen ab* 


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and einen aufsteigenden. Der letztere, kürzere, endet grösstentheils im Deiters’* 
sehen nnd Bechterew'sehen Kern, nnr wenige Fasern traten in das Kleinhirn ein, 
am hier za eaden. — Der absteigende Zweig lässt sich weit herunter bis in den 
Monakow’schen Kern verfolgen. Ein Ueberschreiten der Mittellinie lässt sich bei 
keiner Faser des ganzen Bamus vestibnlaris constatiren. 

W. Cohnstein (Berlin). 


2) The oortioal motor oentres of the opoesum, dldelphys Virginiana, by 
B. H. Cnnningham. (Journal of Physiology. XXII. 4. S. 264.) 

Verf. untersuchte anatomisch and physiologisch das Gehirn des Opossum and 
fand dasselbe in Bezog auf die Confignration seiner Solei und Gyri sehr ähnlich 
dem von Mann untersuchten Gehirn des Igels. — Physiologisch gelang es ihm, 
an dem tief narcotisirten Thiere durch sehr starke Ströme Kindencentren für die 
Bewegungen des Vorderbeins, des Gesichts, des Mundes, der Ohren, der Zunge, der 
Schlingmuskeln u. s. w. nachzuweisen, während Centren für die Bewegung der Augen 
und der Hinterbeine nicht mit Sicherheit localisirt werden konnten. 

W. Cohnstein (Berlin). 


Experimentelle Physiologie. 

3) Lee oentres motenrs eortioaux du oervean humain, par Lu eien Lamacq. 
(Archives cliniquee de Bordeaux. 1897. Nr. 11 u. 12.) 

Auf Grund aller bisher bekannt gewordenen Fälle, in welchen eine elektrische 
Beizung der blossgelegten Grosshimrinde beim Menschen stattgefunden hat, giebt 
Verf. eine völlige Localtopographie der motorischen Centren beim Menschen. Trotz¬ 
dem er betont, dass hier gewisse individuelle Schwankungen nicht in Abrede zu 
stellen sind, so glaubt er doch im grossen und ganzen für die wichtigsten Muskel¬ 
gruppen die dazugehörigen Bindencentren anatomisch festlegen zu können. Die 
Einzelheiten der umfangreichen Arbeit entziehen sich der Wiedergabe im Referat 

W. Cohnstein (Berlin). 


4) Deoerebrate rlgldity and reflex ooordination of movements , by C. S. 

Sherrington. (Journal of Physiology. XXII. 4. S. 319.) 

Wenn man einem Affen, Hund, Katze, Kaninchen oder Meerschweinchen unter 
geeigneten Cautelen die Grosshimhemisphären exstirpirt, so entwickelt sich nach dem 
Erwachen des Thieres aus der Narkose bald ganz plötzlich, bald mehr allmählich 
eine eigentümliche Steifigkeit in verschiedenen Muskelgruppen, welche der Yerf. als 
„decerebrate rigidity“ bezeichnet. Dieses eigentümliche Phänomen beobachtet man 
am leichtesten, wenn man das operirte Thier frei am Bumpf in der Luft hält und 
den Kopf und die Extremitäten herunter hängen lässt. Während die letzteren bei 
einem Thier z. B. mit durchschnittenem Halsmark völlig frei herabhängen und nur 
noch den Gesetzen der Gravitation gehorchen, bemerkt man bei dem Thier mit ent¬ 
fernten Grosshimhemisphären eine besondere Zwangslage der Glieder und einen er¬ 
heblichen Widerstand in den Gelenken gegenüber passiven Bewegungen. — Diese 
Bigidität, welche besonders die Hals- und Nackenmuskulatur, sowie die Extensoren 
der Vorderextremität betrifft, rührt her von einem tonischen Krampf gewisser 
Muskeln, welche unter Umständen viele Stunden, ja mehrere Tage, anhalten kann. — 
Narcotica heben das Phänomen auf, passive Bewegungen steigern es, halbseitige 
Durchschneidung des Bückenmarkes in der Hals- und Lendenanscbwellung heben das 
Phänomen in der gleichseitigen vorderen bezw. hinteren Extremität auf, desgleichen 

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verhindert eine halbseitige Durchschneidung der Medolla oblongata oberhalb der 
Kreuzung das Zustandekommen des Phänomens auf der gleichnamigen Körperhälfte. 
Die Abtragung oiner Grosshirnhemisphäre bewirkt eine einseitige Muskelsteifigkeit, 
und zwar auf der gleichnamigen Seite, doch ist das Phänomen weder so constant, 
noch so charakteristisch, wie nach Entfernung beider Grosshirnhemisphären. 

Hat sich nach Vornahme dieser Operation das Phänomen in voller Deutlichkeit 
entwickelt und man durchschneidet nun die — vorher freigelegten — hinteren 
Wurzeln, so fällt die dazu gehörige Extremität sofort völlig erschlafft herunter. — 
Auch die Beizung bestimmter Stellen der Kleinhirn und Grosshirnrinde kann einen 
hemmenden Einfluss ausüben. Einen constanteren hemmenden Effect auf das Phä¬ 
nomen übt die Beizung gewisser peripherer Nerven aus: so hört z. B. die Steifigkeit 
und Bigidität der Nackenmuskulatur sofort auf, wenn der 2. Cervicalnerv oder einer 
seiner Aeste elektrisch gereizt wird. Aehnlich, aber allgemeiner, wirkt die Beizung 
des Trigeminus oder seiner Aeste. Ja, auch die locale Beizung einer bestimmten 
Hautpartie vermag die Bigidität gewisser Muskelgruppen aufzuheben und dabei oft 
gleichzeitig die Contraotion anderer Muskelgruppen anzuregen („reciprocal innervatiou“), 
wodurch sehr complicirte geordnete Reflexbewegungen reeultiren. 

W. Cohnstein (Berlin). 


6) Ueber Hemmung der Oontraotion willkürlicher Muskeln bei elek¬ 
trischer Belaung der Orosahirnrinde, von E. H. Hering und C. S. Sher- 
rington. (Pflüger’s Arch. Bd. LXVIII.) 

Die Verff. haben an Affen operirt Die Thiere wurden zum Zweck der Beob¬ 
achtung horizontal aufgehängt. Es wurde ein Stadium der Aethemarkose ab¬ 
gewartet, in welchem das Thier irgend welche Muskeln anhaltend contrahirt. Bei 
nicht zu tiefer Narkose tritt ein solches Stadium fast stets ein. Beizt man nun die 
Hirnrinde» so erschlaffen die Muskeln, um nach Sistirung des Beizes alsbald fast 
stets wieder in den Contractionszustand zurückzukehren. Am besten stellt man die 
Erschlaffung durch directe Palpation des Muskels fest; zu diesem Zwecke erhält 
man durch Gegendruck die Extremität dauernd in der durch die Contraction herbei¬ 
geführten Stellung. Bei einer bestimmten Stromstärke erhält man nicht von der¬ 
selben Bindenstelle aus Erschlaffung und Contraction eines und desselben Muskels, 
sondern die beiden Stellen liegen oft ziemlich weit auseinander (z. B. bei einem 
Cynocephalus über 1 cm). Mit der Erschlaffung des contrahirten Muskels tritt oft 
zugleich eine Contraction seiner wahren Antagonisten und einiger anderer Muskeln 
ein. Die Erschlaffung scheint dieser Contraction zeitlich ein wenig vorauszugehen. 
Eine gleichzeitige Contraction eines Muskels und seines wahren Antagonisten wurde 
bei localisirter faradischer Bindenreizung niemals beobachtet. Die tonische Anziehung 
der Extremitäten in der Halbnarkose erfolgt auch nach Durchscbneidung der hinteren 
Wurzeln und ebenso auch nach Exstirpation der Extremitätencentren; sie ist also 
subcortical. Auch die Erschlaffung der tonisch angezogenen Extremität durch Binden¬ 
reizung wird durch die Durchschneidung der hinteren Wurzeln nicht aufgehoben. 
Dagegen fiel auf, dass eine durch Bindenreizung hervorgerufene Contraction einer 
durch Hinterwurzeldurchscbneidung oentripetal gelähmten Extremität nach Sistirung 
des Beizes rascher erschlafft als diejenige einer oentripetal nicht gelähmten Extre¬ 
mität. Th. Ziehen. 


6) De la ddstruotion des oellules nerveuses par les leucooytes ehea les 
amlnaux ägds, par Ch. A. Pugnat (Comptes rendus de la Sociötö de biolog. 
XXVI. 2. 1998.) 

Bei der Untersuchung der Spinalganglien älterer Thiere machte Verf. die Wahr¬ 
nehmung, dass zahlreiche Ganglienzellen in ganz auffallender Weise von einem Haufen 

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tob Lenkocyten amgeben waren, Ja, in einigen Fällen konnte er sogar im Inneren 
der Nervenzellen Lenkocyten nachweisen und gleichzeitig eine abnorme Herabsetzung 
der Färbbarkeit, ja einen molecularen Zerfall des Ganglienzellenprotoplasmas fest- 
stellen. — Yerf. nimmt mit Hodge an, dass die Nervenzellen im höheren Alter zu 
Grande gehen and glaubt nun in seinen histologischen Untersuchungsergebnissen den 
Schlüssel dafür gefunden zu haben, in welcher Weise die Elimination der abgestorbenen 
Nervenzellen vor sich geht. Wie überall, so sollen es auch hier die Leukocyten 
sein, welchen die Aufgabe erwächst, überflüssige und abgestorbene Elomente aus dem 
Organismus zu entfernen. W. Cohnstein (Berlin). 


Pathologische Anatomie. 

7) Ueber die feineren Nervenzellenveränderungen bei magendarmkranken 
Säuglingen, vorläufiger Bericht von Dr. Erich Müller und Dr. Manicatide. 
Aus der Kinderklinik der königlichen Charitö in Berlin. (Deutsche med. 
Wochenschr. 1898. Nr. 9.) 

In 7 zur Untersuchung gelangten Fällen fanden sich Veränderungen in den 
Zellen des Gehirns und Rückenmarkes, Läsionen verschiedener Intensität, auch im 
Einzelfalle, neben geringen Abweichungen hochgradiger Zerstörung. — Die Nissl- 
schen Körperchen erscheinen im Anfangsstadium der Veränderungen unregelmässig 
angeordnet, dann folgt allmähliche Auflösung in diffuser Vertheilung, mehr partiell 
oder mit bestimmter Localisation (Zellkern, Zellperipherie). Mit dieser Auflösung 
ist meist verbunden eine Verkleinerung, ein blasses verschwommenes Aussehen der 
Körperchen, seltener erscheinen diese grösser, dunkler nnd abgerundet. Weiterhin 
steht man an Stelle der verschwundenen Körperchen ein Netz feiner Fibrillen und 
in den Maschen ungefärbte Substanz. Schliesslich verlieren die Zellen ihre Gestalt, 
ihre scharfen Grenzen, die Fortsätze verschwinden oder werden nur auf kurze Strecken 
nachweisbar. Die Kerne sind in den Zellen, die Nucleoli in den Kernen oft ver¬ 
lagert; in stark veränderten Zellen erscheinen die uniformgefärbten Kerne dunkler, 
die Kernkörperchen vergrössert. 

In 4 Fällen waren die Veränderungen stark ausgeprägt, in den 3 übrigen ge¬ 
ringfügig: Fieber, Intensität und Dauer der Erkrankung spielten dabei keine Bolle. 
Die Zellveränderungen gleichen denjenigen, welche schon früher bei experimentell 
erzeugten Intoxicationen und Infectionen beschrieben sind. 

B. Pfeiffer (Cassel). 


Pathologie des Nervensystems. 

8) Sulla velooita della oorrente nervosa negli epilettici, per C. Bossi. 

(Riv. speriment di Freniatria. XXIII. 2.) 

Um die Geschwindigkeit der Nervenleitung bei Epileptikern zu prüfen, bediente 
sich Verf. des D’Assonval’schen Elektrochronoskopes und der von Oehl modi- 
fieirten Helmholtz’schen Methode. Er nimmt als Mittelwerth der Totalzeit von 
der Einwirkung des Reizes bis zur erfolgten Reaction auf Grund eigener Unter¬ 
suchungen und der Oehl’s bei Reizung der Haut des linken Mittelfingers 0,16", 
bei Reizung der Stimhaut 0,13" an, mithin für die Geschwindigkeit der Leitung im 
peripheren Nerven 30,66 m in der Secunde. 

Das Resultat der an 12 Kranken angestellten zahlreichen und äusserst sorg¬ 
fältigen Untersuchungen des Verf.’s ist folgendes: 


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In. den anfallsfreien Intervallen ist das Mittel der Totalzeit bei den Epileptikern 
gegenüber der Norm erheblich erhöht: durchschnittlich 0,183" für den Finger and 
0,162" für die Stirn. Die Differenz zwischen der Beactionszeit von Finger and Stirn 
ist kleiner als gewöhnlich, mithin die Leitang in den peripheren Nerven beschleunigt 
(auf durchschnittlich 47,06 m in der Secunde), vermehrt die Dauer der centralen 
Uebertragung. 

Noch beträchtlicher ist die Verlangsamung der Beactionszeit kurz nach dem 
Anfall: durchschnittlich 0,221" für Finger und 0,194" für die Stirn. Hier ist die 
Differenz zwischen beiden Zeiten grösser als in der Norm, mithin sowohl die Zeit 
für die periphere Leitung wie die für die centrale Uebertragung verlängert. 

Unter der fortgesetzten Einwirkung von Bromkali betragen die betreffenden 
Durchschnittszeiten 0,199" und 0,173". Es vermindert sich im Vergleich zum post* 
convulsivischen Stadium die Dauer der Totalzeit und der centralen Periode, fast 
gleich bleibt die Geschwindigkeit der peripheren Leitung. Valentin. 


9) ▲ study upon the disordered oonsoiousness of epilepsy, by Pierce 
Clark. (New York med. Journal. 1897. Vol. LXVI. Nr. 11.) 

Nach einleitenden Bemerkungen über den Begriff des Bewusstseins betont Verf. 
mit Nachdruck die psychisch-sensorische Seite des epileptischen Anfalls. Die peri¬ 
odischen Bewusstseinstrübungen bilden das Wesen der Epilepsie, die Grundlage der 
epileptischen Geistes Veränderung; die motorischen Phänomene besitzen erheblich ge¬ 
ringere Bedeutung, können bekanntlich vollkommen fehlen. — Einzelheiten sind im 
Original nachzulesen. B. Pfeiffer (Cassel). 


10) A plea for a more aoourate Investigation of epilepsy, by Pierce 
Clark. (New York med. Journal. 1897. Vol. LXVI. Nr. 12.) 

Um in das Wesen der Epilepsie und verwandter Erankheitszustände tieferen 
Einblick zu gewinnen, sind weitere exact und systematisch durchgeführte Unter¬ 
suchungen erforderlich, die im Einzelfalle u. a. besonders die Aura, den Grad der 
Bewusstseinsstörung, den Einfluss der einzelnen Attaquen auf den Geisteszustand zu 
berücksichtigen haben. B. Pfeiffer (Cassel). 


11) Note sur l’influenoe de lösions odrdbrales sur la forme des aooös 
d'epilepsie prdexistante, par Ch. Fdrd. (Socidtd de Biologie. 1897. l.MaL) 

Verf. berichtet über einen (hereditär belasteten) Mann, der seit seinem 39. Jahre 
an epileptischen Anfällen und Absences litt. Im 64. Lebensjahre erfahr derselbe 
einen apoplectischen Insult, welcher eine erhebliche Schwäche der linken Oberextre¬ 
mität und eine sehr geringe Beeinträchtigung des Ganges zurückliess. Die epilep¬ 
tischen Anfälle nach dem Insult unterscheiden sich nun insofern wesentlich von den 
früheren, als Pat. beim Hinsinken auf die linke Seite fiel, als das Gesicht nach 
links gewendet war, und als besonders die linksseitigen Extremitäten an den fol¬ 
genden — früher symmetrischen — clonischen und tonischen Zuckungen nicht mehr 
Theil nahmen. Auch dauerten die Bewusstlosigkeit und der Stupor weniger lange 
als früher; beim letzten Anfall verlor der Kranke das Bewusstsein überhaupt nicht 
mehr. 

Verf. schliesst, dass die Generalisation der Convulsionen sich durch die Binde 
vollzieht. Er erwähnt noch einen Fall von Meessen, in welchem bei einer Para¬ 
lysis agitans nach einer Hemiplegie das Zittern auf der befallenen Seite wegblieb. 

Paul Cohn (Berlin). 


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12) Alooolisme; hömlplegie gauohe et Epilepsie oonsdoutives. Solerose 
atrophique, paohymeningite et mdningo-enoephalite , par Bourneville 
et Bellay. (Progrbs mödical. 1897. 8. 177.) 

Ausführliche Krankengeschichte und Sectionsbefund eines Falles von Alkoholismus 
im Alter von 4 Jahren. Ohne besondere Heredität, von gesunden Eltern stammend, 
das jüngste von drei gesunden Geschwistern, entwickelte sich Fat. gut und war bis 
zum 4. Lebensjahre völlig gesund; erkrankte dann an Krämpfen, die 3 Tage ohne 
anfznhören andauerten, von völlig aufgehobenem Bewusstsein begleitet waren und 
eine Paralyse der linken Körperseite, wie auch eine totale Verminderung der Intelligenz 
zur Folge hatten. 

Nachforschungen ergaben, dass Pak unbeobachtet die Beste in den Gläsern bei 
seinem Grossvater, einem Gastwirthe, getrunken hatte; am Tage seiner Erkrankung 
hatte ein Volksfest stattgefunden, während dem besonders viel Gäste anwesend ge* 
wesen waren. 

In der Folge nahm die Demenz rapide zu, die Anfälle traten sehr häufig ein, 

so dass Anstaltsaufenthalt sich nothwendig erwies. Während diesem, der l 1 /* Jahre 

dauerte, haben Brom und Jodsalze keinen Einfluss auf die Anfälle gehabt; letztere 

traten sowohl als leichte Schwindel*, wie auch als schwere Anfälle auf. Aus der 

ganzen Beobachtungszeit stammen genaue Aufzeichnungen der Temperatur vor und 

nach den Attaquen und der Häufigkeit letzterer. 

Exitus trat in Folge fötider Pleuritis auf; die Obduction ergab chronische 

Pachymeningitis, Encephalitis, die die ganze rechte Hemisphäre in ihrer Entwickelung 

hinten angehalten hatte, und Atrophie des linken Kleinhirns. In den Schlusssätzen ist 

auf das Fehlen anderweitiger Veränderungen an den inneren Organen, welche auf 

Alkoholismus bezogen werden könnten und des öfteren beschrieben sind, hingewiesen 

und bei dieser Gelegenheit auf einige kürzlich erst publicirte Fälle von Alkoholismus 

des kindlichen Alters aufmerksam gemacht. . , ,, _ 

Adolf Passow (Strassburg i./E.). 


13) Ueber die Beziehungen swieohen Alkoholismus und Epilepsie , von 

Max Neumann. (Inaug.-Dissert. Strassburg i./E. 1897.) 

Verf. war von Prof. Fürstner die Aufgabe gestellt worden, die Beziehungen 
zwischen Alkoholismus und Epilepsie zu untersuchen. Demgemäss zerfällt die Arbeit 
in zwei Hauptabschnitte, in deren ersten die durch Alkoholismus erzeugte Epilepsie 
abgehandelt wird. In Folge des Studiums der zahlreich vorhandenen und vom Verf. 
eingehend berücksichtigten Litteratur lehnt er sich dem von Böhn aufgestellten 
Schema der verschiedenen Formen der Alkoholvergiftung an und stellt als erste 
These Folgendes auf: 

Die Alkoholepilepsie sensu stricto ist die durch habituellen 
Alkoholismus erzeugte Epilepsie. 

Gleichzeitig begründet Verf. dieses näher, zumal er sich dadurch mit der Auf¬ 
fassung von Magnau in Widerspruch setzt. 

Im zweiten Theile wird die Statistik besprochen; nach Alter, Geschlecht, Erblich¬ 
keit, Traumen u. a. m. sucht Verf. ein genaues Ergebniss zu finden, beschränkt sich 
natürlicherweise auf wenig resümirte Punkte, da das Missliche aller Statistiken — 
ihr allgemein anerkannter, theilweise recht mittelmässiger Werth — auch hier sich 
geltend macht. 

Genaueste Beschäftigung mit der Materie verräth der dritte Theil, der sich mit 
der Giftfrage beschäftigt Leider ist es in dieser kurzen Besprechung nicht möglich 
ausführlicher darauf einzugehen, so dass die fünfte These aufgeführt sein mag: 

Der Aethylalkohol ist kein Krampfgift im toxikologischen Sinne, 
wohl aber die Absinthessenz. 

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Trotzdem könne die Annahme Magnau’s, dass die Absinthessenz die eigent- 
liehe epileptogene Toxe sei, nicht aufrecht erhalten werden. Vielmehr glaubt der 
Verf., dass Epilepsie durch den Aethylalkohol und ihre normalen Substanzen erzeugt 
werden könne. Gebührend berücksichtigt ist auch Legrand du Saulles Stellung¬ 
nahme zur Absinthfrage. 

Die pathologisch-anatomische Seite der Beziehungen zwischen den zwei Erkran¬ 
kungen ist mit Recht nur kurz gestreift, da wir zur Zeit keine bestimmten Befunde 
im Centralnervensystem haben, die für Alkoholismus oder Epilepsie sprechen. Sämmt- 
liche, jemals letzterer als solcher angehörend und sie bedingend hingestellten histo¬ 
logischen Veränderungen des Gehirns sind der Art, dass sie sehr wohl auch durch 
Alkoholismus erzeugt werden konnten. 

In dem klinischen Theile werden die verschiedenen Formen besprochen, in denen 
die Epilepsie und epileptoide Zustände als Folge der übermässigen Einführung von 
Alkoholicis in den Organismus zu stände kommen; auch die verschiedenen Be¬ 
dingungen, unter denen dies geschieht. 

Es folgt als Schluss des ersten Hauptabschnittes die Besprechung des deletären 
Einflusses, den der Alkoholmissbrauch in der Ascendenz durch Prädisposition für 
Epilepsie in der Descendenz ausübt. 

Der zweite Abschnitt der Dissertation beschäftigt sich mit dem Alkoholismus als 
Folge der Epilepsie und Parallelismen zwischen beiden. Verf. weist auf den Einfluss 
der erblichen neuropathischen Belastung bin, welche Alkoholismus oder Epilepsie 
bedingen können. 

Ferner wird die Dipsomanie besprochen, die in mancher Beziehung der Epilepsie 
recht nache steht. Sodann wird das vom Normalen abweichende moralische und 
intellectuelle Verbalton der Patienten beider Krankheitsformen berücksichtigt. 

Im Schlussworte kommt Verf. in Folge seiner Beschäftigung mit dem Gegen¬ 
stand zu folgender (10.) These: 

Das Wesen der epileptogenen Wirkung des Alkohols stellen wir 
uns so vor, dass der Alkohol schwächend, bezw. lähmend auf gewisse 
supponirte Hemmungsvorrichtungen im Centralnervensystem wirkt, 
durch deren Ausschaltung der epileptische Anfall zu stände kommt. 

So interessant und verlockend diese Ansicht ist und mit so überzeugender 
Wahrscheinlichkeit der Verf. sie zu begründen sucht, so bedarf sie doch noch späterer 
Nachprüfung. 

Ein reichhaltiges Litteraturverzeichniss ist der fleissigen Arbeit beigefügt. 

Adolf Passow (Strassburg i./E.). 


14) Alkoholismus und Epilepsie in ihren wechselseitigen Beziehungen, 
von Assistenzarzt Dr. E. Wartmann. Aus der Berliner städtischen Anstalt 
für Epileptische (Director Heb old). (Archiv für Psych. Bd. XIX. S. 933.) 

Verf. constatirt zunächst an der Hand der Litteratur, dass die Meinungen ver¬ 
schiedener Forscher über die Abhängigkeit der Epilepsie von Alkoholmissbrauch weit 
auseinandergehen. Er berichtet sodann, dass er unter 452 männlichen Epileptikern 
206 Trinker gefunden hat. Ueber die Hälfte von diesen 206 Trinkern war von 
Jugend auf epileptisch und wurde erst später trunksüchtig. Bei 92 war vor dem 
Trunk kein epileptischer Anfall beobachtet worden. Bei diesen 92 Kranken, die der 
Trunk selbstverständlich schwer geschädigt hat, war derselbe aber nur sehr selten 
das einzige in Frage kommende ätiologische Moment zur Epilepsie. 33 von ihnen 
standen unter dem Einfluss schwerer psychopathischer Familiendisposition. Mindestens 
18 andere waren von Jugend auf psychopathisch veranlagt. Mehrere hatten Rhachitis, 
Scrophulose, Lues, bezw. schwere Infectionskrankheiten vor dem ersten epileptischen 
Anfall gehabt. 12 Fälle waren auf traumatischer Grundlage erwachsen. Nicht selten 


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fanden sich ausser dem Trunk Combinationen von verschiedenen Schädlichkeiten. 
Nur bei 4 Epileptikern war ein besonderes ätiologisches Moment ausser dem chronischen 
Alkoholmissbrauch nicht zu eruiren; hier war aber die Anamnese ungenau. Verf. 
betont die bekannte Schädlichkeit des Alkohols ffir die Epileptiker; er sah die 
Häufigkeit und die Heftigkeit der Anfälle zunehmen, er constatirte namentlich auch 
eine wesentliche Verschlimmerung der psychopathischen Symptome. Ein besonderes 
Krankheitsbild: Alkoholepilepsie aufzustellen, hält er jedoch ffir unnöthig und nicht 
gerechtfertigt 

Es sei Qbrigens nicht unerwähnt, dass bei 4ö2 der untersuchten Epileptiker 
Trunksucht der Eltern 130 Mal erwiesen wurde, dass ein nicht unerheblicher Procent* 
satz unter den Nachtheilen unehelicher Geburt gelitten hatte, und dass die Krankheit 
auffallend oft ledige Individuen traf. Georg Ilberg (Sonnenstein). 


15) Notes upon the epileptic aura with report of some rare forme, by 

Pierce Clark. (American Journal of insanity. 1897. July.) 

Verf. beschreibt eine Seihe von Fällen mit ungewöhnlicher Aura: In dem einen 
Falle ist es ein Wort, das unmittelbar vor dem Anfall der Kranke beständig wieder¬ 
holt, in einem anderen eine 16 Minuten vor dem Anfall unmotivirt einsetzende 
Traurigkeit mit lautem Weinen; ein Kranker klagt vor einem Drittel seiner Anfälle 
Aber ein Schmerzgefühl im linken Hypochondrium (nach Gowers sehr selten), ein 
anderer ist als Aura iy 2 Stunden benommen; noch andere zeigen als Aura eine 
Migräne, Masseterenkrampf, eine eigenthümliche Geruchsempfindung (Holzgeruch), 
Sensibilitätsstörnng in der Znnge n. s. w. Lewald. 


16) Equivalenti mosicali di attaoohi — attaoohi di canto, per Santo de 
Sanctis. (Bivista quindicinale di paicologia, psichiatria. 1897.) 

Auf die Gesänge der Epileptiker während oder statt des Anfalls ist bisher nicht 
geachtet worden. Früher veröffentlichte Verf. schon einen Fall von musikalischer 
Anra. Jetzt beschreibt er zunächst einen Epileptiker mit sehr verschiedenartigen 
Anfällen. Anschliessend an eine Gruppe solcher zeigten sich paroxysmenartige Ge¬ 
sänge, die aber wahrscheinlich keine eigentlichen Aequivalente darstellten, sondern 
Automatismen, wie solche am Ende eines Anfalls so häufig auftreten, um so mehr, 
als gleichzeitig mit dem Gesänge auch kurze krampfhafte Bewegungen und Erregt¬ 
heit eintraten. Ein andermal traten Gesang und gewisse rhythmische Bewegungen 
gleichzeitig und ohne vorangehenden Krampf auf. Man kann also hier von Gesangs¬ 
attaquen, nicht aber von Aequivalenten reden. Dagegen fehlte jedes krampfhafte 
Symptom bei einem Anfall einer Epileptikerin, wo allein Gesang auftrat, mit völliger 
Amnesie. Hier handelt es sich also um eine wahre Aeqnivalenz. 

Näcke (Hubertusburg). 


17) Reflex epilepsy, by Wilfred J. Harris. (Lancet. 1897. 28. Aug.) 

Verf. theilt einen jener seltenen Fälle mit, in welchen eine epileptogene Zone 
im Sinne Brown-Söquard’s nnd Hughlings Jackson’s nachweisbar war. Es 
handelt sich um ein schon im 7. Monat geborenes, jetzt jähriges Mädchen. Der 
Vater ist syphilitisch inficirt gewesen. Mit 3 Jahren hatte sie eine Reihe von 
Krampfanfällen. Jetzt stellten sich letztere nach langer Pause im Anschluss an 
einen Fall wieder ein. Dabei ist nicht ausgeschlossen, dass der Fall bereits einem 
Krampfanfall znzuschreiben war. Die Anfälle traten nunmehr täglich bis zu 12 Mal 
auf. Nach 2 oder 3 Monaten fiel der Matter anf, dass jede unerwartete Berührung 
des Kopfes einen Anfall auslöste. Die Anfälle waren typisch epileptisch. Halb- 


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seitige Symptome fehlten ganz. Leider ist nicht genauer angegeben, welcher 
Hantbezirk des Kopfes als epileptogene Zone wirkt. Th. Ziehen. 


18) Preputial reflex epileptiform oonvulsions, with report of a oase, by 
A. L. Hodgdon. (The Alienist and Neurologist. Vol. XVIII.) 

Ein ungefähr 4 Monate altes Kind, das an hochgradiger Phimose litt, so dass 
der Urin nur tropfenweise abging, litt seit 3 Monaten an fast täglich wiederkehrenden 
Convulsionen. Verf. führte die Circumcision aus. Nach der Operation traten nur 
noch ein Mal, am zweiten Tage, die Krämpfe auf und blieben dann dauernd fort. 

Valentin. 


10) Zar Kenntniss der „Hersepilepaie“ lm Allgemeinen und der „senilen 

arteriosolerotisehen Epilepsie“, von Dr. Franz Mahnert. (Wiener med. 

Wochenschr. 1897. Nr. 33—35.) 

Nach kurzer Uebereicht über die in der Litteratur verzeichneten Fälle von 
durch Herzkrankheiten bedingter Epilepsie theilt Verf. drei eigene Beobachtungen mit. 

1. Fall. Ein 65 Jabre alter Pat., welcher schon seit Jahren an Athem- 
beschwerden und Herzklopfen gelitten hatte, bekam den ersten epileptischen Anfall. 
Hochgradige Arteriosclerose; Puls klein, unregelmässig, verlangsamt; systolisches 
hauchendes und schwaches diastolisches Blasengeräusch über dem Ostium aortae. 
Anfälle wiederholten sich in Zwischenräumen von einigen Wochen. Nach 2 Jahren 
Exitus. Potatorium zugegeben. Keine hereditäre Belastung. 

2. Fall. Erster Anfall bei einem 55jährigen, hereditär nicht belasteten Stabs* 
officier, der in mittleren Lebensjahren eine Lues acquirirt hatte, die zu allgemeiner 
Arteriosclerose führte. Anfälle wiederholten sich. Diastolisches schlürfendes Geräusch 
über dem Ostium aortae und der Basis des Sternums. 

3. Fall. Hereditär nicht belasteter Beamter. Seit dem 40. Lebensjahre gich¬ 
tische Erscheinungen, die zu sclerotisclien Veränderungen an Herz und Gefässen 
führten. Im 60. Lebensjahre erster epileptischer Anfall. Hypertrophie des rechten 
Ventrikels, präsystolisches Geräusch an der Spitze, Arythmie. 

Verf. möchte diese auf Grundlage arteriosclerotischer Veränderungen entstandenen 
epileptischen Anfälle sondern von der bei jüngeren Individuen mit Klappenfehlern 
auftretenden Herzepilepsie und sie letzterer gegenüberstellen unter dem Titel „senile 
arteriosclerotische Epilepsie“. 

Neben der gangbaren Erklärung dieser Epilepsiefälle als Folgeerscheinung der 
durch die arteriosclerotischen Veränderungen des Herzens und der Gefässe bedingten 
Circulationsstörung im Gehirn (anämische Epilepsie) glaubt Verf. auch der directen 
Schädigung und Beizung der Ganglienzellen durch die rigiden Gefässe eine Bedeutung 
zusprechen zu dürfen. 

Therapeutisch empfiehlt Verf. neben der causalen und allgemeinen hygienisch¬ 
diätetisch auf die Kräftigung des Herzmuskels abzielenden Behandlung, wozu auch 
die bekannten medicamentösen Herzmittel zählen, Arsen in Verbindung mit Eisen 
und Brompräparate. J. Sorgo (Wien). 


20) Beitrag zum Verhalten des Respirationsapparates bei epileptisohen 
Krämpfen, von Dr. Bresler. Aus der Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt in 
Freiburg i./Schl. (Deutsche med. Wochenschr. 1897. Nr. 43.) 

Epileptiker haben nach den Anfällen häufig Schmerzen in der Seite, auf der 
Brust, im Bücken, oder die Beschwerden werden jedesmal und genau längs des An¬ 
satzes des Zwerchfells bis an die Wirbelsäule localisirt. Eine physikalisch nach- 

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weisbare Unterlage war nicht aufzufinden, muss aber theoretisch construirt werden, 
und zwar verursachen wahrscheinlich subpleurale Petechien zusammen mit einer 
Zerrung der Pleuranerven die oben erwähnten Beschwerden (vielleicht in Form einer 
löcalisirten und schnell verschwindenden Pleuritis sicca). Verf. fand an den Leichen 
Epileptischer Pleuraveränderungen fast constant, seitdem er sein Augenmerk darauf 
richtete, hält aber eine Nachprüfung für wünschenswerte In 2 Fällen konnte Verf. 
Ecchymosen unter der Nierenkapsel, ja in einem derselben auch in der Schleimhaut 
des Nierenbeckens constatiren, obwohl hier Krämpfe nicht aufgetreten waren, „ein 
Beweis dafür, dass das Entstehen von Erstickungsecchymoäen nicht auf den mit 
Krämpfen einhergehenden Erstickungstod beschränkt ist' 1 (Hoffmann, Gerichtliche 
Mediän). 

Stauungshyperämie der Niere, im epileptischen Anfall momentan vorhanden, er* 
klärt wohl die besonders nach gehäuften Attaquen auftretende Albuminurie. Die 
Möglichkeit, dass durch energische Zwerchfellcontraction, wie sie ja zweifelsohne im 
epileptischen Anfall statthat, die Aorta zum Theil comprimirt werden kann, ist nicht 
ganz von der Hand zu weisen, und es wäre dieser Umstand für den eventuell tödt* 
liehen Ausgang sehr wichtig. B. Pfeiffer (Cassel). 


21) Kote aur an oss de mölanodermie röourrente ohes an öpileptique, 

par F4r4. (Nouvelle Iconographie de la Salpötriöre. 1897.) 

Es handelt sich um einen 31jährigen, belasteten Epileptiker mit verschiedenen 
Formen der Epilepsie, der seit 1892 drei Mal auf nur sehr kurze Zeit in tiefBte 
Depression mit starker Körperabnahme verfiel, wobei mit Ausnahme des Gesichts, 
der Hände und der Füsse der ganze Körper mehr oder minder tief bronzirt, mit 
kleinen rundlichen Flecken marmorirt erschien, bei Abwesenheit irgend einer localen 
Irritation, wie Ausschlag, Ungeziefer oder Kratzen. Hier ist also offenbar die Ur* 
sache in dem niedergedrückten Geistes- und Körperzustande zu suchen, denn sobald 
diese verschwanden, verschwand zugleich auch die dunkle Hautfärbung. Unter 
solchen Umständen sind trophische Störungen, z. B. an den Nägeln und Haaren 
beobachtet worden, nicht aber diese Hautverfärbung, wie überhaupt in der Aetiologie 
der Melanodermie die Nerven* und Geisteskrankheiten bisher nicht erwähnt wurden. 
Leichter Grad der dunklen Haut findet sich in allen Krankheiten mit starker Ab¬ 
magerung, local nach Ausschlägen, Ungeziefer („Vagabundenkrankheit“) u. s. w. Der 
Mechanismus ist durchaus unklar. Näcke (Hubertusburg). 


22) Ueber das Nebenelnandervorkommen von Epilepsie (besw. epilepti- 

formen Anfällen) und Diabetes mellitus (bezw. Qlyoosurie), von Wilh. 

Ebstein. Aus der medicin. Universitätsklinik zu Göttingen. (Deutsche med. 

Wochenschr. 1898. Nr. 1 u. 2.) 

Nach einleitenden Bemerkungen über die verschiedenen denkbaren Beziehungen 
der Epilepsie zum Diabetes bezw. zur Glycosurie folgt die Mittheilung von drei ein¬ 
schlägigen Fällen. 

I. Die 21jährige, früher im wesentlichen gesunde Patientin erkrankte vor 
ca. 2 Jahren an einem Schlaganfall mit Lähmung der rechten Körperhälfte, Sprach¬ 
störung und gleichzeitigem Urindrang. Die klinische Beobachtung ergab epileptische 
Anfälle nach dem Typus der Jackson’schen Epilepsie, intermittirenden Diabetes 
mellitus decipiens, gelegentlich sehr geringe Albuminurie, häufige Cylindrurie, ferner 
Phthisis nnd mit Wahrscheinlichkeit einen Bicuspidalfebler. — Die Urinveränderungen 
gingen zurück, der Ernährungszustand besserte sich, die epileptischen Anfälle blieben 
unverändert 

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II. 50jähriger Mann mit congenitaler Missbildung des linken Armes (Schwund 
des M. pectoralis major, fehlende Grundphalanx der Finger, deren beide Phalangen 
durch membranöse Verwachsung mit Ausnahme des Daumens miteinander mehr oder 
minder fest verbunden sind). Früher Lungenentzündung und Masern. Seit 20 Jahren 
magenleidend, behauptet Pai seit 2 ] / 2 Jahren an plötzlich auftretenden, an Häufig¬ 
keit zunehmenden Ohnmacht- und Krampfanfällen zu leiden. Es besteht Parese des 
rechten Mundfacialis und des rechten Hypoglossus, ferner intermittirender Diabetes 
mellitus decipiens. — Der weitere Verlauf macht das Vorhandensein einer rasch 
fortschreitenden cerebralen Erkrankung zweifellos. 

III. Der 20jährige Schlosser H. leidet seit 3 Jahren an Schwindelanfällen, die 
bald den Charakter von epileptischen annahmen. — Die klinische Beobachtung ergab 
neben epileptischen Anfällen eine Insufficienz der Bicuspidalklappe, intermittirenden 
Diabetes mellitus decipiens und gelegentliches Tieferstehen des linken Mundwinkels 
in den anfallsfreien Zeiten. 

Es ergiebt sich die Nothwendigkeit, bei Epilepsie, namentlich dem Jackson'- 
sehen Typus, den Urin genauer zu untersuchen, als es bisher wohl in der Regel 
der Fall gewesen sein mag. R. Pfeiffer (Cassel). 


23) Haut mal with Jaoksonian epilepsy, by J. M. Renton. (Edinburg med. 

Journ. 1897. Juli.) 

Ein 12jähriges idiotisches Mädchen litt seit den ersten Lebensmonaten an 
häufigen epileptischen Anfällen. Einige Zeit vor dem Tode traten Krampfanfälle auf, 
die vollkommen Jackson’sehen Charakter zeigten. 

Sectionsbefund: 12 Tumoren ziemlich gleichmässig über Frontal-, Parietal- und 
Occipitallappen vertheilt; jeder von ungefähr Taubeneigrösse, mikroskopisch aus 
gliosarcomatösem Gewebe bestehend. Rundzellensarcome in Leber und Niere. 

Valentin. 


24) Beiträge stur Pathogenese und Aetiologie des Pavor nocturnus, von 

Dr. J. G. Rey in Aachen. (Jahrbücher für Kinderheilkunde. Bd. VL.) 

Verf. kann sich nicht der Ansicht derer anschliessen, welche, wie vor Kurzem 
erst Braun im Jahrbuch für Kinderheilkunde Bd. XLIII ausführte, Pavor nocturnus 
als eine infantile Neurasthenie auffassen. Auf Grund von 32 innerhalb zweier Jahre 
beobachteten Fällen fand er bei allen adenoide Vegetationen, mit deren Entfernung 
auch der Pavor nocturnus verschwand. Der Zusammenhang beider Affectionen kann 
daher kein zufälliger sein und der Pavor nocturnus ist demnach nichts anderes als 
das Resultat einer durch Behinderung des Athmens im Schlafe allmählich entstandenen 
Kohlensäureintoxication. Samuel (Stettin). 


25) La tossioita del sndore negli epilettici, per C. Cabitto. (Riv. sperim. di 

Freniatr. XXIII. 1.) 

Ueber die Giftigkeit des Urins, des Blutes und des Magensaftes der Epileptiker 
liegen bereits Untersuchungen vor. Verf. prüfte nun auch den Sch weise, indem er 
denselben Kaninchen in die Ohrvene injicirte. 

Der kurz vor dem Anfall abgesonderte Schweiss erwies sich als stark giftig. 
Durchschnittlich waren 18,5 ccm hinreichend, um ein Kaninchen zu tödten. Die 
Thiere zeigten starke Prostration, Sinken der Körpertemperatur, Exophthalmus, Ver¬ 
engerung und darauf folgende Erweiterung der Pupillen, Cyanose, Lähmungserschei¬ 
nungen und schliesslich tonisch-clonische Zuckungen. Der Tod erfolgte im Opistho¬ 
tonus. 

Der nach dem Anfall und in der anfallsfreien Zeit abgesonderte Schweiss wirkte 
nicht toxisch und verhielt sich nicht anders als der von Gesunden. Valentin. 


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20) lies rdves ohes les dpileptiques, par För& (La medecine moderne. 1897. 

8. Döc.) 

Es ist bei Epileptikern der Schlaf durch meist böse Träume gestört, die beim 
Erwachen merkwürdige oder gefährliche Handlungen auslösen können oder aber ein 
mehr oder minder langes Delirium entstehen lassen. Bisweilen scheinen sie die 
Anfälle anznzeigen, selten scheinen sie dieselben zu ersetzen, was besonders bei 
günstiger Kur, speciell nach Bromkali eintritt. Ziemlich häufig gehen Träume 
nächtlichen Anfällen vorauf, oft in derselben Art und Weise. Verf. bringt nun drei 
höchst interessante Krankengeschichten bei, die zeigen sollen, dass Träume Vorläufer 
von Anfällen sein können, die noch nicht da waren oder die wieder sich einstellen 
werden; im Verlaufe einer Kur können sie das Seltner werden oder Aufhören der 
Krämpfe Voraussagen lassen. .Sie haben also eine gewisse prognostische Bedeutung. 
Die nähere Betrachtung der Träume zeigt ferner, dass es sich um einen echten 
Abortivanfall handelt, der im Bewusstsein seine Spur hinterlässt. Merkwürdig ist, 
dass Manche, die von dem Verlaufe ihrer Krämpfe nicht die geringste Erinnerung 
haben, im Traume alle die einzelnen Phasen derselben sehen und nachher beschreiben. 
Ref. möchte hierbei auf das noch so sehr vernachlässigte Studium der Träume bei 
Geisteskranken, Epileptikern u. s. w. hinweisen; denn was wir hierüber bisher wissen, 
ist blutwenig und wenig vertrauenswürdig. Er hat sich schon lange bemüht bei 
Geisteskranken hierüber sichere Daten zu gewinnen, bisher aber leider vergebens, da 
der Fehlerquellen zu viele sind. Näcke (Hubertusburg). 


Therapie. 

27) II bagno d'aria oalda oome mezzo terapeutioo d’alouni parossismi 
epilettioi, per C. Cabitto. (Biv. sperim. di Freniatria. XXIII. 1.) 

Auf Grund experimenteller Untersuchungen über die Giftigkeit des Schweisses 
Epileptischer wandte Verf. das heisse Luftbad als therapeutisches Mittel an, um mit 
dem Schweiss einen Theil der toxischen Substanzen zu entfernen. Er fand, dass 
das Mittel im Stande sei, Zahl, Dauer und Schwere der Anfälle herabzusetzen und 
empfiehlt es im Verein mit Abführmitteln und Antiseptik des Magendarmcanals zur 
Behandlung der Epilepsie. _ Valentin. 


28) Beneflcial effects of the withdrawal of bromides in the treatment of 
epilepsy, by Frederik Peterson. (New York med. Journal. Vol. LXVI. 
1897. Nr. 13.) 

Verf. zeigt an einer Reihe von Beispielen, dass entgegen der gewöhnlichen 
Annahme mehr oder minder schnelle Entziehung der Bromide bei seit langer Zeit 
mit Bromsalzen gesättigten Epileptikern keine nachtheiligen Folgen hat, ja oft von 
erheblicher Besserung gefolgt wird. Diese Thatsache macht zur Pflicht, in solchen 
Fällen nach plötzlicher Bromentziehung mit der Beurtheilung des Heilwerthes eines 
neuen Medicamentes vorsichtig zu sein. R. Pfeiffer (Cassel). 


28) Fyra operativt behandlade fall af traumatisk epilepsi jämte statistisk 
gammanat&llning af Operationresultaten vid 97 fall af samma affection, 
af 0. V. Siven. (Finska läkaresällskap-handl. XXXIX. 3. 1897. S. 427.) 

Verf. theilt 4 Fälle von traumatischer Epilepsie mit, in denen in der chirur¬ 
gischen Klinik in Helsingfors die Operation ausgeführt wurde. Im 1. Falle begannen 
die Anfälle mit Drehung des Kopfes, über dem linken Schläfenbeine fand sich eine 

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Narbe (nach einem Schlage). Nach Entfernung der deprimirten Knochen erfolgte 
nur vorübergehende Besserung. Nach einer 2. Operation, bei der krankhaft ver¬ 
änderte Hirnsnbstanz, dem Centrnm für die Drehungen des Kopfes entsprechend, 
excidirt wurde, wurden die Anfälle allmählich seltener, so dass manchmal 1 / i Jahr 
ohne Anfall vergehen konnte, während früher das längste Intervall 4 Wochen be¬ 
tragen hatte. Ob aber diese Besserung wirklich als Folge der Operation zu betrachten 
ist, ist nicht sicher zu entscheiden, da Pat. Jahre lang nach der Operation Brom¬ 
kalium einnahm. 

Im 2. Falle, in dem Pat. einen Schlag auf die Scheitelgegend bekommen hatte, 
wurde zunächst sclerotisirter, deprimirter Knochen mit dem Meissel entfernt, wonach 
die Anfälle wiederkehrten, nach einer neuen Trepanation, bei der eine kleine subdurale 
Cyste incidirt wurde, blieben die Anfälle einige Zeit lang aus, kehrten aber wieder. 
In diesem Falle hat die Operation nichts genützt, man möchte sogar das Entgegen¬ 
gesetzte annehmen, denn die freien Intervalle, die vor der Operation ungefähr zwei 
Monate betragen hatten, waren Jahre nach der Operation auf ungefähr eine 
Woche reducirt. 

Im 3. Falle, in dem die Verletzung in einem Uufschlag an der rechten Seite 
der Stirn bestanden hatte, waren die Krampfanfälle nicht typisch. Der Pat. hatte 
sich 13 Jahre nach der Verletzung im allgemeinen gut befanden, und war nach 
einem neuen Stoss an den Kopf in einen Status epilepticus verfallen, der ungefähr 
drei Wochen dauerte. Die nicht typischen Krampfanfälle vor der Aufnahme waren 
wohl Folge einer vorhandenen Meningitis. Der Pat. starb ungefähr 14 Tage nach 
der Operation, bei der eine Cyste im linken Frontallappen eröffnet wurde, an deren 
Boden, wie die Section ergab, eine Fistel mit dem rechten Seitenventrikel com- 
municirte. 

Im 4. Falle, in dem der Pat. eine Verletzung über dem rechten Auge erlitten 
hatte, begannen die Anfälle in der linken Qesichtshälfte, von der die Krämpfe auf 
die linken Extremitäten übergingen, die paretisch waren. Bei der Operation, die an 
der Narbe über dem rechten Auge ausgeführt wurde, wurde ein durch die Dura in 
die Hirnsubstanz eingedrungener Knochensplitter entfernt und zwei Cysten in der 
Hirnrinde wurden eröffnet; danach hörte der vorhandene Kopfschmerz auf, aber die 
Krampfanfälle dauerten fort. Bei einer 2. Trepanation über der Mitte des Sulcus 
Bolando wurde nichts Abnormes im Gehirn gefunden. Die Parese blieb danach un¬ 
verändert, die Krampfanfälle schienen etwas seltener zu werden, bestanden aber fort. 

Aus 97 Fällen mittels Operation behandelter Epilepsie, die Verf. aus der 
Litteratur gesammelt hat, scheint sich zu ergeben, dass der Pat nicht zu alt sein 
und die Epilepsie nicht zu lange bestanden haben darf und die Krämpfe nicht 
allgemein sein dürfen (höchstens halbseitig), wenn eine Operation Aussicht auf Erfolg 
gewähren soll. Die zwischen dem Trauma und dem ersten Anfall verflossene Zeit 
scheint keine nennenswerthe Bedeutung zu haben. 

Walter Berger (Leipzig). 


30) Bpllepsy: its surgioal treatment with the report of a oase, by F. A. 

McGrew. (Medicine. 1897. May.) 

36jähr., erblich nicht belasteter Mann, früher stets gesund, springt im Jahre 
1882 anlässlich eines Brandes aus dem 4. Stock eines Hauses auf die Strasse nnd 
erleidet schwere Verletzungen an den rechten Extremitäten und am Kopf. Heilung 
nach 3 Monaten. Eine halbe Stunde nach dem Unfall erster epileptischer Insalt, 
und von da an 13 Jahre lang täglich mindestens ein Anfall mit Ausnahme einer 
Pause von 6 Tagen nach Anlegen eines Haarseiles und einer von wenigen Wochen 
nach einer im Jahre 1894 vorgenommenen Operation am Schädel. Verf. beobachtete 
den Pat. vom Juni 1894 an. Im Jahre 1888 nach einem schweren Anfall Monate 


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Ung anhaltende Stummheit und Taubheit. Bei der Untersuchung fanden sich an der 
linken 8chädelhälfte zwei Narben, eine lineare und eine hufeisenförmige, letztere, die 
Folge des Traumas, an der hinteren Partie des Os parietale nahe der Lambdanaht 
gelegen. 

Im März 1895 tritt nach einem schweren Anfall abermals völlige Aphasie und 
Taubheit ein. Schreiben und Lesen, sowie die Intelligenz im übrigen ungestört. 
Nachdem dieser Zustand volle 9 Monate bestanden, entschloss sich Verf. auf das 
Dringen des PaL zur Operation. 

Bezüglich der technischen Einzelheiten sei auf das Original verwiesen; bemerkt 
sei nur, das« Verf. den Knochen an der Stelle des Traumas resecirte, die Dura indess 
nicht eröffnete. Der Knochendefect wurde durch eine silberne Platte, über der die 
Baut vernäht wurde, gedeckt Unmittelbar nach der Operation Schwinden der 
Sprach- und Gehörstörung. Der weitere Effect war, dass Pat. bis zum Zeitpunkt 
der Publication — 15 Monate nach der Operation — frei von Anfällen geblieben ist. 

Die Anfälle von Aphasie und Taubheit sind als functionelle Störungen auf- 
zufaasen; besonders erstere ist nach epileptischen Anfällen Öftere, wenn auch noch 
nicht in solcher Extensität, beobachtet worden. Martin Bloch (Berlin). 


31) Modern methods of treating epilepsy, by W. Xavier Sudduth, A. M., 

M. D. (Medicine, monthly Joum. of Med. and Surgery, Detroit, Mich. 1897.) 

Ausgehend von der Erfahrung, dass die die Erregbarkeit herabsetzenden Medi- 
camente bei Epilepsie auf die Dauer das Centralnervensystem schädigen können, und 
gestützt auf die (übrigens keineswegs bewiesene, Bef.) Hypothese, dass psychische 
Einflüsse das Wesentlichste beim Zustandekommen und Andauern der epileptischen 
Zustände sind, und dass die Epilepsie eine „Krankheit des Bewusstseins“ (disease of 
the eonsciousnees) ist, empfiehlt Verf. gegen derartige Zustände suggestive, eventuell 
hypnotische Behandlung, besondere moralische Beeinflussung und „Bewachung der 
Gemüthabewegungen“, verbunden mit allgemein hygienischen und diätetischen Vor¬ 
schriften, sowie Anhalten zu regelmässiger Beschäftigung, am besten in einer dem 
Pat. neuen Umgebung. 

Wenn schon die Einzelheiten dieser Ausführungen durchwegs einen ausserordent¬ 
lichen Mangel an kritischer Sichtung erkennen lassen, so wird es vollends wohl 
selbst dem wohlwollendsten Leser unverständlich bleiben, was Verf. mit seiner zum 
Schluss empfohlenen, offenbar „modernsten“ Behandlungsmethode der Epilepsie meint, 
die darin besteht, die Epileptiker „Athmungsübungen auf einem bestimmten Ton an¬ 
stellen zu lassen, welche die Körperschwingungen auf einen normalen Tonus bringen 
sollen, und eventuell mit ClaVierbegleitung vorgenommen werden können.“ 1! 

Toby Cohn (Berlin). 


32) Zar Opiambehandlang der Epilepsie nach Flechsig, von Bratz (Wuhl- 
garten). (Allgem. Zeitschr. f. Psycb. Bd. LIV. S. 208.) 

Abermals eine Vermehrung der Veröffentlichungen, die neben einzelnen guten, 
mehreren fraglichen und meist negativen Resultaten der Opiumbrombehandlung von 
neuem die grosse Gefährlichkeit dieser Therapie illustriren. Von 43 in Wuhlgarten 
nach Flechsig’s Methode behandelten sind 3 während der Behandlung im Status 
epilepticus zu Grunde gegangen; einer der Kranken hatte früher nie einen Status 
dargeboten. 28 regelmässig wöchentlich gewogene Kranke nahmen durchschnittlich 
während der Opiumdarreichung um 3360 g ab! 5 Mal traten in der ersten Brom¬ 
kalizeit Tage bis Wochen lang andauernde epileptische Psychosen auf, bei einer Reihe 
von Kranken während der Opiumbehandlung Delirien. Bei zwei weiteren Patientinnen 

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entwickelte sich während der Opiummedication ein bedrohlicher convulsivischer Zu¬ 
stand, der nach einer sofortigen Verabreichung grosser Bromdosen wich. 

Aachaffenburg (Heidelberg). 

33) Ueber die Erfolge der Fleohsig’schen Opium-Brombehandlung, von 
Kellner. Aus den Alsterdorfer Anstalten bei Hamburg. (Deutsche med. 
Wochenschr. 1898. Nr. ö.) 

Verf. wandte die Flechsig’sche Kur in 12 geeigneten Fällen an, bei welchen 
noch keine Demenz bestand, der Kräftezustand gut war; die gewöhnliche Brom¬ 
behandlung hatte keinen Erfolg. — Die grossen Opiumdosen wurden gut vertragen. 
Heilung erfolgte in keinem Falle, 5 Kranke blieben unbeeinflusst, 6 wurden unver¬ 
kennbar gebessert, ein Pat. verliess die Anstalt gleich nach der Kur und entzog sich 
weiterer Beobachtung. B. Pfeiffer (Cassel). 


34) Erfahrungen über die Behandlung der Epilepsie mit Opium-Brom, 

von Dr. War da in Blankenburg-SchwarzathaL (Monatsschr. f. Psych. u. Neu¬ 
rologie. Bd. II. S. 257.) 

Verf. hat 43 Patienten mit der Flechsig'sehen Opium-Bromkur behandelt und 
hat die Ueberzeugung gewonnen, dass 55°/ 0 dadurch entweder wesentlich oder leicht 
gebessert worden sind. Die Kur besteht bekanntlich darin, dass in allmählich an¬ 
steigenden Dosen Opium purum gegeben wird — Erwachsene erhalten zuletzt 1,0 
und mehr —, dass dann das Opium plötzlich entzogen und sofort Brom in grossen 
Dosen mindestens 2 Monate lang gereicht wird. Verf. giebt Erwachsenen das Brom 
in der Dosis 6—9 g, Kindern etwa 3 g pro die, und behäUt dieses Quantum, falls 
keine Störungen eintreten, 1 / i — 1 / i Jahr lang bei. Es soll in jedem Falle zu deut¬ 
lichem Bromismus kommen. Er geht dann ganz allmählich von Halbjahr zu Halb¬ 
jahr zurück; noch nach 2 Jahren erhält der Kranke täglich 1—2 g Brom. Monate 
lang führt der Verf. Bettruhe durch und sorgt für gute Krankenpflege. 

Ein guter Erfolg der Kur wurde namentlich bei jugendlichen Epileptikern 
erzielt. Das Ueberwiegen von petit mal-Anfällen, das Vorkommen von länger dauernden 
Aequivalenten und anderen psychischen Störungen, und das Vorherrschen stärkerer 
psychisch-epileptischer Degeneration gaben eine ungünstige Prognose. Kranke mit 
intacter Psyche oder geringerer Degeneration reagirten auf die Behandlung gut. 
Verf. widerräth die Kur bei körperlich heruntergekommenen Patienten. Obwohl aber 
der Ernährungszustand vor Beginn der Kur gehoben worden war, gerietben 2 Patienten 
durch Opiumintoxication in einen Status epilepticus, in dem bei dem einen Kranken 
der Tod erfolgte. In einem anderen Falle, in dem nach der Opiomkur 3 Wochen 
lang täglich 7,5 und dann 4 1 /» Monate lang 6,0—7,5 Brom pro die verabreicht 
worden waren, kam es zu schwerem Bromismus mit Temperatursteigernng, unregel¬ 
mässiger Athmung und Periculum vitae! O. Ilberg (Sonnenstein). 


III. Aus den Gesellschaften. 

Biologische Abtheilung des ärztlichen Vereins zu Hamburg. 

(Schluss.) 

Sitzung vom 11. Januar 1898. 

Goebel hält seinen angekündigten Vortrag: Zur pathologischen Anatomie 
der Landry'sohen Paralyse. 

Vortr. bespricht die Litteratur; er glaubt, dass seit der Eichhorst’scben 
Publication über Neuritis acutissima progressiva eine grosse Anzahl von Fällen der 


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Land ry'sehen Paralyse zugerechnet wären, welche anderswo gut unterzubringen 
seien, und dass man deshalb die engen Grenzen, welche Landry, und nach ihm 
Westphal dem nach ihm benannten Symptomenbilde gesteckt habe, im Grossen und 
Ganzen nicht zu fiberschreiten brauche. 

In dem vorliegenden Falle bandelt es sich um einem vor 4 Jahren luetisch 
gewesenen, im fibrigen soliden, dem Trünke nicht ergebenen Tapezirer, welcher 
4 Wochen vor dem Auftreten der spinalen Erscheinungen sich stark erkältet hatte 
und darnach ein Gefühl von Druck in beiden Oberschenkeln bekam. Einen Monat 
später stellte sich plötzlich eine schlaffe Paraparese der unteren Extremitäten ein 
mit Aufhebung der Sehnenreflexe, ohne Veränderungen der elektrischen Erregbarkeit 
und ohne Sensibilitätsstörungen. Der Tod erfolgte 17 Tage später bei freiem Sen- 
sorium in einem Anfall von Athemnoth, nachdem unter ascendirendem Verlaufe der 
Lähmungen, und besonders unter dem Auftreten von Augenmuskel-, Kau- und Schluck¬ 
lähmungen von sehr starker Ausdehnung, schliesslich noch eine zweifelhafte Ab¬ 
stumpfung des Geffihls an den Füssen und geringe Urinbeschwerden sich bemerkbar 
gemacht hatten. 

Es fanden sich die peripheren Nerven, frisch gezupft in Osmiumsäure und ge¬ 
färbt nach Weigert und mit Carmin, normal, in einigen Muskeln Vermehrung des 
interstitiellen Gewebes nebst frischen Degenerationen der Fasern, in den meisten nur 
letztere; in einzelnen Bfindeln der Cauda equina herdweiser Untergang von Nerven¬ 
fasern in der Umgebung eines stark gefällten Gefässes, mit Wucherung der Stfttz- 
substanz ohne Kern Vermehrung, ebenda nach Marchi frische Degeneration einiger 
Axencylinder und Markscheiden, bei Intactheit des Bfickenmarks — Weigert, Carmin, 
Marchi —, und besonders der vorderen Wurzeln — Weigert, Carmin, Osmiumsäure. 
Die Gegend oberhalb der Pyramidenkreuzung bis zu den Oculomotoriuskernen zeigte 
nur der Marchimethode zugängliche Veränderungen, und zwar eine Querschnittsmark¬ 
degeneration geringen Grades ohne myelitische Processe, sowohl der langen Bahnen, 
als auch der extra- und intramedullären Wurzeln incl. des intranucleären Fasernetzes, 
ohne dass Carminpräparate eine wesentliche Alteration der Ganglienzellen erkennen 
liessen. Das subcorticale Marklager war sehr gering afficirt. Die sehr vergrösserte 
und weiche Milz wurde bakteriologisch nicht, das Rfickenmark mit negativem Resul¬ 
tate culturell untersucht. Auch tinctorielle Versuche am gehärteten Rfickenmark 
und in der Cauda equina fielen negativ aus. 

Der Vortr. weist noch hin auf einige analoge Krankheitsbilder, in denen die 
sensible Sphäre klinisch im allgemeinen intact bleibt, auf die Bleilähmungen, die 
Tetanie, den Tetanus, die paroxysmale familiäre Lähmung, die Myasthenia gravis 
pseudoparalytica, in umgekehrter Richtung auf die Tabaksamblyopie und die Amaurose 
nach Dosirung von Extractum filicis, und betont, dass er die gefundenen Veränderungen 
nicht auffasst als das anatomische Substrat der stattgehabten schweren Lähmungen, 
sondern als den mikroskopisch nachweisbaren Ausdruck einer durch eine uns noch 
unbekannte — Infectionskrankheit? — Noxe eingetretenen Intoxication. 

(Autorreferat.) 

Nonne schliesst sich dem Vortr. darin vollkommen an, das in der Litteratur 
bisher eine ziemliche Verwirrung herrschte in den als „Landry’sche Paralyse“ mit- 
getheilten Arbeiten; er bezeichnet den Fall von G., der von seiner eigenen Abtheilung 
im Krankenhause stammt, als einen absolut reinen; auch dieser Fall beweise, eine 
wie feine Reaction die Marchimethode sei: erst mit der Marchimethode habe G. Dege¬ 
nerationen nachgewiesen da, wo die sonstigen Methoden nichts Pathologisches gezeigt 
hatten. Auch N. ist der Meinung, dass die nachgewiesenen Degenerationen nicht 
die anatomische Ursache der klinischen Erscheinungen» sondern nur der Ausdruck 
der stattgehabten Infection bezw. Intoxication des Centralnervensystems seien: ebenso 
seien die acuten parenchymatösen Veränderungen, die in vielen Muskeln nachgewiesen 

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werden konnten, nnr ein symptomatischer Ansdruck dieser Intoxication. N. weist für 
diesen Fall speciell auf die vielfache Incongruenz zwischen dem Befund in einzelnen 
Nerven — nach Marchi — und Muskeln und den klinischen LähmungseiBcheinungen 
bin. Schliesslich berichtet N. Aber einen Fall, den er vor 2 Jahren beobachtet hat 
und der ganz der „bulbären Form der Landry’schen Paralyse" entsprach: Eine 
37 jährige Frau erkrankte mit febrilen Allgemeinstörungen, ohne dass eine somatische 
Ursache uachgewiesen werden konnte; sie hatte in den letzten Monaten viele Er¬ 
regungen in der Familie durchgemacht; Pat. fing an zu balluciniren, und wurde 
leicht erregt; dann wurde die Zunge schwer beweglich, dadurch, ebeuso wie durch 
eine Parese der Lippenmuskeln, die Sprache undeutlich, von „bulb&rem" Charakter; 
Pat. begann sich zu verschlucken; dies spielte sich im Laufe von ca. 10 Tagen ab; 
die Paresen der Schluckmuskulatur nahmen zu, meningitische Erscheinungen fehlten, 
die Temperatur war subfebril. Im Laufe der nächsten 4 Tage trat eine abnorme 
Erhöhung der Pulsfrequenz, dann Irregularität und Inäqualität des Pulses auf, die 
Respirationsmuskeln wurden ebenfalls paretisch, während die — interioren und ex- 
terioren — Augenmuskelbewegungen intact blieben. Unter Herz- und Athemlähmung 
erfolgte, nachdem in den letzten 3 Tagen wegen completer Schlucklähmung die 
Magensondenernäbrung hatte durchgeffihrt werden mfissen, der Exitus. An den 
oberen und unteren Extremitäten waren keine Lähmungen aufgetreten, das Verhalten 
der Reflexe und der elektrischen Erregbarkeit blieb bis zum tödtlichen Ausgang 
normal. 

Bei der anatomischen Untersuchung erwiesen sich die basalen Himnerven — 
geprüft in 1 °/ 0 Osmiumsäure —, ebenso wie die ganze Medulla oblongata — gefärbt 
mit Borax-Carmin und nach Pal-Wolters — ganz normal. Eine bakteriologische 
Untersuchung wurde nicht vorgenommen. 

Saenger fragt an, da bei Landry’scher Paralyse nur äusserst selten Augen¬ 
muskellähmungen Vorkommen (er selbst habe sie nie beobachtet), ob Veränderungen 
luetischer Natur gefunden seien, zumal der Patient Lues gehabt habe. Die auffällig 
starke Betheiligung der Augenmuskeln rechtfertigte sehr den Verdacht auf genannte 
Affection. 

Auch sei vielleicht eine Polioencephalitis sup. et inf. nicht luetischer Natur in 
Frage zu ziehen, wenngleich der klinische Verlauf gegen diese Annahme spräche. 
Ebenso die jetzt häufiger beobachtete asthenische Bulbärparalyse. 

S. hatte die bakteriologische Untersuchung des vom Vortr. irrthflmlich als nicht 
zutreffend erwähnten Eisenlohr'sehen Falles vorgenommen. Das Ergebniss sei da¬ 
mals positiv gewesen, und er bäte um Auskunft darüber, welches culturelle Verfahren 
in vorliegendem Falle eingeschlagen worden sei. 

Bötticher fragt, wie das Verhalten der Ganglienzellen im Rückenmark und in 
der Medulla oblongata gewesen sei, und ob diese nach Nissl untersucht worden 
wären. 

B. erwidern Herr Nonne und Goebel, dass die Nisslmethode eingehend an¬ 
gewandt worden sei und hier durchaus keine sicheren Anomalieen angezeigt habe, 
im Uebrigen erinnert N. an die Befunde von Goldscheider-Flatau, die uns von 
jetzt an grosse Vorsicht in der Verwerthung von Nisslveränderungen der Ganglien¬ 
zellen auferlegen müssen. 

Vortr. antwortet Herrn Saenger, dass für die Annahme einer Polioencephalitis 
superior et inferior weder das klinische Bild, noch der mikroskopische Befund ge¬ 
sprochen habe; Vortr. betont noch einmal, dass das Verhalten der Gefässe, auf 
deren elastische Fasern er sein besonderes Augenmerk gerichtet habe, ein ganz 
normales war; die Untersuchung auf Bakterien in Schnitten, sowie das Culturverfahren 
(Rückenmark, periphere Nerven, Milz) habe kein sicheres Resultat ergeben. 


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Sitzung vom 1. Februar 1898. 

Nonne stellte vor: 1. einen 28jährigen Matrosen, der das Bild der paeudo- 
apaatiaohen Parese mit Tremor bietet; die Bewegungsstörung, die im Uebrigen 
ganz den Character trägt, wie ihn Vortr. seiner Zeit beschrieben hat, ist in diesem 
Fall auf die rechte untere Extremität allein beschränkt. Die ganze Extremität ist 
analgetisch und hypästhetisch für die anderen Qualitäten der Sensibilität; ausserdem 
besteht doppelseitige, sehr hochgradige Einengung des Gesichtsfeldes. Die Psyche 
zeigt hysterische Zöge. In diesem Fall stellt also, wie auch in einzelnen der frflher 
vom Vortr. beschriebenen Fälle, der pseudospastische Schfitteltremor eines 
von mehreren hysterischen Stigmata dar. Das auslösende Moment in 
diesem Fall war eine schwere Malaria gewesen, die Pat. vor drei Monaten durch¬ 
gemacht hatte. 

2. zwei Fälle, die Vortr. in das Gebiet der maladie des tics verweisen will: 
a) ein 40jähriger Mann hatte Yor zwei Jahren im Anschluss an ein Kopf- 
Trauma — Fall von einem Eisenbahnwagen auf die Schiene — eine rhythmische 
Geh-Störnng bekommen. Der Gang war nur noch als Springschritt möglich, 
etwa nach Art des Echternacher’schen Processionsschritts. Beim Stehen und 
Sitzen besteht ein fortwährendes streng-rhytmisches Wiegen des Kopfes und Bumpfs, 
dem einer Pagode nicht unähnlich; mit geringen Remissionen besteht diese Störung 
jetzt seit ca. zwei Jahren; objective hysterische Stigmata bestehen in diesem Falle 
nicht; auf psychischem Gebiete besteht eine mittlere Depression und Neigung zu 
hypochondrischen Zwangsvorstellungen. 

b) Ein 18jähriges Mädchen war vor drei Monaten im Anschluss an einen 
Schreck — als Kindergärtnerin liess sie ein ihr anvertrautes Kind auf der Treppe 
fallen — mit einer rhythmischen Bewegungsstörung der oberen Extre¬ 
mitäten und des Kopfes erkrankt. Pat. macht fortwährend sägende und mähende 
Bewegungen, mit dem Kopfe, dabei rhythmische Kreisbewegungen beschreibend. Auch 
diese Hysterie ist eine monosymptomatische, insofern als objective sonstige Stigmata 
nicht nachzuweisen sind. Der Name „Chorea rhythmica“ ist ffir diese Fälle kein 
glficklicher, da im Gegensatz zur eigentlichen Chorea hier die rhythmischen Bewe¬ 
gungen bei intendirten Bewegungen sistirt werden, und da ferner die Bewegungen 
in diesem Falle streng coordinirt sind. 

Saenger: lieber fttnotionell-nervöse Erkrankungen im Kindesalter. 

Ebenso wie Bruns weist Vortr. den von dem Neurologen Sachs in seinem 
kürzlich erschienenen Lehrbuch aufgestellten Satz zurück: „wenn Hysterie beim Er¬ 
wachsenen eine seltene Krankheit ist, so ist sie noch seltener beim Kinde“. Tuczek, 
Seeligmüller, Smidt, Jolly, Charcot, Briquet haben schon längst die Häufig¬ 
keit der Hysterie im Kindesalter betont. Neurasthenie in diesem Alter leugnen 
jedoch hervorragende Neurologen (Charcot, Krafft-Ebing). Andere, wie Emming- 
haus, Oppenheim und besonders Arndt sind entgegengesetzter Ansicht. Vortr. 
tritt diesen Autoren bei und stützt seine Ansicht durch eigene, während einer 
7 jährigen Beobachtungszeit an der Poliklinik des Alt. allgem. Krankenhauses zu 
Hamburg gewonnene Erfahrungen. 

Die Mehrzahl der nervösen Kinder kam wegen Sehstörungen in die Augen¬ 
poliklinik des Hrn. Dr. Wilbrand, auf dessen Anregung Vortr. jedes dieser Kinder 
eingehend neurologisch untersuchte. Unter 30 759 Augenpatienten befanden sich 
1029 Kinder, die an nervöser Asthenopie litten. Letztere kommt am meisten zwischen 
dem 10. und 14. Jahre vor. 

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Vortr. theilt die kleinen Patienten in vier Gruppen ein: 

1. Neurasthenie. 

2. Hysterie. 

3. Gemisch von Neurasthenie und Hysterie. 

4. Hereditäre Neuropathie. 

Symptome der 1. Gruppe: Meist Anämie. Leichte Ermüdbarkeit, Aengstlichkeit, 
Neigung zum Weinen; sehr erregbar; Herzklopfen, Schwindel, erhöhte vasomotorische 
Erregbarkeit. Oft Depression; Unlustgefühle, Schlaflosigkeit, Verstopfung. Zuweilen 
echte Phobieen (Agoraphobie). Beinahe stets Zittern der Lider bei leichtem Angen¬ 
schluss. 

Symptome der 2. Gruppe: Analgesieen, Gesichtsfeldeinschränkungen, Fehlen des 
Conjunctival- und Bachenreflexes. Häufig mono-symptomatisches Auftreten, Haltungs- 
anomalieen (hysterische Scoliose; Torticollis, eigene Beobachtungen mit rascher Heilung), 
Chorea; Blepharospasmus, Ptosis hyst.; hysterische Amaurose. Krampfanfälle, hypnolde 
Zustände und bei einer Beihe von hysterischen Kindern Ennresis nocturna, die durch 
Wachsuggestion geheilt wurde. 

Symptome der 3. Gruppe: Hysterische und neurasthenische Erscheinungen neben 
einander, rasche Ermüdbarkeit beim Lesen; nervöse Asthenopie, Gesichtsfeldein¬ 
schränkung; Fehlen des Bachen- und Conjunctivalreflexes. Hallucinationen des Ge¬ 
sichts, Gehörs; Nachtwandeln. 

Symptome der 4. Gruppe: Meist erbliche Belastung. In den ersten Lebens¬ 
jahren Convulsionen. Später ticartige Zustände. Grimassenschneiden. Choreaartige 
Bewegungen. Diese Kinder sind sehr empfindlich, eigensinnig, jähzornig und sehr 
furchtsam. Frühe hypochondrische nnd egoistische Züge. Frübauftretende sexuelle 
Triebe. Onanie. Psychopathische Minderwertigkeit (Koch). 

Vortr. giebt Beispiele für die einzelnen Gruppen, deren Prognose bis auf die 
vierte günstig ist. 

Die Therapie bestand in Hebung der constitutioneilen Ursachen: (Eisen) Kalt- 
wassercur; frische Luft und in Anwendung der Elektricität, welche namentlich bei 
der zweiten Gruppe das beste und unschädlichste Wachsuggestionsmittel ist Vortr. 
braucht die Hypnose nicht. 

Für schwerere Fälle, namentlich bei hereditär Belasteten, ist Anstaltsbehandlung 
zu empfehlen. 

Zum Schluss geht Vortr. auf die theoretischen Schlussfolgerungen ein, die sich 
aus seinen Erfahrungen im Kindesalter ergeben. 

Er wendet sich gegen die namentlich von Möbius vertretene Auffassung der 
Hysterie, dass alle Aeusserungen derselben auf Vorstellungen beruhen, da die Stig¬ 
mata, Beflexanomalieen, Aenderungen der elektrischen Erregbarkeit den Hysterischen 
gar nicht zum Bewusstsein kommen. Vortr. hält die Hysterie für eine Neuropsychose, 
bei der abnorme functionelle Veränderungen im Centralnervensystem Vorkommen, die 
uns bis jetzt unbekannt sind. Schon die klinisch so vielfältig beobachtete Thatsache 
der Combinirung organischer Nervenaffection mit Hysterie, der eigenthümlichen Hal¬ 
tung der Gifte (Alkohol, Blei) zur Auslösung der Hysterie weisen darauf hin. 

Ferner hebt Vortr. hervor, dass er den Beginn der Hysterie im Kindesalter 
studirt habe. Dieselbe kündigt sich durch die bekannten Stigmata, nicht durch Vor- 
stellungsanomalieen an. 

Schliesslich bespricht Verf. noch die Neurasthenie und meint, dass einzelne 
Formen derselben analog der nervösen Asthenopie auf einer Unterwerthigkeit der 
nervösen Endorgane in einzelnen Organbezirken beruhe. 

Als Ursache der functionell nervösen Erkrankungen im Kindesalter hebt Vortr. 
die mangelhaften Lebensbedingungen, die Schulüberbürdung, die Heranziehung der 
Kinder zum Erwerb bei mangelhafter Erholung hervor. 


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Die zunehmende Nervosität zeige sich am crassesten in der Zunahme der Kinder* 
Selbstmorde; daher sollen Aerzte ihr Augenmerk mehr auf die nervössen Erkrankungen 
im Kindesalter richten und die Behörden sollten Schulärzte anstellen. 

(Autorreferat). 


Sitzung vom 15. Februar 1898. 

Böttiger demonstrirt zuerst einen 47jähr. Patienten, bei dem sich im An¬ 
schluss an eine schmutzige Sehnenverletzung nnd Phlegmone am linken Unterarm 
eine Neuritis des N. medianus entwickelt hatte, die sich in typischer Weise durch dege- 
nerative Atrophie der Daumenballenmuskulatur und der zwei ersten Lumbricales, 
durch entsprechende Sensibilitätsstörungen, und ausserdem durch trophische Störungen, 
Blasen und OeschwQre, in der Haut der drei ersten Finger und der Badialseite des 
4. Fingers manifestirte. Zugleich fand sich bei weiterer Untersuchung des Pat. be¬ 
ginnende Dementia paralytica mit tabischen Erscheinungen. Lues war vorhergegangen. 
Vortr. bespricht kurz den fast durchgehende zu beobachtenden Unterschied in der 
Verbreitung von Sensibilitätsstörungen bei Tabes dorsalis und Taboparalyse, nament¬ 
lich die grosse Regelmässigkeit derselben am Rumpf bei ersterer, und das fast stete 
Fehlen derselben bei letzterer ebenda. Ansserdem giebt er zn bedenken, ob nicht 
das centrale Leiden mit das Auftreten trophischer Störungen im Gebiete der Neuritis 
bedingt baben mag. 

Sodann demonstrirt Vortr. einen Patienten mit Tumor des Kleinhirns, welcher 
einige interessante Symptome darbot. 

Discussion Aber den Vortrag des Herrn Saenger: Ueber functioneil-nervöse 

Erkrankungen im Kindesalter. 

Hess: Man kann Aber die Eintheilung Saenger’s discntiren, je nachdem man 
den heute von ihm als in die IV. Gruppe der hereditären Psychopathie gehörigen 
erwähnten Fall wegen des Fehlens der Sprache schon als geringen Grad der Idiotie 
auffasst. Bestimmend sind vielleicht die Kopfmaasse. 

Ebenso wie bei Erwachsenen kommt bei Kindern im Anschluss an schwere 
anatomische Erkrankungen des Nervensystems Neurasthenie und Hysterie vor (Fall 
von rechtsseitiger Bpinaler Kinderlähmung — Atrophie, Tenotomie, Schiene — mit 
l 1 /, Jahren, der jetzt Symptome der Hysterie — Globus, Anfälle — zeigt); oder 
es treten zn anderen functioneilen Neurosen hysterisch -neurasthenische Symptome 
hinzu (10jähriges Mädchen mit Chorea minor hat jetzt Cephalalgieen nnd Herz- 
palpitationen). 

FAr die Aetiologie kommt, abgesehen von der Heredität, besonders Ueber- 
anstrengnng in der Schule in Frage, jedoch glaubt Vortr. nicht, dass die vielen 
Selbstmorde unter den SchAlern, die nach Saenger in Deutschland am zahlreichsten 
sind, ganz allein auf die Neurasthenie zurfickzufAhren sind, da in anderen Ländern 
(Amerika) letztere grösser ist. (Autorreferat.) 

Nonne stimmt, gegenAber frAher an diesem Orte von Böttiger geäusserten 
gegenteiligen Ansichten, mit Sänger Aberein, dass die objectiven hysterischen 
8tigmata eine sehr wesentliche diagnostische Dignität baben, als dieselben 
auch bei Kindern in charakteristischer Weise Vorkommen und dass die Ansicht, die¬ 
selben seien stets vom Untersucher ansuggerirt, verkehrt sei. Vortr. will nicht die 
Charcot’sche Lehre von den objectiven Symptomen der hysterischen Amanrose ent¬ 
wertet sehen; besonders häufig sieht man motorische Reiz- nnd Lähmungszustände 
(Contracturen und Paralysen) mit tiefen Alterationen der Sensibiltät — im Sinne 
der Hyperästhesie sowohl wie der Anästhesie — bei Kindern vergesellschaftet. — 
Analog den Beobachtungen bei erwachsenen Unfall-Nervenkranken sieht man auch 
bei — nervösen und anscheinend nicht nervösen — Kindern die Symptombilder der 

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— localen und allgemeinen — traumatischen Hysterie, der „grande hystörie, der 
cerebralen und spinalen Neurasthenie auftreten. Vortr. bringt einzelne diesbezfigliche 
Beobachtungen, schildert speciell auch Fälle von traumatisch entstandener hysterischer 
Astasie >Abasie bei Kindern. Als besonders hartnäckig und nicht selten — wie so 
oft bei Kindern — monosymptomatisch auftretend, erwähnt Vort. die excessive 
Onanie mit pathologischer Beactionsform. — Von einer „Neurasthenie“ der Säuglinge 
und ganz kleinen Kinder will Vortr. gegenüber Saenger nichts wissen; zu der Ent« 
stehung der Neurasthenie gehöre neben der Disposition auch das Milieu, und dieses 
wirke erst bei dem Kinde, wenn es beobachte und verstehe; die Binswanger’sche 
Definition der für den Neurastheniker charakteristischen „einseitigen, egocentrischen 
Verarbeitung des gesummten Vorstellungs-Inhalts, welcher aus der pathologisch ge¬ 
steigerten Beschäftigung mit den Zuständen des eigenen Körpers hervorgeht,“ zeige 
auch, dass erst von der Zeit der Möglichkeit eines Vorstellungslebens an von einer 
eigentlichen „Neurasthenie“ gesprochen werden könne; dazu sei aber die bereits er¬ 
folgte Ausbildung der Associationssysteme im Gehirn nöthig. Die grosse Häufigkeit 
der Neurasthenie bei jungen Kindern hat Vortr. in seinem Erfahrungskreise nicht 
bestätigen können; auch Binswanger sah unter 131 Neurasthenikern nur 4 Fälle, 
die sich im ersten Decennium des Lebens befanden. 

Vort. rühmt den Nutzen, den die Behandlung mit hypnotischer Suggestion bei 
Kindern häufig bringt; gerade die Thatsache, dass schwere Symptome hier besonders 
häufig monosymptomatisch auftreten, berechtigt zur Anwendung derselben. Vortr. 
hat unter vielen Fällen niemals den geringsten Schaden beobachtet und hält die 
gegentheiligen Behauptungen für übertrieben und nicht durch die praktischen Er¬ 
fahrungen in vorsichtigen Händen erhärtet. Vortr. wendet die Elektricität nur noch 
in denjenigen, für den Praktiker weit häufigeren Fällen an, in denen ein suggestiver 
Nutzen von ihr zu erwarten ist; die auf dem Frankfurter Elektrotherapeutencongress 
geforderten experimentellen Beweise für die Heilkraft der Elektricität bei 
organischen Affectionen des Nervensystems seien bisher ausgeblieben. 

Dr. Liebrecht: Die Symptome an den Augen bei der Hysterie sind objective, 
beruhen nicht auf subjectiver Vorstellung oder Einbildung der Kranken oder auf 
Suggestion. Es kommen dabei in Betracht: 

1. Die Sehstörungen. Abgesehen von der bekannten ausgesprochenen hyste¬ 
rischen Amblyopie und Amaurose treten auf geringgradige Sehstörungen, die meines 
Erachtens nur auf Accommodationsstörungen zurückzuführen sind. Man findet in 
kurzem Wechsel geringen hyperopischen Astigmatismus, geringe manifeste Hyperopie, 
dann wieder Myopie, bis eines Tags wieder Emmetropie vorhanden ist und alle 
Gläser verworfen werden. Dass diese Accommodationsstörungen nicht simulirt sind, 
sieht man daraus, dass nur mit dem betreffenden corrigirenden Glase volle Sehschärfe 
erreicht wird. 

2. Das Doppelsehen. Unter etwa einem Dutzend von Fällen konnte ich 
mich nicht von der Lähmung eines einzelnen Muskels überzeugen, sondern es war 
das Zusammenwirken der Muskeln gestört, wie es für die associirten Bewegungen, 
für das physiologische Einfachsehen beim gesunden Menschen vorhanden. Die in 
den ersten Lebenswochen erlernte Association der Augenbewegungen ist eine Zeit 
lang verloren gegangen, daher der häufige Wechsel in der Stellung der Doppelbilder. 

3. Die Pupillenerscheinungen. Ich habe keine reflectorische oder absolut 
starre Pupille auf Hysterie zurückführen können. Wohl aber kommt zeitweilig ein¬ 
seitige Pupillenerweiterung vor, die nach einem gewissen Zeiträume wieder schwindet. 
Dabei ist die Beaction der Pupille auf Licht und Convergenz nicht beeinträchtigt. 

4. Die Sensibilitätsstörungen der Bindehaut und Hornhaut. Bei 
Berührungen der Bindehaut oder Hornhaut in der Lidspalte erfolgt kein Blinzelreflex. 
(Dabei ist zu beachten, dass schon physiologisch die Berührung der unter dem 
Unter- und Oberlide befindlichen Bindehaut meist keinen ßeflex hervorruft.) 


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5. Die Gesichtsfeldeinschränkungen, sowie die mangelnde Adap¬ 
tationsfälligkeit der Netzhaut im Dunkeln bei einer Anzahl Hysterischer kann 
ich vollkommen bestätigen. (Autorreferat.) 

Lenhartz bezweifelt nach seinen Erfahrungen die grosse Häufigkeit der Neu¬ 
rasthenie bei Kindern; er weist darauf hin, dass auch bei Kindern Fälle von Simu¬ 
lation Vorkommen; man müsse sich vor einer Schreck - Therapie — körperliche 
Züchtigung — hüten, da unter Umständen durch intensiven Schreck eine wahre 
Epilepsie eintreten könne. 

Böttiger verficht die Möglichkeit des Vorkommens der Neurasthenie bei 
Säuglingen; er tritt für den physikalischen Heilwerth der Elektrotherapie ein und 
verwirft die hypnotische Behandlung, die gefährliche Folgezustände zeitigen könne. 

Die Aufstellung der Gruppe „Hystero-Neurasthenie“ von Sa enger will er nicht 
anerkennen, da Hysterie und Neurasthenie hinzukommende Krankheitsbilder seien. 


Kaufmann: Ich möchte mich vom allgemein ärztlichen Standpunkt gegen das 
düstere Bild auflehnen, das Saenger uns von den nervösen Erkrankungen im 
Kindesalter entworfen hat Mir ist wiederholt der Gedanke gekommen, wie auf¬ 
fallend es ist, dass trotz der bedeutenden Zunahme der nervösen Erkrankungen der 
Erwachsenen, und trotzdem, dass diese Menschen ihre Nachkommenschaft in hohem 
Maasse belasten, die nervösen Erkrankungen im eigentlichen Kindesalter nicht zu¬ 
genommen haben. Erst vom Eintritt der Pubertät an habe ich eine Zunahme 
beobachtet. Und da war es vorzugsweise das männliche Geschlecht, das an dieser 
Zunahme betheiligt war. Tabak, Alkohol und vorzeitiger Umgang mit dem anderen 
Geschlecht werden als Ursache hierfür anzusehen sein. In manchen Fällen wird 
anch wohl die viel berufene Ueberbürdung in den Schulen eine Bolle spielen. In 
den besitzenden Klassen soll das Einjährig-freiwilligen Zeugniss unter allen Umständen 
erlangt werden. Kommt hier nun zu mangelhafter Veranlagung ein zart besaitetes 
Nervensystem, dann ist der Neurasthenie Thür und Thor geöffnet. Nun wird Herr 
Saenger vielleicht entgegnen: Ja, Ihre Beobachtungen sind nicht beweisend. Das 
Material des einzelnen Arztes ist zu klein und einseitig. Es recrutirt sich immer 
aus denselben Kreisen. Hier kann nur klinisches oder poliklinisches Material be¬ 
weisend sein. Das will ich bis zu einem gewissen Grade zugeben, obwohl zu bedenken 
ist, dass für die nervösen Zustände nicht nur die Kranken in Betracht kommen, die 
man direct behandelt, sondern dass sich hier die Beobachtung auf den grossen Kreis 
von Menschen erstreckt, mit dem man im täglichen Leben zusammenkommt. Aber 
auch die Kliniker und Polikliniker lassen Herrn Saenger im Stich. In der ersten 
Abtheilung seines Vortrags hat Herr Saenger sich beklagt, dass in keinem Lehr¬ 
buch der Kinderkrankheiten etwas Nennenswertes über die nervösen Erkrankungen 
im Kindesalter zu finden ist Ja selbst das ausgezeichnete Buch von Henoch 
schweigt sich über dies Thema vollständig aus. Nun, woran liegt das? Es ist 
anzunehmen, dass allen diesen Herren so wenig neurasthenische Kinder und hyste¬ 
rische Säuglinge auf ihren Wegen begegnet sind, dass es ihnen nicht möglich oder 
nöthig erschien, sich über diese Zustände weitläufig zu verbreiten. Auch über die 
Aetiologie bat Herr Saenger nach meinem Empfinden viel zu düstere Farben auf¬ 
getragen. Es sieht in unserer Kinderwelt durchaus nicht so trübe aus, selbst nicht 
in den unteren Klassen. Abgesehen davon, dass unsere Mortalitätsziffem beständig 
bessere werden, möchte ich Herrn Saenger bitten, sich einmal in die Nähe der 
Volksschulen zu begeben, und sich die Kinder anzusehen, wenn sie beim Schluss 
der Klassen herausströmen. Da gewinnt man nicht- den Eindruck der Nervo¬ 
sität. Und wenn ein Theil von den Kindern dazu angehalten wird, in einigen 
Abendstunden die Eltern beim Austragen von Victualien oder Zeitungen zu unter¬ 
stützen, so ist dies auch keine übertriebene Zumuthung für ihren Körper. Allerdings 
wird immer noch ein gewisser Procentsatz ärmster Bevölkerung Zurückbleiben, wo 


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es durch Krankheit, Arbeitslosigkeit, Trunksucht u. s. w. der Eltern den Kindern 
traurig geht. Wenn wir hier den Hebel ansetzen, und solchen Kindern zu einer 
besseren Ernährung, Behandlung und Erziehung verhelfen, so werden wir ein sehr 
gutes Werk thun, ein besseres jedenfalls, als wenn wir sie polypragmatisch behandeln. 

(Autorreferat) 

Beselin schildert die Bedeutung der Suggestion bei Kindern mit nervösen 
Augenleiden. Sie begünstige das Auftreten z. B. bei Augenerkrankung anderer 
Familienmitglieder durch Selbsttäuschung eigener Augenkrankheit, sie Bei bei der 
Diagnose wertbvoll, indem man bei functioneller Sehschwache durch Vorsetzen indiffe¬ 
renter Brillengläser und entsprechenden Zuspruch höhere Sehschärfe erziele. Thera¬ 
peutisch sei sie besonders wichtig; man müsse, nach Aufklärung der Eltern in Ab¬ 
wesenheit des Kindes, diesem das Augenleiden als harmlose vorübergehende Schwäche 
bezeichnen. — üeberanStrengung der Augen, zumal bei Astigmatismus und Hyper- 
metropie, begünstigt die Entstehung. — Die Möglichkeit functioneller Lähmungen 
werde durch die Fälle von Convergenz- und von Accommodationslähmung bewiesen. 

(Autorreferat.) 

Franke hebt hervor, dass der Qesichtsfeldbefund bei nervöser Asthenopie erst 
im Verein mit den anderen neurasthenischen Symptomen seine Bedeutung, gewinnt. 
Man findet gelegentlich bei gesunden Kindern concentrische Gesichtsfeldeinengung 
oder Ermüdungserscheinungen, ohne dass nervöse Asthenopie besteht Auch bei 
Kindern mit accommodativer oder muskulärer Asthenopie kann man ähnliche Befunde 
erhalten. In diesen letzten Fällen ist zunächst eine Correction der Befractions- oder 
Muskelanomalieen nöthig. 

Eine richtige Therapie ist von Wichtigkeit in Rücksicht auf die schädlichen 
Folgen längerer Unthätigkeit eines Kindes, sowie auf den Nachahmungstrieb bei 
Kindern derselben Klasse. (Autorreferat) 

Engelmann: Die Symptome, welche Herr Saenger für Gruppe I und III 
schildert, würde ein Unbefangener auch für die der sog. Aprosexia nasalis nehmen 
können. Auch das Lidzittern könne er nicht für ein neurasthenisches Symptom 
halten — trotzdem es ihm erst kürzlich von neurologischer Seite als solches be¬ 
zeichnet sei —, das käme sehr oft bei ganz Gesunden vor. 

Herr Saenger habe gesagt, Kinder mit adenoiden Vegetationen hätte er in 
Herrn Ludwig’s Poliklinik geschickt, da bäte E. nun um Angabe, wie diese Dia¬ 
gnose gestellt wäre. Viele Kinder haben Mandelschwellungen mittleren Grades — 
die Füllung des adenoiden Gewebes wechsele leicht —, noch mehr die der Nasen¬ 
schwellkörper. Im Liegen werden sie blutreicher — und die Kinder sind im Schlafe 
an der Nasenathmung behindert —, während man am Tage der Athmung nichts 
besonderes anmerkt. 

Bei diesem ZuBtand kommen sie natürlich herunter. Die von Herrn Saenger 
eingeschlagene Therapie spricht nicht gegen E.’s Anschauung — denn diese Fälle 
behandelt E. auch mit roborirenden Mitteln mit gutem Erfolg, ohne zu operiren. 

(Autorreferat.) 

Saenger (Schlusswort) betont gegenüber Herrn Lenhartz und Kaufmann 
nochmals die Häufigkeit der Neurasthenie im jugendlichen Alter und weist darauf 
hin, dass schon recht oft in der Medicin Krankheiten erst erkannt worden seien, 
nachdem auf sie speciell geachtet und untersucht wurde, so vor allem die männliche 
Hysterie, die Hemianopsie, Basedow, Akromegalie u. s. w. 

Den Standpunkt des Herrn Böttiger, der die 3. Gruppe der Hysteroneurasthenie 
nicht gelten lassen will, theilt S. garnicht, indem er sich auf C har cot bezieht, und 
betont, dass es vor allen Dingen nöthig sei, die klinischen Bilder so zu schildern, 
wie sie sich in der Natur darbieten. So geklärt, wie B. sich die Ansichten über 
Hysterie und Neurasthenie denkt, sind dieselben noch lange nicht. Für beide Er- 


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krankungen stehen wir bis jetzt noch anf dem Boden der Hypothese. Was speciell 
die Ansicht von B. betrifft, dass die sog. hysterischen Stigmata sämmtlich saggerirt 
seien, so hat schon Nonne anf die Unhaltbarkeit dieser Behauptung hingewiesen. 
Speciell für die Gesichtsfelder hebt S. hervor, dass dieselben durch die neue Wil- 
brand’sche Untersuchungsmethode mittelst Dunkelperimeters an Exactheit sehr ge¬ 
wonnen haben. Es sei zu bedauern, dass bis jetzt auf deutschen Hochschulen diese 
Methode nicht die Beachtung gefunden hat, die sie verdient 

S. erwidert Herrn Nonne, dass er die Hypnose deshalb im Eindesalter nicht 
verwende, weil er dieselbe als eine künstliche Hysterie ansähe, die das Kind noch 
hysterischer machen könne als es ist, und da es viel weniger schädigende, ebenso 
rasch zum Ziel führende Heilfactoren gäbe. Ferner berührt S. die Frage nach der 
Wirksamkeit der Elektrotherapie, die Nonne überhaupt nur als Suggestivmittel be¬ 
trachte. Bei der Hysterie trifft das zu, nicht jedoch bei einer ganzen Beihe von 
Erkrankungen der Nervensystems, da es sehr wohl auf die Art und den Ort der 
Behandlung ankätne. 

Zum Schluss weist S. nochmals auf die zunehmende Nervosität im Eindesalter 
hin, weshalb die Anstellung von Schulärzten ein unbedingtes Erforderniss der Zeit 
sei. (Autorreferat.) 

Nonne (Hamburg). 


Berliner Gesellschaft für Psychiatrie und Nervenkrankheiten. 

Sitzung vom 14. März 1898. 

Paul Cohn (als Gast): Vorstellung sweier Fälle von Friedreioh’soher 
Ataxie (cf. Originalmittheilung in dieser Nummer). 

Geelvink: Ueber alimentäre Glyoosurie bei Nervenkrankheiten. 

Vortr. führt aus, dass die Assimilationsfähigkeit für eine und dieselbe Zuckerart 
schon bei Gesunden schwankt und zeitlichen Differenzen unterlegen ist; auch die 
Grenze zwischen physiologischer und pathologischer Glycosurie ist eine schwankende. 
Ton Versuchen, welche man in dieser Richtung anstellte, müssen Patienten mit irgend 
welchen Verdanongstömngen (auch Alkoholiker und Fettleibige) ausgeschlossen werden, 
weil die Assimilationsfähigkeit in diesen Fällen in der einen oder anderen Weise 
gestört sei. 

Jacksch hat zuerst die Ansicht ausgesprochen, dass die Herabsetzung des 
As8imilation8vermögen8 zu den Symptomen der Neurosen gehöre. In ähnlichem 8inne 
änsserte sich Strümpell. Die neuesten Untersuchungen über diesen Punkt sind 
von Strauss, F. Mendel u. a. angestellt, an welche sich die Versuche des Vortr. 
anreihen. 

Vortr. untersuchte 82 Patienten; von diesen litten 46 an organischen Erkran¬ 
kungen des Centralnervensystems und 36 an Neurosen. Bei der ersten Kategorie fand 
Vortr. in 6,5 % ein positives Resultat Unter den 36 Fällen von Neurosen waren 
32 Fälle von Neurasthenie. Von diesen 32 waren 24 Patienten, welche ihre Krank¬ 
heit auf einen Unfall zurückführten. F. Mendel fand unter 25 Fällen von sogen, 
traumatischer Neurose 5 Mal alimentäre Glycosurie, während Strauss bei seinen 
Versuchen einen höheren Procentsatz batte; letzterer legt deshalb dem Trauma eine 
gewisse Bedeutung bei für die Entstehung der Glycosurie. Vortr. fand in dieser 
Beziehung zwischen traumatischer und nicht traumatischer Neurose nur einen un¬ 
wesentlichen Unterschied. Bei den organischen Erkrankungen, deren Entstehung auf 
ein Trauma zurückgeführt wurde, fand sich kein Fall, der positiv ausfiel. Auch 
sonst Hessen sich keine besonderen Symptome bei Neurasthenikern, welche alimentäre 
Glycosurie zeigten, nachweisen, durch welche sie sich vor den anderen irgend wie 


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aaszeichneten. Vortr. meint, dass auch ans seinen Versnoben hervorgehe, dass der 
diagnostische Werth der alimentären Glycosurie ein sehr geringer sei. 

Hirschfeld kann dem Vortr. bezfiglich seiner Ansicht über den diagnostischen 
Werth der alimentären Glycosnrie nur beistimmen. H. fand bei wohlgenährten Per* 
sonen nach einer Periode reichlicher Ernährung und Buhe Zucker im Urin auftreten; 
dieses Phänomen sah er wieder schwinden, wenn diese Personen auf schmälere Kost 
gesetzt waren und reichliche Muskelthätigkeit ausübten. 

Arndt hat auch diesbezügliche Versuche bei Hysterischen und bei Psychosen 
angestellt und kam dabei zu ähnlichen Resultaten wie Strauss. Er kann deshalb 
dem positiv ausfallenden Versuche, wenn er beständig ist, und Complicationen nicht 
vorliegen, einen gewissen diagnostischen Werth nicht absprechen. 

E. Mendel schliesst sich den Anschauungen des Vortr. an; die sehr kleinen 
Zahlen, mit denen Arndt operirt hat, sind nicht beweisend, ebenso wenig die kleinen 
Procentdifferenzen; M. hat sich mit der Frage vielfach beschäftigt, ein bestimmtes 
Resultat aber ist nicht erzielt worden. 

Falkenberg fragt an, ob die Patienten, die Arndt untersucht hätte, besonders 
unruhig waren und ob sie dabei vielleicht eine starke Muskelthätigkeit ausgeübt 
hätten. 

Arndt bestätigt letzteres. 

Schlapp: Ueber die örtliohen Verschiedenheiten der Qrosshirarinde. 

Angesichts der verschiedenen Anschauungen über die Schichtung der Hirnrinde, 
in dem einzelne Autoren (Bevan Lewis) annehmen, dass die Hirnrinde örtlich ver- 
schiedene Schichtungen zeigt, andere dagegen (Ramon y Cajal) der Ansicht sind, 
dass die Hirnrinde überall einen gemeinsamen Typus, nämlich einen vierschichtigen 
Bau aufweise, hat Vortr. noch einmal diese Frage einer genaueren Prüfung unter¬ 
worfen. Zur Lösung derselben hat er bei verschiedenen Thieren, Pteropus, Katze, 
Affe, und auch beim Menschen Frontal- und Horizontalschnitte durch die Grosshirn¬ 
hemisphären gelegt und letztere nach der Nissl’sehen Methode gefärbt Vortr. 
demonstrirt an diesen Präparaten den Bau der Hirnrinde in den verschiedenen 
Gegenden. Während bei Pteropus die Zellen der Hirnrinde einen ziemlich gleichen 
Bau zeigen und sich bei diesem Thiere ziemlich durchweg ein fünfschichtiger Typus 
auffinden lasse, ist die Hirnrinde bei höheren Thieren und beim Menschen je nach 
der Oertlichkeit verschieden. So sind z. B. die Schichten der grossen Pyramiden¬ 
zellen bei ihnen mehr an die motorischen Regionen geknüpft; ausserdem schwankt 
die Zahl der Schichten vielfach und man könne Rindenbezirke von nur vierschichtigem 
Bau und solche bis zu achtschichtigem Baue unterscheiden. Vortr. demonstrirt ferner 
an seinen Schnitten, wie gewisse Zellschichten an einzelnen Stellen mitunter sich 
allmählich verlieren, zuweilen sogar plötzlich aufhören. Er kommt dann speciell auf 
die Schichtung der Rinde der Sehregion zu sprechen, die von einzelnen Autoren in 
den Gyrus angularis, von anderen (Munk) um die Fissura calcarina verlegt wird. 

Auf Grund seiner Untersuchungen kann er sich bezüglich dieses Punktes nur 
den Anschauungen Munk’s anschliessen. 

Jacobsohn fragt, ob Vortr. ausser den schönen grossen Schnitten, die er an¬ 
gefertigt hat, vielleicht auch noch aus den einzelnen Regionen der Hemisphäre 
kleinere Stücke genommen und alle in gleicher Art, nämlich senkrecht zur Ober¬ 
fläche geschnitten habe. Auf solchen grossen Schnitten werde die Hirnrinde in den 
einzelnen Partieen zu verschiedenartig getroffen, die einen Theile mehr senkrecht, die 
anderen mehr horizontal. Je senkrechter nun der Schnitt falle, um so sicherer sei 
man, dass man alle Schichten der Rinde vor sich habe, und umgekehrt, je horizon¬ 
taler die Rinde durchschnitten werde, um so weniger Schichten werden getroffen 
sein. Dass diese verschiedene Schnittrichtung hier vorliege, gehe aus der ausser¬ 
ordentlich verschiedenen Dicke der Hirnrinde hervor, welche man an den Präparaten 


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sehe. Je schräger die Hirnrinde durchschnitten sei, um so weniger präge sich auch 
die Schichtung derselben ans. 

Schlapp erwidert, dass er die Hemisphären nach allen Richtungen hin durch* 
schnitten habe, und dass die Vergleiche der einzelnen Theile immer zu denselben 
von ihm demonstrirten Resultaten geführt haben. Jacobsohn (Berlin). 


Verein für innere Medioin in Berlin. 

Sitzung vom 17. Januar 1898. 

(Deutsche med. Wochenschr. 1898. Nr. 7.) 

Goldscheider: Veränderungen der Nervenzellen bei fiebernden 
Menschen. 

Goldscheider und Flatau fanden bekanntlich bei erwärmten Kaninchen Ver¬ 
änderungen der Nervenzellen mit Nissl’s Methode. Ganz analoge Anomalien fanden 
sich an den motorischen Ganglienzellen zweier fieberhafter Fälle: einmal handelte es 
sich um einen Tetanuskranken, welcher den letzten Tag 39,9 hatte, im zweiten Falle 
um ein scharlachkrankes Kind mit Temperaturen von 40,5—40,9 in den letzten 
zwei Lebensstunden. Ein Functionsausfall der veränderten Zellen trat nicht zu Tage. 
Bei welcher Temperatur die Zellenveränderungen auftreten, ist nicht sicher zu sagen. 

In der Discussion demonstrirt zunächst Brasch, Assistent Goldscheider’s, 
die Präparate der besprochenen Fälle. 

Klemperer fragt an, ob die Ganglienzellen Veränderungen wirklich nur von der 
Fieberhitze herrühren und ob nicht eventuell Wirkung des Scharlachgiftes vorliegen 
könne. 

Brasch konnte die gleichen Veränderungen in einem Falle von Myelitis und 
Meningitis mit terminaler Temperatursteigerung erheben, und glaubt daher, dass die 
Veränderungen der Ganglienzellen auf der Hyperpyrese allein beruhen, zumal ähn¬ 
liche Veränderungen bei Infectionskrankheiten, welche ohne so hohes Fieber einher¬ 
gingen, anscheinend nicht beobachtet sind. 

von Leyden möchte wissen, ob die Veränderungen, welche das Tetanusgift in 
den Ganglienzellen erzeugt, von den durch hohe Temperatur bedingten verschieden sind. 

Jakob bittet um Auskunft, ob die durch das Tetanustoxin bedingten Ver¬ 
änderungen bereits abgeklungen waren oder diese Veränderungen durch diejenigen, 
welche erhöhte Temperaturen herbeifbhren, nur verdeckt worden sind. 

Litten erinnert an seine Arbeiten über parenchymatöse Degeneration durch 
Ueberhitzung, und trägt, ob die Ganglienzellenveränderungen an stark erhitzten Tbieren 
ebenfalls rückbildungsfähig sind. 

Goldscheider bejaht die letzte Frage unter Hinweis auf seine früheren Mit¬ 
theilungen. Bei tetanisch gemachten Thieren findet sich eine Schwellung des 
Kernkörperchens und der Nissl’sehen Körperchen, weiterhin tritt Zerfall ein, endlich 
Restitution. Bei Ueberhitzung lösen sich die Nissl’schen Körperchen bis auf 
Reste auf, die Zelle wird gleichmässig hellblau, das Kernkörperchen oft eckig und 
verkleinert, die Plasmafortsätze schwellen an, werden homogen, die Nissl'schen 
Körperchen lösen sich in ihnen auf. Der Tetanuskranke starb am 6. Tage, die Frage 
der Beziehung der gefundenen Zell Veränderungen zu den tetanischen Veränderungen 
würde complicirtere Besprechung erheischen. 

Jastrowitz: Zar Kenntniss and Behandlung der Neuralgia oooipitalis. 
(Veröffentlichung erfolgt später in der Deutschen med. Wochenschr.) 

R. Pfeiffer (Cassel). 


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IV. Vermischtes. 


Zu der am 80. April und 1. Mai <L J. in Jena stattfindenden HL Versammlung 
mitteldeutscher Psychiater und Neurologen beehren sich die Unterzeichneten Ge¬ 
schäftsführer ganz ergebenst einzuladen. 

Sonnabend, den 30. April, von 8 Uhr Abends an: Gesellige Vereinigung im Hdtel zum 
schwarzen Bären. 

Sonntag, den l.Mai: I. Sitzung: 9 Uhr Vormittags; II. Sitzung: 1 Uhr Nachmittags, 
beide in der psychiatrischen Klinik, Oberer Philosophenweg 8. 

Festmahl: 4 1 /* Uhr Nachmittags im Hotel zum schwarzen Bären. 


Tagesordnung: 

1. Hitzig (Halle): Ein Beitrag zur Hirnchirurgie. — 2. Oppenheim (Berlin): Uber 
Brachialste und Brachial-Neuralgie. — 3. Mavser (Hildburghausen): Beitrag zur Lehre von 
der Manie. — 4. Sänger (Hamburg): Ueber hysterische Augenmuskelstörungen. — 5. Alt 
(Uchtspriuge): Ueber Gheel und die dortige familiäre Irrenpflege. — 6. Schäfer (Roda): 
Ueber angeborene isolirte Facialialähmung. — 7. War da (Blankenburg i./Th.): Ueber dege- 
nerative Ohrformen. — 8. Teuscher (Dresden): Einige Mittheilungen über suggestive Be¬ 
handlung. — 9. Laudenheimer (Leipzig): Ueber nervöse und psychische Störungen der 
Gummiarbeiter. — 10. Möbius (Leipzig): Psychiatrische Göthestudien. — 11. Stintzing 
(Jena): Beitrag zur Lehre vom Tetanus. — 12. Ilberg (Sonnenstein): Die Bedeutung der 
Katatonie. — 18. Ziehen (Jena): Beitrag zur Pathologie des circulären Irreseins. — 

14. Matthes (Jena): Ueber Rückenmarksveränderungen bei Poliomyelitis acuta. — 

15. Koppen (Berlin): Ueber Porencephalie. — 16. HöseHZschadrass): Ueber einige seltene 
secundäre Degenerationen nach Herden in der Insel und im Thalamus opticus. — 17. Bins- 
wanger (Jena): Pathologisch-histologische Demonstrationen, a) Zur Lymphcirculation der 
Grosshirnrinde, b) Artenosclerotische Hirndegeneration. 

Wenn auch eine Zeitdauer für die einzelnen Vorträge nicht bestimmt ist, so wird doch 
gebeten, dieselben thunlichst nicht über 20 Minuten und diejenige der Bemerkungen in der 
Discussion nicht über 5 Minuten auszudehnen. 

Anmeldungen zu weiteren Vorträgen werden baldigst, Anmeldungen zu der Theilnahme 
am Festmahl (Gedeck 4 Ms.) werden bis zum 20. Apru an den I. Geschäftsführer (Bins- 
wanger-Jena) erbeten. Die Herren Theilnehmer werden in der Lage sein, die Abend- 
schnell Züge in der Richtung Weimar, Gera, Grossheringen und Saalfeld zu benutzen. 

Das Hotel zum schwarzen Bären und das Hötel zur Sonne werden als Absteigequartire 
empfohlen. 

Um Weiter Verbreitung dieser Einladung wird gebeten. 

Gäste sind willkommen. Die Qeschifta führer: 


Binswanger (Jena). 


Hitzig (Halle). 


Die diesjährige Wanderversammlung der aiid westdeutschen Neurologen und 
Irren&rate findet am 21. und 22. Mai in Baden-Baden statt. Geschäftsführer sind 
Direotor Fr. Fisoher (Pforzheim) and Prof. J. Hoffmann (Heidelberg). 


V. Personalien. 

Unser verehrter Mitarbeiter Herr Dr. Sarbö wurde zam Privatdocenten an der 
Universität za Budapest ernannt 


VI. Berichtigung. 

Neurolog. CentralbL 1898, Seite 189, Zeile 15 von oben statt: von schweren Formen 
der Amnesie — schweren Formen der „Amentia“; Seite 282, Zeile 11 von unten, statt: 
Glubarducci — „Ghilarducci“. 


Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten. 

Einsendungen für die Bedaction sind zu richten an Prof. Dr. E.Mendel, 
Berlin, NW. Schiffbauerdamm 20. 

Verlag von V« i* & Comp, in Leipzig. — Druck von Mnnenn & Wittib in Leipzig. 


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Neurologisches Centralblatt. 


Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie 
und Therapie des Nervensystems einschliesslich der Geisteskrankheiten. 

Herausgegeben von 


Professor Dr. E. Mendel 

Siebzehnter " b#tUb ' Jahrgang. 

Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 24 Mark. Zn beziehen durch 
alle Buchhandlungen des In- und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Beiohs, frowie 

direct Ton der Verlagsbuchhandlung. 


1898. 15. April ._. Nr. 8. 

I. Originalmittheilungen. 1. Zar Aetiologie der funotioneilen Neurosen (Hysterie and 
Neurasthenie), von Dr. R. Vigouroux. 2. Ueber die allgemeine progressive Paralyse der Irren 
bei Frauen, von Dr. med. B. Greidenberg. 3. Untersuchungen über das Rückenmark und 
das Kleinhirn der Vogel, von Dr. A. Friedländer. (Fortsetzung folgt.) 

II. Referate. Anatomie. 1. Dje Leitungsbahnen des Rückenmarks und des Gehirns, 
von v. Bechterew. — Experimentelle Physiologie. 2. Ueber colorirten Geschmack, von 
Eberson. 3. Note sur un nouveau cae d’audition coloröe, par Grafö. 4. Further remarks on 
colour hearing, by Colman. 5. Interferenz zwischen verschiedenen Impulsen im Central¬ 
nervensystem, von Hofbauer. 6. Zu J. Roseuthals (Erlangen) and M. Menaelsohn’s (St. Peters¬ 
burg) Mittheilung: Ueber die Leitungsbahnen der Reflexe uud den Ort der Reflexübertragung, 
von Erben. — Pathologische Anatomie. T. Contributo all* anatomia patologica del 
trauma nervoso, per de Luzenberger. 8. Su d’una speciale alterazione delle cellule gangliari 
prodotta da trauma sperimeutale, per de Luzenberger. — Pathologie des Nervensystems. 
9. Ueber Unfallerkrankungen, von Schulz. 10. Ein Fall von schwerer Schädelläsion mit 
günstigem Ausgange, von Kunze. 11. Ueber einen weiteren Fall von nervösen Folgezuständen 
nach Gehirnerschütterung mit Sectionsbefund, von Friedmann. 12. Sub&raohuoiaeale seröse 
Exsudation nach Kopfverletzungen und dadurch hervorgerufene Drucksymptome, von Walton. 
13. Ueber das Auftreten von Hirngeschwülsten nach Kopfverletzungen, von Adler. 14. Von 
der Verwachsung oder Steifigkeit der Wirbelsäule, von v. Bechterew. 15. Bemerkung über 
die chronische ankylosirende Entzündung der Wirbelsäule und der Hüftgelenke, von Strümpell. 
16. Sur un cas de cyphose heredo-traumatique, par Marie et Astil. 17. Experimentelle Unter¬ 
suchungen über Rückenmarkserschütterung, von Kirchgässer. 18. Zur Beurtheilung der nach 
Eisenbahnanfällen auftretenden Erkrankungen, von Stadelmann. 19. Concussion of the spinal 
cord (railway spine), by Willard and Spiller. 20. Beitrag zur Beurtheilung der nach Eisen- 
bahnunfällen auftretenden Erkrankungen, von Stepp. 21. Ueber traumatische Blutungeu um 
und in das Rückenmark, von Stolper. 22. Zur Lehre von den Unfallserkrankungen des 
Rückenmarks: Ueber Poliomyelitis anterior chronica nach Trauma, von Erb. 23. Poliomyelitis 
anterior acuta nach Unfall, von Franke. 24. Ueber Nervenkrankheiten nach Rücken¬ 
verletzungen, von Laehr. 25. Zur Beurtheilung der Rückenschrnerzen bei Unfallpatienten, 
▼on Schuster. 26. Ueber organische Nervenkrankheiten nach Unfall, von Sänger. 27. Notes 
on a case of tr&umatic injnry of the pneumogastric, hypoglossal and sympathetic nerves, 
by Hirsch. 28. Traumatic neurasthenia and hysteria, by Knapp. 29. Ett fall af traumatisk 
bysteri, orsakad af en näl, som inträngt i venstra nälen, af Dahlborg. 30. Een geval trau¬ 
matische hysterie, door Muskeus. 31. Hysterische Tachypnoe nach Trauma, von Goldschmidt. 
32. Hysterische Hemiplegieen, von Auerbach. 33. Ueber hysterisches Stottern, von Cramer. 
34. Ueber Lnftdrncklähmungen, von Dräsche. 35; Minenkrankheit, von Lazarus. 36. Die 
Muskelthätigkeit in der pneumatischen Kammer, von v. Liebig. — Psychiatrie. 37. Eine 
neue Form der periodischen Psychosen, von Ziehen. 38. An analysis of three thousand 
cases of melancholia, by Mitchell. 39. Headache with visnal hallucinations, by Mitchell. 
40. Contributo allo studio della demenza consecutiva, per Mondio. 41. Ein Fall von acuter 
Psychose als Theilerscheinung einer Salicylsäureintoxicatiou, yon Saloschin. 42. Ueber In- 
toxicAtionspsychosen, von Westphal. 43. Ueber einen Fall von Querulantenw&hnsinn mit 
letalem Ausgang in „Delirium acutum“ bei einem Syphilitischen, von Henneberg. 44. Simu¬ 
lation von Geistesstörung, Typus: Copie des Kindes, l 1 /*jährige „Lähmung“, von Dietz. 
45. Om Simulation af Sindssygdom, af Kirsteln. 

III. PersenaHen. 


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Original fram 

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338 


I. Originalmittheilungen. 


1. Zur Aetiologie der functioneilen Neurosen 
(Hysterie und Neurasthenie). 

Von Dr. B. Vigoujroux, 

Mädecin de l’Institat Munioipal d’dlectrothdrapie (ä la Salpetrige) Paris. 

Unter dem oben genannten Titel hat soeben (Nenrolog. Centralbl. 1898. 
Nr. 6) E. Beebnacei eine interessante Arbeit veröffentlicht, über die einige Be¬ 
merkungen zu machen ich für nöthig erachte. Der Verfasser fasst folgender- 
maassen seine Schlusssätze zusammen: 

„Es erscheint wahrscheinlich, dass die sogenannten functioneilen 
Neurosen (Hysterie und Neurasthenie) keine primären Erkrankungen 
des Centralnervensystems, sondern nur secundäre Symptomen- 
complexe in Folge der Einwirkung der Producte einer, primären 
Oxydationsstörung auf das Nervensystem sind. Somit sollen die 
Hysterie und Neurasthenie Erkrankungen ganz von demselben 
Wesen sein, wie Zuckerkrankheit, Gicht, krankhafte Adiposität, 
überhaupt pathologische Zustände, welche auf abnormen Oxydations¬ 
processen im Organismus beruhen.“ 

Im .Anfänge seiner Mittheilung kündigt Beebnacki diesen Schluss an und 
fügt hinzu: 

„Darf ich meine Auffassung ganz neu vielleicht nicht nennen: dieses und 
jenes lässt sich wahrscheinlich hier und da auffinden, die Idee existirt, sozu¬ 
sagen, im schlummernden Zustande. Es scheint nur, dass die mitzutheilenden 
Ansichten in der gewählten Form und Abrundung noch nicht ausgesprochen 
wurden.“ 

Diese Annahme scheint mir nicht den Thatsachen zu entsprechen. Ich 
glaube im Gegentheil, dass diese Erklärung der Neurosen schon ganz klar ge¬ 
geben worden ist und selbst, wie wir es später sehen werden, in ganz gleichen 
Ausdrücken, wie diejenigen, deren sich Biernacki bedient hat Einige Citate 
sollen den thatsächlichen Stand der Frage zeigen. 

Betrachten wir zuerst Auszüge aus einem Kapitel über die Elektrotherapie, 
die ich im Traitö Elömentaire de Thörapeutique de Manquat (3. Ausgabe) ver¬ 
öffentlicht habe (Paris bei Bailliöre). Obgleich das Werk die Jahreszahl 1898 
zeigt, ist es thatsächlich Mitte 1897 erschienen. Im II. Bande, Seite 914 
heisst es: 

„Neurasthenie. La forme de la maladie oü röussit le mieux le traitement 
ölectrique et hygiönique est celle oü une influence arthritique est dömontröe, 
soit par les antöcedents, soit par l’examen urologique. C’est d’ailleurs la 


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339 


forme la plus commune et de beaucoup. L’analyse de Purine constate 
Pinsuffisance de la desassimilation et surtout un abaissement notable du 
coefficient azoturique.“ 

Seite 915: 

„Hysterie. Le choix des moyens de traitement depend de l’id4e que l’on 
se fait de la nature de la maladie. Dans ces derniers temps a prevalu l’opinion 
qui considere Phystörie comme une psychose. Nous ne la discuterons pas ici; 
mais en admettant qu’on ne se soit pas exag4re Pimportance des troubles psy- 
chiques, lesquels ne sont pas oonstants d’ailleurs et qu’on n’ait pas syst4- 
matiquement 4cart4 les symptomes d’ordre commun, il n’en reste pas moins 
entre l’hyst4rie et certaines diathöses, des relations qui ne sauraient ßtre indiffe¬ 
rentes. En d’autres termes, nous ne pouvons pas n4gliger le terrain oü 4volue 
cette psychose. Or, on connait d4jü cliniquement ies rapports de 
l’hyst4rie avec le groupe dit arthritique. Dans les nombreuses aha- 
lyses que nous avons fait faire d’urines provenant de malades at- 
teints d’hyst4rie convulsive ou non, nous avons toujours constat4 
et ä un degr4 tres marqu4, les caractöres qui indiquent un ralen- 
tissement des combustions et de la d4sassimilation. ... II y a donc 
chez les hyst4riques une maladie diathesique qui a pr4c4d4 la psy¬ 
chose et l’accompagne. Et nous avons ainsi ä envisager le traite¬ 
ment & deux points de Tue: l°la diathöse ou l’4tat de la nutrition; 
2° les accidents nerveux proprement dits. De ces deux points de 
vue, le premier est sans contredit le plus important.“ 


Seite 916: 

„Maladie de Basedow. Cette maladie forme avec les deux pr4c4dentes 
(Neura8th4nie et hyst4rie) une- triade indissoluble pour plusieurs raisons. D’abord 
on les rencontre fr4quemment associ4es ou combin4es; ensuite eiles ont les 
m4mes traits caracteristiques en ce qui concerne la nutrition et les 
m4mes affinit4s cliniques. Elles se relien-t toutes trois a un groupe de 
maladies, teil es que le diab4te, le rhumatisme, la lithiase h4pa- 
tique et r4nale, l’ob4sit4, la goutte, la chor4e, la migraine, qui les 
compliquent fr4quemment. ... L’examen de Purine suffit alors h montrer 
Palternance k intervalles irr4guliers de deux 4tats oppos4s de la nutrition. L’un 
est caract4ri84 par la diminution de toüs les excrets normaux et la faiblesse du 
coefficient azoturique; c’est la persistance de la diath4se. L’autre diam4tralement 
oppos4, et dü ä l’intoxication thyroldienne, pr4sente tous les caract4res de la 
d4nutrition rapide etc.“ 

Diese Auszüge wiederholen nur die Ansichten, welche ich seit langer Zeit 
n einigen Zeitschriften und zwei Büchern (augenblicklich vergriffen) vertreten habe. 

Ich werde nur von den beiden letzteren sprechen. Das erste betitel sich: 
Die Neurasthenie von Levillain, mit einem Vorwort von Prof. 
Chabcot und einer therapeutischen Mittheilung von Dr. R. Vigou- 
roüx, Paris 1891, bei Maloine. 


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In dieser Mittheilung, welche von der vollständigen Behandlung der Neur¬ 
asthenie handelt, empfehle ich als hauptsächlichstes elektrisches Mittel die 
Franklinisätion, und ich begründete meine schon langjährige Ansicht durch die 
Wirkung, welche die statische Elektricität auf den organischen Stoffwechsel 
und hauptsächlich auf die Oxydationen ausübt Meiner Ansicht nach muss auch 
die Behandlung der Hysterie im Wesentlichen deijenigen der Neurasthenie 
gleichen. 

In dem zweiten Werke ist die Frage enger begrenzt, wie es schon der 
Titel anzeigt: Neurasthenie und Arthritisme von R. Vigouroux, Paris 
1898, bei Maloine. Ich will davon nur einige Zeilen hervorheben, um das so¬ 
eben Mitgetheilte zu vervollständigen. 

Seite 2: 

„II est pourtant naturel de reconnaltre que l’616ment nerveux n’est pas 
isoie dans l’organisme et qu’il est soumis aux memes infiuences communes que 
les autres. Ainsi il se nourrit, il est en contact avec le plasma; sa maniöre 
d’ötre, ses fonctions doivent se ressentir des variations eventuelles de la com- 
position du sang. C’est dono par une d6duction logique que dans la thdra- 
peutique des nevroses, apr&s avoir accorde l’attention voulue ä la 
forme des troubles fonctionnels, nous chercherons une influence 
possible dans l’dtat de la nutrition.“ 

Seite 23: 

„La maladie (diath&se) acide, ecrivait Bence Jones en 1867, est 
oaracterisee par la diminution des oxydations et l’insuffisance de 
l’eiimination des dechets. 

C’est exactement l’etat morbide si bien dtudie plus tard par Bouchard sous 
le nom de ralentissement de la nutrition et qui correspond, comme on sait, ä 
l’arthritisme de Bazin et ä l’herpetisme de Lancereaux. 

Les. neurästh^niques sont donc des arthritiques. La proposition 
n’est pas nouvelle; mais jusqu’ä präsent eile ne s’appuyait que sur des consi- 
dörationsoliniques, c’est-ä-dire discutables. L’urologie lui donne l’objectivite 
et la nettete d’un fait chimique.“ 


Seite 39: 

„L’hypothermie est le räsultat Evident de la moindre oxydation. Chez les 
neurasthäniques ce räsultat peut avoir une influence pathog£nique. Ainsi l’in¬ 
suffisance du calorique produit ddtermine des processus de compensation tendant 
ä diminuer la perte de chaleur par rayonnement. Tels sont les spasmes vas- 
culaires qui ischemient les töguments et donnent lieu ä des anösthesies cutanäes 
ou ä des sensations de froid. 

Donc l’unique conclusion ä tirer fle ces donnöes est que l’ar- 
thritisme est une condition nöcessaire au ddveloppement de la 
neurastlränie. Aller plus loin serait se jeter dans les hypothäses. 

Parmi celles-ci, une des plus acceptables est l’auto-intoxication. 


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341 


Je ferai remarquer qu’ou peut l’admettre sans lui supposer, comme fojer d’ori- 
gine, une dilatation de restomac. 

Les conditions de la nutrition, l’insuffisance de l’älimination cbez les arthri- 
tiques rendent vraisemblable la formation et la rätention des matteres toxiques.. 

Seite 100: 

„Le syndrome de Basedow qui, ainsi qu’on le sait, complique parfois la 
neurasthenie.“ 

Seite 109: 

„Reflexions genärales sur le traitement de la neurasthenie. Le 
caractäre principal de ce traitement est d’ätre antidiathesique et 
non symptomatique. II est fondä sur l’ätat.de la nutrition appräoiä 
au moyen de l’urologie.“ 

Seite 111: 

„La franklinisation agit ävidemment sur l’äläment nerveux, mais l’obser 
vation clinique et l’expärimentation .physiologique prouvent qu’en outre eile active 
les processus de la nutrition.“ 

Im Yorgehenden habe ich zur Genüge gezeigt, dass ich ganz klar die 
Theorie der Neurosen seit einer Reihe von Jahren auseinandergesetzt habe. Ich 
füge noch hinzu, dass ich mich bei meinen Auseinandersetzungen einerseits auf 
Hunderte von Analysen, andererseits auf therapeutische Resultate stütze. 

Es ist sehr beachtenswerth und sehr erfreulich, dass Biebnacki auf ganz 
anderen Wegen zu denselben Schlüssen gekommen ist Diese Thatsache wird 
genügen, auf eine gleich wichtige, sowohl theoretische, als auch praktische Frage 
aufmerksam zu machen. 

In einer demnächst erscheinenden Arbeit über die Neurasthenie werde ich 
Gelegenheit haben, die wichtige Rolle, welche die Dyscrasie spielt, zu betonen 
und die beschränktere Rolle der psychischen Einflüsse und der Ueberarbeitung 
zu zeigen. Dabei werde ich zugleich einige urologische Thätsachen meiner 
Arbeit von 1893 berichtigen. 


2. Ueber die allgemeine progressive Paralyse der Irren 

bei Frauen. 1 

Von Dr. med. B. Greidenberg, 

dirigirendem Arzt der Landesirrenanstalt zu Symferopol (Krim-Russland). 

Hochgeehrte Versammlung! Wenn ich mir die Freiheit nehme heute vor 
einem solchen competenten Auditorium mit einem Vortrage über die allgemeine 
Paralyse vorzutreten, so thue ich es gewiss nicht deswegen, weil ich Ihnen 

1 Vortrag, gehalten in der Section ffir Nerven- und Geisteskrankheiten des XII. inter¬ 
nationalen Congresses in Moskau im August 1897. 


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342 


etwas Neues über diese Allen hinlänglich bekannte Krankheit mittheilen könnte, 
sondern, weil — wie ich schon einmal Gelegenheit hatte in einem anderen Vor¬ 
trage über dasselbe Thema mich auszusprechen 1 — die progressive Paralyse 
eine par excellence individuelle Krankheit darstellt, sie trägt an sich um so 
mehr als irgend eine andere psychische Form locale, nationale, intellectuelle, 
professionelle, sociale und noch andere Merkmale der Kranken, dass jeder 
Psychiater, welcher ein ziemlich genügendes klinisches Material besitzt, immer 
noch über diese Krankheit sein Wort äussern kann. In der letzten Sitzung 
des Vereins russischer Aerzte zum Andenken Pirogoff’s in Kiew theilte ich 
meine Beobachtungen über die progressive Paralyse im Allgemeinen mit, heute 
will ich über diese Krankheit speciell bei Frauen sprechen. 

Die Geschichte der Lehre über die progressive Paralyse bei Frauen stellt 
etwas Merkwürdiges dar. Noch Mitte unseres Jahrhunderts wurde die Krank¬ 
heit bei Frauen gänzlich verleugnet, und sogar im Jahre. 1859 behauptete ein 
solch’ erfahrener Psychiater wie Neumann, dass die progressive Paralyse eine 
ausschliesslich männliche Krankheit sei, dass er keine Ausbildung einer echten 
progressiven Paralyse bei der Frau ebensowenig wie z. B. eine Nymphomanie 
bei dem Manne, zulassen könne. Aber schon im Jahre 1870 stellte Sandeb 
die Ansicht auf, dass die progressive Paralyse nicht zu den seltenen Formen 
der Psychosen bei Frauen gehöre, dass die Häufigkeit derselben bei den letzteren 
nicht minder sei als bei den ersteren. Seitdem und im Laufe des verflossenen 
Vierteljahrhunderts interessirte die progressive Paralyse bei Frauen die Irren¬ 
ärzte immer mehr und mehr, und in Folge dessen besitzt sie jetzt eine ziemlich 
umfangreiche Litteratur. Ueber die weibliche Paralyse schrieben in Deutsch¬ 
land nach Sander: Krafft-Ebing, Sioli, Kornfeld, Jung, Fritsch, 
SCHÜLE, SlEMERLING, WOLLENBERG, KELLNER, FrAENKEL, GREPPIN, BeRG, 

Näcke, Hulisoh; in Frankreich: Adam, Rey, Gilbert, Petit, REgis, 
Colovitch, Nicolau, Raymond, Cullerbe, Garnier; in England: Clevenger; 
in Dänemark: Jacobson; in Italien: Sepilli und endlich bei uns in Russland: 
Tiohomirow und Jdanow. 

Ausser den allgemeinen Fragen der Lehre über die progressive Paralyse 
. interessirten sich die Autoren, welche speciell diese Form Lei Frauen erforschten, 
hauptsächlich für-zwei Fragen: 

1. die Häufigkeit der Paralyse bei Frauen im Vergleich mit Männern und 

2. die. Besonderheiten ihres klinischen Bildes. 

Diese beiden Fragen werden bis zur letzten Zeit von verschiedenen Autoren 
verschiedenartig gelöst, was gewiss ganz natürlich ist, wenn man alle die viel- 
und verschiedenartigen Bedingungen beachtet, welche zusammengefasst die 
Aetiologie der progressiven Paralyse bilden. 

Meine eigenen Beobachtungen beziehen sich auf den Zeitraum von 12 Jahren, 
vom Jahre 1885 bis zum Jahre 1896. Während dieses Zeitraums wurden in 

1 Zur Statistik und Aetiologie der allgemeinen progressiven Paralyse der Irren. Neurolog. 
Centralbl. 1897. Nr. 10. 

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343 


die von mir geleitete psychiatrische Abtheilung des Landeskrankenhauses in 
Symferopol — die zurückläufigen und recurrirenden Einkommenden ausgenom¬ 
men — eingeliefert: 



i, M&nner 

| Frauen 

i 

Total 

Geisteskranke überhaupt .... 

... 1795 

1 776 

2571 

Von diesen an Paralyse erkrankt . 

... 272 

68 

340 

In Procenten. 

... ! 15,15 

8,76 

13,26 


Wie man sieht, kommen in der genannten Periode auf je 100 Einlieferungen 
etwas mehr als 15 Fälle von Paralyse bei den Männern und fast 9 bei den 
Frauen; anders gesagt: bei den Männern kam 1 Fall von Paralyse auf je 6 Ein¬ 
lieferungen und bei den Frauen auf je 11. 

Das Zahlenverhältniss der beiden Geschlechter war: nicht relativ 272:68 
oder 4:1, d. h. auf je 100 eingeüeferte Paralytiker-Männer kamen 25 Frauen, 
und relativ 15,21:8,76 oder 1,13:1, d. h. auf je 100 Erkrankungen an Para¬ 
lyse bei Männern kamen 58 bei Frauen. Diese Zahlen sind höher als diejenigen, 
welche bisher von den anderen Autoren, die sich mit der Statistik der pro¬ 
gressiven Paralyse bei Frauen beschäftigten, erlangt wurden. Unbeachtet der 
früheren Statistiken, in welchen die Zahlen der Paralytiker-Männer bedeutend 
die der Paralytiker-Frauen übersteigen (bis 50:1, wie bei Eblenmeyeb) und 
nur die späteren beachtend, sehen wir, dass bei den meisten Autoren das Ver- 
hältniss der beiden Geschlechter für die progressive Paralyse zwischen 3—4—5:1 
schwankt Bei Jung z. B. gleicht dieses Verhältniss 4,5:1, bei Siemebung 
3,5:1, bei Eaes und Metnebt 3,4:1, bei Kbafpt-Ebing steigt es bis 6:1 
und bei Schüle sogar bis 7:1. Nach den Forschungen von Jdanow schwankt 
dieses Yerhältniss für Dänemark, Oesterreich, Spanien, Deutschland und Russ¬ 
land ca. 3,5:1 und für England, Belgien und Frankreich ist es etwas grösser, 
steigt aber nicht über 2,4:1. Durchschnittlich gleicht das Zahlenverhältniss der 
beiden Geschlechter für die progressive Paralyse in diesen Ländern 3,08:1, 
d. h. auf je 100 Paralytiker-Männer kommen 30 Frauen und nur in Frankreich 
und Belgien 40. Aus den Journalen der Poliklinik für Nervenkranke von Prof. 
Mendel in Berlin fand Hulisch unter 23 500 Ambulanten 290 Fälle von pro¬ 
gressiver Paralyse, 231 Männer und 59 Frauen, d. h. ein Zahlenverhältniss von 
3,9:1 oder fast 100:25. Gabnieb auf die Zahlen der Pariser Polizei-Präfectur 
für die Jahre 1886, 1887 und 1888 bezugnehmend, fand ein absolutes Zahlen¬ 
verhältniss 2,5:1 und ein relatives 1,7:1, d. h. dieselbe Zahl, welche auch ich 
gefunden habe. Speciell für Russland fand Jdanow, nachdem er mehr als 
10000 Geisteskranke analysirt hatte, dass die progressive Paralyse bei Männern 
13,8°/ 0 Einlieferungen giebt, bei Frauen 4,38 °/ 0 im Vergleich mit anderen 
psychischen Krankheiten, so dass das Yerhältniss der Erkrankungen an Paralyse 
zwischen beiden Geschleohtem gleicht 3,5:1. Meine Zahlen sind also 2 Mal höher. 

Die Zunahme der Erkrankungen an progressiver Paralyse bei Frauen, schon 
von Juno angedeutet, unterliegt jetzt, wie es scheint, keinem Zweifel mehr, da 

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344 


es von einer ganzen Reihe Autoren durch zahlreiche Statistiken bestätigt wird. 
Planäs und Gabnieb, welche beide das Material der Pariser Polizei-Präfectu: 
benutzten, bekamen in dieser Hinsicht sehr beweisende Resultate, nämlich: 



Ij 

Jahre 

Zahl der paralytischen Kranken in Procent 



Männer | 

Frauen j Verhältniss 

Planes . . . 

• • • |j 

1878—1886 

12,0 

cvT 

© 

»o 

Garnier . . . 


1886—1888 

14,7 

8.7 1,7 : 1 


In der Zwischenzeit von 10 Jahren nahm die Zahl der Erkrankungen bei 
Frauen relativ bedeutend mehr zu als bei Männern. Nachdem Gabnieb die 
Zahlen über die pregressive Paralyse im Zeitraum von 15 Jahren (1872—1888) 
zusammengestellt hatte, gelangte er zu dem Resultate, dass die alljährliche Zahl 
der Erkrankungen während dieser Zeitperiode sich verdoppelt hatte, wobei bei 
Männern weniger als doppelt (von 137 bis 251) und bei Frauen 2 1 /, Mal mehr 
(von 37 bis 103). Ebenfalls solche instructive Resultate bekam auch Kbafft- 
Ebing nach der Zusammenstellung der Einlieferungen der paralytischen Kranken 
in den deutschen Irrenanstalten während der letzten 20 Jahre. Und zwar 
war in der Berliner Charitä das Procent der Einlieferungen der paralytischen 
Frauen in den Jahren 1873—1877 = 5,65 °/ 0 , aber in den Jahren 1888—1892 
= 14,1 °/ 0 . In der Wiener psychiatr. Klinik war der Prooentsatz der aufgenom¬ 
menen paralytischen Frauen in der ersten Periode 4,4 und in der zweiten 10°/ o . 
Nur Stewabt kam in seiner letzten Arbeit, auf die statistischen Angaben der 
englischen Irrenanstalten gestützt, zu dem Resultate, dass die Zunahme der 
Erkrankungen an progressiver Paralyse wenigstens in England den Männern 
ausschliesslich zugeschrieben werden muss. 

Diese Zunahme der Einlieferungen der paralytischen Kranken fand auch 
bei uns statt, indem sie relativ auch bei Frauen schroffer war als bei Männern, 
wie man aus folgender Tabelle sieht: 


Jahr i 

Aufgenommen 

Gesaromtzahl der Kranken 'j 

Darunter mit Paralyse 



Männer j 

Franen j 

Total j^Männer | 

Procent | Frauen | 

Procent | Total 

Procent 

188h—1890 

853 

368 | 

1221 j 91 

|1 

10,7 j 18 

4,9 j 109 j 

8,9 

1891—1896 

942 

408 | 

1350 j; 181 

19,2 | 50 ; 

12,3 103 

i 1 

17,1 


In der zweiten Hälfte dieser Periode war die allgemeine Zahl der auf¬ 
genommenen Kranken mit progressiver Paralyse doppelt so gross, als in der 
ersten, wobei die Männer relativ weniger und die Frauen fast 2 1 /, Mal mehr 
Einlieferungen gaben. 

Die gegenwärtige Zahl der paralytischen Kranken in der Abtheilung ver¬ 
änderte sich gegen ihre allgemeine Zahl in dem Zwischenräume von 12 Jahren 
sehr bedeutend, nämlich: 


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345 


Gesammtz&hl 
der Kranken in der | 
Abtheilung 


Darunter mit 
progressiver Paralyse 


Verhältnis8 in Procent 


Männer j 

Frauen | 

Total , Männer | Frauen ‘ Total ! Männer 

| Frauen 

! Total 

1. Januar 1896 j 150 

i 84 

234 ' 8 j 2 10 jl 5,3 

2.4 

4,2 

1. Januar 1897 j 263 

161 

| 

; 424 ! 30 12 42 ' 11,4 

1 : 1 ü • i 

7,5 

9,9 


Mit anderen Worten, die Zahl der Paralytiker vergrößerte sich relativ 
doppelt and die der paralytischen Frauen dreifach. 

Nach den gewöhnlich gebräuchlichen Kategorien gaben die paralytischen 
Frauen folgende Zahlen: 

1. Alter. Das früheste Alter unserer Kranken war 22 und das späteste 
64 Jahre; in diese beiden Grenzalter kam je eine Patientin. Bei den Männern 
waren beide Grenzalter 21 und 66 Jahre. Im Alter vor 30 Jahren wurden 
6 Kranke anfgenommen (d. h. 8,8 %), vor 35 Jahren 12 (17,6°/ 0 ). Die höchste 
Zahl der Einlieferungen war in dem Alter von 35—50 Jahren 20 (29,5 °/ 0 ). 
Wie man sieht, gleichen diese Zahlen denjenigen, welche ich früher bei Männern 
erlangte, so dass es hinsichtlich des Alters der Erkrankung an progressiver 
Paralyse zwischen beiden Geschlechtern keinen bedeutenden Unterschied giebt. 

2. Stand. Fast alle unsere Kranken waren aus dem einfachen Stande 
(Bäuerinnen, Kleinbürgerinnen, Landfrauen); nur vier gehörten dem mittleren 
Stande an: eine Beamtenfrau, eine Adelige, eine Kaufmannsfrau und eine aus 
dem geistlichen Stande. Hinsichtlich des Standes verhielten sich beide Ge¬ 
schlechter äusserst verschieden. Die mehr oder minder privilegirten Stände 
gaben 52 Einlieferungen bei den Männern und nur 4 bei den Frauen, die ein¬ 
facheren aber 221 Einliefernngen bei Männern und 64 bei Frauen, was den 
Procentsatz bei den ersteren 19,1% Männer und 5,9% Frauen und bei den 
zweiten 80,9% Männer und 94,1 °/ 0 Frauen bildet. Mit anderen Worten: in 
den privilegirten Ständen gaben die Frauen über 3 Mal weniger Einlieferungen 
als die Männer, in den einfacheren umgekehrt — fast 15% mehr als die 
Männer. Auf die ausschliessliche Verbreitung der progressiven Paralyse unter 
den Frauen der niederen Klassen und im Vergleich auf ihr selteneres Vor¬ 
kommen bei den Frauen höherer Klassen wiesen die Autoren schon längst hin. 
So giebt Simon an, dass Eblenmeyeb und Mabtini in den Privat- und 
Pensionsanstalten für Gemüthskranke wohlhabender und höherer Klassen unter 
100 Männern 34 mit progressiver Paralyse, unter 117 Frauen aber nur eine 
fanden. Larhb. behauptete, in seiner Anstalt unter 800 geisteskranken Frauen 
nur 3 paralytische zu haben. Nach den Zahlen von Colovitch konnte man 
in den französischen und deutschen Privatanstalten auf 310 Paralytiker-Männer 
nur 16 Frauen vorfinden, d. h. 5 auf 100 oder 1 auf 20. 

3. Beruf. Fast die Hälfte aller unserer Kranken (32 von 68 oder 47%) 
waren nur Hausfrauen, die andere Hälfte bildeten Dienstboten (9 oder 13,2%), 
Schneiderinnen (7 oder 10,3%) und verschiedene zufällige Arbeiterinnen, meisten- 
theils Tagelöhnerinnen; eine Kranke war Prostituirte. 


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346 


4. Wohlstand. Mit einzelnen Ausnahmen gehörten unsere Kranken den 
ärmsten Klassen an. 

5. Ehestand. In dieser Hinsicht waren die Kranken folgendermaassen 
vertheilt: verheirathete 40 (60,3%), ledige 11 (l6,2°/ 0 ), Wittwen 9 (13,3%) 
und nicht Ermittelte 7 (10,3%). 

6. Wohnort. Die grösste Zahl der Kranken — 53 oder 78% — ge¬ 
hörte den städtischen Einwohnern, die mindere — 15 oder 22% — den länd¬ 
lichen an. 

Aetiologie. Vollständig sichere anamnestische Angaben konnte ich nur 
bei 39 Kranken feststellen und zog vor, zweifelhafte oder wenig wahrscheinliche 
Angaben gänzlich wegzulassen, um zu ganz sicheren Resultaten durch unum- 
stössliche Zahlen zu gelangen. Nachdem ich, wie in meiner ersten Mit¬ 
theilung, fünf hauptsächliche Ursachen der progressiven Paralyse — Lues, 
Alkoholismus, Heredität, moralische Erschütterungen und Trauma — festgestellt 
hatte, erhielt ich folgende Zahlen: 



j Einzeln 
j genommen in 
• Procent 

Combinirt 
miteinander 
in Procent 

Lues ......... 

25,6 

41,0 

Alkoholismus. 

17,9 

43,6 

Heredität. 

• I 12 - 8 

23,0 

Moralische Erschütterungen . 

• j 12,8 

12,8 

Trauma. 

. ' 5,1 ! 

10,2 


Zum Vergleiche der Zahlen Verhältnisse der combinirten Ursachen der Para 
lyse bei Männern und Frauen kann folgende Tabelle dienen: 

In Procent 



' Männer 

Frauen 

Lues. 

67,0 

41,0 

Alkoholismus . . 

: 36,4 

43,6 

Heredität. 

20,0 

23,6 

Moralische Erschütterungen . . 

9,1 

12,8 

Trauma. 

i 4,1 

10,2 


Wenn wir also die fast bei beiden Geschlechtern identische Heredität aus- 
schliessen, so finden wir, dass nur die Procentzahl der Lues bei den Männern 
viel stärker ist, nämlich 1% Mal mehr; die übrigen drei Ursachen sind um¬ 
gekehrt, bei den Frauen bedeutend stärker als bei den Männern, nämlich: Alkoho¬ 
lismus und moralische Erschütterungen 1% Mal mehr und Trauma sogar 2% Mal’ 
mehr. Da aber die Zahl der durch Trauma bedingten Fälle relativ sehr gering ist 
und das grössere Uebergewicht der moralischen Erschütterungen bei Frauen in der 
höheren Erregbarkeit ihres Nervensystems im Vergleiche mit dem der Männer 
die Erklärung findet, so bekommt eine besondere Bedeutung der Alkoholismus, 

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347 


auf dessen ätiologische Rolle bei der progressiven Paralyse bei Frauen ich schon 
in meinem ersten Vorträge hin wies. Diese Bedeutung des Alkoholismus zeigt 
sich noch deutlicher, wenn man die Vertheilung der Ursaohen der progressiven 
Paralyse bei den Patienten mit nnd ohne früherer Lues nebeneinander stellen 
will. Es zeigt sich dann: 


Männer 


Frauen 


1 

i Mit Syphilis 

Ohne Syphilis 1 Mit 

Syphilis 

Ohne Syphilis 


j 

Procent 



Alkohoiismus. 

18,6 

17,8 |! 

15,4 

23,0 

Heredität.i 

11,8 

7,7 

2,5 

20,5 

Moralische Erschütterungen 

0,4 

8,6 1 


; 12,8 

Trauma . 

| 0,4 

4,1 |! 

0,4 

10,2 


Man sieht, dass der Antheil des Alkoholismus in der Aetiologie der Para¬ 
lyse bei Männern bei den Syphilitikern ebenso stark wie bei den Nicht-Syphi¬ 
litikern ausgedrückt ist, bei Frauen dagegen gaben die Nicht-Syphilitischen eine 
bedeutend höhere Procentzahl des Alkoholismus, fast 1 1 / a Mal mehr als die 
Syphilitischen. Ebenso erwies sich die Heredität bei den Männern in geringerer 
Abhängigkeit von der früheren Lues als bei den Frauen: bei den ersteren gaben 
die Syphilitischen ein nur geringeres Uebergewicht der Heredität im Vergleiche 
mit den Nicht-Syphilitischen, bei den letzteren war die Heredität 8 Mal grösser 
(in Procent) als bei den Syphilitischen. 

Ueber die Rolle des Klimakteriums, welchem einige Autoren früher eine 
zu grosse Bedeutung in der Aetiologie der progressiven Paralyse bei Frauen 
zuschrieben, kann ich nichts Positives sagen; die Mehrzahl unserer Patienten 
kam in die Anstalt vor der Klimakteriumsperiode und menstruirte während ihres 
Aufenthaltes in derselben bis zum Beginne des paralytischen Marasmus ziemlich 
regelmässig. 

Was die sexuellen Excesse betrifft, so kann ich denselben auch keinen be¬ 
sonderen Ort in der Reihe der Ursachen der Paralyse bei Frauen anweisen, 
ln den jedenfalls wenigen Fällen, in welchen diese Ursache in der Anamnese 
der Kranken besonders verzeichnet war, existirte beständig auch eine andere 
active Ursache — der Alkoholismus. 

Ich sagte absichtlich bisher nichts über die von Allen als die häufigste und 
wirksamste anerkannte Ursache der Paralyse — den Kampf ums Dasein — und 
nicht deswegen, weil ich derselben eine zu geringe Bedeutung in der Aetiologie der 
genannten Krankheit zugeschrieben hätte, im Gegenteil, weil ich diese Ursache 
mit einzelnen Ausnahmen für eine allgemeine in den meisten Fällen der Para¬ 
lyse bei beiden Geschlechtern rechne. Aber die Sache ist die, dass der Kampf 
ums Dasein eigentlich kein bestimmtes ätiologisches Moment ist, sondern ein 
collectiver Begriff zur Benennung des ganzen (Komplexes der ungünstigen Lebens¬ 
verhältnisse, in welchen unsere heutige Gesellschaft lebt und wirkt fast ohne 
Ausnahme der Glassen und Stände. Der Kampf ums Dasein bereitet den 


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848 - 


Boden vor, auf welchem die verschieden ungünstigen Momente wie Lues, Alkoho¬ 
lismus, moralische Erschütterungen u. s. w. sich leicht und schnell äussern. 

Klinisches Bild. Wenn die ersten Autoren, welche über die progressive 
Paralyse bei Frauen schrieben, mehr oder weniger das klinische Bild hei der¬ 
selben von dem bei Männern abgrenzten, so sind in der letzten Zeit mehrere 
Aerzte der entgegengesetzten Meinung, indem sie behaupten, dass das klinische 
Bild der Paralyse bei beiden Geschlechtern keinen bedeutenden Unterschied dar¬ 
stelle. Es scheint mir, dass die Wahrheit auch hier wie in vielen anderen 
Fällen in der Mitte zu suchen sei. Vielleicht giebt es jetzt keine rationellen 
Gründe, eine specielle weibliche Form der Paralyse, wie es Ball und Regis 
vorlegten, aufzustellen, es unterliegt aber keinem Zweifel, dass die so zu sagen 
klinische Physiognomie der Krankheit bei Frauen im ganzen in den meisten 
Fällen eine besondere Eigenthümlichkeit vorstellt 

Schon im Jahre 1870 wies Sander auf folgende Grundbesonderheiteu der 
Paralyse bei Frauen hin: 1. den Auftritt in einer etwas höheren Altersstufe, 
2. den langsameren Verlauf, 3. das Uebergewicht der dementen Form der 
Krankheit, 4. das lange Prodromalstadium und den langsameren Uebergaug zur 
vollkommenen Ausbildung der Krankheit, 5. den milden und ruhigen Charakter 
des Wahnes, 6. die Seltenheit der paralytischen Anfälle und 7. die weniger aus¬ 
gesprochenen anatomischen Veränderungen des Centralnervensystems. Die 
späteren Beobachtungen bestätigten im Allgemeinen diese Thesen von Sandeb, 
die erste (Alter) und sechste (Seltenheit der paralytischen Anfalle) vielleicht 
ausgenommen. Aber dank den bedeutenden Fortschritten der letzten Jahre in 
der Lehre über die progressive Paralyse im Allgemeinen verbreitete sich die 
Kenntniss ihrer speciellen Symptomatologie bei Frauen. 

Ohne viel ins Einzelne überzugehen, kann man im Allgemeinen annehmen, 
dass in dem klinischen Bilde der Paralyse bei Frauen im Gebiete der soma¬ 
tischen Erscheinungen die Ausfallsymptome diejenigen der Erregung und in 
dem Gebiete der psychischen Erscheinungen die ruhige Demenz die manische 
Exaltation übersteigen. 

Im Folgenden gebe ich eine vergleichende Tabelle der relativen Häufigkeit 
der klinischen Hauptsymptome der Paralyse bei beiden Geschlechtern an: 


! 

In Procent 

Männer 

Frauen 

Bewegungsstörungen .... 

59,6 

47,1 

Störungen der Sprache.... 

64,7 

52,9 

Paralytische Anfälle..... 1 

36,7 

26,5 

Grössenwahn ...... 

34,2 

33,8 

Hallucinationen. 

j 15,8 

14,7 

Verfolgungswahn. 

3,3 

13,3 


Die Störungen der Motilität und der Sprache waren bei den Männern 
häufiger als bei den Frauen, ebenso wie die paralytischen Anfälle; der Grössen- 

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349 


wahn aber und die Hallucinationen gaben fast dieselben Zahlen bei beiden 
Geschlechtern, der Verfolgungswahn sogar bedeutend grössere bei Frauen-, 
könnte es nicht in Folge des grossen Antheils bei ihnen am Alkoholismus in 
der Anamnese sein? 

Der Verlauf der progressiven Paralyse bei den Frauen ist ein langsamer, 
ruhiger und milder, ohne stürmische Anfälle maniakaler Aufregung, die so 
charakteristisch bei den Männern sind. Deswegen dauert die Krankheit bei 
den Frauen auch länger als bei den Männern. Wenn man die späten Ein¬ 
lieferungen und die zufälligen Entlassungen tfdsschliesst und nur die Mittel¬ 
zahlen der Dauer der Paralyse bei beiden Geschlechtern in Acht nimmt, so 
zeigt es sich, dass bis zum Exitus letalis in der Abtheilung blieben: 

Ij In Procent 




Männer 

Frauen 

Von 1 — 2 Jahrep . 

, , 

... 20 

30 

Von 2—8 Jahren . 

. 

. • • 3.3 

12 

Von 3—4 Jahren . 

* * 

... 3,8 

4 


Die schnelle Zunahme der Erkrankungen an progressiver Paralyse bei 
Frauen stellt ohne Zweifel eine der merkwürdigsten Erscheinungen der Neige 
unseres Jahrhunderts dar. Sie beweist, dass die Frauen ihren früheren Vorzug, 
das Ueberwiegen functioneller Erkrankungen des Nervensystems, der Neurosen, 
schnell verlieren, im Gegensatz zu den Männern, bei welchen die organischen 
Erkrankungen über wiegen oder wenigstens bis jetzt überwogen, und dass die 
Frauen auch hinsichtlich der Erkrankungen des Nervensystems zur Gleichheit 
mit den Männern streben. Speoiell für die Paralyse bestätigen sich mehr und 
mehr die Worte Ritti’s: „ La femme, pour ayoir laissö longtemps le triste pri- 
vilöge de la paralysie gönörale ä l’homme, cherche ä le lui dispüter; meme pour 
cette affreuse maladie eile veut devenir l’ögale ä l’homme.“ 

Wo soll man die Ursache dieser Thatsaohe suchen? 

Die hauptsächlichste, wenn auch nicht die einzige Ursache besteht darin, 
dass die Frau in der letzten Zeit mehr und mehr in den allgemeinen Kreislauf 
des Kampfes um’s Dasein hineingezogen wird. Im Laufe vieler Jahre dazu er¬ 
zogen und gewöhnt, an diesem Kampfe keinen Theil zu nehmen oder wenigstens 
darin unter dem Schutze des Mannes, ihres natürlichen Vertheidigers und Be¬ 
schützers zu sein, stellt sie sich jetzt — bald aus eigenem Willen, bald aus 
Nothwendigkeit — ihm gleich, und manchmal sogar wetteifernd mit ihm. Aber 
weder durch die Bedingungen ihrer psycho-physischen Constitution noch durch 
ihre Vergangenheit zu diesem Kämpfe vorbereitet, verliert die Frau schnell den 
Vorrath ihrer Nervenkräfte, unterhält sie noch einige Zeit durch verschiedene 
Mittel (Excitantia, Alcoholica), aber am Ende fallt sie im ungleichen Kampfe. 

Da diese neue active Richtung in der Thätigkeit der Frau zu allererst unter 
den niederen und theilweise mittleren Classen vorkam — die höheren mit 
wenigen Ausnahmen besitzen bis jetzt noch die frühere passive Lage der Frau — 

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so versteht sich von selbst, weswegen die ersten Opfer der progressiven Para¬ 
lyse unter den Frauen eben in dieser Classe Vertreter fand und weswegen bis 
jetzt die Paralyse in den höheren Classen so selten vorkommt. In dieser Hin¬ 
sicht ist das Verbreiten der progressiven Paralyse bei beiden Geschlechtern voll¬ 
ständig entgegengesetzt: bei den Männern begann sie von oben nach unten, von 
den höheren Classen zu den mittleren und niederen, bei den Frauen umgekehrt 
— geht sie von unten nach oben, von den niederen und mittleren Classen zu 
den höheren. Es ist sehr wahrscheinlich, dass wir in nächster Zukunft die 
Möglichkeit haben werden, die Vereinigung dieser beiden Richtungen zu constatiren. 

Da man durch zahlreiche klinische und statistische Beobachtungen fest¬ 
gestellt hat, dass die einzelnen Ursachen, welche zusammengefasst die Aetiologie 
der Paralyse bilden, von einer ganzen Reihe Bedingungen allgemeiner und 
specieller, localer und individueller Natur abhängen, so ist es vollkommen natürlich, 
dass die Zahlenangaben hinsichtlich der Häufigkeit der Erkrankungen an der 
Paralyse im Allgemeinen und bei den Frauen hauptsächlich so verschiedenartig 
bei verschiedenen Autoren sind. Ich wies schon auf diese Thatsache in meiner 
ersten Mittheilung hin und möchte jetzt noch hinzufügen, dass eben hinsichtlich 
der Frauen, deren sociale und sogar persönliche Position so verschieden nicht 
nur in verschiedenen Ländern, sondern auch in verschiedenen Theilen desselben 
Landes ist, die Häufigkeit der Erkrankungen an progressiver Paralyse in den 
weitesten Grenzen schwanken muss. Deswegen scheint es mir — und darin 
finde ich Rechtfertigung meines Vortrages — dass nur die allerweiteste Be¬ 
arbeitung der faktischen Angaben der progressiven Paralyse in verschiedenen 
Ländern und im Falle der Nothwendigkeit in verschiedenen Theilen eines jeden 
Landes uns der Lösung der Frage über die wirklichen Ursachen, das Wesen, 
die Prophylaxe und vielleicht auch die Therapie dieser schrecklichen Krankheit 
näher bringen kann. 

Speciell für* die Erklärung der Ursachen solch häufiger Erkrankungen an 
progressiver Paralyse im Allgemeinen und besonders bei Frauen des Taurischen 
Gouvernements kann ich auf folgende locale Bedingungen hin weisen: 1. Der 
rapide Aufschwung des städtischen Lebens mit allen seinen ungünstig auf das 
Nervensystem wirkenden Momenten, 2. mehrere Hafenstädte, welche eine ganze 
Reihe von Momenten zur Erkrankung des Nervensystems darbieten: einerseits 
der immer zunehmende Kampf um das tägliche Brod, andererseits ein relativ 
leichter und hastiger Verdienst, dann die unvermeidlichen Begleiter des Lebens 
in Hafenstädten — der Alkoholismus, die Lüderlichkeit, Prostitution, Lues; 
3. beständige Anwesenheit grösserer Mengen fremden Volkes, meistentbeils Hand¬ 
werker und Tagelöhner, eines zufälligen Elementes, welches keinen organischen 
Zusammenhang mit der Landesbevölkerung des Gouvernements hat, meistentheils 
mit bescholtenen Sitten, Alkoholismus, Müssiggäng und ihren unvermeidlichen 
Folgen. 

Alle oben angeführten Thatsachen führen uns zu folgenden Schlüssen: 

1. Die Erkrankungen an progressiver Paralyse bei Frauen nehmen in der 
letzten Zeit viel zu und zwar relativ mehr als bei den Männern. 

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2. Das Zahlenverhältniss der Erkrankungen an progressiver Paralyse bei 
Frauen und Männern hängt von einer ganzen Reihe allgemeiner und individueller 
Bedingungen ab und kann desshalb natürlich nicht überall dasselbe sein. 

3. Für das Taurische Gouvernement ist dieses Verhältniss nach unseren 
Zahlen im Zeiträume von 12 Jahren gleich fast 2:1. 

4. Das Verbreiten der progressiven Paralyse in den verschiedenen Klassen 
ist bei den Männern und den Frauen vollkommen entgegengesetzt: bei den 
Männern beginnt die Paralyse in den höheren Classen und ging erst allmählich 
zu den mittleren und niederen über, bei den Frauen umgekehrt kommt sie bis 
zur letzten Zeit fast ausschliesslich nur in den niederen Classen vor und dringt 
erst jetzt in die mittleren und höheren; bei den Männern wird die progressive 
Paralyse aus einer „aristokratischen“ Krankheit eine mehr oder minder „demo¬ 
kratische“, bei den Frauen umgekehrt. 

5. Die einzelnen Ursachen der progressiven Paralyse sind bei den Männern 
und Frauen dieselben, ihre Combinationen aber sind bei den letzteren etwas 
häufiger, als bei den ersteren. 

6. Das klinische Bild der progressiven Paralyse bei den Frauen enthält 
einige Eigentümlichkeiten, welche ihm ein besonderes Gepräge geben. 

7. Der Verlauf der progressiven Paralyse bei den Frauen ist ein langsamerer 
als bei den Männern, desshalb ist die mittlere Dauer der Krankheit bei ihnen 
eine etwas längere als bei den Männern. 


[Aus dem Dr. Sbn CKEHBEBG’schen Institute für pathologische Anatomie 

zu Frankfurt a./M.] 

m 

3. Untersuchungen über das Rückenmark und das Klein¬ 
hirn der Vögel. 

Von Dr. A. Friedlftnder, 
zur Zeit an der psychiatrischen Klinik in Jena. 

Die spärlichen Thatsachen, welche über das Centralnervensystem der niederen 
Vertebraten bisher bekannt wurden, sind fast alle auf dem Wege des Studiums 
von gefärbten Schnittserien normaler ausgewachsener Thiere gewonnen worden. 
Wo die Schwächen eines derartigen Verfahrens liegen, ist bekannt. 

Da die letzten Jahre uns mit Methoden beschenkt haben, welche die Ver¬ 
folgung degenerirter Faserstränge in so scharfer und deutlicher Weise gestatten, 
dass auch einzelne Fasern in dem kleinen Rückenmarke der niederen Thiere 
gefunden werden können, so war es verlockend, an leicht zugänglichem Materiale 
einschlägige Untersuchungen auszüführen. 

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Ich habe auf Rath von Prof. Edingeb unter den mannigfachen vorliegenden 
Problemen ein, wie mir scheint, besonders wichtiges herausgehoben und versuchte, 
die Verbindungen zu ermitteln, welche zwischen dem relativ hochstehenden 
R&okenmark der Vögel und dem wesentlich nur aus einem Wurm bestehenden 
Kleinhirn dieser Thiere vorhanden sind. 

Benutzt wurde ausschliesslich Columba domestica, die Versuchsreihe er¬ 
streckte sich über 70 Operationen, am lebenden Thiere in der Aethernarkose 
ausgeführt 

Ueber das Centralnervensystem der Vögel ist im Ganzen nicht sehr viel 
gearbeitet worden. Am besten sind noch die Himnervenkeme durch Stibda 1 * * , 
Kbeis *, S. R. y Cayal 3 und van Gehuohten 4 * beschrieben, denen sich in 
letzter Zeit Bbandis 6 mit mehreren ausführlichen Studien anreihte. Zu den 
ältesten descriptiv-anatomischen Arbeiten dürften wohl die von Coiteb 1573 # , 
von Thomas Willis 6 aus dem Jahre 1664 und die von A. von Halles 6 
aus dem Jahre 1768 gehören; eine genaue Anatomie des Vogelgehims lieferte 
Meckel 7 , einige anatomische Mittheilungen finden wir bei Schulgin 8 , zusammen¬ 
fassende Untersuchungen sind von Hans Gadow 9 in Bbonn’s Klassen und Ord¬ 
nungen niedergelegt Ueber Gross- und Kleinhirn finden wir einige Angaben 
bei Jelgee8ma 10 , über die Hirnrinde bei Sala y Pons 11 . 

Der feinere Bau des Vorderhirns ist von Bumm 1 * und von dem oben¬ 
genannten Schulgin, in neuerer Zeit namentlich von Edingeb 13 14 bearbeitet 
•worden. Ueber den Thalamus sind wir im Wesentlichen durch Edingeb orientirt, 
ebenso über die Faserung und die Ganglien des Mittelhirns. Das Mittelhim- 
dach und die Opticusendigungen sind am besten von Bellonci 11 , später mittels 


I Ludwig Stibda, Studien über das centrale Nervensystem der Vögel und Säugethiere. 
1868. Leipzig. 

* Kbeis, Zur Kenntniss der Mednlla oblongata des Vogelhirns. Dissertation. 18.82. 

Zürich. ^ 

* S. R. y Cajal, Estructura de los Centros nerviosos de las aves. Revistrega trimestral 
de histologia normal y patologica. 1888. Madrid. 

4 v. Gehuohten, Bull, de l’Acadam. r. d. Sciences de Belgiqne. 1892. Nr. 11 (Ente). 

4 F. Bbandis, Untersuchungen über das Gehirn der Vögel. Arch. f. mikrosk. Anat. 
Bd. LXI u. f. 

* Coiteb, De anatomia avium. Ext et int. principal. corporis hnroani tabul. Norim¬ 
berg. — Thomas Willis 1664, Cerebri anatome. London. — A. v. Halles 1768, De cerebro 
avium. Lausanne. 

7 Meckel, Anatomie des Gehirns der Vögel. Deutsches Arch. f. Pbysiol. Bd. II. 

8 M. A. Schulgin, Phylogenesis des Vogelgehirns. Dissertation. 1885. Jena. 

* Bbonns Classen und Ordnungen des Thierreichs. Vögel von Bans Gadow. 

10 G. Jellgbbsha, De groote en de kleine hersenen by zoogdieren en vogels in verband 
met bunnen algemeenen hersenbouw. Ans den Verhandlungen der II. Nederlandsch Natnur 
en Geneesknndig-Congres. 1889. Leiden. 

II Cl. Sala y Pons, La Corteza cerebral de las aves. 1893. Madrid. 

** A. Bumm, Das Grosshirn der Vögel. 

'• L. Edingeb, Nervöse Centralorgane. 1896. 

14 J. Bellonci, Ueber die centrale Endigung des Nerv, opticus bei den Vertebraten. 
Zeitschr. £ wissensch. Zoologie. XLVII. 1. . 


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der QoLoi-Methode von van Gehuohten *, S. B. y Cayal s und von v. Köl- 
likjeb 3 beschrieben worden. 

Für die vorliegende Studie interessirt zunächst nicht, was durch diese 
Autoren gewonnen wurde, sondern wesentlich das, was über das Kleinhirn und 
das Bückenmark bekannt geworden ist 

Die einzige Arbeit, welche die Kerne des Kleinhirns der Vögel genauer 
schildert, ist die von Bbandis. 

Die äussere Form derselben ist früher vielfach beschrieben worden. Im 
wesentlichen stellt das Vogelkleinhirn eine flache Platte dar, um welche gleich 
Speichen eines Bades die einzelnen Markblätter angeordnet sind. Die Zahl und 
Anordnung der Blätter wechselt für die einzelnen Vogelarten ganz ausserordent¬ 
lich, wie dies namentlich Bbandis 4 gezeigt hat, dem wir eine ausführliche 
Arbeit, die sich auf 209 Arten erstreckt, verdanken. Im Allgemeinen möchte 
ich aus dieser Untersuchung schliessen, dass die Speichen mit der grösseren 
Flugtechnik der verschiedenen Species im geraden Verhältnisse zunehmen. Den 
Furchen, die durch das Auseinandertreten der weissen Markmasse zu den oben 
erwähnten Speichen entstanden sind, entsprechen die an der Oberfläche des 
Kleinhirns sichtbaren Gyri. Auf einem sagittalen Längsschnitt finden wir die 
dem Lebensbaume der Säuger analoge Bildung; der Stamm desselben wird durch 
die Schenkel des Kleinhirns gebildet Die untere (ventrale) Wurmfläche über¬ 
dacht den 4. Ventrikel und liegt je einem Pfeiler auf, der durch die Kleinhirn¬ 
schenkel gebildet wird. Cerebralwärts finden wir, dioht vor dem Ursprung des 
Trochlearis, die Valvula cerebelli. Der 4. Ventrikel setzt sich als Ventrikel des 
Kleinhirns in dasselbe fort, auf seinem Verlaufe ein verschiedenes Lumen zeigend. 
Der Ventriculus cerebelli bewirkt eine deutliche Scheidung der Kleinhirnmasse 
in einen rechten und linken Theil und trennt die Ganglien des Kleinhirnkörpers 
von einander. 

Das ganze Kleinhirn der Vögel entspricht, wie bekannt, nur dem Wurme; 
sein dorsaler Theil (Oberwurm) ragt hoch hinauf in den Schädel, der der Bauten¬ 
grube zugewendete Unterwurm beträgt kaum Vs der ganzen Masse: mitten im 
Kleinhirnkörper liegen die zuerst von Bbandis näher beschriebenen Kerne des¬ 
selben; es sind dies jederseits zwei grosse Ganglien, die er als inneren und 
äusseren Kern beschreibt Der innere (bedeutend grössere) wird von Edingeb 
dem Nucleus globosus des Säugerkleinhirns gleichgestellt Ob der laterale dem 
Nucleus fastigii oder dem Nucleus dentatus entspricht, bleibt noch festzustellen. 

Möglicherweise aber haben wir auch in zerstreuten kleinen Zellmassen, 
welche noch weiter lateral liegen, ganz kleine Corpora dentata zu erblicken. 

Ganz lateral liegen dann noch von Bbandis und von S. Bamön t Cayal 


1 ▼. Gbhoohtbn, La strootore des lobee optiqnes. La oellule. VIII. 1892. 1. 

* S. B. t Cajal, Estructura del löbulo öptico de las aves yorigen de los nervios öpticoe. 
Boviste tri Dnestr al de Histologia normal y Patologia. Madrid 1889. 

' ▼. Köllikkb, Handbuch der Gewebelehre. Bd. IL 

4 F. Baumis, Das Kleinhirn der Vögel in seiner Beziehung zur Systematik. Journal 
für Ornithologie. XLIV. 1896. Juli. 


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näher beschriebene Zellgruppen, welche zum Acusticos und vielleicht auch zum 
Trigeminus in Beziehung stehen. 

Die Angaben von Bbakdis und von Edinobb Aber die Bahnen bezw. 
Fasern, welche zum Kleinhirn ziehen, stimmen gut überein. Beide kennen einen 
vorderen Schenkel (Tractus tegmento cerebellaris E.) (Pedunoulus cere- 
belli ad cerebrum) und einen hinteren Schenkel — Corpus restiforme 
(Pedunoulus cerebelli inf. Brachium cerebelli ad med. obL). Eine 
Brücke fehlt den Vögeln; daher finden wir auch nicht den mittleren Kleinhirn- 
Schenkel der Säuger, das Brachium cerebelli ad pontem. 

In das Corpus restiforme will Bbakdis hinein verfolgen: eine Kleinhirn- 
seitenstrangbahn und zahlreiche Fasern aus den Hintersträngen, welche 
ungekreuzt längs der dorsalen Peripherie zum Kleinhirn hinaufgezogen sind. 
Ansserdem Züge aus der Fonnatio reticularis. Schliesslich hat Bbaedis durch 
die MABOHi’sche Methode noch Fasern nachgewiesen, die er für einen Oliven* 
antheil hält 

Aus meinen Untersuchungen will ich im Wesentlichen das mittheilen, was 
sich über Verbindungen zum Bückenmarke aussagen lässt 

Das Rückenmark der Vögel ist durch die bisher genannten Autoren, ausser¬ 
dem aber auoh von v. Köllikeb 1 * * beschrieben worden. 

Die älteste ausführliche Arbeit ist die 1855 erschienene Dorpater Dissertation 
von Metzleb. * Gerade in den letzten Jahren ist uns das Vogelrückenmark 
nach Zellen und Faserverlauf durch van Gebuchten 5 und Bbtzius 4 besser 
bekannt geworden; mit der GoLQi-Methode arbeitend, haben diese Autoren das 
nun vielfach für das Rückenmark festgestellte Typische (Wurzelzellen, Co mmis - 
suren-Strangzellen, Aufsplitterung der hinteren Wurzel) feststellen können. 

Das Rückenmark der Vögel bildet einen weissen, an der dorsalen Seite von 
einem Blutleiter bedeckten Strang, der eine Hals- und eine Lendenanschwellung 
zeigt, entsprechend dem Abgänge des Plexus brachialis und ischiadicus. Erste re 
ist die bedeutendere und gehört der Höhe des 11.—14. Spinalnerven an. Das 
Brustmark hat einen geringeren Durchmesser, als das Halsmark. Während die 
hintere Längsfurche im oberen Halstheile des Rückenmarkes in geringe Tiefe 
geht, erreicht sie in der Intumescentia cervicalis und im Brusttheile die hintere 
graue Commissur; gleichzeitig wird sie auch auf der Oberfläche sichtbar. In 
der Lendecan8chwellung treten die beiden Hinterstränge auf eine Strecke von 
ca. 1 cm auseinander, um sich caudalwärts wie aneinander zu legen. Auf diese 
Weise entsteht ein rautenförmiger Schlitz, der sogenannte Sinus rhomboidalis 
saoralis. Dieser Sinus ist von einer durchscheinenden röthlich-braunen bis 
•gelben Substanz von weicher Consistenz ausgefüllt Trotz zahlreicher Unter¬ 
suchungen konnte bis heute eine Einigung über Wesen und Entstehung dieser 


1 v. Kölukxb, s. o. 

* Mxtzlkr , De medalia spin&lis avium textura. Inaug.-Dissert. Dorpat 1855. 

* v. Gbhuchtbn, La oellula. VH. 1891. 

4 Rbtztob, Biologische Untersuchungen. Bd. VII. 


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Substanz nicht erzielt werden. E. A. Hat 1 machte dieselbe zum Gegenstände 
einer Dissertation, Leidig* hält sie für gallertiges Bindegewebe, ebenso Metz« 
lbb 8 , Stilling 4 lässt sie aas rundlioh-polyedrisohen Zellen zusammengesetzt 
sein und spricht ihr nervösen Charakter zu, Stieda® aber bestätigt Leydig’s 
und Mbtzlbb’s Angaben. Düval 6 weist in ihr blasige Zellen nach und findet 
die Bildung des Sinns rhomboidalis in der Obliteration der Primitivrinne erklärt, 
indem nur der feine Centralcanal übrig bleibt Die gallertige Substanz, scheinbar 
reticnlär, bestünde aus Zellen, die sich durch Umwandlung von Elementen des 
embryonalen Medullarrohres bildeten. Einige Gefässe und Nervenfasern sind 
in die Substanz eingeschlossen. Letztere Angabe kann ich auf Grund meiner 
Präparate insofern bestätigen, als ich in der Substantia gelatinosa zuweilen 
degenerirte Nervenfasern und immer blasige, durchsichtige Zellen, zwischen 
denen sich Blutgefässe und Lymphräume erstreckten, fand. 

Gadow 7 meint, die Substanz entstamme dem Ependym und hält den Sinus 
rhomboidalis nicht für embryonale, sondern nachträglich erworbene Bildung 
innerhalb der Classe der Vögel; bei Vogelembryonen fand er keine Spur eines 
Sinus; er versucht eine phylogenetische Erklärung, der zufolge die dinosaurier- 
artigen Vorfahren entsprechend den mächtigen hinteren Extremitäten ein viel 
stärkeres Mark — besonders in der grauen Substanz — besessen, und dass nun 
der nicht länger nöthige Baum durch das wuchernde nicht nervöse, auf indiffe¬ 
renter Stufe stehen bleibende Centralgewebe ausgefüllt wird. Eine.Cauda equina 
fehlt, denn die Nerven treten sofort aus dem Wirbeloanal aus, ohne wie bei 
den Säugern eine Strecke neben einander zu ziehen. Ein Filum terminale im 
eigentlichen Sinne ist nicht da. Der Centraloanal ist geschlossen, kreisrund, 
durchschnittlich 0,03 bis 0,04 mm breit An Spinalnerven Unterschäden wir 
12 Nervi cervicales, 7 Nervi pectorales, 13 Nervi lumbales, 7 Nervi caudales. 

Untersuchungen, welche wesentlich mit der von Tübk bei Säugern inaugu- 
rirten, von Wbstphai*, S ingeb, Löwenthal u. v. A. ausgebildeten Degenerations¬ 
methode Vorgehen, liegen für das Rückenmark der Vögel, soweit ich sehe, bis 
jetzt nicht vor; deshalb wissen wir auch noch nicht — wenn wir absehen von 
dm Mittheilungen bei Bbandis —, wie weit einzelne Büokenmarksbahnen him- 
wärts ziehen. 

Schbadeb 8 , Singbb 8 , Münzkb, Edengeb, die bei Vögeln eine Hemisphäre 
exstirpirten, fanden niemals eine vom Grosshirn absteigende lange Bahn degene- 
rirt, die als Homologon der Pyramidenbahn der Säuger gelten könnte, und 


1 E. A. Hat, D« rinn rhomboidali in mednlla spinali anam. Inaog.-Diss. Halis 1844. 

* Lstdio , Histologie der Menschen nnd der Thiere. MOllbb’s Archiv. 1854. S. 884. 

• s. o. 


4 Snuaire, Monographie Aber das RAckenmark der Vögel. 

* a o. 

* Du val Mathias, Becherches snr le Sin. rhomb. des Oiseaux, but son döveloppement 
et snr la ndvrolgie pdridpendymoire. Jonrn. de l’Anat et de la Physiol. Paris 1877. 

T s. o. 

* nacht F. Beakdis, Untersnchnngen Aber das Gehirn der Vögel. L Theil. 

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leugnen daher mit voller Bestimmtheit die Existenz eines Tractus cortico- 
spinalis. 

Auch Brandts 1 erhielt bei zwei Tauben, die er untersuchte, ein negatives 
Resultat 

Sandmeybb 1 dagegen, der seine Thiere länger als einer der anderen Autoren 
leben liess, fand eine deutliche secundäre Degeneration im Rückenmark an der 
Stelle der Pyramidenbahn, weshalb Brandis meint, die Frage müsse derzeit 
noch offen bleiben. Eigene Untersuchungen, die ich anstellte, sind derzeit noch 
nicht abgeschlossen. 

Ueber directe Bahnen zwischen Rückenmark und Thalamus, ebenso über 
solche zwischen Rückenmark und Mittelhim ist, wenigstens mit der Degenerations¬ 
methode, die doch hier den Ausschlag giebt, noch nichts ermittelt Ihre Existenz 
wird behauptet. 

Bei diesem Stande der Frage schien es wünschenswert^ die eigenen Unter¬ 
suchungen in zwei Abschnitte zu gliedern. 

A. Durchschneidungsversuche am Rückenmarke, welche ent¬ 
scheiden sollen, ob und welche Fasern aufwärts degeneriren. 

B. Verletzung verschiedener Theile des Kleinhirns. 

Ad A. Um mich über Bahnen, die vom Rückenmarke in’s Kleinhirn auf¬ 
steigen, zu orientiren, durchschnitt ich das Rückenmark in verschiedenen Höhen. 
Bei 6 Tauben durchschnitt ich es ganz, bei 89 legte ich eine Halbseitendurch- 
schneidung in verschiedenen Höhen des Hals-, Brust- und Lendenmarkes an. 


Die Schwierigkeit der Operation ist naheliegend. Das kleine Rückenmark liegt 
tief eingebettet in dem knöchernen Canale; tritt nach der Dnrchscbneidung des 
Rückenmarks eine Blntung auf, so ist ein Uebersehen des Operationsfeldes, eine 
Correctur des Schnittes unmöglich. Endlich machte das Thier in vielen Fällen, 
selbst in tiefer Narcose, in dem Momente, da die Spitze des Scalpells die Dora 
spinalis berührte, Reflex(Abwehr)bewegungen, die häufig ein Abgleiten oder Ueber- 
schneiden zur Folge hatten. 

Diesen Schwierigkeiten konnte ich bei Operationen im Sinus rhomboidalis ent¬ 
gehen. Aus der oben gegebenen Beschreibung erhellt, dass an dieser Stelle eine 
Theilung des Rückenmarks gewissermaassen schon physiologisch angedeutet ist; ein 
Ueberschreiten der Mittellinie konnte nur die oben geschilderte „Substantia gelatinöse“ 
verletzen, kaum aber nervöse Qebilde. 

Ad II. Da ich bei der Untersuchung der Gehirne von am Rückenmark ope- 
rirten Tauben degenerirte Bahnen bis ins Kleinhirn verfolgen konnte, machte ich 
eine Reihe von Controllversuchen, am Kleinhirn, indem ich bei 25 Tauben an ver- 
. schiedenen Stellen desselben Zerstörungen vomahm. 

Was die Auswahl der Thiere für diese Operationen anbelangt, so zeigten sich 
ältere der Aethernarcose gegenüber ausserordentlich widerstandsfähig, während jüngere 
grosse Vorsicht nothwendig machten. 

Die operativen Eingriffe, selbst solche schwerster Natur, fiberstanden die Tauben 
ausnahmslos. Zum Festhalten des Thieres diente der EwALn'sche Taubenhalter, der 
den Kopf und den Rumpf in beliebiger Stellung festhalten kann, ohne das die Ath- 
mung irgendwie beeinträchtigt würde. 

War das Thier „eingespannt“ und durch einen in der Medianlinie geführten 
Schnitt die Haut und die Rfickenmuskulatur durchtrennt, so nahm ich die weitere 
Präparation stumpf vor, da insbesondere am Halse eintretende Blutungen schwer zu 


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stillen waren. Später vermochte ich allerdings auch sehr bedeutender, sogar Sinus- 
blutungen Herr zu werden durch die Anwendung eines, so weit ich weiss, neuen, 
mir von Prof. Edingeb empfohlenen Mittels. Ich drückte ein Stückchen Tauben¬ 
muskulatur auf die blutende Stelle, was ein fast sofortiges Gerinnen des Blutes be¬ 
wirkt Bei den letzten Operationen (15) entnahm ich stets ein Stückchen Brust- 
.muskulatur von dem zu operirenden Thiere, um solches frisches Blutstillungsmaterial 
zur Hand zu haben; übrigens gelingt die Blutstillung auch mit Muskulatur, die 
längere Zeit in Formol gelegen hatte. 

Hach der Eröffnung des Rückenmarkcanals sieht man in der Tiefe das Kücken¬ 
mark als einen glänzend weissen Strang liegen, an seiner dorsalen Seite von einem 
Blutleiter bedeckt, dessen Verletzung schwere Blutung herbeiführte, so dass ich ihn 
vor der Läsion stets stumpf zur Seite drückte. 

Hach ausgeführter Operation wurde das zurückgeklappte Knocbenstück auf die 
■ Wunde gelegt, die Haut mit Catgut genäht und mit Sublimatcollodium Obergossen. 

Die Operationen am Kleinhirn zerfielen auch in mehrere Gruppen. Erstens 
machte ich etwas oberhalb der Protuberantia occipitalis mit einem feinen Trepan eine 
Knochenöffnung, durch die ich, dem WALLKHBEBo’schen Verfahren folgend, einen 
1 / i —1 mm langen Laminariastift einschob, der dann bei seiner Quellung eine Zer¬ 
störung der dorsalen Binde verursachte. (Derselbe wurde bei der nachfolgenden 
Untersuchung stets mitgeschnitten.) In anderen Fällen schob ich einen längeren 
Stift weiter hinein (ventralwärts) und setzte auf diese Weise eine Verletzung des 
Kleinhimkörpers. Ein anderes Mal durchstach der Stift den Pedunculus cerebelli, 
einmal drang er zufällig durch die dorsale Binde in den Ventrikel des Kleinhirns 
ein; sonst wurde ein Scalpell durch den Knochen in das Cerebellum eingestossen, 
oder ich präparirte, den Sinus der Schädeldecke ausweichend, die knöcherne Be¬ 
deckung weg und löffelte einen Theil der Kleinhirnsubstanz aus, welch letztere 
Methode ich ihrer Sicherheit wegen zum Schlüsse fast ausnahmslos anwandte. 

Die Erscheinungen an den Thieren nach der Operation waren zumeist so con- 
stant und, ich möchte sagen, pathognomisch, dass ich mit wenigen Worten einen 
Auszug aus den Protocollen gebe. 

Alle Tauben, bei denen eine vollständige Durchtrennung des Bückenmarks statt¬ 
gefunden hatte, lagen nach der Operation mit an den Leib angezogenen Beinen und 
dicht angelegten Flügeln passiv im Käfige. Vollständiges Unvermögen den Ort zu 
ändern. Am nächsten Tage versuchten die Thiere, aus ihrer Lage aufgeschreckt, 
Vorwärtsbewegungen dadurch auszuführen, dass sie die Flügel spreizten und mit 
kurzen, heftigen Schlägen, mehr kriechend als fliegend, der verfolgenden Hand ent¬ 
wichen. Diese Thiere mussten gefüttert werden. 

Interessanter war das Verhalten jener Tauben, bei denen das Bückenmark nur 
zum Theil durchschnitten war. Stets zeigte sich die gleichnamige hintere Extremität 
gelähmt; nach der Operation (Halbseitenläsion rechts angenommen) liegt das Thier 
auf der rechten Seite. Das rechte Bein wird im Hüft- und Kniegelenk gebeugt, im 
Unterschenkelfussgelenke mit gespreizten Zehen gestreckt gehalten, meist mit nach 
vorn gerichtetem Dorsum der Klane. Der Schwanz ist nach links abgebogen und 
wird nach abwärts gehalten, sodass ein dorsalwärts convexer Bogen entsteht. (Ueber- 
wiegen der besser innervirten linken Muskulatur des Schwanzes.) Scheucht man das 
Thier aus seiner Buhe auf, so werden wir zunächst auf den unsicheren Gang auf¬ 
merksam. Die Taube schleppt das rechte Bein nach, das in schlaffer Lähmung 
herabhängt. Oftmals stolpert sie über dasselbe oder tritt mit dem Dorsum der 
Zehen auf. Erregt man ein Geräusch, das sie zur Flucht mahnt, so entfaltet sie 
die Flügel, hebt sich in die Höhe, stellt das gesunde Bein auf, stützt die Schwanz¬ 
spitze auf den Boden und vermag dann, ein wenig über die Erde erhoben, halb 
fliegend, halb laufend, stets das rechte Bein nachschleppend und öfters hinfallend, 
. zu entkommen. Ergreift man sie, so kann sie nicht in die Höhe fliegen. Lässt 


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man sie aber von oben hinabfallen, so entfaltet sie die Flügel, und den nach links 
abgebogenen, nun ansgebreiteten Schwanz gewissermaassen als Fallschirm benütaend, 
gelangt sie fast wie eine gesunde Taube auf den Boden. 

Was die Sensibilität nnd die Reflexe anbelangt, so konnte iob bei deren Prüfung 
nicht zn eindeutigen, Übereinstimmenden Resultaten gelangen, doch sohien mir in den 
meisten Fällen auf der der Operation entgesetzten Seite eine Herabminderung der 
8chmerzempfindung vorhanden zu sein, auch glaubte ich häufig, den Qreifreflex auf der 
gelähmten Seite leichter und intensiver aaslösen zu können, als in normaler Weise. 

In wie weit die sehr merkwürdige Erscheinung, dass die Thiere das gelähmte 
Bein oft mehrere Centimeter hoch mit Dejecten, Sand u. a. w. bedeckt hatten, während 
die ungelähmte Seite stets mit der den Vögeln eigenen Sorgfalt gepatzt erschien, 
etwa mit nervösen Einflüssen (Anästhesie!) zusammenhängt oder mechanischen Ur¬ 
sachen zuzuschreiben ist, vermag ich nicht zu entscheiden. 

Das oben geschilderte Verhalten in motorischer Beziehung gilt für die ersten 
Tage nach der Operation. Ende der ersten Woche zeigt sich schon eine Besserung 
des Zustandes; das Thier steht meist auf beiden Beinen, noch ist die Schwanzhaltung 
pathologisch, bei dem Wunsche, zu entfliehen, stolpert die Taube leicht über das 
gelähmte Bein und fällt hin. Immer mehr aber erstarkt die kranke Extremität, und 
oft unterscheidet sich gegen Ende der zweiten Anfang der dritten Woche das operiite 
Thier von dem gesunden nur durch eine geringe Schwäche im paretiscben Beine, 
durch ein leichtes Abbiegen des Schwanzes nach der gesunden Seite hin, was eine 
meiner Kranken jedoch nicht hinderte, sich meiner Hand zu entwinden und in kurzer 
Zeit über das Dach hinwegfliegend, für immer zu entschwinden. 

Was nun die Erscheinungen an den Tauben anbelangt, denen das Kleinhirn 
verletzt wurde, so ergab die Beobachtung deijenigen, denen die dorsale Rinde des 
Kleinhirns durch einen Stich oder durch einen Laminariastift in grösserer oder 
kleinerer Ausdehnung zerstört worden war, keinerlei Alteration des Allgemeinbefindens. 
Anders dagegen verhielten sich die Thiere, denen der Kleinhirnkörper durch einen 
Laminariastift verletzt worden, oder bei denen durch einen kleinen scharfen Löffel 
eine grössere oder geringere Menge von Kleinhirnsubstanz entfernt worden war. 
Gleich nach der Operation traten die Erscheinungen des gestörten Gleichgewichts 
auf, die durch ihre Art, ihre Intensität und ihre Dauer von den rauschartigen Be¬ 
wegungsstörungen, die häufig auch bei den Thieren, die am Rückenmarke operirt 
worden waren, in Folge der Aethernarkose auftraten, leicht zu unterscheiden waren. 

Stürmische Drehbewegungen des Körpers, Ueberschlagen desselben über den auf 
den Boden aufgestützten Kopf, Schiefhalten des Kopfes, Taumeln, Umfallen beim 
Versuche, sich aufrecht zu erhalten, Rückwärtsbewegungen im Kreise. Auch hier 
liess das Stürmische der Erscheinungen in den nächsten Tagen nach. Die Thiere 
standen ruhig im Käfige, doch verloren sie, beim Suchen der Nahrung u. s. w., noch 
häufig das Gleichgewicht, taumelten, fielen hin und zeigten eine Schiefhaltung des 
Kopfes. Bei einigen Tauben gelang es mir, die doreale Rinde des Kleinhirns und 
einen grossen Theil des Körpers zu zerstören. Diese Thiere zeigten die oben be¬ 
schriebenen Erscheinungen gestörten Gleichgewichtes und aufgehobener Coordination 
am deutlichsten.. In den ersten Tagen taumelten sie im Käfige herum, schlugen mit 
dem Kopfe auf den Boden auf oder gegen die Wände und hielten den Kopf schief 
um 180° gedreht, dass der Schnabel dorsal gerichtet war. Das Taumeln liess nach, 
die Drehung des Halses dagegen blieb bestehen; Nahrung zu finden war diesen 
Tauben unmöglich, da sie keine coordinirte Bewegung auszuführen im Stande waren. 
Bis zu ihrer Tödtung mussten sie gefüttert und getränkt werden. Bei mehreren 
dieser Tauben schien die eine Seite des Körpers deutlich schwächer zu sein als die 
andere, doch handelt es sich hier kaum um Lähmung — etwa durch unabsichtliche 
Verletzung der ventral vom Cerebellum gelegenen Medulla oblongata bewirkt — 
vielmehr um eine Schädigung des Orientirungsvermögens im Raume und der zum 

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Ablauf einer Bewegung abgestuften Kraft der Erregung der motorischen Centren, 
ähnlich den Ergebnissen, die Bikdl 1 fand, der auch die motorische Schwäche und 
die Coordinationsstörung in den Kopfmuskeln, ausgedrfickt durch die Schiefhaltung 
des Kopfs, bei jenen Thieren, denen er den hinteren Kleinhirnstiel durchtrennt hatte, 
als Ataxie nach Wegfall einer hemmenden Bahn, die er vom Cerebellum aus in die 
Seitenstränge des Kückenmarks verlaufend ansprechen möchte, erklärt 

In meinen Fällen war die motorische Schwäche auch meist einseitig, oder doch 
einseitig viel stärker, was das Ueberwiegen der Coordinationsstörung auf einer Seite 
erklären würde. 

Als besten Zeitpunkt für die Tödtung der Thiere möchte ich bei Kückenmarks* 
läsionen den 12.—14. Tag, bei Kleinhirnoperationen den 16.—18. Tag angeben, nach 
welcher Zeit ich stets die Degenerationen am schönsten und deutlichsten entwickelt fand. 

Die Wirbelsäule schnitt ich im Zusammenhänge mit dem Kopfe aus dem Thier* 
leibe aus, legte sie in (5 °/ 0 ) Hüller* (10 %) Formollösung (10:1) durch 6—8 Tage, 
entnahm dann unter thunlichster Vermeidung aller Zerrungen das Qehirn und Kücken* 
mark, das in dieser Zeit bereits so hart geworden war, dass man es viel leichter 
ohne Verletzungen herauspräpariren konnte, als wenn man dies gleich nach der 
Tödtung des Thieres versucht und legte es in kleinen Stückchen in die bekannte 
Marchi-Mischung auf 2—6 Tage. 

Bei dieser Gelegenheit möchte ich auf einen kleinen Kunstgriff aufmerksam machen, 
der mir in vielen Fällen gute Dienste leistete und zumindest viel Zeit ersparen lässt. 

Bevor ich. an die Härtung ging, entnahm ich dem Bückenmarke ober- und 
unterhalb der Operationsstelle, die durch den Knochendefect oder durch die Naht 
deutlich markirt ist, ein kleines Stückchen seiner Substanz. Diese brachte ich auf 
dem Gefriermikrotome zum Gefrieren, machte einige Schnitte, legte sie auf 1—2 Stunden 
in das Marchi-Gemisch und konnte ich mich auf diese Weise nach kürzerer Zeit 
davon überzeugen, ob das Material zur Weiterbehandlung geeignet sei oder nicht. 
Dass der bei der Gefriermethode verdunstende Aether auf die Degenerationsproducte 
in keiner Weise einwirkte, dass die Behandlung von 20—40 ft dicken Schnitten mit 
Marchi durch die oben angegebene Zeit zur deutlichsten Sichtbarmachung der Dege¬ 
nerationen genüge, davon überzeugte ich mich durch entsprechende Controllverauche. 

Was die Ergebnisse der Sectionen anbelangt, so fand ich sowohl die Kücken¬ 
ais die Kopfwunden stets reactionslos verheilt, mit Ausnahme eines einzigen Falles, 
in welchem ich an der Operationsstelle (Operation in der Höhe der Halsanschwellung) 
grünliche Verfärbung der Haut, Gangrän der Weichtheile und den Bückenmarkscanal 
ober- und unterhalb der Operationsstelle mit missfärbiger Flüssigkeit erfüllt fand, 
so dass ich wohl an eine von aussen stattgehabte Infection denken musste, weshalb 
ich diese Taube von der Untersuchung ausschloss. 

Am halbseitig durchtrennten Rückenmark fand ich häufig eine Art Vernarbung 
vor, so dass die Continuität oberflächlich hergestellt erschien, doch denke ich hier 
nicht an eine wirkliche Regeneration von Nervengewebe, erkläre vielmehr die deutlich 
auftretende Besserung in dem Befinden der in den ersten Tagen halbseitig gelähmten 
Thiere aus der bekannten Erscheinung vom Vicariiren (anderer) gesunder Bahnen 
für die zu Grunde gegangenen. Im Gegensätze hierzu berichtet Baows- Sequabd, 
er habe bei einer Taube, der das Bückenmark völlig durchschnitten war, bei ihrer 
Tödtung nach 3 Monaten dasselbe vollständig verwachsen gefunden; die Verwachsungs¬ 
stelle zeigte sich ärmer an Ganglienzellen und Nervenfasern, Empfindung und will¬ 
kürliche Bewegung hatten sich nicht hergestellt, die Reflexaction an den gelähmten 
Maskein war prompt. 

' Er konnte eine solche Bahn mikroskopisch nachweisen; ich glaube auch Fasern der¬ 
selben bei meinen Tanben, die am Cerebellum operirt wurden, gefunden zu haben. • 

(Fortsetzung folgt) 


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II. Referate. 


Anatomie. 

1) Die Leitungabahnen des Büokenmarks und des Gehirns, von Prof. Dr. 
v. Bechterew. (2. Aufl. II. Theil. 1898. Bicker. St. Petersbarg.) 

Die in rassischer Sprache nunmehr erschienene 2. Auflage des II. Theils der 
„Leitungebahnen“ enthält so viel neues, dass sie als völlig umgearbeitet bezeichnet 
werden darf. Das ganze Werk ist in vier grosse Kapitel zertheilt, in welchen die ge- 
sammte Architektonik des Centralnervensystems und die physiologische Bedeutung 
der einzelnen Fasersysteme, in einer erschöpfenden Weise besprochen wird. Das 
erste Kapitel handelt Ober das Kleinhirn. Yerf. bespricht zunächst die bisher sicher 
gestellte physiologische Bedeutung dieses Organs und speciell die Bolle, welche das¬ 
selbe für die Erhaltung des Gleichgewichts spielt. Dabei werden nicht nur die 
Experimente, sondern auch die Besultate aus der menschlichen Pathologie kritisch 
erläutert. Es folgt dann eine genaue Besprechung des feinen histologischen Aufbaues 
der Kleinhirnrinde und der grossen grauen Ansammlungen im Markkern, wobei die 
mit der Golgi’schen und anderen Methoden dargestellten Präparate als Grundlage 
der zahlreichen, sehr gut ausgeführten Abbildungen dienten. Was die Fasersysteme 
betrifft, welche das Kleinhirn einerseits mit dem Grosshirn, andererseits mit dem 
Bückenmark verbinden, so berichtet Verf. in dieser Auflage über die wichtigen Er¬ 
gebnisse, zu denen er und seine Schüler auf Grnnd der Anwendung der Marchi’- 
sehen Methode gekommen sind. In eingehender Weise bespricht Yerf. die Bahnen, 
welche in den vorderen, mittleren und hinteren Kleinhirnschenkeln verlaufen, über 
die Yerbindungen der Olive mit Cerebellum, über die Beziehung des N. acusticus 
zu dem letzteren u. s. w. 

Im zweiten Kapitel findet man alles, was bis jetzt über die Projections- und 
Associationsfasern im Grosshirn bekannt geworden ist. Yerf. berichtet hier über 
seine eigenen zahlreichen Ergebnisse uud berücksichtigt ebenfalls stets die Arbeiten 
anderer Forscher. Auch hier giebt Yerf. zunächst ein Bild der physiologischen Be¬ 
ziehungen verschiedener Abschnitte des Gehirns zu einander und geht dann zur 
Schilderung des feineren histologischen Aufbaues der Hirnrinde und der Grosshirn¬ 
ganglien über. Besonders eingehend ist die sehr wichtige Frage der Localisation der 
Sensibilität in der Hirnrinde besprochen. Der morphologischen Beschreibung sind 
auch hier zahlreiche Abbildungen der verschiedenen Zellen (Zupfpräparate, Golgi’sche 
Bilder, Carminschnitte) beigegeben. Es folgt eine Schilderung der weissen Substanz 
der Gehirne, wobei zunächst die Projections- und dann die Associationsfasem ge¬ 
schildert werden. Bei den Projectionsfasern werden zunächst die Fasersysteme be¬ 
schrieben, die aus dem Hirnstamm nach den Grosshirnhemisphären verlaufen, dann 
die Projectionsfasern, welche die letzteren mit dem Grosshirnganglien verbinden. 
Dabei werden die entwickelungsgeschichtliche und die Gudden’sche Methode in 
vollem Maasse berücksichtigt. Bei den Associationsfasern bespricht Yerf. zunächst 
die Commissuralfasern und dann die kurzen und die langen Associationsfasern und 
•fasersysteme. Stets wird dabei die physiologische Bedeutung einzelner dieser Bahnen, 
so weit sie bekannt, angegeben. 

Das dritte Kapitel behandelt die Leitungen innerhalb des Centralnervensystems 
(Neuronentheorie, Leitung in dem Axencylinder und in den Protoplasmafortsätzen u.a.w.). 

Im vierten Kapitel findet man ein übersichtliches Besumd und Aufzählung der 
auf- und absteigenden Bahnen im gesammten Centralnervensystem. 

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Dieses ganze schwierige Material ist sehr klar und übersichtlich angeordnet 
nnd geschildert. Die 256 Textfiguren und eine farbige lithographische Doppeltafel 
erleichtern wesentlich die Orientirung in diesem schwierigen Gebiete. Das Literatur- 
verzeichniss enthält 867 Arbeiten. 

Wir wünschen diesem ausgezeichneten Werke, welches demnächst in deutscher 
Sprache erscheinen soll, eine grosse Verbreitung. 

Edward Flatau (Berlin). 


Experimentelle Physiologie. 

2) lieber colorirten Gesohmaok, von Dr. M. Eberson. (Wiener med. Presse. 
1897. Nr. 49.) 

Verf. theilt mit, dass schon seit einer Beihe von Jahren bei seiner Person die 
Empfindung einer blauen Farbe beim Kosten einer Säure und der rothen oder gelben 
Farbe beim Schlucken einer bitteren Substanz auftrete; umgekehrt sei der Anblick 
einer blauen Farbe mit der Empfindung einer Säure verbunden. Oft genüge schon 
der Gedanke an etwas Saures, um die Sensation einer intensiv blauen Farbe zu er* 
halten. Beim Schmecken von etwas Süssem werde keine Sensation aufgelöst. 
Untersuchungen anderer Leute daraufhin fielen negativ aus. 

J. Sorgo (Wien). 


8) Note sur un nouveau caa d’audition coloree, par A. Graf 6 (Liöge). 
(Revue de Mddecin. 1897. Mars. S. 192.) 

Die Erscheinung des Auftretens bestimmter Farbenbilder („images et non iddes“) 
beim Hören laut gesprochener Vocale beobachtete Verf. bei einer jungen Dame. 
Der Vocal a rief die Empfindung schwarz, der Vocal i die Empfindung roth hervor. 
Alle übrigen Vocale waren mit keiner Farbenempfindung associirt, ebenso wenig die 
Consonanten. Bei der blossen Vorstellung der Vocale und beim leiseu Lesen der* 
selben trat die Erscheinung nicht hervor. Strümpell (Erlangen). 

4) Further remarks ou colour hearing, by W. S. Colman. (Lancet. 1898. 
Jan. 1.) 

Verf. stellt auf einer farbigen Tafel die Farben zusammen, welche 21 Individuen 
bei dem Hören der 5 Vocale empfinden, und welche 7 Individuen bei dem Hören 
aller Buchstaben des Alphabets empfinden. Es ergiebt sich daraus wiederum, dass 
diese secundären Sinnesempfindungen, wie auch Bef. betont hat, bei verschiedenen 
Personen ausserordentlich verschieden sind. Th. Ziehen. 


6) Interferons zwischen verschiedenen Impulsen im Centralnervensystem, 
von L. Hofbauer. (Pflüger’s Archiv. Bd. LXVIII.) 

Verf. hat den Einfluss starker Sinnesreize auf die ergographische Curve unter¬ 
sucht. Bekanntlich ist die ergographische Technik noch keineswegs einwandfrei. 
Um so werthvoller sind die Bemühungen des Verf.’s einige wesentliche Fehlerquellen, 
so namentlich die Unzulänglichkeit der Fixation, auszuschalten. Als Sinnesreiz dienten 
blinde Revolverschlüsse. Es ergab sich zunächst, dass dieselben Gewichtshebungen 
hervorrufen, welche diejenigen der maximalen Willensanstrengung erheblich übertreffen. 
Verf. schliesst daraus, dass „der quergestreifte Muskel eine grössere Arbeitsleistung 
aufzubringen vermag, als in dem Falle, wo er ausschliesslich vor einem maximalen 
Willenaimpuls getroffen wird." Im Allgemeinen ist dies Plus um so grösser, je 

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weiter die Ermüdung des Muskels durch vorausgegangene Willkürarbeit Torgeschritten 
ist So glaubt Verf. auch die pathologische Erfahrung erklären zu können, dass bei 
herabgesetzter Leistungsfähigkeit oft die Beflexthätigkeit gesteigert ist 

Wird die Versuchsperson sofort nach dem Schuss durch ein Signal zur Hebung 
des Gewichts aufgefordert, so fällt die willkürliche Hebung zu schwach ans und 
verspätet sich merklich. Beträgt das Intervall zwischen Schuss und Signal mehr 
als 1 / i Secunde, so ist die Verringerung der Hebhöhe kaum noch merklich, während 
die Verspätung noch deutlich ist Letztere fällt erst dann weg, wenn das Intervall 
mehr als eine Secunde beträgt. Seltsamerweise erwähut Verf. die analogen Ver¬ 
suche über die Beactionszeit (z. B. von W undt) nicht. 

Versuche mit faradischen Hautreizen und optischen Beizen ergaben zum Theil 
ähnliche Besultate. Verf. schliesst daher ganz allgemein: Fällt der Tusch (d. b. der 
starke momentane Beiz) nur wenige Zehntel Secunden vor die Willkürreaction, so 
pflegt er diese zu hemmen; fällt die Willkürreaction einige Zehntel Secunden vor 
den Tusch, so pflegt sie den Effect des letzteren za hemmen. 

Sehr bemerkenswerth ist auch, dass ein zweiter Tuschreiz einen motorischen 
Effect auslöst, welcher nicht nur die Grösse des durch den ersten Tuschreiz erzielten 
erreicht, sondern in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle übertrifft. Es wirkt also 
der Ablauf der ersten Tuschwirkung bahnend (im Sinne Exner’s) auf den Ablauf 
der zweiten. Diese Bahnung ist am erheblichsten, wenn inzwischen eine Intentions¬ 
zuckung regelrecht abläuft Eine dritte Tuschzuckung erscheint in der Curve noch 
höher als die zweite. Die bahnende Wirkung ist auch dann noch bedeutend, wenn 
das Intervall zwischen den Tuschreizen bis auf 2 Secunden steigt 

Das Gesammtergebniss seiner interessanten Versuche formulirt Verf. dahin, dass 
„eine dem Centralnervensystem zugeführte starke Erregung einerseits die motorische 
Leistungsfähigkeit desselben Über das Normale hinaus steigert und andererseits den 
Einfluss der Willkürintention herabsetzt“ Th. Ziehen. 


6) Zu J. Rosenthal’e (Erlangen) und M. Mendelsohn's (St. Petersburg) 
Mittheilung: Ueber die I>eitungsbahnen der Reflexe und den Ort der 
Beflexübertragong (Neurolog. Centralbl. 1897. Nr. 21), von Dr. S. Erben 
in Wien. (Wiener klin. Wochenschr. 1897. Nr. 49.) 

Verf. sieht in der Arbeit Bosenthal’s und Mendelsohn's eine Stütze für 
seine früher ausgesprochene Ansicht „dass die grossen Nervenzellen des Vorderhorns 
nicht jene Centra sind, wo die aus der Peripherie kommende Erregung in centrifugale 
umgesetzt wird“ (Neue Beiträge zur Kenntniss der Beflexe. Wiener med. Wochen¬ 
schrift. 1890. Nr. 21). Die beiden Autoren verlegen die Stellen für den Ablauf 
der Beflexe bei geringsten Beizen auch für die unteren Extremitäten in den oberen 
Theil des Halsmarks unterhalb der Spitze des Calamus scriptorius auf Grund von 
Thierversuchen und klinischen Beobachtungen. J. Sorgo (Wien). 


Pathologische Anatomie. 

7) Contributo all* anatomia patologioa del trauma nervoso, per A. de Luzen- 
berger. (Annali di Nevrologia. XV. 3.) 

Die feinere Anatomie der Veränderungen des Nervensystems, die durch indirectes 
Trauma hervorgebracht werden, ist schon von vielen stndirt und beschrieben worden. 
Der strittige Punkt dabei ist immer der, ob es sich um rein regressive oder um 
entzündliche Vorgänge handelt. 

Von 7 Meerschweinchen, die nach Hammerschlägen auf den Schädel oder nach 
anderen Insulten, wie Stoss mit dem Kopf gegen eine Mauer epileptisch geworden 


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waren, untersuchte Verf. das Centralnervensystem vornehmlich an Nissl-Präparaten. 

Verf. beschreibt die bei den einzelnen Thieren erhaltenen Resultate und kommt 
zu folgenden Schlossen: 

1. Die allgemeinen Ernährungsstörungen nach einem Trauma, das das Nerven¬ 
system getroffen, zeigt sich zuerst in der Vermehrung der regressiv veränderten 
Ganglienzellen. 

2. Die dem Trauma folgenden circumscripten Läsionen verdanken ihren Ur¬ 
sprung dem Contrecoop und der durch den Liquor cerebrospinalis fortgeleiteten 
BrsohOtterung. 

3. Auch wenn gröbere Veränderungen fehlen, finden sich mikroskopisch oft an 
den dem Contrecoop ausgesetzten Stellen Zellalterationen und Zerreissuugen der 
Markscheiden auch in weiter Entfernung vom Angriffspunkt des Traumas. 

4. Die Veränderungen der Ganglienzellen besteben in einer eigentümlichen 
polaren Anordnung des Chromatins. 

5. Hammerschläge, selbst wenn sie auf den Kopf eingewirkt haben, können 
Veränderungen im Rückenmark setzen, die eine Heterotopie Vortäuschen. 

6. Im ROckenmark finden sich in Folge des Traumas oft sclerotische Inseln, 
vornehmlich dort, wo die Zerreissnng am stärksten. 

7. Das Gefasssystem reagirt auf Traumen durch Erweiterung der Capillaren 
und Venen. 

8. Folgt Kachexie auf die Verletzung, so ähneln die Zellveränderungen oft den 

bei der progressiven Paralyse beobachteten. Valentin. 


8) 8a d’ana speoiale alteraxione dolle oellule gangliarl prodotta da 
traoma sperimentale, per A. de Lnzenberger. (Giornale dell’ Ass. dei Med. 
e Natureiist VII. 4.) 

Ueber die anatomischen Grundlagen der traumatischen Neurose gehen die An¬ 
sichten sehr weit auseinander. Verf. untersuchte nun die Gehirne von Meer¬ 
schweinchen, die nach Hammerschlägen auf das Schädeldach mit epileptischen Con- 
vulsionen erkrankt waren, ohne dass Hämorrhagieen oder gröbere Zerreissungen dem 
Traoma gefolgt werden. 

Von einem solchen Thier, das 56 Tage nach dem Trauma getötet wurde, und 
ausser der Lähmung einer Pfote keine krankhaften Erscheinungen mehr darbot, be¬ 
schreibt Verf. einen eigenthQmlichen Befund. Die Ganglienzellen der Scheitel- und 
Schläfenlappen beiderseits zeigten an Nissl-Präparaten eine Anhäufung der stärker 
färbbaren Substanz an einem Pol der Zelle, während an dem anderen das Proto¬ 
plasma rareficirt erschien. Der Kern bildete die Grenze zwischen beiden Abschnitten. 
Diese Veränderungen fanden sich an den dem Einwirkungsort des Traumas nächst¬ 
gelegenen Himtheilen. 

Die wiederholten Hammerschläge hatten hier zwei Substanzen von verschiedenen 
specifischen Gewicht getrennt, die in der Regel innig vereinigt sind. Man kann das 
experimentell nachahmen, wenn man in einer Röhre ein leichtes und schweres Pulver 
mischt Führt man Schläge gegen die MOndung der Röhre aus, so trennen sich 
beide Polverarten. Valentin. 


Pathologie des Nervensystems. 

0) Ueber Unfallerkrankongen, von Prof. Dr. Richard Schulz. (Festschrift 
zur 69. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte. Braunschweig. 1897.) 

Verf. skizzirt zuerst den augenblicklichen Stand der wissenschaftlichen Ansichten 
bezüglich der Nervenerkrankungen nach Unfall, bringt dann einen ausgeprägten Fall 

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von Bailwayspine, welchen er seit 1879 unter Beobachtung hatte. Der Zustand 
desselben war im grossen Ganzen in dieser langen Zeit immer derselbe geblieben. 
Gewechselt hatte nur die Art and Weise der Auffassung des Krankbeitsbildee, ein 
Wechsel, den Verf. an sich selbst durcbgemacht hatte. 8eine Anschauungen Aber 
die traumatischen Neurosen sind im wesentlichen kurz folgende. Es ist zwar anzu¬ 
streben , jedesmal den Krankheitsfall unter die bestehenden Krankheitsbilder der 
Neurasthenie, Hysterie, Hypochondrie, Melancholie u. s. w. einzureihen, jedoch ist es 
nicht unpraktisch, wenn Jenes nicht möglich ist, es bei der Bezeichnung „trauma¬ 
tische“ Neurose zu belassen. Dies bat auch den Vortheil, dass die Ausdrücke 
Hypochondrie und Hysterie, welche für den Richter „anrüchig“ sind, vermieden werden. 
Was die Pathogenese betrifft, so wirkt in erster Linie die psychische Erschütterung, 
Begehrangsvorstellungen (Strümpell) haben allenfalls eine krankbeitsunterhaltende 
Bedeutung, aber keine krankheitmachende. In dieser Beziehung will Verf. die schweren 
UnfaUneurosen von den leichten geschieden wissen. Bei den letzteren schliesst Verf. 
sich der Strümpell'schen Auffassung vollständig an. 

Von grosser Bedeutung ist auch der chronische Alkoholismus. Was die Simu¬ 
lation angeht, so glaubt Verf., dass dieselbe sehr selten ist, jedoch aber unbewusste 
Uebertreibung sehr häufig auftritt Die Symptome von Seiten des Hautgefühls und 
die Gesichtsfeldeinengungen sind, wenn genau untersucht, von grossem Werth, weniger 
Bedeutung hat die Steigerung der Herzthätigkeit und der Sehnenreflexe. Das fibril¬ 
läre Muskelzucken ist ein werthvolles Symptom, sobald man das Kältezittern aua- 
schliesst Die Prognose ist bei älteren Unfallsneurosen schlecht Grosser Werth ist 
auf die baldige Unterbringung der Patienten in solche Krankenhäuser zu legen, in 
welchen in Unfallkrankheiten erfahrene Aerzte sind. 

Im zweiten Theil seiner Arbeit bringt Verf. zwei interessante organische Unfall¬ 
erkrankungen. 1. Kopfcontusion mit Bruch des Oberkiefers im Jahre 1886. Kopf¬ 
schmerzen bis 1895. In diesem Jahre Steigerung der Kopfschmerzen, Gedächtnis¬ 
schwäche, Aussetzen der Arbeit. Befund 1895: freies Sensorium, weinerliche 
Stimmung; Andeutung von amnestischer Aphasie; rechte Pupille weiter als links; 
normale Beaction; doppelseitige Stauungspapille; geringe Schwäche des rechten Facialis. 
Schwanken nach rechts beim Gehen und Stehen. Steigerungen der Reflexe am linken 
Bein. Die Beaction zeigte ein Gliosarcom des linken Schläfenlappens. Verf. kam 
zum Schluss, dass die Geschwulst sich in Folge des Unfalls entwickelt batte. 

2. 22jähriger Mann, welchem 1892 ein 6 Centner schwerer Stein auf den 
Bücken fiel. Lähmung der Beweglichkeit und des Gefühls beider Beine, Urinver¬ 
haltung, unwillkürlicher Abgang des Stuhls. Die Untersuchung ergab ein Vorspringen 
nach hinten und links des 2. Brustwirbels und 1. Lendenwirbels. Gang watschelnd 
mit sehr starkem Pendeln des Beckens. Geringes Nachziehen des rechten Beines. 
Bücken und Aufrichten schwerfällig. Beide Beine activ und passiv frei beweglich. 
Gesässmuskeln schlaff und welk, besonders rechts. Anfängliche Lähmungen des 
rechten und linken Beines und anfängliche Peroneuslähmung mit Entartungsreaction 
waren zurückgegangen. Desgleichen die anfänglichen Schmerzen im Kreuz und in 
den Beinen. Bestehen blieb Empfindungsstörung im Bereich des N. cut. femor. 
poster. des Barn. cut. cror. later., des N. peroneus, des N. peron. superficialis, der 
N. cluninm inferiores und des Plexus pudendalis bei Freibleiben des Gebiets des 
N. cruralis und Obturatorius. Atrophieen und Schwäche der betreffenden Muskulatur 
fanden sich im Ischiadicusgebiet und dem des N. gluteus super, und Inferior. Verf. 
stellt keine sichere Localdiagnose, vermuthet nur den Sitz der Läsion der Cauda 
equina in der Höhe zwischen 1. und 2. Lendenwirbel. Paul Schuster (Berlin). 


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10) Bin Fall von schwerer Sohädelläslon mit günstigem Ausgange, von 

Begimentsarzt Dr. Erich Kunze in Budapest (Wiener med. Wochenschr. 

1898. Nr. 5.) 

Ein 38jähriger Bittmeister stürzte vom Pferde. Aus der Nase sickerte Blot, 
ans den Obren nicht Tiefer Sopor, nnwillkürlicher Urin* und Kothabgang, B. 16, 
P. 62, T. 37,2; beide Papillen reactionslos, beide Corneae unempfindlich; Lähmung 
des rechten Oculomotorius und Facialis, rechtsseitige Hemiplegie; 3facher Knochen* 
brach des Unterkiefers. 

Die Diagnose wurde gestellt auf Commotio cerebr. Blataustritt in die Schädel¬ 
höhle an der Gehirnbasis entsprechend der rechten Scala media, wahrscheinlich in 
Folge von Fissura baseos. 

Der Sopor dauerte 10 Tage. In den ersten 3 Tagen Cheyne-Stockes’sches 
Athmen. Urin und Koth gingen durch 2 Wochen unwillkürlich ab. Von der zweiten 
Woche an Besserang aller Symptome. Am längsten dauerte die Oculomotorius¬ 
lähmung. Nach 4 Wochen kann er langsam gehen, es besteht noch etwas Gedächt¬ 
nisschwäche. Ophthalmoskopischer Befund: Papille abgeblasst, an der temporalen 
Seite nahezu pergamentfarbig, die kleinen Gefässe temporalwärts atrophirt, die grossen 
Centralgefässe abgeflacht. Concentrische Gesichtsfeldeinschränkung, Herabsetzung des 
Farbensinnes, besonders für Grün. J. Sorgo (Wien). 


11) Ueber einen weiteren Fall von nervösen Folgeznständen naoh Gehirn¬ 
erschütterung mit Seotionsbefünd, von Dr. M. Friedmann in Mannheim. 

(Deutsche Zeitschrift für Nervenheilkunde. IX. 1897.) 

Ein 48jähriger, früher lebensfroher und energischer Mann von hünenhaftem 
Wuchs, bis zum Krieg 1870/71 stets gesund, erlitt in diesem Feldzug durch die 
Splitter einer in seiner unmittelbaren Nähe platzenden Bombe eine Gehirnerschütterung. 
Im Anschluss daran langes Krankenlager mit mehrwöchentlicbem Bewusstseinsverlust 
und Amnesie vom Augenblick der erlittenen Verletzung an. Nach Jahresfrist ist 
Patient zwar wieder arbeitsfähig, aber in Wesen und Charakter vollständig verändert 
und zwar jetzt furchtsam, energieschwach und hypochondrisch, ausserdem gegen 
körperliche Anstrengungen und Alkohol sehr intolerant Es gesellte sich eine mit 
den Jahren progressive, essentielle Gedächtnissschwäche, nervöse Beizbarkeit und 
Steifigkeit des Ganges hinzu. Etwa 23 Jahre nach dem Unfall kamen zeitweilig 
auftretende Schwindelanfalle mit lallender Sprache, erhöhte Pulsfrequenz mit Parese 
des rechten Arms hinzu, doch verschwand letztere nach kurzer Zeit wieder. Nach 
einer stärkeren körperlichen Anstrengung stellte sich 2 Jahre später die Armparese 
wieder ein, um nicht mehr zu schwinden. Ausserdem bestand bei dem Kranken sehr 
deutliche Intoleranz gegen den galvanischen Strom. September 1896 apoplectischer 
Insult, Lähmung der ganzen rechten Körperhälfte, lallende Sprache, Pulsverlang- 
samung, Druckempfindlichkeit der linken Schläfenschuppe (Gehirnabscess?), Somnolenz, 
Exitus. Bei der anatomischen Untersuchung des Gehirns fand sich dessen Substanz, 
ausser einem frischen hämorrhagischen Herd im linken Schläfenlappen, normal. An 
der Art. vertebralis, besonders aber an der Art. basilaris liessen sich indessen deut¬ 
liche Veränderungen nachweisen, welche als Endarteriitis obliterans mit frühzeitiger 
Arteriosderose aufzufassen waren. Für die erst vorübergehend vorhandene und später 
dauernd zurückgekehrte Parese des rechten Armes liess sich keine anatomische Grund¬ 
lage finden, und ist es wahrscheinlich, dass dieselbe mit den Gefässveränderungen in 
den linken Centralwindungen in Zusammenhang zu bringen ist Die Mittheilung 
dieses Falles beweiset recht deutlich, dass functionelle Lähmungen bei Commotio 
earebri auch auf anderem Wege, als durch Hysterie zu deuten sind. Ferner ergiebt. 
sich daraus, in der allzu einseitigen Verwendung des „psychogenetisehen“ oder gar 
des socialpsychologischen Erklärungsmotivs bei hartnäckigen und dennoch scheinbar 

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einfach functioneil bleibenden Folgezuständen des Gehirnshocks in Zoknnft etwas 
zurückhaltender zn sein. Nach der Ansicht des Verf. bildet das Auftreten essen* 
tieller Gedächtnisschwäche jedenfalls ein wichtiges Moment für die Annahme mole- 
cularer Veränderungen innerhalb der Nervenzellen. EL Asoh (Frankfurt a./M.). 


12) Subaraohnoideale seröse Bxsudation nach Kopfverletzungen und da¬ 
durch hervorgerufene Druokaymptome, von Walton. (American Neuro- 
logical Association. 1897.) 

Schlusssätze: 1. Eine Schädel Verletzung kann zu localer Quetschung und 
Congestion mit subarachnoidealer seröser Exsudation fahren. 2. Die Flüssigkeit kann 
abgekapselt sein und focale Lähmung bedingen. 3. Der Process ist nicht compen- 
satorischer Natur, er ist verwandt mit Qninke’s seröser Meningitis. 4. Die Läsion 
ist circumskript (self-limiting). 6. Die Differentialdiagnose gegenüber einer Blutung 
ist schwer; atypischer Verlauf ohne Steigerung der Symptome und Erhaltenbleiben 
des Bewusstseins sprechen mehr fflr seröse Exsudation. 6. Eine sofortige Operation 
bei focaler Lähmung ist nicht unbedingt nöthig, vielleicht jedoch stets gerechtfertigt. 
7. Diese Affection ist besonders zn berücksichtigen vor Operationen an Kindern und 
jungen Leuten. 

An der Discussion betheiligen sich Putnam, Gollins, Patrick, Angell, 
Berter, Bullard, Prince, Sachs und Allen Starr: sie theilen kurz ähnliche 
Fälle mit und treten im Wesentlichen den Ausföhrungen des Verf.’s bei. 

_ B. Pfeiffer (Cassel). 


13) Ueber das Auftreten von Hirngesohwülsten nach Kopfverletzungen, 
von Dr. Adler in Breslau. (Archiv für Unfallheilkunde. Bd. II.) 

Verf. hat aus der Litteratur mit sehr grossem Fleiss diejenigen Fälle von Hirn* 
tumor zusammengestellt, in welchen in der Anamnese eine Kopfverletzung verzeichnet 
ist und will an der Hand dieses Materials nach Kriterien suchen, auf Grund deren 
der Gutachter im speCiellen Fall seine Entscheidung treffen kann. Dabei zeigt sich, 
dass weder in Bezug auf Geschlecht und Lebensalter, weder in der Natur des Tumors, 
noch in seinem Sitz zwischen „traumatischen" und „nichttraumatischen" Hirn- 
geschwfilsten ein erheblicher, für den Gutachter in Betracht kommender Unterschied 
besteht. Es macht aber demgegenüber in einer Anzahl von Fällen schon die Anam¬ 
nese einen Zusammenhang zwischen Verletzung und Geschwulstbildungen wahrschein¬ 
lich, wenn sich nämlich an die traumatischen Beschwerden allmählich typische 
Tumorsymptome anschliessen. ln zweifelhaften Fällen wird eine ungefähre Alters¬ 
bestimmung des Tumors aus dem anatomischen Befunde zu versuchen sein. Andere 
Male wird die Uebereinstimmung des Angriffsortes der Gewalt mit dem Sitz des 
Tumors eventuell Residuen der Verletzung an den weichen Schädeldecken, dem 
Schädelknochen oder den Hirnhäuten an correspondirender Stelle die ätiologische 
Bedeutung des Schädeltraumas ausser Zweifel stellen. Doch ist damit nicht gesagt, 
dass nicht auch an von dem Angriffsort weit entfernten Hirnstellen auftretende Ge¬ 
schwülste die Folge der Verletzung sein können. In solchen Fällen wird wiederum 
die Anamnese zu Bathe zu ziehen sein. Bezüglich der Details ist auf die 118 Fälle 
enthaltende Tabelle zu verweisen. Paul Schuster (Berlin). 


14) Von der Verwaohsung oder Steifigkeit der Wirbelsäule, von Prof. W. 
v. Bechterew in St. Petersburg. (Deutsche Zeitschrift für Nervenheilkunde. 
XI. 1897.) 

Die Casuistik der vom Verf. schon früher als eine besondere Erkrankungsform 
beschriebenen Steifigkeit der Wirbelsäule wird in der vorliegenden Abhandlung um 

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einen neuen Fell bereichert. Da derselbe in den Bahnen der früher gegebenen 
Symptomatologie passt, sollen an dieser Stelle nur die wichtigsten Momente besprochen 
werden. Die eigentümliche Erkrankung betraf einen 52 jährigen Mann. Es fand 
sich eine Kyphose im oberen Brust- und unteren Halsabschnitt der im Bereich der 
Brostwirbel vollkommen und in den übrigen Theilen beträchtlich versteiften Wirbel¬ 
säule. Wurzelsymptome sind stark und mannigfaltig, besonders in der Brustgegend, 
ansgesprochen, und stellen sich für den Patienten änsserst qualvoll dar. Da die 
Muskeln des Thorax paretisch und theilweise atrophisch sind, nimmt die Athmung 
den abdominalen Typus an. Als ätiologisches Moment ergiebt sich ans der Anamnese 
keine Heredität, wohl aber Trauma, ferner sei noch eine vor 15 Jahren erworbene, 
sehr vernachlässigte, luetische Infection daraus hervorgehoben. Die Prognose der 
langsam progressiven Krankheit lautet quoad valetudinem ungünstig und wird hierin 
auch nichts durch die Therapie geändert, deren Qmndzüge vom Yerf. angegeben 
werden. E. Asch (Frankfurt a./M.). 


15) Bemerkung über die chronische ankylosirende Entzündung der 
Wirbelsäule und der Hüftgelenke, von Prof. Dr. Adolf Strümpell in 
Erlangen. (Deutsche Zeitschrift für Nervenheilkunde. XI. 1897.) 

Im.Anschluss an die Bechterew’sche Arbeit theilt Yerf. die Krankengeschichte 
eines 39 jährigen, früher vollkommen gesunden Bauersmannes mit. Ohne besondere 
Schmerzen hatte sich hier allmählich eine Yersteifnng der Wirbelsäule ausgebildet, 
wovon die Hals- und oberen Brustwirbel frei geblieben waren. Ferner bestand 
eine mässige Beugecontractur im rechten und eine unbedeutende Contractur im 
linken Hüftgelenk. Sowohl die Beinmuskulatur, als auch die langen Bückenmuskeln 
fühlten sich gespannt und fest an, letztere erschienen zugleich atrophisch. Doch 
war die Steifigkeit nicht durch die Muskelspannung bedingt, da sie auch in der 
Chloroformnarkose unverändert bestehen blieb. Es handelt sich wahrscheinlich um 
eine Ankylosirung auf „chronisch-entzündlicher“ Basis, doch ist der Process ausge¬ 
zeichnet durch das Fehlen von stärkeren Schmerzen, von auffallenden Deformitäten 
und entzündlichen Ergüssen in die Gelenke, Bowie endlich durch die alleinige Loca* 
lisation an der Wirbelsäule und den Hüftgelenken. In Ermangelung pathologisch- 
anatomischer Befunde ist nach Yerf. die Classificirung dieses Falles, sowie zweier 
ähnlicher, früher beobachteter Fälle nicht sichergestellt 

E. Asch (Frankfurt a./M.). 


10) Sur un oas de cyphose heredo-traumatique, par Pierre Marie et Charles 

Astid. (Presse medicale. 1897. Octobre.) 

Ein 1897 60jähriger Tischler wurde im Jahre 1886 von heftigen allgemeinen, 
neuralgischen Schmerzen in Armen und Beinen befallen. Der Allgemeinzustand blieb 
gut Trotzdem musste der Kranke beim Gehen einen Stock benutzen. Um diese 
Zeit fing er an etwas krumm zu gehen mit einer leichten Krümmung im dorso-cervi- 
calen Theil. Diese Haltung war übrigens, wie die Nachforschung ergab, in seiner 
Familie erblich. Im April 1890 fiel er auf der Strasse so unglücklich, dass ein 
Topf und eine Kanne unter seinen Bücken zu liegen kamen. Dabei empfand er 
solchen Schmerz, dass er bewusstlos wurde. Nach einigen Minuten kam er zu sich, 
er wurde von Passanten aufgehoben und ging weiter. Er that dann seine 
Arbeit weiter bis zum Abend. Beim zu Bette gehen traten wieder heftige 
8ch merzen auf. Zwei Tage blieb er zu Bett, konnte aber dann nicht mehr arbeiten. 
Seitdem hatte er das Gefühl eines furchtbaren Gewichtes auf dem Bücken und konnte 
kaum mehr gehen. Seit dem dritten Tag nach dem Unfall war sein Bücken nun 
stark gekrümmt und zwar trat diese starke Yerkrümmnng in 24 Stunden ein. Seit 


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den zwei letzten Monaten soll die Verkrümmung stetig angenommen haben. Objectiv 
bestand eine enorme Kyphose der nntern Hals- and der ganzen Brustwirbelsäule. 
Ausserdem bestand eine unbedeutende Scoliose. Absolute Immobilität der Wirbel¬ 
säule. Keine Difformität im Lendentheil, keine Atrophie der Rumpfmuskeln, keine 
Besonderheit an den Beinen, keine Zeichen von Rhachitis. Gang mit Krücken, 
aber auch ohne solche zur Noth möglich. Keine Druckempfindlichkeit der 
Wirbelsäule, keine Sensibilitätsstörungen, normale Patellarreflexe. 

Die Verff. bringen ihren Fall in Beziehung zu den von Kümmel, Henle u. A. 
beschriebenen Fällen von traumatischer Kyphose und lassen es offen, ob bei einigen 
dieser letzteren Fälle nicht Hysterie mit im Spiele sei. Für ihren Fall, der analoga 
in denjenigen findet, die Bechterew 1893 beschrieben hat, schlagen sie unter 
besonderer Betonung der hereditären Prädisposition den Namen Kyphose heredo- 
traumatique vor. Paul Schuster (Berlin). 


17) Experimentelle Untersuchungen über Rüokenmarksersohütterung, 
von Dr. Gisbert Kirchgässer, Assistenzarzt an der medicin. Klinik in Bonn. 
(Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. XI. 1897.) 

Verf. folgt bei seinen Untersuchungen im Grossen und Ganzen der zuerst durch 
Schmaus beschriebenen Versuchsanordnung, Die sechs Versuchstiere wurden nach 
8—14 Tagen getödtet, das Rückenmark sofort herausgenommen und dreimal nach 
Marchi gefärbt, während die Präparate der drei übrigen und der Controlthiere 
nach Marchi und Weigert behandelt wurden. Die anatomische Untersuchung eigab 
eine sich stets am Orte der Einwirkung der Schläge, also hier in der unteren Hälfte 
des Dorsalmarks, durch Zerfall der Markscheiden und Ausfall ganzer Fasern charak- 
terisirende Querschnittserkrankung nebst secundärer ab- und aufsteigender Degeneration. 
Dieselbe war jedoch offenbar von der Stärke der ausgeführten Hammerschläge ab¬ 
hängig und war in einem Falle, in welchem die Versuche unterbrochen werden 
mussten, nur angedeutet. Verletzungen der Wirbelsäule oder Blutungen iu den Wirbel¬ 
canal oder in das RQckenmark selbst wurden nicht bemerkt. 

E. Asch (Frankfurt a./M.). 


18) Zur Beurtheilung der nach Bisenbahnunfällen auftretenden Er¬ 
krankungen, von Dr. Stadelmann in Würzburg. (Münchener med. Wochen¬ 
schrift. 1897. Nr. 46.) 

Verf. vertritt auf Grund seiner Erfahrung die Ansicht, dass die im Gefolge 
eines Eisenbahnunfalls auftretende Neurose nicht auf den mechanischen Shok, sondern 
auf den psychischen Affect zurückzuführen sei, derart, dass die fortwirkende Vor¬ 
stellung des erlittenen Schrecks in Verbindung mit Associationen ähnlichen Inhalts 
das Krankheitsbild functioneller Störungeu hervorruft. Demgemäss wirkt die auf 
suggestivem Wege erzielte „Vergessenheit des grossen Schreckens“ als Heilung. Verf. 
zeigt dies besonders an der Hand eines Falles, in welchem nach sechs wöchentlicher 
Krankheit der nach einem Eisenbahnunfall aufgetretene Symptomencomplex geistiger 
und körperlicher Alteration verschwand, nachdem es gelang, die Erinnerung an die 
Begebenheit aus dem Ideeenkreis des Betroffenen auszuschalten. 

E. Asch (Frankfurt a./M.). 


18) Concuasion of the spinal oord (railway spine), by Forest Willard 
and William G. Spiller. (New York medical Journal. 1897. March 6.) 

Nach einer durch heftigen Stoss entstandenen Fractur des 11. Brustwirbels trat 
völlige Lähmung beider Beine mit Verlust der Sensibilität an denselben mit Aus- 

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nähme des Bezirks des N. cutaneus ext. ein. Die Bückenmarksläsion war im ersten 
bis dritten Lnrnbalsegment localisirt. Es bestand Betentio nrinae et alvi. Der Tod 
trat am 6. Tage nach dem Unfall ein. Die Section ergab Blutungen im Muskel« 
und Bindegewebe an der Fractnrstelle; im Vertebralcanal lag extradural ein Blut- 
kragulum. Innerhalb der intacten Dura war keine Blutung. Das Bückenmark war 
überall fest, von normaler Gestalt. Die nach Härtung in Müller’scher Flüssigkeit 
mikroskopisch gefundenen Veränderungen im ersten bis dritten Lumbalsegment be¬ 
standen in Verlagerung von Fasern anf der einen Bückenmarkshälfte, in zahlreichen 
Blutungen, verändertem Blutpigment, zahlreichen Körchenzellen, nekrotischem Gewebe, 
geschwollenen Axencylindem und Ganglienzellen und einer Bundzelleninfiltration. 
Die Nervenwurzeln zeigten Schwellung der Axencylinder und matte Färbung der 
Markscheiden. Die Blutgefässe waren stark erweitert. 

Der Fall entspricht dem von A. Westphal, dessen Patient den Unfall 7 Tage 
überlebte; hier waren die grössten Veränderungen im Sacralmark. Nach den sich 
immer mehr häufenden positiven Befunden im Bückenmark nach Bückenmarks- 
erschüttemng ist es gewiss nicht mehr angebracht, auch nur einen beträchtlichen 
Theil der nach solcher Erschütterung auftretenden Symptome als rein functionelle, 
auf eine Neurasthenie zu beziehende, aufzufassen. M. Bothmann (Berlin). 


20) Beitrag zur Beurtheilung der nach Eisenbahnunf&llen auftretenden 

Erkrankungen, von Dr. Stepp, Bahnarzt in Nürnberg. (Münchener med. 

Wochenschr. 1897. Nr. 41 u. 42.) 

Der Verf. kämpft gegen die Bezeichnung „Neurose“ des nach Eisenbahnunfällen 
auftretenden, nervösen Krankheitsbildes und ersetzt sie mit dem Ausdruck „trauma¬ 
tische Nervenerkrankung“. Hierdurch wird der Charakter rein functioneller Störung 
für viele Fälle in Abrede gestellt und die somatische, wenn auch nur moleculare 
Läsion des Gesammtnervensystems in den Vordergrund gerückt. Eine grössere Beihe 
von eigenen Beobachtungen dient zur Stütze dieser Ansicht In dem vielgestaltigen 
Symptomencomplexe sind in dieser Hinsicht von besonderer Bedeutung die objectiven, 
körperlichen, auch jede Simulation ausschliessenden Erscheinungen, wie z. B. multiple, 
periphere Nenrome, Atrophie der cutanen Gebilde des Kopfes mit Ergrauen und Aus¬ 
fallen der Haare u. A. Als Ursache der Nervenläsion erkennt Verf. die Erschütte¬ 
rung und legt auf das „Mehrfache“ des Traumas, wie es gerade für Eisenbahnunfälle 
mit ihrem Hin- und Herschütteln charakteristisch ist, besonderen Werth. Hierzu 
passt auch die Beobachtung, dass einmalige, wenn auch schwere mit Verlust von 
Extremitäten einhergebende Verletzungen den nervösen Symptomencomplex nicht im 
Gefolge haben. ‘ E. Asch (Frankfurt a./M.). 


21) lieber traumatische Blutungen um und in das Büokenmark, von 

Dr. P. Stolper. (Monatsschr. f. Unfallheilkunde. 1898. Nr. 2.) 

Verf. berichtet über 59 Fälle von tödtlichen Bückgratverletzungen. Er kommt 
gemäss den Autopsieen zu folgenden Schlüssen: 1. Blutungen um und in das Bücken¬ 
mark kommen bei allen schweren Bückgratsverletzungen vor, selten ohne solche. 

2. Die extramedullären Blutungen waren nie so gross, dass durch sie eine tödtliche 
Markquetschung oder eine Verblutung hätte hervorgerufen werden können. Sie waren 
stets mit einer Markquetschung verbunden, hatten also keine selbständige Bedeutung. 

3. Die extradurale Blutung reichte über den Quetschungsherd hinauf. 4. Intra¬ 
medulläre Blutungen fanden sich nur im Halsmark (wohl deshalb, weil Lendenmark¬ 
verletzungen selten früh zur Section kommen). 5. Die centralen Blutungen bestanden 
immer neben Quetschungserscheinungen. 6. Die Verbreitung der Blutung erfolgte 
stets in der Längsaxe. 7. Ausser der Anamnese sprachen auch die anatomischen 


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Befände dafür, dass die Rückenmarkszerrung für die Blutung zu beschuldigen ist. 
Frische, extramedulläre Blutungen sind nur dann gefährlich, wenn sie so gross sind, 
dass sie das Rückenmark comprimiren. Dies ist aber ans mehreren Gründen von 
vornherein unwahrscheinlich. Die intramedulläre Blutung tritt dort am ehesten auf, 
wo die Wirbelsäule am leichtesten überbogen wird. Für die „Rührenblutung“ kommt 
auch die Zerrung des Rückenmarks sehr in Betracht. Eine centrale Blutung ledig« 
lieh durch directen Stoss gegen die Wirbelsäale ist anatomisch nicht erwiesen. Verf. 
glaubt daher nicht an eine Commotio-medullae. Einen Fall von intramedallärer, 
centraler Blutung im Halsmark, welcher die Besonderheit hatte, dass er mit sehr 
geringer Markquetschung combinirt war, beschreibt der Verf. Es handelte sich um 
einen Fall auf Hinterkopf und Nacken, bei welchem ein Bruch in der Halswirbel* 
säule vorlag. Die 4 Extremitäten, die Athmung und die Pupillen waren gelähmt 
Der Patient starb naoh 32 Stunden. Die, wie gesagt, kaum mit Quetschung ver¬ 
bundene Blutung reichte vom 4. bis 2. Halssegment In einem weiteren Fall handelte 
es sich um eine Rührenblutung mit mässiger Quetschung im 7. Cervicalsegment. Ein 
dritter Fall zeigte ähnliche Verhältnisse ohne eine greifbare Knochenverletzung. Im 
Allgemeinen besteht der Satz zu Recht, dass die graue Substanz bevorzugt wird. 
Klinisch sind zu unterscheiden reine Zerrungsblutungen (d. h. solche ohne Quetschung 
und Quetschungsblutungen). Die ersteren kommen häufiger vor, als sie erkannt 
werden. Charakteristisch für dieselben ist, dass sie frisch eine stetige Zunahme der 
Lähmungen zeigen, welche in wenigen Stunden ihren Hühepunkt erreichen. Sie be* 
dingen 1. Kernsymptome (durch Zerstörungen der Kerne) und 2. Fernsymptome. Die 
letzteren werden dadurch erzeugt, dass das austretende Blut einen von innen heraus 
gesteigerten Druck in dem betreffenden Querschnitt schafft Zum Schluss wird noch 
über einen Fall von centraler Blutung in das 6. und 9. Halssegment zur Erläuterung 
des Gesagten berichtet und dabei der Ansicht gedacht, dass in manchen traumatischen 
Blutungen der Ausgangspunkt von Gliose und Syringomyelie zu suchen sei. 

Paul Schuster (Berlin). 


22) Zur Lehre von den Unfallserkrankungen des Rückenmarks: Ueber 
Poliomyelitis anterior ohronica naoh Trauma, von W. Erb. (Deutsche 
Zeitschr. f. Nervenheilkunde. Bd. XI. 1897.) 

Auf der letzten Versammlung südwestdeutscher Neurologen und Irrenärzte (Baden- 
Baden, Juni 1897) hat Verf. über die beiden einschlägigen Fälle eingehend berichtet 
und sind die Krankengeschichten und der Befund in dem Referat über die genannten 
Verhandlungen ausführlich mitgetheilt (siehe Neurolog. Centralblatt. 1897. Nr. 13). 
An diese reiht Verf. nun noch mehrere eigene Beobachtungen, sowie eine kleine Zahl 
von Fällen ans der Litceratur an, in welchen nach Trauma Erkrankungsformen auf¬ 
traten, die in das Gebiet der Poliomyelitis anterior chron., bezüglich der progress. 
Muskelatrophie im weiteren Sinne za rechnen sind. Es dürfte darum angebracht 
sein, dieser Frage demnächst ein erhöhtes Interesse zuzuwenden. 

E. Asch (Frankfurt a./M.). 


23) Poliomyelitis anterior aouta naoh Unfall, von Oberarzt Dr. Franke. 

(Monatsschr. f. Unfallheilkunde. 1898. Nr. 3.) 

Ein 45jähriger Maurer fiel am 28. Dec. 1896 von einem Gerüst 4 m tief 
herab mit dem Kreuz auf einen Baum. Er war einen Augenblick bewusstlos und 
ging dann allein nach Hause. Er. klagte über Schmerzen im Kreuz und im Rücken. 
Im Krankenhaus wurde damals Druckschmerzhaftigkeit der Lendenwirbelsäule und 
der Gegend beiderseits von ihr, Druckschmerz einiger rechtsseitigen Intercostalnerven 
und Druckempfindlichkeit im oberen Drittel des rechten N. ischiadicus vermerkt. 

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Sonst negativer Befund, besonders von Seiten der Reflexe. Im weiteren Verlauf keine 
weitere Veränderung, ausser einer Sensibilitätsstörung im rechten Bein. Ende März 
war der Befund im Wesentlichen der gleiche. Es wurde gutachtlich angenommen, 
dass „die unteren Rückenmarkstheile in irgend welcher Weise geschädigt sind“. Der 
Verletzte erhielt 46 Proc. Rente, arbeitete aber nicht. — Im Juli waren die Klagen 
die nämlichen wie früher. Der Befund batte sich in zwei Punkten geändert: die 
Hypästbesie am rechten Bein war verschwunden und die Kniesehnenreflexe ebenso 
wie die Bauch- und Hodenreflexe fehlten. Ende Juli 1897 trat nun taubes Gefühl 
in den Beinen und Heftigerwerden der Kreuzschmerzen auf. Die Untersuchung ergab: 
fast völlige Lähmung des linksseitigen N. facialis, Druckschmerzhaftigkeit einzelner 
Intercostalnerven, Schmerzhaftigkeit auf Druck der mittleren Lendenwirbel, fast völlige 
Lähmung beider Beine bis auf schwache Fussbewegungen, Schwäche der oberen Ex¬ 
tremitäten und im Wesentlichen normale elektrische Verhältnisse. Die Sensibilität war 
intact, die Sehnen- und Hautreflexe fehlen an den Beinen. Keine Blasen- und Mast¬ 
darmstörungen. Fieber hatte ebenfalls nicht bestanden. Der weitere Verlauf der 
Krankheit bestand darin, dass unter Hg-Behandlung die Lähmung der Beine abnahm 
und ebenso die oberen Extremitäten stärker wurden. Die Peronealmusculatur blieb 
am schwächsten. Es trat des Weiteren ein starker Muskelschwund ein (welcher 
nicht genauer vom Verf. präcisirt wird), sowie starke elektrische Herabsetzung für 
beide Stromesarten auf. Verf. stellt die sichere Diagnose der Poliomyelitis anterior 
acuta oder subacuta. Da nichts für Lues oder Alkoholismus sprach, so wurde gut¬ 
achtlich ein Zusammenhang mit dem Unfall angenommen. Die beobachtete Facialis- 
lähmung fasst Verf. als Kernlähmung und Parallelerscheinung der Vorderhornent¬ 
zündung auf. Paul Schuster (Berlin). 


24) Ueber Nervenkrankheiten naoh Büokenverletsungen, von Dr. M. Laehr. 

(Charitö-Annalen. 1897. Jahrg. XXII.) 

Von 800 in den Jahren 1893—97 in der Nervenklinik der Charitö behandelten, 
an den verschiedensten functioneilen und organischen Erkrankungen des Nervensystems 
leidenden Patienten haben 127 ein schweres directes oder indirectes Trauma des 
Rückens erlitten. Von diesen 127 Patienten litten 56 an einer organischen, 72 an 
einer functionellen Nervenkrankheit Werden von diesen letzteren 17 Fälle abge¬ 
zogen, bei denen es sich vorwiegend um Kopfverletzungen handelt, so verbleiben 66 
mit nur functionellen Störungen übrig, von denen aber 46 lediglich zum Zweck der 
Unfallbegutachtung aufgenommen worden waren, während nur 9 keine Rentenansprüche 
zn machen hatten; von diesen besserte sich der Zustand bei 6 Frauen relativ schnell, 
bei den 4 Männern war nur in 2 Fällen ein Zusammenhang der Krankheit mit dem 
Unfall anzunehmen. — An der Grenze der organischen und functionellen Erkrankungen 
stehen ein Fall von Paralysis agitans und einer von Raynaud’scher Krankheit, in 
welchen beiden der directe ätiologische Einfluss des Traumas nicht als sicher ange¬ 
nommen werden kann. 

Von den Kranken mit organischen Nervenaffectionen handelt es sich fünfmal 
um bei dem Unfall eingetretene peripherische Verletzungen, einmal um eine Stich¬ 
verletzung des Rückenmarks. Von Interesse ist der von Jolly auch an anderer 
Stelle mitgetheilte Fall von Dystrophia muscnl. progr. (vergl. Neurolog. Centralblatt. 
1897. Nr. 13). In sechs weiteren Fällen liess das Nervenleiden einen Zusammen¬ 
hang mit dem Trauma nicht erkennen. 

Verf. theilt nun in der sehr umfangreichen Arbeit die sämmtlichen anderen 
Fälle, in denen es sich um organische Rückenmarkserkrankungen handelt, ausführlich 
mit, zunächst Fälle, in denen der Zusammenhang mit dem Trauma klar ersichtlich 
ist (3 Fälle von Wirbel Verletzung, resp. dem Unfall folgender -erkrankung mit Rücken- 
marksaffectionen, 4 Fälle von traumatischer Hämatomyelie), ferner 8 Fälle von Syringo- 


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myelie, von denen in einem Fall die Krankheit aber wahrscheinlich schon vor dem 
Unfall bestanden hat; in den übrigen schwankt die Zeit zwischen Unfall und er¬ 
kennbaren Zeichen der Krankheit angemein; sie beträgt 1, 2, 3, 4 (zweimal), 13 
and 19 Jahre. Es folgen: ein Fall von Erkrankung der grauen Vorderhörner des 
Cervicalmarks, ein Fall von amyotrophischer Lateralsclerose und ein Fall von spastischer 
Spinalparalyse und ein Fall von progressiver Muskelatrophie (Typus Duchenne- 
Ar an) mit tabischen Symptomen. Von 5 Fällen von multipler Sclerose sind drei 
sicher schon vor der Verletzung krank gewesen, wenn auch das Trauma erheblich 
verschlimmernd gewirkt zu haben scheint. Im 4. Fall liegt der Unfall 28 Jahre 
zurück, während im fünften dem Unfall wohl ätiologische Bedeutung beizumessen ist. 
Schliesslich werden 4 Fälle von Tabes mitgetheilt; nur bei einem derselben ist kein 
Anhaltspunkt für Lues vorhanden; in allen Fällen kommen ausserdem noch andere 
ätiologische Momente in Frage. 

Es sind demnach die verschiedenartigsten Krankheitsprocesse, bei denen ein 
voraufgegangenes Trauma von Einfluss gewesen sein kann. So leicht meist die 
Fälle directer traumatischer Erweichung zu deuten sind, so schwer kann die 
Beuftheilung eines Unfalls für die Entwicklung der verschiedenen chronischen Er¬ 
krankungen des Nervensystems werden, der functionellen, wie der organischen. In 
der Regel ist hier die mechanische Verletzung nur eine unter mehreren Krankheits¬ 
ursachen. Dies gilt nicht nur für die organischen, sondern auch in der Mehrzahl 
für die functionellen Erkrankungen nach Unfällen. Ein nicht kleines Moment haben 
wir hier auch in „dem Bewusstsein eines Rechts auf Rente“ zu suchen. Verf. stellt 
sich damit auf den jetzt wohl von den meisten Neuropathologen eingenommenen 
Standpunkt von Strümpell und theilt zum Schluss noch einige den Lauenstein’- 
sehen Beobachtungen (vergl. Neurolog. Centralblatt. 1896. S. 846) analoge Fälle mit. 

Martin Bloch (Berlin). 


26) Zur Beurtheilung der Rüokenschmerzen bei Unfi&llpatienten, von 

Dr. Paul Schuster. (Berliner klin. Wochenschr. 1898. Nr. 10.) 

Da ca. 20°/ 0 aller Unfallnervenkranker über Rückenschmerzen klagen, so ist 
die besondere Betrachtung jenes Symptoms gerechtfertigt. Alle organischen Rücken- 
markskrankheiten, innere Krankheiten und Wirbelerkrankungen, soweit letztere nicht 
traumatisch sind, sollen unberücksichtigt bleiben. 

Die erste Gruppe solcher über Rückenschmerzen Klagenden bilden die gewöhn¬ 
lichen Neurastheniker, Hypochonder und Hysteriker. Bei ihnen tritt aber der Rücken¬ 
schmerz nicht in den Vordergrund des subjectiven Interesses, er wird vielmehr nur 
nebenbei oder höchstens als gleichwerthig mit den vielen anderen Klagen geäussert. 
Die Wirbel sind oft druckempfindlich, ohne dass eine Bewegungsbehinderung beim 
Bücken besteht Die Erwerbsfahigkeit wird durch diese Rückenschmerzen an und 
für sich nicht wesentlich gestört. 

Die zweite Gruppe bilden die Kranken mit Kümmel'scher Krankheit. Hierbei 
handelt es sich um Kranke, welche ein directes oder indirectes Trauma der Wirbel¬ 
säule erlitten haben. Ohne sichtbare äussere Verletzung tritt ein Schmerz in der 
Wirbelsäule auf, der 2—8 Tage besteht und dann wieder scheinbar normaler Arbeits¬ 
fähigkeit weicht. Erst nach Wochen oder Monaten treten Rückenschmerzen, Inter- 
costalneuralgieen, Motilitätsstörungen der Beine, Gibbus und Druckschmerzhaftigkeit 
auf. Die Chirurgen nehmen eine schleichende Spondylitis an. Der wichtigste Punkt 
für die Differentialdiagnose ist der Nachweis eines Gibbus. Das Steifhalten des 
Rückens oder die Druckschmerzhaftigkeit genügt nicht zur Stellung der Diagnose. 
Oft wird eine rein nervöse Erkrankungsform als KümmeTsche Krankheit angesehen 
(vergl. die Arbeit von Marie und Astid [Presse mddical. 1897. October; ref. Neurol. 
Centralbl. 1898. S. 367], welche sich in gleichem Sinne äussern). 

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Die dritte Gruppe betrifft eine Klasse von ünfallkranken, deren Verf. ca. 12 in 
der Mendel’schen Klinik beobachtet hat. Es handelte sich um Kranke, die ent¬ 
weder abgestfirzt waren, in den Rücken einen heftigen Stoss bekommen hatten, zu- 
8ammengedr&ckt worden waren oder dergl. Gewöhnlich bestehen keine äusseren Ver¬ 
letzungen. Die sofort auftretende und von da ab das Krankheitsbild beherrschende 
Klage bildet der RQckenschmerz. Nebenher nur werden andere Beschwerden geklagt. 
Bei der Untersuchung fällt die abnorme Steifheit des Rückens auf: Lendenlordose 
und Brustkyphose sind abgeflacht; nur in seltenen Fällen besteht abnorm starke 
Kyphose. Bücken geschieht nur durch Benutzung der Hüft- und Kniegelenke. Beim 
Gehen werden kleine Schritte gemacht und die steife Rückenhaltung bewahrt. Viele 
der Kranken tragen ein Corset. Niemals ist ein Gibbus vorhanden. Die Druck¬ 
schmerzhaftigkeit ist gewöhnlich nicht auf einen Punkt beschränkt, sondern betrifft 
den ganzen Lendentheil und das Kreuzbein. Das Auffallendste bildet jedoch eine 
Contractur des M. longissimus dorsi und des M. erector trunci. Manchmal sind die 
Dornfortsätze wegen der Contractur kaum fühlbar. Bei weitem in den meisten dieser 
Fälle fanden sich noch Schwächezustände der Arme und Beine, gesteigerte Reflexe, 
Sensibilitätsstörungen, Arteriosclerose und Pulsbeschleunigung. Das Krankheitsbild 
muss bis jetzt als functionelles aufgefasst werden. 

Die Contractur der Rückenmuskeln bildet das Constante in der zuletzt be¬ 
sprochenen Gruppe; sie ist wahrscheinlich eine reflectorische, durch abnorme sensible 
Reize bedingte. Die Erwerbsfähigkeit wird in bedeutender Weise — bis zu 50°/ o 
— geschädigt 

Das zuletzt beschriebene Krankheitsbild ist kein neues; es ist jedoch in seiner 
Selbständigkeit mit dem starken Zurücktreten der sonstigen Attribute der Hysterie 
ein zu wenig gekanntes. (Autorreferat) 


26) Ueber organische Nervenkrankheiten nach Unfall, von A. Sänger. 

(Monatsschr. f. Unfallheilkunde. 1897. Nr. 10.) 

Die Forderung Erbs, dass möglichst viel Casuistik betreffs des Zusammenhangs 
organischer Nervenleiden mit dem Trauma gebracht werde, erfüllt Verf. durch Be¬ 
richt über eine Reihe derartiger eigener Fälle. Bei zwei Fällen von unzweifelhafter 
Tabes war die Krankheit angeblich vor dem Unfall nicht bemerkt worden. Verf. 
lässt es unentschieden, ob bei diesen Fällen das Trauma ätiologisches Moment war. 
Er erwähnt jedoch, dass für Lues kein Anhaltspunkt vorhanden war. Wir sind noch 
nicht in der Lage, das Vorkommen der traumatischen Tabes rundweg zu leugnen, 
wenn es auch wahrscheinlich ist, dass in vielen Fällen schon vor dem Trauma die 
Tabes bestand. In zwei Fällen von Syringomyelie war ein Trauma in der Anamnese, 
welches mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit ätiologisch wirksam war. Das Trauma 
lag allerdings in einem der Fälle 12 Jahre zurück. Gegen die Annahme einer 
Neuritis ascendens verhält sich Verf. in höchstem Grade skeptisch. Des Weiteren 
wird über eine junge Frau berichtet, die nach einem Sturz in der Schwangerschaft 
moltiple Sclerose bekam, sowie über eine Erweichung mit Blutung im unteren Ab¬ 
schnitt des Rückenmarks bei einer Potatrix. Schliesslich bringt Verf. in der sehr 
leeenswerthen Arbeit zwei Fälle von Tabes, welche ein in der Unfallpraxis sehr 
wichtiges Moment erläutern. Es bestand nämlich in beiden Fällen die Tabes schon 
vor dem Unfall. Sie war dem Kranken aber nicht auffällig zum Bewusstsein ge¬ 
kommen und batte jedenfalls die Arbeitsfähigkeit nicht beschränkt. Auch in solchen 
Fällen ist eine Rente am Platze. Zur Erklärung der Pathogenese der traumatischen 
Nervenkrankheiten verweist Verf. auf die Arbeiten von Nölaton, Rokitanski, 
Gussenbauer, Schmaus, Rossolimo und Bickeles. 

Paul Schuster (Berlin). 


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27) Notes on a oase of traumatio injury of the pneumogaatric, hypo¬ 
glosaal, and sympathetio nerves, by Will. Hirsch. (New Tork Medical 

Journal. Vol. LXVI. 1897. Nr. 24.) 

Der 49j&hrige Arbeiter F. B. machte folgende Angaben: Im October 1896 war 
er beschäftigt, einen Bevolver za reinigen; dieser entlad sich, das Geschoss drang 
angeblich darch die Mitte des harten Gaumens ein, an der linken Seite der Nasen¬ 
wurzel in der Nähe des Auges* heraas — es soll von der Schwester des Pat. später 
in dem Zimmer gefunden worden sein. Der Kranke wurde bewusstlos and musste 
ca. 7 Wochen in einem Hospital bleiben. Seither Behinderung der Sprache, Gefühl 
von Schwere in der Zunge, unter deren linke Hälfte Anfangs leicht Nahrungspartikel 
geriethen; auf der linken Seite werden alle Gegenstände dunkler gesehen. Anfäng¬ 
lich bestehendes hartnäckiges Erbrechen und Salivation schwanden vor einigen Wochen, 
die völlige Stimmlosigkeit ging ebenfalls zurück; die Stimme blieb aber heiser und 
rauh. Status (8. März 1897). Eine kleine Narbe an der linken Seite der Nasen¬ 
wurzel in der Nähe des Auges, eine zweite in der Mitte des harten Gaumens (siehe 
oben). Verkleinerung der linken Papille bei etwas träger Lichtreaction, Verengerung 
der linken Lidspalte, Zurückgesunkensein des linken Bulbus. Atrophie der linken 
Zungenhälfte, welche an der Basis im Vergleich zu rechts prominirt, keine fibrillären 
Zuckungen. Die Zungenspitze weicht in der Mundhöhle nach rechts, ausserhalb 
derselben nach links ab: die Zunge wird in der Mundhöhle gut bewegt, die aus- 
gestreckte Zunge dagegen kann nicht von links nach rechts über die Mittellinie ge¬ 
bracht werden. Directe und indirecte faradische und galvanische Erregbarkeit an 
der linken Zungenhälfte erloschen. Parese der linken Pharynxmuskeln, complete 
Lähmung des linken Stimmbandes bei erhaltener Larynxsensibilität. Constante Puls¬ 
beschleunigung (108). Sonst normaler Befund. — Die Symptome erklärten sich am 
besten durch die Annahme, dass das Geschoss die Nerven (Vagus, Hypoglossus, Hals- 
sympathicus) direct lädirt hat und nicht aus der Wunde am Nasenrücken aus¬ 
getreten ist. Eine Böntgenphotographie bestätigte diese Diagnose, wie die bei¬ 
gegebene Abbildung zeigt: das Geschoss lag in der Höhe des Proc. spinosus des 
4. Halswirbels, und zwar wie die Extraction zeigte, im Muse, sterno-cleido-mastoideus. 
— Verf. localisirt die Läsion in den Bereich des Ganglion cervicale nervi vagi, 
welches mit dem Halsganglion des Sympathicus in naher Beziehung steht und vom 
N. hypoglossus gestreift wird, und nimmt an, dass der Vagus unterhalb der Abgangs¬ 
stelle des N. laryngeus superior verletzt wurde, die Gaumensegelaffection auf einer 
Betheilung des Plexus pharyngeus beruht. 

Unter sorgfältiger Berücksichtigung der Litteratur erörtert Verf. in der Epikrise 
die Einzelheiten des interessanten Falles. B. Pfeiffer (Cassel). 


28) Traumatio neurasthenia and hysteria, by Coombs Knapp. (Brain. 

1897. Autumn.) 

Die Arbeit des Verf.’s enthält einen eingehenden Bericht dieses Neurologen 
über seine Ansichten in Bezug auf die heute am meisten strittigen Fragen auf dem 
Gebiete der Unfallsneurosen, speciell der Hysterie und Neurasthenie nach Trauma. 
Es werden namentlich die Fragen berührt, die durch die Discussion zwischen 
Strümpell, Oppenheim und Mendel in den Vordergrund des Interesses geschoben 
sind. Verf. verfügt über grosse eigene Erfahrungen und stellt 70 Fälle von Hysterie, 
50 von Neurathenie zusammen. Es handelt sich sowohl um Fälle mit Entschädi- 
gungsproceesen wie ohne solche. Von den 70 hysterischen waren 50 Processfälle, 
nur 20 keine solchen; von den 50 neurasthenischen nur 29 Processfälle. Die Pro- 
cessfälle zeigten deshalb ein grosses Ueberwiegen der Hysterie. Verf. erkennt die 
Begehungsvorstellungen Strümpell’a namentlich für die Dauer und Hartnäckigkeit 
der Krankheit wohl an, kann in ihnen aber nicht die wichtigste Ursache sehen. 


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Die Symptome können in Fällen ohne Entschädigungsansprüche und Process ganz 
dieselben sein, wie mit denselben. Er hält psychische Factoren, speciell den Schreck, 
für den wichtigsten bei der Entstehung der Unfallsneurosen; aber er will die Wir¬ 
kung des physischen Shok nicht ausschliessen und sucht aus seinem Materiale zu 
beweisen, dass die schwersten Fälle, speciell der Hysterie, mit und ohne Processe 
auch nach schweren Unfällen entstanden seien. Ob ein physischer Shok allein ge- 
n&gt, lässt sich allerdings schwer beweisen. Von den Symptomen, die der Unfalls¬ 
neurasthenie und Hysterie gemeinsam sind, hebt Verf. als wichtig die Erhöhung der 
Sehnenreflexe, die Beschleunigung der Herzthätigkeit und speciell das Mann köpf'sehe 
Symptom hervor; auf letzteres vertrant er sehr, mehr als nach des Bef. und Anderer 
Erfahrungen zulässig ist. In den hysterischen Fällen findet er fast immer Anästhe- 
sieen oder Analgesieen und noch regelmässiger Gesichtsfeldeinengungen; er hebt die 
Wichtigkeit dieser Befunde ffir die Diagnose hervor und wendet sich gegen Str&mpell 
und Mendel, die meinen, beides würde wohl durch die Untersuchungen darauf nur 
suggerirt Er glaubt aber nicht, dass die Anästhesieen, auch nicht einmal die 
Hemianästhesieen und die Qesichtsfeldeinengungen nur bei Hysterie vorkämen, und 
dass es nöthig sei, immer an eine Combination mit Hysterie zu denken, wenn man diese 
Symptome mit organisch bedingten zusammenfasst Dass die Anästhesiegebiete bei 
Hysterie und Syringomyelie die gleichen seien, wie Verf. noch glaubt, ist durch 
Lähr widerlegt; damit fällt auch die Behauptung, die Ausbreitungsgebiete der ein¬ 
zelnen Bückenmarkssegmente in der Haut seien andere wie die der spinalen Wurzeln. 
Die Prognose ist nach Verf. bei Hysterie eine schlechtere als bei Neurasthenie; 
Verf. ist eine schnelle Heilung, wie es so erwähnt wird, nach Festsetzung der 
Entschädigung nicht begegnet, wohl aber öfters eine langsam eintretende, was ja 
auch ganz natürlich ist und was auch Bef. gesehen hat. Im Allgemeinen bieten 
die nicht klagenden Fälle eine bessere Prognose; aber in Verf.’s Zusammenstellung 
waren sie von Anfang an leichter, auch wenn die Unfälle bei ihnen weniger gewaltig 
gewesen. Die Schwere der Symptome steht speciell bei Hysterie nicht im Verhältnis 
zur Schwere der Prognose. 

Auch Verf. hält die Arbeit für ein wichtiges Heilmittel der Unfallneurosen; 
in manchen Fällen sei aber noch unbedingte Buhe nöthig; also Buhe ohne Sorgen 
und Querelen durch Angehörige und gute Freunde. Die Processe müssten so schnell 
wie möglich entschieden werden. Es sei ein grosses Unrecht, Allen, die nach Un¬ 
fällen um Entschädigung klagten, den Makel des Schwindlers anzuhängen, was in 
Amerika von Seiten des Publicums meist geschähe. Bruns. 


29) Ett fall &f traumatisk hysteri, oraakad af en näl, som in trän gt i venstra 
hälen, af Carl Dahlborg. (Hygieä. L1X. 1897. S. 356.) 

Die vorher ganz gesunde, erblich nicht belastete 27 Jahre alte Kr. hatte sich 
eine Nähnadel in die linke Ferse gestochen, deren Spitze nach ihrer Meinung zurück¬ 
geblieben war, aber bei einer in unvollständiger Narkose ausgeführten Operation 
nicht gefunden wurde. Nach der Operation stellten sich heftige Krampfanfälle ein, 
die 12 Stunden anhielten und erst nach einer kräftigen Morphiuminjection aufhörten. 
Beim Gehen hatte Pat. nach der Operation keine Störung mehr, nur hier und da 
Stechen, aber es stellten sich Krankheitserscheinungen ein, die immer schlimmer 
wurden. Pat. schlief schlecht, verlor Esslust und Arbeitslust, brach fast alles Ge¬ 
nossene wieder aus, magerte ab, fühlte sich matt, wenn sie etwas vornahm, es stellte 
sich Lähmungsgefühl in den Gliedern ein, ungewohnte Empfindungen verursachten 
Krampfanfälle, sie war beständig unruhig und äusserst reizbar. Dabei hatte sie bei 
festem Auftreten wieder Stechen in der Ferse. Die Bewegungen waren hastig, nicht 
vollständig beherrscht, hier und da, auch im Gesicht, traten Zuckungen auf. Pat. 
konnte einen Gegenstand nicht direct ergreifen, es zeigten sich Spuren von Inten- 


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tionszittern. Die Sprache war stossweise, and es bestanden Sparen von geringer 
amnestischer Aphasie. Der Fremdkörper wurde mittels Böntgenstrahlen nachgewiesen 
und extrahiri Danach war das Gehen ganz ungehindert, der Zustand besserte sich 
und nach einer Mastkur und Anwendung von Massage erschien die Kr. ganz geheilt 

Walter Berger (Leipzig). 


30) Een geval van traumatische hysterie, door Dr. L. J. J. Muskeus. (Ned. 

Tijdschr. v. Geneesk. 1897.) 

Ein gesunder Soldat wird von einem Hufschlag auf seinem Occiput (rechts) 
betroffen. Es stellten sich Verworrenheit, Hallucinationen und motorischer Drang 
ein; die getroffene Kopfstelle ist sehr überempfindlich; ausser einer Blutextravasation 
wird keine tastbare organische Veränderung gefunden. Dieser Zustand geht nach 
einigen Tagen zurück, lässt jedoch eine veränderte, minderwerthige Persönlichkeit 
hinter sich. Nach zwei Monaten deutlich hysterische, rechtsseitige Hemiplegie und 
Hemianästhesie. Der zum Militärdienst ungeeignete Pat. wird zur Entlassung vor¬ 
getragen. 

Der Verf. bespricht die Geschichte des von Oppenheim eingeführten Krankheits¬ 
bildes der traumatischen Neurose, und meint, dass jenes Bild als solches nicht mehr 
aufrecht zu halten ist. Alle in den letzten Jahren publicirten Fälle können unter 
Hysterie und Neurasthenie untergebracht werden. Die Unfallsgesetzgebungen haben 
ihren Theil in der Schaffung dieser eigenthümlichen Form jener zwei Krankheiten. — 
Erwähnenswerth scheint dem Verf. der Fall, weil man hier vor seinen Augen einen 
schweren Fall viriler Hysterie entstehen sah, mit einer Incubationszeit von zwei 
Monaten, welche Zeit Pat. im Familienkreis zubrachte. 

Kurze Krankenhausbehandlung mit Isolation, möglichst wenig medicinische Unter¬ 
suchung, baldige Wiederaufnahme der Arbeit scheint das zweckmässigste. 

(Autorreferat) 


31) Hysterisoh^ Taohypnoe nach Trauma, von Hugo Goldschmidt. (Inaug.- 

Dissert. 1898. Würzburg.) 

Verf. bringt nach einleitenden Bemerkungen über Physiologie der Athmung, 
über ihre Beeinflussbarkeit durch Grosshim und periphere sensible Beize zwei Fälle 
von hysterischen Tachypnoe aus der Prof. Mendel’sehen Klinik. 

Fall I. 34jähriger, nicht belasteter Arbeiter, kein Alcoholismus. Das Trauma 
bestand. darin, dass Pat, der Steine tragend, ein mit einem Brett bedecktes Keller¬ 
fenster passirte und dabei in Folge Durchbrechens des Brettes einbrach. Er blieb 
mit der Brust in dem durchgebrochenen Brett zwischen Himmel und Erde hängen, 
erlitt eine Quetschung des Brustkastens und eine Hirnerschütterung. Er wurde be¬ 
wusstlos und spie Blut Ein Arzt diagnosticirte eine Pleuritis. Die Athmung betrug 
48. Nach einem Jahr klagte er noch über Brustschmerzen; der Arzt diagnosticirte 
nun eine Neurasthenia celebralis. 4 Jahre nach dem Unfall kam der Verletzte in 
die Mendel’8che Klinik. Man fand leichte Schwäche des linken 7. und 12. Nerven, 
Schwäche der Arme, Tremor manuum und Tachypnoe. Es erfolgten 34 Inspirationen 
per Minute unter Oeffnung des Mundes und Erweiterung der Nasenflügel. Die inneren 
Organe, auch das Zwerchfellphaenomen waren in voller Ordnung; die Athmungs- 
frequenz blieb während der wochenlangen Beobachtung stets beschleunigt, oft bis zu 
50 t M. Manchmal Würgbewegungen und globus. Nie objective Zeichen von Athem- 
noth, Cyanose und dergl. Puls zwischen 70 und 80 i. M., leichte chronische Laryn¬ 
gitis. Psychisch bestand ausgesprochener Depressionszustand. 

Fall II. 53jähriger Zimmermann ohne Belastung. Mittlerer Alcoholismus, ein 
5 Centner schwerer Balken schlug gegen seine rechte Halsseite, während er selbst 


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auf die linke Seite fiel. Keine Bewusstlosigkeit. Schmerzen an den linksseitigen 
Bippen, behinderte Athmung, abgebrochene tonlose Sprache waren die unmittelbaren 
Folgen. Bippenbruch links (7. Bippe). Athmung und Sprache waren von da ab 
behinder. In der Menderschen Klinik ein Jahr nach dem Unfall wurde konstatirt: 
Zittern im orbic. oculi beim Augenschluss, Zittern der Zunge und Hände, Laryngitis 
chronica, pharyngitis chronica. Ausserdem Heiserkeit und Störung der Sprache in 
Folge der Athemnoth. Die Athemnoth bestand auch wenn Pat nicht sprach. 20—30 
Inspirationen i. M., hörbare Inspiration mit geöffnetem Mund und erweiterten Nasen* 
flflgeln. Tiefe Inspiration war unmöglich. Normaler Befund der inneren Organe, 
Ueberrest des Bippenbruchs nicht mehr fühlbar. Keine Cyanose, Puls 84 L M. 
Keine Aenderung während der Beobachtung. 

Im Fall I wurde die Tachypnoe, „die zuerst eine affective war, dann aber durch 
das organische Leiden auf der Höhe gehalten wurde, zuletzt funktionell.“ Im 
Fall II handelt es sich um einen Alcoholisten, bei dem die somatische Unfallfolge 
sich am Orte der Einwirkung des Traumas documentirte. Die chronischen Entzün¬ 
dungen in den Luftwegen wirkten begünstigend. 

Die Pathogenese kann man sich so denken: das cerebrale Athmungscentrum 
wird durch das psychische Trauma getroffen; das Oblongatacentrum wird gereizt 
durch die direct getroffenen sensiblen Fasern der Brust- und Bauchorgane, beide 
Beize, von denen jeder allein schon bei einem gesunden, vorübergehend Tachypnoe 
erzeugen kann, vereinigen sich und bringen bei einem „nervösen“ Menschen dauernd 
Tachypnoe hervor. Mit einer Litteraturübersicht schliesst die Arbeit. 

Paul Schuster (Berliii). 


32) Hysterische Hemiplegieen, von H. Auerbach. (Inaug.-Dissert 1898. 

Würzburg.) 

Die in Prof. Mendel’s Klinik angefertigte Arbeit beschäftigt sich mit zwei 
Fällen hysterischer Hemiplegie mit Beziehung zum Trauma. Nach einigen ein¬ 
leitenden Seiten über die hysterischen Zustände nach Verletzungen im Allgemeinen 
referirt Verf. die klassische Beschreibung der hysterischen Hemiplegie von Todd: 
acute Entstehung, kein Bewusstseinsverlust, keine Facialisbeteiligung, eigentüm¬ 
liches Nachschleppen des kranken Beines, welches den Boden „fegt“. 

Der erste Fall, den Verf. vorbringt, betrifft einen 32jährigen Tischler. Ge¬ 
ringer Potus, keine Belastung. Vor zwei Jahren allmähliches Schwächerwerden des 
rechten Beines mit Paraesthesieen. Gelegentlich eines Falles in Folge Stolperns auf 
der Strasse trat nun plötzlich totale Lähmung des Beines ein. Pat konnte sich 
nicht allein aufrichten. Kein Bewusstseinsverlust. Die Untersuchung ergab keine 
Störungen im Facialis und den anderen Hirnnerven, keine Gesichtsfeldverengung. 

Der rechte Arm zeigt bei freier passiver Beweglichkeit eine bedeutende Kraft¬ 
verminderung in allen Gelenken und Zurückbleiben beim Erheben. Das rechte Bein 
wurde beim Gehen wie ein toter Körper nachgeschleppt. Seine passive Beweglichkeit 
war frei, bedeutende Verminderung der activen Kraft. Patellarreflexe lebhaft. Sonst 
negativer Befund. Erhebliche fast acute Besserung in den ersten Tagen des klinischen 
Aufenthaltes, dann vorübergehende Verschlechterung und Entlassung mit beinahe nor¬ 
malem Status. 

Fall II. 21jährige Schneiderin. März 1894. Kribbeln in den Beinen, nachher 
im ganzen Körper, Schwindelanfälle und angebliche allgemeine Gefühllosigkeit. Um 
diese Zeit bestand vorübergehend der Verdacht einer organischen Krankheit Von 
October |1894 bis Oktober 1896 völlige Gesundheit. Dann bekam Pat. nach einer 
Aufregung über Nacht eine rasch zunehmende Lähmung des rechten Armes. Keine 
Schwindelanf&lle und dergl. Bei der Aufnahme zeigte sich eine Parese der rechten 
oberen Extremität mit geringen Spasmen und starker Hypftstheeie. Geringe Schwäche 


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des rechten Beines. Lebhafte Patellarreflexe. Sensibilität auch am Bumpf and dem 
linken Bein gestört Ausserdem hochgradige Störung des stereognostischen Sinnes 
der rechten Hand and Ataxie der rechtsseitigen Glieder. Während der Behandlung 
sprang die Parese des rechten Beines unter Besserung desselben auf das linke Bein 
über. Entlassung mit bedeutender Besserung, so dass Pat wieder arbeiten konnte. 
Neuausbruch der Krankheit mit hochgradiger Schwäche im rechten Bein, nachdem 
Pat im Dunkeln gestolpert war. Sie musste sich beim Gehen jetzt an Gegenständen 
im Zimmer anhalten. In Bettlage passiv freie Beweglichkeit des rechten Beines, 
motorische Kraft gleich = 0. Zustand des rechten Armes wie zu Beginn der Er* 
krankung. Später trat eine linksseitige Zungencontractur hinzu, während der Arm 
sich besserte. 

Bewusste Simulation wird in beiden Fällen ausgeschlossen. Rentenansprache 
bestanden nicht Paul Schuster (Berlin). 


33) Ueber hysterisches Stottern, von Max Cramer. (Inaug.-Dissert. 1898. 

Würzburg.) 

Verf. giebt zuerst einen Abriss über Symptomatologie, Verlauf und Aetiologie 
des Stotterns. Er bespricht ferner den Ssikorski’schen Versuch einer Localisation 
des Stotterns im motorischen Sprachcentrum und wendet sich dann zu seinem spe* 
ciellen Thema, dem hysterischen Stottern. 

Das Symptom des hysterischen Stotterns ist von Gharcot in die Wissenschaft 
eingeführt und von Ballet und Tissier, sowie von Pitres und von Cartaz in 
der Symptomatologie der Hysterie gesichert worden. Auch in Deutschland ist un* 
gefähr um die gleiche Zeit von Singer hysterisches Stottern und zwar ebenso wie 
Pitres — nach einem psychischen Shok beschrieben worden. In der Folgezeit 
veröffentlichten eine grosse Beihe von Autoren ähnliche Krankheitsfälle. Zum 
Schluss seiner bis auf die neueste Zeit berichteten Casuistik bringt Verf. einen 
Fall, den er in der Klinik von Prof. Mendel zu beobachten Gelegenheit hatte. 
Es handelte sich um einen 44 jährigen Kutscher, der einen Potus mittleren Grades 
concedirt hatte. Derselbe wurde im Januar 1893 derart von seinem Kutschersitz 
berabgeschleudert, dass sein Kopf mit der linken Seite auf das Pflaster und seine 
linke Schulter auf das Bad fiel. Bewusstlosigkeit, keine äussere Verletzung. Nach 
Wiedererlangung des Bewusstseins bestand sofort Fistelstimme und Stottern. Bei 
seinem Aufenthalt in der Klinik, Sommer 1897, klagte der Verletzte über abnorme 
Sensation in der Kopfhaut, Schwindel, über Krampf in den Händen beim Anfassen, 
über Zittern u. s. w. Mittelgrosser, mässig genährter Mann. Hypästhesie auf der 
linken Körperseite, Schwäche der Extremitäten besonders links. Kein tremor manuum. 
Starker Bömberg. Absolute Fistelstimme, Stottern. Nur der Wortbeginn macht ihm 
Schwierigkeiten, gleichgiltig ob derselbe mit einem Consonanten oder Vocal besteht 
Anfangssilben werden wiederholt: Nie Wiederholung von Silben oder Buchstaben in 
der Mitte oder am Ende des Wortes, Wiederholung des gesprochenen bessert den 
Zustand nicht. Keine Zuckungen im Gesiebt. Bei der Phonation krankhaft starkes 
Zusammenpressen der Stimmbänder. Bei ruhiger Athmung atactische Bewegungen 
der Stimmbänder. In der Klinik wurden hysterische Krampfanfälle beobachtet» welche 
besonders bei körperlichen Anstrengungen auftraten. 

Die Arbeit schliesst mit einem Versuch der Erklärung des Stotterns mit Fistel¬ 
stimme. Paul Schuster (Berlin). 

34) Ueber Luftdruoklähmungen, von Prof. Dr. Dräsche in Wien. (Wiener 

med. Wocbenschr. 1898. Nr. 1.) 

Der erste in Wien beobachtete Fall von Luftdrucklähmung bei einem Caisson¬ 
arbeiter (1890). 

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Ein 44jähriger Arbeiter arbeitete 6 Standen in Caisson Aber 20 m unter dem 
Wasserspiegel (2 Atmosphären Ueberdruck). Bei Ausschlüssen Farästhesieen in 
Händen und Vorderarmen, stechende und reissende Schmerzen in beiden Beinen. 
Nach 12 Tagen aus dem Krankenhause entlassen arbeitete er wieder 6 Stunden bei 
2—3 Atmosphären Ueberdruck. Danach die froheren Zufälle, ausserdem Ohren* 
sausen, Flimmern, Taubheit beider Beine, Oppressionsgefühl und stechende Schmerzen 
in der rechten Brustseite, Spannung und Aufgeblähtsein des Unterleibes, und ein 
gewisser Grad von Benommenheit. Nach mehreren Stunden Schlaf kam er wieder 
zu Bewusstsein, konnte aber weder stehen noch gehen und hatte bis Ober das Knie 
gar keine Empfindung. Einzelbewegungen der FQsse aber konnte er ausf&hren. 
Ausserdem litt er an Retentio urinae und Obstipation. Die Untersuchung ergab: 
Lähmung des rechten Facialis in Bezug auf unbeabsichtigte mimische Bewegungen; 
die willkürlichen blieben frei; Empfindlichkeit des unteren Thoraxsegments auf Be¬ 
klopfen; Schwächung namentlich der Ab- und Adductoren der unteren Extremitäten 
und der Extensoren der Unterschenkel. Druckempfindlicbkeit der Nervenstämme an 
Armen und Beinen, Steigerung der Patellar- und Achillessehnenreflexe, Fehlen des 
Cremaster- und Bauchreflexes, paretischen, breitspurigen, schleifenden, nicht atac- 
tischen Gang, keinen Bömberg, keine objective Sensibilitätsstörung. Besserung des 
Zustandes trat nicht ein. 

Die einleitenden Erörterungen über das Entstehen der krankhaften Erscheinungen 
nach dem Ausschlüssen durch das plötzliche Freiwerden der unter dem hohem 
Luftdruck in das Blut eingepressten Gase, bringen nichts Neues. 

J. Sorgo (Wien). 


35) Minenkrankheit, von Dr. J. Lazarus. (Real-Encykl. der ges. Heilkunde. 

Bd. VH.) 

Auf Grund genauer Litteraturzusammenstellung giebt Verf. zunächst eine kurze 
Uebersicht über die Technik der Kriegführung in Minen und setzt dann die ver¬ 
schiedenen Formen der sog. Minenkrankheit auseinander, welche durch Einatlunen der 
bei unterirdischen Sprengungen sich entwickelnden Gase entsteht. Es stellt sich 
zuerst Kopfschmerz, Schwindel und manchmal süsslicher Geschmack ein; in leichteren 
Fällen kommt Benommenheit bezw. eine mehrere Stunden anhaltende Energielosigkeit 
dazu; bei den schwereren Formen stürzt der Betreffende nach der Rückkehr in die 
atmosphärische Luft plötzlich bewusstlos zusammen, macht nach ca. 10 Minuten 
Würgebewegungen, kehrt allmählich ins Bewusstsein zurück und klagt über heftige 
Kopfschmerzen; in noch schwereren Fällen treten clonische und tonische Zuckungen, 
Mydriasis und Pupillenstarre auf; endlich sind auch Zustände von lebhafter, heiterer 
Erregung, welche an Trunkenheit erinnern, beobachtet worden. Aus den Symptomen 
der Minenkrankheit, sowie aus der Thatsache, dass es gelungen ist, in dem Blute 
der an Minenkrankheit Verstorbenen spectroskopisch Kohlenoxyd nachzuweisen, folgert 
Verf., dass als ätiologisches Moment die Kohlenoxydvergiftung anzusehen sei, zumal 
da nachgewiesen sei, dass bei Anwendung des sog. Sprengpulvers sich in erster Linie 
Kohlenoxyd entwickle. Kaplan (Herzberge). 


36) Die Muskelthätigkeit in der pneumatischen Kammer, von G. v. Liebig 
(Reichenhall u. München). (Deutsche med. Wochenschr. 1898. Nr. 9.) 

Die grössere Sauerstoffaufnahme unter erhöhtem Luftdruck und die erzielte 
Kräftigung giebt sich u. a. kund in der längeren Ausdauer bei einer Kraftäusserung, 
welche man unter demselben anstellt. Verf. machte einen derartigen Versuch in der 
pneumatischen Kammer zn Reichenhall und constatirt, dass in der Kammer unter 
2 Atmosphären eine grössere Kraftäusserung möglich war, als ausserhalb derselben, 

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Nach Foley können die Arbeiter in den eisernen Schächten bei bis zu 2 Atmo¬ 
sphären erhöhtem Luftdruck leichter arbeiten, als ausserhalb, sie ermüden weniger 
leicht, Ihre Stimmung ist gehoben. Es scheint, dass der mehr aufgenommene Sauer¬ 
stoff nicht nur Kraft erzeugt, sondern auch auf das Gehirn wirkt, so dass Muskel- 
thätigkeit schwerer zur Ermüdung führt (Mosso). EL Pfeiffer (Cassel). 


Psychiatrie. 

37) Eine neue Form der periodischen Psychosen, von Prof. Dr. Th. Ziehen 

in Jena. (Monatsschr. f. Psychiatrie u. Neurologie. 1898. Bd. III.) 

Yerf. unterscheidet zwei Arten von periodischer Psychose: erstens die Art, bei 
der die Anfangspunkte der einzelnen Krankheitsanfälle um ungefähr gleiche Intervalle 
von einander entfernt sind, und zweitens die Art, bei der das symptomfreie Intervall 
zwischen je zwei aufeinanderfolgenden Krankheitsanfällen stets ungefähr gleich gross 
ist, während die Dauer der Anfälle schwankt. Die erste Art ist ausser an eine be¬ 
stimmte Disposition zuweilen an periodische körperliche Processe oder periodisch 
wiederkehrende Aenderungen der Lebensweise bezw. des Berufs gebunden. Die zweite 
Art, die eine ungünstigere Prognose hat, ist von Gelegenheitsursachen unabhängig. 
Yerf. erwähnt von den verschiedenen Formen periodischer Seelenstörungen: die 
periodische Manie, die periodische Melancholie, die periodische und acute hallucina- 
torische Paranoia, und als novum die periodische acute einfache Paranoia. 

Ich will auf die leidige Yerwirrung nicht eingehen, die dadurch zu Stande ge¬ 
kommen ist und vom Yerf. noch jetzt genährt wird, dass man den vortrefflichen 
Namen Paranoia auf die von der chronischen Yerrücktheit so himmelweit verschie¬ 
denen acuten Formen des Wahnsinns übertragen hat. Ich will nur von Neuem da¬ 
gegen protestiren, im Namen aller der Fachgenossen protestiren, die den bedeutenden, 
scharfen Differenzen in Symptomen, Yerlauf, Ausgang und Aetiologie der betreffenden, 
einander doch sehr fremden Psychosen gerechte Würdigung zu Theil lassen wollen. 

Die periodische acute hallucinatorische „Paranoia“ kommt u. a. als 
periodische Menstruationspsychose und bei einfacher und complicirter Migräne vor. 
Im Anfalle sind bei dieser Form manchmal körperliche hysterische Symptome nach¬ 
weisbar, die im Intervall fehlen. 

Die periodische neurasthenische Verstimmung kann Beziehungen zur 
Menstruation haben, kommt aber auch ohne solche Beziehungen vor. 

Bei der periodischen acuten einfachen „Paranoia“ bilden primäre, nicht 
aus Hallucinationen hervorgegangenen Wahnvorstellungen das einzige Hauptsymptom. 
Yerf. bringt von dieser letztgenannten Form einen, freilich noch nicht bis zu Ende 
beobachteten Fall und theilt mit, dass er periodische einfache „Paranoia“ ebenfalls 
im Zusammenhang mit der Menstruation, und zwar meist prämenstrual beobachtet 
habe. Wie wenig diese letztgenannte Kategorie mit der echten Paranoia zu thun 
hat, beweist seine eigene Angabe, dass hier die Formulirung einer bestimmten Ver¬ 
folgungsvorstellung häufig ganz unterbleibt. G. Ilberg (Sonnenstein). 


38) An analysis of three thousand cases of melanoholia, by S. Weir Michell, 
M. D. (Journal of nervous and mental disease. 1897. Dez. S. 738.) 

Statistische Untersuchungen über den (unwesentlichen) Einfluss der Jahreszeit 
auf den Ausbruch der Melancholie, über das durchschnittliche Alter der Melancholiker 
bei der Erkrankung und über die Recidive u. s. w. 

Hervorzuheben dürfte sein, dass das Climacterium — im Gegensatz zu der 


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landläufigen Anschauung — die Wahrscheinlichkeit an Melancholie zu erkranken, 
nicht erhöht, und dass es andererseits auch nicht bereits bestehende Psychosen 
günstig zu beeinflussen scheint. Sommer (Allenberg). 


39) Headaohe with visual halluolnations, by John K. Mitchell, M. D. 

(Journal of nervous and mental disease. XXIV. 1897. Oct. S. 620.) 

Sonst völlig gesunde verheirathete Frau, die seit etwa 3 Jahren an folgenden 
Anfällen leidet: unter allmählich zunehmenden Kopfschmerzen wird ihr dunkel vor 
den Augen, dann erscheint ihr die Gestalt eines kleinen Zwerges, die sich aus 
grosser Entfernung nähert und dabei immer grösser wird. In der Nähe wird sie 
zu einem gigantischen Gladiator, der eine Keule schwingt, und während die immer 
heftiger gewordenen Kopfschmerzen sich auf besonders schmerzhafte Punkte auf dem 
Scheitel oder auf den Parietalseiten des Schädels concentriren, schlägt die Erschei¬ 
nung mit der Keule auf das gewaltsamste auf die Patientin los. Diese verliert dann 
das Bewusstsein und verfällt in Convulsionen mit Opisthotonus. Die Dauer des 
ganzen Anfalls dauert bis zu 8 —24 Stunden, die der heftigsten Schmerzen und der 
Convulsionen 15—40 Minuten. 

Verf. ist geneigt, diese Anfälle auf Hemicranie zurückzuführen. 

Sommer (Allenberg). 


40) Contribato allo Studio della demenza oonseoutiva, per G. Mondio. 

(Annali di Nevrolog. Bd. XV. Nr. 5.) 

Krankheitsgeschichte einer 50jährigen Frau, die vor 14 Jahren während der 
Lactationsperiode schon einmal maniakalisch, emotiv religiös und erotisch erregt mit 
Gesichts- und Gehörshallucinationen eingeliefert wurde. Solche Anfälle kehrten im 
Laufe der Jahre einige Male wieder, aber schwächer. In den freien Intervallen 
wurde die Intelligenz immer schlechter. Becken osteomalaktisch, zahlreiche Fracturen 
und Luxationen der Extremitäten. Im 33. Lebensjahre war die linksseitige Ptosis, 
Strabismus externus, Doppeltsehen, Erweiterung und Starre der Pupille, Verlust der 
Botationsbewegungen des Auges aufgetreten. Ausserdem bestand Endocarditis chronica 
atheromatosa. 

Gehirnbefund: Pachymeningitis und Arachnoiditis chronica. Weisse Substanz 
anämisch, graue verblichen, braune Erweichung im rechten Thalamus opticus. Mikro¬ 
skopisch: vordere Wurzeln normal, in den hinteren Wurzeln, hauptsächlich rechts 
und im Dorsolumbaltheil, eine grosse Anzahl leerer Myelinscheiden, viele Axencylinder 
in verschiedenem Grade alterirt. Im ganzen Bückenmark doppelseitige Sclerose der 
Hinterstränge, besonders ergriffen die am meisten dorsal gelegenen Abschnitte, am 
stärksten und am weitesten lateral ausgedehnt im Lendenmark, weniger und vor¬ 
wiegend dorso-ventral im Cervical- und Dorsalmark. Die rechten Hinter- und Seiten- 
hömer weniger umfangreich als die linken. Commissura anterior degenerirt, Central¬ 
canal mit Zellen angefüllt. 

In der Hirnrinde Verminderung der Ganglienzellen, in der weissen Substanz das 
Fasernetz weniger dicht als normal. An Golgi-Präparaten die Form der Zellen un¬ 
regelmässig rund oder spindelförmig. Die Protoplasmafortsätze mit Knoten und 
Höckern besetzt; selten waren die Axencylinderfortsätze ergriffen. Aehnliche Ver¬ 
änderungen an den Nervenfasern und den Gliazellen. Gleiche, nur weniger aus¬ 
gesprochene Bilder boten die Zellen des Kleinhirns. An den Gefässen miliare An¬ 
eurysmen und Verdickung der Wandungen. Valentin. 


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41) Ein Fall von aonter Psychose als Theilersoheinung einer Salicyls&ure- 

Intoxioation, von Dr. Saloschin. (Wiener klinische Rundschau. 1898. 

Nr. 6 u. 6.) 

Eine 21jährige Wäscherin, welche von Seiten des Vaters (pot&tor strenuus) be¬ 
lastet schien nnd von jeher ein scheues, verschlossenes and leicht erregbares Wesen 
hatte, wurde mit Polyarthritis rheumatica und Endocarditis recens an der Noth- 
nagel’schen Klinik aufgenommen. Sie erhielt 18,0 Natr. salicylic. auf 36 Stunden 
vertheilt. Es entwickelte sich ein acutes, sich rasch steigerndes Krankheitsbild, das 
mit allgemeiner Erregung einsetzte und im Laufe von einigen Stunden zu einem 
Anfalle von schreckhaften Wahnideeen, Gesichts* und Gehörshallucinationen und da¬ 
durch bedingten Fluchtversuch sich entwickelte. Nach 18 Stunden verschwand es 
vollständig. Nebenerscheinungen waren: Kopfschmerz, theilweise vorhandene Be¬ 
nommenheit, Ohrensausen und Schwerhörigkeit 

Da die Psychose am 10. Krankheitstage auftrat, wo der acute Gelenksrheuma- 
tismus bereits im Abklingen begriffen war, und zu einer Zeit, wo die Fiebertempe¬ 
ratur (39,0) durch das Salicyl bereits zur Norm gebracht war, so wird die Psychose 
mit Recht dem Natr. salicylic. und nicht der rheumatischen Polyarthritis zugeschrieben; 
acute Psychosen nach Polyarthritis gehen Hand in Hand mit hohen Temperaturen. 

Aus einer Zusammenstellung der Casuistik ergeben sich folgende Schlosse: Das 
weibliche Geschlecht ist numerisch bevorzugt, ebenso alte, schwächliche und marastische 
Individuen. Bei jungen, kräftigen Personen kann hereditäre Belastung oder voraus¬ 
gegangenes Trauma eine Disposition ergeben. 

Die Bilder sind wechselnd; bald nur allgemeine Erregung, Unruhe, Angstgefühl, 
oder psychisches Wohlbefinden mit LustgefQhlen, allgemeiner Fröhlichkeit, bald aus¬ 
gesprochene Geistesstörung mit Delirien, Wahnvorstellungen, Gesichts- und Gehörs¬ 
hallucinationen, maniakalischen Anfällen; endlich Bewusstseinsverlust, Sprachstörungen, 
Hemiparese, Coma, Krämpfe. Begleiterscheinungen sind: Kopfschmerz, Ohrensausen, 
Schwerhörigkeit, Mydriasis, Strabismus, Schluckbeschwerden, Schweisse, Dyspnoe 
Nephritis. — Der Ablauf ist rasch (8—10 Stunden); die längste Dauer war 3 Tage. 

Die Intoxicationserscheinungen können bei den verschiedensten Grundkrankheiten 
auftreten, natnrgemäss am häufigsten bei Polyarthritis. Ein Unterschied in der Wir¬ 
kung der Salicylsäure und ihres Natronsalzes besteht in dieser Hinsicht nicht. Die 
Die Erscheinungen können auch bei mittleren Dosen (12,0—20,0 Na salicyl zu 1,0 
2stündl.) und bei Kindern, Frauen oder bei vorhandener Idiosyncrasie auch schon 
nach kleinen Dosen (4,0 Acid. salicyl. pro dos.) auftreten. J. Sorgo (Wien). 


42) Ueber Intoxioationpsyohosen, von Dr. A. Westphal. (Charitö-Annalen. 

1897. Jahrg. XXII.) 

Fall 1 ist bereits von Ihlow in einer Dissertation (Berlin 1895): „Ueber 
Uorphiococalnismus und hallucinatorische Cocain-Paranoia“ mitgetheilt worden. 

Fall 2. 39jähr. Krankenpflegerin, seit 10 Jahren morphiumsüchtig, hat bereits 
mehrfach Entziehungskuren durchgemacht, nach der ersten im Jahre 1887 ein Monate 
lang dauernder, hallucinatorischer Verwirrtheitszustand mit heftigen Wutbanfällen. 
Seit 2 Jahren spritzt sie Cocain mit Morphium, und zwar täglich ca. 1,0 Cocain und 
0,5 Morphium. Seit dem Cocaingebrauch lebhafte Verfolgungsideeen mit Gehörs¬ 
hallucinationen. Bei der Entziehung treten neben den gewöhnlichen Entziehungs¬ 
erscheinungen intensive Illusionen und Hallucinationen des Gefühls- und Gesichtssinnes 
auf. Parästhesieen an verschiedenen Stellen dos Körpers, „es sind kleine Tiere, die 
sich in die Haut bohren und wieder herausschl&pfen“. Nach der Entziehung ZurQck- 
treten der Erscheinungen. Nach einem chirurgischen Eingriff hochgradige Erregungs¬ 
zustände mit schreckhaften Hallucinationen aller Sinne. Im nächsten halben Jahre 


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allmähliches Verschwinden derselben. Nur die Hallucinationen des Geffihlssinnes per* 
sistiren und führen zeitweilig zn stärkeren Erregungszuständen. Wenu die Empfin¬ 
dungen besonders stark sind, klagt Pat. öfter über Absterben, Kalt- und Weisswerden 
der Hände; diese Angabe kann auch ärztlicherseits öfter verificirt werden. Allmäh¬ 
lich verschwinden indessen auch diese Erscheinungen und mit ihnen die Hallucina¬ 
tionen. 

Die Annahme, dass die vasomotrischen Störungen an der Peripherie Parästhesieen 
erzeugt haben, die von dem erkrankten Centralorgan dann wahnhaft umgedeutet 
worden sind, ist nicht von der Hand zu weisen. 

Fall 3 ist in der Dissertation von Hochstettern: „Ein Fall von Morphinismus 
mit Chorea“ (Berlin 1894) mitgetheilt. Martin Bloch (Berlin). 


43) Ueber einen Fall von Quernlantenwahnsinn mit letalem Ausgang im 

„Delirium acutum“ bei einem Syphilitischen, von Dr. R. Henneberg. 

(Charitd-Annalen. 1897. Jahrg. XXII.) 

Ein 39 jähriger, angeblich erblich nicht belasteter Kaufmann, vor längerer Zeit 
syphilitisch inficirt, zeigt bereits seit dem Jahre 1896 Anzeichen psychischer Störung, 
indem er Beeinträchtigungsideeen äussert. Im Verlaufe eines sich durch 6 Jahre 
hinziehenden, für den Pat. ungünstig verlaufenden Processes Entwickelung eines 
typischen Querulantenwahnsinns. Zum Zwecke der Begutachtung seines Geistes¬ 
zustandes wird Pat. in die Charitö aufgenommen. Bald nach seiner Aufnahme ent¬ 
wickelt sich hochgradige motorische Erregung, tiefgreifende Bewusstseinstrübung und 
schneller Kräfteverfall, kurz, das Bild des Delirium acutum, dem Pat. 20 Tage nach 
der Aufnahme erliegt. Die anatomische Untersuchung ergiebt Residuen einer circum- 
scripten Meningoencephalitis, wahrscheinlich syphilitischen Ursprungs, des Ober¬ 
wurms des Kleinhirns, Hyperämie des Hirns, kleine Hämorrhagieen, Erweiterung 
der perivascnlären und pericellulären Räume, Auswanderung weisser und roter Blut¬ 
körperchen in die adventiciellen Scheiden, Veränderungen in den Ganglienzellen der 
Rinde in Form von Schrumpfungen, Kern Veränderungen. Wucherungen der Glia und 
Tangentialfaserschwund waren nicht nachzuweisen. Martin Bloch (Berlin). 


44) Simulation von Geistesstörung, Typus: Copie des Kindes, l’/ 3 jährige 

„Lähmung“, von Dietz (Stuttgart). (Allg. Zeitschr. f. Psych. Bd. LI1I. S. 1.) 

Verf. beschreibt den Fall eines 32jährigen, des Betrugs und Diebstahls ange- 
klagten Schreiners, der 6 Monate lang hochgradigen „kindischen Blödsinn“ und 
Lähmung der unteren Extremitäten mehr als l l / 2 Jahre hindurch simulirte, auch 
nach der Verurtheilung noch. Der Blödsinn war, wie meist in solchen Fällen, in- 
consequent und voller Uebertreibungen. Der Zweck der Simulation der „Lähmung“ 
und vor allem des Festhaltens an der Simulation im Zuchthause ist noch nicht auf¬ 
geklärt Aschaffen bürg (Heidelberg). 


45) Om Simulation af Sindssygdom, af E. Kirstein. (Hosp.-Tid. 1897. 

4 R. V. 49, 50, 51.) 

Verf. theilt 4 Fälle aus der unter Leitung Prof. Knud Pontoppidan’s Lei¬ 
tung stehenden 6. Abtheilung des Communehospitals in Kopenhagen mit. 

Im 1. Falle handelte es sich um einen wegen Diebstahls und Landstreicherei 
mehrmals bestraften, dem Trünke ergebenen und dadurch körperlich und psychisch 
heruntergekommenen Menschen, der wiederholt zur Beobachtung in das Hospital ge¬ 
bracht wurde nnd auf der Basis psychischer Verkommenheit unzweifelhafte Merkmale 

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der Simulation von Geistesstörung zeigte, neben einer wirklichen Psychose und zum 
Theil mit dieser abwechselnd. Während der letzten Beobachtungszeit bekam er 
Krämpfe, die mit denen einer hysterischen Patientin, die sich zur Zeit im Kranken¬ 
hause befand, zu grosse Aehnlichkeit hatten, um den Gedanken an Simulation wankend 
zu machen. Mangel an Energie und Unfähigkeit, mehr als die augenblickliche 
Situation zu berücksichtigen, hinderten ihn, seine Simulation in einem ausgeprägten 
Maasse und längere Zeit durchzuffihren. 

Der 2. Fall betraf ebenfalls einen, mehrfach mit dem Gesetz in Conflict ge¬ 
kommenen, dem Trünke ergebenen Dieb, der unzweifelhaft wiederholt simulirt, auch 
einmal schon einen fingirten Selbstmordversuch in Scene gesetzt hatte, sich dann in 
sein Schicksal zu ergeben schien, sich aber schliesslich erhängte. Auch dieser 
Selbstmord wurde als versuchte Simulation angesehen, weil er zu einer Zeit ausge¬ 
führt worden war, wo das Hinzukommen des Aufsehers zu erwarten stand. Verf. 
ist nicht geneigt, diese Anschauung zu theilen, weil die Brhängung zu gut ausge¬ 
führt war. In binterlassenen Schriftstücken hatte der Verstorbene Leiden, die er 
nicht zu ertragen im Stande sei, als Motiv des Selbstmordes angegeben; hypochon¬ 
drische Klagen und Vergiftungsfurcht, die sich darin ausdrückte, hatten an und für 
sich das Gepräge der Wahrheit, da Pat. thatsächlich psychische Abnormitäten dar¬ 
geboten hatte, aber auf der andern Seite schien der hochtrabende Stil auf Affect 
berechnet zu sein. 

Der 3. Fall betrifft einen schon häufig wegen verschiedener Vergehen bestraften, 
trunksüchtigen Dieb, der schon früher an Delirium tremens gelitten haben sollte 
und wiederholt versucht hatte, zu simuliren, um der Strafe zu entgehen. Im Ver¬ 
hör hatte er verwirrtes Zeug gesprochen, so dass Zweifel an seiner Zurechnungs¬ 
fähigkeit aufstiegen. Im Hospitale simulirte er allerhand Zustände und Handlungen, 
wie er sie von andern Kranken gesehen hatte, wurde unreinlich und zog sich beim 
Zerschlagen von Fensterscheiben eine Schnittwunde am Arm zu. Er litt an rechts¬ 
seitiger Facialisparalyse und beiderseitiger chronischer Otitis sicca. Unruhige und 
ruhige Perioden, je nachdem es die Umstände mit sich brachten. 

Auch der 4. Fall betraf einen wiederholt bestraften Dieb, bei dem sich schon 
in der Kindheit häufig Stehlsucht gezeigt haben sollte; auch während der Beobach¬ 
tungszeit im Hospitale stahl er wiederholt, vielleicht nur um Kleptomanie zu simu¬ 
liren. Es bestanden bei ihm Imbecillität, kindisches Wesen und kindische Neigungen, 
namentlich aber Mangel an moralischem Gefühl. Pat. kam wiederholt zur Beobach¬ 
tung; seine erste Aufnahme geschah nach einem Erhängungsversuch, dem lange 
Bewusstlosigkeit folgte und nach dem die Strangrinne noch lange sichtbar blieb, an 
den er sich Anfangs nicht erinnern wollte, den er aber später als simulirt bezeichnete, 
auch dass er epileptische Anfälle nur simulirt hatte, gestand er später. 

Walter Berger (Leipzig). 


III. Personalien. 

Unser verehrter Mitarbeiter Herr Dr. Passow wurde zum I. Assistenten der psychi¬ 
atrischen Klinik in Strassbnrg i./E. befördert 


Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten. 

Einsendungen für die Redaction sind zu richten an Prof. Dr. E. Mendel, 
Berlin, NW. Schiffbauerdamm 20. 

Verlag von Varr & Comp, in Leipzig. — Druck von Mktzgeb & Wittig in Leipzig. 


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Neurologisches Cent ralb latt. 

Ueberticht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie 
und Therapie des Nervensystems einschliesslich der Geisteskrankheiten. 

Heraasgegeben von 

Professor Dr. E. Mendel 

Siebzehnter " B * rlln ' Jahrgang. 

Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 24 Mark. Zu beziehen durch 
alle Buchhandlungen des In- und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie 

direct von der Verlagsbuchhandlung. 

1898. 1. Mai Nr. 9. 


I. Originalmittheilungen. 1 . Ueber Phosphorlähmung, von Prof. Dr. 8 . E. Henschen in 
Upsala. 2. Ein Fall von Neuritis optica mit 4wöchentlicher doppelseitiger, in complete 
Heilung ausgegangener Blindheit, von H. Hlgier (Warschau). 8. Untersuchungen über das 
Rückenmark und das Kleinhirn der Vögel, von Dr. A. Friedländer. (Fortsetzung u. Schluss.) 

II. Referate. Anatomie. 1. Ueber das Riechhirn der Säugethiere, von LBwenthal. 
2. Das dorsale Gebiet der spinalen Trigeminuswurzel und seine Beziehungen zum solitären 
Bündel beim Menschen. Ein Beitrag zur Anatomie und Physiologie des Trigeminus, Von 
Wallenberg. — Experimentelle Physiologie. 3. Bidrag tili kännedomen om hudens 
kall — och varm — punkter, af Alrutz. 4. Om förnimnelsen „hett“, af Alrutz. 5. Om den 
s. k. perversa temperatur fomimnelserna, af Alrutz. — Pathologische Anatomie. 6. Bei¬ 
träge zur Pathologie der Nervenzellen, von Goldscheider. 7. Ueber den Einfluss verschiedener 
Infectionen aaf die Nervenzellen des Rückenmarks, von Babes. — Pathologie des 
Nervensystems. 8. Familiendisposition bei symmetrischer Atrophie des Schädeldaches, 
von Bloch. 9 . Three cases of the family type of cerebral diplegia, by Dercum. 10. Maladie 
familiale ä symptomes cöröbello-mödullaires, par Pauly et Bonne, lf. Dritte Mittheilung über 
die paroxysmale, familiäre Lähmung, von Goldflam. 12. Ueber Paralysis spastica und über 
die vererbten Nervenkrankheiten im allgemeinen, von Jendrässik. 13. Epidemie of infantile 
paralysis in the same family, by Pasteur. 14. Sopra un caso di tabö spasmodica famigliare, 
per Tambroni e Finzi. 15. Die amaurotische, familiäre Idiotie, von Sachs. 16. Weitere Mit¬ 
theilungen über eiuen Fall von chronischem Hydrocephalus bei hereditärer Syphilis, von 
Heller. 17. A contribution to the study of spinal syphilis, by Spiller. 18. Over syphilitische 
Spinalparalyse, door Muskeus. 19. Acute Myelitis und Syphilis, von Rosln. 20. Anatomical 
consideration of brain syphilis, with report of three cases, by Krauss. 21. Aggiunta alla 
Storia di un caso di malattia di Erb. Nota per Murri. 22. Ein Fall von Myasthenia pseudo- 
paralytica gravis und intermittirender Ophthalmoplegie, von Eulenburg. 23. Ueber Myasthenia 
psendoparalytica gravis, von Cohn. — Psychiatrie. 24. Typhoid fever araong the insane, 
by Goodner. 25. Des psychoses religieuses ä evolution progressive et ä systematisation dite 
primitive, par Marie et Vallon. 26. Belehrungen für das Wartepersonal an Irrenanstalten, 
von Schröter. 27. Deux exemples de la forme affective du dölire göneralisö — Verwirrtheit 
(confusion mentale), par Francotte. 28. L*Obsession de la rougeur (ereuthophobie), par Pltres 
et Rtgis. 

Hl. Aus den Gesellschaften. Verhandlungen des 16. Congresses für innere Medicin vom 
13.—16. April 1898 zu Wiesbaden. 


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386 — 


I, QrlgiiialmittltaUuiigeu. 


1. Ueber Phosphorlähmung. 

Von Prof. Dr. S. E. Henaohen in Upsala. 


Obschon Vergiftungen mit Phosphor überhaupt, und besonders in unserem 
Lande, sehr allgemein sind, so sind doch unsere Kenntnisse über die Einwirkung 
dieses Giftes auf das Nervensystem des Menschen besonders dürftig. Unter 
einer nicht unbedeutenden Anzahl von Phosphorvergiftungen, welche in meiner 
k linis chen Abtheilung in Upsala behandelt worden sind, habe ich nie eine 
Lähmung gesehen. Wahrscheinlich kommt dieses daher, dass die meisten 
solchen Patienten binnen wenigen Tagen sterben, aber selbst bei denen, welche 
genasen, habe ich Lähmungen nicht gesehen. 

In der mir zugänglichen Litteratur finde ich auch in dieser Beziehung 
nichts, ausgenommen, dass in allen Abhandlungen über Neuritis Phosphor unter 
den Giften eingereiht , ist, welche Neuritis hervorrufen. Diese Aussage wiederholt 
sich fast überall. Sucht man aber einen Beleg für diesen Satz, so kann man 
das ßegister der ganzen Beihe von Bänden des Neurolog, Centralblattes von 
1882—1898 durchsuchen, ohne einen einschlägigen Fall aufepüren zu können, 
und zwar weder einen Fall von Neuritis, noch einen von Phosphorlähmung in 
anderer Form. 

Durch experimentelle Untersuchungen bei Thieren über die Einwirkung 
des Phosphors ist dagegen nachgewiesen, dass wirklich Veränderungen im Nerven¬ 
system nach Phosphorvergiftung Vorkommen. So z. B. fand Danillo beim 
Hunde nach letalen Dosen Alterationen, welche er als Myelitis, entweder 
centraler oder diffuser Natur, bezeichnet. Grosse Dosen rufen eine Myelitis 
centralis in der ganzen Länge des Rückenmarks hervor mit Bildung von Extra¬ 
vasaten und Pigment; die geringeren und wiederholten Dosen erzeugen eine 
Myelitis diffusa, die graue und weisse Substanz ergreifend. Während des Lebens 
sah Danillo eine Reihe krankhafter nervöser Symptome, welche als Effecte der 
Myelitiden betrachtet werden müssen. 1 

Kbeyssig dagegen fand ausser capillären Blutungen in der grauen Sub¬ 
stanz keine pathologischen Veränderungen im Rückenmark der vergifteten Thiere, 
welche 4—66 Tage nach der Vergiftung starben. 2 

Dagegen fand Gurbeebi 3 im Rückenmark eines mit Phosphor vergifteten 
Hundes die GoLL’schen und BunDACH’schen Strange degenerirt. 


1 Neurolog. CentralbL 1882. S. 11. 

* Neurolog. CentralbL 1886. S'. 6. 

3 Rev. sper. di Freniatr. Vol. XIX. — Neurolog. Centralbl. 1895. S. 279. 

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In Anbetracht dieser mangelhaften Kenntnisse darüber, wie sich das Nerven¬ 
system beim Menschen nach Phosphorvergiftong verhält, verdient folgender Fall, 
obschon nur klinisch beobachtet, veröffentlicht za werden. 

Hansson, Grossknecht, 70 Jahre alt 

Dem Pat., welcher froher immer gesund und arbeitsfähig war, wurde von einem 
Dienstmädchen am 29. Juli 1896 um 12 Uhr Mittags Phosphor im Kaffee eingegeben. 
Um ! /»2 Uhr Nachmittags stellte sich Erbrechen ein, und zwar unaufhörlich, bis nur 
„klares Blut“ erbrochen wurde. Pat. musste zu Bett gehen und fühlte sich sehr 
schwach. Ein Arzt wurde gerufen, und dieser hat mir brieflich mitgetheilt, dass 
Pat. Symptome von Phosphorismus acutus hatte. Uebrigens war er nicht' benommen; 
er konnte sehen. Das Gehörvermögen war auf beiden Ohren herabgesetzt, und 
er hatte Schwierigkeit zu schlucken. Pat. wurde indessen nicht ikterisch. Im 
August bekam er Schmerzen in den Füssen und in den Knieen, dann wurden die 
F&sse gelähmt, so dass er nicht stehen konnte. Die Beine trugen ihn auch 
nicht mehr, aber er konnte sie im Bett bewegen; dagegen waren die Finger 
gelähmt Er musste dann fast den ganzen Winter das Bett hüten. Pat war in 
dieser Zeit schwach, litt aber nicht an Herzklopfen. Er hat Verdacht, dass er in 
der Zwischenzeit mehrmals vergiftet wurde, und auch sein Sohn bekam Gift Nach 
der Vergiftung litt Pat. auch an allgemeiner Depression, sowie au Parästhesieen. 

Erst im April 1897 begann er zu gehen, und seit dieser Zeit besserte sich 
allmählich der Zustand, so dass er im Juni 1897 den „Sätra Brunn“, wo ich Arzt, 
bin, besuchen konnte. 

Status am 11. Juni 1897. 

Körperbau gut, Körperfülle gut, wie auch die Kräfte. Er hat einen guten 
Appetit und regelmässige Darmentleerung. Der Körper zittert. 

Subjectiv hat er keine Schmerzen, aber er leidet an Parästhesieen. Es 
kribbelt und sticht in den Unterschenkeln und in den Händen. Die 'Muskeln der 
Arme und der Beine sind in hohem Grade empfindlich gegen Druck. 

Die Psyche ist normal, wie auch Urteilsvermögen, Gedächtniss und Wille. 
Keine Aphasie. 

Kranialnerven: I. Geruch beiderseits gut. II. Gesicht auch gut, Seh- und 
Farbenfelder von normaler Ausdehnung. III., IV., VI. Augenbewegungen normal; 
die Pupillen klein. V. Gefühl gut. VII. Keine Anomalie. VIII. Gehörschärfe 
beiderseits bedeutend herabgesetzt. IX.—XII. Nerven zeigen nichts abweichendes. 

Sensibilität. Sowohl an den Händen, wie an den Füssen ist der Tastsinn 
bedeutend herabgesetzt, vielleicht mehr in den Händen. 

Schmerzsinn. Pat. ist etwas hyperalgetisch, und sowohl die Hände, wie 
die Füsse sind bis über die Ellenbogen und die Knie hinauf sehr empfindlich. 

Temperatursinn normal. 

Muskelsinn schlecht, und Pah hat Schwierigkeit einen Knopf zu knöpfen 
und kann eine Stecknadel nicht vom Boden aufnehmen, vielleicht mehr in Folge des 
mangelhaften Tastgefühls, als des Fehlens des Muskelgefühls. 

Motilität Er ist schwach in den Händen and Füssen, steht mit gebeugten 
Beinen. 

Ataxie. Er geht mit gespreizten Beinen und mit Schwierigkeit, besonders 
bei geschlossenen Augen. 

Atrophie. Die Muskeln der Hände sind etwas, aber nicht sehr atrophisch, 
aber die Hände sind angeschwollen, wie dnrch ein chronisches Oedem. 

Beflexe können von den Muskeln der Vorderarme ausgelöst werden. Patellar- 
reflexe fehlen. 

Die Blase zeigt weder jetzt noch früher irgepd welche Störungen; ebenso ver¬ 
hält sich der Darm jetzt, wie auch früher, normal. 

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Trophische Störungen. Ausgenommen das eben erwähnte Angeschwollensein 
der Hände und Fasse und die nicht hochgradige Atrophie der Muskeln der Hände, 
findet sich keine Atrophie. 

Innere Organe. Das Herz ist nicht vergrössert. Die Töne sind rein. Der 
Puls normal. 

Behandlung. Pat. wurde mit Bädern (Moorbädern u. s. w.), Massage und 
Elektricität jeden Tag behandelt und befand sich dabei gut. 

7./VII. 1897. Bei der Abreise wird bemerkt: Pat hat sich auffallend ge¬ 
bessert, er geht recht gut mit offenen Augen, schlechter mit geschlosseuen; geht 
jedoch immer mit gespreizten Beinen. Er kann jetzt die Knöpfe knöpfen. Die 
Plantarseiten der Fasse sind beim Gehen und bei der Bewegung empfindlich und 
schmerzhaft, besonders in der Kälte. Die Empfindlichkeit erstreckt sich bis aber 
die Knie. 

Die Hände sind empfindlich und schmerzen etwas in den Endphalangen, nicht 
wie fraher in den ganzen Fingern. 


In der Kurze lautet die Krankengeschichte also folgendermaassen: 

Ein 70jähr. Mann wird einem, vielleicht selbst wiederholten Vergiftungs¬ 
versuchen mit Phosphor ausgesetzt. Die gewöhnlichen Vergiftungssymptome 
stellten sich ein, wie Bluterbrechen, Schwäche u. s. w., und er musste Monate 
lang das Bett hüten. Binnen einem Monate stellten sich Schmerzen in den 
Füssen ein und dann Schwäche und Schwierigkeit zu gehen. Aber er konnte 
die Beine im Bett bewegen. Darnach wurden auch die Finger gelähmt. Erst 
nach etwa 9 Monaten konnte er aufstehen. 

Nach Jahresfrist, findet man bei der Untersuchung keine Störung der 
Psyche oder- der Kranialnerven, aber Pat. leidet an ausgesprochener Schwäche 
in den Händen und Füssen, sowie an Herabsetzung des Tastsinns in diesen 
Theilen. Ausserdem sind die Extremitäten bis über die Knie und Ellenbogen 
hinauf, wie überhaupt die Muskulatur schmerzempfindlich. Die Hände sind 
angeschwollen und die Handmuskulatur ist etwas atrophisch. Die Reflexe von 
der Armmuskulatur aus bestehen, aber die Patellarreflexe sind verschwunden. 
Keine Blasen- oder Dannstörung. 

Er hat Schwierigkeit zu gehen, und eine ausgesprochene Ataxie ist vor¬ 
handen. 


Diagnose. Bei einem Versuch die Art und Localisation des Processes zu 
bestimmen, ist daran zu erinnern, dass die ersten Symptome der Krankheit 
Schmerzen in den Händen und Füssen waren, und dann Schwierigkeit zu gehen, 
wahrscheinlich theils als Ausdruck einer Ataxie, theils der Schwäche jener Tbeile. 
Die Symptome, welche seitdem bestehen geblieben sind, deuten theils auf Neu¬ 
ritis, theils auf Veränderungen im Rückenmark. Im Ganzen ähneln die Symptome 
in hohem Grade denen bei der Arsenikvergiftung. Auch hier spielen die Schmerzen 
eine auffallende Rolle. Hier wie da ist Ataxie vorhanden. Für Neuritis spricht 
besonders die grosse Schmerzempfindlichkeit bei Druck auf die Muskulatur. 
Und da die Patellarreflexe fehlen, und die Localisation sich besonders auf die ' 
Spitzen der Extremitäten beschränkt hat, so ist wohl kein Zweifel, dass hier ' 
eine Neuritis phosphorica vorliegt; und dass sowohl sensible wie motorische 
Nerven ergriffen sind — ganz wie bei der Arsenikvergiftung. 


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Da inzwischen auch Ataxie vorhanden ist, so müssen auch Theile im 
Bückenmark ergriffen sein, denn die Ataxie kann kaum durch die vorhandene 
Anästhesie genügend erklärt werden. Welche Theile aber daselbst zerstört 
worden sind, darüber lohnt es nicht die Mühe zu discutiren. Ich weise in dieser 
Hinsicht auf die von mir, sowie Eblitzkl und Rybalkin dargelegten Befunde 
bei der Arsenikvergiftung hin. Wir fanden, dass die grossen motorischen Zellen 
atrophisch waren, und in meinem Falle konnte ausser einer hämorrhagischen 
Cyste auch eine ausgesprochene Degeneration der Gou/schen Stränge nach- 
gewiesen werden. 

Ich bin also geneigt, sowohl eine Neuritis, als auch degenerative Processe 
im Bückenmark anzunehmen. . Dagegen fehlen alle Anzeichen eines cerebralen 
Leidens. 

In Bezug auf die Symptomatologie hebe ich hier nur die auffallende Aehn- 
li chk eit mit Arsenikvergiftung hervor. Doch finden sich hier ausserdem eine 
auffallende Anschwellung der Hände, ein höherer Grad von Schmerzempfindlich¬ 
keit noch nach 1 jährigem Bestehen des Leidens, welche besonders an den Fuss- 
sohlen und in den Fingerspitzen ausgesprochen ist Dagegen war die Atrophie 

In wie weit alle diese Symptome für Phosphorvergiftung charakteristisch 
oder constant sind, darüber kann nur weitere Erfahrung belehren, aber die 
Analogie mit der Arsenikvergiftung spricht doch dafür, dass hier ein typischer 
Fall, von Phosphorlähmung vorliegt 

Das allmähliche Eintreten der Lähmung erst längere Zeit nach den wieder¬ 
holten (?) Yergiftungsversuchen giebt eine genügende Erklärung, warum so selten 
Phosphorläbmungen beobachtet worden sind. 


2. Ein Fall von Neuritis optica mit 4wöchentlicher doppel¬ 
seitiger, in complete Heilung ausgegangener Blindheit. 

Beitrag zur Klinik der genuinen und concomittirenden Sehnerven¬ 
entzündungen. 

Von H. Higier (Warschau). 

Unter den gemeinen Sehnervenentzündungen ist bekanntlich die häufigste 
die sog. Neuritis optica retrobulbaris. Sie macht etwa die Hälfte der gesammten 
Sehnervenaffectionen aus und ist deshalb als klinische Erkrankungsform sowohl 
in theoretischer als praktischer Hinsicht ausserordentlich wichtig, für den Nerven¬ 
arzt nicht minder als für den Augenarzt. Sie stellt eben nichts mehr als eine 
isolirte, durch das Ophthalmoskop unserem Auge direct zugängliche Entzündung 
eines Hirnnerven .dar, die vom pathogenetischen Gesichtspunkte aus mit den 

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sonstigen peripheren Neuritiden viele Berührungspunkte besitzt Von beiden 
kennen wir eine acute und chronische Form, wobei letztere entweder vom An¬ 
beginn an als solche auftritt, oder Ausgang der acuten Varietät darstellt. Die 
zahlreichen ätiologischen Momente der Neuritis optica lassen sich, nach Aus¬ 
schluss der örtlichen Ursachen (orbitale Cellulitis, Periostitis am Foramen opti- 
cum), ebenso wie bei der Neuritis multiplex in vier Hauptgrappen eintheilen: 
in Intoxicationen, Infectionen, Traumen und Erkältungsursachen. 

Unter den anorganischen und organischen toxischen Schädlichkeiten spielen 
hei der Sehnervenentzündung die Hauptrolle: Alkohol, Blei, Chinin, Tabak und 
Schwefelkohlenstoff. Von den infectiösen Noxen kommen die abnormen Stoff- 
wechselproducte in Betracht, die bei den meisten acuten und chronischen All¬ 
gemeinkrankheiten producirt werden und toxisch wirken. Hierher gehört somit 
die Neuritis optica bei Typhus, Influenza, acutem Rheumatismus, die bei Lues, 
Diabetes, Sclerose, Gicht, Gravidität, Puerperium u.s. w. Eine weniger ansehn¬ 
liche Rolle spielen die traumatischen Kopfverletzungen (Adamüx) und das 
refrigeratorische Moment, besonders die Einwirkung plötzlicher Abkühlung der 
Kopf- oder Gesichtshaut (Samelsohn). 

Klini sch lässt sich die acute retrobulbäre Sehnervenentzündung, wie die 
sonstigen Neuritiden, durch die Schmerzhaftigkeit des Nerven, den Ausfall der 
Function und das Schwinden der physiologischen Reaction erkennen. In allen 
frischen Fällen sind die Augenbewegungen schmerzhaft, die Empfindlichkeit auf 
Druck des Augapfels in der Richtung von vorn nach hinten erheblich gesteigert 
Das Sehvermögen nimmt im ergriffenen Auge in ziemlich kurzer Zeit — von 
wenigen Stunden bis Tagen — stark ab, wobei intensive Reizungserscheinungen 
in Form von feurigem Nebelsehen und Lichtblitzen dem völligen Erlöschen der 
Function vorausgehen. Die Pupille ist mittelweit und auf directen Lichteinfall 
völlig reactionslo8, trotzdem die consensuelle Reaction noch bei völliger Amaurose 
erhalten bleibt. In den schweren Fällen ist die Erblindung total, in den leich¬ 
teren nimmt letztere nur das centrale Gesichtsfeld ein. Das Scotom, meist in 
Gestalt einer central liegenden Ellipse, ist für die gewöhnliche Neuritis optica 
retrobulbaris äusserst charakteristisch, viel seltener sind Ringscotome oder peri¬ 
phere Einschränkung. Indem die Abnahme des Lichtsinnes in Abhängigkeit 
von der Extensität des Scotoms ist, soll die Sehschärfe nur von der Intensität des¬ 
selben abhängen. Interessant ist es, dass das Farbenobject, sobald es in Bereich 
des Scotoms tritt, zunächst seine Nuance, d. h. seine Helligkeit und dann erst, 
näher dem Kern des Defectes, seinen Ton verändert Am Rande des Scotoms 
erscheint das weisse Prüfungsobject grau, am Centrum schwarz. Wo die 
Amaurose complet zu sein soheint, lässt sich zuweilen nach Samelsohn bei 
Prüfung im dunklen Zimmer mit sehr schwachen Lichtquellen eine dumpfe 
Lichtempfindung in der Peripherie feststellen, wo die Untersuchung mit Reflexen 
eines Augenspiegels negativ ausfällt. 

Der Augenspiegelbefund ist in den ersten Tagen meist ganz negativ. Im 
weiteren Verlaufe bildet sich allmählich Oedem und capilläre Röthung an der 
Papille aus, die hier und da zum Bilde der typischen Stauungspapille führen 

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kann. Seltener fehlt dieses Stadium ganz und nur die consecutive Opticus¬ 
atrophie (Abblassung der temporalen Hälfte der Papille) macht auf die Natur 
des durchgemachten Leidens aufmerksam. Ab und zu soll die mit plötzlicher 
Erblindung eintretende Neuritis optica — falls das entzündliche Transsudat 
gerade die Eintrittsstelle der Sehnervengefässe comprimirend trifft — unter dem 
Bilde der acuten Netzhautischämie mit auffallender Verengerung sowohl der 
Arterien als Venen verlaufen. 

Anatomisches Material für die im Grossen und Ganzen ziemlich seltene 
acute Neuritis liegt bis jetzt nicht vor, und sind wir gänzlich auf die anatomisch¬ 
pathologischen Befunde bei den chronischen retrobulbären Neuritiden angewiesen, 
die trotz mancher beachtenswerter klinischer Differenzen (sehr schleichender 
Beginn, progressiver Verlauf, Fehlen der Schmerzhaftigkeit, der Pupillenanoma- 
lieen und der Schwellungserscheinungen an der Papille, sehr spätes Nachfolgen 
einer temporalen Atrophie der Papille ohne Betheiligung der Centralgetässe) sich 
ebenfalls durch das centrale Scotom — absolutes, relatives oder nur für Farben 
— hauptsächlich auszeichnen. Bei diesen Formen wird mit auffallender Regel¬ 
mässigkeit ein ganz bestimmtes Nervenbündel von der interstitiellen Entzündung 
ergriffen, und zwar das -sog. papillo-maculare Bündel, das den gelben Fleok und 
den zwischen ihm und dem temporalen Rande der Papille gelegenen Abschnitt 
der Retina versorgt Dasselbe kann in jeder Stelle seiner Längsausdehnung vom 
Entzündungsprocess betroffen werden: von derjenigen Stelle, wo es im Canalis 
opticus als Cylinder axial gelagert ist bis zu dem Punkte, wo es den temporalen 
Rand des Nerven erreicht und dicht am Eintritt der Centralgefasse die keil¬ 
förmige Gestalt annimmt Nur ausnahmsweise localisirt sich die chronische 
Neuritis im peripheren Theil des Opticus bezw. dehnt sich vom axialen Gebiete 
auf den peripheren Abschnitt, was sich klinisch in Sehstörungen an den excen¬ 
trischen ThfiUen des Gesichtsfeldes kundzugeben pflegt 

Weshalb mit Vorliebe gerade dieses Bündel betroffen wird, lässt sich nicht 
mit Bestimmtheit aussagen. Möglicherweise hat die hochgradige functionelle 
Empfindlichkeit der am meisten in Anspruch genommenen Fasern des directen 
Sehens, oder das Passiren des Hauptlymphstromes durch das Centrum des 
Nerven daran Schuld. Dahingestellt muss es immerhin bleiben, ob es tat¬ 
sächlich für jeden Fall einer besonderen, etwa angeborenen Prädisposition in 
Gestalt einer besonderen Ernährungsschwäche der centralen Nervenbündel be¬ 
dürfe, einer Schwäche, die unter den geringfügigsten begünstigenden Momenten 
in eine Entzündung dieser Bündel umschlägt 

Die acute Neuritis retrobulbaris ist eine verhältnissmässig seltene Erkran¬ 
kung. ln Samklbohn’8 1 Statistik figurirt sie unter 119 Fällen kaum 18 Mal, 
und nur ausnahmsweise doppelseitig. So konnte noch Reisseet 2 im Jahre 


1 Sakelsohh, Neuritis retrobulbaris. Biblioth. der gesamtsten medicin. Wissenscb. 
Liefet. 123. S. 504—512. 

* E. Bbissbbt, Ein Fall von Neuritis retrobulbaris. Arch. f. Augenbeilk. Bd. XXVIII. 
S. 48—54. 


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1894 keinen unanfechtbaren Fall von acuter Sehnervenentzündnng mit beider¬ 
seitiger vollständiger Erblindung aus der Literatur anfuhren. Angesichts eben 
der Seltenheit dieser Fälle erlaube ich mir kurz über einen einschlägigen Pa¬ 
tienten zu referiren, den ich ein Jahr hindurch zu beobachten Gelegenheit hatte. 
Der Fall ist besonders ausgezeichnet durch den foudroyant aufgetretenen Seh¬ 
verlust, durch die eigentümliche Aetiologie, durch die vom ersten Tage der 
Erkrankung sehr ausgesprochenen Entzündungserscheinungen an den Papillen 
(Papillitis), durch den eclatanten Erfolg der subcutanen Pilocarpininjectionen 
und durch die vollkommene Restitution der Sehschärfe trotz der 4 Wochen an¬ 
haltenden doppelseitigen Blindheit 

Chiel Lilienstein, 38 Jahre alt Geschäftscommis, erkrankt am 5. Jnni 1896 an 
Kopfschmerzen and Flimmern vor dem rechten Aage. Im Laufe des Tages steigern 
sich die Schmerzen und sinkt die Sehschärfe unter Nebelsehen an beiden Augen sehr 
bedeutend. Nach etwa 3 Tagen, als ich den Pat das erste Mal zu sehen bekam, 
war er beinahe gänzlich erblindet. Die damals gemeinsam mit Collegen Gepner, 
Kramsztyk und Spielrein vorgenommene Untersuchung ergab ziemlich wenig 
Anhaltspunkte zur Beurteilung der Natur und Aetiologie des schweren Leidens. 

Der in psychischer Hinsicht völlig normale, keine Spur von Bewusstseinstrübung 
aufweisende Patient klagte über diffuse Parästhesieen im Hinterhaupt und der rechten 
Schläfe. Bei Bewegung der Augäpfel empfindet er in den Extremstellungen, beson¬ 
ders in der Gegend der medialen Orbitalwand, intensive Schmerzen, weshalb die 
maximale Anstrengung der äusseren Bulbusmuskulatur absichtlich vermieden wird. 
Bulbus auf Druck mit dem Finger empfindlich. Kein Exophthalmus oder Strabismus. 
Lider, Conjunctiva, Cornea und Iris normal, optische Medien durchsichtig. Die gleich¬ 
weiten Pupillen sind stark mydriatiscb, reagiren nicht auf Licht, ziemlich gut auf 
Convergenz. Lichtsinn und Sehschärfe sind am rechten Auge gänzlich erloschen, am 
linken scheinen sie in geringem Maasse erhalten zu sein. Bei Exploration des 
Gesichtsfeldes im etwas abgedunkelten Zimmer mit der Hand ergiebt sich, dass die 
Handbewegungeu in der Richtung nach oben und innen einigermaassen erkannt 
werden. Vom Farbensinn ist keine Spur eruirbar. Ophthalmoskopisch lässt sich 
feststellen eine, an beiden Augen gleich ausgesprochene Neuritis optica, die geradezu 
an die Stauungspapille bei Himgeschwülsten erinnert: excossive Schwellung und 
capilläre Röthung der Papillen und des circumpapillären Gewebes, Verstrichensein ihrer 
Grenzen, Erweiterung und Schlängelung der Venen. 

Vom sonstigen Verhalten des Nervensystems ist zu erwähnen: Asymmetrie des 
Gesichtes, Abweichung der Uvula nach links, diffuse analgetische Plaques, Steigerung 
der Patellarreflexe, Abwesenheit cerebraler Allgemeinerscheinungen, wie Benommen¬ 
heit, Schwindel, Erbrechen. 

Innere Organe intact. Zustand fieberlos. Puls von normaler Frequenz und 
Fülle. Milz nicht vergrössert. Harn eiweiss- und zuckerfrei. Appetit und Schlaf 
nicht gestört. Symptome einer chronischen Intoxication sind nicht vorhanden, eben¬ 
falls fehlen Erscheinungen, die auf eine durchgemachte Lues oder vorhandene Tuber- 
culose hinweisen. 

Vom Pat. wird Lues entschieden negirt r ebenfalls will er keine acute Infection 
in der letzten Zeit durchgemacht haben. Der Kranke raucht mässig, trinkt bie und 
da übermässig, ist jedoch im Allgemeinen kein Potator. Traumen, Erkältung, grössere 
Blutverluste, medicamentöse Vergiftung werden in Abrede gestellt. Einen Tag vor 
dem Ausbruch des Augenleidens behauptet er, psychisch intensiv afficirt gewesen zu 
sein durch die unerwartete deprimirende Nachricht über das Ueberfahrensein seines 
Sohnes. Pat. stammt aus einer neuropathisch veranlagten Familie, seine zwei 
Schwestern leiden an Hysterie. 


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Dem Kranken wurden ex consilio verordnet: absolute Buhe, dunkles Zimmer, 
warme Umschläge an den abgeschlossenen Augen, leichte Abführmittel, flüssige Diät, 
ein Gemisch von salicylsaurem Natrium mit Jodkali. Das Leiden zeigte jedoch absolut 
keine Besserung. Im Gegentheil, die minimale Sehfähigkeit schwand gänzlich, so 
dass bei der nächsten Consultation mit Collegen Goldflam der Pat. complet blind sich 
erwies. Die Pupillen waren ad maximum erweitert, ganz reactionsjos, die Papillen 
noch intensiver geschwellt und die Venen an denselben dilatirt. Da der Kranke weder 
das Salicyl noch das Jod wegen eingetretener unangenehmer Nebenerscheinungen gern 
nahm, so wurden versuchsweise Quecksilbereinreibungen (2 g täglich) verordnet; sie 
mussten jedoch nach der 5. Inunction in Folge der sich eingestellten Stomatitis auf* 
gegeben werden. Es wnrde dann zu Pilocarpininjectionen (0,2:10,0) geschritten, 
täglich eine Pravaz’sche Spritze subcutan. Die Sialorrhoea und Schweissreaction 
pflegten sofort nach der Einspritzung einzutreten. Nach etwa der 6. Injection — 
am 24. Tage der Krankheit — Hessen sich die ersten Zeichen der Besserung con- 
statiren. Pat. fing an mit dem linken Auge die am Tische brennende Kerze von 
der dunklen Umgebung einigermaassen zu unterscheiden. Die Pupillen reagirten träge, 
aber deutlich. 

Von jenem Tage an begann die Besserung sehr rasch vor sich zu gehen. Nach 
der 16. und zugleich letzten Injection war schon Pat. im Stande ohne Hülfe im 
Zimmer herumznspaziren, erkannte Handbewegungen sehr genau in der Entfernung, 
entzifferte einzelne grosse Buchstaben, zählte Finger in 1 / a m Distanz, unterschied 
einigermaassen weisse von grell gefärbten Gegenständen. Die Beaction der Pupillen 
war ganz prompt, jedoch mit der Eigenthümlichkeit, dass die Pupille nnr momentan 
verengt bUeb und erst dann wieder die Verengerung deutlich zu Tage trat, wenn 
das Auge nochmals nach einer Vs minütlichen Verdunkelung stark beleuchtet wurde. 
Die Mydriase blieb mehrere Wochen hindurch erkennbar, sowohl im dunklen als hell¬ 
beleuchteten Zimmer. Das ophthalmoskopische Bild änderte sich sehr wesentlich, 
indem die Schwellungserscheinungen am Papillarkopf und der Umgebung gänzlich 
znrücktraten. 

Bei der, 7 Wochen nach Beginn der Erkrankung vorgenommenen Untersuchung 
des Gesichtsfeldes auf Weiss und Farben liess sich ein centrales, ziemlich umfang¬ 
reiches Scotom an beiden Augen bei ganz normalem peripherem Gesichtsfelde fest¬ 
stellen. (Das Perimeter konnte leider wegen des mehrwöchentlichen Verbleibens des 
Pat. zu Hause beim Krankenexamen nicht angewendet werden. Aus demselben Grunde 
Hess sich die präcise Untersuchung des peripheren Gesichtsfeldes mittelst schwacher 
Lichtcontraste nicht vornehmen.) 

Von Farben konnte zu jeder Zeit nnr das Bothe mit dem linken Auge einiger¬ 
maassen unterschieden werden. 

Den Kranken sah ich dann über 4 Monate nicht mehr. 6 Monate nach dem 
Ansbruch des Leidens ist vom Collegen Kramsztyk Folgendes constatirt worden: 
Hypermetropie an beiden Augen = x /a D. Links = normale Sehschärfe, rechts = '/ 3 . 
Pupillen gleich und normal weit, reagiren prompt auf Licht und Accommodation. 
Weder periphere Einschränkung des Gesichtsfeldes noch centrale Lücken an demselben. 
FarbenbHndheit. Keine Beweglichkeitsdefecte an den Bulbis. Am Augenhintergrunde 
keine Abweichung von der Norm. Lästige subjective Blendungserscheinungen. 

Unter fortwährendem Gebrauch von Strychninpillen besserte sich der Zustand 
insofern, dass die vom Augenärzte, Collegen Steinhaus, im Juni d. J. angesteUte 
Untersuchung eine vollkommen normale Sehschärfe an beiden Augen ergab, keine 
Spur von FarbenbHndheit, normales, am Perimeter aufgenommenes Gesichtsfeld, iutacte 
Macula lutea, in ihren temporalen Hälften etwas äbgeblasste, in der Umgebung leicht 
pigmentirte Papillen. Die Blendungsphänomene, die dem Pat. besonders lästig fielen, 
sind durch Verordnung einer dunklen Schutzbrille gänzUch gehoben worden. 


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Die Diagnose des Falles machte im Beginn der Krankheit nicht geringe 
Schwierigkeiten. Der Hausarzt dachte nicht mit Unrecht zunächst an Hysterie. 
Die ziemlich rasch entstandene Amaurose, die analgetischen Pläques an der 
Haut, die Abwesenheit nachweisbarer intoxicatorisch-infectiöser Momente, der 
vorausgegangene intensive psychische Shock, schienen einigermaaasen die Möglich¬ 
keit einer acut entstandenen Hysterie zu rechtfertigen. Die jedoch rasch darauf 
sich einstellende Mydriase und Reactionslosigkeit der Pupillen bei fortgesetzter 
Lichteinwirkung lenkte unsere Aufmerksamkeit nach anderer Richtung ein. 
Gegen Embolie, Thrombose, Blutung und sonstige locale Processe an der Netz¬ 
haut sprach sowohl der ophthalmoskopische Befund, als die prodromalen Reiz¬ 
erscheinungen. Von urämischer Amaurose konnte nach der Anamnese und 
angesichts des Harnbefundes nicht ernst die Rede sein. Die Annahme eines 
centralen Leidens war trotz der exquisit ausgesprochenen Papillitis kaum zulässig, 
bei Abwesenheit jeglioher cerebralen Symptome, die auf einen gesteigerten Hirn¬ 
druck hinweisen könnten. Nachdem die scheinbare Parese des Gesichts und 
Zungenzäpfchens als angeborene Asymmetrie, die Pseudoparese der äusseren 
Augenmuskulatur als vom retro-oculären Schmerz abhängig sich erwiesen und 
das Sensorium im weiteren Verlaufe der Krankheit stets intact blieb, war auch 
die Möglichkeit einer acuten, mit Neuritis optica sich oombinirenden Polio¬ 
encephalitis ausgeschlossen und per exclusionem die Annahme einer retrobulbären 
Neuritis, oder, wie wir es für unseren Fall vielleicht richtiger sagen können, 
einer mtraocularen Neuritis (Papillitis acuta) gerechtfertigt 

Von den charakteristischen Symptomen der acuten Sehnervenentzündung 
war an unserem Patienten nur die Schmerzhaftigkeit der Bulbi bei Druck und 
seitlichen Bewegungen, Mydriase und Reactionslosigkeit der Pupillen festzustellen. 
Der sehr acute Verlauf verhinderte das Aufsuchen der typischen centralen und 
paracentralen Licht- und Farbenscotome. Zu bemerken ist jedenfalls, dass am 
3. Tage, wo das eine Auge schon gänzlich erblindet war, am anderen, trotz 
centraler Amaurose, an der Peripherie Bewegungen mit der Hand bei gedämpfter 
Beleuchtung noch erkannt wurden. Beim Zurückgehen des Krankheitsprocesses 
Hessen sich, wie wir sahen, ziemlich deutlich centrale Defecte am Gesichtsfelde 
beider Augen für Weiss eruiren. Farbenblindheit, beinahe complette, bestand 
noch ein halbes Jahr hindurch, um schliesslich ebenfalls, wie die Sehschwäche, 
zu schwinden. Trotzdem also genauere perimetrische Aufnahmen uns weder 
vom acuten Stadium der Entzündung, noch von der beginnenden Regenerations¬ 
periode zur Verfügung stehen, so lässt sich doch der Typus, wie er der Neuritis 
retrobulbaris zukommt, im Grossen und Ganzen nicht verkennen. Die, speciell 
Chiasmaerkrankungen eigentümliche Doppelseitigkeit der Affection, sowohl als 
die vom Beginn ausgesprochenen Entzündungserscheinungen am Augenhintergrunde 
sind zwar wenig charakteristisch für die retrobulbäre Neuritis, sprechen jedoch 
nicht gegen dieselbe, da die Krankheitsnoxe gleichzeitig beide Nerven afficiren 
kann und nicht allein in ihrem retrobulbären, sondern auch im intraocularen 
Verlaufe. Das gleichzeitige Afficirtwerden beider Nerven dürfte uns nioht wun¬ 
dern, wenn wir berücksichtigen, dass in anatomisch-physiologischer Hinsicht 


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gleichwertige oder analoge Körpertheile und Organe bestimmten Krankheits¬ 
ursachen a priori analogen Widerstand leisten. Ist doch die Symmetrie geradezu 
typisch für sonstige acute — nicht traumatische — Neuritiden. 

Die mehrere Wochen anhaltende absolute Blindheit weist jedenfalls darauf 
hin, dass das im Centrum des Opticus ausgeschiedene entzündliche Exsudat 
vorübergehend durch Druck sämmtliche Fasern functionsunfahig machte, wenn¬ 
gleich es am intensivsten das centrale, papillo-maculare Bündel betraf. Dass 
die eigentümliche Pupillarreaction im Regenerationsstadium auf herabgesetzte 
Empfindlichkeit der Retina zurückzuführen ist, braucht bloss erwähnt zu werden: 
nur ein greller Uebergang vom Dunkeln ins Helle brachte, und zwar bloss 
vorübergehend, den Reflex seitens des Oculomotorius zu Stande. 

Ein Wort über die Aetiologie und Therapie in unserem Falle. Es ist 
schwer eine definitive Entscheidung zu treffen, ob der vom Patienten stark be¬ 
tonte ätiologische Factor — grosse Aufregung bei der unerwarteten schrecklichen 
Nachricht — tatsächlich eine dominirende Rolle beim Zustandekommen der 
Neuritis spielte. Unwahrscheinlich ist diese Genese durchaus nicht, wenn man 
bedenkt, welch* ungeheure vasomotorische Pertubationen (Herzstillstand, Tachy- 
cardie, Blässe des Gesichts), welche schwere Revolution im Stoffwechsel (Phos- 
phaturie, Glycosurie), welche nachdauernde Anomalieen in der Function des 
wichtigsten Centralorgans (Hysterie, Chorea, Dementia paralytica) eine intensive 
psychische Erregung hervorzurufen vermag. In therapeutischer Beziehung wäre 
ich geneigt den subcutanen Pilocarpininjectionen einen sehr begünstigenden 
Einfluss auf den Verlauf der Krankheit zuzuschreiben. Ich wendete mich 
diesem Mittel, dessen diaphoretische Wirkung äusserst prompt und rasch ein¬ 
zutreten pflegt, desto lieber zu, als der Kranke, wie erwähnt, keines der sonstigen 
Mittel (Jod, Salicyl, Quecksilber) ohne üble Nebenwirkungen vertrug. 


Von der umfangreichen Gruppe der acuten Sehnervenentzündungen möchte 
ich noch anhangsweise auf einige kurz eingehen, die entweder durch manche 
differentiell-diagnostische Eigentümlichkeiten oder das Abweichen vom typischen, 
oben geschilderten Krankheitsbilde bezw. durch das gleichzeitige Vorkommen 
mit sonstigen Nervenleiden eine specielle Besprechung erfordern. Bei rasch sich 
entwickelnder Amaurose kommen folgende gelegentch in Frage: 

1. Neuritis optica retrobulbaris peripherica. Bei derselben werden 
ausschliesslich die peripheren Nervenbündel afficirt: das centrale Gesichtsfeld 
bleibt intact, das periphere mehr oder minder eingeschränkt. Vorübergehend 
kann das Exsudat bei dieser Form das axiale Bündel drücken und temporäre 
Amaurose bedingen. Bei unbedeutendem Ergriffensein des Nerven ergiebt, trotz 
bestehender subjectiver Beschwerden, die gewöhnliche Exploration des Gesichts¬ 
feldes am Perimeter — schwarzes Quadrat an weisser Unterlage — keine Ano¬ 
malie des Gesichtsfeldes (Fall Moll 1 ) und nur bei Anwendung schwächerer 
Contraste werden Einengungen entdeckt (Fall Katz s ). Der primäre Sitz der 

1 Moll, Centralbl. f. Aagenheilk. 1894. S. 268. 

* B. Katz, Wiestnik Oftatmologii. 1895. Juli. S. 1. 

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8A6 


Entzündung wird vermuthet im Periost des Foramen opticum, was das vor* 
wiegende Betroffensein der peripheren Faserbündel verständlich macht Adamük 1 
nennt diese Form mit Recht „Perineuritis retrobulbaris“ im Gegensatz zur 
„Neuritis axialis s. centralis“ mit centralen Scotomen und „Neuritis disseminata“ 
mit zerstreuten unregelmässigen Scotomen. Von der chronischen Varietät der 
retrobulbären Neuritis zeichnet sich durch die peripheren Gesichtsfelddefecte 
besonders die Bleineuritis aus. 

2. Recidivirende Neuritis optica. Findet ihr Analogon in der wohl 
bekannten, wenngleich seltenen recurrirenden Polyneuritis. Beruht wahrscheinlich 
auf chronischer Periostitis am Foramen opticum, die unter dem Einfluss neuer 
Insulte, meist Erkältung, exacerbirt 

3. Hereditäre und familiäre Neuritis optica retrobulbaris 
(LEBEB’sche Form). Entwickelt sich meist subacut im Mannesalter, bevorzugt 
das männliche Geschlecht, zeichnet sich ebenfalls durch centrale und paracentrale 
Scotome aus. In einem von mir beobachteten, a. a. 0. beschriebenen Falle* 
befiel das Leiden drei männliche Familienglieder in den 20. Jahren. Eine weite 
Analogie ist etwa in der familiären neurotischen Muskelatrophie (Hoffmann, 
Charoot-Mabie) zu ersehen, bei der die peripheren Nerven chronisch, seltener 
subacut afficirt zu werden pflegen. 

4. Neuritis optica im Verlaufe der Polyneuritis. Ist als Theil- 
erscheinung des allgemeinen Leidens aufzufassen. Bei einem einschlägigen 
Patienten aus meiner Behandlung, wo Arsenvergiftung in Frage kam, ging die 
Opticusaflection den sonstigen polyneuritischen Erscheinungen voraus. 

5. Neuritis optica bei Tabes dorsalis. Kommt sehr selten vor und 
ist zu betrachten als eine gewöhnliche, den Rückenmarksschwund complicirende 
Neuritis, wie man es hie und da von acut bei Tabikern entstehenden Entzündungen 
peripherer Nerven zu sehen bekommt. 

6. Neuritis optioa bei acuter Encephalitis. Scheint auf dasselbe 
infectiöse Virus zurückzuführen zu sein, wie die Entzündung der Rindensubstanz 
bezw. der grauen Nervenkerne. 9 Die Opticusaflection ist somit nicht als Stauungs¬ 
papille oder Neuritis in Folge Meningitis der Sehnervenscheide aufzufassen. 

7. Neuritis optica bei acuter und subacuter Myelitis. Kommt 
viel öfters vor, als man es nach den spärlichen Angaben der Autoren (21 Fälle 
nach K. Katz 4 ) glauben könnte. Ihre Abhängigkeit von Lues wird zwar betont, 
jedoch nur selten bewiesen. In 3 Fällen, die ich zu sehen Gelegenheit hatte, 
war die Syphilis nur in einem Falle ausser Zweifel. Im 1. dieser Fälle trat 


1 E. Adamük, Etwas zur Pathologie der Nervi optici. Arch. f. Augeoheilk. Bd. XXIX. 
S. 111. 

* H. Hioieb, Zur Klinik der familiären Opticusaffeotionen. Deutsche Zeitschrift für 
Nervenheilk. Bd. XI. S. 490. 

* H. Oppenheim, Die Encephalitis. Specielle Pathologie u. Therapie von Nothnagel. 
Bd. IX. S. 1. 

* K. Katz , Ueber das Zusammenvorkommen von Neuritis optica and Myelitis acuta. 
Arch. f. Ophtbalm. Bd. XLII. S. 1. 

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die Neuritis optica gleichzeitig mit der Myelitis foudroyant auf, im 2. ging sie 
um 5—6 Tage voraus, im 3. trat dieselbe etwa 7—8 Wochen nach dem Zurück¬ 
treten der acuten Myelitis, zunächst an einem, dann am anderen Auge auf. 
In der Mehrzahl der Fälle kommt wohl ohne Zweifel eine acute Infection oder 
intensive Erkältung in Bede. Dass man hei spontan entstandenen bezw. experi¬ 
mentell hervorgerufenen infectiösen Myelitiden und Myelencephalitiden nicht 
selten Entzündungserscheinungen am peripheren Nervengebiete findet, haben 
uns wiederholt Obductionen gelehrt (vergl. LANDHr’sche Paralyse, polyneuritische 
Psychose, Myeloneuritis der französischen Autoren). Ebenso genau wissen wir, 
dass unter dem Einfluss von Kälte bei Thieren experimentell sowohl partielle 
Neuritiden (Lassab), als Myelitiden (Hochhaus) hervorgerufen werden können. 
Es handelt sich somit bei dieser Gruppe um ein coordinirtes Zusammentreffen 
der Opticusaffection und des myelitischen Processes, um gemeinsames Abstammen 
von derselben krankmachenden Schädlichkeit her. 

8. Neuritis optica bei multipler Sclerose. Tritt gelegentlich acut 
als erstes Symptom des schweren cerebrospinalen Leidens auf. Ophthalmoskopisch 
nicht schwer diagnosticirbar, klinisch oft durch disseminirte Scotome ausgezeichnet 
TJeber den pathogenetischen Zusammenhang dieser klinischen Gruppe mit den 
zwei letztgenannten (6 und 7) gehen die Meinungen einzelner Autoren sehr 
auseinander. 

9. Neuritis optica bei der GEBLiEB’sohen Krankheit (vertige 
paralysante) und der mit ihr sehr nahe verwandten japanischen 
Kubisagari. 1 Beide infectiös-toxischer Natur und in ihrem klinischen Verlaufe 
theils an die asthenische, theils an die paroxysmal-familiäre Lähmungen (Gold- 
flam) erinnernd. Als functionelle Poliencephalomyelitiden aufgefasst, reiben sie 
sich sehr eng an die oben besprochenen Formen an. 


[Aus dem Dr. Sen CKENBEBö’schen Institute für pathologische Anatomie 

zu Frankfurt a./M.] 

3. Untersuchungen über das Rückenmark und das Klein¬ 
hirn der Vögel. 

Von Dr. A. Friedländer, 

zur Zeit an der psychiatrischen Klinik in Jena. 

(Fortsetzung u. Schluss.) 

Zur Besprechung des mikroskopischen Befundes ubergehend, will ich einer 
kurzen und übersichtlichen Darstellung wegen die Benennungen der einzelnen 
Segmente der weissen (Leitungs-)Substanz feststellen. 


1 Mnx&A, Ucber Kubisagari. Mittheilungen der medicin. Facult. d. kaiserl.-japanischen 
Univers. zu Tokio. 

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Ich nenne die Areale, die der Lage nach bei den Sängern der Pyramiden* 
vorderstrangbahn + Grundbündel der Vorderaeitenstränge einerseits und der 
Pyramidenseitenstrangbahn andererseits entsprechen — Vorderstrangbahn und 
Seitenstrangbahn = VB und SB. 

Die beiden Zfveige der Kleinhirnseitenstrangbahn (KSB), den Tractns cere- 
bello-spinalis dorsalis und den Tractns cerebello-spinalis ventralis bezeichne ich 
mit Tr. dors., bezw. Tr. ventr. 

Die den GoLL’schen nnd BusDACH’schen Strängen entsprechenden Partieen 
der Hinterstränge werden mit medialem (= m. H.) nnd lateralem (= 1. H.) An* 
theil des Hinterstranges bezeichnet, ohne dass ich deshalb eine solche scharfe 
Scheidung für den Hinterstrang der Taube als erwiesen annehme. Unter 
„Wurzeleintrittszone“ (= W.Z.) — einem kleinen Felde medial vom Bubdaüh- 
strange, zwischen diesem und dem Hinterbom — und „ventrales Feld der 
Hinterstränge (— v.F.H.) — ein schmales Band dorsal der grauen Commissur 
zwischen den Basen der Hinterstränge — verstehe ich dem Säugerrückenmarke 
analoge Partieen. 

VS. = Vorderstrang, SS. = Seitenstrang u. s. w. 

Sämmtlicbes Material, das mir durch die 70 Operationen geliefert wurde, 
habe ich nach Serienscbnitten mikroskopisch untersucht. Im Folgenden werden 
nur typische Fälle mit übereinstimmendem Befunde beschrieben. 

I. Operationen am RfLckenmarke. 

1. Durchschneidung des ganzen Rückenmarks. 

2. Durchneidungen, die mehr oder weniger von der Hälfte des 
Querschnittes verletzten. 

3. Genaue Halbseitenläsionen. 

Ad 1. Boten die Resultate nur für das Studium auf- und absteigender 
Degenerationen bei völliger Durchtrennung des Rückenmarks, nicht aber für die 
Fragen, die uns hier beschäftigen, Interesse. Ich verzichte daher auf ihre 
Wiedergabe an dieser Stelle. 

Ad. 2. 1. Operation am Brustmarke in der Höhe des vierten 
N. pectoralis. (Figg. 1—8.) 

An der Operationsstelle (Fig. 5) ist die ganze weisse Substanz von Degenerations- 
producten durchsetzt; zwischen denselben wenige normale Faserbezirke. 

Aufsteigend: In das Brustmark setzen sich die Degenerationen in etwas ver- 
minderterer Dichte fort, und zeigt die eine Hälfte des Schnittes ein üeberwiegen- der 
Degenerationen auf einer Seite. (Fig. 4.) 

Im Halsmarke (Intumescentia cervicalis) (Fig. 3) sammelt sich eine Degeneration 
zu beiden Seiten der Fissura dorsalis zu einem dreieckigen Areale, dessen Spitze 
dem Centralcanale zugewendet ist und den ganzen Bezirk des m. H. einnimmt. In 
den SS ist das ganze Gebiet des Tr. dors. auf beiden Seiten (auf einer stärker) 
degenerirt, ebenso die Peripherie der VS. Das gleiche Verhalten, dieselben deut¬ 
lichen Degenerationen sehen wir im Halsmark oberhalb der Int cervical. Im obersten 
Halsmark nimmt die dreieckige Degeneration im in. H. ab, dagegen hat die Dege¬ 
neration des Tr. dors. zugenommen und sind auch in den übrigen Antheilen der SS 
viele Fasern zu Grunde gegangen. An Schnitten des Halsmarkes, knapp vor dem 


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399 



Fig. 2. Halsmark vor dem Uebergange Fig. 3. Intumescentia cervicalis. 

in die Med. obl. 



ftnnw 

Raruifehl. 

I Braiuiis I 


Fig. 5. Operationsteile (Brustmark). 
Der Schnitt ist senkrecht auf die 
Langsame des Kückenmarks zu 
denken. 


Brustmark, 


Uebergange in die Medulla oblongata (Fig. 2) sehen wir die HS noch schwächer, 
den Tr. dors. deutlich degenerirt, die VS und SS nur mit spärlichen schwarzen 
Schollen und Pünktchen bedeckt. 

Die Medulla oblongata erweist sich beiderseits im Corpus restiforme deutlich 
(auf einer Seite wieder stärker) degenerirt. 


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400 


Fig. 6. Ob. Lendenmark. 



Fig. 8. Unterstes Lendenmark. 




Absteigend: Im Brustmark, in der nächsten Nähe der Operationsstelle, sind 
die VS bis an die Commissur stark degenerirt, ebenso der ganze SS einer Seite, 
während der andere, so wie die beiden HS nur zerstreute Degenerationen aufweist 

Im Lendenmark (Fig. 6) ist der VS jeder Seite peripherwärts und centralwärts 
zu beiden Seiten der Fissura ventr., besonders deutlich längs derselben degenerirt, 
so dass hier kaum normale Fasern übrig bleiben. Der Tr. dors. ist beiderseits in 
seiner ganzen Ausdehnung degenerirt, die HS dagegen sind fast frei. Das gleiche 
Verhalten finden wir im Sinus rhomboidalis (Fig. 7), nur hat sieb die auf den früheren 
Schnitten über den ganzen VS zerstreute Degeneration mehr auf den medialen An- 
theil des VS zurückgezogen. Im untersten Lendenmarke (Fig. 8) tritt zu den deut¬ 
lichen Degenerationen im VS und dem Tr. dors. eine zerstreute im HS auf, die als 
Kuppe der hinteren Wurzel aufsitzt. 

2. Operation am unteren Halsmark; die Läsion geht quer durch das 
Rückenmark, */ 4 desselben (die weisse Substanz und das Vorderhorn bis über 
den Centralcanal) verletzend. 

Die Schnitte in nächster Nähe der Operationsstelle zeigen fast vollständige 
Degeneration der VS des SS einer Seite, während der SS der anderen Seite schwächer, 
der HS kaum degenerirt ist. 

Aufsteigend: (Int. cervicalis). Degenerirt sind auf beiden Seiten die VS und 
die Tr. dors. Im obersten Halsmarke ist stark degenerirt auf beiden Seiten die 
Kleinhimseitenstrangbahn (KSB), ausserdem zeigen sich zerstreute Degenerationen im 


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401 


ganzen Gebiete der SS and VS. . Auf den Schnitten in nächster Nähe der Medulla 
oblongats deutliche Degeneration der ESB iu ihrer ganzen Ausdehnung, zerstreute 
Degenerationen in geringstem Grade in den SS und VS. 

ln der Medulla oblongata finden wir wieder eine starke Degeneration an der 
Stelle des Corpus restiforme auf beiden Seiten eine deutliche, wenn auch schwächere 
Degeneration der ventralen Bogenfasern von der Mitte der Peripherie bis in die 
Gegend der Oliven und Aber dieselben hinaus sich erstreckend, sowie zerstreute, 
geringe Entartung der Nervenkerne. 

Absteigend: Das Brustmark erweist sich stark degenerirt in den VS beider 
Seiten, im SS der einen Seite, schwächer im SS der anderen Seite; desgleichen im 
Lendenmarke, die ESB tritt durch Zahl und Stärke der degenerirten Fasern be¬ 
sonders hervor. 

Auf- und absteigend zeigte sieb auf manchen Schnitten das v. F. H. und die 
WZ degenerirt. 

Ad 3. Genaue Halbseitenläsionen. 

a) Im Halsmark, und zwar ober- und unterhalb der Int cervi- 
calis, sowie in den Höhen verschiedener Cervicalnerven. 

Die gleichartigen Befunde werden durch einen Typus erläutert. 

An der Operationsstelle ist die eine Hälfte des Rückenmarks (weisse und graue 
Substanz) durch den Eingriff zerstört, die andere zeigt starke Degeneration der ESB, 
schwächere im übrigen Theile des SS. 

An der Operationsstelle sehen wir in diesen, wie in manchen anderen Fällen 
in Folge von Vernarbungsprocessen intra vitam, oder von Zerrungen, -Quetschungen 
bei der Herausnahme des Rückenmarkes Verzerrungen der Hörner, unregelmässige 
Vorsprünge an der Peripherie der Leitungssubstanz, sogen. Heterotopieen. Ich 
erwähne sie nur, weil sie bei Säugern vielfach missdeutet, zum Theil sogar als 
Missbildungen aufgefasst und beschrieben wurden. 

Aufsteigeod: Die Degeneration im Halsmark oberhalb der Operationsstelle 
betrifft die ESB einer Seite. Auf den Schnitten in der Nähe der Medulla oblongata 
Status idem. 

In der Medulla oblongata ist das Corpus restiforme einer Seite stark degenerirt. 

Absteigend: In der Int. cervical. ist die ESB deutlich, der HS und VS 
schwächer degenerirt. Auch hier bleibt die Degeneration auf eine Seite beschränkt. 
Im Brust-, sowie im Lendenmarke bis in die untersten Schnitte bleibt die Dege¬ 
neration, wie oben beschrieben, zu verfolgen, doch wird sie gegen das Ende des 
Rückenmarks zu immer undeutlicher. 

b) Halbseitenläsionen in verschiedenen Höhen des Brustmarks. 

An der Operationsstelle finden wir fast die Hälfte des Markes durch die Ope¬ 
ration zerstört. Der übrig gebliebene Theil erweist sich wieder in allen Partieen 
degenerirt. 

Aufsteigend: Im Brustmarke degenerirt deutlich abgegrenzt der m. H., die 
KSB und die Peripherie des VS. 

In der Int. cervical. Status idem, desgleichen im Halsmark oberhalb derselben, 
ln den Schnitten vom Halsmarke in der Nähe der Medulla oblongata ist nur mehr 
die KSB deutlich, einzelne wenige Fasern des m. H. degenerirt. In der Medulla 
oblongata ist das Corpus restiforme degenerirt. 

Absteigend: Im Brustmark unterhalb der Operationsstelle ist die ESB und 
zwar schwächer, ferner die VS degenerirt. Im Lendenmark Status idem, in der 
Fossa rhomboidalis und im unteren Lendenmark sind nur einzelne Fasern der KSB 
degenerirt. 

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402 


c) Halbseitenläsion im Lendenmark .oberhalb und an verschie¬ 
denen Stellen der Fossa rhomboidalis. 

Das Rückenmark ist halbseitig durch einen linearen Schnitt, der an der Peri¬ 
pherie der weissen Substanz beginnt und das Vorderborn vom Hinterhorn scheidet, 
durchtrennt. 

Die verletzte Seite zeigt in der weissen Substanz allenthalben degenerirte Nerven¬ 
fasern. (Fig. 9.) 




Fig. 10. Inturaesceutia cervicalis (Deg. Fig. 11. Lendenmark (Deg. 

aufsteigend). .absteigend). 

• 

und des ganzen H. einer Seite. Im Brustmark Status idem, in der Int. cervical. 
(Fig. 10) finden wir deutliche Degeneration der KSB, abgegrenzte deutliche Dege¬ 
neration des m. H., schwächere Degeneration im VS. Im Halsmark oberhalb der Int. 
cervical. Status idem. 

Absteigend: Im Lendenmark unterhalb der Operationsstelle Degenerationen 
längs der ganzen Peripherie der VS und SS, sowie des ganzen HS. Auf tieferen 
Schnitten des Lendenmarks finden wir deutlich und auf einer Seite degenerirt die 
KSB (Fig. 11). Die Degeneration der KSB in geringem Maasse, auch die der VS, 
ist bis in die untersten Schnitte des Lendenmarks deutlich zu verfolgon. 


Fig. 9. Halbseitige Operation am Leudenmark in der (legend des Sinus rhomboidalis. 
Der Schnitt ist senkrecht auf die Langsame des Rückenmarks zu denken. 


Aufsteigend: Im Lendenmark oberhalb der Operationsstelle (Figg. 9 —11) ist 
die ganze Peripherie von schwarzen Schollen bedeckt. Hervortretend durch die 
Masse der zu Grunde gegangenen Fasern erscheinen die Bezirke des VS, der KSB 


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403 


Fassen wir die Ergebnisse der Versuche am Rückenmarke zusammen, so können 
wir sagen: Bei Dnrchschneidungen der Mednlla spinalis in verschiedenen Höhen finden 
wir auf* und absteigend degenerirt drei Arten von Bahnen. In nicht umschriebener 
Weise degeneriren Faserbezirke, in welchen Lage, Anordnung und Galiber der ent¬ 
arteten Fasern auf kurze Strecken hin sich gleichbleiben. Diese Bahnen, die wir in 
verschiedenen Anhöhen auf geringe Entfernungen, hin auf- und absteigend von dem 
Schnitte, auf dem wir ihnen zuerst begegneten, entartet finden, möchte ich als kurze 
oder Associationsbahnen ansprechen. Von laugen Bahnen zeigten sich, und zwar bei 
genauen Halbsoitenläsionen auf die eine Hälfte beschränkt, eine Bahn im Vorder¬ 
strang und im medialen Antheil des Hinterstranges auf- und absteigend degenerirt. 
Dieses Resultat bot sich mir aber nicht constant, sondern nur bei der Mehrzahl der 
Untersuchungen. In den übrigen Fällen fand ich zwar auch Degenerationen in den 
oben genannten Bezirken der Leitungssubstanz, doch verschwand gelegentlich die eine 
oder die andere dieser Bahnen nach kürzerem oder längerem auf- und absteigenden 
Verlaufe, oder ich konnte sie aufsteigend bis in das Halsmark, nicht aber absteigend 
in das Lendenmark, wie auch umgekehrt, verfolgen. Constant in ihrem Verlaufe 
and in ihrer Lage, Unterschiede höchstens aufweisend in der Zahl und Stärke der 
untergegangenen Fasern, erscheint ein Feld, das von der Hinterwurzel des Rücken¬ 
marks in einem gegen den Centralcanal offenen Bogen längs der Peripherie bis zum 
Grundbündel der Vorderseitenstränge einerseits, bis an das Gebiet der ausstrahlenden 
motorischen Wurzelfasern andererseits sich erstreckt. 

Dieses Feld geht ins Corpus restiförme über und gehört daher der Kleinhirn¬ 
seitenstrangbahn an. Wir können sie durch das ganze Rückenmark hin verfolgen 
und steigt sie, unähnlich ihrem Verlaufe bei den Säugern, im Lendenmark bis in 
die letzten Schnitte hinunter, aus welchem Umstande sich auch die Frage, ob eine 
Cauda equina und ein Filum terminale im Sinne der Säuger vorhanden ist, verneinen 
lässt Oefters finden wir Degenerationen im ventralen Feld der Hinterstränge und 
in der Wurzeleintrittszone. 


II. Rückenmark und Kleinhirn. 

Die folgende Beschreibung bezieht sich auf Frontalserien und werden wieder 
wie oben zwei Typen erläutert. 


1. Bei der Operation wurde mehr als die Hälfte des Rückenmarks verletzt. 
Das Kleinhirn gehört zu dem oben beschriebenen Rückenmarke. (Figg. 1—8.) 

Auf den Schnitten der Medulla oblongata zunächst dem Halsmark sehen wir 
zu beiden Seiten (auf einer stärker) einen grossen Theil der Fasern des Corpus 
restiförme degenerirt. Entsprechend dem Verlaufe des Strickkörpers sehen wir diese 
Degeneration auf Schnitten, die sich dem Kleinhirn nähern, frontal wandern und mit 
dem caudalen Kleinhirnstiel in dasselbe eintreten. Im Kleinhiru nun zieht die 
' Degeneration frontalwärts in die einzelnen Gyri, deren Markblätter wir in ihrer 
ganzen Länge mit schwarzen Schollen in wechselnder Dichte bedeckt sehen. Wenn 
die Marksubstanz allmählich zwischen die Gyri eindringt, dieselben, sich verbreiternd 
auseinanderdrängt, bildet sich so der Körper des Kleinhirns (Fig. 12), in dessen 
Mitte die grossen Ganglien (Ggl. mediale und laterale) liegen, vom Kleinhirnventrikel 
(Fig. 12) geschieden, wie wir dies in der anatomischen Einleitung beschrieben haben; 
jetzt sammelt sich die Degeneration, die in laugen Zügen von beiden Seiten kommend 
die Ganglien ventral und medial in einem gegen die sagittale Medianebene zu con¬ 
vexen Bogen umgreift; hierauf überschreitet sie zum Theil die Mittellinie (partielle 
Kreazung), um sich auf frontaleren Schnitten als eine Degeneration zu zeigen, die 
deutlich drei Theile aufweist (Fig. 13). Zu beiden Seiten der Medianlinie finden 
wir symmetrisch je eine Degeneration, die das Ganglion mediale an seiner ventralen 
Seite begrenzt, von aussen nach innen schmäler werdend. Dort, wo diese beiden 

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404 


Degenerationen aneinanderstossen, befindet sich die Spitze einer keilförmigen drei¬ 
teiligen Degeneration mit der Basis des Keils dem Ventrikel aufsitzend. Sein Ende 
findet das gekreuzte Bündel zum Theil in den Gyri der ventralen Rinde (s. Fig. 15.) 


Fig. 14. Frontalschnitt durch 
den Körper des Kleinhirns (C. c.) 
und die Med. obl. Zerstörung 
des Kleinhirnkörpers in der 
Gegend der Ggl. med. lat. Diese 
selbst sind in ihrer Structur kaum 
zu erkennen. 



LVs^r 


-Binde, 


f-Corpus 
Cerebeäi 


MedulUiohlongala 



Fig. 13. 

2. Genaue Halbseitonläsion am ßrustmark. 

Die einseitig vorhandene Degeneration im peripheren Theile des Seitenstranges 
zeigt das obeu beschriebene Verhalten. Was die Degeneration im Kleinhirn anbelangt, 


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405 


so können wir dort, wo die dorsale Rinde in den Markkörper des Kleinhirns über¬ 
geht, deutlich sehen, wie die Degeneration aus zwei Theilen besteht, aus einem ven¬ 
tralen und einem dorsalen, die auf entgegengesetzten Seiten liegen. Im eigentlichen 
Körper des Kleinhirns finden wir das Ganglion mediale von zerstreuten Degenerationen 
bedeckt, während die ventrale Degeneration ausgezeichnet durch Dichte und Caliber 
der entarteten Fasern die ganze eine Seite des Ventrikels einnimmt. Von der Spitze 



desselben zieht eine Degeneration über die Mittellinie zu der oben erwähnten, eben¬ 
falls sehr starken dorsalen Degeneration, welche sich über die ganze obere Peripherie 
des medialen Kleinhirnganglion bogenförmig erstreckt. 

Ad B. Die Ergebnisse der Untersuchungen am Rückenmarke führten zu 
der Frage: Giebt es absteigende Cerebellumbahnen? Zur Beantwortung 
dieser Frage wurde, wie schon bei der Technik erwähnt, das Kleinhirn an ver¬ 
schiedenen Stellen zerstört. Die Läsionen wurden au der dorsalen Rinde sowohl, 
wie an dem Körper des Cerebellum gesetzt. 

1. Ein grosser Theil der dorsalen Rinde wurde durch die Einführung eines 
Laminariastiftes zerstört. 

Im Cerebellum diffuse Degenerationen, bewirkt durch die Quellung des um mehr 
. als das Dreifache seines ursprünglichen Volumens vergrösserten Laminariastiftes. 
Cerebralwärts ist die Medulla oblongata frei. Caudalwärts sind eiuige zerstreut 
liegende degenerirte Fasern zu sehen, die sich im obersten Halsmark in die Gegend 
der Austrittsstelle der motorischen (Vorder)wurzeln begeben, um auf tieferen Schnitten 
den ganzen Vorderstrang auf beiden Seiten einzunehmen. Das gleiche Verhalten 
finden wir bezüglich der Vorderstränge im Brust- und Lendenmarke, doch finden 
wir im letzteren auch noch zerstreute Degenerationen im Seitenstrange. 

2. Das Cerebellum wurde durch einen Stich durch die Protuberantia occipitalis 
verletzt. 

Im Kleinhirn (Fig. 14) finden wir dieGyri der Rinde degenerirt, im Körper desselben 
starke Degeneration des Ganglion mediale und laterale beider Seiterf (auf der operirten 


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406 


Seite stärker), eine Degeneration ( b ) in der Nähe des Ventrikels ( V), endlich eine 
lange Degeneration (o) ventral von den Ganglien unterhalb des Ventrikels auf die 
andere Seite hinaberziehend, um in den caadalen Kleinhirnstiel zu gelangen. Auf 
frontaler gelegenen Schnitten seheu wir eine gekreuzte Bahn zum lateralen Theile 
der Oblongata ziehen. Sie gelangt da theils in das Corpus restiforme, theils in 
jenen Bezirk, der dem ÄHLBOBN’schen Acusticusfeld entspricht 

In der Medulla spinalis finden wir keine sicheren Degenerationen. 

3. Das Cerebellum wurde in 
seinem Körper verletzt: 

a) dadurch, dass Laminaria- 
stiftedas eine oder andere Ganglion 
durchstachen, 

b) dadurch, dass Cerebellummasse 
bis zu ihrem dritten Theile ausgelöffelt 
wurde. . 

Wieder wird von den Befunden 
bei den verschiedenen Serien das 
Typische hier angeführt. 

Den nach der Operation fibrig 
gebliebenenTheil des Kleinhirnkörpers 
sehen wir diffus degenerirt Auf 
Schnitten, auf denen Kleinhirnkörper, 
Binde und Medulla oblongata ge* 
troffen sind, sehen wir den caudalen 
Kleinhirnstiel mit Degenerationen 
Qbersäet sich in die Medulla oblon¬ 
gata einsenken; eine zweite Dege¬ 
neration zieht von dem Kleinhirn¬ 
körper bogenförmig auf die andere 
Seite, um sich in die Gyri der ven¬ 
tralen Binde aufzusplittem. Auf 
caudaler gelegenen Schnitten der 
Med. oöl. finden wir 1. eine breite 
Degeneration aus dem Kleinhirn längs 
des Corpus restiforme an die Peri¬ 
pherie (lateral) gelangen, um sich 
ventral unterhalb eines zu beiden 
Seiten der Raplie gelegenen grossen 
Ganglion (oliva med. obl.) (Fig. 15, o) 
und um den Trigeminus herum auf 
Fig. 16. Schief sagittaler Schnit durch Cerebellum die andere Seite zu begeben. Auf 
und Med. oblong. manchen Schnitten hat es den An¬ 

schein, als ob degenerirte Fasern, 
in diese Kerne zu verfolgen seien; 2. sehen wir auf dieser Seite eine begrenzte 
Degeneration an dem Uebergange der ventralen in die laterale Peripherie. Oberhalb 
dieser Degeneration, wieder deutlich abgegrenzt, eine dritte Degeneration, dem Corpus 
restiforme angehörend. Endlich erscheint eine vierte Degeneration als Fortsetzung der 
oben beschriebenen gekreuzten Kleinhirnbahn, welche in fast parallelen ZQgen dor.-al 
gegen das Centrum der Medulla zu streicht. Was die Degeneration der obeu er¬ 
wähnten ventralen Bogenfasern betrifft, so ist zu bemerken, dass sich dieselbe nicht 
durch die ganze Medulla hin findet, sondern um so schwächer wird, je mehr cere- 
bralwärts wir untersuchen, um zu verschwinden, wenn die Degeneration im Corpus 
restiforme am stärksten geworden ist. 



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407 


Bei einer Serie fand sich der Bindearm degenerirt, bei einer anderen konnte 
durch die ganze Medulla oblongata eine einseitige, deutlich umschriebene Degeneration 
nachgewiesen werden, die ich der Lage nach als Degeneration der absteigenden 
Trigeminuswurzel bezeichne. 

Was die Degeneration im Rückenmark anbelangt, so finden wir: Im Baismark 
in der Nähe der Medulla oblongata zerstreute Degenerationen im VS, eine stärkere, 
geordnete Degeneration im SS lateral vom Kopfe des Hinterhorns, diesem anliegend. 

In der Intnmescentia cervicalis degenerirt stärker der VS, die WZ (nicht bei 
allen Serien spärliche Degenerationen im SS.). 

Im Lendenmark degenerirt im Sinns rhomboidalis der VS in geringem Maasse, 
desgleichen der VS im unteren Lendenmark. 

Resamfe. 

]. Bahnen, die nach Halbseitendurchschneidung des Rücken¬ 
markes in demselben auf- und absteigend degeneriren: 

1. An 8ämmtlichen Präparaten fällt zunächst auf, dass sich degenerirte 
Fasern in den gleichen Bezirken sowohl über als unter der operirten Stelle 
finden. Es müssen also in den meisten Bahnen des Vctgelrückenmarkes doppel¬ 
sinnig gerichtete Leitungen vorhanden sein. 

In geringem Maasse ist dies bei den Hintersträngen der Fall. Diese 
senden caudal nur auf kurze Strecke degenerirte Wurzelantheile, während sie 
cerebral bis in die Medulla oblongata hinauf entarten. Das entartete Feld wird 
dabei immer faserärmer, so dass die Annahme gemacht werden muss, es gelange 
bei den Vögeln nur ein ganz geringer Theil der Hinterstrangfasern in den 
kleinen Hinterstrang der Oblongata, während der grössere Theil schon unterwegs 
in der grauen Substanz verschwindet; bei den Säugern erreioht bekanntlich der 
grösste Theil der Hinterstrangfasern jene frontalen Kerne. 

In anderer Beziehung gleicht die Zusammensetzung der Hinterstränge jener 
der Säuger; das gesammte Hinterstrangareal im Lendenmark liegt — allerdings 
bedeutend an Fasern reducirt — in frontaleren Ebenen beiderseits dicht neben 
der Fissura dorsalis als medialer Hinterstrang. 

Die Fasern aus den frontaleren sensiblen Wurzeln legen sich auch bei den 
Vögeln lateral an die bereits eingetretenen an. So kommt ein medialer und 
ein lateraler Hinterstrang zu Stande. 

2. Auf- und absteigend entartet ist immer in ihrer ganzen Ausdehnung 
die Kleinhirnseitenstrangbahn. 

3. In den Vordersträngen, aber auch in den Seitensträngen finden 
sich auf- und abwärts Fasern entartet, welche nächst der Operationsstelle beide 
erwähnten Bezirke einnehmen, in einiger Entfernung von ihr sich aber wesent¬ 
lich auf die Vorderstränge, und zwar deren mediales Gebiet beschränken. Diese 
Fasern sind wohl zum grössten Theile endogenen Ursprungs und zweifellos von 
verschiedener Länge. Es befinden sich aber unter ihnen auch, wie die nachher 
am Cerebellum zu schildernden Ergebnisse zeigen werden, eine Anzahl von aus 
dem Kleinhirn stammenden Bahnen, die man als Tractus cerebello-spinalis 
ventralis medialis bezeichnen müsste. An Rüokenmarksdurchschnitten lassen 
sich diese Fasern nicht von den intraspinalverlaufenden trennen, da sie ja mit 


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408 - 


ihnen abwärts entarten. Wahrscheinlich erscheint mir die Annahme, dass zu 
den endogenen (intraspinalen) Bahnen auch eine lange Bahn gehöre, welche, in 
den Vordersträngen liegend, nicht bis ganz in die Oblongata verfolgt werden kann. 

II. Bahnen, die nach Halbseitendurchschneidung des Rücken¬ 
marks im Kleinhirn entarten. 

In das Kleinhirn setzen sich von den Rückenmarksbahnen nur diejenigen 
fort, welche in der Peripherie des Seitenstranges verlaufen. 

Fertigt man Sagittalschnitte (Fig. 16) von einer Halbseitenläsion an, so er¬ 
kennt man deutlich, wie sich die ganze Fasermasse in das Corpus restiforme 
einsenkt und mit diesem dorsalwärts zieht Der grösste Theil endet ungekreuzt 
in den sämmtlichen dorsalen Windungen des Wurms. Die ventralen nnd fron¬ 
talen bleiben frei. 

An Frontalserien (Fig. 12 u. 18) aber sieht man, dass die Verhältnisse 
nicht so einfach liegen. Man erkennt, dass aus dem Corpus restiforme zunächst 
zwei Bündel werden. Eines, welches bis fast in die frontalsten Ebenen desselben 
zieht, um sich dann, aufwärts und rückwärts biegend, in das Kleinhirn einzu¬ 
senken. Das sind aber nur wenige Fasern und sie entsprechen wahrscheinlich 
dem, was man bei Säugern als ventralen Abschnitt der Kleinhirnseitenstrangbahn 
(Tractus cerebello-spinalis ventralis) bezeichnet hat. Wenigstens ist der 
Verlauf der gleiche. 

Von dem zweiten Bündel tritt, wie vorhin erwähnt, der grösste Theil der 
Fasern zur dorsalen Wurmrinde, ein kleinerer umgreift die grossen medialen 
Kerne des Kleinhirns an ihrer ventralen Seite, kreuzt sich in der Mittellinie 
und verliert sich vielleicht zum Theil in jenen Kernen, zum Theil auch in der 
ventralen Wurmrinde. 

Die periphere Sohicht des Vogelrückenmarks endigt also im Wurme des 
Kleinhirns, sie enthält im Wesentlichen Fasern, die, aus dem Rückenmark 
stammend, bei Halbseitenläsionen aufsteigend — vom Bereiche der letzten 
Lumbalwurzel bis in die Kleinhirnrinde — degeneriren. 

III. Bahnen, die nach Verletzung des Kleinhirns absteigend 
entarten. (Figg. 14 u. 15.) 

Neben kurzen Bahnen, die auf der der Operation entsprechenden Seite 
(Associationsbahnen) und auf der ungleichnamigen Seite (Commissurenbahnen) 
degeneriren, und die ich als Eigenbahnen des Kleinhirns bezeichnen will, ent¬ 
artet eine lange gekreuzte Bahn, deren kleinerer Antheil in die Gegend des 
AHiiBOBN’schen Acusticusfeldes ausstrahlt, deren grösster als ein breites 
Band durch den caudalen Kleinhirnstil in die Medulla oblongata und in den 
Seitenstrang der Medulla spinalis zieht. Diese lange. Bahn entspricht dem 
Tractus cerebello-spinalis, der aus Fasern der dorsalen und ventralen 
Kleinhirnseitenstrangbahn zusammengesetzt ist Die dorsale Bahn finden 
wir in der Medulla oblongata im cerebraler gelegenen Abschnitte des Corpus 
restiforme, während die ventrale Bahn (das GowEH’sche Bündel) durch Faser- 

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züge repräsentirt erscheint, die ventral von den Oliven und vom Trigeminus 
verlaufen. 

Als nicht constante Befunde erwähne ich eine Degeneration im Brachium 
conjunctivum, in den Fibrae arcuatae externae et internae Medullae oblongatae. 

Das Telencephalon, sowie das Mesencephalon blieb bei allen Ver¬ 
suchen von Degenerationen vollständig frei. 


II. Referate. 


Anatomie. 

1) Ueber das Bieohhirn der Säugethiere, von Dr. S. Löwenthal, Nervenarzt 
in Braanschweig. (Festschrift zur 69. Versammlung deutscher Naturforscher und 
Aerzte. Braunschweig 1897.) 

Oer Arbeit liegen die Untersuchungen von 12 Thieren zu Grunde, bei denen 
entweder die Bulbusanschwellung dicht vor dem Uebergang in den Lobus olfactorius, 
oder der über die Spitze des Stimlappens hervorragende Theil des Lob. olfact. durch¬ 
schnitten worden war. Oie Gehirne wurden nach der Marchi’sehen Methode be¬ 
handelt. Der Verf. legte sich besonders folgende Fragen vor: 

1. Welches sind die directen Verbindungen des Bulbus olfactorius mit anderen 
Hirntheilen? 

2. Giebt es sichere Kreuzungen von Fasern innerhalb der Riechbahnen? 

Aus den Befunden werden folgende Schlüsse gezogen: 

1. Als Riechbahn zweiter Ordnung ist ausschliesslich zu betrachten der Tractus 
olfactor. lateralis. 

2. Von Riechbahnen dritter und höherer Ordnung entspringen aus Zellen des 
Lobus olf. ant. Fasern des Tractus olfact. medialis, die zum Theil im Lob. pyrif. 
und Ammonshorn beider Hemisphären, zum Theil im Bulb. olf. der anderen Seite 
enden. 

3. Es besteht mithin eine theilweise Kreuzung dieser Riechbahnen höherer 
Ordnung. 

4. Die vordere Commissur führt eine Anzahl solcher gekreuzter Fasern. 

Max Bielschowsky (Berlin). 


2) Das dorsale Gebiet der spinalen Trigeminuswurzel und seine Be¬ 
ziehungen zum solitären Bündel beim Mensohen. Ein Beitrag zur Ana¬ 
tomie und Physiologie des Trigeminus, von Adolf Wallenberg in Danzig. 
(Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. 1897. XI.) 

Bei einer 33jähr. Frau, die mehrfach Aborte erlitten, traten an verschiedenen 
Körperstellen, und zwar an der linken Mamma, in der rechten Axillargegend, am 
Rücken, Bauch und linken Oberschenkel multiple Tumoren auf, die sich nach und 
nach rapide vermehrten. Hierzu gesellten sich anfangs diffus verbreitete, später in 
der linken Gesichtshälfte localisirte Kopfschmerzen. Später Hindernisse beim Sprechen, 
Taubheitsgefühl an der Mundschleimhaut und am Zahnfloisch links, sowie im Bereich 
des linken Auges und dessen Umgebung; ausserdem Doppelbilder beim Blick nach 
links. Im linken Leberlappen und der Milz apfelgrosse Tumoren, welche starke 
Schmerzen im Gefolge hatten. 


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Die genaue klinische Untersuchung ergab Hyposurie der linken Seite, links¬ 
seitige, stark wechselnde Abducensparese, Neuralgieen und Anästhesie in den Gebieten 
aller drei Aeste des linken Trigeminus. Es blieb dabei verschont die Partie- lateral 
vom Jochbein bis zum Ohr und zum Unterkieferwinkel, an der Stirn eine breite 
Zone neben der Mittellinie; geringe Hypästhesie bestand in der Regio zygomatica 
und am äusseren Rand der Orbita. Stärker betroffen war die Supraorbitalgegcnd 
und seitlich vom Mundwinkel, dann folgt Nasenrücken, Nasenschleimhaut, Cornea 
und Conjunctiva, während die Schleimhaut der Zunge, der Mundhöhle und der Lippen 
am meisten afficirt war. Ausserdem fand sich geringe Parese der linken Kau¬ 
muskulatur, Verlust der Geschmacksempfindung auf dem linken ZungenrQcken, totale 
Atrophie der linken Zungenhälfte mit Paralyse und einer Art faradischer Entartungs- 
reaction. Der Masseterrefiex war noch erhalten, Stauungspapille war nicht nach¬ 
weisbar. Unter diffusen Schmerzen Aber den ganzen Schädel, Erbrechen und Schluck¬ 
lähmung trat der Exitus ein. 

Bei der Section waren Dura und Pia mit feinsten, schwarzen Knötchen übersät, 
während in der Rinde des linken Gyrus orbitalis, im ventralen Rand der rechten 
Centralfurche grössere Tumoren sassen. Die dorsale Hälfte der linken Kleinhirn¬ 
hemisphäre war in einen wallnnssgrossen Tumor verwandelt. Im linken Abducens 
eine Anzahl kleiner Knötchen. Eine Compression des linken Zungennerven am 
Foramen hypoglossi führte peripher zur atrophischen Paralyse der linken Zungen¬ 
hälfte, centralwärts zu einer Degeneration der Wurzelfasern und schweren Alteration 
der Zellen des linken Hypoglossuskerns. Ausserdem ist die Portio major des linken 
Quintus durch einen hauptsächlich in ventraler und lateraler Richtung entwickelten 
Tumor 1 I 2 cm vor dem Eintritt in die Brücke theils zerstört, theils comprimirt. 
Derselbe setzt sich auf das Ganglion Gasseri und den Ursprung des dritten Astes 
fort, die Portio minor ist nicht betroffen. Hierdurch lässt sich die geringe Kau¬ 
muskelparese leicht erklären. Die Ausbreitung der Sensibilitätsstörung einerseits, der 
Läsion des Ganglion Gasseri andererseits bietet ganz auffallende Analogieen, sobald 
die Schleimhautäste des Mundes in die mediale Hälfte des R. inframaxillaris verlegt 
werden. Auch wenn man eine doppelte Innervation der Gegend des Kieferwinkels 
(Auricularis maguus und Trigeminus) und der Haut an der Medianlinie (beide 
Trigemini) berücksichtigt, so ist das Freibleiben weiter Strecken besonders lateral 
von der Orbita mit der Anhäufung normaler Zellen und Fasern am lateralen und 
medialen Rand des Ganglion in Verbindung zu bringen. Zwischen den Stellen 
stärkster Sensibilitätsstörungen und der Vertheilung secundär zur Degeneration ge¬ 
brachter Fasern der spinalen Quintuswurzel lassen sich in ähnlicher Weise Beziehungen 
nachweisen, wie nach experimentellen Läsionen des Wurzelquerscbnitts bei Kaninchen, 
aber nur dann, wenn die bereits bekannten anatomischen und physiologischen Diffe¬ 
renzen genügend berücksichtigt werden. 

Da in diesem Falle hinter der Zungenspitze Schleimhautanästhesie und Agensie 
festgestellt wurde, und die anatomische Untersuchung des Glossopliaryngeus und der 
Portio intermedia Wrisbergii normale Verhältnisse ergab, so wäre durch diese 
Beobachtung der stricte Beweis geliefert, dass in der Portio major trigeminii Geschmacks¬ 
fasern verlaufen. Als centrales Ende derselben ist, wenn auch nicht mit vollkommener 
Sicherheit, so doch sehr wahrscheinlich, die Gegend anzusehen, welche sich nicht 
wesentlich von der Endkernsäule des Glossopharyngeus und vielleicht auch der Portio 
media unterscheidet. Es würden als Geschmacksfasern jene Degeneration anzusehen 
sein, welche vom dorsalen Pol der spinalen Trigeminuswurzel zur cerebralen Fort¬ 
setzung des Tractus solitarins und seiner gelatinösen Substanz zieht. 

E. Asch (Frankfurt a./M.). 


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411 


Experimentelle Physiologie. 

3) Bidrag tili kännedomen om hudens kall — ooh varm — punkter, af 

Sydney Alrutz. (Upsala läkarefören. förhandl. 1897. N. F. II. 3. S. 246; 

Skand. Archiv für Physiologie. VII. S. 321.) 

Bei den vom Verf. an 126 intelligenten Personen angestellten exacten Ver¬ 
suchen ergab sich (bei Anwendung von spitzigen Nadeln), dass die Kältepunkte so 
klein sind, dass sie nur mit Schwierigkeit exact markirt werden können; die Wärme¬ 
punkte sind grösser, aber noch schwerer zu markiren. Dass sowohl Kältepunkte als 
Wärmepunkte sehr verschiedene Empfindlichkeit besitzen, hat auch Verf. feststellen 
können, er glaubt gefunden zu haben, dass die Temperaturpunkte, die die intensivsten 
Sensationen geben, zugleich diejenigen sind, die auf die schwächsten Beizmittel 
reagiren. Bei Anwendung von mechanischen Reizmitteln reagiren die Wärmepunkte 
viel schwerer als die Kältepunkte. Die für adäquate Beize empfindlichsten Kälte¬ 
punkte hat Verf. so empfindlich für mechanische Reizmittel gefunden, dass selbst die 
leiseste Berührung eine vollkommen deutliche Kälteempfindung hervorruft, bisweilen 
entsteht eine Kälteempfindung, wenn der Druck aufgehoben wird. Die Empfindung, 
die der faradische Strom in der Haut im Allgemeinen hervorruft, macht nach des 
Verf.'s Erfahrung an den Temperaturpunkten einer Temperaturempfindnng Platz, wenn 
der Strom nicht zu stark ist; auch hier hat Verf. gefunden, dass die Kältepnnkte 
auf schwächere Ströme und rascher reagiren, als die Wärmepunkte. Mittels des 
galvanischen Stromes kann man an Kältepunkten, sowohl bei der Schliessung, als 
bei der Oeffnung und auch während des Stromes, Kältesensation erhalten, an den 
Wärmepunkten erhält man Wärmeempfindung nur während des Stromes und mit 
grösserer Schwierigkeit, bei der Schliessung und Oeffnung nicht. Schmerz tritt an 
den Temperaturpunkten weniger stark auf oder fehlt ganz. Die Möglichkeit einer 
paradoxen Kälteempfindung hat Verf. bestätigen können, paradoxe Wärmeempfindung 
hervorzurufen, ist ihm aber nicht gelungen. Durch concentrirto Schwefelsäure konnte 
Temperaturempfindung an den Temperaturpunkten hervorgerufen werden, ebenso durch 
Salpetersäure und Natronlauge, doch war dabei Schmerzempfindung vorhanden; die 
Wärmeempfindung trat bei chemischen Beizen später ein, die Kälteempfindung manchmal 
früher, gleichzeitig oder etwas später als die Schmerzempfindung; dadurch wird Verf. 
in der Ansicht bestärkt, dass die Wärmepunkte tiefer unter der Haut liegen, als die 
Kältepunkte. Für Druckempfindungen sind die Temperaturpunkte nach Verf.’s Beob¬ 
achtungen weniger empfindlich, als die eigentlichen Druckpunkte. Bei Erregung 
von Schmerz durch Stiche nimmt Verf. an, dass man den Temperaturpunkt nicht 
genau getroffen habe, wenn nicht gleichzeitig eine Temperaturempfindung entsteht; 
die meisten Temperaturpunkte sind nach Verf. für durch Stechen erregten Schmerz 
analgetisch, ebenso für den durch Temperaturen erregten, weniger sicher lässt sich 
dies für den durch Elektricität erzeugten Schmerz feststellen. Ermüdung der 
Temperaturpunkte scheint bei mechanischen Reizen eher einzutreten, als bei ther¬ 
mischen. Die Temperaturpunkte, und zwar in erster Reihe die Wärmepunkte sind 
oft in kleineren Gruppen oder auch in Reihen angeordnet. 

Walter Berger (Leipzig). 


4) Om fornimnelsen „hett“, af Sydney Alrutz. (Upsala läkarefören. förhandl. 

1897. N. F. II. S. 340.) 

Starke Wärmereizmittel (Hitzereizmittel) lösen nicht bloss Wärmeempfindungen 
aus, sondern auch Kälteempfindungen, um aber auf einer mit normalem Kälte- und 
Wärmesinn versehenen Hautoberfläche Kälteempfindung wohl von der Wärmeempfindung 
isolirt zu erlangen, müssen gewisse Kunstgriffe angewendet werden, die entweder darin 
bestehen, dass man solche Reizmittel anwendet, bei denen die Kälteempfindungen 

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merkbar eher eintreten als die Wärmeempfindungen, oder darin, dass man das Wärme¬ 
organ ermüdet. Die psychologische Analyse ergiebt, dass die Hitzeempfindung eine 
einfache (nicht rein psychisch in mehrere Bestandtheile zu zerlegende) und reine 
Temperaturempfindung ist, die qualitativ von den Kälte- und Wärmeempfindungen 
verschieden ist. Die experimentelle Analyse bestätigt die psychologische darin, dass 
sie die Hitzeempfindung nicht als eine bloss gesteigerte Wärmeempfindung (wie man 
leicht vermuthen könnte) erkennen lässt. Dies wird theils dadurch bewiesen, dass 
an Stellen, an denen der Wärmesinn sehr schwach ist, bloss Hitzeempfindungen und 
schwache Wärmeempfindungen erhalten werden können, dagegen keine starken 
Wärmeempfindungen, theils dadurch, dass an Hautstellen, denen der Kältesten fehlt, 
keine Hitzeempfindungen ausgelöst werden können. Specifisclie Hitzenerven oder 
Hitzepunkte finden sich nicht. Die experimentelle Analyse lehrt ferner, dass die 
Hitzeempfindung in dem Sinne eine zusammengesetzte Empfindung ist, dass sie durch 
eine Verschmelzung von Kälte- und Wärmesensationen entsteht. An Stellen, wo 
entweder Kältepunkte oder“ Wärmepunkte fehlen, kann nämlich keine Hitzeempfindung 
ausgelöst werden. Durch Ermüdungsversuche ist der Beweis für diese Annahme ge¬ 
liefert. Die Kälteempfindung scheint von grösserer Bedeutung für die Intensität der 
Hitzeempfindung zu sein, als die Wärmeempfindung; bei Anwendung aller stärkeren 
Hitzereizmittel dürfen die Kältenerven immer mehr gereizt werden, als die Wärme¬ 
nerven. Taunberg’s Versuche mit gleichzeitiger Anwendung von Kälte- und 
Wärmereizung zeigen, dass die Kälteempfindung zum Zustandekommen der Hitze- 
eropfindung beiträgt. Kälte- und Wärmesinn müssen in gewissen Proportionen gereizt 
werden, um zu einer Hitzeempfindung zu verschmelzen. Die Vorstellung, dass starke 
Kältereizmittel unter physiologischen Verhältnissen eine Hitzeempfindung hervorbringen 
können, dürfte unrichtig sein und auf einer Verwechslung der Mischempfindung 
Schmerz und Kälte beruhen, die sehr kalte Gegenstände her vorrufen, und die mit 
der durch sehr heisse Gegenstände hervorgerufenen Mischempfindung Schmerz- und 
Hitzeempfindung eine gewisse Aehnlichkeit hat. Die Hitzeempfindungen geben eine 
erhöhte Fähigkeit, hohe Temperaturen richtig zu beurtheilen, aber wie weit diese 
Fähigkeit erhöht wird, kann noch nicht festgestellt werden; sie dürfte für ver¬ 
schiedene Hautstellen verschieden sein, je nach dem wechselnden Werth des Minimums 
perceptibel für Hitze- und Schmerzempfindungen. Walter Berger (Leipzig). 


5) Om den. s. k. perversa temperatur förnimnelsema, af Sydney Alrutz. 

(Upsala läkarefören. förhandl. 1897. N. F. III. S. 106.) 

Die sogenannte perverse Kälteempfindung ist uach Verf. ein physiologisches 
Phänomen, das in pathologischen Fällen, in denen der Wärmesinn herabgesetzt ist, 
mit vermehrter Deutlichkeit hervortritt; sie dürfte besser als paradoxe (oder conträre) 
Kälteempfindung zu bezeichnen sein. Die sogenannte perverse Wärmeempfindung hat 
Verf. unter physiologischen Verhältnissen nicht nachweisen können, nicht einmal für 
ihr Vorkommen unter pathologischen Verhältnissen sind nach Verf. genügende Beweise 
geliefert; dass sie trotzdem existiren kann, will Verf. keineswegs bestreiten* sie dürfte 
aber dann pathologischer Natur sein und müsste deshalb die Bezeichnung als perverse 
Wärmeempfindung behalten. Verf. präcisirt die Bezeichnungen „pervers, paradox, 
conträr und pathologisch“ folgendermaassen: Paradoxe Empfindungen sind diejenigen, 
die unter physiologischen Verhältnissen durch inadäquate Reize ausgelöst werden; 
perverse sind diejenigen, die nur unter pathologischen Verhältnissen durch inadäquate 
Reize ausgelöst werden; conträre sind solche, die durch Reizmittel ausgelöst werden, 
die sonst die gerade entgegengesetzte Empfindung auszulösen pflegen; pathologische 
Empfindungen, die durch pathologische Veränderungen in den nervösen Organen des 
Sinnes selbst ausgelöst werden oder in Folge dieser Veränderungen. 

_ Walter Berger (Leipzig). 


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Pathologische Anatomie. 

6) Beiträge zur Pathologie der Nervenseilen, von Prof. Dr. A. Goldscheider 
nnd Dr. B. Flatau. (Fortschritte der Medicin. 1897. 1. April. Nr. 7.) 

Verff. haben höchst interessante Untersuchungen an den Vorderhornzellen des 
Rückenmarks bei Kaninchen angestellt, denen sie l°/ 0 ige Lösungen von Malonnitril 
in verschiedenen Dosen injicirten, und die sie auf der Höhe der Giftwirkung tödteten: 
die Zellen gewährten nicht mehr den Eindruck scharf conturirter, durch belle 
Zwischenräume von einander getrennter Nissl’scher Zellkörperchen, sondern zeigten 
verwaschenes Aussehen, bedingt durch die Mitfärbung der Zwischensubstanz und 
theilweise Verlagerung der Zellkörperchen. — Je nach der Dauer der Gifteinwirkung 
wechselten die Intensität der anatomischen Veränderung. — Wurden die Thiere auf 
der Höhe der Giftwirkung durch Injection einer l°/o Natrium subsulfuricum-Lösung 
(in refracta dosi) entgiftet, so fand sich schon 19 Stunden nach der letzten Injection 
theilweise, 71 Stunden nachher eine völlige Restitution der Zellen. Das normale 
Bewegungsvermögen des Thieres trat bereits 10 Minuten nach der 
Entgiftung wieder ein, zu dieser Zeit zeigten sich aber die motorischen 
Zellen noch stark alterirt. — Injection der Entgiftungsflüssigkeit allein zeigte 
keine wesentliche Abweichung von der Norm. 

In einer zweiten Versuchsreihe wurde der Einfluss der Erhöhung der Körper* 
temperatur bei den Thieren (durch Erhitzung der Thiere im Thermostaten) auf die 
Zellen geprüft, und es fand sich merkliche Veränderung der Zellen, sobald die Tem¬ 
peratur des Thieres über 43° gesteigert wurde, erste Anzeichen von Veränderung bei 
längerem (ca. 3 ständigem) Bestehen einer Temperatur von 41,7—42: das Zell* 
volumen war vergrössert, kein einziges scharfes Nissl-Körperchen; durch den homo¬ 
genen, opak-mattblauen Grund des Zellleibes schimmerte feine Körnelung, bezw. ein 
undeutliches Fadennetz, hie und da Reste von Nissl’schen Körperchen; der Kern 
war nicht wahrnehmbar oder homogen blau, feingekörnt, nicht scharf abgegrenzt, die 
Dendriten matt blassblau und geschwollen, enthielten keine normalen Spindeln, sondern 
undeutliche feine Körnelung, ebensolche enthielt der Axencylinderfortsatz. — Wurden 
die überhitzte Thiere wieder aus dem Thermostaten entfernt, so konnte an den Zellen 
eine allmähliche Restitution nacbgewiesen werden, die schon nach 2 Stunden 20 Min. 
begann und nach 68 Stunden vollendet war. 

Die Verff. glauben, dass die Nissl’schen Körperchen keine lebenswichtige Be¬ 
deutung für die Zelle, bezw. deren Function haben, und sie nehmen an, dass Schädi¬ 
gungen der Zelle eine Functions-, und bei genügender Stärke eine Nutritionsstörung 
setzen, erstere kann sich schnell ausgleiclien, letztere klingt erst allmählich ab. — 
Die nach vielen Richtungen lehrreichen Versuche zeigen besonders auch, dass „sich 
in Zellen derselben Species (Vorderhornzellen) differente Alterationen nachweisen 
lassen, welche in ihrer Eigenart durch das Specifische der Schädigung bestimmt 
sind.“ Toby Cohn (Berlin). 

7) Ueber den Einfluss verschiedener Infectionen auf die Nervensellen 
des Rückenmarks, von V. Babes. (Berliner klin. Wochenschrift. 1898. 
Nr. 1—3.) 

Die Fortschritte in der mikroskopischen Technik haben auf dein Gebiete der 
pathologischen Histologie der Nervenzelle vielfach neue Anschauungen und Thatsaclien 
zu Tage gefördert. 

Der Verf. hat sich in seiner Arbeit die Aufgabe gestellt, über die wesentlichen 
Veränderungen der grauen Substanz bei, oder nach den verschiedenen acuten Iu- 
fectionskrankheiten klare Vorstellungen zu schaffen. 

Bis zum Jahre 1889 kannte man bloss eine einzige Krankheit, deren Virus 


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414 


ausschliesslich im Nervensystem seinen Sitz hat und dort eine entzündliche fieaction 
verursacht. Es ist dies die Hundswuth, deren entzündliche Veränderungen von 
mehreren Antoren und vom Verf. selbst nachgewiesen worden. In dieser Krankheit 
konnte der Verf. entzündliche Veränderungen an den Nervenzellen selbst, namentlich 
eine Anhäufung, von Granulationszellen, sowie eigenthümliche Modifikationen an den 
zu der Zelle gehörigen kleinen Blut- und Lymphgefässen nachweisen. Diese Ver¬ 
änderung der Nervenzelle, sowie die umgebende Zellwucherung ist fast charakteristisch 
zu nenneu und wurde von ihm mit dem Namen Wuthknötchen belegt. 

Was die genauere Beschreibung der Zellveränderungen bei Hundswuth betrifft, 
konnte der Verf. Folgendes constatiren: 

1. Eigenthümliche Veränderungen des Kerns der Nervenzellen. 

2. Eine Concentration der chroroatophilen Elemente um den Kern. 

3. Schwund der chromatischen Elemente in der Mitte der Zelle, deren Kern an 
die Peripherie verschoben wird. 

4. Beginnende Proliferation der Zelle mit karyokinetischer Figur des Kerns, 
was auch von Golgi beschrieben worden ist. 

5. In späteren Stadien Schwund der chromatischen Elemente des Zellkerns und 
der Fortsätze mit Deformirung der Zelle. 

6. Sinnöse Erweiterung des zum Theil von Bundzellee eingenommenen peri- 
cellularen Baumes und Einwanderung derselben in die Zelle. 

Der Verf. giebt der Meinung Ansdruck, dass die Wuthknötchen wahrscheinlich 
die Parasiten der Krankheit enthalten. 

Auf Grund dieser seiner eingehenden mikroskopischen Untersuchungen am 
Centralnervensystem bei Hundswuth, glaubt 6ich der Verf. berechtigt, zu behaupten, 
dass die typischen infectiösen Myelitiden durch entzündliche Gefässveränderungen 
ausgezeichnet sind. 

Als Beweismaterial für die von ihm vertretene Ansicht bringt der Verf. auch 
eine vortreffliche Abbildung, die in überzeugender Weise das Vorhandensein der 
Wuthknötchen wied'ergiebt. 

Die Behauptung derjenigen Autoren, welche keinen Unterschied in der Wirkung 
der verschiedenen Bakterien auf das Bückenmark zugeben, erscheint dem Verf. un¬ 
begründet. 

Die Nissl’sche Methode, .sowie das Thionin und das vom Verf. verwendete 
anilinisirte Bubin gestatten eben ein viel genaueres Studium der Nervenzellen und 
ihrer Erkrankung, als die älteren Methoden. 

Dank der vollkommenen Beherrschung der Netvenzellendarstellungstechnik und 
im Besitze eines geeigneten Materials konnte derselbe einen Anhaltspunkt für die 
eigenthümliche Wirksamkeit verschiedener Bakterien liefern. Ferner konnte er für 
einige Infectionen die Wege der Infection des Bückenmarks näher bestimmen. 

Ergebnisse der diesbezüglichen Untersuchungen theilt Verf. in folgenden Aus¬ 
führungen mit: 

Es giebt Infectionen, in welchen das Virus selbst in die Nervenzellen eindringt 
und hier verschiedene mehr oder minder charakteristische Veränderungen hervor¬ 
bringt, solche, welche die Protoplasmafortsätze der Zellen, andere, welche den Axen- 
cylinderfortsatz, den Kern oder das Kernkörperchen zunächst afficiren, andere, welche 
nicht in die Zellen oder überhaupt nicht ins Bückenmark eindringen und welche 
dann in eigenthümlicher Weise durch ihre Toxine wirken. 

Gewisse Infectionen dringen auf dem Blutwege, andere auf dem Lymphwege, 
manche auf dem Wege der Nerven und deren Gefässe, andere nach vorheriger Ver¬ 
mehrung im Centralcanal in die Kückenmarkssubstanz, in jedem Falle aber besteht 
die Tendenz des Eindringens in die graue Substanz und der Schädigung der 
Nervenzellen. 


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Die Rahmen des Referates lassen nicht zu auf die Einzelheiten und den ganzen 
reichen Inhalt der Arbeit einzogehen. 

Der Verf. bespricht eingehend die Veränderungen des centralen Nervensystems 
in einem Falle von Proteusinfection und in einem anderen von Infection mit einer 
sehr pathologischen Abart des Colibacillns, bei welchen er Bacillen in erheblicher 
Menge im Centralcanal und in den Nervenzellen der Vorderhörner fand. Diese 
interessanten Befunde sind mit nach Originalpräparaten stattlich ausgef&hrten Ab¬ 
bildungen illustrirt. 

Die Veränderungen der Nervenzelle bei der Pest sind ebenfalls durch eine sehr 
interessante Abbildung dargestellt, sie sind sehr deutlich ausgesprochen. Die graue 
Substanz ist dabei sehr alterirt. Man sieht da die Pestbacillen eine pericelluläre 
Capillare verlassen, um in den Lymphraum und dann hier in die Nervenzelle zu 
gelangen. Auffallend ist die Blässe und der Zerfall des peripheren Theils der Zelle, 
was den Eindruck hervorruft, als ob die Grenze der Zelle verwischt und die Zelle 
in einem granulirten Raum eingeschlossen wäre. 

An der Hand eines sehr reichen Materials bespricht der Verf. sehr eingehend 
die Beziehungen der Bacillen zu den Nervenzellen bei Lepra, dieser in Rumänien 
ziemlich häufigen Erkrankung. 

Von besonderem Werthe ist die ausführliche Beschreibung der Nervenzellen¬ 
läsionen. Bei der tuberösen Form der Lepra constatirte der Verf. die Anwesenheit 
von Bacillen nicht bloss in den Spinalganglienzellen, sondern auch in den grossen 
Zellen der Vorderhörner, ohne bedeutende Veränderungen dieser Zellen und ohne 
Symptome während des Lebens. 

Sodann folgt die detailürte Besprechung der Verhältnisse der toxischen Läsionen 
zu den bakteriellen. Auch dieser Theil der vorzüglichen Abhandlung bietet viel 
wesentlich Neues dar. 

Eine besondere Aufmerksamkeit bat der Verf. den Nervenzellenläsionen bei 
Lyssa zugewandt und giebt die Resultate seiner diesbezüglichen Untersuchungen in 
seiner eingehenden, sorgsamen Arbeit Schritt für Schritt unter Beibringung exacter 
Belege bekannt. Die in grosser Anzahl beigegebenen vortrefflichen Abbildungen 
sind hier besonders hervorzuheben. 

Was die Rolle und die Bedeutung der Mikroben bei den Läsionen des Rücken¬ 
marks angeht, konnte der Verf..nicht eine einheitliche und charakteristische 
Zellläsion annehmen, sondern eine ganze Reihe von cellularen, pericellulären, vascu- 
lären und Neurogliaveränderungen für die verschiedenartigen Virus, für ihre Fern- 
und Spätwirkungen. 

Der Inhalt dieses Theiles dieser Abhandlung lässt sich in folgende Sätze 
zusammenfassen: 

1. Die Unterscheidung centraler, peripherer und partieller Chromatolyse hat für 
die infectiösen Processe des Rückenmarks nur geringe Bedeutung. 

2. Es ist von grösster Bedeutung, ob in Folge einer Infection bloss einzelne 
Zellen oder aber Zollgruppen, der Centralcanal, Gefässe und namentlich die Umgebung 
der Nervenzellen ergriffen sind. 

3. Das Ergriffensein der verschiedenen Antheile des Rückenmarks hängt von 
der Art des Virus und seines Eindringens in das Rückenmark ab. 

4. Die in Folge der vom Verf. untersuchten Infectionen verursachten Verände¬ 
rungen sind sehr verschieden, was deren Grad und deren Ausdehnung betrifft. Bei 
verschiedenen Infectionskrankheiten findet man Bakterien im Inneren der Nervenzellen, 
welche nach der'Art der Bakterien mehr oder weniger verändert erscheinen. Die 
Bakterien liegen gewöhnlich im Inneren der Vacuolen des Zellprotoplasmas. Deren 
Gegenwart in den Nervenzellen ist oft von geringer Bedeutung für die 
Function der Zellen als die Wirkung der Toxine auf dieselben, während 


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in anderen Fällen schwere Erkrankungen und tiefgreifende Zell¬ 
veränderungen an die Gegenwart des Virus selbst im Niveau der Nerven¬ 
zellen gebunden sind. Schneyer (Bucarest). 


Pathologie des Nervensystems. 

8) Familiendisposition bei symmetrischer Atrophie des Sohädeldaches, 
von Dr. R. Bloch. (Prager med. Wochenschr. 1897. Nr. 13 u. 14.) 

Verf. giebt zunächst eine kurze Uebersicht über die bisher beschriebenen Fälle 
von symmetrischer Atrophie des Schädeldaches (Einsenkung der Scheitelbeine) und 
weist darauf hin, dass die Ursachen dieser Erscheinungen bisher noch nicht geklärt 
sind. So soll nach den einen (Löbstein, Rokitansky) eine Atrophie der Diploe 
die Ursache sein, nach den anderen (Virchow) die Lamina extern, zuerst schwinden, 
und erst später die Diploe. Ebenso unklar ist die Aetiologie. Verf. giebt dann die 
Beschreibung eines eigenen Falles, eine 86jähr. Fran betreffend, bei der beiderseits 
im Bereiche der Scheitelbeine eine Einsenkung zu finden war, rechts von rundlicher 
Form, links an correspondireuder Stelle, d. i. ca. 3 cm von der Pfeilnaht entfernt, 
eine Vertiefung von dreieckiger Gestalt, und kleiner als die rechte. Ausserdem fand 
sich links eine kleine Delle an der Coronarnaht. Entsprechend der Sagittalnaht 
fand sich eine 6 cm lange und l l / 2 cm breite Rinne, die sich an der Lambdanaht 
in zwei Aeste gabelte. Psychisch bot Pat. das Bild der Angstmelancholie dar; vorher 
hatte sie lange an Kopfschmerzen gelitten. Aus der Anamnese sei erwähnt, dass 
auch die Mutter der Patientin ähnliche Vertiefungen am Kopfe gehabt 
haben soll. 

Bei der Obduction fanden sich am Schädel ausser den erwähnten Vertiefungen 
noch solche an beiden grossen KeilbeinflQgeln. Die genauere Untersuchung ergab, 
dass an den vertieften Stellen die Lamina extern, und die Diploe geschwunden waren. 

Bez&glich der Ursache dieser Atrophie im vorliegenden Falle liess sich zunächst 
Syphilis ausschliessen, desgleichen Circulations- und trophische Störungen oder Usur- 
atrophie in Folge von Neubildungen, entzündliche Processe u. s. w. 

Bezüglich des Zustandekommens nimmt Verf. an, dass offenbar unter dem Einfluss 
einer Familiendisposition im heberen Alter, und zwar ohne sonstige nachweisbare 
äussere Ursache, diese Atrophie sich ausbildete. Die klinische Bedeutung solcher 
Fälle ist noch unklar, dagegen kommt ihnen, wie leicht ersichtlich, eine forensische 
Bedeutung zu. Redlich (Wien). 


9) Three cases of the family type of cerebral dlplegia, by F. X. Dercum. 

(Journal of .nervous and mental disease. XXIV. 1897. S. 396.) 

Drei Brüder von 11, 6 und 2 Jahren leiden an spastischer Parese aller Extre¬ 
mitäten mit gleichzeitiger Imbecilljtät. Zwei von ihnen leiden auch an epileptischen 
Krämpfen. 

Bemerkenswerth ist, dass in der Familie der Mutter bereits ein analoger Er¬ 
krankungsfall vorgekommen ist und dass von den 4 Kindern nur diejenigen diplegisch 
geworden sind, die während einer Epidemie von Masern ergriffen wurden. Es scheint 
also zu der hereditären Veranlagung noch eine toxische oder infectiöse Schädigung 
hinzugekommen zu sein. Sommer (Allenberg). 

10) Maladle familiale ä symptomes cerebello-medullaires, par Pauly et 

Ch. Bonne (Lyon). (Revue de Mödecine. 1897. Mars. S. 200.) 

Die Arbeit enthält eine interessante Mittheilung über einen bei drei Brüdern 
beobachteten eigentümlichen nervösen Symptomencomplex. Heredität war nicht vor- 

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handen, mehrere Schwestern waren völlig gesund. Die Krankheit begann bei den 
beiden älteren Brüdern im Alter von ca. 12—14 Jahren, bei dem jüngsten' Brnder 
im 6. Lebensjahre. Bei den ersteren war die Gebstörung das erste auffallende 
Symptom, bei dem letzteren der Nystagmus. In der Buhe sind die Beine bei allen 
drei Brüdern leicht gebeugt, können nicht vollständig gestreckt werden und zeigen 
eine sehr starke Contractnr der Adducturen. Im Allgemeinen entspricht also diese 
Haltung dem Zustand der Beine bei der Little-sehen Krankheit. Der Gang ist 
theils spastisch, theils schwankend. Bei dem jüngsten, jetzt 11jährigen Knaben, 
ist das Gehen ohne Uuterstützung gar nicht mehr möglich. Bomberg’sches 
Symptom und Ataxie fehlen vollständig. In den Armen besteht keine Parese, aber 
etwas Intentionszittern. Alle drei Brüder haben Ny st agipus, verlangsamte monotone 
Sprache, gesteigerte Sehnenreflexe, beginnende Atrophie der Qptici. Vollständig 
normale Sensibilität und vollständig normale Intelligenz. 

Die vorliegenden Beobachtungen ähneln am meisten den vop Pelizäus (Archiv 
für Psychiatrie. Bd. XVI) und Higier (Deutsche Zeitschrift f. Nervenheilk. 1896) 
mitgetheilten Fällen. Sie stehen etwa in der Mitte zwischen der „hörödo-ataxie 
cdröbelleuse" nnd der hereditären spastischen Spinalparalyse. 

Strümpell (Erlangen). 


11) Dritte MlttheUuag über die paroxysmale, familiäre Lähmung, von 

Dr. 8. Goldflam in Warschau. (Deutsche Zeitschrift f. Nervenheilk. 1897. 

Bd. XL) 

Zn dieser interessanten Krankheit werden theils neue Beiträge geliefert, theils 
frühere Daten bestätigt Die Anfälle zeigen sich an den zahlreichen Mitgliedern 
eines weiteren Zweiges der schon bekannten Familie und erscheint so aufs Neue die 
familiäre Disposition als der ausschlaggebende, ursächliche Factor des Leidens. Der 
typische Anfall setzt Abends oder in der Nacht ein. Alle Patienten räumen der 
Füllung des Magens mit Entschiedenheit eine ursächliche Bedeutung ein, wobei es 
nicht auf die Qualität der Speisen, sondern eben nur auf die Menge des Magen¬ 
inhaltes anzukommen scheint. Eine freiwillige Hungerkur yar in einem Falle die 
Folge dieser Erkenntniss. Im Gegensatz zur Magentetanie ist keine Störung der 
Magenfunction nachzuweisen. Im Sommer steigt die Frequenz der Anfälle; Die 
grobe Kraft und das Volumen der Muskulatur erinnert an die bei der Dystrophia 
muscularis progr. charakteristischen Verhältnisse. Die galvanische, neuromuskuläre 
Erregbarkeit ist im wesentlichen durch träge, tonische Zuckungen nnd Neigung zu 
Tetanus charakterisirt, welche mit der von Bemak und Marina beschriebenen, 
nenrotonischen, elektrischen Beaotion gewisse Aehnliohkeit hat Hie und da fand 
sich ausserdem faradieche Entartungsreaction. Von Interesse ist ferner der Befund 
von Eiweiss, rothen Blutkörperchen und verfetteten Nierenepithelien in dem zu Ende 
des Anfalls gelassenen Urin. Bei constantem Vorkommen dürften diese Erscheinungen 
als Stütze der Gifttheorie herangezogen werden. Es kommen auch foudroyante An¬ 
fälle paroxysmaler Lähmung vor, so dass gelegentlich Landry'sehe Paralyse diffe¬ 
rentialdiagnostisch in Betracht kommen könnte. 

Die mikroskopische Muskeluntersuchung ergab bei einem Gliede dieses Familien¬ 
zweiges denselben Befund, wie er früher bei den Verwandten desselben erhoben 
wurde. Die Alteration besteht im wesentlichen in Bareficirung der Muskelsubstanz 
nnd in Vacnolenbildnng. Dass dieser Zustand nicht die Folge der häufigen Lähmungen, 
gleichsam als Wirkung des muthmaasslichen Giftes anzusehen ist, geht daraus hervor, 
dass sich bei dem jüngsten Bruder des Patienten, einem erst selten und nur von 
laichten Anfällen betroffenen 7 x / 2 jährigen Knaben, die gleichen Veränderungen fest- 
stellen liessen. Um einem weiteren Einwande zu begegnen, dass nämlich die Structnr- 
veränderung nur eine coordinirte, selbständige und zufällige Familmneigenthümlich- 

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keit darstelle, geht Yerf. za einer anderen Familie aber, in welcher von 6 Geschwistern 
3 von dem Leiden betroffen waren. An einem dieser Repräsentanten wurde eine 
Muskelantersachung vorgenommen, and zwar mit dem gleichen, positiven Resultat. 

Zum Schloss zieht Yerf. Untersuchungsbefunde einiger Muskelerkrankungen zum 
Yergleich heran. Es ergiebt sich da eine weitgehende Uebereinstimmung mit den 
bei der Thomsen’sehen Krankheit beobachteten Yeränderungen, während sich der 
Befund bei der Dystrophia muscularis progr. und bei der Polymyositis von dem bei 
der paroxysmalen Lähmung wesentlich unterscheidet. 

E. Asch (Frankfurt a./M.). 


12) lieber Paralysis spastiea und über die vererbten Nervenkrankheiten 

im allgemeinen, von E. Jendrässik. (Deutsches Archiv für klin. Medicin. 
Bd. LVni.) 

Die spastische Paralyse ist keine selbständige Krankheitsform, sondern eine 
Symptomengruppe mit verschiedenen anatomischen Yeränderungen, für die nur das 
sichergestellt ist, dass die Pyramidenbahnen dabei betheiligt sind. 

Yerf. selbst zweifelt daran, dass es sich bei dem Leiden um eine primäre 
Degeneration der Pyramidenbahnen handele, vielmehr ist nach seinen Beobachtungen 
der Ausgangspunkt des Processes entweder in den Ursprungszellen der motorischen 
Pyramidenbahnen oder irgendwo im weiteren Yerlaufe derselben gelegen. Auch Fälle 
von milder, in Heilung abergegangener Myelitis können unter dem Bilde der spastischen 
Paralyse auftreten, d. h. ohne absolute Lähmung und unter Bestehenbleiben von 
Rigidität. Die Mehrzahl dieser Fälle sind luetischer Natur. Leichter ist die Er¬ 
kennung des Sitzes der Affection, wenn sie sich oberhalb des verlängerten Markes 
befindet. Hierher gehören die im Kindesalter häufigen Fälle von Encephalitis, Por- 
encephalie und die nach Traumen während des Geburtsactes entstandenen Fälle. 

Alle bisher aufgezählten Formen von spastischer Paralyse werden am richtigsten 
als „symptomatische spastische Paralyse“ bezeichnet 

Daneben bestehen noch zwei Formen der Affection, die sog. Little’sche 
Krankheit und die hereditäre oder familiäre Form der spastischen Paralyse. 

Diese letztere hat Yerf. in 3 Familien zu beobachten Gelegenheit gehabt 

1. Familie. 8jähriger Knabe, Sohn eines gesunden Feldarbeiters. Grossvater 
väterlicherseits gesund, Grossmutter väterlicherseits ebenfalls; sie hat auffallend kurze 
und dicke Hände und Füsse. Mutter des Knaben lebt; sie hat einen auffallend, be¬ 
sonders beim raschen Geben watschelnden Gang. Die Grossmutter mütterlicherseits 
soll ebenfalls unbeholfen gehen und kurze Hände und Fasse haben. Die Familie 
mütterlicherseits ist ausgezeichnet durch Fettleibigkeit Eine 6jährige Schwester des 
Knaben soll gesteigerte Patellarreflexe haben. 

Patient war bei der Geburt sehr unentwickelt, er begann erst mit 2 Jahren zu 
laufen, der Gang ist spastisch, die Patellarreflexe sind gesteigert. Sonst keine 
Abnormitäten. Auffallend kurze Hände und Fasse. 

2. Familie, a) 12jähriger Knabe. Eltern gesund, 7 Kinder, von denen das 
fünfte im Alter von wenigen Monaten an unbekannter Krankheit starb. 

Das Leiden wurde bei dem Knaben zwischen seinem 7. und 8. Lebensjahre 
zuerst bemerkt; seitdem Zunahme der Erscheinungen. 

Der Gesichtsausdruck ist simpel; das Sehvermögen beträgt nur 1 / e , die Augen¬ 
bewegungen geschehen nach innen und oben mit geringer Excursion, und werden 
von nystagmusartigen Pendelbewegungen begleitet. Beim gewöhnlichen Sehen weicht 
das linke Auge nach aussen ab. Beiderseits Stigmatismus. Die Sprache ist näselnd 
und stockend. An den unteren Extremitäten spastische Erscheinungen. Gehen und 
Stehen unmöglich. 

b) Die 8jährige Schwester soll in ihrem 6. Lebensjahre erkrankt sein. 

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Sehvermögen scheint nur wenig abgenommen zu haben; Augenbewegungen er¬ 
folgen prompt. Beide Papillen sind deutlich abgeblasst. Die Sprache ist näselnd. 
Die spastischen Erscheinungen an den unteren Extremitäten sind geringer als bei 
dem Bruder. Die Patellarreflexe stark gesteigert; es besteht Fussclonus. 

3. Familie, a) lBjähr. Mädchen von gesunden Eltern stammend. Ausserdem 
noch zwei ältere gesunde Geschwister. Die Erkrankung begann im 10. Lebensjahre. 
Zur Zeit der Beobachtung bestanden folgende Erscheinungen: Strabismus divergens, 
Augenbewegungen nach allen Bichtungen hin beschränkt; Sehvermögen hochgradig 
herabgesetzt. Beiderseits centrales Scotom; Sehnervenatrophie. Spastisch-paretischer 
Gang. Kniereflexe gesteigert, Fussclonus auslösbar. 

Geistig erscheint Pat. normal. 

b) Die 10jährige Schwester war bis zum 9. Lebensjahr gesund. 

Sehvermögen = 1 j 6 , bei Bedecken des einen Auges weicht das andere leicht 
ab; Gesichtsfeld eingeschränkt. Atrophie der Sehnerven. Das Stehen ist noch gut 
möglich, Gehen erfolgt mit Schwierigkeit. Kniereflexe stark gesteigert, Fussphänomen 
auslösbar. 

Bei beiden Kranken ist auffallend, dass sie nur geringes Bewusstsein von der 
Verminderung der Sehkraft haben. 

Aetiologisch ist zu bemerken, dass die Eltern der Kranken bezw. ihre Ascen- 
denten nahe verwandt waren. 

Aus einer Betrachtung der bisher mitgetheilten Fälle von familiärer spastischer 
Paralyse ergiebt sich die constante Erscheinung, dass die Fälle der einzelnen Familien 
von denen anderer Familien gesonderte Krankheitsbilder geben, unter einander jedoch 
stets nahezu in gleicher Form entstehen und höchstens so viel Unterschied auf¬ 
weisen, als es dem vorgeschritteneren oder dem erst beginnenden Stadium entspricht. 
Man kann daher alle auf hereditärer Basis sich entwickelnden chronischen Dege¬ 
nerationen zusammenfassen. Die Krankheitsformen nehmen nur verschiedene Gestalt 
an, je nachdem die Verkümmerung des Nervensystems verschiedene Gebiete betrifft, 
ihre gemeinsame Basis ist aber eine einfache Degeneration innerhalb des Nerven-' 
Systems. K. Grube (Neuenahr). 


13) Epidemie of infantile paralysis in the same family, by Pasteur. 

(Brit. med. Journ. 1897. Apr. 3. S. 857.) 

Verf. berichtet in der Londoner klinischen Gesellschaft über eine epidemisch, 
allerdings nur in einer Familie vorgekommene fieberhafte Erkrankung mit darauf¬ 
folgender Lähmung. 7 Kinder dieser Familie erkrankten sämmtlich unter heftigem 
Kopfweh und mässigem Fieber. 7 Tage nach Beginn der Erkrankung trat bei 
3 Kindern (11, 9 und 5 Jahre alt) eine nicht typische Lähmung ein; bei dem einen 
Kinde eine schlaffe Armläbmung links; bei dem 2. Kinde rechtsseitige Hemiplegie 
mit Muskelrigor in Arm und Bein, und vorübergehender Lähmung des Gesichts und 
des weichen Gaumens derselben Seite; beim 3. Kinde Lähmung des linken Beins mit 
Rigor. Bei 2 Kindern trat Tremor auf, der einige Tage dauerte; zwei andere, auch 
fieberhaft afficirte Kinder blieben von Lähmung und Tremor verschont. Acute 
Exantheme, Diphtherie, Influenza konnten als nicht vorhanden ausgeschlossen werden. — 
Diese Fälle beweisen, dass ein Toxin Lähmungen hervorbringen kann, die nicht 
immer den Charakter der acuten amyotrophischen Kinderlähmung zeigen, sondern 
anch Erkrankung anderer Regionen des Nervensystems erkennen lassen. Schliesslich 
sprechen dieselben deutlich zu Gunsten der Annahme, dass Kinderlähmung eine 
Infectionskrankheit ist. L. Lehmung I (Oeynhausen). 


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14) Sopra un oaao di tabe spaamodioa famigliare, per B. Tambroni e 
J. Finzi. (Biv. speriin. di Freniatria. XXIII. 2.) 

Unter 8 Geschwistern, von denen die übrigen gesund waren, erkrankten 2 Brüder 
an spastischer Spinalparalyse. Der Vater körperlich und geistig gesund, die Matter 
aas nervöser Familie stammend and selbst an Neuralgieen and Krämpfen in den 
Beinen leidend. Beide Brüder von sehr geringer Intelligenz, bei beiden, namentlich 
beim älteren grosse Schwäche der Sphincteren. Die spastische Paralyse entwickelt 
sich beim einen im 14., beim anderen im 15. Lebensjahre. Der eine litt an Waden* 
krämpfen, besonders links, der andere an Schmerzen beim Gehen, deren Hauptsitz 
die rechte Hüfte war. Bei beiden bestand Parese des unteren linken Facialis. Die 
unteren Extremitäten nur in sehr geringer Ausdehnung activ beweglich, Kniereflexe 
sehr verstärkt, Fassclonus (beim älteren Bruder nur rechts und ausgesprochener als 
beim jüngeren), spastischer Gang, scandirende Sprache, Nystagmus. 

Valentin. 


16) Die amaurotische, familiäre Idiotie, von B. Sachs in New York. Nach 

einem für den Moskauer internationalen medicin. Congress bestimmten Vortrage. 

(Deutsche med. Wochenschr. 1898. Nr. 3.) 

Die Hauptsymptome dieser Erkrankung sind: 

1. Abnahme des Sehvermögens, die zur totalen Blindheit führt (Veränderungen 
in der Macula lutea Und später Opticusatrophie). 

2. Psychischer Defect» in den frühen Lebensmonaten bemerkbar; später absolute 
Idiotie. 

3. Schwäche aller Extremitäten bis zur völligen Lähmung, spastischer, selten 
schlaffer Natur. 

4. Die tiefen Beflexe können normal, vermindert oder erhöht sein. 

5. Marasmus und letaler Ausgang, meist vor Ende des zweiten Lebensjahres. 

6. Die Erkrankung betrifft mehrere Mitglieder derselben Familie. 

Seltenere Symptome sind Nystagmus, Strabismus, Hyperakusis oder Abnahme des 
Gehörsinnes. Verf. fand bei der mikroskopischen Untersuchung die Hauptverände¬ 
rungen an den grossen Pyramidenzellen, welche in allen Bindenregionen fehlten oder 
auffallend degenerirt waren (die neueren Färbungsmethoden waren damals unbekannt). 
Die weisse Faserung schien wenig ausgeprägt, die Tangentialfaserung nirgends nach¬ 
weisbar. — Normale Blutgefässe; keine Zeichen eines Entzündungsprocesses. In 
einem zweiten Falle waren die grossen Ganglien, Ghiasma, Pons und Medulla normal, 
dagegen fand sich in beiden Seitensträngen des Bückenmarks — das Halsmark wurde 
nicht untersucht — sehr deutliche Degeneration. Die Vorderstränge waren normal. 
Die Untersuchung der Betina konnte aus äusseren Gründen nicht stattfinden. Verf. 
lässt es unentschieden, ob die Degeneration der Pyramidenbahnen im Bückenmark 
secundär und unabhängig ist von der Bindenveränderung, glaubt aber, die Erkrankung 
„als eine nach vielen Bichtungen hin fehlerhafte Anlage des Centralnervensystems 
deuten zu müssen“. — Die Beziehungen der amaurotischen familiären Idiotie, welche 
zeitig von den oerebralen Diplegieen besser abgetrennt wird, zu anderen familiären 
Erkrankungen sind naheliegend und wichtig. Der Charakter der defecten Anlage 
entscheidet wohl über das frühere oder spätere Auftreten der familiären Erkrankungen, 
dagegen ist unbekannt, warum sich diese Hemmungsbildungen manchmal im Gehirn 
am deutlichsten, in anderen Fällen in den Seitenstrang- oder Hinterstrangbahnen des 
Bückenmarks sich entwickeln. 

Die Aetiologie des Leidens ist völlig dunkel, Lues spielt jedenfalls keine Bolle. 
Ob die Krankheit, deren familiärer Charakter deutlich ausgeprägt ist, auch hereditär 
ist, kann noch nicht entschieden werden; sie kommt besonders — fast ausschliess¬ 
lich — bei Kindern jüdischer Familien vor. Den Augenärzten, welche am ehesten 


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diese Fälle sehen, giebt Verf. die Mahnung, zu denken, dass es sich nicht nur 
um einen merkwürdigen und seltenen Augenbefund bei einem Kinde 
handelt, sondern dass dieser Befund Theilerscheinung einer wohl 
charakterisirten familiären Affection ist. R. Pfeiffer (Cassel). 


16) Weitere Mittheilungen über einen Fall von chronischem Hydro* 
oephalus bei hereditärer Syphilis, von Dr. Jul. Heller. Nach einer 
Demonstration im Verein für innere Medicin am 6. Dec. 1897. (Deutsche med. 
Wochenschr. 1898. Nr. 5.) 

Die ursprüngliche Mittheilung des Falles erfolgte 1892, Deutsche med. Wochen* 
schrift (Bin Fall von chronischem Hydrocephalus bei hereditärer Syphilis). Wichtig 
ist, dass der jetzt 7 7a jährige Knabe niemals Zeichen von Rhachitis gehabt hat 
Im Sommer 1897 erkrankte er an doppelseitiger interstitieller Keratitis (Wertheim) 
und zeigte bei einer Untersuchung im August neben den Augen Veränderungen Hut- 
chinson’sche Schneidezähne, ein condylomähnliches Gebilde an der Uuterlippe und 
periostale Gummata an der linken Tibia und dem linken Humerus. — Specifische 
Therapie brachte rasche Heilung. Ein Skiagramm von dem periostalen Gummi am 
linken Humerus zur Zeit seiner höchsten Entwickelung zeigt an der dem Tumor 
entsprechenden Stelle einen 6 cm langen, kreissegmentförmigen Schatten, welcher der 
deutlich erhaltenen Contour des Humerusschattens auf der Innenseite des letzteren 
aufliegt, verschiedene Intensität und in maximo 4—5 mm Breite besitzt. Nach Verf. 
ist die Schattenbildung der Ausdruck der Kalkablagerung an der Grenze des Knochens 
und das periostalen Gummi, „das Röntgenbild hat somit einen gewissermaassen 
pathologisch-anatomischen Vorgang mit ausserordentlicher Schärfe zur Anschauung 
gebracht“. R. Pfeiffer (Cossel). 


17) A contribution to the study of spinal syphilis, by Will. Spiller. 

(New York Medic. Journal. Vol. LXVI. 1897. Nr. 13.) 

Die 35jährige Schauspielerin P. G. war seit dem 19. Lebensjahre dem Trünke 
ergeben, hatte zu der gleichen Zeit Syphilis acquirirt und seither an periodischen, 
rheumatischen Schmerzen gelitten, besonders stark im Mai 1895. Am Anfang Sep¬ 
tember desselben Jahres stellten sich heftige Schmerzen in den Beinen ein, die Kraft 
nahm ab und erst am 12./IX. wurde die Paraplegie vollständig, nachdem zuerst das 
rechte, bald auch das linke Bein gelähmt war. Einige Wochen später (October) 
bemerkte Pai eine Gefühlsabnahme an den Unterextremitäten und wenig später Urin¬ 
retention. Status: Starke Anämie, lebhafte Schmerzen in den Beineu und am Rumpfe. 
Unregelmässig angeordnete Anästhesie an den Beinen, besonders rechts, bis zur Knie* 
höbe, Fehlen des rechten, Herabsetzung des linken Kniephänomens, träge Pupillen- 
reaction. Cystitis puruleuta. Exitus am 3. December 1895. Die Section (2 Tage 
später) ergab u. a. die vordere und besonders hintere Rückenmarksfläche von einem 
fibrinös-eitrigen Exsudat bedeckt, Adhärenz der Dura an der vorderen Fläche des 
oberen und mittleren Dorsalmarks, Erweichung des Rückenmarks in der unteren 
Brust- und Lendenregion. Die Geflsse an der vorderen Peripherie schienen stärker 
prominent und dilatirt als normal, hinten waren sie durch das Exsudat verdeckt. 
Die Gehirnsubstanz erschien makroskopisch normal, die Basalgefässe nicht sehr 
atheromatös. Die mikroskopische Untersuchung ergab neben einer ausgesprochenen 
Endkrteriitis der A. basilaris und ihrer Verzweigungen die stärksten Veränderungen 
im Bereiche des mittleren und unteren Dorsalmarks: sehr beträchtliche zeitige Infil¬ 
tration der Hänte, Durchsetzung denselben mit miliaren Gummata, Gefässneubildung 
und Verdickung, Wnrzeldegeneration, unregelmässige Betheiligung der Rückenmarks¬ 
peripherie u. & w. Verf. kennt keine Veränderungen mikroskopiecher Natur, die für 


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die Syphilis des NerveuSystems pathognostisch wären, und beruft sich u. a. auf 
Gowers. In der Epikrise erörtert der Verf. die Existenzberechtigung der syphi¬ 
litischen Spinalparalyse Erb’s und streift sodann kurz eine Reihe wichtiger und 
strittiger Fragen in der Anatomie und Pathologie des Röckenmarks, so die Bedeutung 
der Degeneration der Pyramidenbahnen für das Zustandekommen der Contracturen 
und der Reflexsteigerung, das Erlöschen der Sehneureflexe bei totaler Querscbnitts- 
läsion des oberen Rückenmarks (Bastian), die syphilitische disseminirte Sclerose 
Bechterew’s, die hereditäre Syphilis und ihren eventuellen Einfluss auf die Ent¬ 
stehung von Tabes und allgemeine Paralyse u. 8. w. (Details siehe im Original.) 

Die neueste Litteratur findet Berücksichtigung. R. Pfeiffer (Cassel). 


18) Over syphilitische Spinalparalyse, door Dr. L. J. J. Muskeus. Vortrag. 

(Psychiatrische en Neurologische Bladen. 1897. Nr. 4.) 

Nach Demonstration eines typischen Falles von syphilitischer Spinalparalyse 
giebt Verf. eine kurze Litteraturgeschichte dieses neuen Krankheitsbildes. Nachher 
lenkt er die Aufmerksamkeit auf die Erscheinungen, die man beim Pat. wahrnimmt 
als Folgen des Percussionshammerschlages auf das Lig. pat. propr. und sucht die¬ 
selbe zu analysiren. Es giebt nämlich nicht eine massale Contraction des M. quadri- 
ceps, sondern eine ganze Reihe solcher (4—6); des weiteren bleibt eine bei genauerer 
Betrachtung sichtbare Unruhe des Muskelbauches nach. Die letzteren massalen 
Contractionen des M. quadriceps lösen sich auf in erst grössere fasciculäre, später 
kleinere, bis fibrilläre Contractionen, welche letztere mit einer gewissen Rhythmik 
fortdauern können (sie können leider noch nicht registrirt werden). — Ohne damit 
einen alles erklärenden Gesichtspunkt geöffnet haben zu wollen, will der Verf. doch 
hinweisen auf einen eventuellen Zusammenhang dieser Erscheinung mit der von 
Engelmann (Pflüger’s Archiv. Bd. LXV) aufgestellten Vormuthung, dass Neigung 
zur automatischen Rhythmik eine aller Muskelsubstanz inhärente Eigenschaft sein 
sollte. — Verf. sah die Erscheinung noch einmal bei einer alten Frau mit einem 
myelitischen Herd im Lumbalmark. 

Zum Schlüsse demonstrirt Verf. beim Pat., dass selbst starke elektrische Reizung 
des Lig. patell. prop. in allen Richtungen keine Contraction des M. quadriceps hervor¬ 
zurufen vermag; nur erfolgt diese, wenn eine der Elektroden auf dem Muskel selbst 
aufgesetzt wird. Dieser Versuch, wie der von Gowers angegebene (Schlagen mit 
dem Hammer auf die Seite des Lig., indem man von der anderen Seite das Lig. 
stützt) kann nur der Auffassung der nichtreflectnrischen Natur des Patellarphänomens 
das Wort reden. (Autorreferat). 


19) Aoute Myelitis und Syphilis, von Heinr. Rosin. (Zeitschrift f. klin. 

Medicin. XXX. 1. u. 2.) 

Fall von acuter Myelitis auf syphilitischer Basis: 41 jähriger Tischler hat vor 
2 Jahren eine Gonorrhöe und gleichzeitig einen syphilitischen Ausschlag durchgemacht. 
2 Jahre später traten plötzlich Beschwerden beim Uriniren und Stuhlverstopfung auf. 
Diese Beschwerden nach 3 Wochen gebessert. 3 Monate später Rückkehr derselben 
Störungen und gleichzeitig Schwächezustände und Schmerzen in den Beinen, allgemeine 
Mattigkeit und GürtelgefühL 

Befund: Mittelgrosser Mann mit spastischem Gang, spastischen Erscheinungen 
in den Extremitäten besonders der rechten Seite. Die motorische Kraft der Unter¬ 
extremitäten herabgesetzt. Sensibilitätsstörungen fehlen; die Reflexe sind gesteigert, 
Fussclonus ist vorhanden. Der Urin kann spontan nicht entleert werden; der Stuhl 
ist continuirlich angehalten. 

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Im weiteren Verlaufe stellten sich Paralyse des rechten Beines, Incontinentia 
urinae, Parese des linken Beines, nahezu vollständiges Erlöschen der Sensibilität für 
alle Qualitäten in den Extremitäten und am unteren Theile des Rumpfes bis zur 
Nabelhöhe ein. Die spastischen Lähmungen verwandeln sich in schlaffe Lähmungen,, 
die Reflexe verschwanden, zu der Incontinentia urinae trat Unmöglichkeit den Stuhl 
zu halten und unter Erscheinungen von Cystitis, Decubitus und Pneumonie trat der 
Tod ein. 

Die Untersuchnng des Rückenmarks ergab eine Querschnittsaffection desselben 
in der Höhe des 4.—9. Brustwirbels, von der nach oben und unten secundäre Dege¬ 
nerationen ausgingen. Ausserdem liess sich durch das ganze Rückenmark eine 
Randdegeneration nachweisen. Die Gefässe des Rückenmarks waren in besonderem 
Maasse erkrankt Sie waren verengt, thrombosirt und obliterirt Die Intima der¬ 
selben war bedeutend verdickt Die vorderen und hinteren Wurzeln waren bis zum 
Halsmark theils atrophirt, theils degenerirt. 

Im weiteren Verlaufe seiner Arbeit bespricht Verf. an der Hand der ein¬ 
schlägigen Litteratur die Merkmale, welche die syphilitische Myelitis als solche von 
der einfachen primären Myelitis unterscheiden lassen. Es sind das zunächst klinisch 
folgende Merkmale: der eigentlichen Entzündung geht bei der Myelitis syphilitica 
regelmässig ein längeres Prodromalstadium vorher, dessen Symptome sehr mannich- 
faltig und wechselnd sind. Diese Erscheinungen kommen und gehen, haben ihren 
anatomischen Sitz an Stellen, an denen später der myelitische Herd sich nicht ent¬ 
wickelt Ferner tritt Retentio urinae et alvi schon von Anfang an auf, und endlich 
zeigen die Patellarreflexe ein schwankendes Verhalten, indem sie bald erhöht, bald 
herabgesetzt sind, bald ganz fehlen. Es lässt sich demnach schon aus dem klinischen 
Verlaufe auf den wahrscheinlichen Zusammenhang der Erkrankung mit der Syphilis 
schliessen. 

Histologisch entsprach der Befund dem der acuten Myelitis, nur dass zu dem 
Bilde, wie es für diese letztere Erkrankung typisch ist, noch Veränderungen hinzu¬ 
getreten waren, die als für die Syphilis charakteristisch bezeichnet werden mussten. 
Dieselben betrafen hauptsächlich die Gefässe. Die Gefässe der Meningen in der 
Umgebung des Rückenmarks, sowie die in Tumoren desselben befindlichen waren 
theils stark mit Blut gefüllt, theils waren sie hochgradig verengt und selbst ganz 
verschlossen. Die blutüberfüllten Gefässe hatten bei normaler Intima und Muscularis 
eine verdickte und mit zahlreichen Kernen besetzte Adventitia, während bei den ver¬ 
engten Gefässen hauptsächlich die Intima bedeutend gewuchert und die Adventitia 
nur zuweilen verdickt war. 

Diese Gefassveränderungen hatten im Bereiche des myelitischen Herdes die 
grösste Intensität, erstreckten sich aber im übrigen auf das ganze Rückenmark. 

Verf. betrachtet die Erkrankung auf Grund des klinischen, wie pathologischen 
Befundes als eine acute Myelitis, welche auf syphilitischer Basis entstanden ist.• Die 
Syphilis hat die Gefässerkrankung hervorgerufen, und nachdem durch das Weiter¬ 
schreiten des Processes an den Gefässen die Ernährung hochgradig gestört war, trat 
an der Stelle des Rückenmarks, welche für acute Erkrankungen die empfänglichste 
zu sein scheint, nämlich im Dorsalmark, die Erkrankung auf, welche als acute 
Myelitis zu bezeichnen und auf Ernährungsstörungen in diesen Fällen zurückzuführen 
ist. Dagegen ist der vorliegende Process nicht der sogen. Rückenmarkssyphilis als 
acute Form unterzuordnen. K. Grube (Neuenahr). 


20) Anatomioal oonsideration of brain syphilis, with report of three oases, 
by William C. Krauss. (Buffalo Medical Journal. 1897. April.) 

Verf. berichtet zunächst einen gerichtlich - medicinisch interessanten Fall von 
Hirnhämorrhagie in Folge syphilitischer Gefässveränderungen. Ein 35jähriger Mann 


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wurde, nachdem er in betrunkenem Zustande geschlechtliche Annäherungsversuche 
auf eine verheiratete Frau gemacht hatte, auf den Kopf geschlagen und starb sofort. 
Die 8ection zeigte grosse Blutmassen in der hinteren Schädelhöhle, die aus einer 
breiten Oeffnung der A. basilaris, dicht vor ihrer Theilung in die Cerebrales poster., 
stammten. Die Basilararterie zeigte Stärke Endarteriitis mit Beteiligung der 
anderen Gfefässhäute, die an einzelnen Stellen zur Verdickung, an anderen zur Ver¬ 
dünnung der Wand geführt hatte. An einer der letzteren Stellen war es zur Ruptur 
gekommen. Obwohl nichts von einer syphilitischen Infection bekannt war, ist die 
Arteriefaerkrahkung doch mit Sicherheit auf Syphilis zurückzuführen. 

Die charakteristische Form der Hirnsyphilis ist die Gummibildung. Vetf: hat 
einen derartigen Fall beobachtet, der allerdings nicht zur Section kam. Bihe 28jähr. 
Frau wurde gleich hach ihrer vor 4 Jahren erfolgten Verheirathung von ihrem Mann 
syphilitisch inficirt. Seit einem Jahre entwickelten sich Cerebralsymptome, heftiger 
Occipitalkopfschmerz, Erbrechen, völlige Erblindung. Es entwickelte sich doppelseitige 
Ptosis. Sämmlichb Extremitäten zeigten leichte Parese mit starker Erhöhung der 
Sehnenreflexe. Die Diagnose wurde mit grösster Wahrscheinlichkeit auf einen gum¬ 
mösen Tumor im Pons oder im Intercruralraum mit Uebergreifen auf beide CrttTa 
cerebri gestellt. Es kam zum Exitus; jedoch wurde die Section verweigert. 

Endlich berichtet Veff. eihen Fall von syphilitischer MeningoencephalitiS. Eine 
25jährige Frau, die vor 4 Jahren Syphilis acquirirt hätte, klagte Über Kopfschmerzen, 
Schwindel und Erbrechen. Trotz Quecksilber und Jodbehandlung kam es zu syphi¬ 
litischer Roseola. Jedoch brachte weitere energische Quecksilberbehandlung völlige 
Besserung. Nach 6 Wochen Bückfall mit Neigung zum Fallen nach rechts, Photo¬ 
phobie und Paraphasie. Der Kopfschmerz war jetzt am stärksten in der linken 
Frontal- und Parietalgegend mit Druckschmerz daselbst. Deutliche beiderseitige 
Stauungspapille. Die ganze rechte Körperbälfte, Gesicht, Zunge,. Arm und Bein, War 
leicht paretisch. Es wurde mit Sublimatinjectioneh begonnen. Es kam im Weiteren 
Verlauf zu schnell vorübergehenden Anfällen von stärkerer rechtsseitiger Parese mit 
Andeutung von Aphasie. Alsdann besserte sich der Zustand unter hochgradiger 
Salivation. Erst nach 6 Monaten kam es zu einem Rückfall mit den alten Symptomen; 
unter colossalen Dosen von Hydrarg. bibhlorat subcutan und Einreibungen der Ell¬ 
bogen- ünd Kniegelenke, in denen Pat. über Schmerzen klagte, mit Quecksilbersalben 
kam es zwar .zu allgemeiner Besserung; aber es entwickelte sich eine Nenritis tuet- 
curialis an den Extremitäten. Unter Auslassung der Quecksilberpräparate und durch 
elektrische Behandlung schwand auch diese, und es kam zur Heilung. 

Der Sitz der Krankheit war mit Sicherheit in die linke Hirnhälfte zu verlegen 
und zwar in die Oberflächlichen Partieen der Hirnrinde. Nur durch die Anwendung 
ganz ungewöhnlich grosser Quebksilberdoseh — 10 Tage hinter einander l*/$ g 
Sublimat ihtramuskulät — gelang es, den verzweifelten Zustand zu bessern. 

M. Köthtoantt (Berlin). 


21) Aggiunta alla Storia di un oaao di malattia di Erb. Nota per Prof. 

Augusto Murri. (Policlinico. 1897. Vol. IV—VII.) 

Bei 4er 180Ö vom Verf. veröffentlichten Patientin (Polidiulco. 1896. Nr. 0; 
cf. NenrOlog. Centralbl. 1897. S. 269), die im Januar 1896 starb, ergab die genaue 
Untersuchung des Centralnervensystems: 1. zahlreiche BlutuhgeU Und Hyperämie (bei 
intacten Gefässen) im Hirnstamme, die Verf. — in Uebereinstimmung mit den Be¬ 
fanden des Ref. — als agonale auffasst; 2. in einem Präparate aus dem Hypoglossus- 
kern (Hämatoxylin) in einzelnen Zellen kemchromatolyse (verwaschene Zeichnung 
und Umgrenzung des Kerns). Er hält diesen letzten Befund zwar nicht für ein 
charakteristisches Merkmal der „Erb'Scheu Krankheit“ (MyaSthbUia pWOudöparalytica 
gravis), aber doch für Wichtig genug, um weiter darauf zU achten. 


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Mit Recht bestreitet er die Beweiskraft der von Vidal and Marinesco ge* 
fundenen Chrottatolysen in ihrem nicht reinen Falle (Neurolog. Gentralbl. 1897. 
S. 509); aber Bef. möchte doch auch Yerf.’s Befanden gegenüber an einem Cadaver, 
der erst 6 Tage nach dem Tode obdacirt wurde, trotz aller Controllversuche, die 
Verf. angestellt hat, scharf die Möglichkeit betonen, dass es sich um Veränderungen 
handeln möchte, die postmortal sind oder doch mit der Krankheit nichts zu thun 
haben. Toby Cohn (Berlin). 


22) Ein Fall von Myasthenia psendoparalytioa gravis und intermittirender 

Ophthalmoplegie, ton A. Eulenburg. Vortrag and Krankendemonstration 

im Verein f&r innere Medicin am 6. Dec. 1897. (Deutsche med. Wochenschr. 

1898. Nr. 1.) 

Der 28jährige, aas gesander Familie stammende Patient hatte einige Monate 
vor Beginn des Leidens eine Halsentzündung „mit diphtherieartigem Belag“; keine 
Lues, kein Alkohol* oder Tabakmissbraach. Ende December 1894 trat ziemlich 
plötzlich Doppelsehen auf, wobei die Bilder des rechten Auges bedeutend höher 
standen, and gleichzeitig rechts vollkommene Ptosis; später gesellte sich links ein 
analoger Zustand hinzu. Ünter Jod* und Chiningebrauch schwand die „Lähmung“ 
bis Februar 1895 vollkommen. Ende November 1895 zeigten sich die Lähmungs* 
Symptome ganz allmählich zum zweiten Male, und zwar soll der rechte Bectus int. 
zuerst afficirt gewesen sein, dann successive die anderen Muskeln des rechten und 
linken Auges. Wiederum völlige Genesung, so dass bei mehreren in der zweiten 
Hälfte 1896 und der ersten Jahreshälfte 1897 vorgenommenen augenärztlichen Unter¬ 
suchungen normales Verhalten der Augenbewegungen constatirt wurde. Seit Juni 1897 
Unregelmässigkeit der Herzaction mit aufallsweiser Beklemmung. Anfangs Juli 
Diplegie bei seitlichen Blickrichtungen und rechter Ptosis, in 2—3 Wochen Er¬ 
griffensein fast aller äusseren Augenmuskeln. Die Ptosis war abwechselnd rechts 
und links stärker. — Inunctionskuren und Thermalbäder in Oeynhausen hatten nur 
geringen Nutzen, ja es stellte sich gegen Ende der Kur und nachher bedeutende 
Schwäche in Armen und Beinen (zuerst rechts) ein. 

Status: Beiderseitige totale Ophthalmoplegia exterior: die äusseren Augen¬ 
muskeln sind nicht alle in gleicher Intensität, auch zu verschiedenen Zeiten in leicht 
wechselndem Grade befallen; beim Sehen in der Nähe gekreuzte, in der Ferne gleich- 
mäs8ige Doppelbilder. Hechts Dilatation und trägere Beaction der Pupille, weiss- 
lichere Färbung der Papille ohne Functionsstörung (später reagirten die erweiterten 
Pupillen kaum auf Licht, links active Hyperämie des Opticus, die Doppelbilder 
standen sich näher und rückten für die Nähe bei einem Fuss Entfernung zusammen). 
Deutliche Adynamie im Gebiete beider Faciales, besonders an den Augenschliess- 
muskeln; Schwäche der Kau-Zungenmuskeln (ohne Atrophie), der Muskulatur des 
weichen Gaumens und der Schlingmuskeln. Links starke Herabsetzung des Gehörs 
für tiefe Töne (Insufficienz des Tensor tympani?). Wechselnder Grad von Ermüdbar¬ 
keit und Muskelschwäche an Bumpf und Gliedmaassen mit auffallender Steigerung 
der Muskelsensibilität für elektrische, besonders faradische Beizung, und myasthe¬ 
nischer Beaction an den Streckmuskeln des linken Vorderarms, am rechten Extensor 
ind. proprius, andeutungsweise auch an den rechten Interossei. Erhebliche, vorüber¬ 
gehende Besserung nach längerer Buhe. Keine Muskelatrophie, keine Entartungs* 
reaction, erhaltene Reflexe, intacte (s. o.) Sensibilität. Diagnose: Myasthenia pseudo- 
patalytica. Auffallend ist das intermittirende oder periodisch recidi- 
Viretade Auftreten der Ophthalmoplegie mit dazwischen liegenden 
längeren, zum Theil mehr als einjährigen, symptotafreien Intervallen. 

Verf. glaubt, dass der Erkrankung eine StoffWechsManomalie zu Grande liegt, 
dass die Musketeohwäche, das Cardinahsymptott, durch Anhäufung von erm ü dend 


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wirkenden Stoffwechselproducten, besonders muskelermfidenden Stoffen bedingt ist. 
Therapeutisch steht zeitig kräftigende Diät and Körperruhe im Vordergründe, daneben 
wäreu schwache galvanische Ströme, namentlich in aufsteigender Richtung durch den 
Muskel geleitet, zu versuchen (Heidenhain’s recreirende Wirkung). 

R. Pfeiffer (Cassel). 


23) Heber Myasthenia pseudoparalytica gravis, von Toby Cohn. Vortrag 
im Verein für innere Medicin am 12. Juli 1897. (Deutsche med. Wochenschr. 
1897. Nr. 49.) 

Bei der 16jährigen, nervös nicht belasteten Patientin trat im Februar 1893 
plötzlich Doppeltsehen ein, dann kurzdauerndes Kopfweh. Dazu gesellten sich all¬ 
mählich Ptosis des linken, später des rechten Auges, Lähmung und Steifheit des 
Gesichts, näselnde undeutliche Sprache, Athemnoth bei körperlichen Anstrengungen, 
Schluck* und Kaubeschwerden, sowie Schwäche in den oberen, zuletzt auch in den 
unteren Extremitäten. Wernicke diagnosticirte eine chronische atrophische Spinal¬ 
lähmung mit Betheiligung der Hirnnerven (ev. amyotrophische Lateralsclerosis + Polio¬ 
encephalitis superior) — vergl. Deutsche med. Wochenschr. 1893. Nr. 46: Sitzungs¬ 
bericht der schlesischen Gesellschaft f&r vaterländische Cultur. 

Die Untersuchung in der Mendel’schen Klinik ergab folgende Anomalieen: 
Nasale Sprache, etwas leichte und belegte Stimme. Fast complette, doppelseitige 
Ophthalmoplegia externa, bedeutende Kaumuskelschwäche, beiderseitige, fast totale 
Lähmung der oberen und unteren Facialisäste, Parese des Palatum molle, Schwellung 
des hinteren Larynx und leichte Schwäche der M. adductores laryngis — Anaesthesia 
pharyngis et laryngis. Die etwas dünn erscheinende Zunge wird nur eine ganz 
kurze Strecke herausgebracht. Athmung: 30 pro Minute; Puls 82. Bedeutende 
Schwäche der Nackenmuskeln und sämmtlicher Muskelgrunppen an den Oberextremi¬ 
täten mit besonderer Beeinträchtigung der Armhebung, namentlich in sitzender 
Stellung. Aufrichten aus der Bettlage mit gekreuzten Armen unmöglich; mangelhafte 
Hebung der Beine im Hüftgelenk. Geringe Spasmen, lebhafte Patellarreflexe. — 
Schlaffheit der paretischen Muskeln ohne deutliche Atrophie, ohne wesentliche elek¬ 
trische Veränderungen. 14 Tage später plötzliches Zusammenstürzen in Asphyxie, 
Exitus. — Wahrscheinlichkeitsdiagnose: amyotrophische Lateralsclerose mit hohem 
Beginn, bezw. einer complicirenden Hirnstammerkankung. 

Die genaue histologische Untersuchung — makroskopischer Befund normal — 
ergab im gesammten Centralnervensystem Dilatation der Gefässe ohne Wandveränderung 
und zahlreiche frische Blutungen, namentlich im Hirnstamm, sonst keine Anomalieen. 
Ganglienzellen intact! (Ni s s 1 - Färbung). Verf. fasst die Gefässerweiterungen und 
Blutungen als agonal entstanden auf, „vielleicht begünstigt durch eine im Wesen 
der Krankheit begründete, anatomisch nicht nachweisbare (toxische?) Gefässalteration.“ 
Der Verf. zieht die Bezeichnung „Myasthenia pseudoparalytica gravis'’ den 
anderen, zahlreich vorgeschlagenen Namen vor. R. Pfeiffer (Cassel). 


Psychiatrie. 

24) Typhoid fever among the insane, by Ralph. A. Goodner. (Medicine. 
VoL III. Nr. 2.) 

Verf. theilt, an der Hand einschlägiger Krankengeschichten, seine Erfahrung 
über den Einfluss des Typhus auf Psychosen mit Bei 40 Geisteskranken, die an 
Typhus erkrankt waren, konnte er nach Ablauf des Fiebers theils vorübergehende 
Besserung, theils dauernde Heilung beobachten, letztere sogar in Fällen von vorn¬ 
herein ungünstiger Prognose und hauptsächlich bei der Melancholie. Verf. ist der 


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Ansicht, dass Typhus viel seltener Geisteskrankheit hervorruft, als man gewöhnlich 
glaubt. Wo es der Fall, ist es in der Regel die Folge secundärer körperlicher 
Erschöpfung, nicht primärer Toxinwirkung. Erklärt wird dieser günstige Einfluss 
des Typhus durch seine Wirkung auf die Eingeweide „by renovating and improving 
the condition and functions of the intestines“. Bei den Melancholieen ist dieser 
günstige Einfluss am mächtigsten „as they commonly originate in derangement of the 
gastro-entestinal traet“. 

Nach der Ansicht des Bef. hält Verf. noch zu sehr an der Anschauung der 
älteren Psychiatrie fest, wonach die Hämorrhoiden, die Stauungen im Phortader- 
system, die „Verstimmungen“ der Unterleibsgeflechte eine sehr grosse Rolle bei der 
Entstehung von Geisteskrankheiten spielten. Gegenwärtig sieht wohl die grosse 
Mehrzahl der Psychiater wenigstens bei frischen Geisteskrankheiten in den Verdauungs¬ 
störungen vielfach die Folge der psychisch bedingten Unregelmässigkeit in der 
Nahrungsaufnahme und nicht die Ursache der Psychose. BayerthaL 


25) Des psyohoses religieuses a Evolution progressive et a systdmatisation 

dite primitive, par Marie et Vallon. (Arch. de Neurol. Vol. II. 1896. 

Nr. 12. Vol. III. 1897. Nr. 13 u. 15.) 

Nach einigen Bemerkungen über den Einfluss des Milieu auf den Inhalt der 
Wahnideeen bei der chronischen Paranoia — die Wahnideeen im Mittelalter hatten 
ein anderes Gepräge, wie die der Neuzeit — geht der Verf. zur Besprechung der 
religiösen Form der chronischen Paranoia über. Er. entwickelt zunächst die Unter¬ 
schiede zwischen den religiösen Wahnideeen der „persöcutös religieux“ und der 
„mölancholiques religieux“. Bei beiden Gruppen treten Beeinträchtigengsideeen mit 
religiöser Färbung auf; sie sind beide „Demonomanen“; während abor nun die „mälan- 
choliques religieux“ vollständig von dem Teufel in Besitz genommen werden (Demo¬ 
nomanie interne), wirkliche „possddds“ sind, leisten die „persdcutes religieux“ dem 
bösen Geist Widerstand; derselbe gelangt gewöhnlich nicht in den Besitz ihres 
Körpers (demonomanie externe), wenn dies doch geschieht, so entledigen sie sich des¬ 
selben nach kürzerer oder längerer Zeit; sie gehen stets aus dem Kampf mit dem 
bösen Geist als Sieger hervor, Dank einer gewissen mysteriösen Hilfe, deren gött¬ 
licher Ursprung sich ihnen am Ende enthüllt. Der Verf. bespricht dann die syste¬ 
matische Entwickelung der Krankheit, deren drittes Stadium die „Thdomanie“ ist, 
(das Stadium der Grössenideeen). Der Charakter der bei dieser Erkrankungsform 
auftretenden Hallucinationen, die verschiedenen Arten derselben, ihre Beziehung zur 
Verdoppelung der Persönlichkeit werden an der Hand von zahlreichen Kranken¬ 
beobachtungen eingehend geschildert. M. Weil (Stuttgart). 


26) Belehrungen lür das Wartepersonal an Irrenanstalten, von Schröter, 

(Wiesbaden 1897.) 

Das vorliegende Büchlein ist als Leitfaden für die Unterrichtscurse des Warte¬ 
personals gedacht und vom Verf. an der seiner Leitung unterstehenden Anstalt 
Eichberg als solcher gebraucht worden. Der Inhalt entspricht im Allgemeinen dem, 
was auch an anderen Anstalten gelehrt wird; ob Abschnitt III mit einem kurzen 
Abriss der Symptomatologie der Psychosen dem Intellect des Wartepersonals — wie 
ich es kennen gelernt habe — noch adäquat ist, erscheint zweifelhaft. Der Hinweis 
auf die „socialdemokratischen Anschauungen, welche Freude an Klatschsucht, an 
Verdrehung der Wahrheit und internationaler Verhetzerei haben“, dürfte überflüssig, 
die politische Stellung eines Wärters, so lange er in der Anstalt darüber nicht spricht 
und seine Pflicht thut, gleichgültig sein. Unzweckmässig erscheint, in einem für 


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Laien berechneten Boche von „Disciplinirung“ eines Kranken (S. 21) zn reden. Im 
Uebrigen entb&lt das Bach, wie es ja bei der Person des Verf.’s als langjähriger 
Leiter einer Öffentlichen Anstalt selbstverständlich ist, eine grosse Beihe practischer 
Hinweise and Bemerkungen. Lewald (Kowanowko). 


27) Deuz exemples de la forme affective du ddlire gdndralisd — Ver¬ 
wirrtheit (oonfuslon mentale), par Francotte. (Gand 1897.) 

Verl nennt „dölire gönöralisö“ Zustände von Bewosstseinstrfibang, in welchen 
Unorientirtheit Ober Zeit and Umgebung, mangelhafter Zusammenhang, eveni völlige 
Incohärenz der mündlichen Aeusserungen, sowie Illusionen und Hallucinationen be¬ 
stehen, also im wesentlichen Zustände, welche gewöhnlich als „Verwirrtheit“ be¬ 
zeichnet werden. Verf. unterscheidet im allgemeinen vom klinisch-symptomatologischen 
Standpunkt aus je nach dem besonderen Hervortreten der betreffenden Erscheinungen 
das „ddlire gönöralisd hallucinatoire“ nnd das „d. g. affectif“; letzteres zerfällt wieder 
in das „d. g. mdlancholique ou ddpressif“, in welchem der unorientirte Kranke 
„Ideeen trauriger Natur äussert“, und das „d. g. maniaque ou expansif“, wobei 
ausser der Unorientirtheit expansive Verstimmung und Hyperactivität besteht. Zur 
Illustration der beiden letzten Formen fährt Verf. je eine Beobachtung an. 

Kaplan (Herzberge). 

28) L’obsession de la rougeur (dreuthophobie), par Pitres et Bdgis. (Arcb. 
de Neurol. Vol. III. 1897. Nr. 13.) 

Unter denjenigen Individuen, die zum Erröthen neigen, unterscheiden die Verff. 
solche, die durch das Erröthen für den Moment in Verwirrung kommen, die aber 
nicht mehr daran denken, sobald das Erröthen vorüber ist; diesen Zustand nennen 
• die Verff „dreuthose simple“. Andere werden von der Idee, dass sie roth geworden 
sind, beunruhigt und verfolgt, selbst in der intervallären Zeit, sie müssen daran 
denken, und häufig bringt dieser letztere Umstand allein sie wieder zum Erröthen, 
das ist die „dreuthose dmotive“. Bei einer dritten Gruppe gesellt sich zu dem un¬ 
angenehmen Gefühl über ihr Erröthen die beständige Furcht roth zu werden, und 
zwar dermaassen, dass sie jeden Augenblick, bei allen ihren Handlungen sich ver¬ 
legen, beunruhigt und ängstlich zeigen; sie erröthen bei den geringsten Anlässen, 
schon aus blosser Angst, dass sie roth werden könnten. Sie bringen die Idee, dass 
sie erröthen müssen, gar nicht mehr los und leben beständig in der Furcht zu 
erröthen; bei ihnen tritt also das Erröthen als Zwangszustand auf, diesen Zustand 
nennen die Verff. „Ereutbophobie“. Diese „ISreuthose simple“ hat nichts Patho¬ 
logisches an sich. Unter der Gruppe der „Ereuthose dmotive“ finden sich vorwiegend 
junge Leute beiderlei Geschlechts, bei denen die Affection zur Zeit der Pubertät 
auftritt, ferner Frauen im Klimakterium; bei diesen ist der Zustand nur vorüber¬ 
gehend vorhanden und verschwindet im Laufe der Jahre. Bei anderen dauert er 
fort, gleichsam einen Bestandtheil des Temperaments bildend; diese finden sich unter 
den Individuen mit schwacher Constitution; es sind Tuberculöse, Arthritiker, Neuro- 
pathen. Die „Ereuthophoben“ sind constitutioneile Neurastheniker, einige direct als 
hereditär Entartete zu bezeichnen. Von dieser letzteren Gruppe haben die Verff. 
8 Fälle beobachtet. An der Hand dieser wird die Entwickelung und Symptomato¬ 
logie des Leidens ausführlich geschildert. Die Verff. heben hervor, dass die Fälle 
erkennen lassen, dass bei der Entwickelung des Leidens das vasomotorische Moment, 
die Tendenz zum Erröthen, welche gewöhnlich ererbt ist, die Scene eröffnet, dann 
kommt das emotionelle Moment, das Gefühl der Verwirrung und Verlegenheit, hinzu, 
dann erst das intellectuelle, die Zwangsvorstellung. 

Den Schluss der Arbeit bildet eine psychologische Analyse der Affection, welche 
die Verff. zu der Ansicht führt, dass bei derselben die Emotion das fundamentale 
und constante Element ist und nicht die Vorstellung. M. Weil (Stuttgart). 


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HL Aub den Gesellschaften. 


Verhandlungen des 16. CongresBes für innere Medioin 
vom 13.—16. April 1698 zu Wiesbaden. 

Von Vorträgen neurologischen Inhaltes heben wir Folgende hervor: 

Edinger (Frankfurt a./M.): Experimentelle Erzeugung tabes&hnlioher 
Büokenmarkskrankheiten. 

Wenn die Anforderungen, welche man an die Leistung einer Nervenfaser stellt, 
abnorm hohe sind, dann reicht der normalerweise der Function gegen&berstehende 
Ersatz nicht aus, und es kann zu Zerfall der Faser kommen. Die sogen. Arbeite* 
paresen sind dafür gute Beispiele. Es kann auch — falls der Körper geschwächt 
ist — der normalen Function gegenüber der Ersatz ungenügend sein. Dann wird 
schon diese zu Faseruntergang führen können. Der Vortr. hat an diese Leitsätze 
anknüpfend schon vor Jahren eine Hypothese mitgetheilt, welche besagt, dass viele 
Nervenkrankheiten, insbesondere die der Neuritis und der Tabes nahestehenden so 
zu Stande kommen, dass im durch Syphilis, Heredität u. s. w. disponirten Organismus 
der normalen Function ein ungenügender Ersatz gegenübersteht. Ein besonders gutes 
Beispiel für seine damals ausführlich erörterten Ansichten boten die Bückenmarkskrank* 
beiten der Anämischen, denen er heute die bei Cachektischen, Carcinomatösen, Ad¬ 
dison u. s. w. vorkommenden Affectionen anschliesst. Der bis dahin nur klinisch ge* 
stützten Lehre hat er jetzt im Verein mit Helbing eine experimentelle Basis geben 
können. Wenn man gesunde Batten lange schwer arbeiten lässt, erkranken neben spur* 
weisen Veränderungen in verschiedenen Theilen des Bückenmarks die Hinterstränge und 
Hinterwurzeln ganz wie bei Tabes. Sie degeneriren progressiv. Viel schneller aber 
kann man die tabesartigen Veränderungen bekommen, wenn man die Tbiere während 
der ganzen Versuchszeit anämisch hält. Das zu der Anämisirung nach dem Vorgänge 
von v. Voss benutzte Pyrodin erzeugt an sich so gut wie keine Veränderungen. 
Damit ist jedenfalls der sichere Nachweis erbracht, dass Hyperfunction, 
auch relative, imstande ist Hinterwurzelkrankheiten zu erzeugen. Für 
die Auffassung und die Therapie der Tabes ergeben sich hier neue 
Gesichtspunkte. Vortr. erläutert an den einzelnen Tabessymptomen wie sie alle 
in der Beibenfolge der Inanspruchnahme zu Stande kommen, wie die Function auf 
krankhaftem Boden das Symptomenbild schafft. Wie die wechselnde Beleuchtung 
zunächst den Lichtreflex der Pupillen, die viel in Anspruch genommene Accommo* 
dation später den entsprechenden Beflex zum Untergang bringt, wie die satischen 
Apparate und die Sehnenreflexe früh leiden müssen und wie sich später auch die 
reeistenteren motorischen Neurone (Zungen und andere Muskelatrophieen) als ge* 
schädigt verrathen. Gelegentlich, aber seltener werden sogar die Magen* und Herz* 
nerven geschädigt. Die Blasenlähmung fasst Vortr. ganz speciell als entstanden 
durch zu langes Harnhalten auf. Sie lässt sich vermeiden, ja es gelingt überhaupt 
dem Fortschreiten der Ataxie und anderer Störungen Einhalt zu gebieten, wenn man 
den Grundsätzen entsprechend handelt, welche die Functionshypothese bringt. Vortr. 
hat, seit er so verfährt, nur noch ganz wenige Fälle von Tabes schlechter werden 
gesehen. Vortr. glaubt auch durch entsprechende Bathschläge an Syphilitische und 
an solche, welche bereits Frühsymptome der Tabes zeigten, dein Fortschritt da und 
dort Einhalt geboten zu haben. Auf die therapeutischen Grundsätze wurde näher 
eingegangen und speciell davor gewarnt die jetzt viel getriebene Bewegungstherapie 
anzuwenden, wenn man nicht durch ein gut graduirtes Gewicht das Gewicht der 
Beine ausgleichen kann. Jede Anstrengung kann bei Tabischen zum Verlust des 
angestrengten Neurons führen. Genaue Anamnesen zeigen, dass in ziemlich allen 
vom Vortr. beobachteten Fällen der Anstrengung eine verursachende, bezw. ver* 


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schleohtemde Wirkung zukam. Einige Beispiele erläutern, dass isolirte Theile, eine 
Pupille allein, die Anne, welche Krücken tragen u. s. w., erkranken können. 

In der Debatte wies Vortr. darauf hin, dass das motorische Neuron zweifellos 
resistenter sei, als das sensible, dass es dabei bekanntlich bei alten Tabesfallen auch 
erkranken könne. Schulze antwortend will er nicht leugnen, dass auch Giftwirkung 
da und dort vorhanden sein könne, aber er verlangt jedesmal den Nachweis, wie 
viel dem Gifte und wie viel nur der Functionsweise an der Schädigung zukommt. 
Einschlagende Versuche, die diphtherischen Lähmungen betreffend, sind im Gange. 

Der von Stricker berichtete Fall von rasch eintretender Athemschwäehe bei ^ 
einem Individuum mit angeborenem atrophischen Vagus findet ein Analogon in der 
Friedreich’schen Tabes, deren Veränderungen Vortr. auffasst als zu Stande kommend 
durch die Function des Gehens und Stehens bei Individuen mit angeborenem kleinen 
Rückenmarke. Das gleiche gilt für die cerebellaro Form der gleichen Krankheit, wo 
mehrfach zu kleines Cerebellum gefunden worden ist. Immer handelt es sich, ganz 
wie bei den Versuchsratten, um einen Faseruntergang, wo der normalen Function 
ein ungenügender Ersatz gegenübersteht. 

Discussion: 

P. Jacob (Berlin) knüpft an die Bemerkungen Edinger’s an, dass bei der 
Uebungstherapie die grösste Vorsicht anzuwenden sei, um keine Ueberanstrengungen 
hervorzufen. J. hat gelegentlich seiner Vorträge über dieses Thema nachdrücklichst 
gerade auf diesen Punkt hingewiesen, und betont, dass die Uebungstherapie nur 
.unter Aufsicht eines in derselben bewanderten Arztes vorgenommen werden sollte. 
Während der ersten Wochen sollen die Glieder der Patienten theils passiv durch 
geeignete Schwebevorrichtungen, Galgen u. s. w., theils activ durch die Hand des 
Arztes gehalten und an die betreffenden Punkte die getroffen werden sollen, geführt 
werden; und erst allmählich wird den Patienten eine gewisse Selbständigkeit ein¬ 
geräumt. Schliesslich betont J. noch, dass es zwar nicht unbedingt erforderlich, 
aber aus den verschiedenen Gründen sehr zweckmässig ist, die Uebungstherapie an 
geeigneten Apparaten auszuführen. 

J. Gad (Prag): Physiologisches zur Neuronlehre. 

Vortr. hebt hervor, dass die neueren Bereicherungen unserer Kenntnisse von dem 
feineren Bau des Centralnervensystems das wahre, physiologische Verständniss noch 
wenig gefördert haben. Die Zahl der mit den histologischen Befunden vereinbarten 
Erklärungsmöglichkeiten und Hand in Hand damit die Zuversicht auf eine schliess- 
liche Erklärung vieler centraler Processe sei zwar gewachsen, die Entscheidung 
zwischen den verschiedenen Erklärungsmöglichkeiten zunächst aber erheblich erschwert. 
Mit den Collateralen namentlich sei der Hypothesenbildung Thür und Thor geöffnet. 
Unter allen Umständen müsse an dem Grundsatz festgehalten werden, dass die für 
die peripherischen Nervenfasern sicher nachgewiesene Doppelsinnigkeit der Leitungs¬ 
fähigkeit im Centralnervensystem Unterbrechungen erfahre. Auf Grund physiologischer 
Thatsachen tritt Vortr. dafür ein, dass die Nervenzellen des Centralnervensystems 
Durchgangsorte der Erregung seien und doch in oder zwischen ihnen Hindernisse 
für allseitige Ausbreitung der Erregung gegeben wären. Vortr. vertlieidigt zwar 
gegen K öl liker seine Auffassung der Protoplasmafortsätze (zunächst der motorischen 
Ganglienzellen) als erregungsleitende Gebilde, glaubt aber auf Grund physiologischer 
Thatsachen (ebenso wie Bamön y Cajal auf Grund histologischer) annehmen zu 
müssen, dass sie die Erregung (oder Hemmung) nur ihrer eigenen Zelle und deren 
Axencylinderfortsatz übermitteln und nicht von ihr aus weiter tragen zu anderen 
Neuronen. Die Spinalganglienzelle werde wahrscheinlich von der durch die sensible 
Nervenfaser zugeleiteten Erregung durchsetzt und diese gelange erst durch Ver¬ 
mittelung der Zelle zur hinteren Wurzelfaser, doch erscheine es deshalb nicht geboten, 
erstere als Protoplasmafortsatz und nur letztere als Axencylinderfortsatz zu deuten; 

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hierfür fehle die histologische Grundlage. Vortr. discutirt ferner die mögliche Be¬ 
deutung einiger seltener histologischer Befunde, so von Collateralen an Axencylinder- 
fortsätzen motorischer Nervenzellen; von langen Protoplasmafortsätzen dieser Zellen, 
welche sich erst nach Kreuzung in der centralen Commissur zu Dendriten auflösen; 
sowie von Collateralen der Vorderseitenstrangfasem, welche sich in den Hintersäulen 
zu Endbäumchen auflösen, um sich mit solchen von hinteren Wurzel fasern zu ver¬ 
schränken. 

Oscar Wyss (Zürich): Ueber aoute hämorrhagische Myelitis. 

Vortr. berichtet über eine klinisch und makroskopisch anatomisch als acut« 
hämorrhagische Myelitis zu deutende Erkrankung, in welcher durch genaue histo¬ 
logische Untersuchung nachgewiesen werden konnte: 

1. die durch die ganze Länge des Bückenmarks verbreiteten, in dessen Mitte 
maximalen Blutextravasate sind bedingt durch vielfache Venenthrombosen der Venen 
des Bückenmarks, sowie zum Theil auch der Pia; 

2. der sichere Nachweis, dass die Thromben intra vitam existiren, ist durch 

a) die stellenweise reichlichen hyalinen Thromben in kleineren Gefässen, 

b) durch Blutplättchenthromben und geschichtete Thromben in grösseren, 

c) durch ßeactionserscheinungen seitens der Gefässwandungen (Leukocyten- 
infiltration der letzteren; Imigration von Leukocyten in den Thrombus von der Venen¬ 
wand her) geleistet; 

3. die Thrombosen und die Blutextravasate sind die Ursache der Bückenmarks¬ 
erweichung, bezw. sogen. Myelitis (hoc loco im anatomischen und klinischen Sinne); 

4. als Ursache der Bückenmarksvenenthrombose ist, da die Arterien an der 
Ocdusion nicht participirten, ein vorhandenes Neoplasma, ein Gliosarcom der Rücken¬ 
markssubstanz aufzufaasen, das das Bückenmark an einer umschriebenen Stelle com- 
primirte und theilweise auch zerstört hatte; 

5. der Tumor selbst war derart von thrombosirten Gefässen und Blutextravasaten 
durchsetzt, dass seine makroskopische Erkennung unmöglich, und sogar seine mikro¬ 
skopische Diagnose sehr erschwert war. Die Klarlegung des Falles ist nur der 
modernen histologischen Färbetechnik und Serienschnitten zu verdanken. 

Jacob (Berlin): Ueber Duralinfosion. 

Im Jahre 1891 hatte Quincke auf dem 10. Congress für innere Medicin über 
ein neues Verfahren berichtet, nach welchem es ihm gelungen war, durch Einstich 
in den Bückenmarkscanal die darin befindliche Flüssigkeit zu entleeren. Diese von 
Quinke als Lumbalpunction bezeichnete Methode ist während der letzten Jahre von 
den meisten Kliniken aufgenommen worden und hat wichtige diagnostische Auf¬ 
schlüsse ergeben; dagegen hat dieselbe therapeutisch nur wenig geleistet Um letzteres 
zu erreichen hat Vortr. seit 2 Jahren Versuche ausgeführt und berichtet über die¬ 
selben. Diese Versuche bezwecken zunächst, genaueren Aufschluss über die Druck¬ 
verhältnisse zu erheben, welche in der Hirnrückenmarkshöhle unter normalen wie 
pathologischen Verhältnissen bestehen. 

Es ergab sich, dass es gelingt, bei normalen Thieren grosse Mengen von Flüssig¬ 
keit in die Hirnrückenmarkshöhle zu infundiren, ohne dass irgend welche erhebliche 
Störungen danach eintreten. Aus diesem Grunde wird die von dem Vortr. als Dural¬ 
infusion benannte Methode in manchen Fällen von Hirnhautentzündung u. s. w. 
Günstiges leisten können, um so mehr, als wie aus einer zweiten Beihe von Ver¬ 
suchen hervorgeht es auch gelingt, direct medicamentöse Stoffe in den Subarachnoidal¬ 
raum zu bringen. Die Versuche wurden bisher grösstentheils an Hunden ausgeführt; 
doch glaubt der Vortr. dieselben soweit abgeschlossen zu haben, dass er die An¬ 
wendung der Methode auch in den diesbezüglichen Krankheitsfällen beim Menschen 
empfehlen kann. 

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Sternberg (Wien): Ueber die Lähmungen des toaeeren Aeoeeeoiiaeeatea. 

Qenaae Kenntniss der Nerven, welche die Halsmuskeln versorgen, ist für die 
Beurtheilung der Lähmungen und die Diagnose vieler Rückenmarkskrankheiten äusserst 
wichtig. Ueber die Verhältnisse im Gebiete des sogen, äusseren Astes dos N. acces- 
sorius besass man nun bisher keine gesicherten Kenntnisse, weil die massgebendsten 
Forscher ihre Schlosse nur ans klinischen Beobachtungen abgeleitet und wider* 
sprechende Resultate erhalten hatten. Vortr. hat Experimente an Affen angestellt. 
Die seit 2 Jahrhunderten rätbselhafte „doppelte“ Innervation des Sternocleidomastoideus 
durch den Accessorius und die Cervicalnerven klärt sich dahin auf, dass der Acces* 
sorius die motorische, die Cervicaläste die sensible Innervation dieses Muskels be* 
sorgen. Der Trapezius wird von beiden Nervenästen motorisch versorgt. Neue 
Beobachtungen des Vortr. bestätigen die Ansicht Remak's Ober die VertheilOng der 
Nervenfasern in diesem Muskel, insbesondere ein Fall von Lähmung, die dadurch 
entstanden war, dass ein Kind zum Scherze am Kopfe in die Hohe gehoben werde. 

Kohlrausch (Hannover): Ueber Aufnahme photographischer Bilder* 
reihen vom Gange nervenkranker Personen nnd deren Wiedergabe daroh 
Frojeotton. 

Die vorsufOhrenden Bilderreihen sind mit einem vom Vortr. construirten Apparat 
in grossem Format auf 25 Platten (9X12 cm) aufgenommen und werden in gleicher 
Tactfolge, wie bei der Aufnahme, wieder auf die Leinwand projicirt So werden die 
Eigentümlichkeiten der GangstOrungen verschiedener Krankheitsformen, Tabes dors. 
in verschiedenen Stadien, Herdsclerose, Schüttellähmung u. a. m. an überlebensgrossen 
Figuren sichtbar gemacht. Vortr. verdankt diese Anregung Herrn Prof. Hitzig (Halle). 

Der Aufnahmeapparat, ursprünglich für physikalische Untersuchungen und zur 
Zerlegung turnerischer Bewegungen hergestellt (auch solche turnerischen Bewegungen 
werden vorgeführt), ist zur Untersuchung kurzer periodischer BewegungsVorgänge, 
wie des Doppelschrittes eines Kranken, besonders geeignet, weil die Bilder ver- 
hältnissmä8sig gross nnd detailreich werden, und weil die Aufnahme in völligem 
Gleichtact erfolgt. Er ist älter als der Kinematograph, der die grossere Zahl von 
Bildern vor jenem voraus hat, also für länger dauernde Bewegungsvorgänge besser 
geeignet ist, aber sehr viel kleinere Bilder liefert und keine Gewähr für gleich- 
mässige Tactfolge bietet 

Die Aufnahmen erfolgen bei dem Apparat vom Vortr. auf rotirenden Platten 
hinter rotirenden Objectiven, die Wiedergabe geschieht vermittels rotirenden Lichtes 
durch Diapositive, die im Kreise festgestellt sind. Der Projectionsapparat ist äusserst 
einfach construirt (auch die Auswechselung der Bilderreihen ist leicht und schnell 
zu bewerkstelligen) und würde sich besonders zur Demonstration der GangstOrungen 
beim klinischen Unterricht eignen, da die Bilder sehr gross, klar und detailreich 
sind und in Folge der Herstellung der Diapositive ruhig liegen. 

Vortr. demonstrirte seinen Apparat am 16. April im Kurhause etwa 60 Mitgliedern 
des Congresses. 

B. Laquer (Wiesbaden). 


Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten. 

Einsendungen für die Redaction sind zu richten an Prof. Dr. B. Mendel, 
Berlin, NW. Schiffbauerdamm 20. 

Verlag von Veit & Coup, in Leipzig. — Druck von Metzger & Wütig in Leipzig. 


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Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie 
und Therapie des Nervensystems einschliesslich der Geisteskrankheiten. 

Herausgegeben von 

Professor Dr.E. Mendel 

Siebzehnter ** B#pMn ’ Jahrgang. 

Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 24 Mark. Zu beziehen durch 
alle Buchhandlungen des In- und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie 

direct von der Verlagsbuchhandlung. 

1896L 157Mai. " ' Nr.JO. 

I. Originalmittheilungen. 1. Beitrag zum Faserverlauf der Hinterwurzeln im Cervieal- 
marke des Menschen, von Docent Dr. Karl Schaffer. 2. Nervenendigung in den Central¬ 
organen, von Dr. med. Leopold Auerbach, Nervenarzt zu Frankfurt a./M. 

II. Referate. Anatomie. 1. De oorsprong der motorische oogzenurven bij de vogels, 
door Jelgersma. 2. lieber die Ziele der modernen Nervenzellenforschungen, von Goldscheider 
und Flatau. — Experimentelle Physiologie. 3. La non-equivalence des deux hömi- 
spheres cerebraux, par .Klippel. 4. The vaso-constrictor fibres of the great auricular nerve in 
the rabbit, by Fletcher. 5. Der Einfluss des Quecksilbers auf das Nervensystem des Kaninchens, 
von Brauer. " 6. Deber Bogengänge und Raumsinn, von Breuer. 7. Sülle funzioni dei canali 
semicircolari, per Lugari. — Pathologische Anatomie. 8. Ricerche sulle lesioni delie 
fibre nervöse spinali nelle psiconevrosi acute e contributo anatomico allo studio della paralisi 
spinale spastica, per Donaggio. 9. Solle alterazioni delie cell ule Dervose dell' asse cerebro¬ 
spinale con$ecutivc all' inanizione, per Ganfini. 10. Changes in the central nervous system 
after aseptic injury, by Sailer. — Pathologie des Nervensystems. 11. Patogenesi e 
semeiologia della vertigine, per Silvagni. 12. Einige Bemerkungen zur Lehre vom Ohren¬ 
schwindel, von Ebstein. 13. Ueber einen typischen Fall von Meniere’scher Affection. — 
Heilung, von Bing. 14. Les hydrocephalies, par d 1 Astros. 15. Sarcoraa della fossa cranica 
posteriore destra con idrocefalo e kcuIu di liquido cerebro-spinale del naso, per Campo. 
16. Chronic hydroeephalus treated by intercranial drainage, by Sutherland, 17. .Ein Beitrag 
zu den selteneren Fällen der Sehstörungen bei intraeraniellen Erkrankungen, von Uhthoff. 
18. Die Bedeutung der Augenstöruugen für die Diagnose der Hirn- und Rückenmarks¬ 
krankheiten, von Schwarz. 19. Ein transparenter Kugelperimeter aus Celluloid für den Hand¬ 
gebrauch, von Ascher. 20. Contributo. allo studio delie paralisi alternauti dei muscoli ocülari, 
per Mingazzini. 21. Remarques sur quelques troubles oculaires dependant de l’etat general, 
par Berger. 22. Zur Symptomatologie der Augenmuskellähmungen, von Sachs. 23. Augen¬ 
muskellähmungen durch Geschwulstmetastasen, von Elschnig. 24. Doppelseitige congenitale 
externe Ophthalmoplegie, von PflUger. 25. La dissociation de la vision binoculaire chez 
quelques strabiques et quelques hysteriques, ä propos d'un cas d'ainaurose monoculaire 
hysterique, par Antonelli. 26. Geber Paralysis agitans und ihre Behandlung, von Erb. 
27. Paralysis agitans und Seniiität. von Saiider. 28. Paralysis agitans at thirty-fuur years 
of ago, immediately following typhoid fever, by Fry. 29. Ueber das Zittern bei Paralysis 
agitans, von Gerhardt. 30. Tremor ten gevolge van infiuenza, door de Buck en de Moor. 
31. Psychro-aesthesia (cold sensations) and psychro-algia (cold pains), by Dana. 32. Ein 
Beitrag zu den J primären combinirten Systemerkrankuugen im Kindesalter, von Luce. 
33. Ueber amyotrophisch-paretische Formen der combinirten Erkrankungen von Nervenbahnen 
(sog. primäre "combinirte, Systemerkrankungj, von Pal. — Psychiatrie. 34. La confusion 
mentale primitive et secondaire, par de Montyel. 35. Acute hallueinatore waanzin, genezen 
door cataractextractie, door Meljer. 36. Een paar gevallen van periodische Krankzinnigheid, 
door van Kip. 

III. Aus den Gesellschaften. Unterelsässischer Aerzteverein in Strassburg. — Gesellschaft 
der Neuropathölogen und Irrenärzte zu Moskau. 

IV. Bibliographie. Gehirndurchschnitte zur Erläuterung des Faserverlaufs, von Nebelthau. 

V. Mittheilung an den Herausgeber und Erwiderung darauf. 

VI. Vermischtes. XX1I1. Wandei Versammlung der süd w estdeutschen Neurologen und 
Irrenärzte. 


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I. Originalmittheilungen. 


[Aus der Nervenabtheilung und dem histolog. Laboratorium des städtischen 
Sichenhauses „Elisabeth“ in Budapest] 

1. Beitrag zum Faserverlauf der .Hinterwurzeln im 
Cervicalmarke des Menschen. 

Von Docent Dr. Karl Schaffer, Ordinarius der Abtheilung. 


Die Frage über den Aufbau der Hinterstränge, speciell über die Rolle der 
Hinterwurzeln ist, trotz der sich immer häufenden , so experimentellen wie 
pathologisch-anatomischen Forschungen, in all ihren Einzelheiten noch nicht 
gelöst Die fundamentalen Arbeiten von Singer und Mürzer, von Kahler 
und Pick, welche eine erfreuliche Bestätigung durch die Mittheilungen von 
Sottas, Pfeiffer, Souques u. A. gefunden haben, entheben uns allerdings 
nicht der Aufgabe, Fälle von reinen WurzeHäsionen beim Menschen zu bearbeiten, 
um dadurch die Kenntniss über die Antheilnahme der dorsalen Wurzeln im 
Aufbau der Hinterstränge zu vertiefen. Im Nachfolgenden will ich eben über 
zwei Fälle von Wurzelerkrankung, berichten, welche sehr geeignet sind, einen 
Beitrag zur oben angeführten Frage zu liefern; vorangehend sei mir jedoch 
eine kurze Bemerkung über die Forschungsmethoden des fraglichen Themas 
gestattet. 

Die Erschliessung des Aufbaues der Hintersträpge geschah lediglich mit 
Hülfe zweier Methoden! Die ältere, in ihren Resultaten jedoch noch nicht ab¬ 
geschlossene Methode ist die Markscheidenentwickelung Flechsig’s, welche in 
den Hintersträngen je nach der Reihenfolge der Medullarisation sich abgrenzende 
verschiedene Territorien ergab . 1 Nachdem die wesentliche Antheilnahme der 
dorsalen Rückenmarkswurzeln im Aufbau der Hinterstränge genügsam bekannt 
ist, so steht es wohl ausser allem Zweifel, dass die nach gewissen Arealen sich 
vollziehende Medullarisation der Hinterstränge gleichbedeutend ist mit der, in 
gewissen Portionen der dorsalen Rückenmarkswurzeln ablaufenden Markscheiden¬ 
bildung. Die Myelinisation stellt somit einen electiven,' weil gesetzmässig 
auf bestimmte "Wurzelabschnitte i. e. Hinterstrangstellen sich beschränkenden 
Vorgang dar, von welchem in manchen Punkten die Resultate der soeben zu 
erwähnenden zweiten Untersuchungsmethode abweichen. Letztere besteht darin, 
dass entweder experimentell mit dem Messer am Thiere, oder durch einen 
circumscripten pathologischen Process am Menschen (carcinomatöse oder tuber- 

1 Besonders Flechsig : Ist die Tabes eine Systemerkrankung? Neurolog. Central¬ 
blatt. 1890. 


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culöse Umwachsung und schliesslich Erstickung der Hinterwurzeln) die dorsalen 
Rückenmarkswurzeln zerstört werden und durch die darauffolgende secundäre 
Degeneration der intraspinale Verlauf sichtbar gemacht wird (Singer, S ingeb 
u. Münzer, Kahler u. Pick, Schültze, Tooth, Sottas, Sodques, Dejebine, 
Pfeiffer, C. Mayer u. A.). 

Sollen wir nun in Flechsig’s Zonen gewisse Systeme erblicken, welche 
aus dem gesammten sensiblen System in Folge des electiven Vorganges der 
Myelinisatiou sich herausheben, und welchen eventuell gewissermaassen differente 
physiologische'Leistungen zukommen (?), so erscheint die. experimentell-patho¬ 
logische Methode, wie aus Obigem ersichtlich, nur zur Feststellung der Topo¬ 
graphie der Wurzelantheile der Hinterstränge. Beide Methoden haben ihre Be¬ 
rechtigung und Nutzen; insbesondere ist die experimentell-pathologische Methode 
in Folge ihrer einfachen und präcisen Resultate in erster Linie dazu geeignet, 
uns über die Rolle der dorsalen Rückenmarkwurzeln im Aufbau der Hinter¬ 
stränge einen klaren Einblick zu verschaffen. 

Fall 1. Bei der 70jährigen Frau lautete die Diagnose auf Pachymenin- 
gitis cervicalis. Die Section ergab eine, der dorsalen Fläche der spinalen Dura 
entlang der obersten drei Dorsalwurzeln anhaftende tuberculöse Granulation 
(s. Fig. 1), sowie eine Verdickung der Dura. Die zweite und dritte Dorsalwurzel 
beiderseits ist zwischen dem Spinalganglion und dem Duralsack in ein dickes 
Granulationsgewebe ebenfalls tuberculöser Natur eingebettet. Dementsprechend 
erscheinen die 2 : und 3. hintere Dorsalwurzel bereits makroskopisch abgeplattet, 
gelblich durchscheinend, total degenerirt (s. Fig. 1), während die Vorderwurzel 
derselben Höhe mikroskopisch eine Entartung viel minderen Charakters zeigt, 
nämlich stellenweise hochgradige Varicosität und Myelinschollen nebst dilatirter, 
prall gefüllter Gefässe, central in der motorischen Wurzel liegend. 

Dieses Bild entspricht wohl sicher der von Bregmann, Darksohewitsch, 
C. Mayer u. A. beschriebenen aufsteigenden Degeneration dennotorischen Hiru- 
Rückenmarksnerven. Mikroskopisch zeigt das Rückenmark in der Höhe zwischen 
3. Dorsal- und 8. CerVicalwurzel ganz beginnend-myelitische Veränderungen: 
das Mark ist diffus, auf dem ganzen Querschnitt blasig gedunsen, Gefässe prall 
gefüllt, stellenweise erscheint die weisse Substanz siebartig durchlöchert Von 
der 8. Cervicalwurzel aufwärts hören aber diese Erscheinungen vollkommen auf, 
die graue wie weisse Rückenmarkssabstanz erscheint vollkommen intact, ab¬ 
gesehen von jenen secundären Veränderungen in den Hintersträngen, welche 
aus der-totalen Degeneration der 2. und 8. sensiblen Dorsalwurzel sich ergeben 
müssen. Wie ein Blick auf die Figg. 1—4 lehrt, so erscheinen in den Hinter¬ 
strängen rechts und links symmetrisch gelegene Degenerationsstreifen, welche, 
im obersten Dorsalmarke noch dem Apex des Hinterhorns anliegend, aufwärts 
bereits median gelagert sind. Des Näheren gestaltet sich der Verlauf des ent¬ 
arteten Streifen folgend: 

2. Dorsalwurzel. (Fig. I. 1 ) Der Spitze des Hinterhorus liegt beiderseits 


1 Sämratliche Figuren sind nach Weigbbt behandelten Präparaten gezeichnet. 

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ein schmaler lichter Streifen an, welcher aus, au markhaltigen Fasern armem 
Gewebe besteht. Diese Stelle entspricht der sogen. Wurzelzone. 

8. Cervicalwurzel. (Fig. 2.) Der degenerative Streifen hat eine auf¬ 
fallende Verschiebung medianwiirts erlitten, indem derselbe hart an das Septum 
paramediauum gerückt ist, von welchem es an der dorsalen Peripherie des 
Hinterstrauges nur durch einen kleinen dreieckigen Zwickel markhaltigen Ge¬ 
webes (z) getrennt ist. Der Streifen hat die Form eines schwach gekrümmten 
Bogens, dessen Convexität einwärts gerichtet ist und dessen zwei Enden schwach 
keulenförmige Anschwellungen aufweisen. Der' dorsale Keul des entarteten 
Streifens reicht bis an die dorsale Peripherie des Hinterstranges, während der 
ventrale Keul den lateralen Theil der hinteren Commissur streift. Aus dem bogen- 


Fig. 1. D/i — hyperplastische Dura, 

A = Arachnoidea, s = degenerirte sensible 
Wurzeln, in = aufsteigend entartete moto¬ 
rische Wurzeln, T = tuberculöse Granu¬ 
lation. 


markbaltiges Gewebe 


förmigen Verlauf wird es verständlich, dass der Scheitel des entarteten Bogens 
fast an den mittleren Theil des Septum paramediauum heraurückt, während 
die abgekrümmteu, keulenförmigen Endstücke bereits im medialen Abschnitte 
des sogen BuRUACH’schen Stranges zu liegen kommen. 

5. Cervicalwurzel. -(Fig. 3.) Der degenerative Streifen behält seine Po¬ 
sition, nur seine Form ändert sich, indem der Scheitel des Bogens sich aus¬ 
wärts krümmt, somit mit seiner Convexität nun auswärts blickt. Die knopf- 
förmigen Eudanschwellungen nehmen beinahe denselben Platz ein wie. in der 
Höhe der 8. Cervicalwurzel, nur mit dem Bemerken, dass der dorsale Keul das 
Septum paramediauum so zu sagen berührt, während der ventrale Keul mit 
seiner schwanzähnlichen Verjüngung dem Septum medianum beinahe auliegt. 
Somit erscheint, Alles in Allem, der degenerative Streifen in dieser Höhe noch 
mehr mediauwärts gerückt. 

2. Cervicalwurzel. (Fig. 4.) Die degenerirte Zone liegt dem flascheu- 
förmigeu GoLL’schen Strang eng an, hat die Form eines auswärts convexen 
Bogens, welcher mit seinem dorsalen Ende die hiutere Peripherie des Hinter- 


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Stranges erreicht, während sein ventrales Ende dem Septum medianum post, 
sich eng anschmiegt und die hintere Commissur streift. 

Ausser der soeben geschilderten aufsteigenden Degeneration liess sich 
im vorliegenden Falle auch eine absteigende Entartung wahrnehmen, welche 
darin besteht, dass in der Höhe der 4. Dorsalwurzel in beiden Hintersträngeu 
symmetrisch gelegene, schwache Entartung zeigende Stellen sich vorfinden, 
welche genau dem ScHULTZE’scheu Komma entsprechen (s. Fig. 5). Tiefer liess 
sich diese Degeneration nicht verfolgen. 

Das kurze Resume des vorliegenden Falles lässt sich im Folgenden geben: 

Auf die Läsion der 2. und 3. Dorsalwurzel durch UnWucherung mittelst 
tuberculöser Granulation entsteht die totale Entartung der genannten Wurzeln 
und zwar nicht nur in deren extraspinalen, jedoch intraduralen, sondern zu¬ 
gleich iu dem intraspinalen Verlauf derselben. Die iutramedulläre Wurzel- 
degeneration giebt sich in der Höhe der 2. Dorsalwurzel durch ein, die Wurzel- 



Fig. 3.' 


Fig. 4. 


Fig. 5. 


zone uccupirendes, degeueratives Feld kund, welches in den höheren Etagen in 
Form eines bogenartigen Streifens entlang der ganzen Dicke des Hinterstranges 
immer näher dem Septum paramedianum, somit einwärts rückt, und letzteres 
iu der Höhe der 5., noch mehr aber iu jener der 2. Cervicalwurzel auch er¬ 
reicht. Somit erscheint der GoLL’sche Strang von der 5. Cerviealwurzel ange¬ 
fangen aufwärts von einem Saum degenerirten Gewebes umrändert, jedoch sei 
hier hervorgehoben, dass der entartete Saum nicht absolut degenerirt erscheint, 
da er in sich noch, wenn auch etwas spärlich, gesunde markhaltige Fasern 
birgt. Die geschilderte Wurzelläsion ist auf die Streke von einer Wurzel auch 
abwärts von absteigender Entartung gefolgt, welche dem Typus der Schultze- 
schen kommalörmigen Degeneration genau entspricht. 

Fall 2. Im Rückenmarke eines dementen, an paralytiformen Krämpfen 
leidenden Individuums fand ich nach Härtung in MüLLEit’scher Flüssigkeit die 
graue Degeneration der rechten 7. Cervicalwurzel und zwar iu deren extra- 
wie intraduralen Theil. worauf eine typische aufsteigende intraspinale Wurzel¬ 
degeneration im rechten Hinterstrange entstand. Die Einzelheiten des Falles 
lassen sich in folgender Weise darstellen: 

Der extradurale Theil der 7. rechten Cervicalwurzel (s. Fig. 6) zeigt voll¬ 
kommen normale vordere Wurzel, während die hintere Wurzel theils gesund, 


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theils entartet erscheint. Die WEioERT’schen Präparate demonstriren dieses 
Verhältniss klar; die kleinere Hälfte der hinteren Wurzel, welche durch einen 
starken Zug fibrösen Gewebes von der grösseren Hälfte getrennt ist, zeigt nur 
äusserst spärlich schwarzgefärbte Ringe, ist so zu sagen leer (Bps), während die 
grössere Hälfte mit, wenn auch etwas schwächer, geschwärztem Marke wie nor¬ 
mal besäet ist, ausgenommen ungefähr ein Viertel, welches durch ein etwas 
stärkeres Septum getrennt, gleichsam halb sklerosirt erscheint. Somit können 
wir in der hinteren Wurzel drei Zonen dem Markgehalt entsprechend unter¬ 
scheiden. Auf eine grosse Zone beinahe gesunden, markhaltigen Gewebes (Rp) 
folgt ein kleiner Abschnitt mit vorgeschrittener Skjerosiruug, hierauf erscheint 
eine dritte Zone, deren Sklerose als beendet betrachtet werdeu kann. Die tbeil- 
weise Entartung der hinteren Wurzel ist somit klar, nur fragt es sich, da im 
vorliegenden Falle keine, die Wurzel grob makroskopisch treffende Läsion sich 
constatiren liess, welchen Ursprunges die Wurzelsclerose ist. Zur Beleuchtung 



Fig. 6 . Ra = vordere Wurzel, Rp — bin- Fig. 7. Rp» = sklerotische hintere Wurzel, 
tere Wurzel, deren gesuudc Hälfte, Rps = 
sklerotische Hälfte der hinteren Wurzel. 

dieser Frage verfertigte ich aus denselben Schnitten mit Hämatoxyliu-Eosin ge¬ 
färbte Präparate, welche mir klar nach wiesen, dass um die Wurzel herum, be¬ 
sonders in den Bindegewebsspalten, eine reichliche Ansammlung von Rundzellen 
sich vorfiudet, die Gefässe prall gefüllt sind und mit verdickter Wand erscheinen. 
Eigentliche Zeichen einer Entzündung fehlten. Somit wiesen die Hiimatoxylin- 
Eosin-Präparate einen chronisch-hyperplastischen Process in Peri-, Meso- und 
Endoneurium nach, von welchem sich die consecutive Entartung der Wurzel 
ohne Zwang ableiten lässt. Dieses Bild stimmt nach Ohigem vollkommen mit 
jenem überein, welches J. Nageotte 1 für die tabische Wurzeldegeneration als 
charakteristisch und pathogenetisch beschrieb. Verfolgen wir die soeben ge¬ 
schilderte extradurale Wurzeldegeneration aufwärts. 

Höhe der 7. Cervical wurzel. (Fig. 7.) Heller Fleck in der Wurzelzone 
rechts, welcher sich somit der Spitze des rechten Hinterhorns eng anschmiegt. 

5. Cervicalwurzel. (Fig. 8.) Im rechten BuKDACH’schen Strang findet 
sich ein degenerativer Streifen vor, welcher in der Form eines schwach ge- 

1 La lesion primitive du tabes. Paris. Steinheil, editeur, 1-895; sowie: Etüde sur un 
eas de tabes uniradiculaire chez un paralytique general. Revue Neurolog. 1896. 


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krümmten Bogens von der Gegend der Wurzelzone ventralwärts zieht. In 
seinem dorsalen Ende ist er vom Septum paramedianum durch einen breiten 
Zwickel normalen, markhaltigen Gewebes getrennt, der Scheitel des Bogens 
verläuft, ohne das Septum paramedianum zu erreichen, im BuBDACH’schen 
Strange, seine Spitze reicht bis au die hintere Commissur heran. 

4. Cervicalwurzel. (Fig. 9.) Lagerung des degenerativen Streifens wie 
oben. Bemerkenswerth ist der gleichfalls breite Zwickel zwischen dem Septum 



Fig. 8. • Fig. 9. 


paramedianum und dorsalem Ende des lichten Streifens, welcher im weiteren 
Verlauf auch getrennt bleibt vom paramedianen Septum. 

2. Cervicalwurzel. (Fig. 10.) Der degenerative Streif berührt den dor¬ 
salen Rand des Hinterstranges nicht mehr, da er in dieser Höhe nur mehr das 
mittlere und ventrale Drittel des BuBDACH’schen Stranges occupirt, wobei er 
so lateralwärts vom inneren Rande des Hinterhorns, wie auch vom GoLL’sohen 
Strange getrennt bleibt. 



Fig. io. Fig. u. 


Gleich wie Fall 1 weist auch dieser Fall eine ScHULTZE’sche absteigende 
kummaförmige Degeneration auf (s. Fig. 11) und zwar auch nur eine Wurzel¬ 
länge abwärts. Fernerhin möchte ich hierorts ebenfalls coustatiren, dass der 
degenerative Streifen nicht als absolut markloses Gewebe erscheint, sondern 
spärlich zerstreute normale Fasern enthält. 


Ueberblicken wir nun die oben kurz angeführten Einzelheiten zweier Fälle 
von isolirter Wurzelläsion, so müssen wir vor Allem als allgemeinste Thatsache 
hervorheben, dass bei Läsionen der obersten Brust- wie untersten Halswurzel so 


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in auf- wie absteigender Richtung eine intraspinale Degeneration erfolgt. In 
erster Linie sei die absteigende Degeneration erwähnt. 

Wie bekannt, wird der in den Hintersträngen bei Querläsionen des Rücken¬ 
marks vorkommenden absteigenden Entartung seit den Arbeiten von Westphal, 
Schultze, Kahler und Pick gebührendes Interesse zugewendet; die neuesten 
GoLGi’schen Forschungen, welche die Y-Spaltung der Hinterwurzelfasern er¬ 
schlossen, erleichterten das Yerständniss dieser Degeneration.. Doch sei vorweg 
hervorgehoben, dass die absteigende Hinterstrangsentartung in mehreren Formen 
erscheint; als sichergestellt sind zu betrachten die ScHULTZE’sche kommaförmige 
Degeneration, sowie die Entartung des ovalen Hinterstrangsfeldes. Eine gelungene 
Zusammenstellung dieser Arten der Degenerationen findet sich bei Redlich 1 
vor, weshalb auf diese Quelle hingewiesen sei. In meinen beiden Fällen fand 
sich jene Form vor, welche wir die ScHULTZE’sche Degeneration nennen. Es 
sei mir daher erlaubt an dieselbe anknüpfend, nur soviel zu erwähnen, als auch 
meine Fälle dazu geeignet sind, einen Beitrag zu der erwähnten Entartung zu 
liefern. 

Die Frage über die kommaförmige absteigende Entartung der Hinterstränge 
harrt noch einer einheitlichen Auffassung, da ein Theil der Autoren meint, die 
genannte Entartung wäre von einer Läsion der grauen Substanz und nie von 
einer Wurzelläsion abhängig, während Andere eben aus letzterer die erwähnte 
Erscheinung ableiteu. Schultze, der Entdecker, meint, dass die Degeneration 
den absteigenden Schenkeln der Hinterwurzeln entspreche, welcher Auffassung 
ich mich bereits im Jahre 1894 gelegentlich der Untersuchung eine Falles von 
Querläsion des Rückenmarks 2 anschloss. Damals erschien mir die absteigende 
Degeneration, auf Grund von Erwägung der modernen anatomischen Thatsachen, 
nur durch die Läsion von Wurzelfasern erklärlich, obschon mein Fäll einen 
directen Beweis hierzu nicht lieferte. Dieser hätte vielmehr zur Stütze der 
ersteren Auflassung dienen können, wonach nur die Affection der grauen Sub¬ 
stanz von der absteigenden Entartung gefolgt sei. Nicht allein Dejerine und 
Sottas 3 , sowie Gombault und Philipp 4 * * * , sondern auch Tooth und Marie 8 
folgen letzterer Ansicht; Tooth bekämpft Schultze’s Auffassung mit dem Ar¬ 
gument, dass die kommaförmige Degeneration bei experimenteller Durchschnei¬ 
dung der hinteren Wurzeln nicht zu beobachten ist und meint, dass es sich 
vielmehr um die Zerstörung von Commissuralfasern handle. Nun, soviel steht 
fest, dass bei Querläsionen des Rückenmarks die kommaförmige absteigende 
Entartung vorkommt; ein in letzterer Zeit von mir untersuchter Fall von Quer¬ 
läsion (Zerstörung des Brustmarkes in Folge von Spondylitis) liess dies deutlich 

1 Die Pathologie der tabischen Hinterstrangserkrankuug. 1897. Gustav Fischer. Jena. 

2 Beitrag z. Histol. d. sec. Degeneration. Arch. f. mikr. Anat. 1894. 

3 Sur la distribntion des flbres endogenes dans le cordon posterieur de la moelle et 

sur la Constitution du cordon de Goll. Extr. des Compt. rend. des seanc. de la Soc. de 

Biöl. 1895. 

* Archives de M4deciüe expöriment. 1897 und Sem. M6d. 1895. 

* Betons sur les maladies de la moelle. 


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erkennen. Wohl ist hervorzuheben, dass die so gründlichen Untersuchungen 
von Singer und Münzer 1 , welche am Thiere Wurzeldurchschneidungen be¬ 
handelten, sowie der klassische Fall von Pfeiffer 2 , welcher die von einem 
Tumor hervorgerufene Wurzelläsion (1. Dorsalwurzel) beim Menschen betraf, 
von einer absteigenden Entartung im Hinterstrange nichts erwähnen; sogar 
Pfeiffer hebt besonders hervor „unterhalb der 2. Brustwurzel lassen sich deut¬ 
liche Abweichungen von der Norm an grauer und weisser Substanz nicht mehr 
nachweisen“ (1. c.). Doch sind meines Erachtens diese negativen Fälle nicht 
beweisend gegen meine hier angeführten positiven Fälle, besonders nicht gegen 
meinen zweiten Fall, in welchem die denkbar reinste Wurzelläsion ohne eine 
Spur von spinaler (etwa myelitischer) Complication vorlag. Im Falle von 
Dejerine und Thomas 3 , welcher die isolirte Läsion der 8. Cervical- und 
1. Dorsalwurzel (links) durch eine gummöse Infiltration darstellte, liess sich 
gleichfalls eine absteigende Degeneration, ungefähr auf eine Wurzellänge 
verfolgen; aus diesem Falle, dessen aufsteigende Entartung unten noch erwähnt 
werden muss, folgern Dejerine und Thomas ebenso wie ich, eine Entartung 
des absteigenden Schenkels der hinteren Wurzel. Mit dieser Beobachtung recti- 
ficirt Dejerine seine mit Sottas gemachte (1. c.) Aeusserung: „La d6g6n6res- 
cence descendante en virgule de Schultze .... repond sans doute ä la d4- 
g6n6ration de ces fibres d’origine spinale, en effet, cette degönerescence qui 
s’observe ä la suite de 16sions transverses de la moelle dans lesquelles la sub- 
stance grise est atteinte, fait döfaut, ainsi que l’ont montrö Mm. (jombault et 
Philippe dans les lesions radiculaires extraspinales.“ 

Nageotte erwähnt in seinem Falle (1. c.) von isolirter Wurzelläsion (2. 
und 3. Dorsalwurzel) gleichfalls absteigende, dem Komma entsprechende De¬ 
generation. 

Fasse ich obige Erörterungen zusammeu, so lässt sich die Frage der ab¬ 
steigenden kommaförmigen Degeneration in folgender Weise zwanglos auffassen: 

Die absteigende Entartung der Hinterstränge kommt so bei totaler Quer¬ 
läsion des Rückenmarks, wie auch ganz sicher bei Läsion der hinteren Wurzeln 
vor. Da einerseits sichergestellte anatomische Thatsachen für absteigende 
Wurzelfasern im Hinterstrange sprechen, andererseits aber bei reiner Wurzel- 
lä8ion die ScHULTZE’sche Degeneration zweifellos zu constatiren ist: so halte ich 
entschieden dafür, dass 1. die absteigende Entartung der Hinterstränge durch 
Läsion absteigender Wurzelfasem zu erklären sei und 2. die Annahme endo¬ 
gener Nervenfasern in der Bildung des ScHULTZE’schen Bündelchens überflüssig 
ist. Denn bei einer Querläsion des Rückenmarks am Menschen sind hintere 
Wurzeln, wenn auch nur intramedullär, jedoch immer mitergriffen. Hiermit sei 
sicherlich nicht jene Ansicht angegriffen, nach welcher aus der grauen Substanz 

1 Beitr. z. Anat. des Centralnervensystems. Denkschr. d. kaiserl. Akad. Wien. 1890. 

1 Zwei Fälle von Lähmung der unteren Wurzeln des Plex. bracbialis. Deutsche Zeit¬ 
schrift f. Nervenheilk. 1891. 

3 Contributions ä l’etnde du trajet intra-mednllaire des racines posterieures dans la 
region cervicale et dorsale etc. Soc. de Biol. 189r>. 


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für die Hinterstrange Fasern entspringen; beweisen doch die Untersuchungen 
über Aortaligatur, wobei hauptsächlich die graue Substanz leidet, ausdrücklich, 
dass die Hinterstränge, insbesondere in deren Tentralem Abschnitte, erkranken. 
Doch ist die Form der Degeneration in beiden Fällen, d. h. bei der Aortaligatur 
und bei Wurzelläsion, ganz verschieden, wie dies ein Vergleich der Figuren von 
Singer und Münzer (1. c. Figg. 20 u. 21) und von mir (Figg. 5 u. 11) auf 
den ersten Blick lehrt. Somit hebe ich von Neuem hervor, dass meiner Ansicht 
gemäss im ScHULTZE’schen kommaförmigen Felde nur die absteigenden 
Schenkeln der hinteren Wurzeln enthalten sind; ob sich ihnen noch 
Fasern aus den Strangzellen des Hinterhoras beimischen, wie dies LenhossRk 1 
und Marie annehmen, könnte möglich sein, ist jedoch keinesfalls erwiesen. 

Schreiten wir nun zur Analyse der aufsteigenden Entartung meiner 
Fälle. Hier kann ich mich kurz fassen, da meine Resultate mit den Beobach¬ 
tungen von Pfeiffer 2 , Sottas 8 , Dejerine und Thomas 4 , gleichwie mit den 
experimentellen Ergebnissen von Singer und Münzer 6 vollkommen überein¬ 
stimmen. Meine Fälle sind gleichfalls dem KAHi<ER-SiNGER’schen Gesetze con- 
form, d. h. die degenerirten intramedullären Wurzelfortsätze rücken von der 
Wurzeleintrittzone successive einwärts im Verlaufe von der Höhe der lädirten 
Wurzel angefangen gegen die Oblongata hinauf, sowie die den entarteten obersten 
Dorsal- und untersten Cervicalwurzeln entsprechenden Zonen liegen vom Septum 
paramediauum auswärts. 

Bezüglich des ersten Punktes sei hervorgehoben, dass meine Präparate das 
Einwärtsrücken der degenerirten Zone derart erkennen lassen, dass in der auf 
die degenerirte Wurzel folgenden nächsten Wurzelhöhe die entartete Stelle viel¬ 
mehr ventralwärts als seitlich einwärts geschoben erscheint, da der helle Fleck 
dem Kopf des Hiuterhorns auliegend ist, von welchem er nur durch einen 
schmalen Streifen von gesunder Markbrücke getrennt ist. Nun folgt in der 
nächsten Etage das wirkliche Einwärtsrücken, indem die wirkliche Zone etwa 
in die Mitte zwischen Hinterhora und Septum paramedianum post, gelagert 
erscheint; schliesslich rückt sie hart an dieses Septum heran, welche Stelle nun 
definitiv bewahrt wird. Also auch meine Fälle beweisen den Umstand, dass 
vom Septum paramediauum bezw. vom GoLL’schen Strange auswärts, im sog. 
BuRDAOH’schen Strange, uur Fasern der Cervical- uud obersten Dorsalwurzeln 
liegen. 

Vergleiche ich nun in dieser Beziehung meine beiden Fälle, so lässt sich 
folgendes charakteristisches Moment constatiren. Im Falle 1 (Läsion der 2. und 
3. Dorsalwurzel) Figg. 2 und 3 erscheint die entartete Zone am dorsalen Rande 
des Hinterstranges vom Septum paramedianum nur duroh einen verschwindend 

1 Der feinere Bau des Centralnervensystems u. s. w. 2. Aufi. 

* l. c. 

3 Contribution ä Tetude de degenerescences de la moelle consecutives aux lesions des 
arcines posterieures. 

4 1. c. 

6 1. c. 


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kleinen Zwickel von Markbrücke gesondert zu sein; dieser Zwickel ist im Fall 2 
(Läsion der 7. Cervicalwurzel) bereits bedeutend grösser (s. Fig. 8), d. h. die 
Degenerationszone befindet sich bei höheren Wurzelläsionen mehr seitwärts. Da 
nun bei der Läsion der 2. und 3. Brustwurzeln die entartete Zone dem Sept. 
paramedianum fast eng anliegt, so dürfte ich gewiss folgern, dass ausserhalb 
des GoLL’sehen Stranges die obersten vier Dorsalwurzeln und natürlich alle. 
Cervicalwurzeln liegen. Ob nun die unteren acht Dorsalwurzeln (nämlich deren 
aufsteigende lange Schenkeln) im GoLL’schen Strange enthalten sind, könnten 
nur respective Fälle von Naturexperimenten (Tumoren dieser Wurzeln) endgültig 
entscheiden; in Anbetracht der sehr schmächtigen Dorsal wurzeln ist es sehr 
wahrscheinlich für mich, dass im GoLL’schen Strange nicht nur die Sacral- und 
Lumbalwurzeln, sondern auch das untere 2 / s der Dorsalwurzeln enthalten ist. 

Dass diese meine Vermuthung richtig ist, bewies mir ein Fall von lumbaler 
Tabes. In diesem waren sämmtliche Sacro-Lumbalwurzeln, sowie die unteren 
4 Dorsalwurzeln degenerirt; die 8 oberen Dorsalwurzeln erschienen vollkommen 
intact. Die tabische Hinterstrangsentartung beschränkte sich dieser Ausbreitung 
entsprechend, im oberen Dorsalmark, sowie im. Cervicalsegmente auf den sogen. 
GoLL’schen Strang, während der BuEDACH’sche Strang normal ist. Nun liess 
sich aber eben im Cervicalmark deutlich nachweisen, dass die entartete flaschen- 
förmige Zone nicht den ganzen GoLL’schen Strang einnimmt, indem die Sclerose 
nicht bis an das Septum paramedianum heranreicht, sondern von letzterem 
durch einen schmalen markhaltigen Streifen geschieden ist. Dieser kann 
zweifelsohne nur den mittleren Dorsalwurzeln entsprechen, da die obersten drei 
Dorsal wurzeln, wie dies aus Dejerine’s und meinen Beobachtungen erhellt, 
bereits auswärts von Septum paramedianum liegen. Thierexperimente über 
diese Frage, fehlen uns, da, wie dies Sinoeb und Münzeb hervorheben, die 
starken Wirbelfortsätze und relativ mächtigen Muskelgelasse der Dorsalwirbel 
dem Messer aussergewöhnliche Hindernisse entgegensetzen. 

Die zwei Abschnitte der Hinterstränge, wie GoLL’scher und BüRDACH’scher 
Strang, als solche, lassen sich auch meines Erachtens nur im Cervicalmarke 
unterscheiden, woselbst das starke, vascularisirte' Septum paramedianum eine 
deutliche Grenze bildet. Somit wäre der GoLL’sche Strang dorsal und lateral 
umschrieben: seine ventrale Grenze lässt sich so sicher nicht ziehen, zumindest 
fehlt es au äusseren Merkmalen. Ueber diesen Punkt möchte ich nur so viel 
bemerken, dass in der Cervicalanschwellung der GoLL’sche Strang ventral bis 
zur hinteren 'Commissur sich erstreckt und hier mit zwei seitlichen Ausbuch¬ 
tungen den medialen Rand des Hinterhorns erreicht; im obersten Cervicalmark 
tritt die bekannte Flaschenform auf, deren Hals jedoch nicht mehr zum eigent¬ 
lichen GoLL’schen Strang gehört, sondern, wie dies Fig. 10 klar zeigt, durch die 
untersten Fasern des BüBDACH’schen Stranges, durch die obersten 3—4 Brust¬ 
wurzeln gebildet wird. 

Ich greife auf die Topographie der entarteten Wurzeln nochmals zurück. 
Sobald die degenerative Zone im BuBDACH’schen Strange ihren Platz eingenommen 
hat, so bildet sie ein dorso-ventral längliches, die ganze Dicke des Hinterstrauges 


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einnehmendes Band, wie dies aus den Figg. 2, 3 und 4, sowie 8 und 9 deutlich 
zu sehen ist. Im höchsten Abschnitte des Cervicalmarkes jedoch reducirt sich 
die entartete Wurzel zu einem Streifen, weloher, von der hinteren Commissur 
ausgehend, mit dem medialen Rande des Hinterhorns parallel verlaufend, am 
Uebergange zwischen Caput und Apex auf hört, somit die dorsale Peripherie des 
Hinterstranges nicht erreicht (s. Fig. 10). Die soeben geschilderte Configuration 
kommt, von der 1. Dosalwurzel angefangen, den Cervicalwurzeln zu; Pfbiffer 
bildet in seiner Fig. 5 bereits in der Höhe der 5. Cervicalwurzel bei Entartung 
der 1. Brustwurzel dieses Verhalten ab, welches ich selbst in meinem 2. Fall 
erst in der Höhe der 2. Halswurzel constatiren konnte. Jedoch schon die 2. 
und 3. Brustwurzel weichen in ihrer Topographie ab, da, wie dies mein Fall 1 
beweist, der degenerative Streifen während seines ganzen Verlaufes in dorso- 
ventraler Richtung fast die ganze Dicke des Hinterstranges einnimmt 

An dieser Stelle sei die aufsteigende Entartung des Falles von Dejebixe u. 
Thomas erwähut. Die Topographie entspricht so ziemlich genau jener meines 
ersten Falles; in der Höhe des 0. Cervicalnerven sind die beiden Enden des 
degenerativen Streifens gleichfalls knopfartig angeschwollen (in meinem 1. Falle 
in der Höhe des 5. Cervicalnerven), im Niveau des 3. Cervicalnerven liegt die 
entartete Stelle des Septum paramedianum ebenfalls hart an, und nimmt gleich¬ 
falls annähernd, wenn auch nicht vollkommen, die ganze Dicke des Hinter¬ 
stranges ein. 

Schliesslich sei noch ein Umstand ausdrücklich hervorgehoben. In beiden 
meiner Fälle stellte sich die entartete Zone des Hinterstranges nicht als eine 
absolut marklose, allein Gliagewebe enthaltende Stelle dar, sondern nur als. bei 
Weigert’s Färbung etwas hellerer Fleck, in welchem unter dem Mikroskope 
noch zahlreiche Markfasern, wenn auch spärlicher als in ganz gesundem Gewebe, 
sich vorfinden. Die entartete Zone liess sich bei ganz schwachen Vergrösse- 
rungen, besonders aber makroskopisch am, in Mülleb’s Flüssigkeit gehärteten 
Object erkennen. Aus diesem Umstande konnte ich folgern, dass die einzelnen 
Wurzeln intramedullär nicht exclusiv situirt sind, sondern mit den nächsten 
oberen und unteren Wurzeln innigst vermengt sind. Auf diesen Umstand 
wiesen bereits Singeb und Münzer 1 sowie C. Mayeb * deutlich hin. Die 
erstgenannten Autoren durchschnitten an zwei jungen Hunden die hinteren 
Wurzeln von der 26.-28., hierauf in derselben Sitzung die 20,—22. Nun 
fanden sie im Hinterstrange des Brustmarkes zwei mit einander parallel ver¬ 
laufende, schief gerichtete Degenerationsstreifen, welche nicht nur successive 
einwärts, sondern auch zu einander näher rücken, noch im Brustmark zu ver¬ 
schmelzen beginnen, um schliesslich im Halsmark bereits gar keine Trennung 
erkennen zu lassen, denn die degenerirten Markscheiden bilden ein kleines drei¬ 
eckiges Areal der hinteren Medianfissur eng anliegend. Auch die Betrachtungen 
0. Mayer’s haben ergeben, „dass die anfangs gesondert neben einander ver- 

1 l. c. 

* Zur pathologischen Anatomie der Rückenroarkshinterstränge. Jahrbücher f. Psych. u. 
Neurol. 1895. 

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laufenden ansteigenden Fasern aus den einzelnen Hinterwurzelgebieten im Auf¬ 
stiege cerebral war ts allmählich in einanderfliessen. Die Vermengung der aus 
der vierten Lumbalwurzel stammenden Faserantheile mit den aus tieferen Wurzel¬ 
gebieten aufsteigenden, sonach näher dem hinteren Septum ‘gelegenen, scheint 
schon im unteren Dorsalmark zu beginnen und ist im mittleren Dorsalmark 
eine vollkommene.“ 

Ich resumire meine Beobachtungen über die aufsteigende Wurzeldegeneration 
im Hinterstrange in Folgendem: 

1. Meine Fälle von Degeneration der 2. und 3. sensiblen Brustwurzel, bezw. 
von jener der 7. .hinteren Cervicalwurzel bestätigen vollinhaltlich das Kahleb- 
SiNGEB’sche Gesetz über den Verlauf des aufsteigenden Schenkels der hinteren 
Wurzeln. 

2. Der GoLL’sche Strang erscheint nur im Cervicalmark seitlich durch das 
Septum paramedianum abgegrenzt, während ventral eine sichtbare Grenzlinie 
fehlt. Hier enthält der GoLL’sche Strang ausser den Sacral- und Lumbalwurzeln 
noch die unteren 8 Dorsal wurzeln; dies folgere ich aus dem Umstand, dass bei 
Entartung der 2. und 3. Brustwurzel die Degenerationszone (abgesehen von einem 
sehr kleinen dorsalen Zwickel gesunder Nerveusubstanz) dem Sept. paramedianum 
hart anliegt. 

3 ; Die dem Verlauf einzelner Wurzeln entsprechenden Streifen des Hinter¬ 
stranges verfügen nicht über exclusive, allein ihnen reservirte Längsebenen, 
sondern die intramedullären Fortsätze der Hinterwurzeln sind mit den benach¬ 
barten innigst vermengt. 

4. Läsionen hinterer Wurzeln werden, im Gegensätze zu den Behauptungen 
von Tooth, Dejebine und Sottas, sowie Gombault und Philipp, ganz sicher 
von absteigender Degeneration im Hinterstrange gefolgt; es ist dies die Schultze’- 
sche kommaförmige Entartung, welche die Mitte des sogen. BukDACH’schen 
Stranges einnimmt. Dieselbe erschöpft sich bereits bis zur nächsten unteren 
Wurzel, ist somit von kurzem Verlauf. Die echte ScHULTZE’sche Degeneration 
wird ausschliesslich durch Läsion von Hinterwurzelfasern bedingt; endogene 
Fasern nehmen nachgewiesenermaassen nicht daran Theil. Uebrigens bildet die 
ScHULTZE’sche Entartung nur eineu Bruchtheil vom Gesammtbilde der ab¬ 
steigenden Hinterstrangsdegeneration. 


2. Nervenendigung in den Centralorganen. 

Von Dr. med. Leopold Auerbaoh, 

Nervenarzt zu Frankfurt a./M. 

In der so schwerwiegenden Frage, welche Beziehungen zwischen Nerven¬ 
zellen und letzten Axencylinderverzweigungen bestehen, ward in der allerjüugsten 
Zeit durch Held, dessen verdienstvolle Studien auf diesem Gebiete keiner Hervor¬ 
hebung bedürfen, ein neuer — der dritte — Beitrag geliefert. Aus dem Um- 


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stand, dass die in dieser Abhandlung niedergelegten Resultate, welche der ge¬ 
nannte Forscher seiner besonderen Methodik verdankt, zweifelsohne beraten sind, 
den Ausgangspunkt fernerer Untersuchungen zu bilden, leitet sich meines 
Erachtens die Verpflichtung ab, zu denselben so bald als möglich Stellung zu 
nehmen. Ein Zufall wollte es nun, dass ich selbst von Held’s Publication, die 
nicht der gewöhnlichen Serie, sondern einem Supplementband des Archivs für 
Anatomie und Physiologie ein verleibt ist, erst jetzt Kenntniss erhalte, in einem 
Augenblick, da ich gerade eigene, auf durchaus verschiedener Methode basirende 
Arbeiten über dasselbe Problem zum Abschluss gebracht habe und beschäftigt 
bin, meine Befunde, welche zum Theil mit den seinigen harmoniren, in anderen 
wesentlichen Punkten wieder von seinen Angaben abweichen, in einer ausführ¬ 
lichen Veröffentlichung zu erörtern und mit Abbildungen zu belegen. 

Schon auf der Frankfurter Naturforscher- und Aerzteversammlung im 
Herbst 1896 konnte ich auf Grand eines neuen Färbeverfahrens davon berichten, 
dass aller Orten im Centraln'ervensystem nicht allein die Ganglien¬ 
zellen, sondern auch deren Dendriten von einem Maschenwerk um¬ 
sponnen sind, das, einem dichten Gewebe gleich, sie einhüllt und 
sich aus Nervenfäserchen, die Knötchen tragen, gebildet erweist. 
Dieser, wie ich mich bereits an anderer Stelle 1 ausdrückte, unendlich dichte, 
stellenweise unentwirrbare Faserfilz, welchen die marklosen Endbäumchen bilden, 
ward von mir im Sommer des vergangenen Jahres noch eingehender erforscht, 
als ich an Paraffinpräparaten Einzelheiten feststellte, die auf dickeren Schnitten 
der Wahrnehmung minder zugänglich waren. Betreffe der quantitativen Ver¬ 
keilung erfuhr ich freilich nichts wesentlich Neues, wenn schon die überwältigende 
Fülle der Nervenendigungen in ein um so helleres Licht trat, als ich nun längs 
der Zellränder und der Dendriten die einzelnen Endknöpfchen zu zählen und 
schätzungsweise ziemlich genau für die Gesammtoberfläche einer Ganglienzelle 
nebst den dazugehörigen grösseren protoplasmatischen Fortsätzen den enormen 
Reichthum an Endbäumchen abzuleiten im Staude war. Die so erhaltenen viel¬ 
stelligen Zahlen mussten die Phantasie noch mächtiger anregen, als der ver¬ 
schwommenere Begriff einer unbeschreiblichen Menge, bei der sozusagen kaum 
ein Plätzchen an der Zellperipherie unbesetzt bleibt. 

Ich finde nämlich diese blauen Knötchen mittels meiner Silberhämatoxylin- 
färbung 2 recht oft weit massenhafter noch Um die Zellen angehäuft, als dies aus 
Held’s Präparaten, soweit die seiner Abhandlung beigefügten Reproductionen 
mich zu einem Urtheil berechtigen, ersichtlich scheint. Während so die End¬ 
knöpfchen in gedrängter Reihe die Peripherie von Nervenzellen und Dendriten 
einfassen, entzieht sich bei meinem Verfahren, das die Nervenfasern in ihrer 
Gesammtheit zur Darstellung bringt und nicht bloss die an Granulis reicheren 
Partieen hervorhebt, ebensowenig deren Ursprung der Beobachtung. Hierin 
darf ich wohl gerade einen schätzbaren Vorzug im Vergleich zu der von Held 

1 Neurolog. Centralbl. 1S97. Nr. 10. 

* Paraffinschnitte erheischen dabei eine sehr behatsame Differenzirung. Man verwende 
eine Kaliumpermanganatlösung von 1; 2 —1° 00 . 


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modificirten Eisenhämatoxylinmethode erblicken. Demgemäss sind die Schwierig¬ 
keiten für die Auffassung nicht sowohl in dem übersichtlichen und in voll¬ 
ständiger Färbung hervortretenden Bilde der sich netzartig durchquerenden 
Axencylinderendigungen. sondern in dem misslichen Dilemma begründet, dass 
dickere Schnitte eine Continuität Vortäuschen können, wo eine Kreuzung statthat, 
dünnere immer nur einzelne Theile eines etwaigen in sich geschlossenen Netzes 
vor Augen zu führen vermögen. Immerhin geben Schnitte von 5 n die Ueber- 
zeugung von der Existenz jenes aus höchst zarten Fäserchen bestehenden 
Maschenwerks in der Umgebung der Ganglienzellen, auf welches ich schon 
früher aufmerksam machte, ohne mich damals über seine nähere Beschaffenheit 
bestimmt zu äussern. 

In Anbetracht, dass man unter bewandteu Umständen bei der Feststellung, 
ob es sich in der That um echte Maschen handelt, kaum mehr einem Irrthum 
unterliegen wird, glaube ich heute das Vorhandensein eines wirk¬ 
lichen Netzes, das stellenweise die Zellen umspinnt und an d§ren 
Versorgung mit Endbäumchen sich betheiligt, mit grosser Wahr¬ 
scheinlichkeit annehmen zu dürfen. 

Die umfangreicheren motorischen Zellen pflegt so ein Kranz stärkerer Axen- 
cylinder, von denen ein Theil der Endbäumchen seinen Ursprung nimmt, zu • 
umrahmen. Die Endbäumchen streben demgemäss vielfach in radiärem Zuge 
zu ihren Insertionsjiunkten, die sie häufig nach kurzem Verlauf schon erreichen. 
Gabelungen derselben sind nicht selten zu beobachten. Ein anderer Theil der 
mit Endknöpfchen versehenen Axencylinder, und darunter solche, welche die 
Dendriten versorgen, lässt sich jedoch über weitere Strecken verfolgen, ohne auf 
dem langen Wege mit den übrigen Nervenfasern in Verbindung zu treten. Bei 
ihnen kann weder von einem Geflecht, noch einem netzartigen Maschenwerk 
die Bede sein. Endlich gewahrt man hie und da noch in - der Nachbarschaft 
der Nervenzellen jenes dem Anscheiue nach echte in sich geschlossene Netzwerk, 
das ich oben erwähnte. Es bildet sich aus viel feineren Fäserchen, die einander 
nicht kreuzen, sondern durch zahlreiche Anastomosen in einander übergehen 
dürften, und in sein Maschenwerk sind kleine, den Endknöpfchen im Allgemeinen 
an Umfang nachstehende Varicositäten eingeschaltet, die insbesondere die Knoten¬ 
punkte auszeichnen 

Wenn ich mich in dieser Beziehung den von Golgi, Sala, Lugaro, Dogiel 
und zuletzt* von Held vertretenen Ansichten nähere, so betone ich andererseits 
geflissentlich, dass ich im grossen und ganzen der Existenz von Nervenend- 
uetzen zuneige, während meine Studien nicht so weit vorgerückt sind, um mir 
die Abtrennung bestimmter. Kategorien von gewissen durch Endnetze versorgten 
Nervenzellen gegenüber anderen, welche dieselben entbehren, zu ermöglichen. 
Inwieweit dieses Verhalten, das, wie Held richtig bemerkt, einem functioneilen 
Ausgleich in der Vertheilung der-zuströmenden Erregung zu dienen berufen 
scheint, allgemein sich verbreitet zeigt, bin ich bis heute nicht in der Lage 
anzugeben. 

Während nun an den von mir daraufhin untersuchten motorischen Zellen 


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neben einem wohl als Endnetz zu deutenden, höchst zarten Maschenwerk überall 
noch Fasern nachzuweisen waren, die ohne Anastomosen einzugehen, die Stätte 
ihrer Endigung erreichen, gilt das Gleiche nicht von einem sensiblen Bezirk. 
In den Hinterhörnern und insbesondere auch in der Substantia 
gelatinosa Rolandi constatire ich bloss ein allem Anschein nach 
ununterbrochenes Maschenwerk, ausgestattet mit sehr zahlreichen 
dickeren, unregelmässig gestalteten Anschwellungen, wie es Golgi 
ähnlich in seinen Sublimatpräparaten, gesehen haben muss und in seinen ,,Uuter- 
suchungen über den feineren Bau des centralen und peripheren Nervensystems“ 
S. 249 u. 250 schildert. 

Noch ein anderer District lehrte mich ein Netz kennen, welches den Ein¬ 
druck erweckt, als ob es über räumlich sehr weit auseinander liegende Strecken 
sich verbreite, ja — sofern sich dies überhaupt ermessen lässt — als ein diffuses 
Maschenwerk, eine riesige Provinz des Centralnervensystems occupirte: ich meine 
die Körnerschicht des Kleinhirns und deren Moosfasern, die ich als 
eine für sich isolirt dastehende Einrichtung ansehe und mit den sonstigen 
Nervenfasern weder in anatomischer noch in functioneller Hinsicht auf eine 
Linie stelle. . 

Bei meinem Färbeverfahren präsentiren sich nämlich zwischen den 
Haufen der Körnerzellen des Kleinhirns sehr zahlreiche, blaue, un¬ 
regelmässig contourirte Körper, deren durch blässere Färbung ge¬ 
kennzeichnete Aussenzone in ein aus Nervenfasern gebildetes, auf 
das Vielfältigste anastömosirendes Geflecht ausläuft, während das 
zackig umrandete oder in buschige Zweige sich aufsplitternde Centrum als ein 
viel satter tingirter Kern sich von ersterer abhebt. Wenn man nun die 
charakteristischen Umrisse dieses Centrums mit GoLGi’schen Imprägnationen 
vergleicht, so erhellt, dass durch diese nur eben der Kern zur Darstellung ge¬ 
langt und dass man es mit Moosfasern zu thun hat, deren feinerer Bau bei 
meiner I’ärbung klar zu Tage liegt, von deren zwei Zonen aber, die streng zu 
unterscheiden sind, die äussere den bisherigen Beobachtern völlig entgangen 
sein muss. In der inneren sind bei sehr starker Yergrösserung mittels 
leistungsfähiger Systeme 1 ziemlich weite, dunkelblaue Maschen zu er¬ 
kennen, die sich aus relativ groben Faserzügen aüfbauen und deren Knoten¬ 
punkte als verhältnismässig voluminöse Verdickungen hervortreten. Innerhalb 
der Maschen erblickt man ausserdem eine etwas minder blaue, dichte, nicht 
genau definirbare Masse, deren Anhäufung für die centrale Region der in Rede 
stehenden Gebilde den auffälligen Contrast gegenüber der hellblauen Aussenzone 
mit hervorrufen dürfte. Letztere ist, wie ich vermuthe, ärmer an dieser den 
Farbstoff speichernden Substanz, jedenfalls erscheint sie unvergleichlich viel 
durchsichtiger, einem zarten Gewebe ähnlich, in das die Maschen der Mittelzone, 
während sie sich gleichzeitig etwas lockern, contiuuirlich hinübergreifen. Der 
matten Färbung und dem Gesammtcharakter entsprechend ist desgleichen die 


1 Seibert. Apochrumatimmersioii 2 mm, Ap. 1,30 Ocular 18. 


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Begrenzung nach aussen eine höchst zarte und bei sanftem Wechsel der Ein¬ 
stellung gewahrt man recht hübsch, wie hie und da dieses Randgebiet als ein 
lichter, membranöser Schleier eine Körnerzelle theilweise einhüllt oder sich 
zwischen den Haufen der Körner hinzieht und mehrere Zellindividuen zusammen 
umfingt. Dasselbe Gewebe, in welches die Maschen der Aussenzone eingelagert 
sind, schiebt sich aber auch über die von ihr abzweigenden Nervenfasern, die 
ihrerseits aus dem beschriebenen Maschen werk hervorgehen und, dem zu Folge 
zu mehreren ebenfalls in eine äusserst zarte Membran eingebettet, den ursprüng¬ 
lichen Charakter der netzförmigen Durchflechtung völlig wahren. Membranöse 
Züge, welche Netze von Nervenfasern tragen, sind demnach durch 
die Körnerschicht ausgespannt, sie bilden ein einheitliches System, stehen 
überall in Zusammenhang, und nicht selten ist die Verbindung der moos¬ 
ähnlichen Körper eine solch intime, dass mehrere Randzonen ohne Vermittelung 
längerer Nervenbahnen in einander übergreifen und ihre Maschen austauschen. 

Auf diese Weise werden im Kleinhirn Vorrichtungen getroffen sein, die 
über weiteste Strecken einen raschen und vollkommenen Ausgleich der nervösen 
Erregung bezw. Hemmung gestatten, was sowohl mit den Aufgaben des Organs 
als Gleichgewichtscentrum sehr wohl übereinstimmt, wie auch mit der sonst 
kaum verständlichen Thatsache, dass geradezu enorme Defecte des Kleinhirns 
durch die restirenden Regionen in ihrer funotionellen Leistung gleichwertig zu 
ersetzen sind. 

Ueber die weiteren Beziehungen der moosartigen Anschwellungen ist wegen 
der Häufung der Körnerzellen, deren Protoplasma sehr arm an der Färbung 
zugänglicher Grundsubstanz, deren Dendriten nur an sehr spärlichen Stellen 
einigermaassen klar zu verfolgen sind, ein abschliessendes Urtheil schwieriger zu 
fallen. Zu berücksichtigen bleibt ferner, dass man es mit Membranen 1 zu thun 
hat, welche sich den Wölbungen der Kömerhaufen auf das engste anschmiegen. 
Bei der hierdurch bedingten nahen Berührung wäre eine directe Beeinflussung 
der Zellen durch die centrale Zone der moosartigen Anschwellungen allenfalls 
denkbar und so lässt sich vorerst, streng genommen, die Berechtigung, diese 
als Endorgane anzusehen, nicht absolut bestreiten. Keinesfalls jedoch darf man 
sie den sonstigen Axencylinderendigungen gleichstellen. Dies geht schon daraus 
hervor, dass von ihrem Maschenwerk wiederum feine Fäserchen ab- 
zweigen, die dadurch als echte Nervenendigungen gekennzeichnet sind, 
dass sie an den Leib der Kömerzellen sich mit typischen Endknöpfen an¬ 
setzen. 

Es erübrigt mir nooh, an dieser Stelle mich in möglichster Kürze einem 
Punkte zuzuwenden, der in physiologischer Hinsicht von hervorragendem Inter- 

1 Auch deckt die oben gegebene Beschreibung nicht simmtliche Befunde. Die moos- 
artigen Anschwellungen grenzen nicht immer mit einer Aussenzone an die in der N&he be¬ 
findlichen Körnerzellen, sondern das tiefblaue Centrum kann auf der einen oder anderen 
Seite direct mit diesen in Berührung treten, indem es sich mit halbmondförmigem Ausschnitt 
an sie anlehnt, oder das Kerngebilde kann sich frei, ganz ohne Aussenzone prisentiren. Es 
hingt dies eben davon ab, welcher Durchschnitt der Membranen gerade im optischen Bilde 
vorliegt. 


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esse ist. Nachdem Eamön y C-UAi, später Köllikbb und andere mit der 
OoLQi’schen Methode arbeitende Forscher sich der „Contaotlehre“ zugewandt, 
galt diese in weitesten Kreisen als unbestrittenes Axiom, bis in letzter Zeit 
Hb&d daran rüttelte und statt der einfachen Berührung von Zellprotoplasma 
und Axencylinderendigungen eine wirkliche Verwachsung, die im reifen 
Organismus den embryonalen Contact ersetze, statuirte. Eine eigentliche Grenze 
zwischen dem letzten Nervenende und der Ganglienzelle würde somit nicht 
existiren, weil eine und dieselbe Plasmaschicht beiden angehörte und nach 
Willkür der Zelle oder dem Axencylinder zuzuzählen wäre. Dadurch würde 
natürlich auch funotionell ein weit engerer Connex zwischen beiden hergestellt 
und a priori wäre es mindestens nicht undenkbar, dass selbst eine Massen¬ 
bewegung, sagen wir z. B. ein Transport der EjBLD’schen Neurosomen per con- 
tinuitatem sich von der Axencylinderendfläche auf die Grundsubstanz der Zelle 
fortpfianze. Indem zugleich die anatomische Differenz beider Theile in solchem 
Maasse zurückträte, wäre auch eine physiologische Parallelisirung vielleicht eher 
erlaubt So könnte allenfalls unter gewissen Umständen die nervöse Erregung 
von einer Axencylinderendigung auf eine andere mittels einfacher Querleitung 
durch die Zelle hindurch sioh übertragen, ohne dass der Hauptmasse des Zell¬ 
leibes bei dem gedachten Vorgänge eine aotive Bolle zufiele. Es erscheint mir 
übrigens müssig, die so erööheten Perspectiven noch detaillirter darzulegen, weil 
ich der HELD’schen Prämisse beizupflichten gar nicht in der Lage bin. Die 
reiflichste Prüfung, welche ich an den verschiedensten Punkten des Central¬ 
nervensystems immer und immer wieder vornahm, hat die Ueberzeugung in 
mir gefestigt, dass nirgends ein solcher ununterbrochener Uebergang 
des Protoplasmas von Nervendigungen und Ganglienzellen zu 
beobachten ist. 

Wie ich Eingangs ausführte, pflegen die Endbäumchen nach verschieden 
langem Verlauf zuletzt in radiärer Richtung an die Zell- bezw. Dendritenperipherie 
heranzutreten, so dass ihre Endknöpfchen im Allgemeinen mit dem grössten 
Durchmesser senkrecht zu dieser Oberfläche gerichtet sind. Ein derartiges End¬ 
knöpfchen stellt ein kegel- oder kelchförmiges Gebilde dar, dessen seitliche Be¬ 
grenzung stärker oder schwächer oonvex gewölbt ist, dessen mediale Fläche 
vollkommen der Oberfläche entspricht, für die dasselbe bestimmt ist, also an 
dem Zellleib meist eine Delle besitzt, an den protoplasmatischen Fortsätzen an¬ 
nähernd in einer Ebene verläuft. Während ich nun schon lange damit vertraut 
war, wie ungemein enge sich diese innere Fläche an die betreffenden Ganglien¬ 
zellen anschmiegt, und ich hieraus betreffe der Zellen der Grosshimrinde 
sogar die Möglichkeit einer dauernden fünctionellen Verkettung hypothetisch zu 
folgern wagte, zeigt mir andererseits die genaueste Musterung auch meiner 
späteren sehr dünnen Paraffinschnitte stets eine haarscharfe Linie als 
Grenze zwischen markloser Nervenfaser und Ganglienzelle, und es 
kann bei meinen Präparaten kaum jemals ein Zweifel darüber obwalten, wo die 
eine aufhört, die andere ihren Anfang nimmt Ich bin gezwungen, diese prin- 
cipielle Differenz gegenüber den Feststellungen Held’s auf dessen Färbemethodik 

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zurückzuführen, welche ihm die Nervenendigung im wesentlichen bloss unter 
dem Bilde gehäuft stehender Granula zeigt, ohne hierbei das die Axencylinder- 
endigung mit constituirende Plasma in der wünschenswerthen Klarheit zur 
Darstellung zu bringen. Bei meiner Färbung verrathen die Nervenendigungen 
gleichfalls eine mehr oder minder körnige Structur 1 , nur dass die Granula sehr 
fein sind, sowie durch eine Zwischenmasse verkittet scheinen, jedenfalls sich 
nicht von einander im einzelnen distinct abheben. Während ich das Maschen¬ 
werk der Zellwaben mit grösster Leichtigkeit aufzulösen im Stande bin, gelingt 
mir gleiches nicht bei den Endbäumchen, zum Theil, wie ich annehme, darum, 
weil dieselben ein Hyaloplasma besitzen, welches sich meiner Färbung zugänglich 
erweist, auf diejenige Held’s nicht reagirt. 3 


Ganglienzelle aus dem Facialiskern vom Kaninchen. (Paraffinpräparat, 3 u dick.) 

Nebenbei bemerkt sind gerade in Bezug auf das Neurohyaloplasma 
unsere Kenntnisse bis heute recht beschränkt. Dass in der Ganglienzelle ein 


1 Nicht an allen Stellen gleichmässig, mitunter in minimalem Grade. 

* Daher rührt der gar nicht zu verkennende Unterschied der Vertheilung und Menge 
der Endbäumchen in unseren Präparaten, der mich z. B. für die Körnerschicht des Klein¬ 
hirns zu entgegengesetzten Resultaten führt. Und wie ich daselbst den Zellkörper der 
Körner von Endbänmchen versorgt finde, so ergiebt sich unter anderem auch in der Molecular- 
schicht des Kleinhirns ein Reichthum an Nervenendigungen, von dem Held’s Abbildungen 
keine rechte Vorstellung geben. 


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solches als ein während des Lebens präexistirendes, die Waben fallendes Element 
vorhanden ist, ist nicht zu bezweifeln. Wenn die der Färbung zugängliche 
Grundsubstanz wie etwa in den Kömerzellen des Kleinhirns quantitativ so in 
den Hintergrund tritt, dass man nur ab und zu ein zartes Plasmafädchen in 
ihnen entdeckt, so müssen die Silber- und Quecksilberimprägnationen, welche 
die Totalität der Zelle treffen, darauf beruhen, dass ein anderer, in weit be¬ 
deutenderer Menge vorhandener Zellbestandtheil die Reduction der in Rede 
stehenden Salz$ verursacht. Ich sehe mich veranlasst, demselben eine besondere 
physiologische Wichtigkeit beizumessen, weil es mir unerfindlich ist, wie sonst 
die zahlreichen Endknöpfchen mancher Nervenzellen, die äusserst arm an der 
Färbung unterliegender Grundsubstanz sind, die nervöse Erregung übermitteln 
könnten. Constatirt man doch z. 6. an den Zellen der Hinterhörner auf das 
Vielfältigste, wie die Endknöpfchen sich an eine anscheinend ganz leere, d. h. 
der Färbung völlig unzugängliche Partie ansetzen. Mag solches übrigens an 
Zufälligkeiten des jeweiligen Schnittes gelegen sein und sich in der That stets 
ein wenig Gerüstsubstanz in der Nachbarschaft der Endknöpfchen befinden, so 
springt unter allen Umständen hier und anderwärts (z. B. Molecularschicht des 
Kleinhirns, Grosshirnrinde u. s. w) das Missverhältniss zwischen den recht statt¬ 
lichen Endknöpfchen und der minimalen Menge der structurirten Grundsubstanz 
in die Augen. 1 

Ob jedoch unter dem Polster der Endknöpfchen reines Hyaloplasma lagert 
oder spärliche dünne Bälkchen der netzartigen, bezw. wabigen Gerüstsubstanz 
ihm naherücken, allüberall tritt die Zellcontour deutlich und klar hervor, es 
steht die Zellgrundsubstanz mit den Axencylinderendigungen nirgends in un¬ 
unterbrochenem Zusammenhang. Von der soeben geschilderten Art des Nerven- 
ansatzes führt des weiteren ein allmählicher Uebergang zu jenen Endbäumchen, 
die den Ganglienzellen mit wohlentwickeltem Maschenwerk zugetheilt sind. 
Man sollte nun insbesondere da, wo man es mit schön differencirter Grund¬ 
substanz zu thun hat, im Falle die Verwachsung zu Recht bestände, eine ver¬ 
waschene Zellcontour oder mindestens unter einem jeglichen Endknöpfchen eine 
ausgesprochene Anhäufung von protoplasmatischen Fädchen und Körnchen er¬ 
warten. Ganz im Gegentheil verläuft der Zellrand in einer glatt und scharf 
gezeichneten Linie, die Endknöpfchen springen nicht nach innen vor, und was 
unter denselben von Protoplasma zum Vorschein kommt, zeigt sich bei exacter 
Einstellung als der übrigen Grundsubstanz völlig gleichartig, ohne dass eine 
locale Verdichtung ersichtlich wäre. Dass dieses Verhalten bei der Majorität 
der Nervenzellen, deren periphere Zone eine etwas lockerere Structur besitzt, 
leichter festzustellen ist als an den in Minderzahl vorhandenen Zellindividuen, 
in welchen sich ein höchst dichtes Gefüge bis zum äussersten Rande erstreckt, 


1 Eh verdient hervorgehoben zn werden, dass die quantitative Vertheilang von Hyalo¬ 
plasma nnd Maschenwerk im allgemeinen einen gesetzmässigen Charakter bewahrt and den 
verschiedenen Regionen bestimmte Zelltypen entsprechen. In wie weit daneben ein variabler 
Factor als Ausdruck der Thätigkeitsphasen in Rechnung zu setzen ist, werden, wie ich 
hoffe, experimentelle Studien an Netzhaut, Vorderhornzellen u. s. w. ergeben. 

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will ich nicht in Abrede stellen, dem angeachtet lassen selbst die letzteren be¬ 
gründetem Zweifel nur ganz ausnahmsweise Kaum. 

Im Einklang mit der älteren, durch die GoLQi’sche Methodik und vitale 
Methylenblaufärbung gewonnenen Anschauung, die erst jüngst wieder in Semi 
Mbyeb einen überzeugten Vertreter fand, muss ich daher auf Grund meiner 
mittels meines eigenen Färbeverfahrens erhobenen Befunde an der 
Contactlehre und den aus dieser abzuleitenden Folgerungen fest- 
halten. Wie ich diese Lehre auffasse, wirken die Endbäumchen durch das 
Polster ihrer sich auf das engste an die Zelloberfläche anlehnenden Endknöpfchen, 
ohne Vermittelung einer ferneren Zwischensubstanz, jedoch als differente Gebilde, 
auf das Protoplasma der Ganglienzelle in uns noch unbekannter Weise ein. 
Dass nebenbei während des Lebens in functionellem Sinne eine innigere Ver¬ 
bindung bestimmter Zellen oder Zellterritorien sich ausbildete, ist möglich, 
vielleicht wahrscheinlich. Ich denke aber bei den functioneilen Zuständen weder 
an eine amöboide Bewegungsfähigkeit, denn die Endbäumchen finden sich, soweit 
wir untersuchen, unausgesetzt innig an die Zellen und deren Dendriten an¬ 
geschmiegt — noch kann ich auf der anderen Seite eine Vermischung, ein 
Ineinanderfliessen, eine dauernde Verwachsung der Protoplasmamassen anerkennen, 
weil meine Präparate mir davon niemals Kunde geben. Ob aber eine func- 
tionelle Verkettung durch irgend welche andere, vielleicht moleculare Verände¬ 
rungen, die zugleich die Endknöpfchen sowie die Zelle träfen, resultiren, ob 
für beide trotz fortbestehender anatomischer Discontinuität auf solche Weise eine 
nähere functioneile Einheit geschaffen werden könnte, das muss eine offene 
Frage bleiben. ' 

Meine Stellung zu den von Apäthy und Bethe entwickelten Anschauungen 
des Ausführlicheren zu begründen, muss ich mir versagen, indem ich mir Vor¬ 
behalte, demnächst hierauf in meiner grösseren, von erläuternden Abbildungen 
begleiteten Arbeit zurückzukommen. Die Thatsachen, welche ich erhärtet zu 
haben glaube, stehen, wie dem Leser ohne weiteres klar sein wird, theilweise min¬ 
destens in Gegensatz zu den Ansichten, welche sich die genannten Forscher in 
Betreff eines aus Primitivfibrillen hervorgehenden Elementargitters (Neuropil) 
und dessen physiologischer Dignität gebildet haben. Was den Bau der Grund¬ 
substanz der Nervenzelle anbelangt, so habe ich meine Befunde in einem vor 
einigen Monaten der „Monatsschrift für Psychiatrie und Neurologie*' zugestellten 
Aufsatze wiedergegeben und beschränke mich heute auf die Bemerkung, dass 
ich mich von dem netzartigen Charakter, den ich auf eine wabige 
Structur beziehe, mit absoluter Sicherheit überzeugt halte. Ich vermag also 
schon um deswillen die Ganglienzelle der höhren Thiere nicht einfach als eine 
Stätte zu betrachten, welche Primitivfibrillen, ohne ihre Individualität einzubüssen, 
auf ihrem Wege zum Neuropil passiren sollen. Aber auch abgesehen hiervon 
genügt meiner Meinung nach ein Blick auf die zahllosen Endknöpfchen 
einer beliebigen grösseren Nervenzelle und ihrer deutlich verfolgbaren Dendriten 
(z. B. Zellen der motorischen Kerne, Pyramidenzellen der Grosshirnrinde), um 
sofort einen Begriff von der organischen Zusammengehörigkeit beider zu gewinnen. 


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Unwiderstehlich drängt sich dem Beobachter der Gedanke anf, dass in diesen 
die Nerven wie ein dichter Filz umkleidenden Elementen diejenigen 
Organe zu suchen sind, welche in den Zellen selbst, theils durch 
directe Beeinflussung des Zellleibs, theils durch Einwirkung auf 
die ebenfalls der Beizaufnahme dienenden, centripetal leitenden 
Dendriten eine Thätigkeit auslösen. ln der mannigfachen Variation ihrer 
Erregungszustände bei gleichzeitiger activer Betheiligung des Zellprotoplasmas, 
in dem untrennbaren Zusammenwirken von Endbäumchen einerseits, Ganglien¬ 
zellen und Dendriten andererseits müssen, bei den höheren Thieren zum 
wenigsten, sicherlich die Functionen des Nervensystems wurzeln. 


II. Referate. 


Anatomie. 

1) De oorsprong der motorische oogzenurven bij de vogels, door Dr. Q. 

Jelgersma. (Psychiatr. en neurol. Bladen. 1897. Nr. 1. blz. 23. Haart.) 

Der Nervns abducens entspringt wie bei den Säugetbieren an der Seite der 
Raphe nnd geht in gerader Linie, ein wenig nach der Raphe za verlaufend, nach 
seinem Kern, der einfach ist nnd aus dem alle Fasern des Abdacens der entsprechenden 
Seite hervorgehen, ans dem Kern der entgegengesetzten Seite stammt keine Faser, 
auch Commissuralfasern 'zwischen den Kernen sind nicht nachzuweisen. Der Kern 
besteht aus gewöhnlich grossen multipolaren Ganglienzellen, nnd liegt nicht, wie bei 
den Säugetbieren, ventral von der centralen grauen Substanz des Ventrikels, sondern 
er wird von ihr durch sich krenzende Bündel dicker markhaltiger Nervenfasern ge¬ 
trennt, die mit dem Acnsticuskerne in Verbindung stehen, aber nicht mit dem 
Abducenskerne. 

Der Nervus trochlearis entspringt, wie bei den Säugethieren total gekreuzt 
und der Stamm verläuft an der Hinterseite des Lohns opticus zwischen diesem und 
dem Seitenrande des Cerebellum nach oben; die Trochleariskreuzung bildet einen 
Theil des breiten Bandes von markhaltigen Commissurfasern, die sich zwischen beiden 
Lobi optici ausbreiten. Der Trochlearis überschreitet die Mittellinie nur wenig, biegt 
plötzlich centralwärts nm nnd tritt, durch das Lumen des 4. Ventrikels verlaufend, 
in seinen Kern, der direct dorsal von dem Fasciculus longitudinalis in einer Aus¬ 
höhlung desselben liegt nnd einfach ist. Manchmal biegen die aus dem Kern aas¬ 
tretenden Fasern nach kurzem Verlauf in lateraler Richtung dorsalwärts um in die 
Kreuzung, die das Dach des 4. Ventrikels bildet, bisweilen sieht man ein Bündel 
etwas weiter verlaufen in die graue Substanz des Bodens des 4. Ventrikels nnd 
später in dorsaler Richtung umbiegen; der Eintritt dieses Theils des Nerven in das 
Velum medulläre kommt deshalb mehr lateral zu Stande, nnd der Nerv verläuft in 
grösserer Ausdehnung quer durch das Dach des 4. Ventrikels. Diesen etwas com- 
plicirten Verlauf sieht man am besten bei sehr jungen Vögeln (Tauben, Krähen), 
die erst wenige Tage ausgekrochen sind. Da der äusserst zusammengesetzte 
Bau der Substantia reticularis, in der Nervenfasern in allen denkbaren Richtungen 
durcheinander verlaufen, eine Verfolgung dieser unmöglich macht, kann Verf. über 
die Verbindung des Trochleariskems mit dem Gehirn nnr angeben, dass ein aus dem 


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Kern entspringendes Bündel feiner markh&ltiger Nervenfasern, das sich durch die 
Feinheit seiner Fasern von den Wnrzelfssern des Trochlearis selbst unterscheidet, 
bei ausgewachsenen Thieren bis zum Nucleus dorsalis nervi optici verfolgt werden 
kann, wo es wahrscheinlich endigt Im Trochleariskern sieht man Fasern entspringen, 
die sich direct ventro-medialwärts wenden, in den Fasciculus longitudinalis eintreten, 
in dem sie in derselben Richtung verlaufen, man kann sie eine kurze Strecke ver¬ 
folgen, dann hören sie plötzlich auf und biegen wahrscheinlich in der Längsrichtung 
des Bündels um; in den in der Nähe gelegenen Oculomotoriuskem kann man Sie 
nicht ausstrahlen sehen. 

Beim Nervus oculomotorius sind Terlauf und Ursprung bei den Yögeln und 
Säugethieren verschieden. Bei den Säugethieren liegen alle Kerne des Oculomotorius 
dorsal vor dem Fasciculus longitudinalis, bei den Vögeln liegt der ventrale Kern 
ventral von diesem Bündel. Bei den Säugethieren verlaufen die Fasern des Nerven, 
sowohl gekreuzte, als ungekreuzte, durch den Fasciculus, bei den Yögeln verlaufen 
sie 'alle, auch die gekreuzten, in medialer Richtung. Bei den Säugethieren entspringt 
das gekreuzte Bündel aus dem am meisten dorsal gelegenen Qanglion, das sich 
kreuzende Bündel passirt die Kerne an derselben Seite und kreuzt sich erst dann, 
bei den Yögeln passirt das sich kreuzende Bündel die anderen Kerne nicht, sondern 
nur das nicht gekreuzte Bündel verläuft ans dem dorso-lateralen Kern durch den 
ventralen Kern derselben Seite. Walter Berger (Leipzig). 


2) lieber die Ziele der modernen NervenaeUenforachungen , von Gold¬ 
scheider und E. Flatau. Aus dem Krankenhause Moabit in Berlin. Nach 
einem Yortrage mit Demonstration im Yerein für innere Medicin am 21. Febr. 
1898. (Deutsche med. Wochenschr. 1898. Nr. 11.) 

Zusammenstellung der Forschungsresultate über den normalen Bau der Nerven¬ 
zellen, die pathologische Anatomie derselben und die weiterhin erstrebeaswerthen 
Ziele. Der Inhalt muss im Original nachgelesen werden. 

R. Pfeiffer (Cassel). 


Experimentelle Physiologie. 

3) La non-öquivalenoe des deux hömisphdres oöröbraux , par M. Klippel. 

(Presse mödicale. 1898. 29. Januar.) 

Die beiden Hirnhemisphären sind wohl symmetrisch, aber nicht äquivalent. 
Der bekannteste Unterschied ist die Localisation des Sprachcentrums auf der linken 
Seite. Die Unterschiede erstrecken sich auf Entwickelung, Configuration, Gewicht, 
physiologische Functionen, Häufigkeit der Erkrankung, pathologische Symptome in 
Folge der letzteren und auch auf die secundären Degenerationen nach Zerstörungen 
der einen oder anderen Seite. Die in der Pyramidenbahn auftretende absteigende 
Degeneration ist nach Läsion der linken Hirnhemisphäre ausgesprochener. Sie findet 
sieh auch noch nach linksseitigen Erweichungsherden, die vor dem Gyros frontalis 
ascendens localisirt sind; bei allen Läsionen der Rolando’schen Windungen, der 
centralen grauen Kerne und der inneren Kapsel ist die Degeneration bei linksseitigem 
Sitz des Herdes eine stärkere. Die Pyramidenvorderstrangbahn ist bei linksseitigen 
Herden häufiger mitdegenerirt. Ebenso findet sich bei diesen häufiger Degeneration 
der ungekreuzten Pyramidenseitenstrangbahn. Yerf. glaubt, dass von der linken 
Hirnhemi8pbäre aus eine ausgedehntere Yerbreitung corticaler Fasern im Rückenmark 
Platz greift, eine Folge des functionellen Ueberwiegens der linken Hemisphäre. 

Die linke Hemisphäre ist fast constant schwerer als die rechte; die Behauptung 
von Luys, dass sich dieses Yerbältniss bei Geisteskranken umdreht, konnte Yerf. 


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siebt bestätigen. Von 28 Geisteskranken war 15 Mal die linke, 11 Mal die recht« 
Hemisphäre schwerer; 2 Mal waren beide gleich. Während beim Menschen die 
Sprache in der liDken Hemisphäre localisirt ist, die rechte Hand kräftiger und ge¬ 
schickter ist, findet sich kein noch so hoch stehendes Thier, bei dem die Gleichheit 
beider Himhemisphären in physiologischer Beziehung nicht vollkommen erscheint. 

Was die Pathologie betrifft, so scheint ausser der allbekannten Localisation 
der Aphasie auf der linken Seite, eine stärkere Erregung eine Folge der von der 
rechten Hirnbemisphäre ausgehenden Störungen za sein, ferner eine Aufhebung des 
Pharynx- und Larynxreflexes. Auch die Dysarthrie scheint bei Läsionen der rechten 
Hemisphäre weit häufiger aufzutreten, so dass dieselbe in enger Beziehung zu den 
Bewegungen der Zunge und der Lippen zu stehen scheint Auch die functionellen, 
speciell die hysterischen Hemiplegieen sind häufiger linksseitige; die Hemianästhesie 
ist öfter links zu constatiren. Es wäre also die rechte Hemisphäre leichter von 
dynamischen Störungen betroffen, die linke mehr von tiefgreifenden, organischen. 
Man könnte die linke Hemisphäre als männliche, die rechte als weibliche bezeichnen. 
Vielleicht lassen sich auch die bei Geisteskrankheiten zu beobachtenden Verdopp¬ 
lungen der Gedanken auf eine auseinandergehende Thätigkeit der beiden Hemisphären 
beziehen. 

Die fehlende Aequivalenz der Hirnhemisphären unterscheidet den Menschen von 
allen Thieren. M. Bothmann (Berlin). 


4) The vaso-constriotor flbres of the great auricular nerve in the rabbit, 
by W. M. Fletcher. (Journal of Physiology. XXII. S. 259.) 

Verf. bestätigte die zuerst von Schiff festgestellte Thatsache, dass die Beizung 
des N. auricularis magnus beim Kaninchen eine Verengerung der Ohrgefässe hervor¬ 
ruft und ferner, dass die betreffenden vasoconstrictorischen Fasern nicht aus dem 
Halssympathicus stammen, da die gefässverengende Wirkung auch nach Exstirpation 
des obersten Halsganglions bestehen bleibt 

Nach den Angaben des Verf.'s stammen die betr. Fasern aus dem Ggl. stellatum 
des Sympatbicus, treten durch dessen Bamus vertebralis in den 3. Cervicalnerven 
und von diesem in den Auricularis magnus. Diese Ursprungs- und Verlaufsweise 
wird durch Exstirpations- und Beizversuche sicher gestellt 

W. Cohnstein (Berlin). 


5) Der Einfluss des Quecksilbers auf das Nervensystem des Kaninchens, 
von Dr. Ludolph Brauer, Privatdocent in Heidelberg. Aus der medicinischen 
Klinik und dem pathologischen Institut zu Heidelberg. (Deutsche Zeitschrift für 
Nervenheilk. 1897. XII.) 

An einer Versuchsreihe von 23 Kaninchen wurden die verschiedensten Quecksilber¬ 
präparate unter den mannigfachsten Applicationsmethoden erprobt Von den ge¬ 
wonnenen Besultaten der toxicologischen Wirkung des Quecksilbers sollen die Alte¬ 
rationen des Nervensystems eine nähere Besprechung finden. Bei rascher Ueberführung 
grosser Giflmengen in den Kreislauf wird das klinische Krankheitsbild beherrscht 
von allgemeinen Lähmungssymptomen mit Beflexsteigerung und Ataxie, Erscheinungen, 
welchen eine Schädigung im Centralnervensystem zu Grunde liegt Ueber das Ver¬ 
halten der nervösen Elemente im Gefolge von Quecksilbereinfuhr giebt die mikro¬ 
skopische, auf die feineren Structurverhältnisse gerichtete Untersuchung Aufschluss. 
Unverändert zeigten sich Gehirn, periphere Nerven, Spinalganglien, Nervenwurzeln 
und die Fasersysteme des Bfickenmarks. Dagegen ergab die Nissl’sche Methode 
der Zelluntersuchung Veränderungen an den motorischen Vorderhorazellen des BOcken- 
marks, Zeichen der Degeneration, welche in leichtester Form auch bei Thieren 


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beobachtet worden, die, ohne klinische Symptome einer Nervenläsion, der an Nieren 
und Darm entfalteten Giftwirkung erlegen waren. Die Veränderungen am Zellleibe 
bestehen im wesentlichen in einem körnigen Zerfall der Nissl’schen Körper und 
der Verstreuung der Zerfallsproducte Über den Zellkörper. Als Ausdruck stärkerer 
Schädigung im Gefolge von grossen Giftmengen findet man ein Zusammenballen der 
färbbaren Substanz zu Klumpen, sowie Verkleinerung der ganzen Zelle. Kern* 
Veränderungen spielen keine besondere Bolle. Ob man an die erwähnten Abweichungen 
von dem normalen Zellbilde Anfangsstadien der nervösen Functionsstörungen zu Grunde 
legen darf, lässt Verf., und zwar mit Becht, vorerst unentschieden. Dagegen geht 
aus den Versuchen hervor, dass selbst von einer das Nervensystem treffenden Ver¬ 
giftung mit Quecksilber der periphere Nerv nicht in Mitleidenschaft gezogen wird. 
Die vom Verf. angestellten Experimente geben somit keine Grundlage ab für die 
Annahme einer Polyneuritis mercurialis. E. Asch (Frankfurt a./M.). 


6) Ueber Bogengänge und Baumsinn, von J. Breuer. (Pflüger’s Archiv. 

Bd. LXVIII.) 

Cyon hat kürzlich unter demselben Titel eine Abhandlung im Arch. f. Anat. 
u. Phys. 1897. Phys. Abth. veröffentlicht. Nach der bekannten, schon 1878 aus¬ 
gesprochenen Hypothese dieses Autors entsteht aus den Empfindungen der halbbogen- 
förmigen Canäle unsere „ideale Baumanschauung“ und zwar im wesentlichen onto- 
genetisch. Verf. kritisirt diese Hypothese und die Argumente, welche Cyon in seiner 
neuesten Arbeit zu ihren Gunsten angeführt hat. Während Cyon die bekannte 
Kopfwendung von Fröschen, Tauben und Kaninchen auf der Botationsscheibe als 
passives Zurückbleiben des Kopfes deutet, fasst sie Verf. — offenbar mit Becht — 
als active Drehung auf. Während ferner Cyon annimmt, dass es sich bei den 
Kopfwendungen um reine Gesichtsphänomene handele, weist Verf. durch Wieder¬ 
holung älterer Versuche nach, dass bei geblendeten Fröschen die Kopfwendung nur 
in Folge einer Beflexhemmung für einige Zeit ausbleibt, dann aber vollständig ein- 
tritt. Die Kopfwendung wird also nicht nur von der Betina, sondern auch von den 
Bogengängen ausgelöst Th. Ziehen. 


7) Bulle funaioni dei oanali semioireolari, per E. Lugari. (Biv. di patolog. 
nerv, e ment II.) 

Verf. hält die halbcirkelförmigen Canäle für Organe, die nur dem Gehör dienen 
ihres anatomischen Zusammenhangs mit dem Ohr wegen und, weil sie nach den drei 
Dimensionen des Baumes angeordnet, geeignet sind, die Localisationen des Schalles 
zu percipiren. Die aus den Canälen entspringenden Nerven treten mittels ihres 
zweiten Neurons in Contact mit den Kernen der Augenmuskelnerven und mit Nerven- 
kernen im Cervical- Und vielleicht auch Dorsalmark. Dadurch ist von den Canälen 
aus eine Reflexwirkung auf Bewegungen der Augen und des Kopfes ermöglicht. 

Valentin. 


Pathologische Anatomie. 

8) Bioerche sulle lesioni dello flbre nervöse spinall nelle psioonevrosi 
acute e contrlbuto anatomloo allo Studio della paralisi spinale spastica, 
per A. Donaggio. (Biv. speriment. di Freniatria. XXIII.) 

Anatomische Untersuchungen des Bückenmarks bei 5 an Manie und 3 an acutem 
Verfolgungswahn erkrankten Patienten. In 5 Fällen fand Verf. doppelseitige, sym¬ 
metrische Strangdegenerationen und initiale, nur in einem Falle schwerere, Ver- 


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änderungen der Nervenzellen. Die Strangdegenerationen erstreckten sich nicht höher 
als bis zur Cervicaigegend. Es waren betroffen: 2 Mal die Hinterstränge, 2 Mal 
Hinter* nnd Pyramidenseitenstränge, 1 Mal nur die letzteren. Die Degenerationen 
wiesen die von Vassale für primäre als charakteristisch beschriebenen Kennzeichen 
auf, wie negatives Resultat mit der Marchi’schen Methode u. s. w.. Die primären 
Degenerationen sind nicht nnr unabhängig von Zellverändernngen, sie können die 
Faser auch in jedem beliebigen Abschnitt ihres Verlaufs ergreifen, sie gleichen den 
bei Vergiftungen beobachteten und verdanken selbst wahrscheinlich einer Antointoxi- 
cation ihr Vorhandensein, ebenso wie die acuten Psychosen, bei denen sie auftraten. 
Sie sind der Heilung zugänglich. 

Ein Kranker mit Mitralinsufficienz nnd Leber* und Nierenaffectionen, bei dem 
die Section primäre Degeneration der gekreuzten Pyramidenbftndel ohne Betbeiligung 
anderer Stränge oder der Nervenzellen erkennen liess, bot während des Lebens voll* 
kommen das Bild der spastischen Spinalparalyse. Valentin. 


9) Sülle alterasioni delle oellule nervöse dell* asse oerebro-spinale oon- 
seoutive all’ inanizione, per C. Ganfini. (Monitore zoolog. 1897. VIII.) 

Bei Kaninchen, die 5—7 Tage gehungert hatten, fand Verf. nach der Nissl’- 
sehen Methode die Zellen der Vorderhörner weniger gefärbt als normal, bald mit 
gut umgrenzten Chromatinschollen, bald mit diffuser Körnelung. Der Kern ist grösser 
als bei nicht hungernden Thieren. Auch die Neurogliazellen sind weniger stark 
gefärbt. Hinterhörner- und Hirnrindenzellen ohne Veränderung. Valentin. 


10) Changes in the central nervous System after aseptic injury, by Jo¬ 
seph Sailer. (Proceedings of the pathological society of Philadelphia. 1898. 

January 15.) 

Nach dem Vorgänge von Tedeschi und Marinesco untersuchte Verf. die 
■Wirkungen einer einfachen aseptischen Zerreissung des Gehirns, indem er einer Katze 
ein feines Loch durch die Hirnschale bohrte und durch dieses einen sterilisirten 
Platindraht in das Gehirn einstach und hin und her bewegte. Die anfangs be¬ 
stehenden Störungen in der Bewegung des Hinterbeins verschwanden bald. Nach 
72 Stunden wurde das Thier getötet; an der Stelle der Läsion zeigte sich Hervor¬ 
quellung von Hirnsnbstanz und beträchtliches Blutextravasat. Die Untersuchung 
des in 96 °/ 0 Alkohol gehärteten Gehirns zeigte in unmittelbarer Nachbarschaft der 
Läsion keine Zunahme der Neurogliazellen; das ganze Gewebe färbte sich nicht. 
Direct hinter dieser Zone zeigten sich Capillaren mit Wucherung der Endothelzellen, 
deren Kerne theilweise Karyokinese erkennen Hessen. Die Neurogliazellen waren 
leicht vermehrt, die Ganglienzellen stark degenerirt. Noch weiter entfernt zeigte 
das Nervengewebe normale Beschaffenheit. Die Neurogliafasern waren in der Nähe 
des Coagulum dicker und breitmaschiger als normal. Das Neurogliagewebe ersetzt 
nach aseptischer Zerreissung der Hirnsubstanz das zerstörte Gewebe, hauptsächlich 
durch Verdickung der Fasern, weniger durch Wucherung der Neurogliazellen. Die 
Ganglienzellen dieser Gegend erhoben sich nicht wieder zu functioneller Thätigkeit. 
In der ganzen afficirten Hemisphäre waren die pyknomorphen Zellen zahlreicher als 
in der gesunden. M. Rothmann (Berlin). 


Pathologie des Nervensystems. 

II) Patogenesi e semeiologia della vertigine, per L. Silvagni. (Roma. 1897.) 

Die vorliegende, äusserst sorgfältige und von grosser Belesenheit in der ein¬ 
schlägigen Litteratur zeugende Monographie enthält zunächst einen mit einsichtsvoller 


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Kritik geschriebenen historischen Ueberblick Aber die verschiedenen Theorieen von 
Wesen und Pathogenese des Schwindels nnd der za seiner Erklärung herangezogenen 
Erscheinungen, wie der Function der halbcirkelförmigen Canäle, des Baumsinnes, der 
Erhaltung des Körpergleichgewichts. Ueber den intracraniellen Blutdruck unter ver¬ 
schiedenen experimentellen Bedingungen, wie Compression einer oder beider Carotiden, 
der Vertebralis u. s. w., sowie Aber den bei Durchleitung des galvanischen Stromes 
durch den Kopf entstehenden Schwindel und seinen Einfluss auf Athmung nnd Blut- 
circulation hat Verf. Thierversuche angestellt und theilt die betreffenden Curven mit. 

Schwindel kann auf zwei Arten in Erscheinung treten: subjectiv mit schein¬ 
baren, in Wirklichkeit nicht vorhandenen Bewegungen der Umgebung und objectiv 
mit Bewegungen des betroffenen Individuums selbst. Zur Aufrechterhaltung des 
Körpergleichgewichts sind automatische Bewegungen erforderlich, die geregelt werden 
von sensitiven Beizen. Aber nicht nur von Beizen einer einzelnen Gruppe von 
Sinnesorganen; die automatischen Bewegungen sind vielmehr das complexe und ein¬ 
heitliche Besultat aller von der Peripherie zu den Centren gelangenden Sensationen. 
Uebereinstimmung muss auch vorhanden sein in der Uebertragung jener falschen 
Sensationen betreffs unserer Beziehungen zum Baum, die den Schwindel veranlassen. 
Und ob er vom Auge, vom Ohr oder von den tactilen Nervenendigungen seinen 
Ursprung nimmt, Schwindel wird nur entstehen können, wenn alle peripheren Sinnes¬ 
organe uns Abereinstimmend die Empfindung einer nicht vorhandenen Lage zur Um¬ 
gebung Abermitteln. Der Ursprung des Schwindels ist also eine Täuschung des 
Baumsinnes. Diese Täuschung ist keine Hallucination, wie Niemeyer und Sau- 
vages, keine Illusion, wie Lussana, Nothnagel, Frank annehmen, sondern nach 
Ansicht des Verf.’s eine Verkehrung (pervertimento). Ohne Bewusstsein giebt es 
keinen Schwindel; dieser ist „die Wahrnehmung der Verkehrung des Baumsinnes, 
die vorhergehende Erregungen der zur Aufnahme, Uebertragung und Ausgestaltung 
der Baumesempfinduug dienenden Nervenelemente begleitet, und die durch Kreislauf¬ 
störungen, durch die Wirkung toxischer Substanzen oder durch die plötzliche Er¬ 
schöpfung der Nervenelemente selbst hervorgerufen werden kann.“ 

Zum Schluss folgt eine Eintbeilung der verschiedenen Schwindelformen in physio¬ 
logische oder occ&sionelle, sensorielle, reflectorisch, toxisch, symptomatisch entstandene, 
in essentielle und in solche bei Psychosen und aus verschiedenen Veranlassungen 
vorkommende, und ihre allgemeine und specielle Symptomatologie. Valentin. 


12) Einige Bemerkungen zur Lehre vom Ohrenschwindel, von W. Ebstein. 

(Deutsches Archiv f. klin. Medicin. 1897. Bd. LVIII.) 

Verf. berichtet Aber Fälle von Ohrenschwindel, bei denen die Natur des Ohren¬ 
leidens festgestellt wurde, und welche ätiologisch und symptomatisch interessante 
Einzelheiten ergaben. 

In einem Falle handelte es sich um eine bei einem Gichtiker unter dem Bilde 
des Meniöre’schen Schwindels auftretende Vertigo. Bei dem Kranken bestehende 
Gehörsstörungen waren die Folge einer Erkrankung des inneren Ohres und des 
Acu8ticu88tammes. 

Ferner wurden Schwindel und Erbrechen mit rechtsseitiger Schwerhörigkeit bei 
einer an Bheumatismus deformans erkrankten Frau, Gicht, Schwindel und Gehör¬ 
leiden bei einem dritten Patienten, der gleichzeitig eine Verkalkung des Trommel¬ 
fells hatte — möglicherweise harnsaure Salze — beobachtet. 

Zu den bisher bekannten Fällen von Labyrintherkrankung bei Influenza fAgt 
Verf. einen dritten eigener Beobachtung. 

Endlich noch wurde der Ohrenschwindel beobachtet bei einer an Tuberculose 
und Diabetes leidenden Kranken, sowie in Verbindung mit Supraorbitalneuralgieen 
und hochgradiger Coprostase nnd endlich bei Syphilis. K. Grube (Neuenahr). 


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13) Ueber einem typischen Fall von Meniere’soher Affeotton. — Heilung, 

von Dr. Albert Bing, Privatdocent in Wien. (Wiener med. Wochenschrift. 

1898. Nr. 4.) 

Typischer Men ihre'scher Schwindel (Morb. Menidrei apoplectiformis) mit voll* 
ständiger nervöser Tanbheit rechts. Pai war 42 Jahre alt, früher immer gesund, 
litt in letzter Zeit oft an Congestionen zum Kopf. Verordnung: Jodsalz 0,5 pro die, 
EmpL vesic. am rechten Warzenfortsatz. Nach 3 Wochen Heilung. Hörvermögen 
wieder ganz normal. Welcher Art die pathologische Veränderung war (Capillsr- 
apoplexie, seröse Exsudation), und in welchem Theile des Gehörapparats sie sass, 
liess sich nicht bestimmen. 

Man soll, meint Verf, wenigstens in der Otologie von Morbus Menidrei nur 
sprechen bei apoplectiformem Auftreten der Trias (so dass es eigentlich nur einen 
Morb. Men. apoplectiformis giebt), und wenn die pathologischen Veränderungen im 
Endapparate des Acnsticus oder längs seines centralen Verlaufs sitzen. Den Ans* 
druck Menidre’scher Symptomencomplex sollte man fallen lassen und bei Auftreten 
der Trias, z. B. nach Einwirkung eines Traumas auf das Ohr, nur von Buptur, 
Commotio labyrinthi, Hämorrhagie u. s. w. sprechen, aber nicht von Meni&re, ebenso 
nicht, wenn bei Ansammlung von Cernmen, Katarrh, Ausspritzung der Ohren, Luft¬ 
eintreibung u. s. w. sich sog. Me nid re'sehe Symptome einstellen. 

J. Sorgo (Wien). 


14) Los hydrooöphalies, par Dr. d’Astros, Mddecin des Höpitaux de Marseille. 

(Paris. Steinheil 1898. 341 S.) 

Eine monographische Beschreibung über Hydrocephalie entspricht gewiss einem 
Bedürfhiss und der Verf. wird durch die Art und Weise, in der er seine Aufgabe 
erfüllt hat, gewiss des Dankes und der Anerkennung seiner Fachgenossen sicher 
sein. Nach einer historischen Einleitung und nach Besprechung der anatomischen 
und physiologischen Verhältnisse, wie der Symptome der Krankheit kommt er zu der 
Pathogenie der Krankheit; er nimmt eine Hydrocephalie durch venöse und lymphatische 
8ta8e an und eine andere inflammatorischen Ursprungs. Im 6. Kapitel bespricht Verf. 
die congenitale Hydrocephalie, im 7. die Hydrocephalie der Degenerirten, im 8. In- 
fection und Hydrocephalie, im 9. das Verhältniss von Bhachitis zur Hydrocephalie. 
Ein besonderes Kapitel ist sodann der Discussion der Meningitis serosa (Quincke) 
gewidmet. Wenn Verf. auch eine solche Meningitis serosa besonders in der acuten 
Form annimmt, so meint er doch, dass die chronische Form Quincke's, wenn er 
dieselbe auch nicht bestreitet, hier besonders mit Bücksicht darauf eine Einschränkung 
erfahren müsse, als mehrere der Quincke’schen Fälle wohl latente congenitale 
Hydrocephalieen seien, welche durch accidentelle Einflüsse zur Erscheinung gekommen 
sind. Es werden sodann die Hydrocephalieen bei Polioencephalitis, bei Hirntumoren, 
bei Hirntuberculose, bei hereditärer Syphilis und endlich der Hydrocephalus extemus 
besprochen. Nach einer Erörterung der Diagnose der Hydrocephalie kommt Verf. zu 
der Therapie, in welcher er nach Aufzählung der verschiedenen chirurgischen Ein¬ 
griffe zu dem Schluss kommt, dass unsere Heilkunst in dieser Krankheit noch sehr 
wenig vorgeschritten sei. 

Die Litteratur, auch die deutsche, ist eingehend berücksichtigt. Die Ausstattung 
des Buches ist eine sehr gute, und wir können das Werk auf das Beste empfehlen. 

M. 


16) Sarooma della fossa cranioa posteriore destra oon idrooefalo e scolo 
di liquido oerebro-epinale del naso, per L. A. Campo. (Biv. sperim. di 
Freniatria. XXIII.) 

24 jähriger Mann erkrankte im 7. Lebensjahre an einem Ohrenleiden, darauf 
entwickelten sich nach und nach die anderen Beschwerden: Kopfschmerzen, schwan- 


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kender Gang, Exophthalmus, Schwellung der Kopfvenen, Hydrocephalus, Ataxie des 
Sumpfes und der Glieder, Lähmung des rechten Facialis, Nystagmus, Zurückbleiben 
dm rechten Auges bei Convergenzbewegungen. Aus dem linken Nasenloch floss fast 
ständig Cerebrospinalflüssigkeit aus, die Verf. chemisch untersuchte und mit den 
Analysen anderer Beobachter, sowie mit der durch Quincke’sche Lumbalpunction 
bei seinem Kranken entleerten Flüssigkeit verglich. Wurde der Ausfluss aus der 
Nase geringer oder bürte er zeitweilig auf, so steigerten sich die Beschwerden des 
Patienten. 

Bei der Section fand sich ein volominüser grossentheils cystischer Tumor in 
der rechten hinteren Schädelgrube, der Hinterfläche des Felsenbeins anhängend, der 
die umgebenden Hirntheile stark comprimirt hatte. Es war ein cystiscbes Sarcom 
endothelialen Ursprungs. An der Arachnoidea sassen Verdickungen, die mikroskopisch 
Pacchioni’sehen Granulationen glichen und die Dura und stellenweise den Knochen 
usurirt hatten, so am Sinus frontalis. In diesen hinein war denn auch die Flüssig* 
keit vom Vorderhorn des linken Seitenventrikels durch die verdünnte Nervensubstanz 
gesickert und weiter durch das Infundibulum in die Nase. Valentin. 


16) Chronio hydrocephalus treated by interoranial drainage , by G. A. 

Sutherland. (Brit. med. Journ. 1898. March 19. S. 758.) 

Verf. berichtet in der klinischen Gesellschaft über einen, gemeinschaftlich mit 
Watson Cheyne behandelten Fall von congenitalem Hydrocephalus bei einem 
6 jährigen Kinde mit hereditärer Syphilis. Ein Drainrohr von Catgut wurde in den 
unteren linken Winkel der grossen Fontanelle eingeführt, ein Ende zwischen Dura 
und Gehirn, und ein anderes in den Ventrikel. Aus diesem floss nur wenig Flüssig¬ 
keit ab. Dann wurde die Oeffnung in der Dura mit Catgutnaht verschlossen, die 
äussere Wunde wie gewöhnlich. 5 Tage nach der Operation war die Wunde völlig 
zugeheilt. Der Erfolg der Operation war, dass der Schädelumfang ansehnlich ver¬ 
ringert, die Fontanellen wurden sehr viel kleiner, dichter mit Pulsation. — Das Kind 
starb 3 Monate später an Basilarmeningitis. Im subduralen Kaum fand sich eine 
grosse Menge Flüssigkeit. Das Gehirn war klein, cystisch zum Theil; die Ventrikel 
nicht erweitert 

Watson Cheyne berichtet dazu über einen anderen, analogen Fall mit eben¬ 
falls vorgenommener Operation. Es sei eine Hoffnung vorhanden, die Entwickelung 
eines solchen Gehirns zu erzielen, wenn die Operation vorgenommen werde, bevor 
Druckentzündung im Gehirn entstanden sei. L. Lehmann I (Oeynhausen). 


17) Ein Beitrag zu den selteneren Fällen der Sehstörongen bei intra- 
oraniellen Erkrankungen, von Prof. Uhthoff in Breslau. Unter Zugrunde¬ 
legung eines in der schlesischen Gesellschaft für vaterländische Cultur (medic. 
Section) gehaltenen Vortrages mit Krankendemonstration. (Deutsche med. Wochen¬ 
schrift 1898. Nr. 9 u. 11.) 

Fall I. Die 7jährige Patientin H. F. erblindete vor 3 Jahren im Anschluss 
an eine epidemische Cerebrospinalmeningitis vollständig und blieb auch später im 
gewöhnlichen Sinne des Wortes blind, wenngleich sich etwas Lichtempfindung ein¬ 
stellte. Bei der Untersuchung (Juni 1897) erwiesen sich die inneren Organe intact, 
der Nervenstatus annähernd normal, insbesondere keine Läbmungserscheinungen und 
Sensibilitätsstorungen, keine Imbecillität u. s. w. Augenhintergrund normal, Emme- 
tropie. — Prompte Pupillenreaction auf Licht, Accommodation nicht zu prüfen. 
Keine Lähmungen, kein Nystagmus; Strabismus divergens, namentlich des linken 
Auges. Das Kind behauptet nichts sehen zu können, fixirt nicht, macht keine 
positiven Angaben und verhält sich bei der Orientirung im Baum wie eine Blinde. 

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Eine genauere Prflfung ergab, dass das Kind thatsäcblich nicht vollständig blind war, 
dass es zeitweise auf keine Prflfung reagirte, an anderen Tagen folgte es grösseren 
vor den Augen bewegten Dingen, griff mit den Händen danach, fixirte dagegen nicht 
ruhig gehaltene, namentlich kleinere Objecte. Ziemlich sicher umging das Kind 
grössere Hindernisse und zwar mit vorgestreckten Händen oft ohne die Gegenstände 
zu berühren. — Trotzdem behauptete Pat. durchweg garnicht sehen zu können und 
benutzte, sich selbst Aberlassen, d. h. ohne Aufforderung und Erregung ihrer Auf* 
merksamkeit, das geringe, offenbar vorhandene Sehen gar nicht Richtige Wahr¬ 
nehmungen von Farben konnte das Kind anscheinend nicht gewinnen, lieferte auch 
keine Anhaltspunkte zur Beurtheilung der Sehschärfe. Das Gesichtsfeld war an¬ 
scheinend noch ziemlich im normalen Umfang erhalten, jedenfalls keine Hemiopie 
nachweisbar. — Durch methodische Uebung wurde das Sehen und die Verwerthung 
desselben etwas gefördert. 

Verf. hält Hysterie für sicher ausgeschlossen und nimmt eine doppelseitige 
Hirnrindenläsion in der Gegend des Sehcentrnms an mit sehr hochgradiger, dauernder . 
Beeinträchtigung der Sehfunction. Der Eintritt des Leidens im Alter von 3 Jahren 
erklärt, dass das Kind bei seiner weiteren geistigen Entwickelung das restirende, 
geringe, wenig nfltzende Sehvermögen allmählich ganz vernachlässigte und im gewöhn¬ 
lichen Leben völlig blind erschien, dass ferner Anregung der Aufmerksamkeit und 
Belehrung das Sehen anfangs ein wenig besserte, während das Kind, sich selbst 
fiberlassen, sich als ganz erblindet fühlte. — Eine längere Beobachtung in der 
psychiatrischen Klinik bestätigte die Annahme und machte wahrscheinlich, dass bei 
dem Kinde auch die tactilen Grössen- und Raumvorstellungen mangelhaft entwickelt 
waren. 

Fall II, Sehr complicirte Krankheitssymptome bei einer 28jährigen Patientin, 
und zwar linksseitige homonyme Hemianopsie mit Uebergreifen auf die rechten 
Gesichtsfeldhälften, doppelseitige Ophthalmoplegia interna, leichte Atrophie der Papille 
(rechts, später auch links) und Morbus Basedowii (Struma, Herzpalpitationen, Tremor, 
Hyperhidrosis, psychische Erregungszustände u. s. w., kein Exophthalmus). Besserung 
durch antiluetische Kur. — Die Sehstörung weist nach Verf. sicher auf das vordere 
Ende des rechten Tractus opticus hin mit Uebergreifen auf das Chiasma. — Eine 
einheitliche Erklärung des ganzen Krankheitsbildes ist unmöglich. Einmal könnte 
man die Sehstörung mit einer Hypophysiserkrankung, diese wiederum mit der Schild¬ 
drüsenerkrankung, der eventuellen Ursache des M. Basedowii, in Zusammenhang 
bringen; unerklärt bliebe die Ophthalmoplegia interna. Weiterhin könnten die 
Tractusläsion und Ophthalmoplegie luetischer Natur sein und bei der schon länger 
bestehenden Entartung und Vergrösserung der Schilddrüse der Ausbruch des M. Base¬ 
dowii durch den Eintritt der intracraniellen Erkrankung begünstigt sein. Die dritte 
Möglichkeit der Deutung, die Basedow’sche Erkrankung als das Primäre anzusehen, 
die Sehstörungen als secundär und davon abhängig zu betrachten, hat am wenigsten 
Wahrscheinlichkeit. Die Anamnese ergab, dass die Struma schon seit dem 14. Lebens¬ 
jahre besteht, in letzter Zeit aber zugenommen hat, dazu traten vor einigen Monaten 
Verschlechterung des Sehvermögens, rechtsseitige Kopf-, Gesichts- und Zahnschmerzen, 
gelegentlich Ohnmachtsanfälle. — Lues geleugnet. R. Pfeiffer (Cassel). 


18) Die Bedeutung der Augenstörungen für die Diagnose der Hirn- und 
Rückenmarkskrankheiten, von Dr. Otto Schwarz, Privatdocent an der 
Universität Leipzig. (Berlin. 1898. S. Karger.) 

Das Büchlein verdient die Beachtung der Neurologen in vollstem Maasse. Nach 
schätzenswerthen ophthalmologischen Vorbemerkungen werden die Augehstörungen 
bei den verschiedensten Krankheiten der Hirnhäute, des Hirns, des verlängerten 
Marks, des Rückenmarks, sowie bei einer Anzahl functioneller Neurosen namentlich 


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in diagnostischer nnd differentialdiagnostischer Hinsicht besprochen. Interessant sind 
namentlich die Kapitel über die Geschwfilste und über die Syphilis des Central- 
nervensystems, Aber Paralyse, Tabes und die multiple Sklerose. Am eingehendsten 
sind die pathologischen Augensymptome bei der Hysterie behandelt, die nicht nur 
eine brauchbare Zusammenstellung der Arbeiten anderer Forscher, sondern selb¬ 
ständige, neue und vertrauenswürdige Beobachtungsresultate enthalten. 

G. Ilberg (Sonnenstein). 


19) Ein transparenter Kugelperimeter aus Celluloid für den Handgebrauch, 

von Dr. Julius Ascher, Augenarzt in Frankfurt a./M. (Ophthalmol. Klinik. 

1898. Nr. 5.) 

Yerf. hat einen neuen handlichen Perimeter construirt, der in der Hauptsache 
ans einem Hohlkugelsegment aus transparentem Celluloid besteht Auf seiner con¬ 
vexen Seite befindet sich ein Gesichtsfeldschema mit Grenzen für Weiss und Farben, 
daran ein Bügel mit Handgriff und Augenstütze. 

In Folge des geringen Gewichts des Celluloids (der ganze Apparat wiegt 450 g) 
kann der Patient den Apparat leicht und sicher vor dem zu untersuchenden Auge 
halten. Der transparente Mantel der Hohlkugel gestattet einerseits in allen ihren 
Theilen dieselbe Beleuchtung, andererseits die Prüfungsblättchen auf die convexe 
Seite der Hohlkugel zu verlegen. Durch diese Verlegung kann 1. die Unförmigkeit 
der alten Apparate durch einen kleinen, handlichen und bequem transportirbaren 
Apparat ersetzt werden, 2. wird die Untersuchung dem Arzte dadurch bequemer, sie 
liegt ihm handgerechter und 3. fällt das dem Gesichte des Patienten so nahe Hin- 
ond Herbewegen der Sehobjecte fort. 

Das Besultat wird direct auf der Kugel mit weicher farbiger Kreide aufgezeichnet 
Durch eine im Pole der Kugel sich befindende röhrenförmige Oeffnung, durch welche 
hindurch das zu untersuchende Auge einen fernen Gegenstand fixiren soll, wird die 
Aocommodation genügend entspannt. Die Transparenz des Mantels gestattet dem 
Arzte die Blicklinie Beiner Patienten bequem zu überwachen. 

Das Perimeter ist zu beziehen durch F. Benningen, Frankfurt a./M., Bibergasse 2, 
und kostet 48 Mark. Fritz Mendel. 


20) Contributo allo Studio delle paralisi alternanti dei muscoli oculari, 

per G. Mingazzini. (Suppl. al Policlinico. 1897. IY.) 

2 Fälle alternirender Augenmuskellähmung: 

I. Eine 46jährige sehr schlecht genährte Frau, die früher an hysterischen 
Krämpfen gelitten und vor 10 Jahren bereits an Doppeltsehen erkrankt war, wurde 
auf dem rechten Auge von Lähmung des Hebers des oberen Augenlides und von 
Doppeltsehen befallen. Nach einem Monat Heilung. 1 / i Jahr später rechts Lähmung 
des Levator palpebrae sup., Bewegung des Auges nach oben stark eingeschränkt; 
links Lähmung des Levator, Hebung, Senkung, Aussen- und Innenrotation des Bulbus 
fast gleich Null. Schmerzen im Verlauf des linken N. ulnaris. 

II. 38jähriger, luetischer Mann. Seit 6 Jahren fast jährlich Augenmuskel¬ 
lähmung und zwar beim ersten Mal des Obliquus superior rechts, später links. Jetzt 
Lähmung des linken Levat. palpebr. sup. und des M. obliquus sup. liuks. Pupillen 
lichtstarr. Zugleich Gefühl von Schweiss in den unteren Extremitäten und lanci- 
nirende Schmerzen. Wahrscheinlich beginnende Tabes. 

Die altemirenden Augenmuskelläbmungen unterscheiden sich dem Yerf. zufolge 
nicht von der Ophthalmoplegia chronica progressiva. Valentin. 


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31) Remarques bot quelques troubles oeulairee döpendant de l’dtat gdnöral, 
par Emile Berger. (Arch. d’Ophtalmologie. Paris. 1897. aoftt) 

Verf., welcher zunächst allgemein darauf hinweist, dass eine im Verlauf oder 
nach einer anderen Krankheit auftretende Augenstörung darum noch nicht lediglich 
anf diese bezogen werden dflrfe, sondern dass es auch wesentlich auf den Allgemein* 
zustand ankomme, fOhrt mehrere derartige eigene Beobachtungen an. So trat z. B. 
in einem Palle im Anschluss an gelbes Fieber die Unfähigkeit auf, Nadeln einzu¬ 
fädeln u. 8. w.; objectiv fand sich bei Untersuchung des Gesichtsfeldes eine rasch 
zunehmende Einengung ffir Weise (Spiralgesichtsfeld) und „Ermüdungstypus von 
Foerster“, sowie allgemeine Symptome von Neurasthenie. 

In einem anderen Falle trat im Anschluss an die Taucherluftdruckkrankheit 
(„Maladie des Caissons“) Sehstörung ein; objectiv Anästhesie der Conjunctiva des 
linken Auges, concentrische Einengung und Inversion der Farbenempfindungsgrenzen. 
Letzteres fand sich auch in einem Falle, in welchem die subjectiven Sehstörungen 
im Verlauf von Broncekrankheit aufgetreten waren. 

Verf. betont, dass die Augenstörungen in diesen und ähnlichen Fällen eben 
nicht ohne weiteres direct auf die betreffende Krankheit, sondern auf Neurasthenie 
oder Hysterie zu beziehen seien, welche sich im Laufe oder in Folge derselben ent¬ 
wickelt hätten. Kaplan (Herzberge). 


22) Zar Symptomatologie der Augenmuakellähmungen, von P. Horitz Sachs 

(Wien). (Gräfe’s Archiv für Ophthalmologie. 1897. XLIV.) 

Verf. fand bei von ihm untersuchten Fällen von einseitiger Abducensparese, dass 
sowohl beim Blick von links nach rechts, als beim Blick von rechts nach links 
Scheinbewegungen auftraten, und zwar in der Richtung der intendirten Blickbewegung. 

Auffallenderweise fand sieb, wenn die Prüfung bei Offenbleiben des gesunden 
Auges stattfand, eine falsche („spastische“) Localisation auch im Bereich des asso- 
ciirten Internus der gesunden Seite; es wurde also z. B. bei rechtsseitiger Abducens¬ 
parese ein rechts gelegener Gegenstand, mit dem linken Auge betrachtet, nicht am 
richtigen Orte, sondern nach links verschoben gesehen. Um eine durch irgend 
welche Lähmung am linken Auge bedingte Localisationsstörung konnte es sich dabei 
nicht handeln, da bei einer solchen der Gegenstand stets nur nach der Richtung 
verlagert erscheint, in welcher der geschädigte Muskel das Auge dreht. 

Von den Doppelbildern, in die bei rechtsseitiger Abducenslähmung ein rechts 
gelegener Gegenstand zerfällt, wurde demnach keines an dem wirklichen Lageorte 
des betreffenden Gegenstandes, sondern das eine rechts, das andere links daneben 
gesehen. 

Verf. erklärt diese „spastische" Localisation mit einem rascheren Ablauf der 
Blickbewegung und der dadurch entstandenen Scheinbewegung, und nimmt an, dass 
der associirte Internus einen erhöhten Tonus besitzt, dem zu Folge die Impulse zur 
Rechtswendung rascher die gerade erforderliche Contraction aufbringen. 

Die Scheinbewegung führt zu einer Verlagerung der Gegenstände und damit zu 
einer falschen Localisation (nicht umgekehrt die falsche Localisation zur Schein- 
bewegungl). Diese Scheinbewegung der Gegenstände ist nach Verf. auch die Ursache 
des Schwindels, an welchen Individuen mit Augenmuskellähmung leiden. 

Paul Cohn (Berlin). 


23) Aug enmuskellähmungen durch QesohwulstmetastaBen, von Docent Dr. 
A. Elschnig in Wien. (Wiener klin. Wochenschr. 1898. Nr. 5.) 

1. Fall. Augenmuskellähmungen durch metastatisches Carcinom der Augen¬ 
muskeln. 73jährige Frau. Carcinom des Cervix, Metastasen in der Haut Das 


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linke Auge erfuhr zunehmende Protrusion bis zur vollständigen Unbeweglichkeit. 
Ptosis des oberen Lides, Anästhesie der . Augapfeloberfläche, neuroparalytiscbe Kera¬ 
titis. Pupillen gleich weit, reagiren gut, Fundus normal. Bei der Section fanden 
sich in allen Augenmuskeln mit Ausnahme des Obliquus inf. unmittelbar an ihrem 
Ursprünge OeschWulstmetastasen, in Form je eines härtlichen, die ganze Dicke der 
Muskeln einnehmenden Carcinomknoten; im Obliquus sup. deren zwei. 

Die Lähmung der Augenmuskeln kann musculären (durch mechanische Behin¬ 
derung der Contraction und Leitungsunterbrechung der Nervenausstrahlungen im 
Muskel selbst) oder neuralen Ursprungs (durch Druck auf die motorischen Nerven 
vor ihrem Eintritte in die Muskeln) gewesen sein. Ersteres hält Verf. für wahr¬ 
scheinlicher, weil die Pupillenfasern des Oculomotorius intact waren. Daneben spielte 
wohl auch die Compression der Nerven eine Bolle; die Anästhesie der Augapfel¬ 
oberfläche dürfte durch Drucklähmung des Bamus ophthalmicus des Trigeminus ent¬ 
standen sein. 

Schon geringfügige Geschwulstmetastasen an den Ursprungsstellen der Augen¬ 
muskeln müssen Lähmung erzeugen, denn die für die einzelnen Muskeln bestimmten 
Nerven legen sich unmittelbar nach ihrem Eintritte in die Orbita an die Innenfläche 
des entsprechenden Muskels, und strahlen fächerförmig in seine Substanz aus, die in 
die Knoten eingebetteten Nervenbündel wiesen auch thatsächlich hochgradige Atrophie 
auf. Geschwulstmetastasen in den Augenmuskeln sind enorm selten. Es ist bisher 
nur ein Fall beobachtet worden (Horner). 

2. FalL Totale Ophthalmoplegie des linken Auges durch metastatisches Carcinom 
im Sinus cavernosus sinister. 

Ein 47 jähriger Mann erkrankte 5 Wochen vor dem Tode au Ptosis des linken 
Auges, Paralyse aller äusseren und inneren Augenmuskeln, Anästhesie der Augapfel¬ 
oberfläche; Fundus und Sehvermögen normal. Carcinom der Schilddrüse. Bei der 
Autopsie zeigte sich in der Gegend des Sinus cavernosus sin. eine denselben erfüllende 
Geschwulstmasse, mit seiner Wand und der Carotis interna innig verbunden. Die 
Obturation setzt sich nur eine kurze Strecke in den einmündenden Venensinus fort. 
Die Nervenstämme im Sinus sind im Zustande entzündlicher Degeneration. Ein 
Hineinwachsen von Geschwulstmassen in dieselben ist nirgends nachzuweisen. Die 
Nervenfasern sind fast vollständig zu Grunde gegangen. Die Vena ophthalmica und 
deren Zweige sind durch Geschwulstmasse verschlossen; Opticus normal. 

Die seltene Localisation erklärt sich aus dem Durchbruche des Schilddrüsen- 
carcinoms in die Vena jugularis externa. 

Einfache Verstopfung des Sinus cavernosus durch Neoplasmen oder Thrombose 
braucht keine venöse Stauung au der Augapfeloberfläche und der Betina bervorzu- 
rufen, da die Vena ophthalmica mit den Gesichtsvenen durch weite und zahlreiche 
Anastomosen verbunden ist (Sesemann), so dass bei der Klappenlosigkeit der Vena 
ophth. vielleicht schon normalerweise ein Abfluss des Blutes aus dem Sinus caver¬ 
nosus in die Vena ophth. erfolgen kann. Stauungserscheinungen in den Orbital¬ 
gebilden sind immer Symptome einer auf die Orbitalvenen übergehenden Thrombo¬ 
phlebitis. J. Sorgo (Wien). 


24) Doppelseitige congenitale externe Ophthalmoplegie, von Pflüger (Bern). 
6. Sitzung des Medicin.-Pharmac. Bezirks-Vereins Bern. (Corresp.-Blatt für 

Schweizer Aerzte. 1S97. Nr. 11.) 

Verf. beobachtete einen Fall von Ophtalmoplegia externa bei einem Manne, 
dessen Vater von ganz demselben Leiden befallen war; er erinnert an einen von 
Dr. Gourfein (Bev. mdd. de la Suisse XII, 1896) publicirten Fall, wo die Con- 
genitalität eclatant war, indem Vater und 4 Söhne an totaler Ophthalmoplegie litten, 
während die Mutter und Töchter frei davon waren. Die Frage, ob in solchen 

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Fällen Nuclearlähmung yorliegt oder der Charakter der Erkrankung dem der pri¬ 
mären Myopathieen gleich zu achten sei, wird noch discutirt. Richter (Hamm). 


26) La dissooiatioix de la vision binoculaire ohes quelques stTabiques et 

quelques hystöriques, ä propos d’un cas d’amaurose monooulaire 

hystdrique, par A. Antonelli. (Archives d’ophtalmologie. 1897. XVH.) 

Der Fall, welcher dem Verf. die Veranlassung zu obiger Abhandlung gab, war 
kurz folgender: „13jähriger, von väterlicher Seite erblich belasteter Knabe, bis zum 
12. Jahre — abgesehen von Kinderkrankheiten — gesund, begann an Schlaflosigkeit 
zu leiden, änderte seinen Charakter sehr auffallend in malam partem; während dieser 
Zeit erfährt er eines Tages, dass sein Vater in eine Anstalt für Geisteskranke ver¬ 
bracht worden sei, alterirt sich äusserst heftig dar&ber, fällt einige Tage darauf 
mässig heftig mit dem Kopf auf eine Treppenstufe, wird nach 5 Tagen von inten¬ 
sivem Kopfschmerz befallen und bemerkt nach weiteren 2 Tagen beim Aufstehen am 
Morgen eine plötzlich auftretende Erblindung des linken Auges.“ Die Untersuchung 
ergab eine leichte Hypoästhesie der Bauchdecken auf der linken Hälfte, desgleichen 
der linken Cornea. Links keine Lichtempfindung — Verf. schloss Simulation sorg¬ 
fältig aus — bei vollkommener Refiexfreiheit der Pupille; rechts nahezu normale 
Sehschärfe, charakteristische Gesichtsfeldeinengung; der ophthalmologische Befund ohne 
Belang. Versuche mit stereoskopischen Proben (Dahlfeld) zeigten, dass Pat. nur 
. mühsam eine Fusion der Figuren (z. B. Schildwache und Schilderhäuschen u. ähnl) 
bewerkstelligen konnte, dagegen relativ leicht und flott Zeilen lesen konnte. 

Während der aus organischer Ursache — so auch Schielen — Amblyopische 
oder Amaurotische sich — jedenfalls im Anfang der Erkrankung — entschieden 
durch die unvermeidlichen Störungen in seiner Sehfähigkeit, bezw. in dem Bereiche 
seines Sehvermögens, geniert fühlt, ist dies ganz im Gegensatz dazu bei einem 
Hysterisch-Amaurotischen nicht der Fall. Bei letzterem besteht vielmehr ein voll¬ 
kommenes „Sich-Unbewusstsein“ über seinen Zustand, den er sich erst durch Ver¬ 
schluss des „sehenden“ Auges in das Bewusstsein rufen kann. Der ganze nervöse 
Apparat des binocularen Sehvermögens ist dabei völlig intact, nur ist die Verfügung 
über denselben in der Weise eingeschränkt (rötrdcie), dass es eines ziemlich ener¬ 
gischen Stimulans bedarf, um wirklich binoculares Sehen zu erzielen. Es spielt daher 
bei Hysterischen die Aufmerksamkeit — das Stimulans also — eine sehr grosse 
Rolle; wird diese, wie es beim Lesen von Sätzen unter dem Stereoskop erforderlich 
ist, sehr energisch angespannt, so kann der Pat. fliessend lesen, während das blosse 
Bestreben, zwei Stereoskopfiguren richtig zu vereinen, die Aufmerksamkeit — dem 
Pat. selbst unbewusst — nicht genügend stark wirken lässt. Dies Fehlen des „sich 
seines Zustandes Bewusstseins“ (inconscience) stimmt ganz überein mit dem Verhalten 
Hysterischer gegenüber allgemeinen hysterischen Parästhesieen. Verf. bezeichnet es 
demnach auch als eine hysterische Anästhesie des das binoculare Sehen vermittelnden 
sensoriellen Apparates. Es entwickelt sich auch bei dem hysterisch Amblyopischen 
oder Amaurotischen weder Simultansehen, noch echtes Monocularsehen, eben weil der 
sensorielle Apparat, wenn auch dem Träger unbewusst, functionirt. 

Richter (Hamm). 


26) Ueber Paralysis agitans und ihre Behandlung, von W. Erb. (Zeitschr. 
f. prakt. Aerzte. 1898. Nr. 5.) 

Verf. berichtet über 2 Fälle von Paralysis agitans bei einem 61jährigen und 
einem 44jährigen Manne. Bei dem ersteren entwickelte sich die Krankheit etwa 
! /j Jahr nach einem mit heftigen Schrecken vorbundenen Fall in den mit Eis be¬ 
deckten Rhein, in dem zweiten sofort nach dem Herabstürzen von einem Baum. In 


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beiden Fällen sind die zwei Hauptsymptome der Paralysis agitans scharf ansgeprägt, 
das Zittern und die Muskelsteifigkeit. Für das Zittern ist besonders charakteristisch, 
dass es bei völliger Buhe des Körpers besteht, dagegen im Schlafe völlig sistirt. 
Durch willkürliche Bewegungen ist es in den Anfangsstadien noch zu unterdrücken. 
Die Muskelsteifigkeit und Spannung, die eine Verspätung der Bewegungen verursacht, 
bedingt das charakteristische Bild der Krankheit, vor allem auch das Symptom der 
Propulsion und Retropulsion in Folge der Schwierigkeit, rasch die Gleichgewichtslage 
des Körpers zu ändern. Die beiden Hauptsymptome sind nicht immer in gleichem 
Grade entwickelt, ja das Zittern fehlt bisweilen ganz, so dass die Diagnose sehr 
schwer zu stellen ist. 

Die Paralysis agitans ist eine Krankheit des höheren Alters, tritt selten vor 
dem 50. Lebensjahre auf; Heredität spielt eine mässige, Syphilis gar keine Bolle. 
Psychische Einflüsse sind dagegen von grösster Bedeutung für die Entstehung der 
Krankheit. Der Sitz des Leidens muss im Gehirn sein, vielleicht im Hirnstamm in 
der Nähe der motorischen Leitungsbahnen. Eine sichere und constante anatomische 
Grundlage der Paralysis agitans kennen wir bis jetzt nicht. Die Prognose ist schlecht; 
der Tod tritt nach qualvollen Jahren mit Sicherheit ein. 

Die vom Verf. geübte Therapie besteht in Regelung der Diät und Lebensweise 
des Kranken, dann in der innerlichen Anwendung des Arseniks. Daneben muss 
Elektricität, am besten in Form der faradischen, bipolaren Bäder, angewandt werden, 
ferner eine milde Hydrotherapie. Was die symptomatische Behandlung betrifft, so 
sind gegen Zittern und Steifheit die Hyoscinsalze, besonders Hyoscin. hydrobromicum 
(Merck) in Dosen von 2—4 dmgr 1—2 Mal täglich anzuwenden. Aehnliche Wirkung 
hat das Duboisin in Dosen von 6—12 dmgr pro die. Der auf Grund der günstigen 
Erfahrungen mit Eisenbahnfahrten von Charcot vorgeschlagene „Zitterstuhl“ ist kaum 
zu empfehlen. M. Bothmann (Berlin). 


27) Faralyais agitans und Senilität, von Dr. M. Sander, Assistenzarzt an der 

städtischen Irrenanstalt Frankfurt a./M. (Monatsschr. f. Psychiatr. u. Neurolog. 

1898. Bd. III.) 

Es ist wiederum aus der Frankfurter Irrenanstalt in der vorliegenden Abhand¬ 
lung ein sehr bemerkenswerthes Resultat hervorgegangen, das einen Fortschritt unserer 
anatomischen Kenntnisse von den Nervenkrankheiten bedeutet Verf. hat das Rücken¬ 
mark eines Falles von Parkinson’scher Krankheit untersucht, bei dem die Krank¬ 
heitssymptome etwa in den 50 er Jahren begannen, in gleichmässigem, immer stärker 
werdendem Zittern, permanenten Spannungen der Muskulatur, die sich bis zu spastischer 
Lähmung steigerten, charakteristischer Körperhaltung und später hinzutretender 
Demenz bestanden. Verf. verwandte die Pal*sehe und die Marchi’sche Methode 
und die Weigert’scbe Gliafärbung. Er constatirte einen diffusen Untergang von 
Nervengewebe in verschiedenen Abschnitten der Vorder- und der Seitenstränge, und 
zwar einen nach Ausdehnung und Stärke in den verschiedenen Abschnitten des 
Rückenmarks wechselnden Degenerationsprocess. Die Pyramidenbahnen waren vielfach 
betheiligt, doch bestand keine Systemerkrankung der ganzen Pyramidenbahn. Die 
Randzone war in besonderem Grade afficirt. Am Weigert’schen Gliapräparat wurde 
eine excessive Wucherung der Stützsubstanz gefunden. Hier lag erstens ein grober, 
dichter Gliafilz um die Gefässe, der eine, die umgebenden Nervenfasern erdrückende 
perivasculäre Sklerose darstellte. Zweitens war die Glia in der Randschicht vermehrt; 
von hier drang ein dichter Gliafilz in die Substanz ein. Ausserdem fanden sich im 
Rückenmark arteriosklerotische Processe an den feinen und feinsten Gefässen und 
Corpora amylacea. 

Alle diese Veränderungen finden sich nun, wie Verf. in Uebereinstimmung mit 
anderen Forschern angiebt, bei senilen Rückenmarken nicht selten. Bei dem unter- 

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suchten Falle von Paralysis agitans war aber auch die graue Substanz betheiligt 
und zwar in viel höherem Grade als bei anderen senilen Rückenmarken. ln den 
Vorderhörnern und in der Gegend der Clarke'sehen Säulen war die Glia stark 
vermehrt; zahlreiche Spinnenzellen lagen in der grauen Substanz, wo auch die 
arteriosklerotischen Veränderungen deutlich ausgeprägt waren. 

Verf. kommt zu dem berechtigten Schluss, dass eine Wucherung der Stütz- 
Substanz in den Vorderhörnern zu Leitungshinderungen in der motorischen Innervations- 
bahn führt, dass sie den innigeu Contact zwischen den Endausbreitungen des moto¬ 
rischen Neurons erster Ordnung und den Dendriten der Vorderhornzelle beeinträchtigt. 
Als klinisches Symptom dieses anatomischen Processes kann man sieb recht gut den 
Tremor vorstellen, der ja in einer beständigen Unterbrechung des motorischen 
Innervationsstroms am leichtesten seine Erklärung findet. Schreitet dieser Process 
weiter fort, so wird es in der grauen Substanz zu degenerativen Veränderungen an 
den feinsten Verzweigungen der Nervenfasern kommen, was sich in einer Abnahme 
der Seitenstranginnervation, also in zunehmenden spastischen Symptomen äusseru muss. 
Die Sklerose der grauen Substanz ruft endlich Hinderungen in der reflectorischen 
Muskelinnervation hervor; die Körperhaltung, die Propulsion, die Störungen des 
Ganges der Kranken mit Paralysis agitans sind vielleicht so zu deuten. 

G. Ilberg (Sonnenstein). 


28) Paralysi8 agitans at thirty-four years of age, immediately following 
typhold fever, by Frank R. Fry, M. D. (Journal of nervous and mental 
disease. 1897. XXIV. S. 465.) 

Verf. berichtet über einen Fall von typischer Paralysis agitans, die sich bei 
einem erst 34jährigen sonst gesunden Mann im unmittelbaren Anschluss an einen 
Abdominaltyphus entwickelte. Zuerst wurde der rechte, dann der linke Arm ergriffen 
und nach wenigen Monaten erkrankten auch die Unterextremitäten. Der Tremor, 
die Haltung, der Gang, der Gesichtsausdruck, die Sprache u. s. w. sind jetzt iu jeder 
Beziehung charakteristisch. Sommer (Allenberg). 


29; Ueber das Zittern bei Faralysis agitans, von Dr. D. Gerhardt, Privat- 
docent und Assistent an der medicin. Kliuik in Strassburg. (Deutsche Zeitschr. 
f. Nervenheilk. IX. 1897.) 

Die Arbeit ist nach einem auf der 20. Wanderversammlung südwestdeutscher 
Neurologen und Irrenärzte im Juni 1896 zu Baden-Baden gehaltenen Vortrag zu¬ 
sammengestellt. In Nr. 14 d. Centralbl. 1896. S. 667 findet sich über denselben 
schon eine Mittheilung und sei an dieser Stelle darauf hingewiesen. 

E. Asch (Frankfurt a./M.). 


30) Tremor ten gevolge van Influenza , door D. de Buck en L. de Moor. 

(Med. Weekbl. voor Noord- en Suid-Nederl. 1897. 9. Jan.) 

Ein 51 Jahre alter nüchterner Mann ohne erbliche Anlage bemerkte bei der 
Genesung von einer Influenza mit hauptsächlich nervösen Erscheinungen ein leichtes 
Zittern im rechten Arme, das den Pat. nicht an der Ausübung seiner Zimmermanns- 
arbeit hinderte, bei der es etwas geringer zu werden schien. Ein Jahr später wurde 
Pat. zum zweiten Male von Influenza befallen, wieder mit derselben Form wie das 
erste Mal. Danach fühlte er sich viel matter, das Zittern wurde stärker und trat 
auch, aber viel schwächer, im linken Arm und im rechten Bein auf. Im wachen 
Zustande dauerte das Zittern unaufhörlich fort, im Schlafe hörte es auf; Anstrengungen 
vermehrten es, ruhige Arbeit schien es aber eher zu vermindern. Die Muskelkraft 


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war in dem rechten Arme vermindert. SensibilitätsstÖrumjen bestanden nicht, Ent* 
artungsreaction bestand nicht, auch keine bemerkbare Atrophie, auch sonst fand sich 
keine Abnormität. Nach Ausschluss aller anderen Möglichkeiten halten die Verff. 
das Zittern wahrscheinlich für hysterischer Natur und nehmen an, dass bei dem Pat. 
durch wiederholte Infectionskrankheiten (Malaria, Typhus), an denen er gelitten hatte, 
das Nervensystem geschwächt war, so dass ein Locus minoris resistentiae geschaffen 
wurde. Unter subcutaner Injection von Sperminum hydrochloricum besserte sich der 
Zustand, so dass Pat. so gut als geheilt angesehen werden konnte. 

Walter Berger (Leipzig). 


31) Psyohro-aeethesia (oold sensations) and psyohro-algia (cold pains), 
by Charles L. Dana. (New York Medical Journal. 1898. Vol. LXVII. 
Nr. 9.) 

Kältegefühl — die Bezeichnung Psychroästhesia, von = kalt hergeleitet, 

stammt von Pollaisson —, selten zum Schmerz gesteigert, findet sich bald mehr 
diffus an einer ganzen oder mehreren Extremitäten und in Verbindung mit anderen 
Parästhesieen, Schmerz, vasomotorischen Störungen oder als isolirte Störung und 
auf bestimmte, circumscripte Bezirke beschränkt (eigentliche, reine Psychroästhesie). 
Als Sitz der Läsion müssen in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle die peripheren 
Nerven gelten, ausnahmsweise finden sich ausgesprochene Kälteparästhesieen isolirt 
oder in Verbindung mit anderen Sensationen auch bei Bückenmarkserkrankungen, 
locomotorischer Ataxie, besonders bei Syringomyelie. Bei dieser Krankheit handelt 
es sich selten um circumscripte, isolirte Kälteparästhesie; interessant wäre es, den 
Anordnungstypus in derartigen Fällen zu beachten (Bef.). 

Als ätiologisches Moment kommen u. a. in Betracht Alkohol, Litbämie, Traumen, 
Neigung zu Bheumatismus, begünstigend wirkt auch neuropathische Constitution. 

Die Therapie ist ähnlich oder gleich der Behandlung bei Neuritis. 7 kurze 
Krankengeschichten illustriren die Angaben. B. Pfeiffer (Cassel). 


32) Ein Beitrag au den primären oombinirten Systemerkrankungen im 
Kindesalter, von Dr. Hans Luce, Assistent der medicinischen Universitäts¬ 
poliklinik zu Strassburg i./E. Aus dem pathologisch-anatomischen Institut da¬ 
selbst. (Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. 1897. Xll.) 

Ein & 1 / 2 jähriges Mädchen bot die Erscheinungen totaler spastischer, spinaler 
Paraplegie dar. Keine ätiologischen Anhaltspunkte. Aus dem Symptomencomplex 
verdienen noch folgende Besonderheiten hervorgehoben zu werden: Initiale Erschei¬ 
nungen der Gleichgewichtsstörung, sehr frühzeitig completer Sprachverlust (bulbäres 
Symptom), das klinische Bild beherrschende, excessiv gesteigerte Beflexerregbarkeit. 
Nach 9 Monaten Exitus letalis. Die eingehende Untersuchung des Centralnerven¬ 
systems förderte sehr interessante Befunde zu Tage, die, trefflich verarbeitet, dem 
beobachteten klinischen Bilde die anatomische Grundlage gaben und somit den ganzen 
Fall als eine werthvolle Bereicherung der Nervenpathologie erscheinen lassen. 

Nach der negativen Seite hin ergab sich als wichtiges Besultat das Fehlen 
jeglicher entzündlicher Veränderungen des Gehirns, Bückenmarks und der Häute. 
Hingegen fanden sich combinirt Veränderungen, welche für Tabes und amyotrophische 
Lateralsclerose in Anspruch genommen werden müssen. Auf einige Details soll hier 
eingegangen werden. So konnten Veränderungen des Markfasergebalts der Grosshirn¬ 
rinde constatirt werden. In den proximalen Brückenabschnitten fanden sich partielle 
Degeneration der Grosshirnbrückenbahnen und ßarefication des intertransversalen feinen 
Fasernetzes. Verf. ist geneigt, diese anatomischen Veränderungen in der Brücke als 
Grundlage anzusehen einerseits für die beobachtete Gleichgewichtsstörung (Functions- 


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Störung des Kleinhirns), andererseits für die in so ausserordentlichem Grad gesteigerte 
Beflexerregbarkeit. Das Fasernetz der XII. Kerne konnte als leicht gelichtet be¬ 
zeichnet verden, woraus die Existenz einer beginnenden, partiellen Pseudobulbär¬ 
paralyse hervorgeht. An den tabiscben Veränderungen betheiligten sich die langen 
Bahnen, allerdings nur in Form einer sich allein im Halsmark findenden partiellen 
Degeneration der Goll’sehen Stränge. Doch sind die sonstigen Befunde im sensiblen 
System charakteristisch genug; besonders sei auch auf die bestehende Degeneration 
der spinalen V. und IX. Wurzeln hingewiesen. Mit Glück zieht Verf. Erb’s und 
Strümpell’s Hypothese vom Mechanismus des trophischen Einflusses der Spinal¬ 
ganglienzellen heran. Zur Kenntnissnahme weiterer Einzelheiten und Besonderheiten 
des so interessanten Falles, sowie einer lichtvollen Darstellung der Theorie com- 
binirter Systemerkrankungen sei das Original empfohlen. 

E. Asch (Frankfurt a./M.). 


33) Ueber amyotrophisch-paretische Formen der oombinirten Erkrankungen 

von Nervenbahnen (sog. primäre oombinirte Systemerkrankung), von 

Dr. J. Pal. (Wiener med. Wochenschr. 1898. Nr. 7, 8 u. 10.) 

Eine 45jähr. Frau erkrankt unter heftigen Ischialgieen mit Schwäche im linken 
Beine, begleitet von Atrophie und fibrillären Zuckungen der Muskulatur. Die 
Ischialgieen schwanden wieder. Darauf amyotrophische Parese der linken oberen 
Extremität, und während des Spitalaufenthalts der rechten unteren, sodann der rechten 
oberen. Dabei wurden die proximalen Muskelgruppen immer zuerst ergriffen, und 
zwar kam es erst zur Atrophie, dann erst zur Parese. Nach 9 monatlicher Dauer 
Tod unter Athmungslähmung. Vor dem Tode trat noch leichte Incontinentia urinae 
auf und waren geringe sensible Störungen an Händen und Füssen nachzuweisen. 
Die Diagnose wurde gestellt auf Poliomyelitis subacuta, obwohl die anatomische 
Grundlage der sensiblen Störungen nicht klar war, und fand in der histologischen 
Untersuchung ihre Bestätigung. 

Diese ergab: ausgedehnte Zerstörung der Ganglienzellen im Bückenmarke und 
der Medulla oblongata (am stärksten in den Vorderhörnern und den Clarke’schen 
Säulen); linkes Vorderhom schmäler als das rechte; Degenerationen der vorderen 
Wurzeln und weniger intensiv auch der Wurzeln einiger motorischer Hirnnerven, 
des IV., des motorischen Theils des V. und des IX.—XII. (ohne klinische Er¬ 
scheinungen); und endlich bedeutende Degeneration in den weissen Strängen des 
Bückenmarks und der Medulla oblongata: im Burdach'schen Strang, der Kleinhirn¬ 
seitenstrangbahn und dem Gowers’schen Bündel, den Pyramidenseitenstrangbahnen, 
und mehr zerstreut auch in der Pyramidenvorderstrangbahn und dem Vorderseiten¬ 
stranggrundbündel. Entsprechend der Degeneration der Himnervenkerne ist auch das 
biotere Längsbündel ergriffen und schliesslich auch die Schleife (sensible Störungen). 
Spinalganglien intact, keine polyneuritischen Veränderungen der peripheren Nerven 
und keine Gefässerkrankung im centralen Nervensysteme. 

Ein Theil der vorhandenen Degenerationen kann als secundär in Folge der 
Zellveränderungen aufgefasst werden (Vorderseitenstrang, hinteres Längsbündel), aber 
der Hauptantheil muss als primäre, degenerative Erkrankung der directen und in- 
directen Neurone hingestellt werden. 

Verf. bespricht die in der Litteratur vorhandenen Fälle von combinirten Strang¬ 
erkrankungen und unterscheidet auf Grund dieses Materials zwei Hauptgruppen von 
„combinirter Erkrankung von Bückenmarksbahnen'*: 

1. jene Fälle, in welchen im wesentlichen nur Strangerkrankung vorliegt und 
daher diese das klinische Symptomenbild bestimmt (die primäre combinirte Strang¬ 
erkrankung der Autoren), 

2. jene Fälle, in welchen ausser der Strangaffection eine Erkrankung der 


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Ganglienzellen, speciell in den Vorderhömern besteht, welch letztere das Krankheits- 
bild beherrscht (schlaffe oder, bei frühzeitigem Ergriffensein der Pyramidenbahn, 
spastische amyotrophische Parese). Die Erkrankung der anderen Bahnen als der 
corticomusculären macht klinisch entweder gar keine Symptome, oder kann, wie in 
obigem Falle dnrch geringe Sensibilitätsstörungen, eventuell auch Ataxie, an* 
gedeutet sein. 

Bei dieser 2. Gruppe kann man folgende 3 Typen unterscheiden: 

a) Combination der Erkrankung des spino-musculären Endneurons mit Erkran¬ 
kung langer Hinterstrangbahnen. 

b) mit Erkrankung der Cerebellarbahn, 

c) mit Erkrankung beider. 

Voriger Fall würde der letzteren Kategorie angehören, da die Schleife, welche 
miterkrankt war, zum Theil die centrale Fortsetzung der langen Hinterstrangbahnen 
führt. 

Die Poliomyelitis chron. der Erwachsenen und die amyotrophische Lateralsklerose 
sind beide echte prim&r-degenerative Erkrankungen und diejenigen Fälle dieser beiden 
Erkrankungen, in welchen ausschliesslich der cortico-musculäre Leitungsapparat in 
einem Abschnitte ergriffen ist, bilden gewissermaassen nnvollkommene Formen der 
Erkrankung, da vorgeschrittenere Entwickelung obiger Fall darstelli 

J. Sorgo (Wien). 


Psychiatrie. 

34) La oonfüsion mentale primitive et seoondaire, par Maradon de Mon- 

tyel. (Gazette des höpitaux. 1897.) 

Verf. kommt in seiner Studie zu folgenden Schlüssen: 

1. die Verwirrtheit ist ein Syndrom, das man mehr oder weniger ausgesprochen 
zum mindesten als episodische Erscheinung bei allen Psychosen finden kann. (Verf. 
vergleicht sie mit dem Fieber bei anderen Erkrankungen). Sie manifestirt sich in 
dem Mangel an zeitlicher und örtlicher Orientirung, in Unklarheit und Dissociation 
der Vorstellungen, in psychischer Desorientirung, Langsamkeit des Denkens, Ab- 
schw&chung des Gedächtnisses und der Aufmerksamkeit, mangelhafte Perceptions- 
f&higkeit, Willenshemmung. 

2. Die Verwirrtheit findet sich auch bei ein und demselben Kranken zu ver¬ 
schiedenen Zeiten, in verschiedenen Graden. Man kann 3 Grade unterscheiden. 

3. Wenn sie ausgesprochen ist, verleiht sie dem Krankheitsbild ihr Gepräge und 
kann die anderen Symptome maskiren. 

4. In seltenen Fällen macht sie die ganze Krankheit aus: Confusion mentale 
primitive. 

5. Am häufigsten ist sie secundär durch delirante und hallucinatoriscbe Stö¬ 
rungen. 

6. Sie (die secundäre Confusion) ist stets ein Symptom, sei es einer Intoxi- 
cation, einer Neurose, einer Geisteskrankheit. 

7. Sie findet sich bei allen psychischen Intoxicationen, bei progressiver Paralyse, 
bei Neurosen, Epilepsie u. s. w., seltener bei Manie, am seltensten bei systematischen 
Wahnzuständen, wo sie niemals bis zum Stupor führt 

8. Die hochgradige Verwirrtheit bei Melancholie muss als Complication, nicht 
als eigene primitive Erscheinung angesehen werden. 

9. Die Erscheinung der Verwirrtheit versetzt die Psyche in gewisse Functions- 
bedingungen, wodurch der ursprüngliche Geisteszustand beeinflusst wird; diese Rück¬ 
wirkung giebt jedoch kein Recht, die Verwirrtheit als primordial aufzufassen. 


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10. Leichte und mittlere Grade der Verwirrtheit können unter dem Bilde der 
Demenz erscheinen, der weitere Verlauf sichert erst die Diagnose; Besserungen und 
Heilungen geistiger Schwäche bei Intoxication; Neurosen, progressive Paralysen hängen 
meist von dem Schwinden der Verwirrtheit ab. 

11. Die Verwirrtheit mittleren Grades kann Jahrzehnte lang dauern und doch 

heilen (Pseudodemenz). B. Hatschek (Wien). 


36) Acute halluoinatore waanain, genezen door cataractextractie, duor 

L. S. Meijer. (Psychiatr. en neurol. Bladen. 1897. Nr. 1.) 

Von Geistesstörung nach Kataraktextraction sind mehrfach Fälle bekannt ge* 
worden, in denen das Krankheitsbild des acuten hallucinatorischen Wahnsinns be* 
stand und die Erscheinungen viel Uebereinstimmendes mit der Dementia senilis hatten, 
von der sie aber durch die kurze Dauer sich unterschieden. In dem vom Verf. 
mitgetheilten Falle, der eine 68 Jahre alte Frau betraf, die einige Monate vorher an 
Ulcus cruris gelitten hatte, entwickelte sich auf beiden Seiten Altersstar, der rasch 
zur Beife kam. Pat., die nur Lichtempfindung hatte, begann Abends unruhig zu 
werden und hatte Angstanfälle, bekam Gesichtshallucinationen und das GefQhl von 
Bewegungen des Bettes. Diese Erscheinungen kehrten immer nur Abends wieder 
(am Tage war Pat ruhig), nur mit Hälfe von Sulfonal konnte die Pat zum Schlaf 
in der Nacht gebracht werden. Nach Kataraktextraction auf dem linken Auge ver* 
brachte Pat. die beiden ersten Nächte ruhig, dann traten die frQheren Störungen 
wieder auf, nachdem aber das Sehvermögen sich bedeutend gebessert hatte, hörten 
die Störungen auf und Pat fand sich psychisch normal. Verf. nimmt an, dass die 
hallucinatorischen Erscheinungen theils durch die schemenartige Licbtwahmehmung 
der Pat. hervorgerufen worden seien, theils durch damit in Zusammenhang stehende 
Schwindelzustände. Dass diese Erscheinungen nur in der Nacht auftraten, bringt 
Verf. damit in Zusammenhang, dass Pat. bei künstlicher Beleuchtung die Schatten 
der an ihr vorbeigehenden Personen sah, was am Tage nicht der Fall war. 

Walter Berger (Leipzig). 


36) Een paar gevallen van periodische Kranksinnigheid, door D. M. J. 

van Erp Taalman Kip. (Psychiatr. en neurol. Bladen. 1897. Nr. 1.) 

Im ersten der drei vom Verf. mitgetheilten Fälle, der einen 29 Jahre alten, in 
der Irrenanstalt Dortrecht zuerst im Jahre 1883 anfgenommenen Arbeiter betrifft, 
war die Diagnose auf Imbecillität gestellt worden, aber die psychischen Erscheinungen 
wiederholten sich in Anfällen von verschiedener Dauer und Intensität. In den 
Zwischenzeiten zwischen den Anfällen war Pat. ruhig, und zwar in Bezug auf die 
Intelligenz etwas unter dem Mittel, war aber noch lange nicht als imbecill zu be¬ 
trachten. Alle Anfälle zeigten dieselben Erscheinungen (grossen motorischen Drang, 
Geschwätzigkeit und allerhand Klagen), und zwar mit denselben speciellen Eigen¬ 
heiten, und begannen stets in derselben Erscheinung. Sie schienen an Häufigkeit 
zuzunehmen, die freien Intervalle betrugen früher etwa 1 Jahr, später nicht mehr 
als 1—2 Monate. 

Ebenso bis in das Einzelne und in manchen unwesentlich erscheinenden Kleinig¬ 
keiten gleich waren die Anfälle in dem zweiten Falle, der einen 60 Jahre alten Mann 
betraf. Pat. war schon im Alter von 20 Jahren und seitdem mehrere Male wegen 
im Ganzen mehr oder weniger gleicher Anfälle von Erregtheit oder Depression in der 
Irrenanstalt zu Dortrecht behandelt worden. In den freien Zwischenzeiten war Pat. 
vollkommen normal, abgesehen von einer besonderen Neigung zum Aberglauben. 

Im dritten Falle, der einen 37 Jahre alten Landmann betrifft, waren zwischen 
zwei grossen Anfällen, die zwar keine Uebereinstimmung im ganzen Charakter der 
Krankheit zeigten, aber doch einzelne übereinstimmende Züge, mehrere kleinere. 


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rascher verlaufende Anfälle aufgetreten. Der erste grosse Anfall hatte mit Angst* 
zuständen begonnen, der zweite begann plötzlich nach einer geringfügigen Ver¬ 
anlassung. Zwischen den Anfällen verhielt sich Pat. normal. 

Walter Berger (Leipzig). 


Ul. Aus den Gesellschaften. 

XJnterelB&ssischer Aerzteverein in Strassburg. 

Sitzung vom 29. Mai 1897. 

(Deutsche med. Wochenschr. 1897. Nr. 48.) 

Fürstner bespricht die Erkrankungen des Nervensystems, die durch 
hereditäre Basis und familiäres Auftreten ausgezeichnet sind, und demonstrirt 
sodann zwei Brüder, bei denen das motorische System offenbar zu Erkrankungen 
disponirt war, wo aber zunächst zwei verschiedene Abschnitte desselben erkrankten. 

Falll. J. L., 9 Jahre alt. Beginn der Krankheit im 7. Lebensjahre, watschelnder 
Gang, mühsames Aufstehen; Anomalien am Schultergürtel waren unbemerkt geblieben. 
Status: Asymmetrischer, hydrocephaler Schädel, starke Lordose der Lendenwirbelsäule 
beim Stehen, Schulterblätter im unteren Winkel abstehend, von der Wirbelsäule ab¬ 
gerückt. Schwankender, watschelnder Gang (Atrophie des Glutaeus med.). Kaum 
noch auslösbare Patellarreflexe, symmetrische Muskelatrophie, und zwar der Ober¬ 
armmuskeln, der Pectorales, Latissimus dorei. Quadrati lumborum treten wulstartig 
hervor. Treppensteigen, Aufrichten ohne starke Stütze nicht möglich, Oberschenkel 
dünn, Glutaei und Waden fühlen sich hart an, Marmorirung der Unterschenkel. 
Intacte Sensibilität — keine fibrillären Zuckungen —, keine Entartungsreaction, Blase 
und Mastdarm normal. 

Fall 11. E. L., 14 Jahre alt. Im 7. Jahre wurde eine Aenderung des Gauges 
bemerkt, Nachschleppen der Beine, Berühren der Kniee. Status (1891): Leichter 
Tremor der Zunge, vereinzelte fibrilläre Zuckungen im Facialisgebiet. Die Beine 
werden beim Gauge im Knie flectirt gehalten, die Kniee berühren sich oftmals, die 
Fuss8pitze schleift. Sehr lebhafte Patellarreflexe, geringe Spasmen an den Unter¬ 
extremitäten. 1893 und 1897 Nystagmus bei Endstellungen, starke Muskelspannungen 
mit Contracturen, enorme Steigerung des Patellarreflexes, Dorsalclonus. Beim Gange 
Berühren der Innenfläche der Kniee, häufiges Uebertreten der Beine. Linkes Bein 
in toto abgemagert. — Intacte Sensibilität; Blase, Mastdarm intact. 

Im ersten Falle der peripherste, im zweiten der cortico-spinale Abschnitt des 
motorischen Systems erkrankt. 

Vortr. demonstrirt dann noch einen Fall von spastischer Paraparese, dessen 
Entwickelung erst im 12. Jahre begann. R. Pfeiffer (Cassel). 


Gesellschaft der Neuropathologen und Irrenärzte au Moskau. 

Sitzung vom 23. Januar 1898. 

W. A. Muratoff: Zur Lehre von den Zwangsbewegungen. 

Vortr. demonstrirt einen Kranken von 57 Jahren, welcher 1888 einen cerebralen 
Insult erlitten hatte. Es blieben eine rechtsseitige Hemiplegie und hemichoreatische 
Krämpfe in den betroffenen Extremitäten zurück, welche einen Monat nach dem In¬ 
sult beginnend sich allmählich entwickelten. Der gegenwärtige Zustand bietet 
folgenden Befund: Hemiplegia dextra, Dysartria (ohne Aphasie), Parese des rechten 
Facialis, Anästhesie des rechten Trigeminus, Atrophie der Muskeln. In der Buhe 


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in der rechten Hand nnd rechten Fuss athetoide Krämpfe, welche bei willkürlichen 
Bewegungen sich leicht weiter aasbreiten and an Hemichorea erinnern. Der muth- 
maassliche Herd: im Gebiete des linken Hirnschenkels mit wahrscheinlicher Be- 
theiligang des rotben Kerns. Ein analoger Fall bot sich dem Vortr. klinisch za 
beobachten and anatomisch za untersuchen im Jahre 1891. Vor 2 Jahren hatte der 
Kranke eine gewöhnliche linksseitige Hemiplegie überstanden. 2 Monate vor seinem 
Eintritt ins Krankenhaus ein neuer Insult, dessen Folgen in einer Störung des 
Körpergleichgewichts (der Kranke kann weder stehen, noch gehen) und in hemi- 
choreatischen Krämpfen in den linken Extremitäten, hauptsächlich in dem linken 
Arm, nur bei willkürlichen Bewegungen, bestanden. Der Kranke ging an Dysenterie 
zu Grunde. Bei der Section ergab sich ein alter Herd in der rechten inneren 
Kapsel, ein frischer Bluterguss in die linke Hemisphäre des Kleinhirns. Degeneration 
des linken Brach, conjunct., des rothen Kerns, des linken Corpus restif., der rechten 
Pyramide und rechten Olive. 

Da das System der oberen Crura cerebelli die Grosshirnganglien (Thalamus 
optic. u. nucl. lenticularis) mit dem Kleinhirn verbindet, erklärt der Vortr. die 
Zwangsbewegungen nach Apoplexie als eine Störung in dem Gleichgewichte der 
Functionen zwischen Thalam. opt. und dem Cerebellum. Der Ausfall des Systems 
der rothen Kerne gab im Falle Bouhoeffer ebenfalls Symptome von Hemichorea. 

Ihrer Genese nach klassificirt der Vortr. die motorischen Störungen der Hemi- 
plegiker auf folgende Weise: 

1. Tremor bei willkürlichen Bewegungen und Krämpfe — Degeneration und 
Beizung der Pyramidenbahnen (Kahler, Pick). 

2. Complicirte Zwangsbewegungen — Hemichorea, Athetose, Ausfall des Systems 
der rothen Kerne, welche die Grosshimganglien mit dem Kleinhirn verbinden (Bou¬ 
hoeffer, der Vortr.). 

3. Protrahirte corticale Krämpfe mit clonischem Charakter — Degeneration der 

Bogenfasern der motorischen Sphäre. (Autorreferat) 

Discussion: 

Prof. Koshewnikoff und Dr. Minor erklären sich mit der Bezeichnung der 
beschriebenen Krämpfe als choreatische nicht einverstanden. 

Dr. Murawjeff hält die Ursache der Krämpfe im zweiten Falle für unklar 
und die Folgerung über die Localisation des Herdes im ersten Falle nicht für be¬ 
gründet. 

Dr. Serbsky findet im gegebenen Falle den Terminus „Zwangsbewegungen“ 
nicht am Platze. 

Dr. Bossolimo bemerkt, dass die Untersuchung der feineren Zellstructur des 
Systems der Kleinhirnfasern auf die Genese der consecutiven Krämpfe im Stande 
gewesen wäre einiges Licht zu werfen. 

Von Dr. Korniloff wurden einige Bemerkungen gemacht. 

Sitzung vom 20. Februar 1898. 

1. Dr. L. S. Minor: Ueber eine motorisohe Störung bei Kreuuohmenen 
(Trauma, Lumbago, Caries u. s. w.) und bei Ischias. 

Der Vortr. lenkt die Aufmerksamkeit auf die Bedeutung motorischer Störungen, 
welche im Gefolge verschiedener Schmerzen auftreten, da in einem solchen Falle 
an Stelle eines subjectiven Symptoms (Schmerz) ein objectives 8ymptom (Dyskinese) 
eintritt 

Ein besonderes Interesse bieten solche Dyskinesen, welche einen bestimmten 
Schmerz charakterisiren. Vortr. zeigt auf Grundlage seiner Beobachtungen, dass bei 
Kreuzschmerzen, welchen Ursprunges sie auch sein mögen, ihre Doppelseitigkeit vor¬ 
ausgesetzt, diejenige Art und Weise sich vom Boden zu erheben charakteristisch ist, 


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welche bei der Pseudohypertrophia m. progress. beobachtet wird. Solche Kranke, 
auf den Boden gesetzt, verlegen zuerst den Schwerpunkt ihres Körpers nach vorne, 
stützen sich auf die Handteller und die Kniee, stellen sich auf alle 4 Extremitäten, 
um endlich ihren Körper aufzurichten, indem sie mit den Händen entlang den Beinen 
gleiten. — Bei der Ischias ist die vom Vortr. beobachtete Art und Weise sich vom 
Boden zu erheben ebenfalls eigenartig und constant. Ein auf den Boden gesetzter 
Kranker ist nicht im Stande, ohne Hülfe der Hände sich zu erheben; er setzt die 
Arme nach hinten, schiebt das Becken in die im Knie gebeugten Beine durch den 
Zwischenraum der Arme allmählich nach hinten und erhebt sich erst darauf, indem 
die eine Hand und das Knie der Beihe nach znr Stütze auf dem Boden benutzt 
wird, während die andere in der Luft balancirt. Diese letztere Art und Weise des 
Erhebens vom Boden kann gelegentlich auch bei anderen einseitigen Schmerzen 
der Beine beobachtet werden. Zu ihrem Zustandekommen ist das Bestehen von 
Schmerzen in einer Seite erforderlich und sie wird ebenfalls bei einseitigen Schmerzen 
im Kreuz und am Steissbein beobachtet. 

Zum Schluss weist Vortr. auf den Nutzen hin, welchen die Kenntniss der be¬ 
schriebenen Dyskinesen zur Erkennung von Simulation bringen kann. 

An der Besprechung des Vortrages nahmen Prof. W. K. Eoth, G. J. Bosso- 
limo, A. A. Korniloff und Prof. A. J. Koshewnikoff Theil. 

2. Dr. W. W. Murawjeff: Experimentelle Untersuchungen über die 
gleichzeitige Wirkung des Streptokokken und des diphtheritisohen Toxins 
auf das Nervensystem. 

Nach der Meinung einiger Forscher spielt bei der Diphtheritis die Infection 
mit Streptokokken fast dieselbe Bolle wie die Infection mit dem Löffler'schen 
Bacillus. Aus diesem Grunde stellt sich die Nothwenigkeit heraus, die Wirkung 
beider Infectionen auf das Nervensystem sowohl getrennt, als auch combinirt zu 
untersuchen. 

I. Die Wirkung des diphteritischen Toxins, welches Meerschweinschen injicirt 
wurde, äussert sich zuerst darin, dass die motorischen Zellen der Vorderhörner des 
Bückenmarks ergriffen werden: die Zellen quellen; die chromatophilen Körner werden 
buchtig und fallen auseinander; das Protoplasma der Zelle wird homogen; an der 
Peripherie der Zelle und ihrer Ausläufer bilden sich zahlreiche Vacuolen, welche tiefe 
Zerstörungen in der achromatischen Substanz hervorrufen. Der Kern erwirbt die 
Fähigkeit sich mit Methylenblau zu färben und im Laufe der Zeit wird die ganze 
Zelle atrophisch. Die Veränderungen in den peripheren Nerven beginnen erst nach 
4—6 Wochen post injectionem und bedingen die Entwickelung der Paralysen. Die 
Annahme, dass die Neuritis sich secundär in Folge von ausdauernder Ernährungs¬ 
störung der Zellen entwickelt, scheint am nächsten zu liegen. 

II. Unter dem Einfluss wiederholter Injectionen von Streptokokkenkulturen ent¬ 
wickeln sich bei den Meerschweinchen diffuse Veränderungen in der weissen Substanz 
des Centralnervensystems und systematisirte Veränderungen in den hinteren Wurzeln 
und Hintersträngen des Bückenmarks. Die Veränderungen in den Zellen der 
Intevertebralganglien sind unbedeutend, deshalb ist die pathogene Einwirkung des 
Streptokokkengiftes auf Nervenfasern eine directe. Die Veränderungen in den Vorder¬ 
horazellen sind nicht charakteristisch; zuweilen nur eine Schwellung des Nissl’schen 
Körpers und eine Unregelmässigkeit ihrer Vertbeilung, zuweilen dieser und jener 
Grad der Chromotolyse. In den peripheren Nerven lassen sich deutliche Verände¬ 
rungen nicht nachweisen. Die Veränderungen in der weissen Substanz des Bücken¬ 
marks sind fast ausschliesslich mit der Formalinmethylenblaumethode nachgewiesen 
worden; die nach Marchi behandelten Präparate gaben keine bestimmten Besultate. 

III. Der pathogene Effect gleichzeitiger Einwirkung des diphtheritischen Toxins 
und der Streptokokken ist gleich der Summe der Einzelwirkung beider dieser Agentien. 


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Zum Schluss giebt der Autor der Meinung Raum, dass das Studium des Zu* 
Standes der chromatophilen Zellensubstanz nicht sowohl an und für sich, als vielmehr 
als Hinweis Ober den Zustand der Zelle im Allgemeinen, besonders aber ihrer Er* 
nährung von Wichtigkeit ist. 

Der Vortrag wurde mit Demonstrationen von Präparaten begleitet, die nach 
der Formal inmethylenblaumethode und nach der Marchi’schen Methode behandelt 
worden waren. 

Discussion: Dr. W. A. Muratoff ist der Meinung, dass die von ihm gefun¬ 
denen Veränderungen in den Zellen des Rückenmarks bei diphtheritiscben Lähmungen 
der Kinder als secundäre, von der Erkrankung der peripheren Nerven abhängige 
aufzufassen sind. 

An der Discussion betheiligte sich ausserdem noch Prof. A. J. Koshewnikoff. 

3) Dr. Ch. K. Busch: Ueber eine Färbungsmethode secundärer De¬ 
generationen des Nervensystems mit Osmiumsäure. 

Die Marchi'sche Methode weist speciell in ihrer Technik einige sehr wesentliche 
Mängel auf, von denen wohl der wesentlichste die geringe Fähigkeit der Osmium¬ 
säure in die Tiefe der Nervensubstanz einzudringen ist. Dieser Mangel kann aber 
beseitigt werden, wenn man die Osmiumsäurelösung mit einer Lösung von Natrium 
jodicum (NaJO,) zusammenbringt, welch' letztere die Osiumsäure an einer zu raschen 
Zersetzung verhindert und ihr dadurch die Möglichkeit giebt, in die Tiefe der Ge¬ 
webe einzudringen. Die Färbungsmethode besteht also kurz im Folgenden: Ein in 
Formalin gehärtetes Präparat von 1,12 cm Dicke wird in eine Lösung gebracht, 
welche besteht aus: 1,0 Ac. osm. aus 3,0 Natrium jodicum und 300,0 Aq. destill. 
In dieser Lösung verbleibt das zu färbende Stück 5—7 Tage. Von hier kommt es 
in Alkohol von steigender Conceutration und darauf in Celloidin. Die Schnitte zeigen 
dieselbe Färbung wie die nach der Marchi’schen Methode behandelten Schnitte, nur 
mit dem Unterschied, dass das normale Gewebe heller gefärbt ist, in Folge dessen 
•das degenerirte Feld sich schärfer differencirt und schon mit unbewaffnetem Auge zn 
sehen ist. An diese Mittheilung knüpft sich die Demonstration von Präparaten.. 

An der Discussion betheiligen sich die Drr. L. S. Minor, T. J. Pribytkoff, 
A. A. Korniloff, G. J. Rossolimo und Prof. A. J. Koshewnikoff. 

G. Rossolimo, A. Bernstein. 


IV. Bibliographie. 

Gehirndurchschnitte zur Erläuterung des Faserverlaufs. 33 Chromolitho- 
graphirte Tafeln mit ebenso vielen Erklärungstafeln und einem kurzen Text. 
Herausgegeben von Dr. Eberhard Nebelthau, Privatdocent und Oberarzt an 
der medicinischen Universitätsklinik zu Marburg. (Wiesbaden. 1898. Verlag 
von J. F. Bergmann.) 

Das vorliegende Werk mit seinen Tafeln, welches in Bezug auf Technik der 
Schnittführung und Färbung der Schnitte unzweifelhaft unübertroffen dasteht, zeigt 
alles das, was sich mit unseren jetzigen anatomischen Untersuchungsmethoden in 
Bezug auf "den Verlauf der Fasern und die Lagerung der Kerne im Gehirn des Er¬ 
wachsenen nachweisen lässt. 

Von den 33 Schnitten, welche vorliegen, sind 12 Horizontal-, 11 Frontal- und 
10 Sagittalschnitte. 

Jeder Tafel ist eine erläuternde Erklärung beigefügt, und dem Ganz g 
eine gedrängte Besprechung der Himanatomie voraus. 

Dem Hirnanatomen wird das Werk selbstverständlich in seiner Bibliothek nicht 
fehlen dürfen, aber auch derjenige, welcher die entwickelungsgeschichtliche Methode 
der Hirnuntersuchung betreibt oder pathologische Befunde im Gehirn deuten will, 


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wird den Vergleich mit dem, was hier von dem entwickelten und normalen Gehirn 
geboten wird, nicht entbehren können. 

Die Ausstattung ist selbstverständlich eine vorzügliche. M. 


V. Mittheilung an den Herausgeber. 

Das von Herrn Nonne erstattete Beferat über die Februarsitzung des Ham¬ 
burger ärztlichen Vereins in Nr. 7 d. Centralbl. enthält einige Irrthümer bezüglich 
meiner Stellung zur Hysterie und ihrem Wesen und giebt meine Aeusserungen in 
der Discussion so kurz und falsche Auffassungen begünstigend wieder, dass ich mir 
im Folgenden einige Klarstellungen erlauben möchto. Dem hochverehrten Herrn 
Herausgeber fühle ich mich für Aufnahme derselben zu ganz besonderem Dank verpflichtet. 

Was zunächst das Vorkommen von Neurasthenie bei Säuglingen betrifft, so 
habe ich betont, dass es Geschmackssache sei, ob man einzelne unzweifelhaft in den 
ersten Lebensjahren zu beobachtende nervöse Erscheinungen mit dem Namen der 
Neurasthenie belegen wolle oder nicht Jedenfalls könne ich der Ansicht des Herrn 
Nonne nicht beipflichten, welcher als ein für das Wesen der Neurasthenie charak¬ 
teristisches Moment die „einseitige, egocentrische Verarbeitung des gesammten Vor¬ 
stellungsinhalts, welcher aus der pathologisch gesteigerten Beschäftigung mit den 
Zuständen des eigenen Körpers hervorgeht“ (Binswanger), betrachte und aus dem 
naturgemässen Fehlen dieses Moments bei ganz kleinen Kindern auch die Unmöglich¬ 
keit des Vorkommens der Neurasthenie bei ihnen herleite. Ich hob demgegenüber 
hervor, dass dieses psychische Moment keineswegs zur Diagnose der Neurasthenie 
erforderlich, vielmehr ein Charakteristikum der häufig die Neurasthenie complicirenden 
Hypochondrie oder hypochondrischen Vorstellungen sei. Auch nach Binswanger 
liege das Wesen der Neurasthenie in einer abnorm leichten Erschöpfbarkeit und 
Beizbarkeit des Nervensystems und ich könne nicht einsehen, warum diese Symptome 
nicht gelegentlich auch bei ganz kleinen Kindern in Erscheinung treten sollten. 

Bezüglich der Elektrotherapie habe ich gesagt, dass ich dem elektrischen Strom 
zwar keine geheimnissvollen Kräfte zuschreibe, dass jedoch bei den verschiedenen 
Arten seiner Verwendung sich Wirkungen beobachten Hessen, die der Wirkungsweise 
der Massage und der Concussoren, oder der Vesicatoren u. s. w. durchaus analog 
seien, und dass es unlogisch sei, den letzteren Maassnahmen einen physikalischen 
Heilwerth zuzugestehen, ihn der Elektrotherapie aber ganz abzusprechen. 

Die hypnotische Behandlung verwarf ich in erster Linie deshalb, weil ich sie 
für entbehrlich halte. Ich betonte, dass meiner Meinung nach ein Arzt, der bei 
seinen Kranken genügend Vertrauen und Autorität besitze, mit Wachsuggestionen 
stets zum Ziel kommen werde. Bei Kindern und Hysterischen liege ausserdem die 
Gefahr vor, dass durch hypnotische Proceduren ihre so wie so schon mässige Selbst¬ 
beherrschung und Willensstärke eine weitere Einbusse erleide, wodurch der erforder¬ 
lichen psychischen Behandlung ein Schlag ins Gesicht versetzt werde. 

Der Aufstellung einer gesonderten 3. Krankheitsgruppe „Hystero-Neurasthenie“ 
im Gegensatz zu 1. Neurasthenie und 2. Hysterie stimmte ich deshalb nicht bei, 
weil es überhaupt schwer hält, Fälle von Hysterio zu beobachten, die ganz frei von 
nenrasthenischen Symptomen sind, wie ja überhaupt sich neurasthenische Erscheinungen 
zu allen möglichen nervösen oder nicht nervösen chronischen Krankheiten, auch zu 
chronischen Psychosen hinzuzugesellen pflegten, ohne dass man deshalb dem Namen 
dieser Krankheiten gleich noch die Neurasthenie mit anhängte. Ausserdem seien 
Hysterie und Neurasthenie streng zu trennende (im Beferat ist versehentlich ver¬ 
druckt „hinzukommende“) Krankheitsbilder, und es empfehle sich, nach dem Vorgänge 
Charcot’s bei Combination beider Krankheiten die Zugehörigkeit der einzelnen 
Symptome zu jeder derselben zu analysiren. Und zwar sei dasselbe nach unseren 
jetzigen Kenntnissen durchaus möglich. Auch Charcot habe es bei seinen poli- 


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klinischen Vorträgen ganz besonderes Vergnügen bereitet, diese scharfe Trennung 
Torzunehmen. Es sei festzuhalten, dass Hysterie und Neurasthenie sich häufig zur 
Hystero-Neurasthenie verknüpften, dass es jedoch ungerechtfertigt sei, diese Com- 
bination ihren beiden Componenten als gesonderte Gruppe gegenüber zu stellen. 

Schliesslich wandte ich mich in meinen Erörterungen noch gegen die Aeusserungen, 
welche vorher Herr Nonne über meine Ansichten über das Wesen der Hysterie 
gemacht hatte. Ich sollte von den sogenannten objectiven hysterischen Stigmaten 
früher behauptet haben, dass sie keine wesentliche diagnostische Dignität besässen 
und dass sie stets vom Untersucher ansuggerirt seien. Nun, solchen Uusinn habe 
ich nie behauptet Es sind da Herrn Nonne einige kleine Irrthümer und Ver¬ 
wechselungen passirt, und ebenso Herrn Sänger in seinem nachherigen Schlusswort. 
Von den sogenannten hysterischen Stigmaten habe ich seinerzeit gesagt, dass dieselben 
an sich den Namen der Stigmata nicht verdienen; denn charakteristisch für das 
Wesen der Hysterie sei vor allem die Entstehungsweise dieser Symptome auf 
psychogenem Wege. Damit habe ich doch natürlich die Bedeutung dieser „Stigmata" 
nur auf ihr richtiges Maass zurückschrauben wollen, ohne ihnen jegliche wesentliche 
diagnostische Dignität dadurch zu rauben. 

Und wie kann man überhaupt das „Ansuggeriren“ mit „psychogener Entstehung" 
sich decken lassen. Wenn man nur ein klein wenig psychiatrisch zu denken ge¬ 
wohnt ist, sollte das doch unmöglich sein! Also ich wies in Erwiderung auf diesen 
Irrthum noch einmal darauf hin, dass die Hysterie eine Psychose sei mit formalen 
und inhaltlichen Störungen auf dem Gebiete der Gefühls- und Empfindungsthätigkeit 
und besonders auf dem der Vorstellungsthätigkeit, dass auf beiden Gebieten nament¬ 
lich eine gesteigerte Anspruchsfähigkeit und ferner abnorm leichte Verknüpfung von 
Vorstellungen unter Wegfall wägender und hemmender Vorstellungsthätigkeit und 
perverse Richtung des Vorstellungsinhalts vorliege. Daher auch die erhöhte Suggesti- 
bilität und das Unterworfensein unter massenhafte Autosuggestionen, als ein Th eil 
des krankhaften psychischen Zustandes der Hysterischen. Ich forderte zum Schluss 
auf, in der Bezeichnung von Krankheitssymptomen als hysterisch etwas kritischer 
und wählerischer zu sein und hob hervor, dass auf den psychogenen Ursprung der 
Symptome nach wie vor der grösste Werth zu legen sei. 

Hamburg, den 4. April 1898. „ 

8 Dr. Boettiger, 

- Nervenarzt in Hamburg. 

Erwiderung auf vorstehende Mittheilung. 

Auf obige Mittheilung des Herrn Boettiger erlaube ich mir, zu erwidern, dass 
ich Herrn Boettiger’s Behauptung, seine Aeusserungen in der Discussion über Herrn 
Sänger’s Vortrag wären in meinem Referate „kurz“ wiedergegeben, für durchaus 
richtig halte, dass ich jedoch seiner Ansicht nicht beipflichten kann, mein Referat 
enthielte „einige Irrthümer bezüglich Herrn Boettiger’s Stellung zur Hysterie und 
ihrem Wesen“, ebenso wenig wie ich mich der Meinung des Herrn Boettiger an- 
schliessen kann, dasselbe gäbe seine Aeusserungen „falsche Auffassungen begünstigend“ 
wieder. 

Den Inhalt des ersten Absatzes der obigen „Mittheilung an den Herausgeber“ 
hatte ich zusammengefasst in dem Satz: „Boettiger verficht die Möglichkeit des 
Vorkommens der Neurasthenie bei Säuglingen“; Herrn Boettiger’s obiger Passus 
scheint mir nicht geeignet, die Richtigkeit dieses Satzes umzustossen. 

Bezüglich der Elektrotherapie giebt Herr Boettiger in dem zweiten Absatz 
seines Schreibens an den Herrn Herausgeber zu, dass er „für den physikalischen 
Heilwerth der Elektrotherapie eintritt“ (mein Referat); ich unterliess zu erwähnen, 
dass Herr Boettiger die „Analogie der Massage und der Concussoren, der Vesi- 
catoren u. s. w.“ herangezogen batte, und zwar aus dem Grunde, weil ich glaubte, 


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Herr Boettiger lege keinen besonderen Werth darauf, vor den Lesern dieses 
Blattes die Ansichten noch einmal ansznsprechen, die s. Z. auf dem Congress der 
Elektrotherapeuten in Frankfurt a./M. ausführlich zur Sprache gekommen waren. 

In dem dritten Absatz bestätigt Herr Boettiger ebenfalls die Richtigkeit 
meines Referats, wenn ich schrieb: „Herr Boettiger verwirft die hypnotische Be¬ 
handlung, die gefährliche Folgezustände zeitigen könne“; ich habe die Gründe, die 
Herrn Boettiger zu dieser Ansicht führen, nicht referirt, weil den Lesern dieses 
Centralblattes die Ansichten der Gegner der hypnotischen Behandlung — dieselben, 
die Herr Boettiger anführte — bekannt sind. Aus demselben Grunde batte ich 
das Referat über meine eigenen Bemerkungen hinsichtlich der Elektrotherapie und 
der Hypnosebehandlung absichtlich kurz gefasst. 

Ich kann des weiteren nicht zugeben, dass Herr Boettiger mir betreffs seines 
vierten Absatzes obiger Mittheilung einen anderen Vorwurf als den der Kürze mit 
Recht machen kann, wenn ich den genannten Passus mit den Worten zusammen¬ 
fasste: „die Aufstellung der Gruppe „Hystero - Neurasthenie“ von Sänger will er 
nicht anerkennen, da Hysterie und Neurasthenie zu trennende — Herr Boettiger 
hat in freundlicher Weise schon den Druckfehler „hinzukommende“ berichtigt — 
Krankheitsbilder seien.“ 

Bis hierher kann mein Referat also nur als „kurz“ und nicht als „falsche Auf¬ 
fassungen begünstigend“ bezeichnet werden. Da mein Referat hier jedoch schliesst, 
so kann es auch nicht der weitere Vorwurf treffen, es enthielte „einige Irrthümer“ 
meinerseits „bezüglich der Stellung“ des Herrn Boettiger „zur Hysterie und ihrem 
Wesen“. Zur Sache selbst erlaube ich mir noch Folgendes zu bemerken: 

Herr Boettiger hat in seinem Vortrag, den er am 27. April 1897 — siehe 
Neurolog. Centralbl. 1897. S. 516 — im ärztlichen Verein zu Hamburg gehalten hat, 
allerdings scharf betont, und es in der anschliessenden Discussion wiederholt, dass 
er an die spontane Entstehung der Sensibilitätsstörungen und jener bei Hysterischen 
häufig objectiv nachzuweisenden Symptome, die wir seit Charcot’s Vorgang als 
„8tigmat&“ bezeichnen, nicht glanbe, und dass nach seiner Ueberzeugung und Er¬ 
fahrung jene objectiven Symptome vom Untersucher ansuggerirt seien. Ich erinnere 
mich, von Herrn Boettiger die Aeusserung gehört zu haben, dass er bei einer vor¬ 
her noch nicht untersuchten hysterischen Person noch niemals eine Hemianästhesie 
constatirt habe. Durch persönliche Mittheilung von Herrn Sänger erfuhr ich, dass 
Herr Boettiger dieselbe Ansicht auch Herrn Sänger gegenüber mündlich geäussert 
hat, worauf Herr Sänger Herrn Boettiger aufforderte, sich in der Poliklinik der 
Herren Wilbrand und Sänger vom Vorkommen derartiger Fälle zu überzeugen. 
Gegen diese Auffassung des Herrn Boettiger, die ich nicht theilen kann, habe ich 
am 15. Februar 1898 im „Aerztlichen Verein“ Verwahrung eingelegt, allerdings 
würde ich mir nicht erlaubt haben, diese Ansicht des Herrn Boettiger als „Unsinn“ zu 
bezeichnen. Im Uebrigen freue ich mich mit Herrn Sänger, dass nach Obigem auch 
Herr Boettiger jetzt diesen „Stigmata“ doch eine Bedeutung zuspricht. 

Zu meinem lebhaften Bedauern sehe ich jedoch Herrn Boettiger seinerseits in 
einen Irrthum befangen, wenn er behauptet, „man“ — es ist nicht klar, ob Herr 
Sänger oder ich oder wir beide gemeint sind — wolle „ansuggeriren“ mit „psycho¬ 
gener Entstehung“ sich decken lassen. Niemals haben wir etwas derartiges — ich 
sage wieder nicht „Unsinn“ — gedacht oder gesagt. Gerade Herr Boettiger hat 
ja früher die Behauptung aufgestellt — ich muss zu meinem Bedauern, im Verein 
mit Herrn Sänger, dabei bleiben —, jene sogenannten Stigmata seien vom Unter¬ 
sucher ansuggerirt; wir behaupten demgegenüber nur die durch das Wesen der 
Hysterie bedingte Existenz dieser „Stigmata“, während wir über ihre Erklärung noch 
im Unsichern sind. 

Da Herr Boettiger endlich die Einsendung eines Autorreferats dazu benutzt 
hat, um eine nachträgliche Kritik zu üben an dem zur Discussion von Herrn Sänger 


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und mir s. Z. Gesagten, so kann auch ich hier nicht umhin, meinerseits die kritische 
Bemerkung zu machen, dass der Ton, den Herr Boettiger in der zweiten Zeile des 
letzten Absatzes anschlägt, nach Obigem sachlich mir nicht gerechtfertigt und in der 
Form derartig zu sein scheint, dass es meinem Geschmack und meiner Gewohnheit 
nicht entspricht, Herrn Boettiger hierin zu folgen. Dr. Nonne. 


VI. Vermischtes. 

Die XXHL Wanderversammlung der südwestdeutsohen Neurologen und 
Irrenärzte wird am 21. und 22. Mai in Baden-Baden im Blumensaale des Convereations- 
hauses abgehalten werden. 

Die erste Sitzung beginnt Sonnabend, den 21. Mai, Nachmittags 2 1 / 4 Uhr, die zweite 
atu Sonntag, den 22. Mai, Vormittags 9 Uhr. 

Auf die erste Sitzung folgt ein gemeinsames Essen im Restaurant des Conversafcions- 
b tuses. 

Die Unterzeichneten Geschäftsführer laden hiermit zum Besuche der Versammlung er¬ 
gebenst ein und bitten diejenigen Herren, welche an dem gemeinsamen Essen theilzunehmen 
beabsichtigen, um eine betreffende baldgefällige Mittheilung. 

Bis jetzt sind folgende Vorträge angemeldet: 

1. Prof. Dr. Erb (Heidelberg): Ueber das intermittirende Hinken und andere nervöse 
Symptome in Folge von Arterienerkrankung der Beine. — 2. Prof. Dr. Siemerling (Tü¬ 
bingen): Zur Diagnose der multiplen Sklerose. — 3. Privatdocent Dr. Brauer (Heidelberg): 
Ueber Muskelatrophie bei multipler Sklerose. — 4. Prof. Dr. Fürstner (Strasaburg i./E.): 
Ueber nervöse Symptome bei Urämie. —■ 5. Privatdocent Dr. Gerhardt (Strassburg i./E.): 
Ueber das Verhalten der Reflexe bei Rückenmarksläsionen. — 6. Dr. Möbius (Leipzig): 
Thema Vorbehalten. — 7. Dr. Buchholtz (Marburg): Ueber einen eigenartigen Fall syphi¬ 
litischer Erkrankung des Centralnervensystems. — 8. Prof. Dr. v. Monarow (Zürich): 

a) Ueber die Faserbestandtheile der Sehstrahlungen und der retrobulbären inneren Kapsel. 

b) Ueber einen Fall yon Mikrocephalie (mit Demonstrationen). — 9. Dr. Fried mann 
(Mannheim): Zur Lehre von der nicht eitrigen Encephalitis und über spastische Spinalparalyse 
bei Influenza. — 10. Prof. Dr. v. Strümpell (Erlangen): Zur Aetiologie der acuten Myelitis. — 
11. Prof. Dr. Fr. Schulze (Bonn): Thema Vorbehalten. — 12. Privatdocent Dr. Nissl 
(Heidelberg): Rindenbefunde bei Vergiftungen. — 13. Dr. Bethe (StraBsburg i./E.): Das 
Verhalten der Primitivfibrillcn in den Ganglienzellen des Menschen und bei Degenerationen 
in peripheren Nerven. — 14. Dr. Kobnstamm (Königstein i./T.j: Zur Anatomie und Physio¬ 
logie des Pbrenicu8kerne8. — 15. Dr. Passow (Strassburg i./E.): Der Markfasergehalt nor¬ 
maler Centralwiudungen beim ® 4 jährigen Kinde und bei einem 33jährigen Erwachsenen. — 
16 Prof. Dr. Edinger (Frankfurt a./M.): Demonstration von Rückenmarken, deren Hinter¬ 
stränge durch Ueberarbeit zur Degeneration gebracht sind. — 17. Prof. Dr. Dinkler 
(Aachen): Ueber einen lethal verlaufenen, durch Hemiplegie und psychische Störungen com- 
plicirten Fall von Basedowscher Krankheit. — 18. Privatdocent Dr. Aschaffenburg 
(Heidelberg): Die Entmündigung Geisteskranker nach dem bürgerlichen Gesetzbuch. — 
19. Prof. Dr. R. Ewald (Strassburg i./E.): Ueber künstlich erzeugte Epilepsie. — 20. Prof. 
Dr. Emminghaus (Freiburg i./B.): Ueber Cysticerkeninvasion, Epilepsie und impulsive 
Brandstiftung. — 21. Medicinalrath Dr. Baumgärtner (Baden): Ueber Lumbalpuncbon. — 
22. Dr. Lüderitz (Baden): Ueber die Veränderungen in den Hintersträngen bei progressiver 
Paralyse. — 23. Dr. van Oord (Heidelberg): Tabes dorsalis mit Hysterie (Sectionsbefund). — 
24. Dr. W. Weygandt (Heidelberg): Kritische Bemerkungen zur geistigen Hygiene der 
Schule. — 25. Prof. Dr. J. Hoffmann (Heidelberg): a) Zur Kenntniss der Neuritis mul¬ 
tiplex. b) Demonstrationen. — 26. Prof. Dr. Ernst (Heidelberg): Mehrfache Bildungsfehler 
des Centralnervensystems bei Encephalocele. 

Herr Tallermann (London) wird auf Veranlassung von Herrn Geheimrath Bäumler 
einen Heissluftapparat zur Behandlung hartnäckiger Ichias und chronischer Gelenkaffectionen 
im Landesbad an Kranken demonstriren. 

Die Geschäftsführer: 

Dr. Fr. Fischer Prof. Dr. J. Hoffman 

(Pforzheim). (Heidelberg). 


Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten. 

Einsendungen für die Redaction sind zu richten an Prof. Dr. E.Mendel, 
Berlin, NW. Schiffbauerdamm 20. 

Verlag von Veit & Comp, in Leipzig. — Druck von Metzger & Wittig in Leipzig. 


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Neurologisches Centralbutt. 


Uebersicht der Leistungen' auf dem Gbbiete der Anatomie* Physiologie, Pathologie 
und Therapie des Nervensystems einschliesslich der Geisteskrankheiten. 

Heraasgegeben von 

Professor Dar. E. Mendel 

Siebzehnter " B * rita ‘ Jahrgang. 

Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 84 Mhrk. Zta beziehen durch 
alle Bachhandlangen des In* and Aaslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie 

direct Ton der Verlagsbuchhandlung. 

1898. 1. Juni. Nr. 11. 


I. Originalmittheilungen. 1. Ein Fall ron Saroom der Dora spinalis. Beitrag zar 
Eenntniss der secandären Degenerationen nach Bückenmarkscompression, von Dr. F. Quensel. 
2. Experimenteller and pathologisch-anatomischer Beitrag zur Lehre von der chronischen 
SchwefelkohlenstoSVergiftang, von Dr. Georg Kdster. 

II. Referate. Anatomie. 1. On the chrome-eilver impregnation of formalinrhardened 
brain, by Bolton. 2. On the origin, course and cell-connections of the viscero-motor nenres 
of the small intestine, by Bunch. 8 . A suboccipital lobe in the brain, by Wood. — Experi¬ 
mentelle Physiologie. 4. Beiträge zur Erforschung des Sympathicuseinflnsses auf die 
contralaterale Pupille, von TUmianzew. 5. Ueber die Wahrnehmung der Farben, von Friden* 
berg. 6. On rest, sleep and work and the conoomitant changes in the circnlation of the 
blood, by Hill. — Pathologische Anatomie. 7. Solle alter&zioni degli elementi del 
sistema nervoso centrale nell 1 II. III. IV. insonnia sperimentale, per Daddi. 8. 1. Note on muscle spindles 
in paeudohypertrophic paralysis, bj Grunbaum. II. Observations on sensory nerve endings in 
voluntary moscles, by Ruffini. In. Short note on sense organs in mnacle and on the pre- 
servation of nroscle spindles in conditions of extreme mnscnlar atrophy, following section of 
the motor nerve, by Horsley. 9. Ueber Activitätshypertrophie der willkürlichen Muskeln, 
von Morpurgo* 10. Alterazioni cadaveriche della cellula nervosa studiate col metodo di Nisal, 
per Levi. 11. Untersuchungen über Beri-Beri, von KüBtermann. — Pathologie des Nerven¬ 
systems. 12. Ein Fall von Lepra, von Habel. 13. Vorläufige Mittheilung über einen mit 
Carrasquilla’schem Serum behandelten Fall von Lepra, Yon Buzzi. 14. Ein Fall von sogen. 
Landry'scher Paralyse. Eückgang der Lähmung. Tod an Lungentuberculose, von Burghart. 
15. Su di un caso ai paralisi del Landry. Bicerche istologiche e batterioscopiche, per Plcci- 
nino. 16. Peripheral neuritis from arsenic, by Colman. 17. Ueber die psychischen Störungen 
bei Polyneuritis, von Jolly. 18. Et tilfalde af hemiatrofia facialis progressiva, af le Maire. 
19. Hemiatrophy of the tongue, by Hoyer. 20. Zur Kenntniss der Dermatomyositis, von 
Kötter. 21. Die Initialsymptome der Osteomalacie, von Rlsamann. 22. De beraepsatrophie 
der diamantsnijders, von Salomonson. 23. Beitrag zur Casuistik der neuritischen Muskel- 
atrophie, von Reinhard. 24. Urticaria and acute circumscribed cutaneous oedema, by Oppen¬ 
heimer. 25. Case of angio-neurotic oedema with history of injury to the head, by Gibson. 
26. A case of angioneurosis of the face, by Haynes. 27. A case showing some of the features 
of erythromelalgia and of Baynaud’s disease, by Rolleston. 28. Ueber Erythromelalgie. 
Eine klinische und anatomische Untersuchung, von Auerbach. 29. Zwei Fälle von acuter 
Erythromelalgie, von Helmann. 30. A remarkable angeioneurosis of the tongue, due to the 
application of chromio acid to granulations on the npper and posterior portions of the tym- 
panic membrane. A contribution to the physiology of the corda tympani nerve, by Lewis. 

31. Locale Asphyxie combinirt mit Functionsstörungen von seiten des Gehirns, von Johannesaen. 

32. Ergotisme et asphyxie locale des extrömitös, par Mongour. 33. Cerebral complioations 
of Baynaud’s disease, by Osler. 34. Ett fall af neurotisk gaugrän, af Köster. — Psychiatrie. 
35. Ueber Katalepsie und Psychose bei Icterus, von Damsch und Kramer. 36. A case of 
agoraphobia, with remarks npon obsessions, by Jones. 37. Sulla patogenesi della sitofobia 
negü alienati di mente, per ChristianL — Therapie. 38* Die moderne Pathologie und 
Therapie der Migräne, von Stekel. 39. Zur Behandlung der Hemicranie, von Laquer. 

III. Aus den Gesellschaften. Berliner Gesellschaft für Psychiatrie und Nervenkrank¬ 
heiten. — UI. Versammlung mitteldeutscher Psychiater und Neurologen in Jena am 1. Mai 1898. 
(Schluss folgt.) 

IV. Vermischtes. Jahresversammlung des Vereins der deutschen Irrenärzte in Bonn. — 
Oeynhausen betreffend. 


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I. Origmalmittheilungen, 


[Aus der psychiatr. und Nervenklinik der Universität Leipzig (Prof. Flechsig).] 

1. Ein Fall von Sarcom der Dura spinalis. 

Beitrag zur Kenntniss der secundären Degenerationen nach ßückenmarks- 

compression. 

Von Dr. F. Quensel, 

I. Assistenzarzt der Klinik. 

Seit durch den ersten von Hobslet und Gowebs im Jahre 1887 erfolgreich 
operirten Fall von Rückenmarksgeschwulst dies immerhin seltene Leiden als 
unter Umständen heilbar eine erhöhte Bedeutung gewonnen hat, sind einschlägige 
Beobachtungen mehrfach veröffentlicht. Bsuns 1 zählt in seiner Monographie 1897 
bereits 20 zur Operation gekommene Fälle auf. Immerhin glaube ich, dass zur 
Zeit noch jeder Beitrag zur Erweiterung und Festigung unserer Kenntnisse von 
Werth ist, und gebe im Nachstehenden einen Fall, welcher in der Leipziger 
Universitätsnervenklinik zur Beobachtung kam. 

Am 26./VII. 1896 wurde der 48jährige Landarbeiter K. in die Klinik auf- 
genommen. Die Mutter des Pat. ist nervenkrank, gelähmt, sonst ist irgend welche 
erbliche Belastung nicht nachzuweisen. Er selbst will bis zu seiner jetzigen Er¬ 
krankung immer gesund und rüstig gewesen sein. Getrunken hat er nicht. Syphi¬ 
litische Infection wird entschieden in Abrede gestellt. 

Vor 2 Jahren fiel Pat. von einem Schober etwa 3 m hoch herab auf Bücken 
und Hinterkopf. Er war vorübergehend bewusstlos, erholte sich aber rasch und 
konnte nach einigen Tagen wieder arbeiten, war auch weiterhin gesund bis Weih¬ 
nachten 1895. Damals verspürte er, ohne dafür eine Ursache angeben zu können, 
Blasenbeschwerden und Schwäche in den Beinen. Die Füsse wurden allmählich kalt, 
schwer und taub. Schwäche und Blasenstörung nahmen langsam zu. Seit März 1896 
kam Pat nicht mehr aus der Stube, seit Pfingsten 1896 hat er das Bett nicht 
mehr verlassen können. Die Beine sind völlig gelähmt und gefühllos, Kot und Urin 
gehen unwillkürlich und unbemerkt ab. Seit einiger Zeit hat sich Decubitus ein¬ 
gestellt 

Pat. ist ein mittelgrosser Mann, von schwacher Muskulatur, geringem Fettpolster. 
Die Haut ist zumal an den Beinen sehr schlaff Gesichtsfarbe leicht gelblich, 
Schleimhäute sehr blass. Schädel hoch, symmetrisch, Hinterhauptshöcker stark vor¬ 
stehend. Zunge nicht belegt Zähne sehr defect. Auf der rechten Backe zum Kinn 
abwärtsziehend eine Narbe (von dem Falle herrührend). 

Herz intact, Lungengrenzen normal, keinerlei Dämpfung, Spitzen beiderseits 
gleichstehend. Athemgeräusch überall rein, hinten unten einzelne Rasselgeräusche. 
Untersuchung des spärlichen schleimig - eitrigen Auswurfs ergab niemals Tuberkel - 
bacillen. 


1 Bruns, Die Geschwülste des Nervensystems. 1897. 


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Leib weich, leicht eindrückbar, nicht schmerzhaft Leber nicht vergrössert. 
Blasendämpfung reicht bis 2 Querfingerbreit über die Symphyse. Urin lässt sich 
nicht ausdrücken. Keine Zeichen für Psoasabscess. 

Urin gelb, wolkig getrübt, reagirt alkalisch und riecht ammoniakalisch. Im 
Sediment reichlich Lenkocythen, einzelne Erythrocythen, keine Cylinder. Träufelt 
ständig unbemerkt ab. Stuhlgang erfolgt spontan, selten und ohne dass Pat. etwas 
davon merkt 

Genitalien ohne besonderen Befund, Penis ohne Narben. Von Zeit zu Zeit er¬ 
folgen Erectionen, welche dem Pat. sehr lästig sind. 

Puls 72 p. Minute, von geringer Füllung und Spannung, regelmässig, Athem- 
frequenz regelmässig, normal, Temperatur desgleichen. 

Pupillen mittel- und gleichweit reagiren prompt und ausgiebig, bei Belichtung 
wie beim Nahesehen. Stimrunzeln, Augenschluss, Mundfacialisinnervation normal, 
symmetrisch. 

Zunge gerade, nicht zitternd vorgestreckt 

Kopfbewegungen frei, schmerzlos. 

Armbewegungen activ und passiv ungestört, grobe Kraft leidlich. 

Respiratorische Rippenmuskulatur functionirt anscheinend ganz ungestört. 

Rumpfbewegungen: Pat. kann sich nur mit Hülfe der Arme im Bett aufrichten, 
drehen und beugen, hat dabei heftige Schmerzen in Rücken und Kreuz. Liegt un¬ 
beweglich in passiver Rückenlage. 

Bauchmuskulatur bei der Athmung passiv gedehnt, kann willkürlich zur Bauch¬ 
presse nicht verwendet werden. 

Beine stark abgemagert, rechts mehr als links. Beide liegen gestreckt, etwas 
abducirt nach aussen rotirt, Füsse fühlen sich kalt an. Beiderseits in der Mitte 
des Schienbeins eine Brandnarbe. 

Willkürliche Bewegung der Beine vollständig aufgehoben, passive Beweglichkeit 
in allen Gelenken vollkommen erhalten. 

Mechanische Muskelerregbarkeit überall stark gesteigert. Die idiomusknläre 
Contraction hält in den Beinmuskeln lange Zeit an. 

Plantarreflex: rechts deutlich leises Zucken in den Wadenmuskeln und aussen 
im Qnadriceps, liuks nur einmal merklich zu erzielen. 

Cremaster-, Bauchdeckenreflexe fehlen. 

Gaumen- und Würgreflex erhalten. 

Patellarreflexe: rechts beim Beklopfen der Patellarsehne deutliche Zuckung in 
Quadriceps und Adductores auch der linken Seite, der Fuss wird dabei andeutungs¬ 
weise nach innen rotirt. Links stärker, das ganze Bein wird leicht nach innen 
rotirt, clonische Zuckungen in Quadriceps und Adductores beider Seiten. 

Achillessehnenreflex nicht zu erzielen. Kein Fuss- oder Patellarclonus. 

Anconaeussehnenreflex beiderseits deutlich. 

Beklopfen des Periostes im oberen Drittel der Tibia ruft rechts clonische 
Zuckungen der Oberschenkelmuskulatur hervor, links erfolgt schwache einmalige 
Zuckung. 

Die Sensibilität ist für alle Qualitäten erloschen abwärts von einer Linie circulär 
um den Leib, hinten in der Höhe des II. Lendenwirbeldornfortsatzes, seitlich der 
IX. Rippe, vorn 3 Querfingerbreit über dem Nabel. Empfindlich, und zwar für alle 
Qualitäten, sind nur noch die Genitalien, ein sattelförmiges Gebiet um den After 
und an der Hinterseite der Oberschenkel, sowie ein Fleck auf der lateralen Hälfte 
der Plantae pedis jederseits. Ausserdem giebt Pat. an, dass er eine Lageveränderung 
der Beine reflectorisch beim Beklopfen der Patellarsehne, wie auch in Folge der häufig 
spontan auftretenden, trägen, ihm sehr lästigen Contractionen der Oberschenkelmuskeln 
empfinde, doch scheint dies nur durch Uebertragen der Erschütterung auf die empfin¬ 
dende Partie des Körpers zu Stande zu kommen. 

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484 


Büdlich ergab sich noch als bemerkenswerther Befand ein ziemlich deutlicher 
Gibbus der Brost Wirbelsäule mit der Spitze im 8. Dornfortsetz und eine locale 
Schmerzhaftigkeit bei Druck besonders auf die seitlichen Partieen in diesem Theile 
der Wirbelsäule. 

Es handelt sich also bei unserem Patienten um eine Querschnittsunterbrechung 
des Rückenmarks, welche unvollständig war und ungefähr in der Höhe oder 
dicht über der Stelle sass, auf welche auoh die Deformität der Wirbelsäule 
hinwies. Der weitere Verlauf machte uns dann noch mit einer Reihe von Daten 
bekannt, welche es gestatteten, die Diagnose schärfer und sicherer zu stellen. 

Zunächst ergab die sorgfältige und fast tägliche Controlle des Verhaltens der 
Anästhesie folgendes Resultat: 

Am 10./VIII. fand sich eine Unsicherheit der Empfindung für alle Qualitäten 
vorn von dicht unterhalb des Schwertfortsatzes, seitlich von der VIII. Rippe rechts, 
der IX. links und vom X. Dorsalwirbeldornfortsatz hinten abwärts. Von der X. Rippe 
abwärts, (übrigens in denselben Grenzen wie oben angegeben, totale Anästhesie und 
Analgesie, die empfindenden Hautpartieen an Plantae pedis und Genitalien waren 
etwas eingeengt Nur sehr starker Druck und ganz tiefe Stiche wurden bisweilen 
noch bis in die Inguinalfalten, hinten bis zur Höhe des Darmbeinkammes und seit* 
lieh am Oberschenkel bis handbreit unterhalb des Trochanter maior undeutlich em¬ 
pfunden und ganz ungenau localisirt 

Am 17./VIII. reichte die Unsicherheit der Empfindung beiderseits bis zur 

VIII. Rippe, die Anästhesie bis zur X. beiderseits. In dem Gebiete, wo, wie am 
10./VIII. angegeben, nur vereinzelte tiefe Stichs noch wahrgenommen wurden, be¬ 
stand f&r dieselben zugleich starke Verlangsamung der Schmerzleitung (Dissociation) 
und langdauernde Nachempfindung. 

Die zuletzt angegebenen Grenzen blieben bestehen bis zum 24./VIII. Es liess 
sich in dieser Zeit deutlich constatiren, wie die Feinheit der Empfindung an den 
Plantae pedis und den Genitalien abnahm, zuletzt wurden an beiden Stellen nur 
noch gröbere Berührungen empfunden und nur tiefere Stiche als etwas schmerzhaft, 
leichtere einfach als Berührung angegeben. 

Am 20. und 23./VIII. konnten wir eine deutlich ausgesprochene Hyperalgesie 
vorn von der VIII. bis ungefähr zur VI. Rippe, hinten vom II. lumbalen bis zum 

IX. dorsalen Wirbeldornfortsatz reichend, constatiren. Ausserdem klagte Pat. fast 
ständig über sehr heftige reissende Schmerzen, welche' gürtelförmig etwa in der Gegend 
des Rippenbogens den Thorax umgaben, über ein Gefühl von Zusammengeschnürtsein. 
Einmal gab er vorübergehend Parästhesieen an den Eusssohlen an. 

Auf das Verhalten der Reflexe war besonderes Augenmerk gerichtet Die 
Achillessehnenreflexe fehlten während der ganzen Beobachtungsdauer. Die Patellar- 
reflexe waren im Anfang gesteigert, und zwar, wie angegeben, r. < 1., im August 
begannen sie schwächer zu werden und waren am 15./VIII. beiderseits fast erloschen. 
Dieser Befund war indes vorübergehend. Am 24./VIII. bestanden sie beiderseits 
wieder etwa in normaler Stärke. Die Plantarreflexe waren dagegen im Anfang schwach, 
und zwar r. > L, gegen Ende August waren sie beiderseits leichter und ungefähr 
gleich gut hervorzurufen. Von den übrigen Hautreflexen fand sich nur noch einmal 
der hypogastrische Reflex links, also auf der Seite, wo die Anästhesiegrenze tiefer 
stand, bei den schlaffen, nur passiv gedehnten Bauchdecken können wir darauf indes 
keinen Werth legen. 

Die Motilität zeigte während des Verlaufs keine Veränderung ihres Verhaltens. 
Die elektrische Erregbarkeit der Beinmuskulatur war bis zuletzt erhalten. Es waren 
zwar für den galvanischen Strom unverhältnissmässig hohe Stromstärken erforderlich, 
doch erfolgten alsdann blitzartige Eathodenschliessungszuckungen. Auch die Sphinkteren- 

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485 


lähmung blieb ganz constant Bei regelmässiger Entleerung der Blase durch Katheter 
stellte sich zeitweise die Schlussf&higkeit wieder her, doch kam es zuletzt dooh 
wieder zu completer Inconünenz. 


Die angeführten Symptome gestatteten es nun, die Höhendiagnose der 
vorliegenden Unterbrechung mit ziemlicher Sicherheit zu stellen. Yon den 
Segmentsymptomen hatte die meiste Bedeutung die Sensibilitätsstörung. Totale 
Anästhesie bestand in der Höhe des X., zum Theil auch des IX. Dorsalsegments, 
ganz sicher musste also letzteres, wahrscheinlich aber auch das VIII. noch mit 
in die stärkste (Kompression einbegriffen sein. Aber auch das Projectionsfeld 
des YUI. Segments zeigte noch eine deutliche Abstumpfung der Sensibilität. 
Man musste demnach darauf gefasst sein, die (Kompression noch höher, d. h. im 
Bereich des VH. Segments anzutreffen. Deshalb waren für uns die Wurzel¬ 
symptome ganz besonders bedeutsam. Die lancinirenden Schmerzen waren zwar 
in ihrer Localisation zu unsicher, um mit Erfolg verwerthet zu werden, dagegen 
Hess die bis ins YI. Segment hinein sich erstreckende Hyperästhesie erkennen, 
dass aller Wahrscheinlichkeit nach die YH. hintere Wurzel noch mit er¬ 
griffen sei. 

Schwieriger zu entscheiden war für uns die Natur des comprimirenden 
Processes. Aus der Anamnese ging hervor, dass ein Trauma stattgefunden 
hatte. Lange nach demselben hatten sich Lähmungserscheinungen und Em¬ 
pfindungsstörungen langsam und anscheinend durchaus symmetrisch eingestellt 
Lancinirende Schmerzen, überhaupt Wurzelerscheinungen waren vorher nicht 
aufgetreten, von einem charakteristischen Beginn und typischen Yerlauf wie bei 
Tumoren war keine Bede. Dazu fand sich nun ein Gibbus, welcher an sich 
schon auf eine tuberculöse Erkrankung der Wirbelsäule hinweisen konnte. 
Immerhin war derselbe im Yerhältniss zur (Kompression auffallend gering, glich 
sich auch bei Lageveränderung vollkommen aus, so dass er direct kaum Ursache 
der Unterbrechung sein konnte. Irgend ein sonstiges Zeichen für eine tuber¬ 
culöse Erkrankung fehlte. Die Annahme eines comprimirenden Tumors hatte 
somit die gleiche Berechtigung und es erschienen dafür die Wurzelsymptome 
einerseits, die zeitweilig constatirte geringe Asymmetrie andererseits beachtens- 
werth, wenngleich beide natürlich auch bei einer Caries Vorkommen konnten. 
Ueber die Natur eines eventuellen Tumors liess sich kaum etwas vermuthen, 
ebenso wenig über seinen extra- oder intraduralen Sitz zumal nach der 
sehr mangelhaften Anamnese. Bei dieser Ungewissheit der Diagnose drängte 
indes der Allgemeinzustand des Pat. auf ein energisches Handeln. Eine anfangs 
eingeleitete antisyphilitische Behandlung blieb absolut erfolglos. Die Cystitis, 
welche Pat. mit hereingebracht hatte, war nicht zur Heilung zu bringen, ein 
unregelmässig remittirendes Fieber stellte sich ein, es begann Decubitus am 
Kreuzbein. Wenn überhaupt, so war es sicher, dass dem Pat. nur noch durch 
eine Operation geholfen werden konnte. 'Vielleicht war es möglich, die (Kom¬ 
pression noch zu beheben, wenn wir uns auch von Anfang an klar waren, dass 
die Chancen eines operativen Eingriff keine allzu glänzenden seien. Wir ent¬ 
schlossen uns, dem eigenen Wunsche des Pat. nachgebend, zu der Operation, 


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466 


welche am 25./VIIL 1896 in der Klinik von Herrn Priv.-Doc. Dr. Garten 
ausgeführt wurde. 

Der Verlauf derselben war mit Uebergehung der rein chirurgischen Fragen 
folgender: 

Der Wirbelcanal wurde nach Urban eröffnet und von unten angefangen der 9. 
bis zum 5. Dorsalwirbelbogen resecirt und nach oben zur&ckgeschlagen. Bereits ent¬ 
sprechend dem 8. und 7. Dorsalwirbelkörper fand sich eine rauhe, blutreiche, wenig 
feste Geschwulst von etwa Taubeneigrösse, welche der Dura hinten und seitlich auf- 
sass, die 8. und 7. Wurzel mit umfasste und mit letzterer beiderseits in das Foramen 
intervertebrale hineinzog. Das Aussehen der Dura war ober- und unterhalb des 
Tumors ganz normal, oberhalb bestand deutliche Pulsation, welche abwärts von der 
Geschwulst fehlte. Es wurden nun mit Pincette und Messer, bezw. mit dem scharfen 
Löffel die Tumormassen ausgeräumt, darunter kam die Dura in anscheinend normaler 
Beschaffenheit zum Vorschein. Eine deutliche EinschnOrung oder Consistenzveränderung 
des B&ckenmarks bestand nicht. Rechts musste die 7. Wurzel durchschnitten werden. 
Nach Entfernung der Geschwulst stellte sich auch im unteren Segment deutliche, 
wenn auch schwache Pulsation wieder ein. Die Wunden wurden durch einige 
Situationsnähte geschlossen und mit Jodoformgazestreifen drainirt 

Leider war der Wund verlauf kein aseptischer. Nach 2 Tagen stieg die Tem¬ 
peratur wieder an und beim Verbandwechsel entleerte sich aus der Wunde unter 
starkem Druck stehendes, blutig seröses Sekret. Die Pulsfrequenz ging bei gleich¬ 
bleibendem Fieber allmählich in die Höhe. Am 30./VIII. wurde Pat. benommen, 
stöhnte viel, zeigte lebhafte Hyperästhesie an den Armen, fuhr mit denselben oft in 
der Luft herum, es traten clonische Zuckungen in der Gesichtsmuskulatur, tonisehe 
Contractur im Gebiete des linken unteren Facialisastes ein. Weitere Erscheinungen 
für Meningitis fanden sich nicht Am 31./VIII. erfolgte der Exitus. 

Hinsichtlich der Compressiouserscheinungen konnte nur noch eine Besserung der 
Sensibilitätsstörungen bis zum Tode constatirt werden. Am Tage nach der Operation 
kehrte die Sensibilität fflr Berührung und Schmerz an den Oberschenkeln bis etwa 
handbreit über dem Knie an Vorder- und Innenseite wieder, am 29./V1II. wurden 
Nadelstiche an den Unterschenkeln bisweilen empfunden. Motorische Paraplegie, 
Blasen- und Mastdarmlähmung bestanden fort, auch das Verhalten der Reflexe blieb 
unverändert. 

Bei der Section fand sich ausser starker, eitriger Bronchitis und Cystitis ein 
starkes Oedem der weichen Häute des Rückenmarks und des Gehirns, beginnende 
Meningitis basilaris, stärker ausgeprägte der Convexität auf das Kleinhirn übergreifend, 
beginnende eitrige Meningitis des Dorsalmarks, entsprechend zwei Stellen der Operations¬ 
wunde. Es bestand eine starke senile Arthritis der Wirbelgelenke, doch blieb un¬ 
bestimmt, ob diese die Ursache der Wirbelsäulendeformität abgegeben hatte. Der 
Tumor, mikroskopisch ein Sarcom, war bei der Operation vollständig entfernt worden, 
auf der Dura fanden sich nur Blutgerinnsel. 

Die Configuration des Rückenmarkes erwies sich als unverändert, dagegen 
war die Consistenz im Gebiete des IX. und X. Dorsalsegmentes an einer ca. 2 cm 
langen Stelle weicher als normal. An Querschnitten war deutlich aufsteigende 
Degeneration der Gom/schen Stränge, undeutliche der Kleinhirnseitenstrang¬ 
bahnen , absteigend eine Degeneration der Pyramidenseitenstrangbahnen zu 
erkennen. 

Die mikroskopische Verfolgung der Degenerationen geschah mittels der 
MARcm’schen Methode. In der Höhe des IX. und X. Dorsalsegmentes findet 
sich eine über den ganzen Querschnitt verbreitete Läsion der grauen und weissen 

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487 



Substanz bei erkennbarer Kückenmarkszeichnung, überall finden sich massenhaft 
Markscheidentrümmer und Fettkörnchenzellen. An nach Pal gefärbten Prä¬ 
paraten erkennt man allerdings immer noch einzelne normal aussehende Mark¬ 
faserquerschnitte, am meisten in 
den Vorderstrang - Grundbündeln. 

An Kernfärbungspräparaten sind 

die Ganglienzellen zum Theil hoch- ''$■ •; ..jrr-», f ■ ■ W 

gradig gequollen, zum Theil atro- Jiv.\ jr 

phisch, es finden sich reichlich 

grosse Spinneuzellen und erwei- . !>v> 

terte Gefässe. Ueber die von 

dieser fast totalen Querschnitts- 

Unterbrechung abhängigen Dege- 

nerationen im Rückenmark will 

ich mich kurz fassen. Sie stimmen 

im Allgemeinen mit den genugsam 

bekannten, insbesondere aber mit lfc^\ 

den von Hoch® 1 mitgetheilten Be- m : ‘ ^ j 

fanden überein. Absteigend sind 
degenerirt die Pyramidenseiten¬ 
strangbahnen bis ins unterste Sacral- 
mark, in der gleichen Längen¬ 
ausdehnung eine Bahn im Vorder¬ 
strange. Lage und Ausbreitung 
letzterer stimmt mit den Angaben 
Löwenthal’s 1 über die Ausdeh¬ 
nung des Faisceau marginal ante- 
rieur bei Thieren nicht ganz über- ß*$[. a ijM-J;'«® 

ein, wohl aber mit den sonstigen 
Befunden beim Menschen. In den ^ 

Vorderseitenstrang - Grundbündeln 
schwinden ebenso wie aufwärts die f' 

kurzen Bahnen sehr bald bis auf 
ganz vereinzelte Schollen, eine 
Degeneration am Vorderseiten- \ W 

Strangrande lässt sich mit einzelnen * vflQyss 

Fasern bis ins unterste Sacralmark Fig L 

verfolgen. In den Hintersträngen 





finde ich abwärts degenerirt das ScHULTZE’sche Comma deutlich bis zum mitt¬ 


leren Lumbalmark, ein zweites Feld ganz so wie es Hoche (1. c.) beschrieben. 


Ihne stärker ausgesprochene ventromediale 3 Degenerationszone finde ich an 


1 Hoche, Arch. f. Psych. XXVIII. 

1 Löwenthal, Internationale Monatsschr. f. Anat. u. Physiol. 1893. 
3 Zappest, Neurolog. Centralbl. 1898. Nr. 3. 


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488 


meinen Präparaten sieht Aufsteigend degenerirt sind ausser den kurzen Bahnen 
die Goutaben Stränge, die übrigens noch eine ganze Anzahl normal aus¬ 
sehender Fasern, ausserdem aber beginnende Solerose zeigen und ein kleiner 
Streifen im dorsomedialen Theil der Bu&DAO&’sdien Stränge. Bei D 7 (Fig. 1) 
sieht man sehr schön die Einstrahlung der beiderseits total degenerirten 
7. hinteren Wurzel Es sind ferner aufsteigend degenerirt die Kleinhirnseiten¬ 
strangbahnen nnd die GowEBs’schen Bündel, endlich von letzteren durch eine 
kleine relativ degenerationsfreie Stelle getrennt eine Bahn im Vorderstrang und 
ganz vereinzelte Fasern im Bereich der Pyramidenseitenstrangbahnen. 

Die Verfolgung der 4 compacten langen aufsteigend degenerirten Bahnen 
bis zu ihrem Ende ergiebt nun folgendes Resultat: 

Die im Vorderstrang aufsteigende ist deutlich zu erkennen nur bis zur 
Pyramidenkreuzung. Ob nicht einzelne Fasern in den Vorderseitenstrangrest der 
Mittellinie oder die Formatio reticularis eingehen, lässt sich an den Präparaten 
nicht entscheiden. Die Kleinhirnseitenstrangbahngeht ganz in das Corpus restiforme 
ein und zieht in demselben rings umgeben von normalen Fasern aufwärts. 

Die Verfolgung der Degeneration in den Hintersträngen ist möglich bis zu 
den Kernen derselben und zwar ist der GoLL’sche Kern in seiner ganzen Aus¬ 
dehnung, der BusDACH’sohe nur in seinen medioventralen Abschnitten von der¬ 
selben betroffen. Von der Höhe der beginnenden Schleifenkreuzung an sieht 
man nun continuirlich einzelne Fasern die Spitze der Gom/schen Stränge mit 
der gleichseitigen Kleinhimseitenstrangbahn verbinden. Eine gekreuzte der¬ 
artige Verbindung ist jedenfalls nicht in nennenswerter Stärke aufzufinden. 
Es handelt sich wesentlich um feine Fasern im Gegensatz zu den sehr groben 
Schollen im Gebiet der Kleinhirnseitenstrangbahnen. Weiter aufwärts, kurz vor 
der Höhe des sich öffnenden Centralcanals findet sich auch eine periphere 
Verbindung zwischen den genannten beiden Gebieten (Fibrae arcuatae ex- 
temae dorsales). Sie vereinigen eich mit den hier dorsolateralwärts ziehenden 
Fasern der Kleinhimseitenstrangbahn zur Anlage des Corpus restiforme. Diese 
Bahn bleibt auch nach dem Verschwinden des GoLL’schen Kernes auf Quer¬ 
schnitten noch bestehen, zieht also über denselben aufwärts hinaus, ja er¬ 
scheint an dieser Stelle stärker als unterhalb. Auch hier schickt dieselbe noch 
einen breiten Ausläufer nach vom um die innere Seite der absteigenden Qnintus- 
wurzel herum. Einige Fasern «Messen sich auch, zum Theil dicht neben der 
Olivenzwischenschicht herabziehend, den Fasern im Gebiet des Gownns’schen 
Bündels an. (Figg. 2—4.) 



Fig. 2. Quenohnitt in der Fis. 8. Querschnitt in der Fig. 4. Querschnitt in der 
Höhe d. Pyramidenkreuznng. Höne d. auftretenden grossen Mitte der grossen Oliven. 

Oliven. 

Das GowEEa’sche Bündel beginnt in der Höhe der Schleifenkreuzung sich 
entlang dem dorsalen Rande der Pyramiden nach innen auszubreiten. Mit dem 

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489 


Auftreten der grossen Oliven sieht man seine Fasern scharf nach aussen und 
dorsahrärts abbiegen, sie scheinen hier zum Theil sich dem Corpus restiforme 
mit zuzuwenden, die Hauptmasse liegt dauernd dorsal von den grossen Oliven 
und ventrolateral der Eleinhirnseitenstrangbahn angesohlossen. Eine gleichseitige 
Verbindung mit den OoLL’schen Strängen ist bereits erwähnt Ob Fasern zu 
dem hier dem GowEsa’schen Bändel unmittelbar anliegenden Seitenstrangkern 
in Beziehung treten, vermag ich nicht zu entscheiden. Der weitere Verlauf der 
Bahn gestaltet sich ganz conform der Beschreibung von Hoche. Beim Eintritt 
in die Brücke beginnt sie sich von der Eleinhirnseitenstrangbahn zu trennen. 
Sie tritt unter die Brückenarme zwischen mediale Schleife, obere Olive und 
Facialiskern, lateralwärts die untere Spitze der Radix descendens trigemini er¬ 
reichend, eingestreut in die Querfasern des Corpus trapezoides. (Figg. 5—7.) 



Fig. 5. Querschnitt durch die Fig. 6. Querschnitt durch die Fig.7. 1 Querschnitt durch die 

Brhcke rechts oberhalb, links Brücke rechts in der Höhe des Brücke. Rechts Auftreten des 

in der Höhe des Acustdcus* lateralen Schleifenkernes, Kernes des Corpus quadrig. 

eintritts. links des Trigeminuseintritts. post., links Höhe des lateralen 

Schleifenkernes. 

Bis hinauf zur Höhe des Trigeminuseintrittes sieht man immer noch einzelne 
Fasern sich dorsal- und lateralwärts zum Corpus restiforme begeben. Die Haupt¬ 
masse zieht um und durch den sensiblen Eem des Trigeminus nach aussen, 
oben und vorn, verläuft in der Spitze der lateralen Schleife, umgreift die Binde¬ 
arme und zieht in die Himklappe, in welcher man nach vorn bis zur Trochlearis- 
kreuzung sowohl kreuzende als auch in sagittaler Richtung zum Kleinhirn wurm 
znröckverlaufende Fasern sieht. (Figg. 8—10.) Ein kleiner Theil der degenerirten 



Fig. 8. Querschnitt in der Fig. 9. Querschnitt in der Fig. 10. Querschnitt in der 
Höhe der Bindeannkreuzung. Höhe rechts des Brach, con* Höhe rechts des Corp. quadrig 

iunct. corp. quadrig. post., ant., links des Corp. quadrig. 
links des Corp. quadrig. post. post. 

Fasern läuft in der Spitze der lateralen Schleife weiter. Er tritt mit derselben 
unten aussen an den Eem des hinteren Vierhügels heran, ob zum Theil auch 

1 Umfang und Stärke der degenerirten Bahn sind in Figg. 7—11, um deren Lage 
deutlich zur Anschauung zu bringen, zum Theil etwas übertrieben. 

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490 


in denselben, ist nicht zu entscheiden, liegt weiterhin tiefer unter dem Bindearm 
des hinteren Vierhügels. Bevor der Best als oberer Knopf des lateralen Schleifen- 
theiles in den Thalamus seitlich abbiegt, sieht man noch eine ganze Anzahl 
Fasern in der hinteren Commissur zur anderen Seite hinüberkreuzen. (Figg. 11, 12.) 



Fig. 11. Querschnitt in der Höhe 
rechts der Commissura posterior, 
links des Corp. qnadrig. ant. 



Fig. 12. Horizontalschnitt durch 
den rechten Thalamus opticus, 
etwas nach vorn abfallend. 


Ueber das endgültige Schicksal der degenerirten Fasern in der lateralen 
Schleife geben etwas schräg nach vom abfallende Horizontalschnitte durch den 
Thalamus gute Auskunft Man sieht nämlich von der dorsalen Spitze des 
lateralen Antheils der Schleife aus lange Kömehenketten vor und unter dem 
Corpus geniculatum intemum lateralwärts ziehen. Nach seitwärts zu breiten 
sich dieselben auch etwas in das vor ihnen gelegene Ausstrahlungsfeld der 
medialen Schleife aus. Der Faserzug bildet einen nach vom convexen Bogen 
und steigt in seinem Verlauf lateral wärts etwas empor. Der Breite nach finden 
sich seine Fasern jedenfalls über den ganzen vorderen unteren Quadranten des 
Corpus geniculatum int ausgebreitet Hinter dem Centre median und dem 
schalenförmigen Körper vorbeistreichend lassen sich seine letzten Ausläufer bis 
zu den hinteren Theilen des Nucleus extemus thalami verfolgen. Für einen 
Theil der Fasern ist allerdings in Folge des Wechsels der Verlaufsebene der 
Verbleib lateralwärts über die Sagittalebene des Centre median hinaus nicht 
festzustellen. Finden sich einige aberrirende Fasern aus dem äusseren Gebiet 
der medialen Schleife auch schon in der Höhe des Corpus quadrigem. ant zu 
diesem Bündel hinzu, so habe ich doch eine isolirte Bahn in derselben, wie 
v. Söldes beschrieben hat, nicht auffinden können. 

Die aufsteigenden Degenerationen bieten in unserem Falle etwas wesentlich 
Neues nicht, das Hauptinteresse beansprucht das Verhalten des GowEBs’schen 
Bündels. Wie schon Patrick 1 angiebt, war dasselbe auch vor der GowERs’schen 
Veröffentlichung keineswegs unbekannt, er führt an Mevnert*, Flechsig 8 , 
Wb8tphal 1 * 3 4 , welche sämmtlich die Zweitheilung der Kleinhimseitenstrangbahn 
beim Uebergang in die Brücke kennen, ohne indes das GowEus’sche Bündel 


1 Patrick, Arch. f. Psych. XXV. 

* Mbynrht, Arch. f. Psych. IV. 

3 Flechsig, Leitungsbahnen 18Tb. 

4 Wbstphal, Arch. f. Psych. X. 


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4di 


als Ganzes principiell von der Kleinhirnseitenstrangbahn abznsondera. Soweit 
ich sehe, hat dies zuerst auf Grund entwickelungsgeschichtlicher Befunde 
Bechterew 1 gethan. Sonderbarer Weise erklärt er als völlig sicher, dass es 
sich keinesfalls über die oberen Oliven hinaus in die laterale Schleife fortsetzt. 
Die GowEBs’sche Veröffentlichung 2 betrifft nur den spinalen Verlauf unserer 
Bahn. Eine Arbeit von Tooth s , welcher das secundär degenerirte Bündel bis 
in die Höhe des VI. und VH. Hirnnerven verfolgt hat, war mir nicht zugäng¬ 
lich. 1890 erklärte Flechsig 4 , dass er sich nunmehr durch Befunde bei de; - 
Katze aufmerksam gemacht, im Gegensatz zu seiner früheren Annahme von 
der Fortsetzung des Bündels in die laterale Schleife überzeugt habe. 

Eine wesentliche Ergänzung dieser Daten brachte zunächst das Thier¬ 
experiment. Nach Durchschneidungen beim Hunde beschrieb Löwenthal 5 den 
gesammten Verlauf des von ihm so benannten ventralen Antheils der Klein¬ 
hirnseitenstrangbahn bis in den Oberwurm. In einer ausführlicheren Arbeit 0 
konnte er seine Angaben insofern vervollständigen, als nunmehr die Endigung 
der Fasern in der Rinde des ventralen Theiles des Oberwurms festgestellt war, 
und als Gewährsmann für die Richtigkeit seiner Befunde Auebbaoh 7 anführen. 
Er bestreitet dagegen, dass das v. Monakow schon früher 8 beschriebene aberrirende 
Seitenstrangbündel, welches auch neuerdings wieder mit dem Go webs 'sehen 
Bündel für identisch gehalten wird, diesem seiner Lage nach entspreche. Ohne 
dies entscheiden zu wollen, möchte ich nur erwähnen, dass ich selbst an Prä¬ 
paraten von Kaninchen, denen das Rückenmark in verschiedener Höhe durch¬ 
trennt war, diese Differenz in der Lage der Degenerationen bestätigen konnte. 
Während y. Monakow’s Bündel lateral von der oberen Olive sich findet, sieht 
man das GowEBB’sche Bündel ventral und eher nach innen von derselben, 
mehr der Peripherie genähert verlaufen. Ueber die V. Wurzel hinaus fand ich 
bei Kaninchen in der lateralen Schleife, übereinstimmend mit der Angabe 
v. Monakow’s keine deutliche Degeneration. Immerhin vermuthet derselbe 
TTebergang in die laterale Schleife. Dass in dieser Gegend übrigens neben dem 
GowEBs’schen Bündel noch andere Bahnen verlaufen, beweist schon v. Monakow’s 
eigene Angabe 9 über eine gleichzeitig auf- und absteigende Degeneration des 
aberrirenden Seitenstrangbündels. Auch Held 10 localisirt ja hier sein Seiten¬ 
strangbündel aus dem rothen Kern der Haube, das sich von diesem abwärts 
in der gleichen Bahn bewegt, die v. Monakow sein aufsteigendes Bündel 
nehmen lässt. 


1 Bechterew, Neurolog. Centralbl. 1885. 

1 Go webs, Neurolog. Centralbl. 1886. 

* Tooth, Gulstonian lectures 1889 (cit. Patbick 1. c.). 

4 Flechsig, Neurolog. Centralbl. 1890. 

5 Löwenthal, Revue med. de la Suisse Romande. 1886. 

4 Derselbe, Internationale Monatsscbr. f. Anat. und Phys. 1893. Bd. X. 
T Auerbach, Virchow’s Arch. Bd. CXXI. S. 201. 

* v. Monakow, Arch. f. Psych. XIV. 

* Derselbe, Ar 9 h. f. Psych. XXII. 

*• Held, Neurolog. Centralbl. 1890. S. 481. 

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492 


Nach Mediandurchschneidung des Lumbalmarkes bei Affen vermochte Mott 1 
Ausläufer des GowasBS’schen Bündels mit der lateralen Schleife bis hinauf zum 
vorderen Vierhügel zu verfolgen. Er leitete sie hauptsächlich aus den im Rüoken- 
marke central und hinten gelogenen Partieen dieses Bündels ab. Nicht ganz 
weit gelangte Tooth 8 nach einer experimentellen Durchsohneidung in der 
Medulla oblongata eines Affen, nämlich bis zur Höhe des Trochlearis. 

Ein von Bbuns* klinisch beobachteter Fall von Bücken markscompreesion 
in der Höhe des 8. Cervical- und 1. Dorsalsegmentes gab Patbick 6 Gelegen¬ 
heit, auch beim Menschen diese Bahn bis zur Höhe der Bindearmkreuzung in 
der lateralen Schleife zu verfolgen, das ihm vorliegende Material gestattete aber 
nicht, die weiteren Verlaufeverhältnisse zum Cerebrum und Cerebellum zu 
eruiren. Hoohe 8 hat zuerst an einem Falle von Quersohnittsunterbrechung in 
der Höhe des 9. und 10. Dorsalsegmentes die Angaben Löwenthal’s bezüglich 
des Verlaufe des GowEBs’schen Bündels zum Kleinhirn bestätigen können. Es 
folgte v. Söldes 7 mit einem Falle von Querschnittsunterbrechung im unteren 
Cervicalmarke. Während nun aber Hoche eine Degeneration über die Ebene 
des hinteren Vierhügels aufwärts nicht constatiren konnte, liess sich von dem 
Herde im Cervicalmark aus eine Degeneration bis in den Thalamus verfolgen. 
Das Neue an unserem Befunde ist 1. dass das von v. Söldeb beschriebene 
Bündel, wie zu erwarten, jedenfalls zum Theil aus einer unter dem Niveau des 
9. und 10. Dorsalsegmentes gelegenen Region stammt; in dem von uns unter¬ 
suchten Halsmark fand sich keine weitere Erkrankung, ausserdem aber 2. dass 
es gelungen ist, Fasern desselben bis zu den Zellen des Nucleus externus tha- 
lami zu verfolgen. Sie finden also hier gemeinsam mit einem Theile jeden¬ 
falls der übrigen sensiblen Leitungen aus den hinteren Wurzeln ihre Unter¬ 
brechung. Auffallender Weise findet sich in einem Falle von Hösel 8 bei einer 
alten apoplectischen Cyste, die den inneren Kniehöcker, den unteren Theil des 
Pulvinar und die hinteren Partieen der ventralen Thalamuskeme zerstört hat, 
unsere Bahn fast isolirt erhalten bei übrigens completer Degeneration der 
Schleife. Die Abbildungen Hösel’s von dieser dorsalsten Spitze des lateralen 
Schleifentheiles geben durchaus die Darstellung der Lage unseres Bündels. 

Epikritisch möchte ich in unserem Falle noch bemerken, dass derselbe eine 
Ausnahme bei dem durch Bbües 9 aufgestellten Erfahrungssatze: „dass, wenn 
die höchst zu localisirenden Ausfallssymptome in einem bestimmten Falle auf 
die Läsion eines bestimmten Wurzelgebietes hin weisen, diese im Allgemeinen 
an der Austrittsstelle dieser Wurzel aus dem Marke in der Segmenthöhe und 


1 Mott, Brain. 1892. XV. 

* Derselbe, Brain. 1895. XVIII. Part. 1. 

* Tooth, Brain. 1892. XV. 

4 Bruns, Arch. f. Psych. XXV. S. 759. 

5 Patrick, 1. c. 

* Hochs, 1. c. 

T v. Söldeb, Neurolog. Centralbl. 1897. S. 308. 

* Hösrl, Arch. f. Psych. XXV. S. 1. 

* Bruns , 1. c. S. 329. 

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nicht an der betreffenden Wurzel während ihre» intraspinalen Verlaufes statt¬ 
gefunden hat.“ Bei dem extradoralen Sitze der Geschwulst fand sich der extra¬ 
durale Theil der 7. Wurzel bei ihrem Austritt aus dem Wirbelcanal ergriffen, 
der Tumor sasa demnach um 1 */, Segmente und sicher um eine Wirbelkörper¬ 
höhe tiefer als man ihn nach dieser Regel hätte erwarten müssen. 


2. Experimenteller und pathologisch-anatomischer 
Beitrag zur Lehre von der chronischen Schwefelkohlenstoff¬ 
vergiftung. 1 

Von Dr. Georg Köster, 

Assistenten an der Nervenabtheilang der med. Universitäts-Poliklinik zu Leipzig. 

Meine Herren! Gestatten Sie mir, Ihnen in kurzen Worten die bisher ge¬ 
wonnenen klinischen und anatomischen Resultate meiner an Kaninchen vorge¬ 
nommenen chronischen Vergiftungen mit Schwefelkohlenstoff zu schildern. 

Zwar habe ich meine Untersuchungen noch nicht beendet, bin aber nach 
einer Richtung hin zu einem Abschluss gekommen, so dass mir eine vorläufige 
Mittheilung des bisher Gewonnenen gerechtfertigt erscheint 

Ich wurde zur Vornahme der Vergiftungen angeregt durch die Beobachtung 
eines Falles von chronischer Schwefelkohlenstoffvergiftung, welcher ausser hoch¬ 
gradiger hypochondrischer Verstimmung, Verlust der Potenz, schwerer Chorioiditis 
und Retinitis, ausgedehnten Sensibilitätsstörungen an allen Extremitäten eine 
ganz exquisite Herabsetzung der Muskelerregbarkeit für beide Stromesarten bei 
directer und indirecter Reizung darbot Ich kann auf diesen Fall hier nicht 
näher eingehen und will nur erwähnen, dass die Erregbarkeit der Muskeln sich 
im Laufe von ca. 9 Monaten gehoben hat, aber immer noch beträchtlich unter 
den oberen Grenzwerthen Stintzing’s zurückbleibt Dieser hochinteressante 
Fall wird seiner Zeit noch eingehend von mir mitgetheilt werden. Im physio¬ 
logischen Institut zu Leipzig habe ich nun mit freundlicher Erlaubniss des Herrn 
Geheimrath Hering Kaninchen chronisch mit CS, vergiftet und zwar von den 
bisher anatomisch untersuchten Thieren eins 14 Tage, eins 4 Wochen, zwei 
2 Monate, zwei 3 Monate und eins 3 7* Monate lang. Ueber die Methode der 
Vergiftung will ich mich hier nicht weiter verbreiten, es mag genügen, dass die 
Thiere das Gift auf dem Wege der Athmung ihrer Blutbahn ein verleibten. Ich 
habe nun Folgendes feststellen können. 

Das Körpergewicht nahm bei allen Thieren, sofern sie sich vorher (und das 
war meist der Fall) unter günstigen Ernährungsverhältnissen befanden, in den 


1 Nach einem in der III. Versammlung mitteldeutscher Psychiater und Neurologen am 
1. Mai 1898 zu Jena gehaltenen Vortrage. 


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ersten Tagen etwas zu, dann aber, nach Ausgleich des Stoffweohsels, langsam 
und stetig ab, trotz guten und überreichlichen Futters. Nur ein einziges 
2 Monate vergiftetes Thier nahm bis zu seinem Ende fortgesetzt zu. Mit der 
Gewichtsabnahme ungefähr parallel ging eine Zunahme der faradischen Muskel¬ 
erregbarkeit Hand in Hand. Die elektrischen Prüfungen wurden physiologisch 
exact ausgeführt, stets mit derselben Versuchsanordnung, so dass jeder Millimeter 
Rollenabstand von Werth sein und beobachtet werden konnte, und alle 14 Tage 
wiederholt Da zeigte es sich denn, dass die anfänglich z. B. bei 145 mm Rollen¬ 
abstand eintretende Minimalzuckung, nach 2 Wochen schon bei 170 und nach 
weiteren 2 Wochen schon bei 190 und schliesslich bei 230 mm Rollenabstand 
auszulösen war. Ein andres Versuchsthier bot vom Beginn der Vergiftung bis 
zur 8. Woche eine Steigerung von 195—270 mm Rollenabstand. Gewiss eine 
erhebliche Steigerung der Erregbarkeit! 

Mit der Steigerung der electnschen Erregbarkeit stellte sich eine deutliche 
Ermüdungsreaction ein, sobald die Zunahme der Erregbarkeit eine Zeit lang 
gedauert hatte. Es musste dann der Rollenabstand nach und nach mitunter 
um 30 mm verringert werden, um eine neue minimale Zuckung hervorzurufen. 
Diese reizbare Schwäche machte meist von der 6. bis 7. Woche an einer all¬ 
mählichen Herabsetzung Platz, welche am intensivsten sich entwickelte bei den 
Thieren, die chronisch an den Folgen der CS 2 -Vergiftung dahinsiechten. Jedoch 
sank der Werth der grössten erzielten Herabsetzung nicht unter den zu Beginn 
gewonnenen Rollenabstand herunter. Ebenfalls gleichzeitig mit der Erhöhung 
der electrischen Erregbarkeit entwickelte sich eine deutliche Hyperästhesie an 
den Extremitäten. Eine leise Berührung mit der Nadelspitze genügte, um eine 
unverhältnissmässig grosse Abwehrbewegung hervorzurufen. Anfangs hielt ich 
die im Vergleich mit nicht vergifteten Thieren beobachtete Hyperästhesie, weil 
subjectivem Ermessen bei der Beurtheilung zu sehr unterworfen, nicht für ein¬ 
deutig. Als ich aber bei 2 Thieren der Hyperästhesie eine Anästhesie an den 
Pfoten folgen sah, der Art, dass man ohne jedwede Reaction von Seiten des 
Thieres ihm eine Nadel durch die ganze Pfote stecken konnte, ward mir die 
voraufgegangene Hyperästhesie zur Gewissheit Die Anästhesieen beschränkten 
sich bei meinen 2 Objecten nicht auf bestimmte Nervengebiete, sondern um¬ 
fassten die Pfoten und die Mittelhand. Weiter hinauf verschwanden sie. Hinter¬ 
und Vorderpfoten waren gleichmässig anästhetisch. Abmagerungen der Muskeln 
habe ich nicht constatiren können. Bei jeder einzelnen Vergiftung wurden die 
Blutgefässe des Kopfes stark erweitert, die Ohren, die Nasenschleimhäute und 
Conjunctiven rötheten sich intensiv und der ganze Kopf fühlte sich heiss an. 
Mehrfach wurden aus den acuten Reizungszuständen chronische Bindehaut- und 
Bronchialcatarrhe. Die Pupillen wurden weit und reactionslos, und in 4 Fällen 
gelang es mir, eine dauernde Erweiterung der Pupillen, in einem Falle eine 
dauernde Differenz hervorzurufen. Nach jeder Vergiftung waren die Thiere eine 
Zeit lang (etwa 1—2 Stunden) paretisch und atactisch und schleppten mühsam 
die Hinterbeine einzeln nach. In 2 Fällen wurden die Paresen der Extremitäten 
schliesslich constant und in den letzten Wochen ihres Siechthums setzten sie 

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statt gleichmässig sich abstossend zu springen, die Beine auf wie ein Thier, 
welches kriecht, indem sie unsicher die Hinterbeine einzeln an den Bauch heran¬ 
zogen und die Vorderbeine einzeln vorletzten. Diese Thiere waren zugleich 
anästhetisch an den Pfoten. 

Sie benahmen sich beim Laufen ähnlich wie ein anderes Kaninchen, dem 
ich zur Gewinnung von Controlpräparaten zur MAncm-Methode einige vordere 
und hintere Wurzeln durchschnitten hatte. Auch dieses war anästhetisch, 
atactisch und zog die Hinterbeine einzeln an den Leib heran, ohne sich gleich¬ 
mässig mit ihnen abzustossen. Bezüglich des Allgemeinbefindens der Thiere 
kann man, ohne sich in Phantasieen zu ergehen, noch sagen, dass sie anfangs 
und etwa so lange, als ihre Hyperästhesie und gesteigerte Muskelerregbarkeit 
bestand, aufgeregt waren. Sie sprangen beim Anklopfen an ihren Käfig wild 
durch einander, während späterhin die zwei im 3. Monat verstorbenen Thiere 
stumpfsinnig wurden, trotz direoten Anstossens sich nur träge von der Stelle 
bewegten und schliesslich den ganzen Tag auf einer Stelle hockten. 

Bei den übrigen Thieren kam es deshalb nicht zum Stupor, weil sie noch 
bei relativem Wohlbefinden nach einer kurz vorher vorgenommenen zu starken 
Vergiftung verstorben. 

Wir haben also, wenn wir das experimentell gewonnene klinische Bild über¬ 
blicken, im Anfänge der Vergiftung Reizerscheinungen, im weiteren Verlaufe 
Ausfallserscheinungen beobachten können. 

Bei allen 7 bisher verstorbenen Thieren konnte makroskopisch eine Ver¬ 
änderung, namentlich eine Verfettung der inneren Organe (Leber, Nieren) nicht 
festgestellt werden. Auch mikroskopisch erwiesen sich die Leberzellen durchaus 
nicht abnorm fetthaltig. Um eine gewöhnliche Cachexie konnte es sich also 
nicht handeln. 

Das Gehirn und Rückenmark war stets sehr blutreich und weicher als 
normal. Die Muskulatur bot nichts Besonderes weder bei makroskopischer noch 
mikroskopischer Besichtigung. 

Ferner wurden Stücke der Nn. Iscbiadici nach der ExNEB’schen Methode 
mit dem Osmiumkochsalzgemisch behandelt und fein zerzupft. In keinem Falle 
war es mir möglich, eine Neuritis festzustellen. Die Markscheiden waren homogen 
schwarz gefärbt, und nur an einigen Stellen fand ich unregelmässige, jedenfalls 
beim Zerzupfen herausgedrückte Myelintropfen theils in, theils neben dem Nerven 
liegend vor. Dasselbe war bei der weissen Substanz des Rückenmarkes der 
Fall. Gerade die Unregelmässigkeit dieser vereinzelten Myelintropfen spricht mir 
für ihre arteficielle Natur im Gegensatz zu den bohnenförmigen, länglichen 
Markscheideelementen, die sich bei der degenerativen Atrophie des Nerven reihen¬ 
weise angeordnet vorfinden. In den Ganglienzellen des Gehirnes, des Rücken¬ 
markes und der Spinalganglien habe ich nach vorausgegangener Behandlung mit 
dem £xNB&’schen Gemisch schwarze, kleine Kügelchen in verschiedener Zahl 
(2 — 8 in einer Zelle) gesehen. Bereits Rosin hat im Jahre 1896 nachgewiesen, 
dass mit Osmium sich schwärzende Kügelchen beim Menschen physiologisch von 
der Pubertät an immer, beim Kaninchen dagegen niemals sich finden. Da ich 

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non ebenso wie Rosin bei normalen Kaninchen diese Kügelchen nicht gefunden 
habe, da sie sich durch Zusatz von Alkohol oder Aether nach mehreren Stunden 
lang sa m lösten, so haben wir es unzweifelhaft mit Fett zu thun. Der nahe¬ 
liegende Gedanke, dass es sich etwa um irgend eine die Osmiumsäure reduoirende 
Eiweisssubstanz handeln könne, wunde durch den Zusatz von Essigsäure wider¬ 
legt, welche das eventuelle Eiweiss gelöst haben würde. Ich weiss nicht, ob 
die von Hjjcpb in seiner aus der Leipziger Irrenklinik hervorgegangenen Disser¬ 
tation flüchtig erwähnte Verfettung der Ganglienzellen im Auftreten dieser 
Kügelchen besteht. 

Auch kann man am frischen Präparat die Anwesenheit von Vaouolen unter 
Umständen sehen und noch öfter aus der blasigen, schwammigen Structur der 
Zellen bloss ahnen. Weiter kommt man aber mit der Untersuchung des frischen 
Materials nicht Die Feinheiten der normalen und pathologisch veränderten 
Zellstructur kann man in brauchbarer Weise nur mit der NissL-HnLn’schen 
Methode mit vorheriger Fixirung in Formol oder van GHHUCHTBN’schem Gemisch 
erkennen. Ich habe nun von jedem der 7 gestorbenen vergifteten Thiere 
8—400 Schnitte von 8—5 fi Dicke aus allen Theilen des Rüokenmarkes und 
Gehirnes, sowie den verschiedensten Spinalganglien nach Nissl-Eeld gefärbt 
und ausserordentlich charakteristische Veränderungen an den Zellen gefunden. 
Durchschnittlich zeigen die am längsten vergifteten Thiere, welche auch klinisch 
die erhöhte resp. herabgesetzte Erregbarkeit, Anästhesien und Paresen darboten, 
auch die intensivsten Degenerationszustände ihrer Ganglienzellen, während die 
nur kurze Zeit vergifteten Thiere weniger schwere Veränderungen aufwiesen; 
jedoch spielt beim Kaninchen wenigstens das Alter und das Körpergewicht ent¬ 
schieden eine Rolle. So wies z. B. ein 8 Monate vergiftetes anfangs 7 Pfund, 
beim Tode noch 4 1 / 2 Pfund schweres Thier, erheblich geringere Veränderungen 
seiner Zellen auf als ein gleichfalls 3 Monate vergiftetes Thier, das um ein 
Gewicht von annähernd 2 Pfund auf- und abschwankte. loh will nun in kurzen 
Zügen an der Hand der bei jedem Thiere constatirten Veränderungen das patho¬ 
logisch-anatomische Bild der verschiedenen Stadien der Zelldegeneration bei der 
chronischen CSj-Vergiftung schildern. 

Die normalen anatomischen Verhältnisse setze ich bei der Kürze der zuge¬ 
messenen Zeit als bekannt voraus und gebe Ihnen jedesmal eine Abbildung der 
jeweiligen normalen Zellen und sodann Zeichnungen der verschiedenen Degene¬ 
rationszustände herum. Die Zeichnungen sind nach meinen Präparaten mit 
Oelimmersion Leitz Via» Ocular IV und unter Benutzung eines Auerbrenners 
als Lichtquelle angefertigt worden. Das Auerlicht ist nötbig zur Erkennung 
feiner Details, welche einem bei gewöhnlichem Tageslicht oft entgehen können. 

Ich beginne mit den Spinalganglienzellen. 

Die Spinalganglienzellen zeigen als mildeste Degenerationsform nicht selten 
eine Erweiterung des pericellularen Raumes, Einbuchtungen und Auszackungen 
des Kernes, Beschränkung der NissL-Granulirung auf eine ringförmige Zone 
um den Kern herum und eine solche am Rande der Zelle. Oder es findet sich 
nur ein Kreis von nioht mehr scharf getrennten, sondern confluirenden, chro- 

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matophilen Elementen am den Kern herum. Bei weiter fortschreitendem 
Zerfall schrumpft der Kern oder die Kernmembran löst sich auf, ja sogar das 
Kernkörperchen kann sich auflösen. 

Die Nissl-Granula zerfallen staubförmig, wobei sie die Zelle mit einem 
homogenen, feinen Staube überziehen und ihr einen lila Farbenton verleihen 
oder die chromatophilen Elemente klumpen sich zu einer bei aller Anstrengung 
nicht zu differenzirenden blauen Masse um den aufgelösten Kern zusammen. 
Dabei treten Vacuolen auf im Kern und noch häufiger am Kernrande im Proto¬ 
plasma oder in der Mitte des Zellleibes, so dass ein Ring von Vacuolen schliess¬ 
lich ooncentrisch um den Kern herumliegt. 

Ausser den Vacuolen stellen sich noch grobe, breite Spalten im rothgefärbten 
protoplasmatischen Grundgewebe ein, offenbar als Erweiterungen der präformirten 
von Held nachgewiesenen Gewebslücken. Schliesslich kann die ganze Zelle 
zerkrümeln, so dass nur in dem erweiterten Zellraume ein blassblauer, vacuolen- 
durchsetzter, homogener Protoplasmarest übrig bleibt 

In analoger Weise degeneriren auch die Zellen der Sympathicusganglien. 
Auf dem Bilde, das ich Ihnen hier herum reiche, erkennen Sie die Schrumpf¬ 
ung bezw. Auflösung der Kerne, die Vacuolisirung und staubförmige Granuli- 
rung des Protoplasmas, sowie am freien Rande der Zelle eine confluirende Masse 
von chromatophilen, blau überfärbten Elementen. 


Die multipolaren Vorderhornganglienzellen zeigen im Frühstadium der Ent¬ 
artung oft eine starke Erweiterung des pericellulären Raumes, die leichten Aus¬ 
zackungen oder Einbiegungen des Kernes, späterhin Verlust der Kernmembran, 
Auflösung des Kernes und oft Verlust des Kernkörperchens. Aehnlich den 
Veränderungen bei den Spinalganglien sind auch die Entartungen des Proto¬ 
plasmas, nur dass hier die Chromatolyse und die völlige Auflösung der Zell¬ 
substanz an den Protoplasmafortsätzen beginnt. An den Dendriten sieht man 
die staubförmige Vertheilung der Nissn-Granula zuerst, die Dendriten verschmä- 
lern sich, zerbröckeln oder vacuolisiren am Fusse und brechen sohliesslich ab. 
Dabei kann das Zellprotoplasma und die NissL-Granulirung noch leidlich erhalten 
sein. Die NissL-Körper finden sich vielleicht bloss noch um den Kern herum 
deutlich, während die periphere Zellmasse frei von NissL-Körpem oder staub¬ 
förmig granulirt ist. Oft sieht man in diesem Stadium schon grobe Spalten in 
dem Protoplasma, späterhin grosse Vacuolen in oft reichlicher Zahl. Die Nissl- 
Körper zerstieben schliesslich zu Staub, welcher der oft formlos breit gequollenen 
Zelle eine Lilafärbung verleiht oder es tritt Klumpung der chromatophilen 
Elemente mit Ueberfarbung der Zelle ein. Bei staubförmig granulirten Zellen 
sieht man oft rothe, aller blauen Granulirung beraubte, unregelmässige Inseln 
im Zellleib bis in die geschrumpften Dendriten hinein sich erstrecken. Wir 
haben es dann mit glasiger oder hyaliner Entartung der Zelle zu thun. In den 
spätesten Stadien der Entartung haben sich alle Fortsätze abgelöst und spärliche, 
stark entartete Protoplasmareste in dem erweiterten Zellraume deuten die Stelle 
an, wo einst eine wohlgebildete Zelle lag. Auch ein Abreissen der den Zellleib 
umspinnenden Axenoylinderendbäumchen konnte häufig oonstatirt werden. 


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Bei allen Thieren zeigte sich eine pralle Gefässfüllung, anch der kleinsten 
pericellolären Capillarschlingen und in zwei Fällen konnte ich sehr zahlreiche 
frische capillare Blutungen in den pericellolären Baum and in die graue Masse 
nachweisen. Es handelte sich hier bei den an Athmungslähmung verstorbenen 
Thieren vermuthlich um agonale Blutung, wie man sie bei Erstickten findet 

Um nicht zu ermüden, will ich nur kurz bemerken, dass die Zellen der 
Brücke, des verlängerten Markes und des Hirnstammes, sowie die Zellen der 
Hinterhörner ganz analoge Veränderungen zeigen und dass mir im Ganzen be¬ 
trachtet, die Degenerationen der Hinterhornzellen geringer zu sein scheinen. 

Natürlich finden sich, namentlich bei den relativ früh verstorbenen Thieren 
noch erhebliche Mengen ganz oder annähernd normaler Zellen und auch bei 
den am schwersten befallenen Thieren sind die Unterschiede der Entartung 
innerhalb ein und derselben Zellsorte sehr beträchtlich. Ich lege auf die Con- 
statirung dieses Unterschiedes grossen Werth, da durch denselben der Vorwurf, 
es könne sich um postmortale Veränderungen handeln, hinfällig wird. Zudem 
wurden die Sectionen und Uebertragung in die Fixirflüssigkeit mit Ausnahme 
eines Falles direct nach dem Absterben der Thiere vorgenommen. 

Aehnlich wie die übrigen Zellen des Centralnervensystemes verhalten sich 
die der Hirnrinde. Auch hier finden sich die verschiedensten Degenerations- 
stufen innerhalb ein und derselben Bindenschicht Ich kann nicht mit absoluter 
Bestimmtheit sagen, dass ein Hirnabschnitt vor einem anderen, z. B. das Stirn- 
him vor den Centralwindungen bezüglich der Degeneration seiner Zellen einen 
Vorzug hatte. Vielmehr finden sich in allen Theilen des Gehirnes degenerirte 
Zellen, bei einem Thiere weniger, bei dem schwerer vergifteten Thiere mehr. 
Doch machen mir bei früh verstorbenen und noch weniger stark chronisch ver¬ 
gifteten Thieren die äusseren Bindenzellschichten, vielleicht weil sie wegen ihrer 
isolirteren Lage besser zu studiren sind, durchschnittlich einen mehr entarteten 
Eindruck als die der unteren reihenweise aneinandergeschmiegt liegenden Zellen. 
Bei stärker, d. h. längere Zeit vergifteten Thieren, verschwinden diese Unter¬ 
schiede. Die Veränderungen bestehen in Erweiterung der pericellulären und 
perivasculären Bäume und der Lymphspalten. Ferner finden sich leichte und 
schwere Kernschrumpfungen, Verschwommensein der Kemmembran, staubförmige 
Granulirung des Protoplasmas oder klumpige Chromatolyse und Vacuolisirung 
des Zellleibes. Die Vacuolisirung beginnt immer an der Peripherie des Kernes 
in Gestalt einer länglichen den Kern ablösenden Vacuole. Schliesslich liegt der 
geschrumpfte Kern in einem weitmaschigen durchlöcherten, grösstentheils ver¬ 
loren gegangenen Protoplasma, so dass man Mühe hat, in diesem Budiment noch 
die frühere elegante Zelle zu erkennen. 

So wie die Zellen der Grosshirnrinde sind auch die PunxiNJE’schen Biesen¬ 
zellen des Kleinhirns erkrankt 

Die Kerne sind geschrumpft, oft durch randständige Vacuolen vom Proto¬ 
plasma theilweise abgehoben, der Zellleib mit staubförmigen NissirKörnem be¬ 
streut und zuweilen ganz aufgelöst In anderen Fällen wieder klumpige 
Schrumpfung der Zelle unter Ueberfarbbarkeit Frühzeitig schon entarten die 

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Dendriten. Zuweilen sieht man, wie an den Vorderhomzellen, so auch an den 
PüEKiNjB’schen Riesenzellen stärker roth gefärbte unregelmässige Partieen im 
Zellleibe als unzweifelhaften Ausdruck glasiger Entartung. Der pericelluläre 
Raum ist oft erweitert. Blutungen habe ich im Gehirn bei keinem Thiere 
nachweisen können, wohl aber stets strotzende Gefassfüllung. 

Können wir nun, ohne den Dingen Gewalt anzuthun, die anatomischen 
Befunde mit den beim Kaninchen erzeugten klinischen Bilde in Einklang bringen 
und dürfen wir uns einen Rückschluss auf die Verhältnisse bei der chronischen 
CS 2 -Vergiftung des Menschen gestatten? Es liegt mir zwar noch ob, das Ver¬ 
halten der Neuroglia zu studiren und mit der MABcm-Methode auf Mark¬ 
scheidenzerfall in der weissen Substanz und im peripheren Nerven zu fahnden, 
und ich bezweifle auch nicht die absolute Unmöglichkeit eines Markscheiden¬ 
zerfalles, aber ich halte nach meinen bisherigen Befunden eine primäre Neu¬ 
ritis nicht für wahrscheinlich. Die Sensibilitätsstörungen sind bei meinen Thieren 
unzweifelhaft als centrale aufzufassen, denn die Zelle des ersten Neurons ist er¬ 
krankt und die Hyperästhesie, sowie später die Anästhesie werden nach dem 
Gesetz der eicentrischen Perception an der Peripherie, d. h. den Pfoten empfunden. 
So erklärt sich die Sensibilitätsstörung, welche sich bei meinen Thieren nicht 
auf bestimmte Nervengebiete beschränkte, meiner Meinung nach zwanglos. 

Die Erhöhung der elektrischen Erregbarkeit, sowie ihre Herabsetzung in 
Verbindung mit Ermüdungsreaction, sowie die Paresen finden ihre Erklärung 
in dem jeweiligen Zustand der Vorderhornzelle. Die Functionen der gestörten 
Zellen werden von den relativ oder ganz intacten Zellen noch, so gut es gehen 
mag, übernommen. Dass es mir bisher nicht gelang, eine complete Paralyse der 
Extremitäten und Muskelatrophieen zu erzielen, schiebe ich auf den vorzeitigen 
Tod der Thiere, welche ich bisher im längsten Falle nur 3V 2 Monate am Leben 
habe erhalten können. Aber auch wenn man degenerative Atrophie im peri¬ 
pheren Nerven finden sollte, so wird man daraus nicht ohne Weiteres auf eine 
primäre Neuritis schliessen dürfen, da der Markscheidenzerfall mit Verödung 
der Nerven ja eine einfache Folge der Zerstörung der trophischen Zelle des 
motorischen Neurons sein kann. Ich erinnere nur an die auf Intoxication be¬ 
ruhenden „Neuritiden“, die sich im Auschluss an Diphtheritis und andere Infections- 
krankheiten entwickeln können, sowie an die fragliche „Arsenikneuritis“. Bei 
allen diesen Krankheitszuständen hat man in neuester Zeit primäre Degenera¬ 
tionen der Vorderhornzellen nachgewiesen. Ebenso ist eine gewisse Analogie 
zur Poliomyelitis aut. acuta hier unverkennbar, denn auch hier erkranken nach 
der Ansicht vieler Autoren die Vorderhomzellen primär und das weit vorge¬ 
schrittene oder abgelaufene Krankheitsbild lässt sich zuweilen nur schwer von 
dem einer Neuritis im Endstadium unterscheiden. 

Der Entartung der Gehirnzellen entspricht meiner Ansicht nach auch das 
psychische Verhalten der Thiere bei Lebzeiten. Den initialen Zelldegenerationen 
entspricht die Erregtheit der Thiere, den späteren der Stupor. Leider klingt es 
gewagt, beim Kaninchen von einer Psyche zu reden. Es erscheint mir aber 
— ich will mich hier mit aller Vorsicht ausdrücken — nicht zu kühn, wenn 

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man auch beim chronisch mit CS 2 vergifteten Menschen, wo ja auch im Wesent¬ 
lichen Reiz- oder Ausfallserscheinungen bestehen, primäre Zelldegenerationen 
annimmt als die Ursache der verschiedenen Symptome. Gerade das vielgestal¬ 
tige Krankheitsbild der CSj-Psychosen könnte seine Erklärung finden in den 
ausserordentlich variabeln Zelldegenerationen innerhalb der verschiedenen Rinden¬ 
schichten, wobei kein Himabschnitt constant vor dem andern bevorzugt, sondern 
bald dieser bald jener mehr betroffen wird. Auch die relativ schwere Heilbar¬ 
keit der CSj-Psychosen dürfte darauf sich zurückführen lassen, dass es die Zellen 
des Gehirnes sind, die nachweisbare Veränderungen erfahren haben, und dass 
die schwerer degenerirten Zellen mit vollständiger Chromatolyse, Vacuolen und 
Verlust der Fortsätze einer Regeneration nicht mehr fähig sein dürften. Bei 
geringeren CS 2 -Vergiftungen, wo Reizerscheinungen vorwiegen, werden die Zellen 
dagegen nur leichtere Entartungszeichen an sich tragen und sich wieder hersteilen, 
wenn der Kranke nicht weiter dem Gift ausgesetzt wird. 


II. Referate. 


Anatomie. 

1) Op the ohrome-silver impregnation of formalin-hardened brain, by 
J. Shaw Bolton. (Lancet. 1898. Jan. 22.) 

Verf. härtet das Gehirn in 5°/ 0 Formalinlösung je nach der Grösse 5 Wochen 
bis 12 Monate. Alsdann werden kleine Stücke ohne vorheriges Auswaschen in eine 
1 °/ 0 Ammoniumbichromatlösung eingelegt (einige Stunden bis 5 Tage). Aus dieser 
werden die Stücke nach Abspülen in Aq. dest. in eine l°/ 0 Arg. nitr.-Lösung für 
16—24 Stunden gebracht Weiterhin folgt mehrstündige Härtung in 60°/ o Alkohol, 
Paraffineinbettung u. s. f. Th. Ziehen. 

2) On the origin, oourse and eell-oonneotions of the visoero-motor nerves 
of the small intestine, by J. S. Bunch. (Journal of Physiology. XXII. 
S. 357.) 

Verf. untersuchte die automatischen Bewegungen des Dünndarms und deren 
Beeinflussung durch Gifte und Nervenreize. Er fand dabei, dass der Vagus einen 
constanten Einfluss auf den Ablauf der Bewegungen des Dünndarms nicht besitzt, da 
die Beizung desselben am Halse und im Thorax nur ein einziges Mal unter 25 Ver¬ 
suchen eine Veränderung im Ablauf der normalen Darmbewegungen bewirkte. 

Ganz constant war dagegen eine Beeinflussung der Darmbewegungen durch 
Beizung des peripherischen Endes des durchschnittenen N. splanchnicus hervorzurufen. 
In der Mehrzahl der Fälle, besonders beim Hunde, wurde hierdurch eine tonische 
Contraction bedingt, in anderen Fällen aber, vorwiegend bei der Katze, war der Effect 
dieser Beizung eine tonische Erweiterung des Darmrohres. Verf. schliesst hieraus, 
dass im N. splanchnicus zwei antagonistisch wirkende Gruppen von Nervenfasern 
verlaufen, deren eine die Erweiterung, deren andere die Verengerung des Darmrohres 

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bewirtet, and welche, je Dach der Thierspecies in verschiedenen Mengenverhältnissen 
Vorkommen. — Die betreffenden Nervenfasern stammen ans dem Bfickenmark und 
treten durch den 6. Brustnerven bis herunter zum 5. Lumbalnerven in den N. splan- 
chnicus ein. Es scheint, dass sie nur eine Zellstation im Plexus solaris zu passiren 
haben. W. Cohnstein (Berlin). 

3) A subocolpltal lobe ln the brain, by Wallace Wood. (Lancet. 1898. 

Feb. 26.) 

Verf. beschreibt bei dem Binde 2 Läppchen auf der dem Kleinhirn zugekehrten 
Oberfläche des Occipitallappens, welche der „Ligula oder dem Qyrus temporo-occipi- 
talis medialis" und dem Lobnlus temporo-occipitalis lateralis des Menschen entsprechen 
sollen. Seltsamerweise sollen beide Läppchen bei dem Zugochsen (draught) relativ 
verkümmert sein. Th. Ziehen. 


Experimentelle Physiologie. 

4) Beiträge zur Erforschung des Sympathicnseinflnsses auf die contra¬ 
laterale Pupille, von N. Tümianzew. (Pflüger’s Arch. Bd. LX1X.) 

Nach Enucleation eines Auges bei dem Kaninchen fand Verf. Degeneration in 
der mittleren, weissen Vierhflgelschicht, im Corp. genic. lat., Pulvinar, Thalamus 
und im Tractus pedunc. transversus der entgegengesetzten Seite. Auf der gleichen 
Seite war die Degeneration geringer. Die Gudden’sche Commissur, die Opticus¬ 
wurzel Bagrow’s und der Fasciculus tuberis cinerei blieben intact. ln der Meynert’- 
sehen Commissur fanden sich beiderseits degenerirte Markschollen, was Verf. auf die 
besondere Zartheit dieser Fasern und die „nicht gehörig vorsichtige" Behandlung des 
Gehirns zurückführt. Mit Hülfe der Methylenblaumethode stellte er fest, dass bei 
der Katze und dem Kaninchen ein Theil der Fasern des Tract. pedunc. transv. aus 
einem besonderen, auf dem vorderen Bindearm, dicht am vorderen Bande des vorderen 
Vierhügels gelegenen Ganglion entspringt. Einzelne Angaben über den Bau des 
vorderen Vierhügels und Gangl. geniculat. lat. sind im Original nachzulesen. Die 
Oberfläche des Conariums (unter der Membr. propria) fand Verf. mit Ganglienzellen 
besäet. Auf der Oberfläche einiger Ganglienzellen des Conariums fand er zuweilen 
varicöse, den Zellkörper umflechtende Fäden, welche mit einer knopfförmigen An¬ 
schwellung auf der Zelloberfläche endigen. 

Zu den physiologischen Versuchen verwendete Verf. meist Katzen. Die Pupillen¬ 
weite wurde an einer Millimetertheilung abgelesen. Verf. glaubt nachgewiesen zu 
haben, das die von Dogiel angegebene Pupillen Verengerung bei faradischer Beizung 
des centralen Sympathicus nicht durch die Veränderungen in dem auf der Seite des 
gereizten Sympathicus befindlichen Auge bedingt ist und auch nicht ganz als eine 
Folge der consensuellen Pupillenreaction aufgefasst werden kann, sondern wahr¬ 
scheinlich eine neu entdeckte, durch die in der Gegend des Sinus cavernosus den 
Hirnnerven sich hinzugesellenden Sympathicusfasern vermittelte Beflexerscheinung 
darstellt. Wahrscheinlich kommen dabei speciell Sympathicusfasern in Frage, welche 
im Sinus cavernosus zum Oculomotoriusstamm sich hinzugesellen und in seinem Stamm 
bis zu seinen Centren verlaufen. Es würde also der neue Beflex unter dem Einfluss 
pupillenverengender Oculomotoriusfasem zu Stande kommen. 

Nebenher ergab sieb, dass die Hauptmasse der Sympathicusfasern bei der Katze 
aus dem oberen Halsknoten nicht mit der Art. carot. int, sondern auf einem anderen 
Wege, ähnlich dem von Fr. Franck angegebenen, zum Sinus cavernosus gelangt, 
sowie dass „die Pupillenerweiterer sogleich vor dem Ganglion Gassen in der Form 
einiger Bündel oder Fasern verlaufen". Th. Ziehen. 


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6) lieber die Wahrnehmong der Farben, von P. Fridenberg. (New Yorker 
med. Monatsschr. 1898. März.) 

Verf. bespricht zunächst kurz die Farben des Spectrums, deren Combinationen, 
Farbenton, Beinheit nnd Helligkeit and geht dann znr Sinneswahrnehmung der 
Farben aber. Ein Zapfen der Netzhaut genflgt, um eine gesonderte Gesichts¬ 
empfindung zu vermitteln. Zur Empfindung eines doppelten ßeizes ist die Erregung 
von mindestens 2 Zapfen nothwendig. Von der Sehzelle der Betina wird der Nerven- 
impuls dann bis zur sensiblen Zelle der Grosshimrinde fortgeleitet. Nach der Young- 
Helmholtz’schen Theorie enthält das Endorgan jeder Nervenfaser eine Sehsubstanz, 
photochemischer Natur, welche vom Lichte zersetzt wird. Durch diese Zersetzung 
wird die entsprechende Nervenfaser gereizt Man unterscheidet nun roth, grün und 
blau empfindende Endorgane, je nachdem ihre Substanz am meisten von den rothen, 
grünen oder blauen Strahlen des Spectrums erregt wird. Diese Theorie erklärt gut 
die Erscheinungen der positiven und negativen Nachbilder, sowie diejenige der 
Farbenblindheit („Rothblindheit“, „Grünblindheit“, „Blaublindheit“). Neben derselben 
besteht noch die Hering’sehe Theorie, nach welcher unsere Farbeneindrücke auf 
6 Grundempfindungen zurückgeführt werden, welche, in 3 Paare angeordnet, den 
complementären Empfindungen weiss-schwarz, roth-grün, gelb-blau dienen. Nach 
Verf.’s Ansicht liefert jedoch die Young-Helmholtz’sche Theorie eine bessere Er¬ 
klärung aller Erscheinungen. Kurt Mendel. 


6) On rest, sleep and work and the ooncomitant ohanges in the oireu- 
lation of the blood, by C. Hill. (Lancet 1898. Jan. 29.) 

Der arterielle Blutdruck wurde mit dem Hill-Barnard’schen Sphygmometer 
an der rechten Art. brachialis gemessen. Es ergab sich, dass er im Schlafe sehr 
erheblich abnimmt (z. B. von 120—125 mm Hg auf 90—95 mm Hg). Mit guten 
Gründen bestreitet jedoch Verf., dass dieses Sinken des Blutdrucks die Ursache 
des Schlafs sei; es ist vielmehr nur auf die Bettwärme und die horizontale Buhelage 
zurückzuführen. Daher ist der Blutdruck z. B. Morgens, wenn die Versuchsperson 
wach, aber ruhig im Bett liegt, ebenso niedrig wie Nachts im Schlafe. Muskel¬ 
bewegung und Affecte steigern den Blutdruck und die Pulsfrequenz am erheblichsten. 
Die Ursache des Schlafs ist durch die seither aufgestellten Theorieen noch nicht 
genügend aufgeklärt. Th. Ziehen. 


Pathologische Anatomie. 

7) Sülle alterasioni degli elementl del sistema nervoso centrale nell’ in- 
sonnia sperimentale, per L. Daddi. (Biv. di Patolog. nerv, e ment 1898. 
Nr. 1.) 

Bei 3 Hunden, die nach einer schlaflosen Periode von 17, 8 und 13 Tagen 
gestorben waren, untersuchte Verf. das Nervensystem. Einer von den Hunden hatte 
such die Zeit über gehungert 

In den Intervertebralganglien und dem Kleinhirn Zerfall der Chromatinschollen 
zu einem feinen Pulver, im Cytoplasma zuweilen Vacuolen, der Kern gegen die 
Peripherie verrückt und oft homogen erscheinend. Im Grosshirn namentlich stark 
die Läsion der ungefärbten Protoplasmasubstanz. Es fanden sich häufig neben 
Gruppen stark veränderter Zellen solche von ganz normalem Aussehen. Blutgefässe 
und Neuroglia ohne krankhafte Veränderungen. Bei dem hungernden Hunde waren 
die Läsionen am schwersten. Die Zellen des Bückenmarks und der Med. oblongata 
erschienen normal. 


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Nach der Golgi’schen Methode die Zellen anregelmässig begrenzt, ihre Proto¬ 
plasmafortsätze verschmälert and varicös entartet, der Nervenfortsatz normal. 

Der Schwere der Läsion nach stand in erster Reihe der vordere Lappen des 
Grosshirns; es folgten der Occipital- und Parietallappen, die psychomotorische Region, 
das Kleinhirn and die Intervertebralganglien. 

Die Läsion der einzelnen Zelle gleicht der unter vielen anderen Umständen 
beobachteten; das Gesammtbild der Veränderungen aber and ihre Vertheilang hält 
Verf. für die tibermässige Anstrengung und Uebermfidang für charakteristisch. 

Valentin. 


8) I. Note on muscle spindles in pseudohypertrophio paralysis, by S. Gran- 
bäum. — II. Observations on sensory nerve endings in voluntary 
muscles, by A. Ruffini. — III. Short note on sense organs in musole 
and on the preservation of musole spindles in oonditions of extreme 
musoular atrophy, following seotion of the motor nerve, by J. Horsley. 
(Brain. 1898. Autumn.) 

I. Bei Pseodohypertrophia moscolaris soll die Moskelspindel Veränderungen 
eingehen. Da nach Sherrington solche Veränderungen nach Durchschneidung der 
motorischen Muskelnerven nicht ein treten, so spricht nach dem Verf. sein Befund 
dafür, dass der Process bei der Muskelpseudohypertrophie ein primär musculärer ist. 

II. Die Muskelspindel ist ein sensorisches Organ. Die Verkeilung und Endigung 
der Nerven in die Muskelspindel ist eine verschiedenartige. Verf. unterscheidet eine 
bandartige spiralige oder ringförmige Endigung, eine solche in Form eines Blumen- 
strausses und eine endplattenartige. Genaueres muss im Original nachgesehen werden. 
Ausser den Muskelspindeln kommen im Muskel als sensorische Organe die Golgi’¬ 
schen Organe in den Sehnen vor; bei diesen beschreibt Verf. neben dem eigent¬ 
lichen einen etwas anders sich verzweigenden „begleitenden“ Nerv; und schliesslich 
Pacini’sche Körper. Die Untersuchung muss sich bei Störungen des Muskelsinns 
auf diese Dinge richten. 

III. Verf. hat nach Durchschneidung des Ischiadicus die Endplatten geschrumpft 
aber sonst erhalten gefunden; auch er findet Pacini’sche Körper in den Muskeln. 

Bruns. 


9) Ueber Aotivitätshypertrophie der willkürliohen Muskeln, von Prof. 

Morpurgo in Siena. (Virch. Archiv. Bd. CL.) 

Verf. stellte seine Untersuchungen in der Weise an, dass er bei Hunden den 
M. sartorins der einen Seite vor dem Versuch sorgfältig entfernte und ihm dann mit 
dem gleichnamigen Muskel der anderen Seite, der erst nach einer zweimonatlichen 
Arbeitsperiode entfernt wurde, makroskopisch und mikroskopisch hinsichtlich des 
Volumens, der Zahl, Länge und Dicke der Muskelfasern und einzelnen Muskel¬ 
elemente, Kerne u. s. w. verglich. Er kam dabei zu dem Ergebniss, dass die Ac- 
tivitätshypertrophie der willkürlichen Muskeln ein Beispiel von wahrer Hypertrophie 
im Sinne Virchow’s ist, d. h. ohne Vermehrung der quergestreiften Muskelfasern 
lediglich durch Verdickung der letzteren zu Stande kommt. Eine Verlängerung der 
Fasern findet hierbei nicht statt, und die Verdickung geschieht nur durch Vermehrung 
des Sarcoplasmas, ohne merkliche Vermehrung oder Verdickung der Primitivfibrillen. 
Auch die Zahl der Kerne ist nicht vermehrt, im Gegensatz zu der meist mit be- . 
trächtlicher Kernwucherung einhergehenden pathologischen Muskelhypertrophie. 

Lilienfeld (Gr. Lichterfelde). 


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10) Alterazioni cadaveriohe della oellula nervosa studiate ool metodo di 
Nissl, per G. Levi. (Bivist. di Patolog. nerv, e ment 1898. Nr. 1.) 

Die ersten Leichenveränderungen zeigen sich an den Zellen von Gross- and 
Kleinhirn and zwar schon 18—24 Stunden nach dem Tode, an den Spinalganglien 
erst 36—48 Stunden und in den Vorderhörnem des Bückenmarks 60 Standen post 
mortem. Anfangs erscheint die Zelle mehr oder weniger intensiv gefärbt, aus einer 
pulverförmigen Masse zusammengesetzt, in der hier and da einzelne unregelmässige, 
stärker tingirte Schollen liegen; der Kern undeutlich begrenzt, Nucleolus unverändert 
Auf dieses „hyperchromatische“ Stadium folgt eines, in dem das Protoplasma bloss 
violett erscheint, die Zellgrenzen unregelmässig und verschwommen, der Kern nicht 
mehr unterscheidbar, das Kernkörperchen deformirt, aber noch färbbar ist 

Diese Ergebnisse stehen mit denen früherer Beobachter, so von Barbacci und 
Campacci (s. d. Centralbl. 1897. S. 1042) in sofern im Widerspruch, als diese 
von dem „hyperchromatischen“ Stadium nichts angeben. Valentin. 


11) Untersuchungen über Beri-Beri, von Dr. Karl Küstermann. (Mit- 

theilungen aus den Hamburgischen Staatskrankenanstalten. 1897. Bd. I.) 

Etwa 25 Jahre alter Chinese, seit 12 Tagen krank, macht bei der Aufnahme 
einen schwerkranken Eindruck. Temperatur normal, Puls klein, sehr beschleunigt, 
100—125 p. M., über der Herzspitze und der Pulmonalis anämische systolische 
Geräusche. Beine, besonders Unterschenkel abgemagert an den Armen keine Atro* 
phieen. Wadenmuskulatur sehr druckempfindlich. Patellarreflexe erloschen. Sensi* 
bilitätsprüfung mangels Verständigung mit dem Pat. unmöglich. Elektrische Unter* 
suchung musste wegen des ernsten Zustandes des Pat. unterbleiben. Zunehmendes 
Herzklopfen, schnell fortschreitende Schwäche. Anfälle von Angina pectoris. Doppel* 
seitige hypostatische Pneumonie, der Pat erliegt. Vom Sectionsbefunde sei hier der 
Befund an den Muskeln and dem Nervensystem mitgetheilt; erwähnt sei nur, dass 
die bakteriologische Untersuchung negativ ausfiel, und dass am Herzen sich fleck* 
weise fettige Degeneration fand. Die Muskulatur der Arme zeigte normalen Befund. 
An den Mm. tibiales ant fanden sich einzelne Muskelfasern blasser gefärbt, etwas 
gequollen und an den Ecken abgerundet, einige vacuolisirt, die Kerne vermehrt; auf 
Längsschnitten schien die Querstreifung stellenweise verloren gegangen, das Sarco* 
plasma in der Bichtung der Querstreifung in einzelne Trabekel zerfallen, die bald 
durch grössere Abstände sarcoplasmafreien Gewebes von einander getrennt sind, bald 
noch lose zusammenhängend in der Parallelrichtung von einander verschoben den 
Sarcolemmschlauch lose ausf&llen. M. tibialis anticus dexter stärker degenerirt als 
der linke, ganz gering war der rechte Gastrocnemius afficirt, die übrigen Bein* 
muskeln intact. 

Die Nerven der Arme gaben normalen Befund. 

Beide Nn. vagi waren in der Höhe der Carotis communis ziemlich 
stark degenerirt. 

Von den Beinnerven waren am stärksten degenerirt die Nn. peronei und be¬ 
sonders die intramusculären Aeste derselben. Eigenthümliche Bildungen zeigte der 
Stamm des Nerven unterhalb des Capitulum fibulae. Es fanden sich neben theilweise 
oder vollkommen marklosen Fasern Gebilde von kreisrunder oder ovaler Form mit 
festergefügtem, von lockerem grosszelligem Bindegewebe umgebenem Centrum, das 
eine genauere Differenzirung mittelst Färbung nicht zuliess; nur liessen sich an ein* 
zehen derartiger Gebilde elastische Fasern färben, ohne jedoch den Eindruck gewinnen 
zu lassen, dass es sich um sichere Gefässelastica handelte. Aehnliche Gebilde sind 
bereits von Pekelharing und Winkler bei Beri-Beri, später auch von Bosen¬ 
heim, sowie von Oppenheim-Siemerling aus den Hautnerven eines Tabikers 
beschrieben worden. 


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In der Medulla oblongata fanden sich in beiden Vaguskernen Gefässe and 
Capillaren strotzend mit Blnt gefallt and zahlreiche capilläre Blatangen in die Sab* 
stanz (könnte dieser Befand nicht aach agonalen Ursprungs sein? Bef.); Die Ganglien¬ 
zellen waren znm Theil stärker gefärbt and kugelig geschrumpft; sonst boten Gehirn 
and Bückenmark normales Aassehen dar. 

Klinisch handelte es sich zweifellos um einen Fall von acuter perniciöser car- 
dialer Form von Beri-Beri (Scheube). Martin Bloch (Berlin). 


Pathologie des Nervensystems. 

12) Ein Fall von Lepra, von A. Habel. Aas der medic. Universitätsklinik in 

Zürich. (Deutsche med. Wochenschr. 1898. Nr. 9.) 

Der aas gesunder Familie und völlig leprafreier Gegend stammende Pat. erwarb 
seine Krankheit in Brasilien, wo er öfters mit Leprakranken in Beziehung kam. Es 
entwickelte sich allmählich eine Lepra nervosa, die za einer dissociirten Anästhesie 
des grössten Theiles der Körperoberfläche (Anordnungstypus? Bef.), zu Verlust von 
Nägeln, Haaren, Augenbrauen und Cilien, za Hodenatrophie, Nasengeschwüren, 
Septnmperforation und Iritis führte. Die klinische Beobachtung ergab ferner starke 
Haatabschuppung nach Sublimatbädem, plötzliches Entstehen und Verschwinden von 
eigentümlichen Hautverdickungen im Gesichte, Auftreten von Pemphigusblasen an 
verschiedenen Körperstellen und von Verdickungen am rechten Ulnaris, Abstossung 
einiger Nägel an den Zehen, rechts Peroneusparese und blaues Oedem an Händen 
und Füssen. — Leprabacillen wurden in den Hautschuppen, dem Nasensekret, dem 
Inhalt der Pemphigusblasen, den auf der Nasenschleimhaut vorhandenen Borken und 
dem Staub in der Umgebung des Kranken gefunden, im Schweiss und Blut dagegen 
vermisst. Die bacillenhaltigen Hautschuppen — die Haut Lepröser tendirt oft zur 
Abschuppung — bilden eine Ansteckungsgefahr, eine Thatsache, die u. a. grosse 
Bedeutung erlangen kann. Das Auftreten von blauen Oedemen bei Lepra ist insofern 
interessant, als es auch bei Syringomyelie beobachtet wird und beide Krankheiten 
bekanntlich eine Beihe gemeinsamer Symptome aufweisen. B. Pfeiffer (Cassel). 


IS) Vorläufige Mittheilung über einen mit Carrasquilla’sohem Serum be¬ 
handelten Fall von Lepra, von Buzzi. (Deutsche med. Wochenschr. 1897. 

Nr. 42.) 

Der betreffende löjähr. Patient bot das typische Bild der Lepra; seine Gross¬ 
mutter litt an der milden Form dieser Krankheit (Mal de San Antonio), die Eltern 
sind gesund. Da alle bekannten, innerlichen und äusserlichen Mittel, methodisch an¬ 
gewandt, keinen dauernden Erfolg hatten, wurde das Carrasquilla’sche Serum be¬ 
nutzt, und zwar wurden vom 7./II.—9./VII. d. J. „regelmässig am Vormittag gegen 
9 Uhr 26 Einspritzungen in die Nates gemacht“. Anfangsdosis 0,3 ccm, spätere 
Gabe ccm, bisheriger Verbrauch 42 ccm Serum. Die Injectionen wurden zunächst 

2 Mal, später 1 Mal wöchentlich gemacht, dazwischen 2 Mal 14 tägige Pausen ein¬ 
geschoben. An der Injectionsstelle entstand ein lebhaftes, entzündliches, schmerz¬ 
haftes Oedem, das der angewandten Sernmmenge annähernd parallel ging, am Abend 
des Injectionstages am stärksten war und in einigen Tagen schwand. Die Injection 
selbst wurde bei grösseren Gaben als sehr schmerzhafter Eingriff empfunden; keine 
Abscessbildung. Beunruhigende Allgemeinsymptome fehlten meist, nur 2 Mal kam 
es zu bedrohlichen Collapserscheinungen. Nach einem starken Schüttelfrost, 2 bis 

3 Stunden post injectionem, stieg die Temperatur und erreichte meist 8—10 Stunden 
nach der Einspritzung das Maximum (39—40°). In der Nacht erfolgte Abfall 
unter mehr oder minder grossem Schweissausbruch, dann wiederholten sich die Fieber- 


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anfäUe in den nächsten Tagen, durch geringeren Frost eingeleitet und mit sehr 
starken Schweissen endend. — Nur in einer einzigen Injection trat vom 3. Tage ab 
Fieberlosigkeit ein. Das ganze Aussehen des Kranken erfuhr eine durchgreifende 
Aenderung zum Besseren; Allgemeinbefinden, Appetit und Oe wicht hoben sich. Ver¬ 
einzelte Nachschübe der Krankheit wurden während der Kur und auch später, fast 
4 Monate nach Sistirung der Injectionen, beobachtet, doch waren dieselben milder 
und die neugebildeten Knötchen wurden bald wieder resorbirt. 

Nach des Verf.’s Ansicht ist das Mittel zu empfehlen und einer weiteren Prüfung 
werth. B. Pfeiffer (Cassel). 


14) Ein Fall von sogenannter Landry’seher Paralyse. Büokgang der 

Lähmung. Tod an Lungentuberoulose, von Stabsarzt Dr. Burghart. 

(Charitd-Annalen. 1897. XXII.) 

Tuberculös belastete 15jährige Patientin hat in der Kindheit an Keratitis und 
Lymphdrüsenschwellungen gelitten, erkrankt plötzlich bei bestem Wohlbefinden, indem 
die Beine unter ihr zusammenknicken; sofort völlige Lähmung derselben; am Abend 
plötzlich völlige Paralyse der Arme; zwei Tage später häufiges Verschlucken. Am 
nächsten Tage Aufnahme in die Charitö. 

Die Untersuchung ergiebt: Facialis, Bypoglossus, Pupillen ohne Störungen, des¬ 
gleichen Augenmuskeln. Gaumen und Uvula, sowie Stimmbänder ohne Lähmungs¬ 
erscheinungen. Sprache tonlos, fast flüsternd. Erhebliche Parese der Kopfheber. 
Aufsetzen und Umdrehen im Bett unmöglich. Arme und Beine völlig schlaff gelähmt. 
Sensibilität überall intact. Haut- und Sehnenreflexe überall erloschen. Athmung 
regelmässig, nicht deutlich angestrengt, es bewegen sich dabei nur die oberen Thorax¬ 
hälften. Husten tonlos, unter grosser Anstrengung, Expectoration erschwert, Sputum 
kann nicht ausgespieen werden, fliesst über die Lippen. 

In den nächsten Tagen Bewegungen des Kopfes noch mehr erschwert, Parese 
im Gebiet beider oberen Faciales. Etwa 4 Tage nach Beginn der Krankheit Besserung 
der Function der Gesichtsmuskulatur, nach 10 Tagen zuerst minimale Bewegungen 
in den Vorderarm- und Handmuskeln, nach weiteren 10 Tagen die ersten Bewegungen 
in den Muskeln der Oberschenkel. Nackenmuskulatur wieder normal functionirend. 
Von nun an allmählich zunehmende Besserung in der Function sämmtlicher Muskeln. 
Die indes schon bei der Aufnahme constatirte Lungenaffection machte rasche Fort¬ 
schritte und ihr erlag Patientin 2 ] / 2 Monate nach Beginn der Erkrankung. Zuletzt 
waren an den Armen auch die Sehnenreflexe hervorzurufen, während die Patellar- 
refiexe bis zuletzt nicht nachweisbar waren. Die Muskeln waren sämmtlich sehr 
mager, aber mit Rücksicht auf die hochgradige Cachexie nicht deutlich atrophisch. 
Die elektrische Untersuchung ergab am 14. Krankheitstage complete Entartungs- 
reaction, 6 Wochen später an den Armen Wiederkehr der indirecten Erregbarkeit 
für den galvanischen Strom, bei directer Beizung keine träge Zuckung mehr; nach 
weiteren 10 Tagen ist die Erregbarkeit an den Armen für beide Ströme nahezu 
normal, an den Beinen noch partielle Entartungsreaction. 

Die Untersuchung des Blutes ergab einen dem Streptococcus pyogenes aureus 
ähnlichen Coccus. 

Die Untersuchung des Bückenmarks und der Medulla oblongata ergab in Carmin- 
und Weigertpräparaten normalen Befund; bei der Untersuchung nach Nissl fanden 
sich die Nissl’schen Körperchen in einem Theile der Zellen verschwunden und durch 
eine aus feinsten und gröberen Körnchen bestehende, den ganzen Zellkörper gleich- 
mässig erfüllende Masse ersetzt. Die peripherischen Nerven Hessen Verbreiterung 
und Kernwucherung im Endoneurium erkennen. Mittels Marchi konnten Dege¬ 
nerationen weder im Bückenmark noch in den peripherischen und intramusculären 
Nerven nachgewiesen werden. Die bakteriologische Untersuchung des Bückenmarks 
war ohne Ergebniss. Martin Bloch (Berlin). 


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15) Su di un oaso di paralisi del Landry. Bioerohe istologiohe e batterio- 

soopiohe, per P. Piccinino. (Annali di Nevrologia. 1897. XV.) 

Ein 23jähriger Soldat erkrankte während seines Anfenthalts in Afrika an Fieber 
mit Schüttelfrost, Bauchschmerzen und Diarrhoe, welche 3—4 Tage andanerten und 
dann völlig verschwanden. Es entwickelte sich aber bald Schwäche in den oberen 
Extremitäten ohne deutliche Störung weder der sensiblen Sphäre, noch der Reflexe. 
Die Parese der oberen Extremitäten wurde dann zur völligen Lähmung, und es ent¬ 
stand ausserdem Parese der unteren Extremitäten, Schluckbeschwerden, Schwund der 
Patellarreflexe, Temperatur 36,4°. Am nächsten Tage völlige Paraplegia superior et 
inferior, Athem- und Schluckbeschwerden und Tod. 

Verf. rechnet diesen rapide verlaufenden Fall zu den sogenannten descendirenden 
Formen der Landry’sehen Paralyse. 

Bei der mikroskopischen Untersuchung des Centralnervensystems wurde auch die 
Nissl'sehe Methode angewandt. Im Lumbalmark zeigte die Mehrzahl der Zellen 
(speciell die Vorderhornzellen) normale Structurverhältnisse; in einigen Zellen konnte 
man eine mehr diffuse Färbung constatiren, wobei die Nissl’sehen Zellkörperchen 
(Schollen) einen pulverartigen Zerfall zeigten und der Kern excentrisch lag, oder 
nicht vorhanden war. 

Im Dorsalmark fand man an manchen Zellen eigenth&mliche knotenartige Aus¬ 
wüchse an der Basis der Protoplasmafortsätze oder am Zellkörper selbst. Verf. meint, 
dass diese vegetationsartigen Gebilde Leukocyten darstellen, welche in die Nerven¬ 
zellen hineindringen wollen. Ausserdem sieht man, dass manche Dendriten theil- 
weise oder total abgebrochen sind, was aber kaum etwas Specifisches für diese 
Krankheit darselle. 

Man findet ferner im gesammten Rückenmark Zellen mit blasenartiger Degene¬ 
ration, wobei die Nissl’sehen Zellkörperchen in eine pulverartige Masse verwandelt 
werden und der Kern excentrisch liegt event. verschwindet. 

Die bakteriologische Untersuchung zeigte intracelluläre Mikrokokken. Ferner 
konnte man diese Mikrokokken in den pericellulären Räumen und in den Gefässen 
nachweisen. Die Mikrokokken waren oval oder länglich und zugespitzt. Selten 
waren sie zu kurzen, aus 3—4 Kokken bestehenden Ketten verbunden. Am meisten 
erinnerten sie an die Fraenkel’schen Diplokokken. 

Verf. nimmt als Ursache der Krankheit eine Infection an, die bald das peri¬ 
pherische, bald das centrale Nervensystem in vorwiegendem Maasse befällt. 

Edward Flatau (Berlin). 


16) Peripheral neuritis from araenio, by Colman. (Brit. med. Journ. 1898. 

Jan. 22. S. 216.) 

Verf. stellte der klinischen Gesellschaft in London ein 12 jähriges Mädchen vor, 
welches gegen Chorea Arsenik bekommen hatte (3 Mal täglich 10 g Liq. arsenic. 
ca. 26 Tage hindurch). Die Chorea heilte. Aber 14 Tage später entwickelte sich 
Lähmung der Extensoren am Unterschenkel und Fussgelenk, Parese. Degenerations- 
reaction. Auch die Muskeln am Vorderarm waren paretisch; doch hierbei keine 
Degeneration. — Reaction bei herabgesetzter faradischer Reizbarkeit Beinmuskulatur 
schmerzhaft; doch Sensibilität ohne Anomalie. Deutliche Arsenpigmentation am Halse 
und an den Lenden. — Nach Behandlung mit Elektricität und Massage Heilung. 

Daran anschliessend verweist Beevor auf die Nothwendigkeit, mit Arsentherapie 
vorsichtig zu sein, unter Mittheilung eines dem obigen analogen Falles, in welchem 
der Pat. nach 6 wöchentlichem Arsengebranch (16 g 3 Mal täglich) 2 Jahre gelähmt 
war. L. Lehmann I (Oeynhausen). 


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17) Ueber die psychischen Störungen bei Polyneuritis, von F. Jolly. 

( Charitö-Annalen. 1897. XXII.) 

Die zuerst von Eorsakow in charakteristischer Weise geschilderte eigenartige 
psychische Störung, die als besonders häufige Complication der multiplen Neuritis 
zur Beobachtung kommt, beruht auch nach Ansicht des Verf.’s zweifellos auf toxä- 
mischer Basis. Es entsteht nun die Frage, ob dieses ätiologische Moment geeignet 
ist, als solches den erwähnten Störungen eine Sonderstellung zu geben, derart, dass 
sie als toxämische Geistesstörung xat’ dio/ijr zu bezeichnen wäre. Diese Frage ist 
zu verneinen, da es erstens Fälle geistiger Störung von frappanter Aehnlichkeit mit 
dem Eorsakow’schen Syndrom ohne nachweisbar toxischen Ursprung giebt, vor« 
nehmlich aber, weil toxämische Geistesstörungen in viel grösserer Mannigfaltigkeit 
Vorkommen, als dass sie auf dies eine Bild beschränkt werden können. So ist in 
erster Linie das Delirium tremens als toxämische Psychose zu betrachten. Die 
klinische Forschung wird zu untersuchen haben, ob zwischen letzterer Psychose und 
dem Eorsakow’schen Symptomencomplex Uebergänge bestehen, sowie des weiteren 
festzustellen haben, dass dieser Symptomencomplex auch unter anderen, als toxämischen 
Bedingungen zur Beobachtung kommt. Verf. hat zu diesem Zwecke aus dem Material 
seiner Elinik in der Charitö erstens die Fälle zusammengestellt, in denen die Poly« 
neuritis ohne Betheiligung der Psyche verlief, zweitens die, in welchen psychische 
Störungen von anderer Form als der Eorsakow’schen die Erankheit complicirte, 
drittens die Fälle von Polyneuritis mit der bezeichneten Störung und viertens 
Fälle, in denen ohne neuritische Störungen das Bild des Eorsakow’schen Symptomen« 
complexes zu Tage trat. 

Aus seinen Beobachtungen seien einige wesentliche Thatsachen mitgetheilt: 

Erstens ergiebt sich, dass wenigstens ein Drittel der Fälle von Polyneuritis ohne 
psychische Complicationen verläuft. Ein weiteres interessantes Factum ist, dass in 
den Fällen der 3. Gruppe es sich durchweg um mittelschwere oder schwere Formen 
der Neuritis handelte, während in der 2. Gruppe die überwiegende Mehrzahl den 
ganz leichten Formen der Neuritis angehört. Die psychische Störung dieser Gruppe 
trat theils als einfaches reguläres Delirium, theils als Abortivform des letzteren auf. 
Bemerkenswerth ist weiter, dass die relative Häufigkeit des Hinzutretens des Eor« 
sakow'sehen Syndroms zur Neuritis bei Frauen viel grösser zu sein scheint, als bei 
den Männern. Was nun das Verhalten des Eorsakow'schen Symptomencomplexes 
zum Delirium angeht, so geht aus den Untersuchungen des Verf.’s, aus der von ihm 
angestellten Analyse der Symptome hervor (näheres darüber ist im Original nach¬ 
zulesen), dass zwischen beiden viel weniger ein qualitativer, als ein quantitativer 
Unterschied, namentlich auch im zeitlichen Verlauf zwischen den beiden Formen 
besteht; das Delirium stellt die acutere Störung dar, bei der indessen die beiden 
der Eorsakow’schen Geistesstörung eigenthümlichen Symptome der eigenartigen 
Gedächtnissstörung und der Pseudoreminiscenzen auch nicht selten, wenn auch 
nur andeutungsweise zur Beobachtung kommen; die Eor sakow'sehe Störung ist 
die protrahirter verlaufende Form und stellt eine tiefere, schwerer ausgleichbare 
Störung der GeisteBthätigkeit dar, als das Delirium, wie auch der gelegent¬ 
liche Uebergang in das Bild der Dementia paralytica mit, wie Verf. gezeigt 
hat, auch anatomisch verwandtem Befunde beweist. Auch Uebergang in Paranoia 
hat Verf. beobachtet. Dieser Auffassung entspricht auch der schon oben erwähnte 
Unterschied in der Schwere der die eine und die andere psychische Störung be¬ 
gleitenden neuritischen Symptome. Jedenfalls thut man aber gut, beide Störungen 
auseinander zu halten und die Eorsakow’sche Form aus den oben angeführten 
Gründen nicht als die polyneuritisehe oder die toxämische Geistesstörung zu be¬ 
zeichnen; vielmehr schlägt Verf. als neutrale Bezeichnung den Namen „Eorsakow’- 
sches Syndrom“ vor. Martin Bloch (Berlin). 


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18) Et tilftlde af hemiatrofla facialis progressiva, af M. le Maire. (Hosp.- 

Tid. 1897. 4. E. V. 29.) 

Die Pat, ein 9 Jahre altes Mädchen ohne erbliche Anlage, hatte im Alter von 
2 Jahren ziemlich schwere Masern, aber ohne Complicationen, überstanden. Ungefahr 
l 1 / 2 Jahre darnach bemerkten die Eltern vor dem linken Ohre einen kleinen, gelb¬ 
lich braunen Fleck, der grösser wurde und mit einigen anderen, in seiner Nähe ent¬ 
standenen verschmolz, ungefähr 1 Jahr später wurde eine Verminderung des Volumens 
der linken Gesichtshälfte bemerkt, die immer deutlicher wurde und von keinerlei 
anderer Störung begleitet war, nur der Fleck, an dem die Affection begonnen hatte, 
war etwas empfindlich bei Berührung. Am Schädel war keine Atrophie vorhanden, 
sondern nur am Gesiebt, das ungefähr in den untern zwei Dritteln in den Dimensioneu 
verkleinert war; die Atrophie betraf das subcutane Gewebe, die Knochen und zum 
Theil die Muskulatur und setzte sich nicht scharf gegen die gesunde Seite ab; die 
Haut über den erkrankten Theilen zeigte keine Veränderung, nur dicht vor dem 
Ohre verlief von der behaarten Kopfhaut an, in diese noch etwas hineinreichend, 
bis etwa 2 cm oberhalb der Clavicnla ein schmaler, ungefähr 13 cm langer Streif, 
der das Aussehen einer Narbe nach einer tief gehenden Verbrennung hatte; wo die 
Atrophie am geringsten war, zeigte sich die Haut bräunlich pigmentirt, an der Stelle 
aber, die zuerst verändert gewesen war, sah sie weisslich aus. Während das sub- 
cutane Gewebe vollständig geschwunden war, zeigten die Muskeln nnr eine partielle 
Atrophie, die sich nicht bloss auf die vom Facialis innervirten Muskeln beschränkte, 
sondern auch die Kaumuskeln ergriffen hatte. Das linke Ohr war entschieden kleiner 
als das rechte, das linke Auge erschien nur kleiner, weil es wegen Atrophie der 
Gewebe in der Augenhöhle tiefer in dieser lag. Die linke Seite der Zunge war stark 
atrophisch, weniger die linke Seite des Gaumensegels; Störungen der Sensibilität 
fanden sich weder an der Haut, noch an der Schleimhaut an den erkrankten Stellen. 

Verf. meint, dass eine für alle Fälle passende ätiologische Erklärung des Leidens 
sich zur Zeit noch nicht geben lasse, dass eine Infection wohl eine Bolle zu spielen 
scheine, dass sie aber in manchen Fällen sicher das Nervensystem auf irgend eine 
Weise als Mittelglied erfordere, um die Atrophie zu Stande zu bringen (ascendirende 
Neuritis?). Walter Berger (Leipzig). 


10) Hemiatrophy oftheTongue, by Hoyer. (New Yorker med. Journal. 1897. 

Vol. XXVI. Nr. 6.) 

Ein 25jähriger Mann erhielt am 22. November 1892 einen Bevolverschuss in 
die linke Wange: die Kiefer waren unmittelbar danach fest auf einander gepresst 
und konnten erst 8 Wochen später soweit von einander entfernt werden, dass kleine 
Nahrungsmengen per os eingeführt werden konnten. Der Kranke bemerkte dabei, 
dass er auf der linken Seite des Mundes schlechter zu essen vermochte, und dass 
die Nahrung auf dieser Seite trocken und geschmacklos erschien. Etwa 1 Jahr 
nach dem Unfall war eine Abmagerung der linken Zungenhälfte bemerkbar, gleich¬ 
zeitig bestanden Störungen beim Sprechen und geringer Speichelfluss. Die Symptome 
gingen zum Theil zurück, die Salivation wurde kaum merklich, die Sprache bei lang¬ 
samer Articulation klar und deutlich, blieb unverständlich, sobald Patient versuchte 
schneller zu reden. Die Untersuchung ergab vollkommenen Verlust des Geschmackes 
auf der ganzen linken Zungenhälfte bei intacter Berührungsempfindlichkeit, normalem 
Stand des Velums und erhaltenem Bachenreflex. Sensibilität im Gesichte, Geruchs¬ 
sinn, Kinnreflex vorhanden. — Eine Photographie zeigt die Behr ausgesprochene 
Hemiatrophie der Zunge. B. Pfeiffer (Cassel). 


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20) Zur Kenntniss der Dermatomyositis, von Oberarzt H. Köster. Ans der 
medicin. Abtheilung des allgemeinen Krankenhauses zu Gothenburg. (Deutsche 
Zeitschr. f. Nervenheilk. 1898. XII.) 

Im Anschluss an einen, von geringen Abweichungen abgesehen, typischen Fall 
von Dermatomyositis werden weitere Beobachtungen mitgetheilt, die sich tbeils von 
dem charakteristischen Bilde beträchtlich entfernen, theils gewissermaassen die Maske 
der eigentümlichen Krankheit angenommen hatten oder in anderer Weise aufgefasst 
werden mussten. Bei dem ersten Falle ergab die anatomische Untersuchung degene- 
rative Veränderungen der Muskeln und ausserdem im interstitiellen Gewebe eine 
hochgradige Dilatation der Capillaren und kleineren Blutgefässe, während sich nur 
• geringfügige interstitielle Veränderungen entzündlicher Natur- fanden. Ein zweiter 
Fall, der in Heilung ausging, konnte die Diagnose erschweren vor allem durch das 
Fehlen jeglicher Oedeme und ausgesprochener Hautveränderungen, die sich auf geringe 
Blutungen um einige Gelenke herum beschränkten. Doch lässt sich daraus eben nur 
auf die Inconstanz bezw. Variabilität dieser Symptome im Krankheitsbilde schliessen, 
weshalb Verf. eine abortive Dermatomyositis annimmt. Auch die in diesem Falle 
beobachtete, acute Nephritis wird als Stütze der Diagnose hauptsächlich gegenüber 
einem in Frage kommenden acuten Rheumatismus angeführt, dabei aber die Angina, 
mit welcher die Krankheit begann, und welche doch für die Nephritis von Bedeutung 
gewesen sein dürfte, sonderbarerweise ganz übersehen. Noch schwieriger ist eine 
rheumatische Affection in einem 3. Falle auszuschliessen, der ein Dienstmädchen be¬ 
traf und mit einer Endocarditis einherging. Klarer liess sich in einem 4. Falle er¬ 
kennen, wie auf rheumatischer Basis viele Züge aus dem Krankheitsbilde der Der¬ 
matomyositis ausgeprägt sein können. Gelenkschwellung und SalicylsäureWirkung 
sprachen hier für die rheumatische Natur des Leidens. Schliesslich zeigt ein 5. 
interessanter Fall multiple Neuritis, der ein der Dermatomyositis vielfach ähnelnder 
Symptomencomplex zu Grunde liegt Die myositischen Symptome erscheinen hier 
als Folge der Neuritis (Neuromyositis). 

Zum Schluss untersucht Verf. die Frage, ob die Hauptsymptome der Dermato¬ 
myositis, die Haut-, Unterhautödeme und Muskelveränderungen auf eine einheitliche 
Grundursache zurückzuführen seien und weist in dieser Beziehung auf die Dilatation 
der kleinsten Muskelgefässe hin, ein Befund, der auch in intacten oder sehr wenig 
veränderten Muskelgebieten erhoben wurde und für eine primäre Alteration des 
Gefässystems (centralen Ursprungs?) verwerthet werden könnte. 

E. Asch (Frankfurt a./M.). 


21) Die Initialsymptome der Osteomalaeie, von Dr. P. Rissmmann (Hannover). 

(Monatsschr. f. Geburtshülfe und Gynäkologie. 1898.) 

Verf. berichtet über 2 Fälle. In beiden fanden sich — ausser Druckempfindlich¬ 
keit der Stammesknochen — 1. objective Symptome „neuritischer Processe“ im Plexus 
lumbaüs (Paresen der Oberschenkelmuskulatur und einiger Beckenmuskeln); 2. eigen- 
thümliche subjective Beschwerden (Schwere in den Beinen, nächtliche Schmerzen, 
Muskelzittern; charakteristische Schmerzen, Gürtelgefühl, Crampi u. s. w.). Im zweiten 
Falle waren die Erscheinungen des osteomalacischen Beckens noch nicht vorhanden, 
während die erwähnten Symptome bereits deutlich waren. 

Die schnell eingeleitete Phosphorbehandlung hatte in beiden Fällen guten 
Erfolg. 

Verf. schliesst, dass die erwähnten Symptome von Seiten der Nerven und Mus¬ 
keln als Initialsymptom der Osteomalaeie anzusehen sind, und misst dieser seiner 
Annahme besonderen therapeutischen Werth insofern bei, als sich seines Erachtens 
dann durch eine rechtzeitig eingeleitete energische Behandlung (Phosphor, phosphor- 


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saurer Kalk, event Castration) die schwersten Knochenveränderungen der Osteomalacie 
oft vermeiden lassen dürften. Paul Cohn (Berlin). 


22) De beraepB&trophie der diamantsnijders, von Dr. J. K. A. Wertheim 

Salomonson. (Weekbl. van het Nederl. Tijdschr. vor Qeneesk. 1897. I. 21.) 

Bei einer Diamantschneiderin fand Verf. beträchtliche Atrophie des Interosseus I 
der linken Hand, von dem nur wenige Beste noch vorhanden waren, der Inter« 
0886 us II schien auch etwas eingesunken, aber nicht viel, die übrigen Handmuskeln 
boten bei der Inspection und Palpation keine Abweichungen dar. Bei der elektrischen 
Untersuchung fand sich im Interosseus primus vollständige Entartungsreaction, später 
zeigten auch der Interosseus secundus und der Adductor pollicis partielle Entartungs¬ 
reaction. Im 4. Finger bestand eine geringe Verminderung des Tastgefühls und 
Prickeln, das früher auch im Zeigefinger bestanden haben soll. Nach Behandlung 
mit Buhe und Elektricität trat allmähliche Besserung ein, die Atrophie ging zurück; 
am längsten bestand die Sensibilitätsstörung im 4. Finger. — Noch in 2 anderen 
Fällen hat Verf. die gleiche Affection bei Diamantschneidem beobachtet, das eine 
Mal betraf sie, wie im mitgetheilten Falle, die linke Hand, das andere Mal die 
rechte. — Die Ursache dieser Erkrankung liegt in der Art und Weise, wie das 
Znschneiden der rohen Diamanten für das Schleifen geschieht, das namentlich bei 
kleinen Steinchen schwierig ist. Der in einer Kittmasse am Ende eines Halters be¬ 
festigte, zu bearbeitende Stein muss mit der linken Hand festgehalten werden und 
wird mit einem anderen, in gleicher Weise befestigten Diamanten, der von der rechten 
Hand geführt wird, bearbeitet. Da die Abfälle bei dieser Arbeit immer noch sehr 
werthvoll sind, werden sie in einem Behälter gesammelt, über dem die Bearbeitung 
geschehen muss; Daumen und Zeigefinger der linken Hand halten dabei den Halter 
und der Zeigefinger wird an den Band des zum Sammeln des Abfalls bestimmten 
Gefässes gedrückt. Walter Berger (Leipzig). 


23) Beitrag zur Caauistik der neuritischen Muskelatrophie, von Dr. Bern¬ 
hard. Aus der medicin. Klinik in Leipzig. (Deutsche Zeitschr. f. Nerven- 
heilk. 1897. XI.) 

Verf. beschreibt ausführlich die Krankengeschichten zweier Brüder, welche das 
typische Bild der neuritischen Muskelatrophie darboten. Ausserdem soll eine Schwester 
von dem gleichen Leiden befallen sein, doch war dieselbe nicht zum Eintritt in die 
Klinik zu bewegen; 4 weitere Geschwister sind gesund, ferner starben 3 in früher 
Kindheit. Hereditäre Belastung ist nicht nachweisbar. Das Leiden befiel ohne be¬ 
sondere Ursache die vorher anscheinend ganz gesunden Brüder im 10. u. 11. Lebens¬ 
jahre, und zwar trat dasselbe gleichmässig zuerst an den Füssen und Händen auf. 
Es stellte sich Schwäche und leichte Ermüdung ein, die sich besonders in den 
Extensoren der Vorderarme bemerkbar machte. Später entwickelte sich schlaffe 
Lähmung und Muskelschwund. Das Leiden war an Händen und Füssen am stärksten 
entwickelt und nahm von der Peripherie nach dem Centrum zu ab. Die Extensoren 
waren stärker betroffen, als die Flexoren, die Bumpfmuskulatur war frei. Contrac- 
turen und spastische Erscheinungen bestanden nicht. Die Beflexe waren abgeschwächt 
oder ganz aufgehoben. Sensibilitätsstörungen waren nicht nachweisbar, doch bestand 
an den Extremitäten ein deutliches Kältegefühl. Beide Brüder erkrankten vollkommen 
gleichmässig, nur ist das Leiden bei dem älteren Bruder etwas weiter fortgeschritten, 
als bei dem jüngeren. Die elektrische Untersuchung ergab hochgradige Herabsetzung 
oder Erloschensein der faradischen und galvanischen Erregbarkeit in den gelähmten 
Muskeln und dazugehörigen Nerven. In Fall I war an der Muskulatur des Daumen¬ 
ballens auch Entartungsreaction nachzuweisen. E. Asch (Frankfurt a./M.). 


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24) Urticaria and acute oiroumaoribed outaneous oedema, by H. Oppen¬ 
heimer. (Lancet. 1898. Feb. 26.) 

Verf. hat in 4 Fällen ein Zusammentreffen von Urticaria und acutem circum- 
skriptem Oedem (Quincke) beobachtet. Aus den mitgetheilten Krankengeschichten 
ergiebt sich, dass wahrscheinlich stets ein toxisches Moment (Santelöl, in Fänlniss 
fibergegangenes Fleisch, Natrium salicylicum, Muscheln) eingewirkt hat Das Oedem 
war namentlich an den Augenlidern, an den Lippen und am Präputium sehr aus¬ 
geprägt. In 2 Fällen waren auch die Hand- und Fussgelenke sehr stark geschwollen. 
Oer Verlauf zog sich 1—2 Wochen hin und ffihrte stets zu völliger Heilung. Verf. 
glaubt, dass das acute circumskripte Hautödem mit der Urticaria absolut identisch 
ist; die Verschiedenheit des äusserlichen Bildes soll von der Intensität und Locali- 
sation des Processes, sowie von der „Tiefe abhängen, bis zu welcher die Haut be¬ 
fallen ist.“ Th. Ziehen. 


25) Case of angio - neurotio oedema with history of injury to the head, 

by J. B. Gibson. (Lancet. 1898. Feb. 26.) 

Ein 32jäbriger Mann leidet seit einer Kopfverletzung im Bereich der linken 
Schläfe (mit Bewusstseinsverlust) an periodischen Anfällen von Erbrechen, Schmerzen 
an der Stelle der Verletzung und Frostgeffihl. Die Anfälle dauerten höchstens 
2 Tage. Nach 16 Jahren trat ein neues Symptom im Verlauf der Anfälle auf: ein 
oder beide Arme nahmen für 1—2 Stunden eine weisse Farbe an (mit Cutis anse- 
rina), und hierauf stellte sich ein prickelnder, aber nicht juckender, erhobener, 
erythematöser Ausschlag (namentlich auf der Beugefläche des Hand- und Ellenbogen¬ 
gelenks und in der Umgebung des Auges) ein, welcher nach l 1 /,—2 Tagen rasch 
wieder verschwindet. Zuweilen sind auch die Schleimhäute und angeblich auch die 
Pleura (Schmerzen und Beibegeräusch) befallen. Th. Ziehen. 


26) A case of angioneurosis of the face, by W. Haynes. (New York med. 

Journ. 1897. Vol. LXVI. Nr. 26.) 

Das nervös stark belastete, 19 Monate alte Kind zeigt neben Bhachitis eine 
congenitale Hypertrophie der rechten Gesichtshälfte. Sobald das Kind eine sttss- 
oder sauerschmeckende Substanz in den Mund nimmt, tritt eine scharlachähnliche 
Böthe und deutliche Schwellung der hypertrophischen Gesichtshälfte auf, um nach 
Entfernung des anslösenden Beizes rasch zu schwinden. Das gleiche Phänomen ist 
auch beim Gähnen nachweisbar, wenngleich von momentaner Dauer. 

Verf. erinnert an den in der gleichen Zeitschrift veröffentlichten Fall von Lewis, 
zu welchem seine Beobachtung ein Gegenstück bildet. B. Pfeiffer (Cassel). 


27) A oase showing some of the features of erythromelalgia and of 
Baynand’s disease, by H. D. Bolleston. (Lancet. 1898. March 19.) 

Bei einem 28jähr. Manne stellten sich Schmerzen in Händen und Ffissen ein, 
ausserdem beobachtete er, dass sie anschwollen, wenn er sie der Kälte aussetzte 
(zumal wenn er sie herabhängen liess). Dabei bestand eine erhebliche Hyperästhesie. 
Der Urin war normal. Vor 6 Jahren hatte eine syphilitische Infection stattgefunden. 
Die Hände waren so gross, dass sie an Akromegalie erinnerten. Sonstige Symptome 
der letzteren fehlten. Die rothe Farbe der Hände entsprach der Erythromelalgie. 
In der Kälte steigerten sich die Beschwerden. Gerade hierin erblickt Verf. eine 
Annäherung an das Bild der Baynaud’schen Krankheit, während die Böthung und 
Hyperästhesie der Haut nur zu der Erythromelalgie passt. Interessant ist auch die 

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keulenförmige Schwellung im Bereich der Endphalangen, auf welche Griffiths schon 
aufmerksam gemacht hat („clubbing of the Angers“). Bemerkenswerth ist endlich die 
Druckempfindlichkeit der Muskeln und die abnorm muskuläre Ermüdbarkeit Die 
Kniephänomene waren gesteigert. Th. Ziehen. 


28) Ueber Erythromelalgie. Eine klinische und anatomische Untersuchung, 

von Dr.*Siegmund Auerbach in Frankfurt a./M. (Deutsche Zeitschrift für 

Nervenheilkunde. 1897. XI.) 

I. 67jähr. Schmied, mit 25 Jahren Gonorrhoe und wahrscheinlich Lues, seit' 
dem 28. Jahre in beiden Waden, besonders links, krampfhaftes Ziehen, während des 
Feldzuges 1870/71 Zunahme der Schmerzen, Herbst 1878 Erfrierung beider Fuss- 
ballen, Steigerung der Schmerzen und Auftreten von röthlich-blauen Flecken an den 
verschiedensten Theilen der FQsse, hauptsächlich links. Diese Verfärbung wird be¬ 
sonders deutlich bei dem Herabbängen der Füsse. Haut unter den Nägeln auffallend 
rosaroth; an dem Nagelglied der linken grossen Zehe eine eitrige Entzündung. 
Sensibilität in allen Qualitäten überall intact. Haut- und Sehnenreflexe erhalten. 
Nirgends Muskelatrophieen. Pupillen von guter Reaction, Urin frei von Eiweiss und 
Zucker, keine arteriosclerotischen Erscheinungen. Der Tat. befindet sich noch in 
Behandlung des Verf.’s. Wiederholte Badekuren in Nauheim, grosse Dosen von Jod¬ 
kali und zuletzt Ergotin bewirkten Linderung der Beschwerden. 

II. 46jähr., hereditär nicht belasteter Mann, 1869 wahrscheinlich luetische 
Infection, in zwei Ehen sechs gesunde Kinder, kein Missfall. Ende 1870 Erfrierung 
des rechten Fusses, langsame Heilung, starke Schmerzen auf der Plantarseite der 
rechten grossen Zehe. Die beiden nächsten Jahre vollkommen schmerzfrei. Winter 
1874/75 im ganzen rechten Fuss starkes Zucken und „Flimmern“, später heftige 
lancirende Schmerzen in beiden Beinen, besonders rechts. 1876 und 1878 unter 
grossen Schmerzen militärische Uebungen, dabei Durchnässung, Zunahme der Par- 
ästhesieen im ganzen rechten Beine. Bald darauf Hitzegefühl und ßöthe in dem 
rechten Fusse. Wegen der Vermehrung der Schmerzen wurde eine Amputation in 
Erwägung gezogen, indessen unterlassen, weil in der Zwischenzeit starker Verdacht 
auf Tabes bestand, welche Diagnose sich auch bald bestätigte. Unblutige und blutige 
Dehnung der N. ischiadicus nützten nur vorübergehend, am meisten linderten kalte 
und abwechselnd warme Fussbäder die furchtbaren Schmerzen. 

Status: Pupillen sehr eng, gleichweit, Reaction auf Licht sehr träge, leichter 
Tremor beider Hände, keine Ataxie, Sensibilität an den oberen und unteren Extremi¬ 
täten intact, nur an den Beinen deutliche Nachempfindung bei schmerzhaften Ein¬ 
griffen, Triceps- und Patellarrefiexe nicht vorhanden (October 1888 Patellarreflex 
rechts +, links 0, Gang normal, Romberg’sches Symptom deutlich, an der 
Wurzel des Penis und am Scrotum mehrere Narben, Drüsen der rechten Leisten- 
und Schenkelgegend stark geschwollen, rechter Fuss blauroth verfärbt. Haut des 
Fusses heiss und gespannt, Haut des Zehen verdickt und theilweise nässend, Nägel 
brüchig und rissig. Harn dauernd frei von Eiweiss und Zucker, Blutbefund normal. 
In den letzten Wochen vor dem Exitus Auftreten von Geschwüren und Abscessen 
an verschiedenen Körperstellen, sehr langsame Heilung derselben. Die erst 43 Stunden 
post mortem vorgenommene Autopsie musste auf das Rückenmark nebst Spinal¬ 
ganglien und eine Anzahl von Nerven der unteren Extremitäten beschränkt bleiben. 
Bei der anatomischen Untersuchung fand sich eine Degeneration der Wurzeln des I., 
vielleicht auch des II. Sarcal- und untersten Lumbalnerven nebst einer entsprechenden, 
aufsteigenden Degeneration der Hinterstränge, welche auf den medialen Theil der 
Gol Eschen Stränge beschränkt blieb. 

In beiden Fällen ging wahrscheinlich Lues voraus; arteriosclerotische Verände¬ 
rungen waren nicht nachweisbar. Die Formen von Erythromelalgie, welche auf der 

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zuletzt genannten Basis beruhen, sind jedenfalls von der nervösen Form dieses Leidens 
zu trennen. Der anatomische Befund entspricht dem klinischen Bilde, wenn es auch 
noch nicht klar ist, wodurch die Erythromelalgie zu Stande kommt und welcher Art 
die Wurzeldegeneration sein muss, welche die Affection hervorruft. 

E. Asch (Frankfurt a./M.). 


29) Zwei F&lle von acuter Erythromelalgie, von U. Hei mann. (Berliner klin. 

Wochenschr. 1896. Nr. 51.) 

Der eine Fall betrifft einen 54jäbr. Steinhauer, der zweite ein Mädchen von 
13 Jahren. Bei beiden Kranken spielte sich der Process im Verzweigungsbezirke 
des Handrückenastes des Nervus radialis ab, so dass ausschliesslich der Daumen, 
der Zeigefinger und der Mittelfinger von den Krankheitserscheinungen — Röthung, 
Schwellung, Parästhesieen — befallen waren. In beiden Fällen trat Heilung ein. 

Bielschowsky (Breslau). 


30) A remarkable angeioneurosis of the tongue, due to the applioation 
of chromlo acid to granulations on the upper and posterior portiona 
of the tympanio membrane. A oontribution to the physiology of the 
oorda tympani nerve, by Robert Lewis. (New Tork med. Journ. 1897. 
Vol. LXVI. Nr. 15.) 

In dem vorliegenden Falle rief die Aetzung von Granulationen an den oberen 
und hinteren Abschnitten der Membrana tympani mit Chromsäure eigentümliche 
Störungen hervor. Nach der ersten Säureapplication folgte einige Stunden später 
nach Angabe des Pat. eine kurzdauernde, sehr starke Schwellung der Zunge; eine 
erneute Anwendung der Chromsäure (ca. 6 Monate später) hatte nach etwa 12 Stunden 
starkes Oedem der Zunge und der Submaxillarregion, sowie kleine ödematöse An* 
Schwellungen über dem rechten Stiruhöcker, beiden Daumenballen, dem inneren Malleo* 
lus eines Fussgelenkes und unter dem Ballen des rechten Fasses zur Folge. Die 
Athembescbwerden waren so hochgradig, dass an Tracheotomie gedacht wurde; 
24 Stunden nach Einwirkung der Chromsäure waren die Oedeme geschwunden. Verf. 
führt das aogioneurotische Zungenödem auf Reizung der Chorda tympani durch die 
Chromsäure zurück und versucht die Seltenheit der Erscheinungen durch Annahme 
einer Idiosynkrasie zu erklären, ohne selbst durch diese Hypothese befriedigt zu sein. 
Eine dritte Attaque mit Schwellung der linken Hand und des linken Fussballens 
ohne Zungenödem trat übrigens später, anscheinend nach Gemüthserregung, auf. 
Den Schluss der Arbeit bilden Auszüge aus einigen Handbüchern über die Functionen 
der Chorda tympani. R. Pfeiffer (Cassel). 


31) Iiooale Asphyxie oombinlrt mit Functkmsstörungen von seiten des 
Gehirns, von Johannessen. Vortrag, gehalten in der medicin. Gesellschaft in 
Christiania am 28. Oktober 1896. (Deutsche med. Wochenschr. 1897. Nr. 34.) 

Ein normal entwickeltes, 16—17 Monate altes Kind fangt an, ohne nachweis¬ 
bare Ursache unruhig und verdriesslich zu werden; 1—2 Monate später Anschwellung 
beider Füsse, dieselben werden kalt, juckend, stark bläulichroth und mit „Beulen“ 
bedeckt. Gleichzeitig wird das Kind schlaff, kann den Kopf nicht aufrecht halten, 
sich nicht auf die Beine stützen und verlernt das Sprechen. Häufig anhaltendes 
Schreien. Derselbe Zustand der Haut zeigt sich später an den Händen und es er¬ 
folgt dann an Handflächen und Fusssohlen starke Häutung in grossen Fetzen mit 
Abfallen eines Nagels. Etwa 5 Monate nach Beginn des Leidens, im September 1895, 
hören das Jucken und die Häutung an den Füssen auf, das Kind wird ruhiger. Die 


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Besserung schreitet allmählich fort, nnd es kommt zu einer vollständigen Heilung 
(Juli 1896). — Die charakteristischen Zflge des Krankheitsbildes waren Störungen 
der Haut (stark bläulichrothe Färbung, bedeutende Odematöse Infiltration, Kühle und 
reichliche Abschälung au Händen und Füssen) und Functionsstörungen des Gehirns 
(Aufhebung der Fähigkeit zu sprechen, bedeutende Schlaffheit und Apathie mit er* 
schwerten Bewegungen, anhaltendes Schreien). Aehnliche Fälle hat Prof. Bock in 
Christiania beobachten können. Verf. glaubt, dass es sich um eine besondere, noch 
nicht beschriebene Form der vasomotorischen Störungen handelt, die ihren Ursprung 
in krankhaften cerebralen Veränderungen haben oder mit ihnen im Zusammenhang 
stehen. B. Pfeiffer (Cassel). 


32) Ergotisme et asphyxle locale des extrömitös, par Dr. Ch< Mongour. 

(Archives clin. de Bordeaux. 1897. Juilleb.) 

Verf. berichtet über einen Fall localer Asphyxie bei einer 35jähr. Frau, der 
dadurch ausgezeichnet war, dass ausser den Circulationsveränderungen sich trophische 
Störungen seitens des Zellgewebes und der Nägel entwickelten. Letztere beschränkten 
sich beachtenswertherweise auf die Innenfläche der Nägel (trockene Abschuppung, 
Abhebung des Nagels). Ausserdem bestanden analgetische Zonen in der be¬ 
fallenen Region. 

Die inneren Organe waren intact; der Urin zeigte eine merkliche Verminderung 
der Harnstoffaussoheidung. 

Verf. gelangt zu dem Schlüsse, dass, einmal die symmetrische Asphyxie der 
Extremitäten nicht in jedem Falle (wie Ehlers behauptet) auf einer Ergotin- 
intoxication beruht, und zweitens, dass bei der vorhandenen Coincidenz der Symptome 
mit den geschilderten trophischen Veränderungen der Haut möglicherweise eine Ab¬ 
hängigkeit der Krankheit von irgend welchen Läsionen des peripheren Nervensystems 
vorliege. Paul Cohn (Berlin). 


33) Cerebral oomplioationB ofBaynaud’s disease, by Dr. W. Osler. (Journal 
of nervous and mental disease. 1896. XXIII. S. 528.) 

Verf. macht kurz darauf aufmerksam, dass er im Verlauf der sogenannten 
„Raynaud’schen Krankheit" im Anschluss an die einzelnen Anfälle der localen 
Asphyxie und Gangrän Störungen von Seiten des Centralnervensystems beobachtet 
habe, die er auf analoge spastische Vorgänge im Gefässsytem des Gehirns zurückzu- 
führen geneigt ist. So namentlich Attaquen von Epilepsie, Aphasie und Extremi¬ 
tätenparalyse. Sommer (Allenberg). 


34) Ett fäll af neuro tisk gangrän, af H. Köster. (Ärsber. fr&n allm. och 
Sahlgrenska sjuk. i Göteborg for &r 1896. Göteborg 1897. Med. afd. s. 23.) 

Ein 15 Jahre alter Knabe bekam plötzlich ohne bekannte Veranlassung einen 
epileptiformen Anfall, der etwa 3 Minuten dauerte; vorher hatte er Schmerz und das 
Gefühl von Anschwellung in der linken Seite des Halses gehabt. Nach dem Anfall 
fühlte er sich matt und klagte über Gefühl von Schwere im Kopfe und heftigen 
Schmerz in der linken Hinterbacke, wo sich binnen einer Stunde Böthung und Schwellang 
einstellte, worauf sich eine Menge kleiner Blasen mit wasserhellem Inhalt bildeten, 
die zu faustgrossen Blasen confluirten. Nach Entleerung der Blasen bildete sich 
oberflächliche Gangrän an dem veränderten Theile der Haut, die etwas in die Tiefe 
ging, aber das subcutane Gewebe nicht ergriff. In der Folge traten zeitweilig un- 
motivirte choreatische Bewegungen von geringer Intensität anf und Zittern der Hände 
und Arme. Doch verschwanden diese Symptome bald wieder, die Gangrän heilte 

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und Fal konnte geheilt entlassen werden. — Ein Trauma hatte nicht stattgefunden, 
dagegen sprach schon die vielfach gebuchtete Form des gerötheten Hauttheiles, in 
deren Mitte sich ein umrandeter Fleck fand. Die Affection bot grosse Aehnlichkeit 
mit dem von Gharcot als Decubitus acutus beschriebenen Zustande, nur der Ver¬ 
lauf war günstig, wie Verf. annimmt, wahrscheinlich deshalb, weil die dem epileptischen 
Anfalle zu Grunde liegende Störung im Gehirn sich in seinem Falle verhältnissmässig 
rasch wieder ausgeglichen hat, während in Gharcot’s Falle irreparable Veränderungen 
Vorlagen. Walter Berger (Leipzig). 


Psychiatrie. 

36) Ueber Katalepsie und Psychose bei Icterus, von Damsch und Kramer. 

(Berliner klin. Wochenschr. 1898. Nr. 13 u. 14.) 

Die Verf. bringen Beobachtungen: 

1. Ueber kataleptische Symptome bei gutartigem Icterus im Kindesalter. Die¬ 
selben wurden bei epidemischem Icterus mehrfach constatirt. Schon ganz junge 
Kinder waren unter den Erkrankten. Alle Fälle nehmen nach 2—3 Wochen einen 
günstigen Verlauf. 

2. Ueber sogenannte maniakalische Zustände, richtiger Verwirrtheit, mit Auf¬ 
regung unter dem Bilde der acuteu gelben Leberatrophie. Es wird ein Fall be¬ 
richtet, der ex juvantibus die Annahme einer Autointoxication rechtfertigt, da nach 
einer Kochsalzinfusion, die die Ausscheidung der in den Geweben angehäuften toxischen 
Substanzen ermöglicht, fast momentan Besserung ein trat 

3. Ueber die Complication des Icterus mit ausgesprochener Psychose. 

Ein 54jähr., geistig gut entwickelter, erblich nicht belasteter Kaufmann, litt 
seit langem in jedem Jahre an Icterus, complicirt mit ängstlicher, hypochondrischer 
Verstimmung. Zuletzt setzte die Erkrankung im November 1895 ein; der Icterus 
war besonders stark. Die psychischen Symptome entsprachen einer agitirten Me¬ 
lancholie. Unter anhaltendem Icterus trat Coma ein. Der Exitus erfolgte durch eine 
Pneumonie. Da die schweren Cerebralerscheinungen durch die mikroskopische Unter¬ 
suchung des Centralnervensystems keine Aufklärung fanden, so ist anzunehmen, dass 
der Icterus das veranlassende Moment für die Psychose war. 

Bielschowsky (Breslau). 


36) A oase of agoraphobia, with remarks upon Obsession8, by Robert 
Jones. (Lancet. 1898. Feb. 26.) 

Verf. theilt einen interessanten Fall von Agoraphobie bei einem 39 jährigen Mann 
mit. Die Gesichtsfelder waren normal (ob auch während eines agoraphobischen An¬ 
falls, bleibt zweifelhaft). Neben den agoraphobischen Vorstellungen scheinen auch 
Wahnvorstellungen bestanden zu haben. Weil die agoraphobischen Zustände bei dem 
Pak anscheinend periodisch auftreten und gelegentlich Bettnässen vorkommt, denkt 
Verf. an eine Verwandtschaft mit Epilepsie. Th. Ziehen. 


37) Sulla patogenesi della sitofobia negli alienati di mente, per A. Cristiani. 

(Annali di Nevrologia. XV.) 

An einigen magengesunden Geisteskranken, die die Nahrungsaufnahme ver¬ 
weigerten und bei denen andere Schädlichkeiten, wie Alkoholismus auszuschlieesen 
waren, untersuchte Verf. nach dem Tode den Magen anatomisch. Er fand diesen 
ein wenig erweitert, die Schleimhäute geschwollen, verdickt, mit zahlreichen punkt¬ 
förmigen und grösseren Hämorrhagieen durchsetzt, histologisch das Epithel zerstört, 


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in der Drflsenschicht das Bindegewebe hypertrophisch, die Drüsenepithelien im 
körnigen Zerfall; also Befände wie sie nicht durch die Inanition allein entstanden 
sein können. Dies bestätigten Versuche des Verf.’s an Kaninchen. Liess er ge¬ 
sunde Thiere hungern, so zeigten sich nur geringe Veränderungen im Magen, während 
solche, denen vorher die Hirnrinde diffus verätzt war, sehr schwere Läsionen aufwiesen. 

Es sind also auch, so schliesst Verf., bei den Geisteskranken mit Nahrungs¬ 
verweigerung Ursache der schweren Magenveränderungen nicht 'das Hungern, sondern 
die bei ihnen angetroffenen meningo-encephalischen Alterationen und so die Gastritis 
die Veranlassung zur Sitophobie. Die trophische Wirkung auf den Magen fibt das 
Gehirn auf dem Wege des Sympathicus aus. Valentin. 


Therapie. 

38) Die moderne Pathologie und Therapie der Migräne, von Dr. Wilhelm 
Stekel in Wien. (Wiener med. Wochenschr. 1897. Nr. 46—48.) 

Verf. schliesst sich für die Mehrzahl der Fälle der Intoxicationstbeorie an. 
Dementsprechend müsse auch die Behandlung sein; sie müsse eine Steigerung des 
Stoffwechsels anstreben, um die Ausscheidung der Toxine anzuregen und die nicht 
oxydirten Stoffwechselproducte zu verbrennen. Die meist angewendeten Medicamente 
erfüllen diese Aufgabe nicht. Eine sichere Steigerung des Stoffwechsels kann erzielt 
werden durch Dampfkastenbäder oder prolongirte Einpackungen mit nachfolgenden 
kalten Proceduren. Damit verbindet Verf. ein entsprechendes diätetisches Bägime 
(vegetabilische Kost, Kefir, Verbot von Thee, Kaffee, Alkohol, süssen und sauren 
Speisen). Die näheren Vorschriften mOgen im Original nachgelesen werden. 4 mit- 
getheilte Fälle illustriren die günstige Wirkung dieser Therapie. Bei Erkrankungen 
der Nerven und Gefässe sind Dampfkastenbäder contraindicirt und selbst in leichten 
Fällen nur mit Vorsicht anzuwenden. J. Sorgo (Wien). 


39) Zur Behandlung der Hemloranie, von R. Laquer. (New Yorker medic. 

Monatsschrift. 1898. März.) 

Verf. empfiehlt zur Behandlung der Migräne alkalische Wässer, sodann Verab¬ 
reichung von Lactophenin. 0,4—0,75, Coffein, citr. 0,2—0,3, alle 2 Stunden ein 
Pulver, im Ganzen höchstens 3, endlich Ausführung eines „gedankenlosen“ Spazier¬ 
ganges auf ebenem Terrain mit Einstellung der Augen auf die Ferne. Esslust, 
welche langsam und durch leichtverdauliche Speisen zu befriedigen ist und Polyurie 
stellen sich bald ein, und „eine Tasse starken Kaffees ohne Milch verscheucht die 
letzten Reste der Hemicranie“. Diese empirischen Vorschriften hat Verf. in vielen 
Fällen mit sehr gutem Erfolge angewandt. Kurt Mendel. 


III. Aus den Gesellschaften. 

Berliner Qesellsohaft für Psychiatrie und Nervenkrankheiten. 

Sitzung vom 9. Mai 1898. 

Westphal stellt vor der Tagesordnung eine Kranke vor, welche eigenthümliche 
Krampfanfälle darbietet. Sie ist bereits zwei Mal wegen hallucinatorischer Ver¬ 
wirrtheitszustände auf hysterischer Basis in der psychiatrischen Klinik der Charitä 
in Behandlung gewesen. Bei der jetzigen Aufnahme (30. April d. J.) kommt sie als 
„krampfkrank“, bietet keine Zeichen einer psychischen Erkrankung dar. Sie ist am 
3. März entbunden worden, bat das Kind bis zuletzt gestillt. Wfihrend des Stillens 
musste sie angestrengt plätten und setzte sich dabei Erkältungen aus. 

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518 


Am 29. April traten die ersten Krampfanfälle auf, die spontan entstehen, sich 
auch leicht dnrch Druck auf die Gefäss- und Nervenstämme im Sulcus bicipitalis 
internus, sowie durch Druck beliebiger Stellen der Muskulatur der betroffenen Ex¬ 
tremitäten auslösen lassen. Die Anfälle treten gewöhnlich halbseitig, mitunter auch 
gekreuzt auf. 

Vortr. demonstrirt an einem solchen durch Druck auf den linken Sulcus bidpit. 
int ausgelösten Anfall, dass es sich um sehr starke tonische Contracturen gewisser 
Muskeln der linksseitigen Extremitäten handelt durch welche dieselben in eigen¬ 
tümliche Stellungen gerathen. Am meisten betroffen sind der Tibialis anticus, 
Gastrocnemius an der unteren, der Biceps an der oberen Extremität Hand und 
Finger sind mitunter gebeugt nach Art der „Geburtshelferstellung“, mitunter gestreckt 

Die bretthart gespannten Muskelbäuche springen scharf — wie modellirt — 
unter der Haut hervor. 

Die Crampi sind äusserst schmerzhaft, werden eingeleitet durch Geffihl von 
Eingeschlafensein und Formicationen. Die Schmerzen überdauern die Anfälle, es 
bleibt ein Gefühl von Steifigkeit und Spannung in den betroffenen Muskeln zurück, 
in denen man verhärtete Stellen „wie Knubbel“ noch längere Zeit nachweisen kann. 

Es handelt sich also bei der Fat um anfallsweise auftretende, sehr schmerzhafte 
Crampi, die eine Aehnlichkeit mit den bei Tetanie auftretenden tonischen Krämpfen, 
nicht verkennen lassen. Jedoch sind die Abweichungen von dem gewöhnlichen Bilde 
der Tetanie — das unregelmässige, nicht symmetrische Auftreten der Anfälle, das 
Fehlen der für Tetanie so charakteristischen Stellung beider Arme und Hände — 
in die Augen fallend. 

Das Trousseau'sche Phänomen ist vorhanden, es lassen sich indessen die 
Anfälle nicht nur durch Druck auf die Hauptnerven und Gefässstämme, sondern auch 
von beliebigen anderen Stellen der Extremitäten auslösen. Eine Steigerung der 
mechanischen Erregbarkeit der motorischen Nerven, welche im N. ulnaris, medianus 
peroneus anfangs vorhanden war, lässt sich nicht mehr nachweisen. 

Das Facialisphänomen ist nicht deutlich auslösbar gewesen. 

Eine Steigerung der Erregbarkeit der sensiblen Nerven besteht nicht 

Die elektrische Untersuchung (Geh. Bath Jolly) ergab keine Steigerung |der 
Erregbarkeit der Nn. uln., med. und facialis. 

Ob die Erregbarkeit des N. peroneus bei 1,0 M.-A als eine leichte Steigerung 
bezeichnet werden darf, ist fraglich. 

Die körperliche Untersuchung ergiebt mit Ausnahme einer linksseitigen Herab¬ 
setzung der Geschmacksempfindung und einer Einengung des Gesichtsfeldes für Farben 
nichts Abnormes. 

Die eigentümliche Art der Auslösbarkeit der Krampfanfälle, bei der offenbar 
suggestive, psychische Einflüsse von Bedeutung sind, die Unregelmässigkeit des Auf¬ 
tretens und der Localisation der Crampi, der Umstand, dass wir den Fat. schon 
Jahre lang als Hysteriker kennen, lassen es nicht zweifelhaft erscheinen, dass hyste¬ 
rische Momente augenblicklich im Vordergrund des Krankheitsbildes stehen. 

Nicht gerechtfertigt ist es, mit dem Feststellen der Hysterie Tetanie ganz 
auszuschliessen. Die grosse Schmerzhaftigkeit der tonischen Muskelkrämpfe, das 
Trousseau’sche Phänomen, der Umstand, dass die Crampi während der Lactation 
aufgetreten sind, weisen darauf hin, dass trotz des Fehlens wichtiger Zeichen der 
Tetanie, wahrscheinlich neben der Hysterie auch diese Affection bei der Fat. besteht, 
zumal wir wissen, dass wohl keins der Symptome der Tetanie ganz constant ist, 
und dieselben mitunter nur in gewissen Stadien der Krankheit nachweisbar sind. 

Die Annahme einer Complication von Hysterie mit Tetanie führt durch die 
Vorstellung, dass die Natur der Krampfanfälle durch eine Verschmelzung der Er¬ 
scheinungen beider Krankheiten bedingt ist, am leichtesten zum Verständniss des 
ungewöhnlichen Krankheitsbildes. 

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519 


Zum Schluss weist der Vortr. auf die Beziehungen dieses Falles zu interessanten 
von Fr. Schultze, Minow, Schlesinger, Raymond u. A. gemachten Beobach* 
tungen hin. 

Mendel fragt an, ob es gelingt, die Anfälle zu coupiren; sollte dies möglich 
sein, so würde dadurch die Natur der Erkrankung deutlicher hervortreten. Der Fall 
wäre jedenfalls für Tetanie ein ungewöhnlicher. 

König hat ein Kind mit cerebraler Kinderlähmung beobachtet, welches nach 
epileptischen Anfällen stets auch einen tetanischen bekam. 

Lilienthal hat einen ähnlichen Fall vor zwei Jahren in dieser Gesellschaft 
vorgestellt, bei welcher ähnliche Contracturen ausgelöst werden konnten. Diese 
Fälle sind als Diathöse de contracture von der Charcot’schen Schule bezeichnet 
worden. 

Roth mann hat ähnliche Fälle bei Influenza beobachtet, wo es gelang, von der* 
selben Stelle, von welcher der Anfall hervorgerufen wurde, denselben auch zu 
coupiren. 

Jolly meint, dass die grosse Schmerzhaftigkeit, welche die Patientin in jedem 
Anfalle äussere, mehr für die Crampi spreche. Eis sei möglich, dass im weiteren 
Verlaufe die Hysterie auf die Auslösung der Krämpfe einen Einfluss gehabt hat; 
das zunächst auslösende Moment scheint aber ein der Tetanie ähnliches. 

Westphal meint, dass Verbindungen von Epilepsie und Tetanie häufig vor¬ 
kämen. 

Brasch stellt ebenfalls vor der Tagesordnung ein anatomisches Hirnpräparat 
vor, welches von einem 51jährigen Manne stammt. Dieser war am letzten Abend 
vor dem Tode noch ganz gesund zu Bett gegangen, am nächsten Morgen fand man 
ihn in tiefem Coma, dem wenige Stunden darauf der Exitus folgte. Bei der Heraus¬ 
nahme des Gehirns riss die Brficke ein und es floss eine trübe Flüssigkeit aus der¬ 
selben aus. Die nähere Besichtigung dieser Stelle ergab eine Blutung von sehr 
grossem Umfange im Pons, welche über die Raphe sich auf beide Seiten ausgedehnt 
hatte. Die makroskopische Untersuchung ergab keinen Aufschluss über die Ursache, 
durch welche die Hämorrhagie zu Stande gekommen war. 

Trümmer: Ueber traumatische Tabes (Krankenvorstellung). 

Vortr. referirt über drei einschlägige Fälle, von denen er einen vorstellt. Es 
handelt sich um einen 52jähr. Patienten, bei dem weder Lues, noch irgend welche 
hereditären Momente vorliegen. Pat. verunglückte bei einem Versuche, einen Baum 
umzuschlagen; hierbei wurde er mit anderen Arbeitern zusammen umgerissen, doch 
so, dass er zu unterst zu liegen kam und die anderen auf ihn darauffielen. Hierbei 
erlitt er eine Verletzung am linken Fuss. Ungefähr 8 Tage nach dem Unfall stellten 
sich Schwäche im linken Fuss und blitzartige Schmerzen in diesem Beine ein. Im 
weiteren Verlauf entwickelte sich bei dem Pat. das typische Bild der Tabes, welches 
Vortr. im weiteren demonstrirt und aus welchem besonders die Thatsache Erwähnung 
verdient, dass die Herabsetzung des Schmerzgefühls auf der linken unteren Extremität 
stärker ist und sich weiter proximal erstreckt als auf dem rechten Bein, welches 
bei dem Unfälle keine Verletzung erlitt. Ferner ist in diesem Falle bezüglich der 
Anamnese zu erwähnen, dass die Ehefrau des Pat. zwei Mal in der Irrenanstalt zu 
Herzberge gewesen ist und Pupillenstarre gehabt hat. 

Bei dem zweiten Falle handelt es hieb um einen Patienten, der vom Postwagen 
herunterfiel und auf dem Rücken aufschlug. Nach dem Unfall traten zuerst Schmerzen 
im Rücken, Unsicherheit beim Gehen auf, worauf sich dann allmählich der tabische 
Symptomencomplex entwickelte. Aetiologisch liegt nichts vor; die Ehefrau soll einen 
Abort gehabt haben. 

Im dritten Falle handelt es sich um einen Stoss gegen den Arm, darauf Influenza 
und im weiteren Verlaufe die Erscheinungen der Tabes. 

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520 


Vortr. meint, dass diese Fälle vom rein wissenschaftlichen Standpunkte betrachtet, 
nicht als ganz sichere Fälle von traumatischer Tabes zn betrachten seien, dass aber 
in praxi, wo es sich nm Gewährung einer Unfallsrente handele, die Entstehung der 
Tabes durch Trauma nicht verneint werden könne. 

Leppmann hat den ersten vorgestellten Fall gleichfalls zu begutachten gehabt 
und sich ähnlich ausgesprochen wie der Vortragende. Besonders bemerkenswerth 
seien die Fälle, in welchen das Trauma peripherisch gewirkt, weil die entsprechende 
Extremität dann gewöhnlich stärker bei der nachfolgenden Tabes betroffen sei, als 
die nicht verletzte. Unter denjenigen Fällen, in denen die Verletzung eine centrale 
war, hat L. nur einen gefunden, der allenfalls als traumatische Tabes aufzufassen 
wäre. Erwähnenswerth sei ferner, dass diejenigen Fälle von Tabes, welche auf 
Trauma beruhen, anfangs einen verhältnissmässig raschen Verlauf nehmen. Etwas 
ähnliches werde bei Paralyse beobachtet, der ein schwerer Unfall voraufgegangen ist. 

Cron fragt an, ob im vorgestellten Falle noch besondere Complicationen vor¬ 
handen sind. 

Bemak hält es nicht ffir ausgeschlossen, dass im ersten Falle eine Complication 
mit Hysterie vorliegt; in wissenschaftlicher Beziehung hat R. noch nicht die Ueber- 
zeugung gewonnen, dass eine traumatische Tabes vorkomme. 

Leppmann hält es für ausgeschlossen, dass jemand auf einer Seite grössere 
Ataxie simuliren kann, als auf der anderen. 

Lewandowsky meint, dass man zu weit gehe, wenn ein Abort von seiten der 
Ehefrau vorliege, gleich Verdacht auf Lues zu haben. 

Nach einigen Schlussbemerkungen des Herrn Trümmer spricht 

Eoenig: lieber die bei den cerebralen Kinderlähmungen in Betracht 
kommenden prädisponirenden und ätialogisohen Momente. (Erscheint aus¬ 
führlich in der Deutschen Zeitschr. f. Nervenheilk.) 

Vortr. unterscheidet zwischen eigentlich ätiologischen und prädisponirenden bezw. 
eine Prädisposition documentirenden Momenten. 

Zu den ersteren rechnet er: 

a) die schwere bezw. asphyctische Geburt, 

b) das Trauma capitis, 

c) die Infectionskrankheiten. 

Zu den letzteren: 

a) die psycho-neurotische Heredität, 

b) Phthise in der Ascendenz, 

c) Potus des Vaters, 

d) Lues in der Ascendenz, 

e) Blutsverwandtschaft der Eltern, 

f) somatisches oder psychisches Trauma matris in graviditate, 

g) Frühgeburt, 

h) Erstgeburt, 

i) uneheliche Geburt (unter Umständen), 

k) unter Umständen späteres oder letztes Kind einer längeren Generationsreihe, 

l) angeborene Idiotie, 

m) epileptische Anfälle, welche der Lähmung längere Zeit vorausgehen, 

n) Kind schwächlich von Geburt an, 

o) Tod zahlreicher Geschwister früher Jugend, bezw. 
mehr oder weniger verdächtige Aborte, 

p) Nervenkrankheiten, Phthise bezw. Scrofulose bei 
Geschwistern. 

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eine Prädisposition do- 
cumentirende Momente. 


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521 


Von den ätiologischen Momenten können die beiden ersten gelegentlich eine 
prädisponirende Bolle spielen. 

Die Untersuchungen des Vortr. basiren auf 70 Fällen eigentlicher cerebraler 
Kinderlähmung mit Ausschluss der zwischen denselben und einfacher Idiotie stehenden 
Zwischenformen. 

Verf. weist zunächst nach, dass zwischen den einzelnen Lähmungsformen mit 
Bezug auf die prädisponirenden wie ätiologischen Momente ein principieller Unter¬ 
schied nicht besteht, und bespricht die Resultate seiner Untersuchungen im Ganzen. 

Nur in 17 Fällen von 70 konnte die Aetiologie im Sinne des Vortr. nach¬ 
gewiesen werden. 

Darunter betrafen 8 Fälle die schwere, bezw. asphyctische Geburt, 5 Fälle das 
Kopftrauma und 5 Fälle Infectionskrankheiten. 

In 13 dieser Fälle waren prädisponirende Momente vorhanden. Vortr. legt 
überhaupt grossen Werth auf den Nachweis derselben und zeigt, dass auch in fast 
allen Fällen „ohne Aetiologie“ mindestens eins und meist mehrere derartige Momente 
vorhanden waren. 

Unter den 70 Fällen war der Goburtsverlauf 42 Mal normal, 3 Mal nicht be¬ 
kannt, und in den übrigen Fällen handelte es sich um Frühgeburt, schwere bezw. 
asphyctische Geburt. In 4 Fällen konnte der Einfluss des letzteren Moments nicht 
festgestellt werden, in 1 Falle wirkte er prädisponirend, insofern er zu congenitaler 
Idiotie führte, zu welcher sich 2 Jahre später die Lähmung gesellte, und in 2 Fällen 
war die asphyctische Geburt sicher ohne jeden Einfluss. 

Nur in 19 Fällen handelte es sich um Erstgeburt. 

Das Maximum der Lähmungen fiel in Uebereinstimmung mit anderen Autoren 
in die ersten 3 Lebensjahre. 

Unter 89 Fällen eigener Beobachtung befanden sich 49 männliche und 40 
weibliche Kinder. 

Vortr. resumirt sich folgend ermaassen: 

1. Wir kennen nur drei ätiologische Momente für die cerebralen Kinderlähmungen: 
1. die schwere bezw. asphyctische Geburt, 2. das Kopftrauma und 3. die Infections¬ 
krankheiten. 

2. Alle anderen in Betracht kommenden Momente können bei dem heutigen 
Stande unserer Kenntnisse nur als prädisponirende, bezw. als eine Prädisposition 
documentirende angesehen werden, womit natürlich die Möglichkeit, dass das eine 
oder andere derselben gelegentlich auch ätiologisch wirksam sein könnte, nicht aus¬ 
geschlossen werden soll. 

3. Die schwere, bezw. asphyctische Geburt, wie das Kopftrauma können unter 
Umständen die Rolle eines prädisponirenden Momentes spielen. 

4. Auch in den Fällen „mit Aetiologie“ begegnen wir sehr häufig prädisponirenden 
Momenten. 

5. In der Mehrzahl aller Fälle, in welchen eine genaue Anamnese erhoben 
werden kann, lassen sich mehrere prädisponirende Momente nach weisen und Freud 
hat ganz Recht, wenn er das „Concurriren“ mehrerer solcher Momente für beachtens- 
werth hält. 

6. Der traumatischen cerebralen Kinderlähmung kann vorläufig eine Sonder¬ 
stellung nicht eingeräumt werden. 

7. Die psycho-neurotische Heredität, sowie der Potus des Vaters nehmen eine 
ziemlich hervorragende Stellung unter den prädisponirenden Momenten ein. 

8. Von noch grösserer Bedeutung ist das Vorkommen familiärer Kachexieen. 

9. Die Phthise in der Ascendenz scheint einen gewissen prädisponirenden Einfluss 
zu haben. 

10. Dem Einfluss der Syphilis in der Ascendenz kann, soweit dies nachweisbar, 
nur eine untergeordnete Stellung zuerkannt werden. 


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522 


S. Kalischer fragt an, ob ein Zusammenhang zwischen Frflbgebort and cere¬ 
braler Kinderlähmung existire. Es sei auffallend, dass unter den Kranken mit cere¬ 
braler Kinderlähmung sehr viele 7 Monatskinder sind. In den Fällen, die Kalischer 
beobachtet hat, lag keine Lues vor. Die Frocentzahl der cerebralen Kinderlähmungen 
ist Oberhaupt bei 7 Monatskindern häufiger. 

Sichter weist bezflglich der Aetiologie auf Geburten hin, die sehr schnell er¬ 
folgen, wobei häufig Gefässzerreissungen im Gehirn eintreten. 

Koenig berichtet, dass unter 70 Fällen 7 Frühgeburten waren. Lues liess sich 
in keinem Falle nachweisen. Ihm scheint ein Zusammenhang zwischen Frühgeburt 
und cerebraler Kinderlähmung nicht zu existiren. 


Dr. Levy-Dorn: Beitrag zur Lehre vom Tremor. 


Die grosse Häufigkeit, mit welcher die Glieder bei einzelnen Zitterarten hin- 
und herschwanken, erscheint nur auf dem ersten Blick pathologisch. Das Zittern 
hat in dieser Beziehung sein physiologisches Analogon in dem willkfirlich tetanisirten 
Muskel. Die Erscheinung des Muskeltons ist der bekannteste Beweis fQr das Be¬ 
stehen von Schwankungen während des Tetanus, wenngleich nach der einfachen Be¬ 
trachtung vollständige Buhe des Muskels zu bestehen scheint. 

Helmholtz hat die Schwankungen des Muskels während des Tetanus auf 19,5 
in der Secunde festgestellt. Neuere Untersuchungen sprechen dafOr, dass die Zahl 
zu hoch gegriffen ist. Sie liegt in Wahrheit um 10 herum, bald höher, bald 
niedriger. Die Zahl stimmt also merkwürdig mit derjenigen überein, welche von den 
schnellBchlägigen Zitterarten erreicht wird. 

Abgesehen von der Zahl der Schwankungen hat der willkürliche Tetanus auch 
noch den nervösen Ursprung mit den meisten (wahrscheinlich allen) Zitterarten ge¬ 
meinsam. 

Der Ort, an welcher Stelle des Centralnervensystems die Discontinuität der Be¬ 
wegung — um allgemein zu sprechen — erzeugt wird, ist von verschiedenen Seiten 
zu bestimmen gesucht worden. Die Experimente beschränkten sich in dieser Hinsicht, 
soweit bekannt, auf die Analyse des Tetanus. Es stellte sich heraus, dass es so¬ 
wohl bei der Beizung der Hirnrinde, wie bei der des Bückenmarks und der zwischen 
ihnen liegenden Beginnen gelingt, Tetanus vom Charakter des willkürlichen auszu- 
lösen, d. h. die Schwankungen betragen in allen diesen Fällen ungefähr dieselbe Zahl, 
und es kommt auf diesem Wege nicht zum vollkommenen Tetanus. Es bleibt mithin 
durch die Versuche unentschieden, ob die Discontinuität der Bewegung in den höheren 
oder niederen Centren geschaffen wird. Denn es wäre ja denkbar, dass von der 
Hirnrinde nur continuirliche Beize ausfliessen, welche gleichsam wie der constante 
Strom durch den Wagner’schen Hammer erst im Bückenmark unterbrochen werden. 

Vortr. suchte daher die Frage, welche hier wesentlich interessirt, das ist, ob 
schon normaler Weise höhere Centren eine so grosse Discontinuität der Bewegung 
veranlassen können, wie sie beim gewöhnlichen Tetanus und den schnellen Tremor¬ 
arten vorkommt, auf anderem Wege zu entscheiden. 

Er liess dieselbe willkürliche Bewegung möglichst oft wiederholen und die 
Häufigkeit der Wiederholung durch Begistrirapparate aufschreiben. Es wurde ins¬ 
besondere mit dem Zeigefinger ein elektrischer Contact (Morseschlüssel) niedergedrückt 
und gelöst, das Ein- und Austreten des elektrischen Stromes durch ein Pfeil’sches 
Signal angezeigt und auf ein Kymographion in üblicher Weise übertragen. 

Bei 6 gesunden Personen, welche so geprüft wurden, konnte in 1 Secunde 7 
bis 11 Mal der Contact geschlossen werden. Da es zum Wesen der Willkürbewegung 
gehört, dass die in der Binde local isirte BewegungsVorstellung der Bewegung voraus¬ 
geht, so spricht der oben mitgetbeilte Befund dafür, dass die Hirnrinde ebenso schnell 
Impulse auszusenden vermag, wie die niederen Centren. 


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523 


Für die Lehre vom Tremor folgt daraus, dass die hohe Zahl seiner Schwankungen 
insofern nie pathologisch ist, als schon normaler Weise die Ganglien ebenso schnelle 
Wiederholungen von Bewegungen veranlassen können, und dass jene Thatsache nichts 
Befremdendes enthält, in welchen Ort des Centralnervensystems man auch den Ursprung 
des Zitterns verlegt 

Ausser bei Gesunden hat Vortr. bei 18 Patienten die Fähigkeit geprüft wie oft 
sie die Willkürbewegungen hintereinander wiederholen können und die erhaltenen 
Zahlen mit denen ihres Zitterrhythmus vergleichen. Er fand im allgemeinen eine 
überraschende Uebereinstimmung beider Zahlengruppen. Wo das Zittern langsam 
war, traf dies auch für die willkürliche Wiederholungsfähigkeit einer Bewegung 
zu; ja die in einer Secunde möglichen Willkürbewegungen betrugen meist genau so 
viel, wie die rhythmischen Zwangsbewegungen des Zitterns. 

Das geprüfte Material wurde durch 7 Fälle von Paralysis agitans, 4 Fälle von 
multipler Sklerose, 2 Fälle Morbus Basedowii, 3 Fälle Neurasthenie, 1 Fall trau¬ 
matischer Neurose und 1 Fall von Anilintremor gebildet 

Es verdient besonders h'ervorgehoben zu werden, dass bei einem Patienten mit 
Paralysis agitans sine agitatione die Zahl der Willkürbewegungen 5, bei einem solchen 
mit multipler Sklerose sine agitatione 6 betrug, also soviel, wie der Rhythmus des 
Zitterns, welches gewöhnlich bei den genannten Krankheiten vorhanden ist 

Die erwähnten Untersuchungen sprechen also dafür, dass wir in der Bestimmung 
der in der Zeiteinheit möglichen Wiederholung willkürlicher Bewegungen ein Mittel 
in der Hand haben, den Rhythmus eines Tremors vorauszusagen. Sollte der Tremor 
aber bei einer mit ihm einhergehenden Krankheit fehlen, so ist die Aussicht eröffnet 
seinen Charakter, so weit er sich im Rhythmus offenbaren würde, schon vor seinem 
Auftreten aus den Willkürbewegungen zu erkennen — mit anderen Worten: Wir 
brauchen nicht mehr immer auf die Zwangshandlung des Zitterns zu warten, um 
gewisse Zeichen der Krankheit festzustellen. 

Weitere Erfahrungen müssen natürlich erst lehren, wie viele Ausnahmen von 
der entwickelten Regel bestehen. Jacobsohn (Berlin). 


m. Versammlung mitteldeutscher Psychiater und Neurologen in Jena 

am 1. Mai 1898. 

Sonntag, den 1. Mai 1898 tagte in Jena in den Räumen der Grossherzoglichen 
Landesirrenanstalt die III. Versammlung mitteldeutscher Psychiater und Neurologen. 
Von den angekflndigten Vorträgen entfielen der von Hitzig (Halle): Ein Beitrag 
zur Hirnchirurgie; von Alt (Uechtspringe): Ueber Gheel und die dortige familiäre 
Irrenpflege; von Schäfer (Roda): Ueber angeborene isolirte Facialislähmung, von 
Köppen (Berlin): Ueber Porencephalie. Da jedoch mehrere Herren noch nach der 
Drucklegung der Tagesordnung Vorträge angesagt hatten, erreichten die Mittheilungen 
dennoch die angekündigte Zahl 17. 

Die Vormittagssitzung begann um 9 Uhr und währte fast 4 Stunden; zum Vor¬ 
sitzenden wurde über Vorschlag des I. Geschäftsführers (Binswanger) einstimmig 
Ganser erwählt. Zum Vorsitzenden der Nachmittagssitznng wurde, nachdem Bins¬ 
wanger abgelehnt hatte, einstimmig Mayser gewählt. Als Schriftsteller fungirten 
Krause und Laudenheimer. Im Ganzen waren 67 Theilnehmer anwesend. 

I. Sitzung am 1. Mai 1898 Vormittags 9 Uhr. 

Nach der Begrflssung der Versammlung durch den I. Geschäftsführer Bins¬ 
wanger folgen die Vorträge. 


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524 


Oppenheim (Berlin): Ueber Brachialgie und Braobialneuralgie. 

Vortr. führt zunächst im Allgemeinen ans, dass das Leiden, über das er sprechen 
wolle, einen bescheidenen Platz in der Litteratur einnehme, und könnte man glauben, 
dass das Studium desselben abgeschlossen sei. Dies ist aber nicht der Fall. Schon 
der Begriff Brachialneuralgie ist ein recht verschwommener. Dies hängt zum Theil 
mit der Schwierigkeit der Definition des Begriffes Neuralgie zusammen. Klinisch 
ist dieselbe durch die Trigeminus- und Ischiasneuralgie wohl charakterisirt. Den der 
Bahn eines Nerven folgenden in Paroxysmen auftretenden heftigen Schmerz nennen 
wir Neuralgie. Abgesehen von den sog. Nervenerkrankungen schliesst Vortr. auch 
die Gompressionsneuralgie aus; ebenso will er auch die im Verlaufe der Hysterie 
auftretenden Neuralgieen nicht in den Kreis der Besprechung ziehen, obwohl er an 
dem Auftreten echter Neuralgieen bei Hysterie nicht zweifelt. Vortr. bezieht sich 
auf die Werke von ßomberg, Erb, Gowers, Eulenburg, Bernhardt u. A., 
und erklärt die Brachialgie als eine zwar nicht so häufige Erkrankung wie die 
Ischias, doch immerhin nicht selten auftretende Affection. 

Nach den Autoren (mit Ausnahme Eulen bürg und Bernhardt) überwiegt 
das weibliche Geschlecht. Erkältung, Ueberanstrengung, Verletzung, Anämie und 
Hysterie sollen prädisponirende Momente abgeben. Einzelne bezeichnen die Radialis- 
und Ulnarisbahn als Prädilectionsstellen. 

Vortr. findet, dass meist die Grenze zur Neuritis überschritten, und dass auf 
den Zusammenhang der Brachialneuralgieen mit anderen Brachialgieen, wie sie bei 
Psychosen und Neurosen Vorkommen, nicht genügend hingewiesen wird. 

Legt man dem Begriffe der Brachialgie heftige, in einem Arm localisirte 
Schmerzen zu Grunde, so kann Vortr. über 189 Fälle berichten: 

In 15 Fällen lag ein Wirbel- oder Rückenmarksleiden vor; in 30 Fällen aus¬ 
gesprochene Neuritis (mit Structurerkrankung), darunter 6 Fälle bei Influenza; 12 Fälle 
unbestimmten Charakters; in 22 Fällen echte Neuralgieen (bei Diabetes, Gicht, acuten 
Erkrankungen, Vitium cordis); in 19 Fällen Beschäftigungsneuralgieen; 96 Fälle, in 
denen nur Armschmerz vorhanden war. 

Hier spottet oft der Schmerz völlig der Bahn des Nerven. Die Untersuchung 
auf Druckpunkte ergiebt ebenfalls ein unsicheres Resultat. Wir haben es eben mit 
keiner echten Neuralgie zu thun, sondern mit einem Leiden, das sich auf dem Boden 
einer Hysterie, einer Neurasthenie u. s. w. überhaupt bei allgemeiner neuropathischer 
Diathese entwickelt. Es sind diese Schmerzen keine Neuralgieen (die auch Vor¬ 
kommen können), sondern Psychalgieen. Darum finden sich neben diesen „Neuralgieen“ 
stets auch noch andere Symptome eines nervösen oder psychischen Leidens. Unter 
solchen nimmt den breitesten Raum nicht die Hysterie ein, sondern die Neurasthenie, 
Melancholie und Hypochondrie, und zwar meist bei Männern. Das Leiden zeigt 
Remissionen und Exacerbationen, die oft mit der allgemeinen Stimmungslage Zusammen¬ 
hängen, öfters mit dem Schlaf. 

Vortr. bezeichnet darum seinerseits als ätiologisches Moment neben anderen 
psychische Erregungen, die das Auftreten des Leidens erleichtern oder herbeiführen. 
Der einzelne Schmerzanfall kann durch geringfügigste Momente, wie das Aufraffen 
des Kleides, das Tragen des Schirmes u. A. m. ausgelöst werden. Auch die Therapie 
beweist den psychischen Ursprung der Affection. Alle Mittel, die suggestiv dem 
Hauptleiden gegenüber wirken, erzielen auch bei dem Symptom der Brachialneuralgie 
Heilung, die freilich mitunter nur vorübergehend ist. Der Vortr. sah Erfolg von 
subcutanen Antipyrininjectionen, vom elektrischen Bade, von der Hypnose, vom Pyra¬ 
midal, von der Durchleuchtung mit Röntgenstrahlen u. s. w. 

Discussion: Hösel erwähnt einen hierher gehörenden Fall von Brachialneuralgie 
mit Anschwellung der Extremität bei einer 50jäbr. Frau mit secundärem Schwach¬ 
sinn nach Melancholie. 


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525 


Bruns erklärt seine Uebereinstimmung mit Oppenheim und weist auf Fälle 
mit nur nächtlichen Schmerzen hin. 

Möbius hat eine wirkliche Brachialneuralgie nie gesehen (abgesehen von Wurzel¬ 
erkrankungen) and bespricht den möglichen Zusammenhang mit der Akinesia algera. 

Stintzing gedenkt der Schwierigkeit einer Differentialdiagnose zwischen der 
Brachialneuralgie und der Neuritis brachialis. 

Ziehen betont, dass Brachialgieen auch als erstes Symptom eines Hirntumors 
in dem später gelähmten Arm, sowie Complication mit Angiospasmen Vorkommen. 

Sänger mahnt zur Vorsicht bei der Diagnose „functionelles Leiden“ und ge¬ 
denkt zweier Fälle von Sarcom des Humeruskopfes mit den Erscheinungen einer 
Brachialgie. 

Mayser (Hildburghausen): Beitrag aur Lehre von der Manie. 

Vortr. knöpft an die Anschauung Kräpelin’s an, der zu Folge die Manie eine 
constitutionelle Psychose und ihrem Wesen nach den periodischen Irrsinnsformen 
zuzurecLnen sei. Nachdem Vortr. der Untersuchungen van Erp Talman Kips in 
Dordrecht und Otto Hinrichsen in Zürich gedachte, welch ersterer unter 856 auf¬ 
genommenen Kranken 41 sichere Fälle von Manie, davon 36 mit periodischen Anfällen 
und 4 mit nur einmaligem Anfalle, letzterer unter 125 manischen Kranken 74 mit 
periodischen Anfällen und von 51 als geheilt Entlassenen 17 fand, von denen wieder 

9 Fälle in der Zeit von 11—21 Jahren (Altersgrenzen von 36—95 Jahren) zuver¬ 
lässig gesund blieben, geht er zu seinen Untersuchungen über, die er, unterstützt 
von seinem Assistenten Schulz, an 2400 Krankengeschichten anstellte. Aus den 
sehr interessanten Ausführungen werde hervorgehoben, dass Vortr. 59 Fälle, d. i. 
nahezu 2 1 / 2 °/ 0 einfacher, muthmasslich geheilter Manieen fand. Von diesen erscheinen 
nach genauen Erkundigungen 32 (16 Männer, 16 Frauen) zur Zeit gesund. Die 
Frist, die seit der Entlassung verstrich, beträgt bei 15 (8 Männer, 7 Frauen) 1 bis 

10 Jahre, bei 17 (8 Männer, 9 Frauen) 11—31 Jahre. Der älteste der Männer 
ist 64, die ältesten der Frauen sind 60 Jahre (21jährige Qenesungsdauer), 48 und 
49 Jahre alt (mit je 31 jähriger Genesungsdauer). 

Vortr. zieht als Schluss seiner Erfahrungen den Satz, dass die einfache, solitär 
im Leben eines Individuums auftretende Manie allerdings eine grosse Seltenheit, sowie 
dass sie gleich der Melancholie eine exquisite constitutionelle Psychose sei mit ausser¬ 
ordentlich grosser Neigung zur Periodicität, dass man aber kein Becht habe, sie 
ihrem Wesen nach schlechthin als periodische Psychose zu bezeichnen. 

Discussion. Binswanger stimmt den Ausführungen des Vortr. bei und betont 
besonders das vereinzelte Auftreten von Manieen in der Entwickelungsperiode. Er 
theilt kurz den Fall einer Dame mit, welche im 19. Jahre eine typische Manie durch¬ 
machte und bis heute, nach 13 Jahren, trotz verschiedener Schädigungen (wie z. B. 
Puerperien) völlig frei von einem zweiten Anfalle geblieben ist. 

Sänger (Hamburg): Ueber hysterische Augenmuskelstörungen. 

Vortr. wirft die Frage auf, ob wirkliche Augenmuskellähmungen bei der Hysterie 
vorkämen. Die Charcot’sche Schule nahm stets Contractur des Antagonisten an 
und nicht Lähmung. Die Frage ist in neuer Zeit von Vielen gewürdigt worden, in 
Deutschland von Hitzig u. A., in Oesterreich von Kunn. Letzterer verhält sich 
vereinzelten Augenmuskellähmungen bei Hysterie gegenüber sehr skeptisch. 

Vortr. wählt unter den vielen Augenmuskelstörungen die hysterische Ptosis und 
giebt eine kurze Uebersicht über die Litteratur, aus der er Soudon erwähnt, der 
1872 eine hysterische linksseitige Ptosis zur Heilung brachte, ferner Schäfer, der 
bei einem Kinde eine hysterische Oculomotoriuslähmung beschreibt 

1891 war es Charcot, der nachdrücklich auf die hysterische Ptosis hinwies 
die er als Contractur auffasste. 

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Hitzig fand eine doppelseitige Ptosis bei einem Arbeiter. Vortr., der in den 
letzten Jahren eine ganze Reihe von mit hysterischer Ptosis behafteten Kranken be¬ 
handelte, bespricht diese Fälle an der Hand von Photographieen ausführlicher und 
gedenkt der verschiedenen Ansichten verschiedener Forscher. Charcot erklärt die 
Ptosis durch einen Spasmus im Orbicularis nicht durch Lähmung des Levators. 

Kunn findet das Charakteristische der hysterischen Ptosis darin, dass Angen 
wie leicht zum Schlafe geschlossen aussehen und ist mit Hitzig und Schmidt- 
Kimpier der Meinung, dass wir bei der Ptosis eine paralytische sowohl wie eine 
spastische Form zu unterscheiden haben. Die Richtigkeit dieses Satzes erläutert 
Vortr. Derselbe spricht dann in Kürze von der sog. hysterischen reflectorischen 
Pupillenstarre, die er nicht anerkennt In zweifelhaften Fällen empfiehlt Vortr., die 
Patienten auf 1—2 Stunden ins dunkle Zimmer zu legen, wodurch eine Erholung 
des Sphincter pupillae eintrete. Was die Therapie der Ptosis anbelangt, so ist sie 
die gleiche wie die der Hysterie überhaupt 

Discussion: Schwarz betont den Werth genauer Accommodationsprüfung bei 
Fällen von anscheinend hysterischen Pupillenstörungen. 

Oppenheim erwähnt eines schon früher von ihm beschriebenen Falles von 
schlaffer Ptosis bei hysterischer Amaurose, sowie einer Hysterie mit reflectorischer 
Pupillenstarre, bei der die letztere durch eine abgelaufene Hirnlues bedingt war. 

Bruns nimmt an, dass die schlaffe Ptosis der Hysterischen auf unbewusst will* 
kürlicber Aufhebung der Innervation des Augenlides beruht 

Möbius hält strenge an dem Satze fest: Es giebt keine hysterischen Angen* 
mu8kellähmungen, es giebt auch keine hysterische Ptosis. Er macht darauf aufmerk* 
sam, dass die einzelnen hysterischen Patienten eine sehr verschiedene Geschicklichkeit 
im willkürlichen Schliessen der Lider haben. 

Stintzing glaubt mit dem Vortr., dass es eine hysterische Ptosis gebe, und 
dass gerade das isolirte Auftreten der Ptosis häufiger bei Hysterie als bei organischen 
Erkrankungen nnd daher für jene charakteristisch sei. 

War da: Heber degenerative Ohrformen. 

Vortr. untersuchte in der psychiatrischen Klinik zu Jena mit Zugrundelegung 
der 1896 veröffentlichten Zählkarte von Schwalbe 96 Männer und 87 Frauen. Die 
Form I der Darwinschen Spitze fand sich überhaupt nicht, Form II und III bei 
den Männern in 16,7%, bei den Frauen in 22,4 °/ 0 . Der Durchschnittsformwerth 
der Darwinschen Spina beträgt bei den Männern 4,3 — bei den Nichtbelasteten 4,2 
— bei den Belasteten 4,6; bei den Frauen 4,3, bezw. 4,6, 4,1. Der mikroskopische 
Ohrindex (Ohrbasis X 100: Ohrlänge) weist im Allgemeinen höhere Zahlen auf als 
bei Schwalbe. Die Belasteten incliniren zu etwas kleineren Werthen für den 
morphologischen und zu etwas grösseren für den physiognomischen Ohrindex. Auf 
die Wange verlängerte Lobuli fanden sich bei den Männern in 7,8 °/ 0 , bei den 
Frauen in 11,1 °/ 0 . Einfach angewachsene Lobuli bei den Männern in 31,7 °/ 0 , bei 
den Frauen in 40°/ o . Zur Feststellung der Bedeutung gewisser Ohrdegenerationen 
empfiehlt Vortr. ausser der Vergleichung Kranker mit Gesunden, Belasteter und Un¬ 
belasteter vergleichende Messungen in den Familien mit psychopathischer Constitution. 

Teuscher: Einige Mittheilangen über suggestive Behandlung. 

Vortr. tritt nach seinen Erfahrungen sehr warm für die hypnotische Behandlung 
von Kindern, sowohl zu therapeutischen als zu pädagogischen Zwecken ein; er be¬ 
richtet über mehrere Fälle von Heilung der Masturbation, des nächtlichen Bettnässens, 
störender Unarten beim Sprechen u. A. m. Vielem Interesse begegneten die Aus¬ 
führungen über eine hypnotisirte Familie, in welcher Vortr. zuerst einen an chorea¬ 
tischen Zuckungen leidenden Knaben heilte, sodann auf Verlangen des Vaters anch 
auf den Charakter des Kindes hypnotisch erziehlichen Einfluss nahm, worauf das 

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Elternpaar von dem bei seinem Sohne erzielten Erfolg so entzückt war, dass es sich 
seinerseits einer hypnotischen Cor unterzog, die Mutter Menstruations- und Obsti¬ 
pationsbeschwerden, der Vater Ernährungsstörungen nach Alkoholmissbrauch wegen. 
Vortr. kommt zu dem Schlüsse, dass auch Kinder ohne Bedenken der Hypnose unter¬ 
zogen werden könnten. 

Discussion: Sänger bleibt bei seiner Ansicht, dass man die Hypnose bei Kin¬ 
dern nicht anwenden solle, umsomehr als er Hypnose für künstlich erzeugte Hysterie 
halte; er komme stets mit Wachsuggestionen aus. 

Möbius: Psyohiatrisohe Goethestudien. 

Bef. muss es sich leider versagen, die hochinteressanten Ausführungen vollständig 
wiederzugeben, ist vielmehr zu einer dürftigen Angabe des Oedankenganges genötbigt. 

Vortr. ist der Ansicht, dass auch für Goethe das Wort gilt: „Das Genie ist 
eine Neurose“. Er findet, dass bei keinem anderen Dichter das Pathologische eine 
so grosse Bolle spiele, wie bei Goethe. Shakespeare hat sich die ärztliche Beobach¬ 
tung vielfach zugewendet, Goethe dagegen nie. Dass bei diesen beiden Dichtern 
krankhafte Personen oft im Mittelpunkte der Dichtung stehen, hängt offenbar mit 
ihrem „gegenständlichen Sinne“ zusammen, mit der treuen Beobachtung der sie um¬ 
gebenden Wirklichkeit. Es erhebt sich nun die Frage, in wie weit hatte Goethe 
Gelegenheit, krankhafte Geisteszustände kennen zu lernen? Jedenfalls bildete er seine 
Anschauungen nicht aus psychiatrischen Lehrbüchern, noch aus dem Besuche von 
Irrenanstalten, sondern durch die Beobachtung der Gesellschaft, durch allgemeine 
Literatur, durch das gelegentliche Gespräch. Bemerkenswerth ist, dass der alte Goethe 
einmal sagte: „Die Welt ist so voller Schwachköpfe und Narren, dass man nicht 
nöthig hat, sie im Tollhause zu suchen.“ Vortr. bespricht kurz die Irrenpflege in 
Goethe’s Umgebung und Zeit und wendet sich dann den pathologischen Naturen zu, 
mit denen Goethe in Berührung kam. Im Elternhause verkehrte ein durch Dementia 
praecox blöde gewordener junger Mann, der Bechtscandidat Glauer. Der gleichen 
Krankheit verfiel Goethe’s Jugendfreund Lenz, von dem er einmal sagte: „Er hatte 
zu viel gewollt, drum hat er zu wenig gekonnt.“ Zimmermann verfiel der Hypo¬ 
chondrie, Jerusalem, Knebel’s Bruder, der Dichter Kleist, das Fräulein von Gunderode, 
Zeller’s Sohn, Merck endeten durch Selbstmord. Endlos ist die Beihe der Personen, 
deren Charaktere einen pathologischen Einschlag darbieten. Die Schwester Cornelia, 
die Pietisten in Frankfurt a./M., Jung-Stilling, Herder, Lavater, Basedow, die Grafen 
8tolberg u. v. A. 

Vortr. zählt dann die wichtigsten pathologischen Figuren in Goethe’s Werken 
auf; er nennt Werther, Gretchen, Orest, die Heldin des Dramas „Lila“, in Wilhelm 
Meister den Harfner, Mignon, den Grafen und die Gräfin, die schöne Seele, Aurelia, 
in den Wahlverwandtschaften Ottilie, in Wahrheit und Dichtung Lenz und Zimmer¬ 
mann, in Benvenuto Cellini diesen selbst und den Kerkermeister, endlich Tasso im 
gleichnamigen Drama. Letzterem gelten des Vortr. weitere Ausführungen, die darin 
gipfeln, dass Tasso ein an Paranoia leidender Geisteskranker war, dass es aber nicht 
in Goethe’s poetischer Absicht lag, ihn als einen ausgesprochen psychisch Kranken 
hinzustellen; andernfalls hätte sich Goethe dem Vorwürfe, der ihm vielleicht auch so 
mit einiger Berechtigung gemacht werden könnte, ausgesetzt, dass ein Schauspiel mit 
einem irrsinnigen Helden eine ästhetische Unmöglichkeit sei. Wie Goethe über seinen 
Helden dachte, geht aus einem zu Eckermann geäusserten Worte hervor: „Ich hatte 
das Leben Tasso’s, ich hatte mein eigenes Leben und indem ich zwei so wunder¬ 
liche Figuren mit ihren Eigenschaften zusammen warf, entstand mir das Bild des 
Tasso“. 

Der Vortr. scheidet in kritischer Weise den historischen und den in der Dich¬ 
tung gezeichneten Tasso. Und nachdem er den Lebensgang des Enteren beleuchtet 
und nachgewiesen hat, in welcher Weise Goethe die verschiedenen Quellen benützte, 

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kommt er zu dem Schlüsse, dass der ästhetische Tasso durch den historischen ge¬ 
schädigt wurde, dass das Drama den Eindruck wecke, als werde in demselben mit 
grosser Sachkenntniss und Feinheit ein Kranker geschildert, der an beginnendem 
Verfolgungswahn leidet, in seinen Phantasien lebt, die Einsamkeit sucht, zu Zeiten 
auch dissimulirt. (Vortr. citirt mehrere Stellen aus der Dichtung zur Begründung 
seiner Ansichten.) Fragen wir nun, wie konnte es dem grossen Goethe geschehen, 
dass ein Paranoiker im Mittelpunkte eines Dramas steht, und welches ist die Be¬ 
deutung der Schlussscene, so glaubt Vortr., dass sich Goethe über die Bedeutung 
der von ihm verwendeten historischen krankhaften Züge getäuscht habe, nicht aber, 
dass er, wie Schöll annimmt, den ausbrechenden Wahnsinn Tasso’s als Katastrophe 
(im Aristotelischen Sinne) verwenden wollte — eine solche ist vielmehr in dem 
tragischen Bruche zwischen Tasso und dem fürstlichen Hause gegeben —; was Goethe 
mit der Schlussscene wollte, das weiss Niemand. Seiner Natur mag es widerstrebt 
haben, einen Ausblick auf endlosen Jammer zu bieten; glücklich konnte er seinen 
Helden aus historischen Gründen nicht werden lassen, so wählte er einen Schluss, 
bei dem Jeder denken kann, was ihm zu denken am liebsten ist. 

Discussion: Oppenheim spricht sich principiell gegen die Verschwisterung 
psychiatrischer und ästhetischer Betrachtungen aus. Goethe’s Tasso sei der von 
höchstem Idealismus erfüllte Mensch, der in die reale Welt nicht hineinpasse. Würde 
die Kunst sich darauf beschränken, uns Typen vorzuführen, die vor dem strengen 
Forum der Psychiatrie als normal gelten, so würde uns Vieles und vielleicht daa 
Beste verloren gehen. (Schluss folgt.) 


IV. Vermischtes. 

Einladung zur •' ahressitzung des Vereins der deutschen Irrenärzte in Bonn 
am 16. und 17. September 1898. 

Vorläufige Tagesordnung: 

1. Antrag des Vorstandes: a) Die Jahressitzung weiterhin regelmässig im Frühjahr ab¬ 
zuhalten und zwar in der Woche nach Ostern, b) Als Versammlungsort mehrere Städte zu 
bestimmen, in welchen in regelmässigem Turnus die Jahressitzungen abgehalten werden. 
Vorgeschlagen werden zunächst Berlin, Frankfurt &./M. und München. 

2. Die Anwendung der Hydrotherapie und Balneotherapie bei psychischen Krankheiten. 
Bef.: Prof. Dr. Thomsen (Bonn). 

3. Die Zurechnungsfähigkeit der Hysterischen. Ref.: Prof. Dr. FflrBtner (Strassburg). 

4. Ueber Markscheidenentwickelung des Gehirns und ihre Bedeutung für die Locali- 
sation. Ref.: Prof. Dr. Siemerling (Tübingen). 

Das Localcomitd werden die Herren Pelman und Oebeke bilden. 

Die Anmeldung von Vorträgen wird bis Mitte Juli erbeten. 

Der Vorstand. 


Die Aerzte des königl. Bades Oeynhausen machen darauf aufmerksam, dass die noch 
häufig für Oeynhausen gebrauchte Bezeichnung „Rehme“ zu vielfachen Missverständnissen 
Veranlassung giebt, und zu vermeiden ist. 


Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten. 

Einsendungen für die Redaction sind zu richten an Prof. Dr. E. Mendel, 
Berlin, NW. Schiffbauerdamm 20. 

Verlag von Vzit & Coup, in Leipzig. — Druck von Mbtzobe & Wittiq in Leipzig. 


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Neurologisches Centralblatt. 


Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie 
und Therapie des Nervensystems einschliesslich der Geisteskrankheiten. 

Heraasgegeben von 

Professor Dr. E. Mendel 

Siebzehnter " B6rtto ' Jahrgang. 

Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 24 Mark. Zu beziehen durch 
alle Buchhandlungen des In- und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie 

direct von der Verlagsbuchhandlung. 

1898. 15. Juni. Nr. 12. 


I. Originalmitthellungen. 1. Ueber das innere Ohr bei der Anencephalie, von Dr. 
O. Veraguth in Zürich. 2. Das mediale Opticusbündel der Taube, von Dr. Adolf Wallenberg in 
Danzig. 3. Syringomyelitische Dissociation der Sensibilität bei transversalen Myelitiden, 
von Privat-Docent Dr. L. Minor. 4. Ueber Magen-, Darm- und Harnblasencontractionen 
während des epileptischen Anfalls, von Dr. W. Ossipow. 5. Ein mit den Symptomen des 
Malum suboccipitale einhergehender Fall von Gehimgeschwulst und Hemiatropma linguae, 
von Dr. Johann Wenhardt. 

II. Referate. Anatomie. 1. Experimentelle Untersuchungen über den Aufbau der 
Hinterstränge beim Affen, von Margulids. 2. Sur le groupement des fibres endogenes de 
la moölle dans les cordons postörieurs, par Dufour. — Experimentelle Physiologie. 
3. Troubles trophiques consecutifs ä la section des racines postdrieures mödullaires, par 
Morat. 4. Coesistono centri sensitivi e centri motori nella zona volandica corticale de cer- 
vello umano? per Negro e Oliva. — Pathologische Anatomie. 5. Sul comportamento 
delle cellule nervöse dei gangli spinali in segnito al taglio della trauca centrale del loro 
prolungamento, per Lugaro. 6. Untersuchung über das Verhalten der hinteren Wurzeln bei 
einem Falle von Tabes dorsalis, von Dambacher. 7. Su alcuni rapporti tra le alterazioni 
del nucleo e del protoplasma delle cellule nervöse corticali (paralisi generali), per Grimaldi. 
8. Ricerche batteriologiche sul liquido cefalo-rachidiano dei dementi paralitici, per Montesano 
et Montessori. 9. Pathological changes in nerve cells, by Warrington. 10. Beitrag zur 
Pathologie der Ganglienzelle, von Juliusburger und Meyer. 11. Ueber Nervenzellveränderungen 
des Voraerhorns bei Tabes. Ein Beitrag zur Pathogenese der trophischen Störungen c.er 
Tabes, von Schaffer. 12. Degenerationen der Vorderhornzellen des Rückenmarks bei Dementia 
paralytica, von Berger. — Pathologie des Nervensystems. 13. Le t&bes dorsalis, par 
Philippe. 14. De la topographie des troubles sensitifs dans le tabes; ses rapports avec les 
sensations des tabdtiques, par Marinesco. 15. Le tabes d’apres les travaux du Dr. Pierret, 
par Klippel. 16. A case of tabes dorsalis with delusional insanity, by Simpson. 17. Mal 
perforant du pied nach Embolie der Arteria poplitea, von Stummer. 18. Locomotor ataxia 
with almost complete analgesia, by Beevor. 19. De la eure radicale du mal perforant par 
l'dlongation des nerfs plantaires, par Chipault. 20. Ueber die Coincidenz von Tabes dorsalis 
und Aortenerkrankungen, von Enslin. 21. Contributo allo studio clinico della tabe, per Pardo. 
22. Le dermographisme dans le tabes dorsalis, par RaTchline. 23. Zur Symptomatologie der 
Tabes, von Benda. 24. Ein Fall von Tabes dorsalis mit Herpes zoster, von Westphal. 
25. Ueber erbliche Tabes, von Kalischer. 26. Ueber infantile Taoes und hereditäre syphi¬ 
litische Erkrankungen des Centralnervensystems, von Kalischer. 27. Locomotor ataxia in 
husband and wife, by Trevelyan. 28. Ist die progressive Paralyse aus den mikroskopischen 
Befunden an der (Jrosshirnrinde pathologisch - anatomisch diagnosticirbar ? von Schmidt. 
29. La demenza paralitica negli imbecille, per Cappelletti. 30. Ett fall af hypokondrisk 
paralys med tabetiska symptom, af Marcus. 31. I. La demenza paralitica nei pellagrosi, per 
Pianetta. — II. Della demenza paralitica nei pellagrosi, per Verga. — III. Replica, per Pianetta. 
32. Die Rolle der Lues bei der Tabes und der Paralysis progressiva, von Sarbd. 33. The 
early diagnosis of tabes, by Meisowitz. 34. Die Behandlung der Gangstörungen bei Tabes 
vermittelst der Uebungstherapie, von Gräupner. 35. Om den s. k. hereditära cerebellara 
ataxien, af Lennmalm. 36. Tue morbid anatomy of a case of hereditary ataxie, by Meyer 
and Brown. 37. Notes on three cases of cerebral tumour occurring in the insane, by Good- 
|iffe. — Psychiatrie. 38. Ueber den Alkoholismus, von Slkorski. 


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34 

Urigiral frem 

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530 


III. Am dm Gesellschaft«!!. Gesellschaft der Nenropathologen und Irrenärzte zu 
Moskau. — HI. Versammlung mitteldeutscher Psychiater und Neurologen in Jena am 
1. Mai 1898. (Schluss.) — Verein für Psychiatrie und Neurologie in Wien. — XXI11. Wander¬ 
versammlung der südwestdeutschen Neurologen und Irrenärzte zu Baden-Baden am 21. und 
22. Mai 1898. (Schluss folgt) 

IV. Berichtigung. 


L Originalmittheilungen. 


[Aus dem hirnanatomischen Laboratorium des Hrn. Prof. v. Monakow in Zürich.] 

1. Ueber das innere Ohr bei der Anencephalie. 

Von Dr. O. Veraguth in Zürich. 

Nachdem im Jahre 1891 v. Monakow 1 das Vorhandensein von Spinal¬ 
ganglien bei Amyelie nachgewiesen und die generelle Bedeutung dieses Befundes 
hervorgehoben hatte, ist es weiteren Untersuchungen über Anencephalie und 
verwandte Missbildungen vielfach gelungen, durch analoge Resultate das Princip 
der „Selbstdiiferenzirung“ (Roux) auch bei anderen früh abgeschnürten Theilen 
des Nervensystems zu zeigen und dadurch teratologisch die Behauptung der 
modernen Embryologie zu erhärten: dass im Entwickelungsplan des Nerven¬ 
systems ein frühes Ausschwärmen von Granglienzellengruppen und Auswachsen 
von späteren rückwärtigen Verbindungen mit dem Medullarrohr vorgesehen ist 
Namentlich war es die Retina der Anencephalen, welche die Forscher interessirte 
und über die die Discussion noch nicht geschlossen zu sein scheint Dass bisher 
dem inneren Ohr der Anencephalen von keiner Seite Beachtung geschenkt 
worden ist, mag füglich auffallen. Denn es ist a priori festzustellen, dass das 
Fehlen oder Vorhandensein des Ganglion spinale ein gewichtiges Glied in der 
Beweiskette gegen oder für den obigen Satz bedeutet; ebenso ist von vornherein 
zu erwarten, dass — analog der Retina der Anencephalen — die Gebilde im 
Ductus cochlearis bei dieser Missbildung principiell wichtige Befunde bieten 
werden. So scheint mir denn der Befand, den das Felsenbein eines Anencephalen 
bietet, der am hiesigen Laboratorium untersucht worden ist, einer vorläufigen 
Mittheilung werth. 

Dasselbe gehörte einem 7 Monate alten Anencephalen an. Nach Fixirung 
in MüLLBB’scher Flüssigkeit, Entkalkung, Härtung in Alkohol, Einbetten in 
Celloidin wurde das Präparat geschnitten und mit Hämatoxylin-Eosin, zum Theil 
mit Carmin gefärbt. 

Zwischen der Schnecke und den übrigen Theilen des Labyrinths verläuft 
im Knorpelgewebe ein parallelstreifiges dünnes Band. Ob die feinen Linien, die 
zwischen den kleinkörnigen Zellen verlaufen, zum Theil als Nervenfasern an- 

1 Correspondenzbl. f. Schweizer Aerzte. 1892. — Vergl. auch O. ▼. Lbonowa, dieses 
Centralbl. 1893. 

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zusprechen sind, oder ob es sich nur um ein bindegewebiges Stroma handelt, 
ist bei der angewandten Färbung nicht zu entscheiden; jedenfalls aber entspricht 
die Lage des Gebildes der des Ramus cochlearis nervi acustici. Innerhalb dieses 
Gewebes fallen grössere und kleinere Haufen von unverkennbaren Ganglienzellen 
auf, deren jede einzelne durch einen Hof von dem umgebenden Bindegewebe 
getrennt ist, und ein feinkörniges Protoplasma einen von einer helleren Zone 
umgebenen centralen Kern aufweist Als Ganglienzellen documentiren sich 
dieselben — trotz des Fehlens von Protoplasmafortsätzen und Aiencylindem, 
durch das absolut gleiche Aussehen, wie es die Ganglienzellen im anencephalen 
Rückenmark und in den Spinalganglien bieten; vom umgebenden Gewebe heben 
sie sich durch ihre Grösse ab. — Einzelne solcher Zellen sind auch im Knorpel¬ 
gewebe der Schneckenspindel nachweisbar. Das Ganglion spirale ist dem¬ 
nach vorhanden. 

Die knöcherne Schnecke ist wohl ausgebildet und makroskopisch schon 
sichtbar. Unter dem Mikroskop zeigt es sieb, dass auch die häutige Schnecke 
auf einer gewissen Entwickelungsstufe angetroffen wird. Die RmssNEB’sche 
Membran ist wohlentwickelt, ebenso das Ligamentum spirale, beide sind auf 
ihrer dem Ductuslumen zugekehrten Oberfläche von Epithel bedeckt, erstere von 
einschichtigem, letztere von einer Menge kleinerer cylindrischer Zellen. Die 
tympanale Wand, in den meisten Sohnitten im häutigen Theile gerissen, zeigt 
auf wenigen die ganze Continuität vom Limbus spiralis bis zum Ligam. spirale. 
Der Sulcus spiralis ist scharf umgrenzt — Am Limbus spiralis lassen sich die 
papillären Erhebungen des Bindegewebes, die HuscHKB’schen Gehörzähne, deut¬ 
lich sehen, dazwischen liegen hellere Kerne mit scharf umschriebenem Kern. 
Die Lamina spiralis membranacea lässt ihre drei Bestandteile: Membrana basi- 
laris, tympanale Belegschicht und Epithelbelag zwar erkennen, doch sind die¬ 
selben zum Theil noch unvollkommen entwickelt Erstere nämlich zeigt in der 
äusseren Hälfte der Zona teota und in der Zona peotinata eine Unterbrechung 
derart, dass das tympanale Beleggewebe allein eine Continuität vom ConTi’schen 
Organ nach der Peripherie herzustellen scheint Die Zellen, die das CoBTi’sche 
Organ hätten bilden sollen, sind so angeordnet, dass immerhin ein Arcus spiralis 
angedeutet und ein „Tunnel“ unverkennbar ist Denn die inneren uud äusseren 
Pfeilerzellen sind vorhanden. Es fehlen aber die Hensen’schen, die Deiters’- 
schen, die äusseren und die inneren Haarzellen; an ihrer Stelle finden sioh 
unentwickelte, rundliche Epithelzellen von embryonalem Charakter und noch 
unbestimmter Anordnung. In Folge dessen kann auch von Nuel’sohen Räumen 
nicht die Rede sein. — Ueberdeckt sind diese Gebilde von der zierlich gestreiften 
Membrana tectoria. 

Es ergiebt sich hieraus, dass in unserem Präparat vom epithelialen 
Antheil der häutigen Schnecke genau das sioh entwickelt hat, was 
mit dem Nerven selbst später nicht in directe Verbindung gekommen 
wäre, dass aber alle Zellen, an denen die Endausbreitung des 
N. cochlearis hätte stattfinden sollen, sich nicht differenzirt haben. 


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2. Das mediale Opticusbündel der Taube. 

Von Dr. Adolf Wallenborg in Danzig. 

Im Tractus opticus der Vögel lässt sich eine mediale Fasergruppe gesondert 
von den übrigen bis an die caudale Grenze des Mittelhirns verfolgen. Hier 
verschwindet sie in einer grossen wohlbegrenzten Anhäufung von Ganglienzellen, 
die lateral vom Trochleanskeme gelegen als „Ganglion isthmi“ (Edingeb), 
„Ganglion opticum dorsale“ (Jelgbbsma) bezeichnet wird. Das Bündel ist von 
Bellonci 1 , Singer und Münzeb, besonders von Per r ja * genau beschrieben. 
Letzterer wies auf degenerativem Wege seine Abhängigkeit vom Ganglion isthmi 
nach und folgerte daraus eine centrifugale Natur seiner Fasern. Jelgebsma 3 
konnte durch NissL-Färbung nach Enuoleation des Bulbus einen degenerativen 
Untergang der Zellen des Ganglion beobachten und auf diese Weise die Resultate 
Peblia’s bestätigen. Aber es fehlte bisher noch das letzte Glied in der Beweis¬ 
kette, dass die Fasern des Bündels im Ganglion is thmi ihren Ursprung besitzen. 
Zu diesem Zwecke war es nothwendig das Ganglion selbst zu zerstören, denn 
erst dann war es möglich, die von ihm ausgehende Degeneration nicht nur, wie 
bisher, in das Chiasma hinein zu verfolgen, sondern auch die Endausbreitung 
der degenerirten Fasern innerhalb des Bulbus oculi näher zu studiren. Es ist 
mir in den Jahren 1896 und 1897 bei 3 Tauben gelungen, das Ganglion theils 
isolirt, theils mit solchen Nebenverletzungen (Kleinhirn, Troohlearis, dorsale 
Isthmus-Theile) zu zerstören, dass die vom Ganglion entspringenden Fasern sich 
mühelos von den übrigen Degenerationen trennen liessen (Fig. 1). Das mediale 
Opticusbündel (Peblia nennt es a. a. 0. das „mediane“, Bellonci zählt es 
zur „vorderen oberen Opticuswurzel“) degenerirte in Folge der Verletzung und 
konnte auf diese Weise mit Marchi’s Chromosmiumfärbung bis in seine peri¬ 
pheren Endzweige genau verfolgt werden. Ich verzichte an dieser Stelle auf 
eine genaue Beschreibung der Lage des Bündels in den verschiedenen Höhen 
des Mittel- und Zwischenhirns, da sie nur Bekanntes (s. Peblia a. a. 0.) wieder¬ 
holen würde, und beschränke mich darauf, in kurzen Worten diejenigen Resultate 
wiederzugeben, welche mir als neu erscheinen mussten. Das mediale Opticus¬ 
bündel bildet den medialsten und am weitesten proximalwärts reichenden An- 
theil des Tractus, giebt auf dem Wege vom Ganglion is thmi durch Mittelhirn 
und Thalamus Fasern an die Umgebung ab, an die Lobusnnde, insbesondere 
aber an den dorsalen Theil des Corpus geniculatum thalamicum und an einen 
schmalen Kern mit ziemlich grossen Zellen, welcher sich zwischen den Nucleus 
rotundus thalami und den ventralen Pol des dorsalen Corpus geniculatum ein- 


1 Ueber die centrale Endigung des N. optic. bei den Vertebraten. Zeitsohr. f. wissenacb. 
Zoologie. Bd. XXXXVII. 1888. S. 17. 

* Ueber ein neues Opticuscentrum beim Hohne. G&abfb’s Archiv. 1889. 

3 Die sensiblen und sensorischen Nervenbahnen und Centren. Neurolog. CentralbL 
1895. S. 290. 

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— 533 - 

schiebt (Fig. 2). 1 Dorsal vom Chiasma zerfallt es in eine Anzahl schmaler 
Fasergruppen von ungleicher Dicke, geht mit der Hauptmasse nahe an der 
dorsalen Chiasmagrenze auf die andere Seite, während ein kleinerer Theil lateral- 
wärts in scharfem Bogen abschwenkt und auf diese Weise an die gleichseitige 



Fig. 1. Isthmus der zweiten operirten Taube mit dem Stichcanal (Edinger’s 
Zeichenapparat, ca. 7 fache vergrösserung, auch die Figg. 2—5, 7 u. 9). 

Ecke gelangt (Fig. 3). Trotz dieser lateralen Lage scheint das letztgenannte 
Bündel schliesslich auch noch zu kreuzen, wenigstens konnte ich im gleichseitigen 
Opticus keine Fasern antreffen, welche mit genügender Sicherheit als degenerirt 
hätten angesehen werden können. Aus dem Chiasma zieht das mediale Opticus¬ 
bündel zuerst an die laterale Seite des gekreuzten Opticus, breitet sich dann in 



schräger Richtung von dorsolateral nach ventromedial als ganz schmale Schicht 
ans, die vom dorsalen und ventralen Rande ziemlich gleich weit entfernt bleibt, 
während sie lateral sich der Peripherie mehr nähert (Fig. 4). Es kommt dabei 
natürlich sehr viel auf die Schnittrichtung an, und bei einer anderen Taube, 

1 Anmerkung bei der Correctur: An gleicher Stelle hat Edingkb schon einen gToes- 
zelligen Kern gesehen. 

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bei der ich den Opticus senkrecht zur Axe schnitt, war das Bündel deutlich als 
mediane rundliohe Gruppe mit ganz geringer Eicentricität zu sehen. Die Ein* 



Für. 4. Querschnitt des Fig. 5. Linker Bolbas der dritten Taube, hin¬ 
linken Options der dritten terater Absohnitt. Einstrahlung des Opticus in 

rechts-operirten Taube. die Retina. 


Strahlung des Opticus in den Bulbus der Taube vollzieht sich bekanntlich in 
einer schrägen, ebenfalls dorsolateral-medioventralwärts gerichteten schmalen 



Leiste, die nahezu ausschliesslich dem 
inneren, unteren, hinteren Kugelsegment 
angehört Der Winkel, den die Papille 
mit der Senkrechten bildet, beträgt et¬ 
was mehr als 30°. Es wird demnach 
durch die Papillenleiste und den von 
ihrer ganzen Länge ins Innere des 
Auges vorspringenden „Fächer" der 
Bulbus in eine vordere, innere, obere 
und eine hintere, äussere, untere Ab¬ 
teilung zerlegt Das mediale Opticus¬ 
bündel strahlt nun, wie aus Fig. 5 er¬ 
sichtlich ist, fast vollständig nach der 
äusseren hinteren Abtheilung aus, indem 


Fig. 6. Stflck a der Fig. 6 bei ca. 40facher 
Vergrößerung. (Zsiae Obj. Aa, Ocular 2, 
Abbä’b Zeichenapparat, auf */* verkleinert.) 


es mit den anderen Opticusfasern in die 
Retina eindringt und hier zwischen den 
Zellen der Ganglienschicht endet (Fig. 6, 


7, 8). Vereinzelte Fasern dringen anscheinend noch durch die innere Molecular- 


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schiebt bis in die Nähe der inneren Kömerschicht Die einzelnen Zellen werden 
von den Endzweigen wie von den Branchen einer Zange umfasst (Fig. 8). Das 
anf diese Weise vom medialen Opticasbündel hauptsächlich versorgte Gebiet be¬ 
ginnt erst weit lateralwärts von der Papille und zieht sich, soweit ich bisher 



Fig. 7. Linker Balboa der dritten Taabe weiter vorn 
als Fig. 5. 



Fig. 8. Stück b der Fig. 7 
ca. 200 fach. Vergrösserung. 
(Zsias Obj. D, Ocalar 2, 
Abbü’b Zeichenapparat) 


urtheilen kann, bis in die Nähe der Fovea lateralis, wo die Nervenfaserschicht 
aufhört Nach innen von der Papille lassen sich nur spärliche Degenerationen 
nachweisen. 

Das mediale Opticusbündel entspringt also im Ganglion isthmi und endigt 
in der Retina um die Zellen der Ganglienschicht Auf seinem Wege dorthin 



Fig. 9. Isthmus einer Taabe mit Rindenätznng des Lobas opticus. 


giebt es Zweige an die centralen Endstätten des Opticus (Lobus opticus, Corpus 
geniculat. thalamic., grosszeiliger Kern s. o.) ab. Bei dieser innigen Verbindung 
des Ganglion isthmi mit peripheren und centralen Abschnitten der Sehbahn 
muss die Frage nach seiner Function als eine für den ganzen Sehakt wichtige 
bezeichnet werden. Einen kleinen Beitrag zur Lösung dieser Frage glaube ich 

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durch einen Befund liefern zu können, den ich bei 4 Tauben nach Rinden¬ 
zerstörung des Lobus opticus (oberflächliche Aethylchloridnekrose, tiefere Aetzung 
mit Salpetersäure) und MABOHi-Färbung erheben konnte. Aus der tiefen Zell¬ 
lage der Rinde, dort wo die Fasern des „tiefen Markes“ entspringen und ein¬ 
münden, lösen sich im Bereiche der zerstörten Rindenzone einzelne Zweige ab, 
treten caudal- und medialwärts zn einem geschlossenen Bündel zusammen, 
welches ventral vom lateralen Winkel des Höhlengrau, dem lateralen Längs¬ 
bündel angegliedert, caudalwärts zieht, in der Höhe des Trochleariskeras schräg 
dorsomedialwärts zum ventralen Hilus des Ganglion isthmi gelangt und sich um 
die Zellen desselben aufsplittert (Fig. 9). Diesen Tractus isthmo-tectalis 
hat, wie ich nachträglich durch die Freundlichkeit des Herrn Prof. Dr. Ed ingeb 
in Frankfurt a./M. erfahren habe, Gaüpp 1 auch heim Frosche an gleicher Stelle 
gefunden, vor ihm P. Ramön y Cajal. Die Fasern des tiefen Markes sind 
nun in erster Reihe mit den Endstätten des Opticus (oberflächliche und mittlere 
Schichten der Lobusrinde) verknüpft, enthalten jedoch bekanntlich ausserdem 
centrale Verbindungen mit den Endkemen anderer sensibler und motorischer 
Nerven. Wir haben demnach das Ganglion isthmi als Centrum eines Reflex¬ 
bogens zu betrachten, dessen zuleitender Schenkel (Tractus isthmo-tectalis) Er¬ 
regungen in erster Reihe optischer, aber daneben auch acustischer und anderer 
sensibler Centren auf die Zellen des Ganglion und dadurch auf die Fasern des 
medialen Opticusbündels zu übertragen vermag, welches dem centrifugalen 
Schenkel des Bogens entspricht. Letzterer endet hauptsächlich in der Retina 
um Zellen der Ganglienschicht und um ihre Dentriten, daneben in centralen 
Opticusgebieten. Alle diese Zellgruppen können auf dem Wege durch das 
Bündel in ihrer specifischen Function (Leitung und Uebertragung optischer 
Eindrücke) beeinflusst werden, und das besonders in der Umgebung der Zone 
deutlichsten Sehens. Auf diese Weise resultirt ein Apparat, der in hohem Grade 
dazu geeignet ist, durch sensorische und sensible Erregungen die Aufnahme¬ 
fähigkeit des Sehorgans an bestimmten Stellen zu verstärken oder abzuschwächen, 
d. h. eine Art von Accommodation der Retina zu schaffen. Dieser Apparat 
ist bei Säugern, also auch beim Menschen bisher nicht gesehen worden. Gelänge 
es ihn aufzufinden, so hätten wir meiner Ansi cht nach eine anatomische Basis 
für manche bisher unerklärliche Daten der physiologischen Optik. Ich erinnere 
nur an die Erscheinungen des Contrastes, der Nachbilder, an die Veränderung 
der Sehschärfe durch gleichzeitige andere Sinneserregungen, deren Grund man 
bisher lediglich in functionellen Veränderungen der Grosshirnrinde gesucht hat 
Ob auch die zuweilen beträchtliche Accommodation Aphakischer mit dieser Ein¬ 
richtung in Zusammenhang zu bringen ist, lasse ich dahingestellt 

Wenn ich mir auch der hypothetischen Natur dieser Folgerungen aus 
meinen anatomischen Befunden wohl bewusst bin, hoffe ich doch zu Nach¬ 
prüfungen und zur Bearbeitung der Frage angeregt zu haben, ob nicht ähnliche 


1 Anatomie des Frosches. II. Abth. 1. Hälfte. 
S. 47 u. 50. Fr. Vieweg n. Sohn. Br&unsohweig. 

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Lehre vom Nervensystem. 2. Aufl. 

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Einrichtungen auch im Bereiche anderer Sinnesorgane und Sinnescentren be¬ 
stehen. 

Herrn Prof. Dr. Edinger sage ich meinen herzlichen Dank für seine freund¬ 
liche Unterstützung mit Litteratur. 


3. Syringomyelitische 

Dissociation der Sensibilität bei transversalen Myelitiden. 1 

Von Privat • Docent Dr. L. Minor in Moskau. 

M. H.! In Nr. 20 der Semaine Mödicale vom 13. April 1898 ist eine 
interessante Arbeit von Prof. Marenesoo unter dem Titel: „Sur les paralysies 
flasques par compression de la moelle“ erschienen, in welcher sich eine Un¬ 
genauigkeit eingeschlichen hat, die ich mich verpflichtet fühle, zu berichtigen. 
In diesem eben genannten Aufsatz beschreibt Harinkbco einen Fall von trau¬ 
matischer Myelitis bei einem 19jährigen Kranken, welchen eine Kugel in der 
Höhe des Angul. scapulae links getroffen hatte. Gleich nach dem Trauma ent¬ 
wickelte sich bei dem Kranken eine schlaffe Paraplegia inferior mit Verlust der 
Fatellarreflexe und Betheiligung der Sphinkteren. Mit diesen Erscheinungen 
trat er am 30. August 1897 in die Abtheilung des Prof. Mabinesco (Hospital 
Pantelimon in Bukarest) ein, wo ausser dem oben erwähnten Befunde die Unter¬ 
suchung eine Zone syringomyelitischer Dissociation der Sensibilität gleich ober¬ 
halb des Gebietes completer Anästhesie ergab. Eben diesen letzten Umstand 
hebt Prof. Mabinesco in seiner Arbeit folgendermaassen hervor: „Ces obser- 
vations m’ont permis en outre de relever au cours de la compression deux 
symptomes qui n’ont pas encore 6tö signalös dans la myölite trans- 
verse: je veux parier de l’existence de la dissociation syringo- 
myölique et du reflex contralateral.“ 

Indessen ich habe am 21. August 1897 — also 7 Monate vor der 
Publication des Falles von Prof. Mabinesco — in der Sitzung der Neuro¬ 
logischen Section des XII. Internationalen Congresses einen Vortrag unter dem 
Titel: „Klinische und anatomische Untersuchungen über traumatische Affectionen 
des Rückenmarks“ gehalten, in welchem ich über 8 völlig analoge klinisch und 
anatomisch untersuchte Fälle completer Rückenmarkszerquetschung berichtete; 
ich demonstrirte damals eine Reihe von Zeichnungen, die ich auch heute mit¬ 
gebracht habe, um die von mir damals beschriebenen Störungen der Sensibilität 
in Ihrem Gedächtnisse aufzufrischen; weiterhin projicirte ich auf dem Ekran 
von meinen Fällen mikroskopische Präparate, die ich heute wiederum mitgebracht 
und habe viele von diesen Präparaten nach der Sitzung unter den anwesenden 
Gelehrten vertheilt. 

1 Vortrag:, gehalten am 6 . Mai 1898 in der Gesellschaft der Moskauer Neurologen und 
Irrenärzte. 

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ln den von mir berichteten Fällen lag im Fall IV eine complete schlaffe 
Paraplegia infer. vor, totales Fehlen der Patellarreflexe, Störung der Sphink- 
teren und eine Zone syringomyelitischer Dissociation der Sensibilität 
gleich oberhalb der Zone vollständiger Anästhesie; bei der mikroskopischen 
Untersuchung constatirte ich eine totale Zerquetschung des Rücken¬ 
marks mit consecutiver Myelitis an der Stelle des stattgehabten Traumas. 

Im Fall V: nach einem Trauma complete schlaffe Paraplegia infer., 
Patellarreflexe beiderseits = 0; eine Zone totaler Anästhesie und oberhalb 
derselben syringomyelitische Dissociation der Sensibilität; mikro¬ 
skopisch eine Myelitis und Compression unterhalb der Stelle des Knochen¬ 
traumas. 

Im Falle VI nach einem Trauma vollständige schlaffe Paraplegia 
inferior; Patellarreflexe beiderseits = 0; eine Zone totaler Anästhesie, oberhalb 
welcher eine Zone syringomyelitischer Dissociation der Sensibilität 
Mikroskopisch eine völlige Zertrümmerung des Rückenmarks an Stelle des 
Traumas. 

Endlich im Fall VIII: ebenfalls nach einem Trauma, vollkommene Para¬ 
plegia inferior und partielle obere; Patellarreflexe = 0; von den Mammillen 
abwärts vollständige Anästhesie, oberhalb derselben aber eine Zone scharf 
ausgesprochener syringomyelitischer Dissociation der Sensibilität 
Die Autopsie und nachfolgende mikroskopische Untersuchung zeigten am Orte 
des Traumas eine solche Zertrümmerung des Rückenmarks, dass anstatt desselben 
sich an dieser Stelle ein Sack der Dura mater mit einer formlosen breiartigen 
Masse vorfand. 

In der Sitzung vom 21. August befanden sich zur Disposition aller An¬ 
wesenden 1 die ausführlichen Thesen meiner Arbeit in deutsch und französisch, 
welche in der Semaine Mödicale. 1897. Nr. 44 und im Neurolog. Centralbl. 
1897. S. 868 ohne Verkürzungen wiedergegeben sind. Was ich damals in 
meiner Arbeit zum Ausdruck brachte, geht aus den folgenden Paragraphen 
dieser Thesen hervor, die ich wörtlich wiedergebe: 

I. In schweren zur Autopsie gelangten Fällen von traumatischer Verletzung 
des Rückenmarks in Folge von Bruch, Deviation, Luxation u. dergl. der Wirbel 
kann man häufig zweierlei Arten von Erkrankungsherden constatiren. Die einen 
derselben könnte man „locale“ — die anderen „localisirte“ nennen. 

II. Der locale Herd liegt unterhalb der Stelle des Knochen-Traumas und 
repräsentirt eine einfache, unordentliche, in keine Regeln einzufügende 
mechanische Zerstörung, Zertrümmerung, Zermalmung der Rückenmark¬ 
substanz. In den selteneren Fällen, wo ein leichter Druck stattgefunden hatte, 
kann man das histologische Bild einer Compressionsmyelitis finden. 

VII. Unter den klinischen Erscheinungen muss, abgesehen von dem be- 


1 Es wohnten dieser Sitzung Erb, Fr. Schultze, Oppenheim, Pitreb, Schlesiner, 
Mabinesco u. A. bei. 


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kannten Fehlen des Kniereflexes bei den verschiedensten Localisationen des 
Traumas, ganz besonders hervorgehohen werden eine von Verf. in 
den meisten seiner Fälle beobachtete, zuweilen recht breite Zone 
von syringomyelitischer Dissociation der Sensibilität (Erhaltensein des 
Tastgefühls bei Verlust des Schmerz- und Temperatorsinnes) in den un¬ 
mittelbar oberhalb des Gebiets der vollen Anästhesie liegenden 
Segmenten. 

Aus diesem allen ist zu ersehen, dass lange vor der Publication der Beo¬ 
bachtung des Prof. Mabinesco, die syringomyelitische Dissociation der Sensi¬ 
bilität bei traumatischen diffusen Affectionen des Rückenmarks von mir nicht 
nur ausführlich beschrieben worden ist, sondern auoh auf diese Erscheinung 
besondere Aufmerksamkeit (attention späciale) gelenkt und der Versuch ge¬ 
macht worden ist, dieser Thatsaohe für meine und analoge Fälle eine ent¬ 
sprechende Erklärung zu geben. 


[Aus dem anatomisch-physiologischen Laboratorium der Nerven- und psyohiatr. 

Klinik von Prof. W. v. Bechterew.] 

4. Ueber Magen-, Darm- nnd Harn- 
blasencontractionen wahrend des epileptischen Anfalls. 

[Vorläufige Mittheilung.] 

Von Dr. W. Ossipow. 

Tonische und clonische Krämpfe erscheinen als charakteristischer äusserer 
Ausdruck des epileptischen Anfalls. Die Klinik setzt aber den Grund voraus, 
dass sich dabei die glatte Muskulatur auch nicht unthätig verhält 

Trotz der sehr umfangreichen klinischen und experimentellen Litteratur 
über Epilepsie erscheint dieser Gegenstand nur in Bezug auf das Gefässsystem 
ausgearbeitet (Todobsky, Borischpolsky). Der übrige Theil der glatten 
Muskulatur aber bleibt also, abgesehen von einigen beiläufigen Angaben der 
Autoren in dieser Richtung (Brown-SBquard, Vulpian) ganz unberührt Mit 
grossem Interesse hatte ich aus diesem Grunde den Vorschlag des hochverehrten 
Prof. W. y. Bechterew angenommen, die Beziehungen der glatten Muskulatur, 
wenigstens des grossen Bereichs derselben (nämlich der des Magens, Darms 
und der Harnblase), zum epileptischen Anfalle zu untersuchen. 

Meine Experimente sind an Hunden angestellt worden. Ihre epileptischen 
Anfälle wurden durch den Reiz des Inductionsstromes auf das motorische Gebiet 
der Hirnrinde oder durch das Einführen von essence d’absinthe cultivöe in eins 
Vene des Thieres hervorgerufen. 

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Mittelst der Luftwasserübergabe worden die Bewegungen dee Magenkörpere, 
seines Pylorus and Cardialtheils, des Zwölffingerdarms, des Dünndarms (Ietonom 
und Ileum), des Diekdarms (Colon und Eectom) und der Harnblase auf dem 
Papierstreifen des Lunwiu’sehen Kymographion vor, wahrend und nach dem 
epileptischen Anfalle ausgeschrieben. 

Da meine Arbeit jetzt beendet ist, so halte ich es für rechtzeitig, die von 
mir ermittelten Resultate kurz zu veröffentlichen. Ein ausführlicher Vortrag 
über die vorhandene Litteratur des Gegenstandes, die angesteilten Versuche und 
ermittelten Resultate wird in einem speciellen Artikel erscheinen. 

Meine Untersuchungen ergaben folgende Resultate: 

1. Während dee epileptischen Anfalls kommen die Contractionen des 
Magens, der Gedärme und der Harnblase zum Vorschein, welche gewöhnlich 
noch eine geraume Zeit nach dem Abläufe des Anfalls fortbestehen. 

2. Magencontractionen kommen etwa in 50°/ 0 der Anfälle vor und be¬ 
schränken sich hauptsächlich auf Cardia und Pylorustheile des Magens. 

8. Contractionen des Dünn-Dickdarmes und der Harnblase bilden eine be¬ 
ständige Erscheinung des epileptischen AnfallB. 

a) Zwölffingerdarmcontractionen nehmen ihren Anfang in der clonischen 
Periode des Anfalls oder kurz nach dem Aufhören der Krämpfe der quer¬ 
gestreiften Muskeln. 

b) Dünndarmcontractionen beginnen ungefähr in der Mitte der clonischen 
Periode des epileptischen Anfalls. 

c) Dickdarmcontractionen erscheinen entweder in der tonischen oder in der 
clonischen Periode des epileptischen Anfalls; sie erscheinen öfters im Anfänge 
der clonischen Periode. 

d) Contractionen der Harnblase kommen gewöhnlich im Anfänge der 
tonischen Periode des epileptischen Anfalls zum Vorschein. 

4. Die Contractionen der Gedärme und der Harnblase sind sehr stark; 
dieselben haben den Charakter eines lange dauernden spastischen Krampfes. 
Das bezieht sich besonders auf Contractionen des Dickdarms und der Harnblase. 

5. Zwischen zwei starken Contractionen, auch nach dem Aufhören aller 
Contractionen, die durch den epileptischen Anfall hervorgerufen sind, kommt in 
der Mehrzahl der Fälle eine mehr oder weniger lange andauernde Lähmung 
(Schwäche) der Gedärme und der Harnblase zu Stande. 

Auf Grund der Experimente mit Entfernung des motorischen Gebietes der 
Hirnrinde während des epileptischen Anfalls, mit Dnrchschneidung des Him- 
stammes auf verschiedenen Höhen desselben, und peripheren Nerven (wie N. vagi, 
splanchnici, phrenici), mit und ohne Curare, ziehe ich noch folgende Schlüsse 
aus meiner Arbeit: 


6. Die Erscheinungen seitens des Magens, der Gedärme und der Harnblase, 
die im Laufe dee epileptischen Anfalls, hervorgerufen durch faradische Reizung, 
beobachtet werden, hängen nicht von der localen Reizung des corticalen Magen-, 
Darm- und Harnblasencentrums ab, sondern vom epileptischen Anfalle selbst, 


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der als Resultat einer Gesammtreiznng des motorischen Gebiets der Hirnrinde 
und der in ihr gelegenen Centren erscheint 

7. Die beständig während des epileptischen Anfalls auftretende Asphyxie 
ist eine die Magen-, Darm- und Hamblasencontractionen begünstigende Ursache. 

8. Der sehr starke Druck des Zwerchfells und der Bauchpresse auf Magen, 
Darm, Harnblase und ihren Inhalt erscheint während des Anfalls auch als ur¬ 
sächliches Moment für die Contractionen der genannten Organe. 

9. Ham- und Kothabgang, so häufige Begleiterscheinungen des epileptischen 
Anfalls, resultiren aus der Gesammtwirkung der Contractionen des Darmes, der 
Harnblase und des auf sie und ihren Inhalt seitens der Bauchpresse ausgeübten 
Druckes. 

10. Es giebt eine Analogie zwischen den epileptischen Krämpfen der quer¬ 
gestreiften Muskulatur und den Contractionen im Magen, Darm und der Harn¬ 
blase während des epileptischen Anfalls in dem Sinne der Abhängigkeit beider 
vom motorischen Gebiete der Hirnrinde. 


[Aus der II. med. Klinik von Prof. Dr. Kabl v. Kätli in Budapest] 

5. Ein mit den Symptomen des Malum 
suboccipitale einhergehender Fall von Gehirngeschwulst 

und Hemiatrophia linguae. 

Von Dr. Johann Wenhardt 

Den vorliegenden Fall halte ich aus zweierlei Gründen der Publication 
werth. Erstens wegen der Schwierigkeit der Differentialdiagnose zwischen 
Gehirntumor und dem Malum suboccipitale, zweitens wegen der relativen Selten¬ 
heit der halbseitigen, hauptsächlich peripheren Atrophie der Zunge. 

J. Cs., 30 Jahre alt, Näherin. Ihr Vater starb an einem Herzleiden, Mutter 
gesund. Von 12 Geschwistern starben 2 in jungendlichein Alter an einer der Pat. 
unbekannten Krankheit, 6 Erwachsene an Lungenschwindsucht, die 4 lebenden ge¬ 
sund. Keine nervöse Belastung. 

Abgesehen von einer mit 12 Jahren durchgemachten Lungenentzündung war 
Pat. bis zu ihrer derzeitigen Erkrankung stets gesund. Seit dem Frühjahr 1894 
hatte sie dumpfe Schmerzen in der Nackengegend, welche sich im März 1895, nach¬ 
dem sie ein Gefühl verspürte, als ob etwas in ihrer Nackengegend geborsten wäre, 
plötzlich zu reissenden Schmerzen steigerten. Im Liegen nahmen sie ab, bei der 
Bewegung des Kopfes hingegen zu. Nach 4 tägiger Application von kalten Um¬ 
schlägen hörten die Schmerzen auf. Im Herbst 1895 wurde Pat. abermals von 
heftigen Nackenschmerzen befallen, zu welchen sich auch krampfartige Kopfschmerzen 
hinzugesellten. Seit dieser Zeit vermag sie kaum mehr den Kopf zu bewegen. Die 
Schmerzen nahmen wohl im Liegen ab, hörten jedoch nicht mehr gänzlich auf. 
Gegen November 1896 bemerkte sie, dam die linke Hälfte ihrer Zunge kleiner sei, 

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und dass beim Kauen Speisen zwischen der linken Zabnreihe und der linken Wange 
Zurückbleiben. Seit Februar 1896 verschluckte sich Pah häufig beim Trinken, wobei 
sie von Husten befallen wird, das Schlucken fester Speisen jedoch verursacht nie 
irgend welche Unannehmlickheiten. Seit dieser Zeit hat Pat. oft auch Suffocations- 
anfälle. Erbrechen war nie vorhanden. Die Sprache hat sich angeblich etwas ver¬ 
ändert. Ständiges linksseitiges Ohrensausen. Die Ursache ihres Leidens weiss Pat. 
nicht anzugeben. Syphilis und Trauma sind auszuschliessen. 

Status praesens vom 12. tfai 1896: Pat. ist herabgekommen, abgemagert, 
entkräftet. Temperatur 36,6 0 G. (Nachmittag 3 Uhr). Haut und sichtbare Schleim¬ 
häute sind blass. Auf der linken Seite des Halses kleine Drüsen fühlbar. Das 
zarte Knochensystem weist Spuren von Bachitis auf. Die obersten 2 Halswirbel 
sind auf Druck sehr schmerzhaft. Herz, Lunge, Bauchorgane normal. Puls rhythmisch, 
mässig gefüllt, ziemlich gespannt 72. Appetit gut, Stuhl unregelmässig. 

Beide Hälften der Zunge sind gleichmässig feucht, die linke ist aber in allen 
3 Dimensionen wesentlich kleiner als die rechte, blässer, auf ihrer Oberfläche sind 
unregelmässig vertheilte Falten und tiefe Furchen sichtbar. Diese Zungenhälfte ist 
mit grauweissem Belag bedeckt, während die rechte Hälfte blass rosafarbig, glatt 
und von normaler Muskelconsistenz ist. Auf der linken Hälfte der Zunge sind 
fibrilläre Zuckungen sichtbar. Beim Hervorstrecken weicht die Zunge nach links ab, 
ist im Uebrigen jedoch nach allen Bichtungen gut beweglich. Tast- und Geschmacks¬ 
gefühl sind am Vordertheil der linken Zungenhälfte gut erhalten. Die Geschmacks¬ 
prüfung auf der hinteren Hälfte der Zunge, sowie die elektrische Untersuchung sind 
wegen des hochgradigen Schwächezustandes der Pat. nicht ausführbar. Die linke 
Hälfte des weichen Gaumens und die Uvula stehen etwas tiefer als die rechte und 
sind dünner. An der oberen Hälfte der hinteren Bachenwand befindet sich eine 
wallnussgrosse, elastische und etwas fluctuirende Geschwulst. Die Schleimhaut ist 
Über derselben normal. 

Die rechte Pupille erscheint etwas erweitert; auf Licht und Accommodation 
reagiren beide gut. Sehvermögen gut. Die sensiblen und motorischen Nerven des 
Gesichts sind normal. 

Die vor Schmerzen fortwährend stöhnende Pat. liegt ständig zusammengekrümmt 
auf der linken Seite, so dass der von der linken Hand gestützte Kopf von der linken 
Schulter abgehoben wird und der rechten Schulter näher liegt. In der rechten 
Seitenlage, bei Bewegungen und besonders wenn der Kopf gegen die Wirbelsäule 
gedrückt wird, tritt momentan eine Steigerung der continuirlichen reissenden Kopf- 
und Nackenschmerzen ein. Beim Aufsitzen oder Niederlegen stützt Pat. 
stets mit einer Hand ihren Nacken. Die vorsichtige active und passive Be¬ 
wegung des Kopfes gestattet nach allen Bichtungen nur unbedeutende Excursionen. 
Der Kopf wird steif, besonders durch die ständig angespannte Nackenmuskulatur 
beinahe wie fixirt gehalten. Pat vermag nur gestützt aufrecht zu sitzen, wobei sie 
den Kopf nach links und vorne geneigt hält. 

Sie vermag allein nicht zu gehen, nur wenn sie unter den Armen gestützt wird, 
ist sie im Stande einige Schritte zu machen, wobei sie stark taumelt. 

Soweit der Zustand der sehr herabgekommenen Pat. die Untersuchung, soweit 
dies überhaupt ausführbar ist zuliess, weist er keine Sensibilitätsstörungen auf. 
Patellarreflexe gesteigert. 

Bis 15. Mai trat keine wesentliche Veränderung in diesem Zustande ein. Pat 
war wohl nie bewusstlos, lag jedoch stets apathisch da, das Nachdenken ging er¬ 
schwert und angestrengt vor sich, auch die Antworten erfolgten nur langsam. Der 
schläfrige Gesichtsausdruck wechselte fortwährend mit einem schmerzhaften ab. Die 
von der Gegend des Nackens und Hinterhauptes nach vorn in den ganzen Kopf aus¬ 
strahlenden Schmerzen quälten die Pat. bei Nacht viel stärker; wahrscheinlich bestand 
deshalb auch die fortwährende Schlaflosigkeit Ueber diffusen Kopfschmerz oder 


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Schwindel hat Pat. nie geklagt. Stätige Furcht vor dem Tode. Temperatur und Ath- 
mung waren stets normal, Puls mässig gefüllt, weich, ziemlich leicht unterdrückbar, 
durchschnittlich 92. Erbrechen bestand nie. 

16. Mai. Pat. verlor in der Nacht das Bewusstsein, lag, wie bis dabin nie, 
auf dem Bücken, ihre Augen traten etwas hervor, sie sprach nichts, ihr ganzer 
Kürper war in hohem Grade cyanotisch, der Puls fadenförmig, arythmisch, 120, bald 
zeigte sich Cheyne - Stokes’sche Athmung, Büchein, aus dem Munde trat Schaum 
hervor. Dieser Zustand veränderte sich nicht mehr, bis am 17. Mai Morgens der 
Exitus letalis erfolgte. 

Diagnose: Malum suboccipitale. 

Obduction am 18. Mai 1896 (Prof. Genbbsich): Schädelknochen dünn, dicht. 
Dura mater etwas hyperämisch, in den Sinus flüssiges und locker coagulirtes Blut. 
Die kleinen Venen der leicht abziehbaren weichen Hirnhäute stark erweitert uud 
geschlängelt. Das Corpus callosum ein wenig nach oben gewölbt. Die vier Ven¬ 
trikel und der Aquaeductus Sylvii bedeutend erweitert. Die Plexus von mittlerem 
Blutgehalt. Das Gehirn etwas weich, besonders um die Ventrikel herum; von mitt¬ 
lerem Blutgehalt Von oben betrachtet ist die linke Hälfte des Kleinhirns bedeutend 
grösser als die rechte (die sagittalen Durchmesser 7,5:6,0 cm, die grössten Quer¬ 
durchmesser in etwas schräger Bichtung gemessen, gleichfalls 7,5:6,0). Auffallend 
weich ist die linke Hälfte des Kleinhirns, in deren unterer Oberfläche eine von der 
Schädelbasis sich erhebende Geschwulst (2,5:4,0:4,5 cm) eindringt, der zufolge der 
hintere und äussere Theil des Processus cerebelli ad pontem, der Flocculus, die Ton¬ 
sille und der vordere Theil des Lobus cuneatus stark eingedrückt, abgeflacht und 
weich ist Die Geschwulst lässt sich aus dem Kleinhirn leicht herauslösen und nur 
an einer kreuzergrossen Stelle wird die Oberfläche entblösst. Der N. trig. ist normal, 
der N. facialis und acusticus ist etwas weich, keiner hängt aber mit der Geschwulst 
zusammen. Die der Oberfläche der Geschwulst adhärenten Nn. vagus, acc. Willisii 
und der Hypogl. werden 1 cm weit von der Gehirnbasis abgehoben; während aber 
die zwei ersteren in ihrem ganzen Verlauf weiss sind, ist der N. hypogl. noch ehe 
er die Geschwulst erreicht, grau und verliert sich auf der Oberfläche derselben. Der 
N. abduc. ist normal. Der linke, hintere Theil der Varolsbrücke, die linke Hälfte 
des verlängerten Markes und der oberste Theil des Rückenmarkes (bis zur Höhe des 
III. Halswirbels) sind zusammengedrückt und erweicht. 

Die von der Schädelbasis sich erhebende Geschwulst hat ihren Sitz vorwiegend 
auf der linken Seite des For. occ. mag. Der vorderste Theil ihrer Basis befindet 
sich 1,5 cm hinter dem Dorsum sellae turcicae, der äusserste Theil reicht 1 cm weit 
über den Por. acust. int. nach links, nach hinten bis zur Mitte des For. occip. mag. 
Diese von der Pars basilaris o. occip. ausgehende Geschwulst ragt nicht nur in die 
Scbädelhöhle, sondern drängt sich vom vorderen Bande des For. occip. magnum nach 
hinten und verengert den sagittalen Durchmesser des letzteren beiläufig um 2,5 cm. 
Der vordere und seitliche Band des For. occip. magn. ist stark usurirt. Die Ge¬ 
schwulst Übergriff hierauf den I. Halswirbel und umfasst sein linkes und vorderes 
Drittel, dasselbe zu kleinen Stücken zerstörend. Von hier aus ergriff der Tumor 
den II. Halswirbel, verkürzte den Zahnfortsatz um ein Drittel, wobei es die obere 
Fläche und linke Hälfte, sowie die vordere Oberfläche des Wirbelkörpers uneben und 
rauh machte. Die Gelenksknorpel sind stark zerstört; das Lig. suspens. und die 
Lig. alaria sind ganz zu Grunde gegangen, aber das Lig. transvers. befindet sich in 
einem ziemlich guten Zustande. Die Geschwulst selbst ist ziemlich consistent, nahezu 
gleichmässig grauweiss mit sulzartig durchscheinenden Flecken. Sie wölbt sich von 
der Schädelbasis und von den obersten Halswirbeln gegen den Bachen vor und bildet 
daselbst eine kleine nussgrosse Geschwulst, welche die Oeffnung beider Ohrtrompeten 
zu schmalen Spalten verengt Nach vorn berührt sie auch den Vomer ohne an dem¬ 
selben irgend eine Veränderung hervorgerufen zu haben. Die Nasenschleimhaut ist 


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blass. In beiden Highmorsböhlen wenig reines Serum; beide Keilbeinhöhlen erweitert 
Die Opticnsscheide beiderseits weit; die rechte Papille normal, die Bänder der linken 
etwas verwaschen. 

Das Rückenmark erwies sich bei der mikroskopischen Untersuchung vollkommen 
normal. 

Die Rachengeschwulst drängte den weichen Qaumen nach vorn, dessen linke 
Hälfte sich verdünnte und schlaff wurde. Die linke Hälfte der Zunge ist dünn, 
schlaff, gerunzelt Der M. genio- und hypoglossus rechterseits ist braunroth, linker* 
seits ganz lichtgelblichgrau und auf ein Dritttheil zusammengeschrumpft, der M. hypo¬ 
glossus hinwieder von graulich durchscheinenden Streifen durchsetzt. Der Diventer 
max. und der Qeniohyoideus beiderseits fahlgelb atrophisch und von Fettgeweben 
durchsetzt 

Diagnose: Myxochondrosarcoma basis cranii ex osse basilari ortum cum com- 
pressione hemisphaerae sin. cerebelli, medullae oblongatae et pontis Yaroli. Atrophia 
n. hypoglossi sin. et hemiatrophia linguae. Bronchopneumonia lobi inf. utriusque. 

Wie ans dieser kurzen auszugsweisen Mittheilung der Krankengeschichte 
und des Obductionsprotocolls hervorgeht, stimmt die klinische und pathologisch¬ 
anatomische Diagnose nicht überein. Wie schwer es in diesem Falle gewesen 
wäre, die richtige klinische Diagnose zu stellen, das stellt sich bei genauer Be¬ 
trachtung der Symptome sofort heraus. Mehrere und gewichtigere Symptome 
sprachen mehr zur Spondylitis als für eine Gehirngeschwulst, unsomehr da diese 
Geschwulst ganz ähnliche makroskopische Veränderung der Wirbel und deren 
Gelenke verursachte als man dieselben bei tuberculösen Processen beobachtet 
Uebrigens beobachtete bereits Leyden 1 , dass die tuberculöse carcinomatöse oder 
sarcomatöse Erkrankung des Zahnfortsatzes des Epistropheus genau dasselbe 
Krankheitsbild hervorgerufen hat, nur dass in den zwei letzteren Fällen die 
Schmerzen selbst beim Liegen nicht aufhörten. 

Durch die irradiirenden Schmerzen in der Nacken- und Hinter¬ 
hauptgegend, welche sich bei der geringsten Bewegung des Kopfes, oder beim 
Drücken der zwei obersten Halswirbel steigerten, im Liegen hingegen, wenn 
diese Wirbel vom Druck seitens des Kopfes befreit wurden, abnahmen, durch 
die abnorme Haltung des Kopfes nach vorn und links, durch die Krüm¬ 
mung der Halswirbelsäule, ihre Concavität nach links, durch die starre 
Haltung des Kopfes, durch das Stützen des Kopfes mit der Hand beim 
Aufsitzen und beim Niederlegen, schliesslich durch die halbseitige 
Atrophie der Zunge war die Erkrankung des atlantooccipitalen Gelenkes und 
das Uebergreifen des Processes auf den Canalis hypoglossi erwiesen. In An¬ 
betracht dessen, dass nicht nur das Beugen des Kopfes, sondern auch 
die Drehung um die senkrechte Axe in höchstem Grade eingeschränkt 
war, mussten wir auch eine Erkrankung des Gelenkes zwischen dem I. und 
II. Halswirbel annehmen. Indem der linke N. hypogl. krank und die Wirbel¬ 
säule nach links gekrümmt war, wurde angenommen, dass der Krankheitsprocess 
hauptsächlich die linke Hälfte der Wirbel zerstört hat. 

Bezüglich der Natur des Leidens schienen drei Umstände Aufklärung zu 
bieten: 1. die hochgradige tuberculöse Belastung, 2. die Geschwulst an der 

1 Albbht, Diagnostik der chirurgischen Krankheiten. 1898 . 


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hinteren Rachenwand, welche elastisoh war und etwas fluctuirte, weshalb wir 
dieselbe als einen Senknngsabscess ansprachen, schliesslich 3. die Erfahrung, 
dass einen derartigen Symptomeneomplex Caries des basalen Theils des Hinter¬ 
hauptbeins und des I. und IL Halswirbels zu verursachen pflegt Auf dieser 
Grundlage diagnostioirten wir eine tuberculöse Entzündung der erwähnten 
Knochen und Gelenke (Malum suboccipitale, RusT’sche Krankheit). 

Bei derObduction stellte sich thatsächlich hochgradige, insbesondere links¬ 
seitige Zerstörung der erwähnten Knochen und Gelenke heraus, durch welohe 
der grösste Theil der klinischen Symptome bedingt war. Es lag aber ein Process 
von anderer Natur und ausserdem eine .Geschwulst der Schädelhöhle vor. 

Eine Fractur oder Luxation konnte durch die Anamnese ausgeschlossen 
werden, Krebs war des jugendlichen Alters wegen unwahrscheinlich, es erübrigte 
uns also nur noch, zwischen Tuberculöse und Saroom zu unterscheiden. Dabei 
waren wir einzig und allein auf die Statistik angewiesen. Das LsroEN’sche 
Unterscheidungszeichen, dass bei Caries der Schmerz in der Ruhelage des Pat 
vollkommen aufhört, während derselbe bei Sarcom nur nachlässt, konnte nicht 
verwerthet werden, weil wir eine Pat mit tubereulösem Mal. subocc. beobach¬ 
teten, deren Schmerzen im Liegen gleichfalls sich nur milderten. Wenn die 
Geschwulst im Rachen consistent anzufühlen gewesen wäre, so hätte dieser 
Umstand die Diagnose auf die richtige Fährte gelenkt, da wir jedoch Fluotuation 
fohlten und die bedeutend seltenere Eventualität als ein Absoess, die erweichte, 
oder wie im vorliegenden Falle die myxomstöae Geschwulst ausser Acht Hessen, 
so erübrigte uns einzig und allein die Statistik, welche natürlich zu Gunsten 
der Caries entschied. 

Die Geschwulst in der Schädelhöhle konnte nicht diagnosticirt werden, da 
kein einziges Symptom vorhanden war, welches ausschliesslich auf einen Tumor 
der Schädelgrube charakteristisch wäre, oder welches nicht auch bei Mal. sub¬ 
occ. Vorkommen möchte. Pat klagte nur über von der Nacken- und Hinter¬ 
hauptgegend ausstrahlende Schmerzen, jedoch nie über eigentlichen Kopfschmerz 
oder Schwindel. Krämpfe, verlangsamter Puls, abnorme Athmung, Stauungs¬ 
papille, Blasenbeschwerden, sowie das bei Geschwülsten der hinteren Schädel- 
grübe nahezu stets vorhandene Erbrechen fehlten während des ganzen Verlaufe. 
Die Apathie konnte aus dem Schwächezustande und den quälenden Schmerzen, 
die Nackenstarre und halbseitige Atrophie der Zunge aus der Erkrankung der 
Wirbel leichter erklärt werden. Den taumelnden Gang führten wir einerseits 
auf die hochgradige Schwäche der Pat zurück, andererseits brachten wir dieselbe 
mit der Caries der Wirbel in Zusammenhang, denn es befand sich in unserer 
Klinik eine an (tuberculöser) Mal. suboccipitale leidende Patientin mit aus¬ 
gesprochener eerebellarer Ataxie, welche nach Anwendung eines nach Angabe 
von Prof. DoLiiiNGEB hergestellten Kopfhalters binnen wenigen Tagen verschwand. 

Schliesslich konnten die stürmischen Erscheinungen der letzten zwei Tage, 
sowie auch der Tod ebensogut aus der Erkrankung der Wirbel, wie aus einer 
Himgesohwulst erklärt werden. Im vorliegenden Falle wurden dieselben aller 
Wahrscheinlichkeit nach durch Wirbelabrutschung hervorgerufen. 


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II. Referate. 


Anatomie. 

1) Experimentelle Untersuchungen über den Aufbau der Hintewtrfinge 
beim Affen, von Dr. Alexander Marguliös in Prag. (Monatsschr. f. Psycb. 
u. Neurolog. Bd. I.) 

Verf. bat die Rückenmarke von 5 Affen, deren hintere Wurzeln er in verschie¬ 
denen Hohen durchschnitten hatte, hinsichtlich aufsteigender und absteigender Dege¬ 
neration untersucht und dem Aufbau der Hinterstränge seine besondere Aufmerksam* 
keit zugewendet Die Hinterstränge setzen sich nach seinen Untersuchungen zusammen 
aus Fasern, die aus den hinteren Wurzeln in sie gelangen, und aus endogenen 
Fasern. Von den letzteren sind solche, die in aufsteigender Richtung verlaufen, 
von anderen, die in absteigender Richtung ziehen, zu unterscheiden. Erstere treten 
entlang der Hinterhörner aus, begeben sich nach innen und liegen im Halstheil im 
6oll’sehen Strang. Letztere formiren im oberen Theile des Rückenmarks das comma- 
förmige Bündel, gelangen im unteren Brustmark an die hintere Peripherie und ver¬ 
laufen im Lumbal- und Sacralmark im ovalen Felde. Ausserdem gehört noch ein 
Theil der Commissurfasem zu den endogenen Fasern der Hinterstränge. Aus den 
hinteren Wurzeln stammen 1. die langen, zu den Hinterstrangkernen in der 
Medulla oblongata aufsteigenden Fasern, 2. die kürzeren aufsteigenden Fasern, die 
in der grauen Substanz des Rückenmarks ihr Ende finden und 3. absteigende Fasern, 
die bis in die graue Gommissur zu verfolgen sind. Die soeben erwähnten, in der 
grauen Substanz des Rückenmarks endenden, aufsteigenden Fasern begeben sich zum 
Theil ins Hinterhom der gleichen, zum Theil durch die dorsale Commissür ins 
Hinterbom der anderen Seite, zum Theil treten sie mit den Zellen der Clarke’sehen 
Säulen, zum Theil mit den motorischen Vorderhornzellen in Beziehung. 

ö. Ilberg (Sonnenstein). 


2) Sur le groupement des flbres endogenes de la moölle dans les oordons 
postdrieurs, par Dufour. (Arch. de Neurolog. 1896. Vol. II. Nr. 8.) 

Der Verf. hat Gelegenheit gehabt, einen Fall von Compression der Cauda eqnina, 
wobei sämmtliche Nervenwurzeln bis zur 3. Lumbalwurzel inclusive betroffen wurden, 
während das Mark selbst intact geblieben war, zu untersuchen. Die Schnitte wurden 
mit Carmin, ferner nach den Methoden von Azoulay, Marchi, Weigert und 
Pal gefärbt Die Resultate dieser Untersuchung sind folgende: 

Conus terminalis. In den Hintersträngen ist nur eine schmale Partie, die 
unmittelbar an das hintere Septum angrenzt, intact geblieben, sie erstreckt sich ent¬ 
lang der vorderen und hinteren Hälfte des Septums. Die intacte Fasergruppe ist 
in zwei Zonen zu theilen, eine hintere von Dreiecksform und eine vordere, die, ge¬ 
wöhnlich cornu-commissurale Zone genannt, ihrer Lage zum Septum wegen besser als 
sulco-commissurale bezeichnet wird. 

Sacralis 5. Die intacte schmale Zone erstreckt sich von der hinteren Peri¬ 
pherie zu beiden Seiten des Septums nach vorn bis zur Gommissur, wo sie knöpf- 
förmig endet 

Sacralis 5 bis Sacralis 2. Die beiden intacten Zonen, die hintere und die 
vordere, sind wieder zu sehen, die hintere Zone entspricht dem Centrum ovale von 
Flechsig, jedoch setzt sie sich bis an die hintere Peripherie fort 

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Sacralis 1. Die vordere intacte Zone ist cornu-commissural, die hintere er¬ 
reicht die Peripherie und umsäumt noch den hinteren, inneren Winkel der Hinter¬ 
stränge auf eine ganz kurze Strecke. 

Lumbalis 1 bis Lumbalis 3. Die Anordnung der intacten Zone ist die¬ 
selbe, wie in der vorigen Höhe; in den mittleren und lateralen Partieen der Hinter¬ 
stränge treten intacte Wurzelfasern in wachsender Zahl auf. 

Lumbalis 3. Die hintere Partie der intacten Zone zeigt sich in der typischen 
Form des Centrum ovale Flechsig’s; die vordere Partie ist nicht mehr scharf ab- 
zugrenzen, da die Fasern derselben mit den intacten Wurzelfasern vermischt sind. 

Lumbalis 2. Die Fasern der hinteren Zone haben sich wieder der hinteren 
Peripherie genähert und formen zum zweiten Mal ein Dreieck, wobei jedoch die am 
Septum gelegene Seite kürzer ist als die an der Peripherie gelegene. 

In den weiter oben gelegenen Segmenten vermischen sich die aufsteigenden 
Fasern der intacten hinteren Wurzeln derart mit den Fasern der intacten Zone, 
dass es unmöglich ist, dieselben zu sondern. 

Diesen Fall vergleicht nun der Verf. mit ähnlichen in der Litteratur nieder¬ 
gelegten und mit dem Ergebniss der Untersuchungen Aber absteigende Degeneration 
in den Hintersträngen bei hoher Compression des Bückenmarks und kommt dabei zu 
dem Schluss, dass die vordere Partie der in «seinem Falle intact gefundenen Zone 
einem besonderen Fasersystem angehört, das je nach der Höhe verschiedene Lage 
hat und dementsprechend im Conus terminalis sulco-commissurales Feld, im Sacral- 
theil sulco-cornu-commissurales, im Lumbal- und unteren Dorsaltheil cornu-com- 
missurales und weiter oben Commabündel von Schnitze genannt wird. Ebenso 
bildet die hintere Partie ein gesondertes Fasersystem. Beide Fasersysteme führen 
absteigende Fasern, und zwar das vordere solche mit kurzem, das hintere solche mit 
langem Verlauf. Der Verf. sucht dann nachzuweisen, dass diese Fasersysteme nicht 
durch absteigende Hinterwurzelfasern gebildet werden; es ist ihm vielmehr das 
wahrscheinlichste, dass dieselben aus endogenen Fasern zusammengesetzt sind. 

M. Weil (Stuttgart). 


Experimentelle Physiologie. 

3) Troubles trophlques oonsöoutifb 4 la section des raoines posterieures 
mödullaires, par Morat. (Gazette des höpitaux. 1897. Nr. 64.) 

Da die trophischen Störungen auch eintreten, wenn die hinteren Wurzeln 
zwischen Spinalganglion und Medulla durchschnitten werden, kann eine Alteration 
des Spinalganglion die Ursache derselben nicht sein. Da ferner weder durch die 
Anästhesie, noch durch die Durchtrennung der vasodilatatorischen Fasern sich die 
trophischen Störungen erklären lassen, vermuthet Verf., dass dieselben auf Läsion 
von centrifugalen, in den hinteren Wurzeln verlaufenden Nerven beruhen, welch 
letztere zu den Geweben in gewisser functioneller Beziehung stehen. 

B. Hatschek (Wien). 


4) Coesiatono oentri sensitiv! e oentri motori nella zona volandioa oor- 
tioale de oervello umanoP per C. Negro e V. Oliva. (Biv. iconograf. del 
Bolleth. del policlin. gen. di Torino. I.) 


Bei einem Kranken, der an epileptischen Anfällen litt, die stets in der rechten 
Hand begannen und sich dann verallgemeinerten, machten die Verff. die Trepanation. 
Da sie mit der elektrischen Beizung der Binde am ersten Tage nicht zum Ziele 
kamen, wiederholten sie dieselbe am zweitfolgenden Tage und zwar ohne Narcose 


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86*Qrigiral frei”. 

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und bei vollem Bewusstsein des Patienten. Wurde nun ein bestimmter Punkt der 
Binde faradisch gereizt, so gab der Kranke bei ganz schwachen Strömen (3 mm Volt) 
an, ein Gefühl von Kribbeln in der entgegengesetzten (rechten) oberen Extremität 
zu haben, das von den Fingern zum Oberarm Bich ausbreitete. Motorische Er* 
scheinungen traten erst bei stärkeren Strömen (6 mm Volt) ein und zwar wiederum 
begleitet von einem Gefühl von Ameisenlaufen. 

Die so reagirende Bindenzone war ungefähr */* qcm gross. Von ihrer Nachbar¬ 
schaft aus liess sich auch durch stärkere Ströme keine sensible oder motorische 
Wirkung erzielen. 

Um zu entscheiden, ob die sensible Beaction nicht etwa durch Ausstrahlung 
der elektrischen Beizung auf tiefer oder entfernt gelegene sensible Centren erfolgte, 
machten die Verff. Versuche am M. sartorius und N. ischiadicus vom Frosch, der in 
ein frisches Stück Kaninchengehirn implantirt wurde, und fanden, dass sich faradische 
Ströme von der angewandten Intensität nur auf 8 qmm und in einer Tiefe von 5 mm 
verbreiteten. 

Die erregbare Zone beim Kranken wurde nun elektrolytisch zerstört Es traten 
Parese in Hand und Fingern besonders bei Extensionsbewegungen, Kribbelgefühl, 
Hypästhesie und Störungen des Muskelsinns auf. Auf tägliche Faradisation resti- 
tuirte sich zuerst der Muskelsinn, dann die anderen sensiblen Qualitäten, erst viel 
später die Motilität. 

Verff. schliessen aus ihrer Beobachtung, dass in der Zona rolandica des Menschen 
den motorischen Centren die entsprechenden sensiblen benachbart sind, und dass die 
Aura sensitiva bei der Epilepsie von diesen sensiblen Centren ihren Ausgang nimmt. 
Sie konnten ferner die Bahnungsversuche Exner’s bestätigen: wurde auf den bloss¬ 
gelegten Theil der Hirnrinde ein elektrischer Strom von so geringer Stärke (2 mm 
Volt) applicirt, dass er nicht im stände war, eine Contraction auszulösen, so trat 
eine solche doch ein, wenn V 2 Secunde vorher auf Haut und Muskeln der Hand ein 
Strom gewirkt hatte, der genügt, das Glied leicht zu erschüttern. 

Valentin. 


Pathologische Anatomie. 

5) Sul comportamento delle cellule nervöse dei gangli spinal! in segnito 
al taglio della trauca centrale del loro prolungamento, per E. Lugaro. 
(Bivist. di Patolog. nerv, e ment. 1897. Nr. 12.) 

Bekanntlich hat Verf. früher festgestellt, dass die Spinalganglienzellen nach 
Verletzung ihres peripheren Nervenfortsatzes tiefgreifende Veränderungen erfahren 
und sogar ganz zu Grunde gehen, während die Läsion oder die Durchsohneidung 
des centralen Fortsatzes die normale Structur der Zelle nicht schädigt Die Beo¬ 
bachtungen bezogen sich auf Thiere, die 40 Tage nach der Operation getötet wurden. 
An zwei weiteren Hunden durchschnitt Verf. den centralen Fortsatz der Spinal¬ 
ganglien und liess sie 6 Monate bezw. 1 Jahr am Leben. An den Zellen der Spinal¬ 
ganglien fanden sich ebensowenig Veränderungen, wie bei den früheren Untersuchungen. 

Valentin. 


6) Untersuchung über das Verhalten der hinteren Wurzeln bei einem 
Falle von Tabes dorsalis, von Dr. E. Dambacher. Aus der medic. Klinik 
(Prof. Erb) und dem patholog. Institut (Prof. Arnold) in Heidelberg. (Deutsche 
Zeitschr. f. Nervenheilk. 1898. XII.) 

Ein Fall älterer Tabes mit Hemiplegie kam zur Section und gab das Material 
zu der vorliegenden Untersuchung. Es fand sich eine ausgesprochene, einseitige 

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Degeneration der rechten Pyramidenseitenstrangbahn. Die Hinterstränge und hinteren 
Wurzelzonen zeigten sich mehr diffus und sprungweise erkrankt, wobei ein auffallender 
Parallelismus zwischen Mark- und Wurzelerkrankung zu constatiren war. Auf die 
Veränderungen in den hinteren Wurzeln war die Untersuchung besonders gerichtet 
und zeigten sich diese Theile continuirlich vom Ursprung ins Ganglion bis zu ihrer 
Einstrahlung erkrankt, ein Befund, der gegen die Annahme einer Leitungsunterbrechung 
(Leptomeningitis) spricht. Auch lassen im vorliegenden Falle die Verhältnisse der 
Pia eine Compressionsmöglichkeit ausschliessen. Andererseits kann sich Verf. auch 
nicht fQr die Nageotte’scbe Theorie — primäre Peri- und Mesoneuritis der hinteren 
Wurzeln — entscheiden. E. Asch (Frankfurt a./M.). 


7) So alooni rapporti tra le alteraaioni del nooleo e del protaplasma 
delle oellule nervöse oorticali (parallsi generali), per A. Grimaldi. 
(Annal. di Nevrolog. XV.) 

Die bei der allgemeinen Paralyse gefundenen Kernveränderungen theilt Verf. in 
zwei Gruppen: entweder der Kern unterscheidet sich nicht vom Zellprotoplasma, er 
verschmilzt mit ihm oder der Kern bleibt bestehen und färbbar, während der Zell- 
leib schon schwere Schädigungen erfahren hat. Es handelt sich hier nicht um zwei 
Phasen desselben Processes, denn bei weit vorgeschrittener Degeneration des Proto¬ 
plasmas kann der Kern erhalten und färbbar, bei geringerer Schädigung des Proto¬ 
plasmas der Kern doch nicht mehr erkennbar und mit ibm verschmolzen sein. 

Valentin. 


8) Bloerohe batteriologiohe sul liquido cefalo - rachidiano dei dementi 
paralltdol, per G. Montesano et M. Montessori. (Riv. quindic. di psicolog. 
psichiatr. I.) 

Bakteriologische Untersuchung der CerebrospinalfiQssigkeit von 11 Paralytikern. 
Beim Mikroskopiren des Sediments fanden die Verff. auch nach dem Centrifugiren 
nie Mikroben. Die directe Einimpfung der Punktionsfl&ssigkeit gab in 8 Fällen ein 
negatives Resultat Die Culturergebnisse waren 8 Mal positiv. Es wuchsen ausser 
Hefepilzen Staphylokokken, Streptokokken und 1 Mal der Tetanusbacillus, am häufig¬ 
sten jedoch eine von den Verff. Bacillus viscosus genannte Art Diese, vielleicht 
eine Varietät des Bacterium coli commune, ist f&r Meerschweinchen und Kaninchen 
pathogen. Ob und in wie weit dieser Bacillus ätiologisch bei der progressiven 
Paralyse in Frage kommt, lassen die Verff dahingestellt. 

Der Fall, in dem zu wiederholten Malen vollvirulente Tetanusbacillen gefunden 
wurden, verlief klinisch sehr rapide mit fast fortdauernder Bewusstlosigkeit des 
Patienten und mit tonischen und clonischen Convulsionen namentlich des Kopfes und 
der rechten oberen Extremität 

Die Verff. glauben deshalb, dass ursächliche Beziehungen bestehen zwischen dem 
Tetanusbacillus und der Dementia paralytica oder wenigstens den bei ihr beobachteten 
epileptiformen Krämpfen. Valentin. 


8) Pathological obanges in nerve cells, by Warrington. (Brit med. Journ. 

1898. April 30. S. 1140.) 

Verf. berichtet in der Ges. f. Path. zu Manchester und im med. Institute zu 
Liverpool Ober seine Versuche von Nervendurchschneidung. Die Ganglienzellen in 
den Vorderhörnern des Rfickenmarks degeneriren nach Durchschneidung der zugehörigen 
centripetalen Nerven. Die degenerirenden Zellen befinden sich vorzüglich in der 
hinteren äusseren Gruppe. Dieselbe Folge hat die Durchschneidung des Axencylinders. 


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Nach Durchschneidung einer vorderen Wurzel ist beinahe jede Zelle an der ver¬ 
letzten Seite in dem betreffenden Segment verändert. 

Diese unmittelbar nach der Operation gefundenen Veränderungen könuen nach 
längeren Zeiträumen wieder verschwinden; die Möglichkeit einer Restitutio ad in¬ 
tegrum ist gegeben. 

Die ausfflhrliche Mittheilung wird im Joum. of physiology erfolgen. 

L. Lehmann I (Oeynhausen). 


10) Beitrag sur Pathologie der Ganglienselle, von Dr. Otto Juliusbnrger 

und Ernst Meyer. (Monatsschr. f. Psych. u. Neurolog. 1898. Bd. 1IL) 

Die Verff. haben die grossen Zellen der Centralwindungen und der Vorderhömer 
bei einer Anzahl von Geisteskranken mit einer Modification der Nissl’schen Methode 
untersucht. Die Zellen zeigten bei chronischem Alkoholismus, bei Erschöpfungs¬ 
delirien, bei Dementia paralytica und Dementia senilis mit Hemiparese im Wesent¬ 
lichen denselben Krankheitsprocess, und zwar sowohl in der Centralwindung wie im 
Vorderhorn. Es handelte sich um Verkleinerung und Abrundung der Zellen, um ein 
geringes Hervortreten der Fortsätze und um einen im Centrum der Zelle beginnenden 
und nach der Peripherie hin fortschreitenden Schwund der Granula, statt deren feine 
Körnchen vorhanden waren, die regellos zerstreut im Protoplasma lagen. In weiteren 
Stadien fehlen auch die Körnchen. Die Kerne der Zellen waren bald mehr oval, 
bald mehr biskuitförmig und lagen oft randständig. 

Hinsichtlich der Granula trat eine den Altersunterschieden entsprechende Diffe¬ 
renz nicht zu Tage. Auch das Fieber zeigte keinen bemerkenswerthen Einfluss. Es 
wurde nur ein quantitativer, ein Intensitätsunterschied ein und desselben Vorgangs 
bei verschiedenen ätiologischen Momenten constatiri Dass eine bestimmte Structur- 
veränderung nicht das anatomische Bild einer bestimmten Functionsstörung ist, geht 
nach den Verff. auch daraus hervor, dass die Zellen eines Falles mit ausgesprochener, 
motorischer Hyperfunction dieselben Veränderungen aufwiesen, wie die Zellen eines 
Falles, in dem eine Carcinommetastase im Oberschenkel eine primäre Affection be¬ 
wirkt hatte, die secundär einseitige Zellenveränderung im Rückenmark herbei¬ 
geführt hatte. 

Normale Granula lösen sich bei Betrachtung mit Immersion stets in einen 
Haufen feiner Körnchen auf. Die Zwischensubstanz zwischen den Körnern vermögen 
die Verff. principiell vom übrigen Zellprotoplasma nicht zu trennen. Sie halten die 
Granula für regenerationsfähig und fassen sie als Nährsubstanzen der Zelle auf. 

G. Ilberg (Sonnenstein). 


11) Ueber Nervenzell'Veränderungen des Vorderhorns bei Tabes. Ein Bei¬ 
trag zur Pathogenese der trophischen Störungen der Tabes, von Doc. Dr. Karl 
Schaffer. (Monatsschr. f. Psych. u. Neurolog. 1898. Bd. III.) 

Im Vorderhorn des Rückenmarks constatirte Verf. bei den trophischen Störungen 
der Tabes ausgesprochene Veränderungen der Nervenzellen. Die Zellerkrankung be¬ 
ginnt immer perinucleär und erscheint als successiv ablaufende Auflösung der chro¬ 
matischen Substanz. Ueber den erkrankten Nervenzellen finden sich gesunde Zellen. 
Die tabischen Amyotrophieeu sind nur durch centralcelluläre Veränderungen erklärlich. 
In der Genese der trophischen Störungen der Tabes soll ausser den postsypbilitischen 
Toxinen der Wegfall bedeutender Reizmengen in Folge der Hinterstrangssklerose 
eine wirksame Rolle spielen. Die tabische Amyotrophie stellt nach der Meinung des 
Verf.’s eine, durch den tabischen Process verursachte Systemerkrankung dar. 

G. Ilberg (Sonnenstein). 


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12) Degenerationen der Vorderhomaellen des Büokenmarks bei Dementia 

paralytioa, von Dr. H. Berger in Jena. (Monatsschr. f. Psych. u. Neorolog. 

Bd. III.) 

Nachdem Verf. den Ban der normalen Yorderhomzelle des Rückenmarks ge* 
schildert hat, betrachtet er ihre physiologischen und arteficiellen Veränderungen. Er 
bespricht sodann die wichtigsten pathologischen Degenerationsformen: die Sklerose 
und die fettigpigmentöse Degeneration, welche als Zeichen eines mehr acuten Processes 
gelten, sowie die Colloidentartung, die Vacuolisation und die Zelltheilung, die als 
Zeichen eines mehr chronischen Processes anzusehen sind. 

In 12 Fällen von Dementia paralytica hat der Verf. mit einer modificirten 
Nissl’sehen Methode dss Cervical-, das Dorsal* und das Lumbalmark in Bezug auf 
ihre Vorderhomzellen untersucht Bei 83°/ 0 der untersuchten Fälle fand er Ver¬ 
änderungen der Zellen, und zwar waren die Zellen des Cervicalmarks in 41°/ 0 , die 
des Dorsalmarks in 25°/ 0 » die des Lendenmarks in 83°/ 0 erkrankt. Eine Abhängig¬ 
keit zwischen den Erkrankungen der Strangsysteme und der Zellenerkrankungen geht 
dem Schwund des Qehirns nicht parallel; sie scheint auch nicht von der Krankheits¬ 
dauer abhängig zu sein. 

Was diese Zellveränderung selbst anbelangt, so fand sich im Protoplasma sehr 
häufig eine Pigmentzunahme. Der ganze Zellleib wird dann mit körnigem Pig¬ 
ment angefüllt, die Zellgrenzen waren verwaschen, die Fortsätze geschwunden und 
fehlten schliesslich ganz. Der Zerfall der Nissl’schen Granula beginnt an einer 
umschriebenen Stelle des Zellleibs, an der statt der Chromatinschollen feine, sich 
intensiv färbende Körnchen auftreten. Der Zerfall auch der anderen Chromatin¬ 
schollen verleiht der Zelle ein gitterartiges Aussehen. Der Zusammenhang der 
Körnchen lockert sich immer mehr, die Zelle sieht gleichmässig blass und wie mit 
feinen Körnchen übersäet ans. Endlich sind die Körnchen nicht mehr zu sehen; die 
Zelle ist eine undeutlich begrenzte, blasse Protoplasmamasse geworden. Vacuolen 
treten auf und die Zellen nehmen rundliche gequollene Formen an. Eine andere 
Form der Zelldegeneration geht mit einer tieferen Tinction der kleiner und 
spärlicher gewordenen Chromatinschollen einher, wobei die normalen Lücken der 
Schollen kleiner werden und schwinden. Die Zellen schrumpfen unter gänzlichem 
Schwunde der Chromatinschollen und tieferer Tinction des Protoplasmas immer mehr. 
Die anfangs homogen gefärbten Fortsätze zeigen später korkzieherartige Windungen. 
Bei einer weiteren Erkrankungsform schwinden die Nissl’schen Granula nur 
in ihren centralen Partieen, und zwar ohne dass Körnchen an Stelle der Granula 
treten. Der Degenerationsprocess ist hier ein local beschränkter. Um Colloid- 
degeneration handelt es sich, wenn eine scharf umgrenzte, glänzende Masse wie 
ein Fremdkörper in der Zelle, und zwar meist in ihren centralen Partieen liegt; die 
Chromatinschollen an der Peripherie und die Fortsätze haben hier eine normale Be¬ 
schaffenheit 

Der Nucleolus der Vorderhornzellen war in der Regel grösser, seine Tinctions- 
fähigkeit schwächer, die Kernkörperchen vacuolen waren zahlreicher als normal; der 
Nucleolus war auch zuweilen geschwunden. Kernmembran, Kemprotoplasma und 
Stellung des Kerns boten Veränderungen dar. Der Kern zeigte hie und da Theilungs- 
erscheinungen. Einige Male war er geschwunden. G. Ilberg (Sonnenstein). 


Pathologie des Nervensystems. 

13) Le tabee dorsalls, par CI. Philippe. (Paris. 1897. Bailliöre et Fils.) 

Es wird zunächst eine kritische Geschichte der bisher über die Entstehung der 
Tabes dorsalis aufgestellten Theorieen gegeben. Ausgehend von der grundlegenden 


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Arbeit von Bourdon and Loys, welche die Tabes als eine Sklerose der hinteren 
Wurzeln und Stränge erkannten, wird als 2. Periode in der Brkenntniss der Tabes 
die von Charcot und Pierret verfochtene Anschauung vom Beginn der Tabes in 
den Bandelettes externes der Hinterstränge mit secundärer Erkrankung der Go 11’* 
sehen Stränge aufgestellt. Die 3. Periode datirt von Vulpian, der 1879 den 
primären Ursprung der Veränderungen in Läsionen der hinteren Wurzeln suchte; das 
Verdienst v. Leyden ’s um diese Anschauung wird dabei vom Verf. nicht hinreichend 
gewürdigt Diese Auffassung der Tabes als einer Erkrankung der hinteren Wurzeln 
ist beute die allgemein herrschende. Verlegen einige Autoren den Ursprung der 
Erkrankung in die Spinalganglien, so stellen Redlich und Obersteiner als pri¬ 
märe Läsion eine proliferirende Meningitis hyperplasüca auf, welche die hinteren 
Wurzeln comprimirt 

Verf. geht dann dazu Aber, den Aufbau der Hinterstränge des menschlichen 
Rückenmarks aus exogenen und endogenen Zonen genau zu schildern, ausgehend von 
den beim Menschen beobachteten secundären Degenerationen der Hinterstränge, die 
er allen anderen Methoden zur Erforschung des Aufbaues des Rückenmarks vorzieht. 
Nur der grobfaserige Abschnitt der hinteren Wurzel hat im Hinterstrang aufsteigenden 
Verlauf, indem er von unten nach oben zuerst die „Zone comuradiculaire“, dann 
das Gebiet der „Bandelette externe", zuletzt die Zone der langen zu den bulbären 
Kernen aufqjteigenden Fasern einnimmt. Die lumbosacralen langen Fasern nehmen 
das hintere Drittel des Goll’sehen Stranges ein, die langen Fasern der 7 untersten 
dorsalen Wurzeln die übrigen Abschnitte desselben. Verf. hält die Existenz von 
absteigenden, in deutlich abgegrenzten Strängen angeordneten Wurzelfasern für nicht 
bewiesen und rechnet die im Schultze’schen Comma und dem ovalen Centrnm ab¬ 
steigend degenerirenden Fasern zu den endogenen. Hierbei sind die neuesten 
Flatau’schen Befunde noch nicht berücksichtigt, die zweifellos ergeben, dass das 
Schultze’sche Bündel, beim Hunde wenigstens, absteigende Hinterwurzelfasern dar¬ 
stellt. Als aufsteigende endogene Zonen beschreibt Verf. die im cornu-commissuralen 
Winkel, besonders in Hals- und Lendenanschwellung, gelegenen Gebiete, die von 
Wurzelfasern durchquert werden, welche in die graue Substanz einstrahlen. 

Verf. versucht nun auf Grund von 10 eigenen, klinisch und anatomisch unter¬ 
suchten Fällen von Tabes die dabei festzustellenden Läsionen in diesen Aufbau der 
Hinterstränge einzureihen. Zur Feststellung der im Gebiete des intramedullären 
Theils des hinteren Wurzelsystems auftretenden Läsionen sind Fälle von Tabes in- 
cipiens zu studiren. Auf Grund der Untersuchung zweier derartiger Fälle weist 
Verf. nach, dass die Läsion am stärksten im Gebiet der vonderen */ 3 der „Bande lettes 
externes" auftritt, schwächer in den Eintrittszonen. Die hinteren Wurzeln selbst 
sind von Anfang an miterkrankt, aber schwächer als die intramedullären Abschnitte. 
Zur Feststellung der tabischen Läsionen im Gebiet der endogenen Systeme eignen 
sich am meisten vorgeschrittene Tabesfalle, von denen Verf. 5 untersucht hat. ln 
diesem Stadium der Erkrankung greift der Process in verschiedenen Rückenmarks- 
bähen auf die endogenen Fasersysteme Ober, zuerst auf die absteigenden, dann auch 
auf die aufsteigenden. Die Goll’schen Stränge sind in vielen Fällen nur in Folge 
der secundären Degeneration affteirt. Das Studium vorgeschrittener Fälle yon Tabes 
cervico-dorsalis beweist aber, dass sie auch primär erkranken können. 

Was die histologischen Verhältnisse bei der Tabes betrifft, so konnte Verf. eine 
nennenswerthe Wucherung embryonaler Zellen oder der Neuroglia nicht nachweisen, 
so dass die Theorie von der primären interstitiellen Läsion bei der Tabes nicht auf¬ 
recht zu erhalten ist. Der parenchymatöse Process ist derselbe in exogenen und 
endogenen Zonen; es ist ein progressiv atrophischer Process mit verhältnissmässig 
langer Conservirung der Axencylinder, nur spärlichen Körnchenzellen und keiner inter¬ 
stitiellen Wucherung. Der parenchymatöse Process zeigt nicht die Charaktere der 
secundären Degeneration. 

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Verf. unterscheidet eine gutartige und eine bösartige Form der Tabes. Er 
glaubt, dass die bösartige Form eine vorzugsweise medulläre sei mit frühem Ergriffen¬ 
sein der endogenen Gebiete. Dagegen wäre die gutartige Tabes eine rein radiculäre 
Erkrankung. Die blitzartigen Schmerzen folgen der Wurzelerkrankung, während die 
Parästhesieen mehr der medullären Läsion entsprechen würden. Verf. hofft, dass 
weitere klinische und- anatomische Untersuchungen der Tabes dazu führen werden, 
die klinischen Symptome der Tabes besser mit den Läsionen des Rückenmarks in 
Zusammenhang zu bringen. M. Roth mann (Berlin). 


14) De lu töpographie des troubles sensitifs dans le tabes; ses rapports 

aveo les sensations des tabdtiques, par G. Marinesco. (La semaine mddi- 

cale. 13./X. 1897.) 

Verf. hat, angeregt durch die Untersuchungen von Hitzig und Bähr, bei 
50 Tabikern, darunter 10 amaurotischen, die Topographie der Anästhesie geprüft. 
Bei 40 Kranken war eine Anästhesie am Thorax nachweisbar; am häufigsten finden 
sich zwei anästhetische Zonen um die Mammilia herum, mit normaler Haut in der 
Mitte. Reicht die anästhetische Zone bis zur Axillarlinie, so ergreift sie oft. auch 
die Innenseite des Armes, ein- oder doppelseitig. Bisweilen greift die Anästhesie 
auf die Schulterblätter über mit Freilassung eines schmalen Streifens zwischen den¬ 
selben. Diese ringförmige Anästhesie steht in naher Beziehung zu dem Gefühl des 
umgelegten Reifens der Tabetiker. Die Sensibilitätsstörung am Arm reicht oft bis 
zum kleinen Finger; bisweilen ergreift sie auch die beiden nächsten Finger. Sehr 
häufig anästhetisch ist die Genitalregion und die Perineo-anal-Gegend. An den 
Beinen sind die Plantar- und Dorsalfiäche der Füsse, der äussere Theil der Unter¬ 
schenkel, der vordere und hintere Theil der Oberschenkel am häufigsten anästhetisch, 
Auffallend ist, dass bei den erblindeten Tabikern die Sensibilitätsstörungen entschieden' 
zurücktreten. 

Die Hauptherde der Anästhesie bei den Tabikern sind: 1. die Brustgegend, 
2. die Genitalregion, 3. die unteren Extremitäten, vornehmlich die Füsse, 4. der 
Innenrand des ganzen Armes. Es besteht eine Beziehung zwischen diesen Anästbesieen 
und den subjectiven Störungen, dem Gürtelgefuhl, den Urinbasch werden, der Impotenz, 
den blitzartigen Schmerzen der Beine. Es gelingt, wie Verf. an zwei Beispielen 
zeigt, bei genauer Beachtung dieser Symptome eine frühzeitige Tabesdiagnose zu 
stellen. Ob eine Analogie zwischen den visceralen Krisen und den Sensibilitäts- 
störungen besteht, ist noch nicht sicher zu sagen, wenn es auch wahrscheinlich ist. 

Die Ausbreitung der tactilen Anästhesie bei der Tabes entspricht im Wesent¬ 
lichen den Vertheilungsbezirken der sensiblen Wurzeln, wie Verf. an dem von Thor- 
bum aufgestelltem Schema der Wurzelvertheilung nachweist. Dass die Anästhesie 
nicht immer genau einem Wnrzelfelde entspricht, erklärt sich 1. aus der ungleichen 
Vertheilung der Läsionen in den aufeinanderfolgenden Wurzeln, 2. aus der oft von 
mehreren Wurzeln besorgten Innervation eines Hautgebietes, 3. aus der Betheiligung 
eiues analogen Prozesses an der Wurzelläsion. Jedenfalls empfängt die Wurzeltheorie 
der Tabes eine neue Stütze. Bei der Differentialdiagnose gegenüber der Pseudotabes 
und' anderen tabetiformen Affectionen können diese charakteristischen Sensibilitäts- 
Störungen von grösster Bedeutung sein. M. Rothmann (Berlin). 


15) Le tttbe# d’aprds les travaux du Dr. Pierret, par M. Klippel. (Revue 
de Psych. 1897. Nov.) 

Verf. resumirt eine Arbeit Pierret’s: „Considdrations synthdtiques sur la patho- 
gdnie du tabes“, in welcher dieser seine zahlreichen Arbeiten über den Gegenstand 
zusammengefasst hat. Folgendes ist daraus hervorzuheben: 


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Die Sensibilitätsstörungen stehen bei der Tabes im Vordergründe und können 
alle sensiblen Nerven ergreifen (n. a. auch den Acosticus). 

Locale Lähmungen sind bei der Tabes durchaus nicht selten, wenn sie auch 
wegen ihres passageren Charakters oder ihrer geringen Intensität oft verkannt werden. 
Sie spielen vielleicht eine Hauptrolle bei der Entstehung der Ataxie (zu starke oder 
zu geringe Wirkung eines Antagonisten). 

Ausser Rückenmark und peripheren Nerven kann auch das Gehirn in gewissem 
Sinne bei der Tabes mitbetheiligt sein (Hemiplegie); und die mangelnde Coordination, 
welche am häufigsten der ungenügenden Action der Antagonisten entspringt, kann 
auch durch nutritive Störungen von Seiten der Muskeln (disseminirte Neuritiden) 
oder Störungen der entsprechenden psychosensorischen Rindenregion entstehen. Bei 
den completen Tabikern wirken alle 3 Factoren zusammen. 

Von Einzelheiten ist erwähnenswerth, dass trophische Störungen das Krankheits* 
bild compliciren können; tabische Amyotrophie. 

Da die Tabes gewöhnlich von den hinteren Wurzelzonen ausgeht, fehlt ganz 
anfangs auch das Romberg’sche Symptom; denn dieses beruht auf einer Affection 
der Goll’schen Stränge. 

Bezüglich des peripheren Ursprungs der Tabes hat Verf. schon 187S auf .die 
Neuritis cutaner Nervenendigungen bei derselben hingewiesen. 

In der Genese einiger Symptome spielt auch der Sympathicus eine Rolle (der 
im Rückenmarke eine intermediäre Zone zwischen Vorder* nnd Hintersträngen ein* 
nimmt); die vasomotorischen Störungen, die visceralen Krisen, Hypersekretionen n. 8. w. 
sind auf seine Rechnung zu schieben. 

Hinsichtlich der cerebralen Störungen unterscheidet Verf. eine sensitive von einer 
motorischen Tabes, und erklärt z. B. das Delirium der Tabiker für sensorischen 
Ursprungs. Er scheidet die tabische Demenz von der der progressiven Paralyse und 
hält diese für eine besondere Krankheit. Paul Cohn (Berlin). 


16) A oase of tabes dorsalia with delusional insanity, by Francis 0. 
Simpson. (Journal of nervous and mental disease. 1897. Jul. VoL XXIV. 
S. 409.) 

Tabes bei einer 41jäbrigen Frau mit religiöser Paranoia. 

Bemerkenswerth ist, dass Patientin von ihrem Manne, der später an allgemeiner 
Paralyse starb, luetisch inficirt worden war, und dass auffallende Remissionen im 
Verlauf der Tabes eintraten. Sommer (Allenberg). 


17) Mal perforant da pied naoh Embolie der Arteria poplitea, von Dr. 

Stummer in Erlangen. (Virchow’s Arch. Bd. CIL.) 

Verf. wendet sich gegen die allgemein verbreitete Auffassung, dass die als 
Mal perforant bezeichnete trophische Störung immer nur auf der Basis eines Nerven¬ 
leidens entstehen könne, und beschreibt einen Fall von typischem Mal perforant, 
welches lediglich durch eine Embolie der Arteria poplitea bei allgemeiner Arterio¬ 
sklerose zu Stande gekommen war. Lilienfeld (Gr. Lichterfelde). 


18) Iiooomotor ataxia with almost eomplete analgesia, by Beevor. (Brit. 
med. Journ. 1898. Jan. 22. S. 215.) 

Verf. stellte der Londoner klin. Gesellschaft einen 55jähr. Tabeskranken vor, 
der am ganzen Körper analgetisch war mit Ausschluss der Nase und des Mund¬ 
kreises; jedoch die Innenfläche des Mundes und die Zunge zeigten gleichfalls Anal* 


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gesie. Ebenso überall war der Temperatursinn verloren. Die Krankheit hatte 
langsam angefangen, bestand seit 6 Jahren und hatte keinen specifischen Ursprung. 
Auch die oberen Oliedmaassen zeigten Incoordination. 

L. Lehmann I (Oeynhausen). 


19) De la eure radicale du mal perforant par l’elongation des nerfb 
plantaires, par A. Chipault. (Gazette des höpitaux. 1897.) 

Verf. berichtet über 7 Fülle von Mal perforant verschiedenen Ursprungs, jedoch 
mit stets tiefen Ulcerationen, necrotischen Knocbenprocessen, ohne Tendenz zur 
Heilung, in welchen Dehnung der Plantarnerven, dabei gleichzeitig gründliche Aus* 
kratzung des necrotischen Gewebes und darauf folgend Vereinigung der frischen 
Wundränder vorgenommen wurde; in 6 Fällen trat Heilung ein. Die Dehnung darf 
nicht der Ulceration allzu nahe vorgenommen werden. B. Hatschek (Wien). 


20) Ueber die Coinoidens von Tabes dorsalis und Aortenerkrankungen, 
von F. Enslin. (Inaug.-Dissert. 1898. Berlin.) 

Verf. glaubt aus 17 Fällen von Tabes, in welchen gleichzeitig eine Erkrankung 
der Aorta vorhanden war, folgern zu können, dass die mit Aortenerkrankung com* 
plicirte Tabes im allgemeinen in der Form der Alterstabes anftrete, und dass dabei 
die Ataxie der unteren Extremität nur wenig oder garnicht ausgesprochen sei, hin¬ 
gegen in der oberen häufig. Der Sitz der Erkrankung sei in diesen Fällen wahr¬ 
scheinlich vorwiegend das Cervicalmark. Kaplan (Herzberge). 


21) Contributo allo Studio olinioo della tobe, per G. Pardo. (Bivist di 

Psichiatria. 1898. 1. Febr. Nr. 18.) 

Ein Fall von Tabes, der ausser den gewöhnlichen Symptomen athetotiscbe Be¬ 
wegungen und Myoclonus, partielle Ophthalmoplegie, Neuritis optica, Herabsetzung 
des Gehörs, halbseitige Herabsetzung von Geschmack und Geruch, Ausfall der Zähne, 
halbseitiges Schwitzen, psychische Störungen bestehend in Phantasiren und Hallu- 
cinationen und epileptische Anfälle und Aequivalente darbot. Die Epilepsie war im 
40. Lebensjahre und nach dem Beginn der Tabes aufgetreten, so dass Verf. einen 
ätiologischen Zusammenhang zwischen beiden annimmt (Inwieweit der seit dem 
32. Lebensjahr getriebene Alkohol- und Tabakmissbrauch an der Epilepsie Schuld 
ist, unterlässt Verf. zu erörtern. Bef.) Valentin. 


22) Le dermographisme dans le tabes dorsalis, par Dr. A. Balchline. 

(Comptes rendus de la socidtd de biologie. Sdance du 13. Novembre 1897.) 

Verf. hat 14 Fälle von Tabes auf Demographie untersucht und in nicht weniger 
als 10 Fällen dieselbe constatiren können. Besonders deutlich war die Erscheinung, 
wie auch sonst, am Bumpf und besonders am Bücken und hier häufig mit ober¬ 
flächlicher oder tieferer Hauthyperästhesie verbunden. Lancinirende Schmerzen waren 
zur Zeit der mehrfach wiederholten Untersuchung in keinem Fall vorhanden (vergL 
die Beobachtung von Westphal, Charitö-Annalen. *1897. D. Bef.). 

Martin Bloch (Berlin). 


23) Zur Symptomatologie der Tabes, von Benda. (Berliner klin. Wochenschr. 
1898. Nr. 6.) 

Bei einem 53jährigen Tabiker, der seit Jahren an lancinirenden Schmerzen in 
den Beinen gelitten, blieben dieselben plötzlich weg, und es traten an ihre Stelle 


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üosserat heftige Schmerzen in der Brust. Dieselben strahlten von den Brustwarzen 
nach dem Rücken und den Armen aus. Gleichzeitig geriethen die Brustmuskeln iti 
starke Zuckungen, so dass die Arme energisch adducirt wurden. Die -Anfälle dauerten 
4—5 Secundeu. Während einiger Anfälle stockte der Athem, der Puls wurde klein, 
das Geeicht bläulich. Diese Anfälle wurden später wieder von den Schmerzen in 
den Beinen abgelöst. _ Bielschowsky (Breslau). 


24) Bin Fall von Tabes dorsklis mit Herpes soster, von Dr. A. Westphal. 

(Charitd*Annalen. 1897. XXII.) 

33 jähr. Frau, deren Hann vor 11 Jahren syphilitisch inficirt war und eine später 
mehrfach wiederholte Hg-Kur durchgemacht hat, hat einige Male abortirt und zeigt 
wei 8 se Plaques der Mundschleimhaut. Im Jahre 1894 Doppeltsehen, das nach einer 
Schmierkur verschwand. Im Juli 1896 Kur in Aachen, während der ein acuter 
Erschöpfungszustand mit psychischen Veränderungen, leichter Verwirrtheit, Erregung 
und Vergesslichkeit auftrat, der nach Unterbrechung der Kur völlig zurückging. Bei 
ihrer wegen heftiger Schmerzen im linken Bein erfolgten Aufnahme in die Charitd 
zeigt sie die klassischen Symptome der Tabes und am linken Bein die Haut vom 
Gesäss nach abwärts die Hinterseite des Oberschenkels entlang, hintere und äussere 
Fläche des Unterschenkels, Fussrücken, die Innenflächen der Zehen und etwas noch 
den medialen Fussrand eingenommen von in Gruppen stehenden Bläschen, von 
wechselnder Grösse, theils mit heller Flüssigkeit, theUs eitrig gefüllt, einige bereits 
geplatzt. Die Bläschen waren mit den lancinirenden Schmerzen gleichzeitig auf* 
getreten, mit dem Abbeilen derselben schwanden die Schmerzen. 

Eine andere auffallende Erscheinung war eine mit besonderer Deutlichkeit 
hervorzurufende Urticaria facticia, die eigentümlicherweise gleichfalls allmählich 
verschwand. 

Mit Recht betont Verf., dass der klinische Verlauf der Erscheinungen in seinem 
Falle die Annahme eines inneren Zusammenhanges der Hauteruption mit der tabischen 
Erkrankung recht plausibel erscheinen lässt; an welcher Stelle des sensiblen Neurons 
der Ausgangspunkt des Processes zu suchen ist, ist wohl nicht zu beantworten, da 
Herpes zoster bekanntlich durch peripherische, wie auch sehr wahrscheinlich durch 
centrale Erkrankungen hervorgerufen werden kann. Martin Bloch (Berlin). 


26) Ueber erbliohe Tabes, von S. Kaliscber. (Berliner klin. Wocbenschr 
1898. Nr. 18.) 

Verf. berichtet über zwei Fälle, eine 51jährige Frau und deren 27jährigen 
Sohn, die beide das typische Symptomenbild der Tabes darboten, ohne dass für die 
Annahme einer vorausgegangenen syphilitischen Infection der geringste Anhaltpunkt 
vorhanden war. Während die Mutter in dem für die Entstehung der Tabes ge* 
wöbnlichen Alter, nach dem 30. Lebensjahre, erkrankt war, zeigte der Sohn schon 
mit 27 Jahren das ausgeprägte Krankbeitsbild. Für diese frühe Entstehung der 
Tabes scheint die hereditäre Belastung verantwortlich zu sein. 

Bielschowsky (Breslau). 


26) Treber infantile Tabes und hereditäre syphilitische Erkrankungen des 
Centralnervensystems, von Dr. S. Kalischer. (Archiv f. Kinderheilkunde. 
Bd. XXIV.) 

Verf. giebt die Krankengeschichten einiger Fälle von Lues cerebrospinalis im 
Kindesalter, die das Bild der Tabes vortäuschten. Er erinnert daran, dass echte 
Tabes bei Kindern sehr selten ist, dass es sich bei der „Tabes infantilis“ zuweilen 

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am Tabesparalyse, oft um Pseudotabes syphilitica bandle. Bei letzterer ergreift eine 
Meningitis spinalis syphilitica die Hinterstränge oder eine gummöse Infiltration der 
Hinterstränge, bezw. eine die Hinterstrangsgegend besonders betreffende Arteriitis 
erzeugt ein der echten Tabes nahestehendes Symptomenbild. Oft handelt es sich 
auch um Fried re ich'sehe Ataxie, die ebenso wie die Hörddo- Ataxie cdrdbelleuse 
durch specielle Symptome von der Pseudotabes syphilitica abgegrenzt werden kann. 
Beide genannten Krankheiten stehen offenbar in keiner engeren Beziehung zur Lues. 
Die Tabes dorsal spasmodique der französischen Autoren endlich gehört ins Bereich 
der spastischen cerebralen Kinderlähmungen, ist Qbrigens gar keine Erkrankung der 
Hinterstränge, sondern der Pyramidenbahnen. Verf. legt der Syphilis als ätiologischem 
Factor für die cerebrale Kinderlähmung keine allzu grosse Bedeutung zu; Fournier 
erklärte die spastische cerebrale Kinderlähmung bereits für eine parasyphilitische 
Affection. G. Ilberg (Sonnenstein). 


27) Looomotor ataxia ln husband and wife, by E. F. Trevelyan. (Brit 

med. Journ. 1898. Apr. 9. S. 943.) 

1. Die Frau, 55jährig, 86 Jahre verheirathet, bekam vor 27 Jahren zuerst 
excentrische Schmerzen in den Beinen. Seit 2 1 /, Jahren ist sie bettlägerig, vor 
1 Jahre bekam sie eine spontane Fractur des rechten Beins. — Gegenwärtig reagiren 
die Pupillen weder auf Licht, noch Accommodation. Gastrische Krisen. Sensibilität 
sehr gestört. Blasenincontinenz. Kniegelenke geschwollen und difform. Die Arme 
scheinen frei. 

2. Der 58jährige Gatte bekam die ersten Schmerzen vor 26 Jahren. Vor 
1 Jahre kam linksseitige Hemiplegie dazu, welche sich langsam besserte. Pupillen 
.ungleich, starr. Ataxie; Kniephänomen fehlt 

Die Eheleute hatten 12 Kinder, von welchen nur 3 noch leben. 

Auf die besonderen und selteneren Vorkommnisse bei Tabes: Spontanfractur bei 
der Ehefrau und Hemiplegie beim Gatten wird besonders aufmerksam gemacht und 
in Analogie ; mit anderen Fällen ähnlicher Art in der Litteratur zusammengehalten 
(Minor, Pitres und Carriöre u. A.). Syphilis wird als Ursache aufgefasst Die 
Anfänge dieser Erkrankungsfälle liegen l 1 /, Jahre auseinander; die Frau erkrankte 
zuerst Die Fälle von Tabes bei Ehepaaren (Erb, Strümpell, Goldflam, Dawson 
Turner, Moebius, Mendel, Pearce und Weir Mitchell) sind verhältnissmässig 
nicht zahlreich. 

Auf die ausführliche Betrachtung solcher Fälle im Original, namentlich in Be¬ 
ziehung auf Zusammenhang mit Syphilis wird hier nur verwiesen. 

L. Lehmann I (Oeynhausen). 


26) Ist die progressive Paralyse aas den mikroskopischen Befunden an 
.der Qrosahirnrinde pathologisoh - anatomisch diagnoetdoirbarP von 
Ottomar Schmidt (Würzburg). (Allgemeine Zeitschrift f. Psych. Bd. LIV. 
S. 178.) 

Schon die zweite Arbeit gleichen Inhalts aus. der Würzburger Klinik, die auf 
Grund unvollständiger Litteraturstudien feststellt, dass eine pathologisch-anatomische 
Diagnose der Paralyse nicht möglich ist. Der Verf. hat sich allerdings nicht 
nur auf Litteraturstudien beschränkt, sondern 8 Fälle anatomisch untersucht; von 
diesen waren 2 Paralysen, während der 3., ein Epileptiker mit porencephalischem 
Defect, als Controlobject diente. Die ganze Untersuchung erstreckte sich allerdings 
nur auf je 17 Rindenstückchen,-die ausschliesslich nach Weigert gefärbt wurdep 
und dem Verf. verriethen, dass er imstande war, durch ungenügende oder zu lange 
fortgesetzte Differenzirung fehlerhafte Bilder zu bekommen, während er auch an gut 

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gefärbten Präparaten keine charakteristischen Unterschiede erkennen konnte. Die 
Arbeit benennt sich: „eine litterarische und anatomische Studie.“ 

Aschaffen bürg (Heidelberg). 

29) La demenza paralltioa negli ixnbeoille, per L. Cappelletti. (Eiv. speri- 

ment, di Freniatr. XXIII.) 

Das Auftreten von Dementia paralytica bei Im beeilten ist bisher erst in 2 Fällen 
beschrieben worden. Verf. fügt diesen einen 3. hinzu: 

Eine 54jährige Imbecille, die einige Monate vor ihrer Erkrankung von ihrem 
Brnder aus dem Hause gejagt und dadurch in die ärgste Noth gerathen war, wurde 
maniakalisch in die Irrenanstalt zu Ferrara eingeliefert. Dort fand man bei der 
Kranken kleinen, unsymmetrischen Schädel; Tremor an Zunge, Gesicht und Extremi¬ 
täten; Sprache häsitirend, tremolirend; Pupillen weit, ungleich, auf Licht und Accom- 
modation nur wenig reagirend; keine Zeichen von Syphilis am Körper. Psychisch: 
gehobene Stimmung, Grössenideen. Nach 2 Jahren starb die Kranke in Folge eines 
apoplectiformen Anfalls. Dura verdickt, stellenweise dem Gehirn adhärirend, ebenso 
die Pia. Die Windungen mit kleinen Erosionen, Stirnhirn klein, die Hemisphären 
unsymmetrisch, graue Substanz schmal, Arterien der Basis atheromatös. 

Von den ätiologischen Factoren, die bei der Dementia paralytica eine Bolle 
spielen, kam ausser Heredität in dem Falle des Verf.’s nur noch die plötzliche 
Verschlechterung der socialen Lage der Patientin in Betracht, und diese auch nicht 
durch die psychische Wirkung, die bei der Imbecillen gleich Null war, sondern nur 
durch die vegetative. 

In einer Anmerkung berichtet Verf. noch Aber einen anderen Fall, also den 4. 
überhaupt, beobachteten, von Imbecillität und Dementia paralytica, den er in den 
Krankenregistem der Irrenanstalt zu Ferrara verzeichnet fand. Valentin. 


30) Ett fall af hypokondriak paralys med tabetiska Symptom, af Henry 

Marcus. (Nord. med. ark. 1897. N. F. VIII. 2. Nr. 36.) 

Ein 45 Jahre alter, in guten Verhältnissen lebender und vorher gesunder Mann 
ohne erbliche Anlage hatte sich vor 15 Jahren einen nicht ffir syphilitisch gehaltenen 
Schanker zugezogen, auf den nie secundäre Symptome folgten. Pat begann schlecht 
zu hören und wurde vollständig taub. In Folge davon wurde Pat düster gestimmt 
und verfiel in moralische Depression, er machte sich Vorwürfe, plante Selbstmord 
und äusserte Mordgedanken, verweigerte die Nahrung, wurde auch manchmal gewalt¬ 
tätig. Die Pupillen waren klein, aber gleich gross und reagirten. Die Patellar- 
reflexe waren schwach. Im Jahre 1895 begannen die Ideeen des Pat ausgeprägt 
hypochondrisch zu werden, immer absurder und ambitiös. Im Juni desselben Jahres 
reagirten die Pupillen nicht mehr, die Patellarrefiexe waren verschwunden, Symptome 
von Ataxie traten auf. Die Krankheit charakterisirte sich deutlich als hypochon¬ 
drische Form der allgemeinen Paralyse. In der Nacht vom 3. zum 4. Februar traten 
heftige epileptiforme Krampfanfalle auf, während deren die Pupillen erweitert waren; 
die Anfälle dauerten fort bis zum 4. Februar, danach stellte sich Coma ein und 
Pat starb am 5. Februar. 

Bei der Section fand sich Meningoencepbalitis und Meningomyelitis mit den ge¬ 
wöhnlich als syphilitische betrachteten Gefässveränderungen. Bei der mikroskopischen 
Untersuchung fand man Degeneration der Nervenelemente in der Hirnrinde, Ver¬ 
mehrung von Bindegewebe mit vermehrtem Gefässreichthum, Veränderungen, wie sie 
typisch für die allgemeine Paralyse sind. Im grossen frontalen Associationscentrum 
Flechsig's zeigte sich ausgesprochene Zerstörung in der 1. und 2. Stirnwindung 
beider Hemisphären, die Hirnhäute waren mit der Hirnoberfläche verklebt, die Win- 

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dangen waren redncirt, die graue Substanz vermindert und unregelmässig, etwas 
entfärbt und gallertartig. Die Nervenelemente waren zerstört, namentlich in der 
äusseren Hälfte, die Gefässe waren stark vergrössert mit dicken Wandungen, um¬ 
geben von zahlreichen lymphoiden Zellen. Die 3. Stirnwindung war nur leicht er¬ 
griffen. Das insulare war auf beiden Seiten in grosser Ausdehnung ergriffen, hier 
fanden sich kleine Hämorrhagieen. Im grossen parieto-occipito-temporalen Associations¬ 
centrum zeigte nur der 2. Gyrus occipitalis stärkere Veränderungen. In der KÖrper- 
fühlsphäre waren die Zerstörungen ganz unbedeutend, wie auch in den Sinnescentren 
in der Hirnrinde. Im Efickenmark fanden sich in der ganzen Länge desselben be¬ 
deutende Degenerationsprocesse, am stärksten im oberen Lendenmark; wirklich der 
Tabes zukommende Veränderungen fanden sich nicht. 

Walter Berger (Leipzig). 


31) 1. La demenza paralitioa nei pellagrosi, perC.Pianetta. (Eivist di Patolog. 
nerv.e ment. 1897. Nr. 12.) — II. Deila demenza paralitioa nei pellagrosi, 
per G. B. Verga. (Ebenda. 1898. Nr. 1.) — HI. Beplioa, per 0. Pianetta. 
(Ebenda.) 

Das Vorkommen progressiver Paralyse bei Pellagrösen wird von verschiedenen 
Seiten geleugnet. Man hat gesagt, dass es sich um zufällige Aehnlichkeiten handelt, 
denen aber grössere Verschiedenheiten gegenüberstehen. Verf. sacht durch Bei¬ 
bringung einiger Krankengeschichten zu beweisen, dass das Gift der Pellagra im 
Stande ist, klinisch wie anatomisch den Symptomencomplex der progressiven Paralyse 
za erzeugen. Bei seinen Kranken, die alle die demente Form der Paralyse mit 
Papillenstarre, Sprach- und Motilitätsstörungen und abrupten Grössenideeen zeigten, 
war ausser Pellagra kein ätiologisches Moment auffindbar, da namentlich Syphilis 
nnd Alkoholismus stets ziemlich sicher auszuschliessen wareu. Dass es sich um eine 
einfache Complication oder nm das Endstadium der Pellagra gehandelt habe, dagegen 
spricht Entstehung, Dauer nnd Verlauf der Paralyse. Anatomisch fand Verf. Ad¬ 
härenzen der Hirnhäute an der Hirnoberfläche und Ependymitis granulosa. Das 
Krankheitsbild der progressiven Paralyse bei Pellagrakranken ist ziemlich selten: 
3 Fälle unter 382 Pellagrösen. 

Verga bezweifelt, dass in den von Pianetta beschriebenen Fällen ätiologisch 
allein die Pellagra in Betracht komme; er glaubt, dass noch andere Bedingungen, 
toxischer, traumatischer, infectiöser oder anderer Art mitgewirkt haben. 

In einer Erwiderung hält Pianetta seinen Standpunkt fest. 

Valentin. 


32) Die Bolle der Lues bei der Tabes und der Paralysis progressiva, 

von A. Sarbö. (Pester med.-chir. Presse. 1898. Nr. 3—6.) 

Verf. hat eine Beihe der grösseren Statistiken über die Häufigkeit der Lues 
bei Nichttabischen einerseits und bei Tabikern andererseits zusammengestellt und 
kommt dabei za dem Resultate, dass Laos sich bei Nichttabischen in 22,5 % finde, 
hingegen bei Tabikern in 72,8 °/ 0 . Verf. vertritt auf Grund dieser statistischen 
Resultate energisch die Ansicht, dass ein enger Zusammenhang zwischen Lues und 
Tabes bestehe, und betrachtet die Tabes nicht als specifisch luetische Erkrankung, 
sondern, ebenso wie Strümpell, als consecutive Affection, also etwa ähnlich, wie 
die postdiphtheritischen Lähmungen im Verhältnis zu Diphtherie. Verf. weist darauf 
hin, dass die Wirkungslosigkeit des Quecksilbers und des Jods bei der Tabes gegen 
den syphilitischen Ursprung derselben gamichts beweise, da es sich eben bei der 
Tabes um Zerfall von Fasern handele, deren Wiederherstellung von vornherein gar- 
nicht zu erwarten sei, ganz abgesehen davon, dass manche zweifellos tertiär syphi- 


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litiscben Affectionen, wie manche Hautsyphilide u. s. w., auf specifische Behandlung 
ebensowenig reagirten. Zu ähnlichen Resultaten gelangt Verf. für die Paralyse auf 
Grund einer Zusammenstellung von 18 Statistiken und betont hierbei die Neigung 
der Paralyse, sich mit Tabes zu combiniren, sowie die Häufigkeit von Augenmuskel¬ 
lähmungen gerade bei Lues, Tabes und Paralyse. 

.Endlich spricht Verf. die Ueberzeugung aus, „dass es mit der Zeit gelingen 
wird, die Paralysen, in deren Anamnesen Syphilis vorkam, von jenen, in deren 
Anamnese sie fehlt, klinisch und histologisch zu unterscheiden und zu trennen“ 
(? Bef.). Kaplan (Herzberge). 


33) The early diagnosis of tabes, by Philip Meisowitz. Bead before the 

Harlem Medical Association. 1897. June 2. (New York medical Journal. 

1898. Yol. LXVII. Nr. 7.) 

Verf. erörtert unter kurzer Mittheilung von Krankengeschichten die Frfib- 
Symptome der Tabes und ordnet dieselben nach ihrem Werth in folgender Beihe: 
Opticusatrophie, Verlust der Kniephänomene, reflectorische Pupillenstarre, lancinirende 
Schmerzen, Analgesie, Blasenschwäche, Gfirtelgef&hl, gastrische Krisen, Hirnnerven¬ 
lähmungen, Arthropathieen. Qptiousatrophie genügt allein zur Diagnose, während 
die anderen Symptome pur in (mannigfacher) Combination mit einander entscheidenden 
Werth hesitzen. 

Die gegebene Reihenfolge dürfte im grossen ganzen richtig sein, sicher falsch 
aber ist des Verf.’s Behauptung, dass Opticusatrophie allein zur Annahme einer Tabes 
ohne weiteres berechtigt. B. Pfeiffer (Cassel). 


34) Die Behandlung der Gangstörungen bei Tabes vermittelet der Uebunga- 
therapie, von Dr. Gräupner (Nauheim). (Allg. med. Central-Zeitung. 1898. 
Nr. 38.) 

Trotzdem die zahlreichen zur Uebungstherapie angegebenen Apparate ohne 
Zweifel vielfache Vortheile bieten können, ist es doch, um die Mehrzahl der Praktiker 
für die Methode zu gewinnen, zweckmässig, immer wieder zu betonen, dass auch 
ohne kostspielige Apparate gute Erfolge mit der Bewegungstherapie bei den Tabikern 
zu erzielen sind. Aus solchen Erwägungen empfiehlt Verf. die Anwendung eines 
einfachen Linoleumteppichs, dessen Figurenmuster als HülfBmittel für die Uebungen 
dienen, und beschreibt im Einzelnen dessen Gebrauch. (Auch Bef. benutzt seit 
längerer Zeit mit Vortheil einen solchen Läufer bei der Uebungstherapie an den 
Tabeskranken der Mendel’schen Poliklinik.) — Von seinen früheren Versuchen, 
sich zur Correctur uncoordinirter Bewegungen „acustischer Marken“ (mit Hülfe 
elektrischer, am Läufer angebrachter Läutewerke) zu bedienen, ist Verf. zurück¬ 
gekommen. Toby Cohn (Berlin). 


35) Om den a. k. hereditära oerebellara ataxien, af Prof. F. Lennmalm. 

(Nord. med. ark. 1897. N. F. VIEL Nr. 29.) 

Verf. theilt 3 Fälle von hereditärer cerebellarer Ataxie aus einer Familie mit, 
in der unter 33 Mitgliedern im ganzen 8 in verschiedenen Generationen an dieser 
Krankheit litten. 

Der 1. Fall betraf ein 22 Jahre altes Mädchen, das in der Kindheit gesund 
gewesen war bis auf Masern und Pocken. Im Alter von 15 Jahren bemerkte Pat. 
die Incoordination, während die Mutter der Pat. schon einige Jahre früher unsicheren 
Gang au ihr bemerkt haben wollte. Im Alter von 18 Jahren begann sie auch Un¬ 
sicherheit in den Bewegungen der Arme zu bemerken, namentlich bei Ausführung 


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feinerer Arbeiten, besonders auch beim Schreiben. Bald nahm auch das Sehvermögen 
ab, ungefähr gleichzeitig auf beiden Augen, und später wurde auch die Sprache 
langsam, monoton und die Worte kamen stossweise heraus. Schmerzen hatte die 
Pat. nicht gehabt, nur einmal vorübergehend in Armen und Beinen. Auch heftigerer 
Kopfschmerz und Schwindel traten nicht auf, ebensowenig andere Nervenerscheinungen. 
Bei der ophthalmoskopischen Untersuchung fand sich auf beiden Seiten Chorioiditis 
und Atrophie der Sehnerven. Auf beiden Seiten bestand Ptosis, die Bewegungen 
der Augen waren langsam, nach oben zu unmöglich. Die Bewegungen der Glieder 
waren incoordinirt, der Gang war unsicher, schwankend, Pat. konnte das Gleichgewicht 
schwer halten. Beim Gehen fanden gleichzeitige unwillkürliche Bewegungen des 
Kopfes und der Arme statt. Die Reflexe waren verstärkt, an beiden Beiuen -bestand 
lebhafter Dorsaldonus. Sensibilitätsstörungen und vasomotorische Störungen waren 
nicht vorhanden. Die inneren Organe waren gesund. 

Der 2. Fall betraf die 52 Jahre alte Mutter der Pat. Bei ihr war die Coordi- 
nationsstörung erst im Alter von 43 Jahren eingetreten nnd geringer als bei ihrer 
Tochter. Die Störung trat zuerst in den Beinen, erst später in den Armen und 
auch nur in geringem Grade und nicht dauernd ein, so dass sie dadurch nicht weiter 
behindert war. Der Gang war steif, breitspurig und wankend, und es war oft 
schwierig, das Gleichgewicht zu halten, besonders bei hastigen Bewegungen und 
Wendungen, aber bei aneinander gesetzten Füssen stand die Pat. gut, auch bei ge¬ 
schlossenen Augen. Die Reflexe waren bedeutend verstärkt. Die Sprache war etwas 
langsam und soandirend. Von Seite der Augen war keine Störung vorhanden. 

Der 3. Fall betraf die 45 Jahre alte Schwester der zweiten Patientin, die Tante 
der ersten. Ungefähr seit dem Alter von 20 Jahren begann sie an Kopfschmerz zu 
leiden, nach ihrem ersten Wochenbett, im Alter von 26 Jahren, begann die Geh¬ 
störung, 1 oder 2 Jahre später Unsicherheit in den Armen und im Alter von etwa 
29 Jahren begann Sebstörung. Das Sehvermögen war bedeutend herabgesetzt, die 
Bewegungen der Augen waren träg, aber möglich bis auf die Bewegung nach oben, 
die Sprache war etwas langsam, stossweise, aber sonst nicht gelösst; die Bewegung 
der Arme geschah unsicher und unbeholfen. Der Gang war unbeholfen und 
schwankend und durch unfreiwillige Mitbewegungen im ganzen Körper gestört. Die 
Sehnenreflexe waren lebhaft Fussclonus war vorhanden. 

Walter Berger (Leipzig). 


30) The morbid anatomy of a oase of hereditary ataxie, by Adolf Meyer 
and Sänger Brown. (Brain. 1897. Autumn.) 


Es handelt sich nm einen Fall aus der Gruppe, die Sänger Brown 1892 im 
Brain beschrieben hat (s. d. Centralbl. 1892. S. 648). Nach der hier noch einmal 
gegebenen Darstellung der Symptome in diesen Fällen bandelte es sich, wie auch 
die Verff. jetzt anerkennen, um diejenige besondere Form, die Naue als Hdrddoataxie 
cördbelleuse von der Friedreich’sehen Krankheit getrennt hat (erhöhte Reflexe an 
den Sehnen der Beine, Sehnervenatrophie). Die anatomische Untersuchung war aus 
äusseren Gründen keine ganz vollkommene; sie ergab folgendes: das Kleinhirn zeigt 
keine umschriebene Läsion, auch die Purkinjezellen sind an Zahl nicht verringert. 
Iin Rückenmark zeigen sich solche Theile afficirt, die nach unseren Kenntnissen mit 
dem Kleinhirn in Verbindung stehen. Das ganze Rückenmark zeigt Vermehrung der 
oberflächlichen Nenroglia und eine grosse Zahl von Corpora amylacea, wie man das 
bei alten Leuten findet. Die betreffende Kranke war bei ihrem Tode 67 Jahre alt 
und die ersten Krankheitserscheinungen waren mit 45 Jahren aufgetreten. Die Verff. 
weisen darauf hin, dass die bisherigen Untersuchungen in Fällen wie Hdrddoataxie 
cördbelleuse ein einheitliches anatomisches Bild nicht geben. Sie glauben mit 
Edinger und Bernhardt (s. d. Centralbl. 1892. S. 649), dass eine scharfe 


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Trennung zwischen Friedreich’scher Krankheit nnd der Naue'schen Form nicht 
angeht: im ersteren Falle waren die ersten Symptome spinale, im letzteren cere- 
belläre, ebenso auch die anatomischen Befunde. * Bruns. 


37) Notes on three oases of cerebral tumour ooourring in the insane, by 

J. H. Goodliffe. (Brit. med. Journ. 1898. Apr. 9. S. 946.) 

3 Fälle von Gehirntumoren bei Irren, bemerkenswerth wegen der mannigfachen 
und verschiedenen Erscheinungen bei gleicher Ursache und wegen des Verborgen* 
bleibens derselben während des Lebens. 

1 . Ein Blödsinniger von 19 Jahren. Plötzlich Convulsionen von mehrstündiger 
Dauer. Gyanose und Dyspnoe. Tod. 

3 Tnmoren fanden sich im Gehirn: einer im Gyrus fornicatus, einer im Vermis 
cerebelli, einer in der unteren linken Stirnwindung. Die Tumoren waren kugelförmig, 
bohnengross, rund* und spindelzellige Sarcome. Sie waren wahrscheinlich metastatisch 
von der Brusthöhle ausgehend. 

2. 35jähriger, seit 14 Jahren epileptischer Mann mit Demenz. Plötzlich biliOsea 
Erbrechen, Collapsus, Coma. 

Es fand sich ein Tumor in der Gehirnrinde bis zu den oberen und mittleren 
frontalen Windungen linkerseits. Der Tumor, gross wie ein half-crown, rund und 
platt, von Beschaffenheit eines Gumma. Die Membranen waren am Tumor adhärent 

3. Eine Frau mit Melancholie. Allgemeine progressive Paralyse der Irren. In 
letzter Zeit magerte die Pat. ab, wurde schwach im Gange und allgemein, auch In- 
continenz, Foetor ex öre, Constipation, Zuckungen in Armen und Beinen, Sopor, 
Pupillen ungleich. 

In der Gehirnrinde zwei Tumoren: der eine in der 1. nnd 2. Stirnwindung 
rechts, der andere links in der oberen und mittleren temporo-sphenoidalen Windung. 
Beide waren Gummata, l 1 /* Zoll im Durchmesser. 

L. Lehmann I (Oeynhausen). 


Psychiatrie. 

38) Geber den Alkoholismue, von Prof. Sikorski. (Journal der Nerven- und 

psychiatrischen Medicin. 1897. Bd. II. [Russisch.]) 

Die Statistik der russischen Irrenanstalten zeigt, dass 15,4 °/ 0 sämmtlicher Fälle 
von Geisteskranken durch den Alkoholmissbrauch bedingt wird. Diese Statistik zeigt 
ferner, dass der Alkobolismus in Russland leider auch unter den Frauen stark ver¬ 
breitet ist. Verf. verweist deshalb mit Recht auf die allergrösste Gefahr, welche 
für die Nation in diesem Uebel liegt. Verf. bespricht eingehend den Einfluss des 
Alkoholismus 1. auf die Zunahme der Verbrecherzahl, 2. auf die Verminderung der 
öffentlichen Moral, 3. auf die Zunahme der Nerven- nnd Geisteskrankheiten, 4. auf 
die Zunahme der Individuen mit unstetem Charakter u. s. w. Er meint, dass die 
Verbreitung des Alkoholgenusses z. Th. durch ökonomische Zustände (Grossindustrie), 
z. Th. durch Fehler seitens der Regierungen begünstigt wird. Verf. bespricht des¬ 
halb eingehend einzelne Maassregeln gegen den Alkoholmissbrauch und resumirt seine 
Auseinandersetzungen wie folgt: 1. Das nächste Ziel des Kampfes gegen den Alko¬ 
holismus sollte in einer Verminderung der Alkoholproduction im Staate seinen Ans¬ 
druck finden; 2. der Staat soll für die Verbreitung der Abstinenzvereine sorgen; 
3. es wäre zweckmässig, in den Gegenden wo Weinstuben bestehen, auch staatliche 


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Theestaben za errichten; 4. der Staat soll das Möglichste thun, am den Thee im 
rassischen Volke za verbreiten und za diesem Zwecke den Tarif für Thee und Zucker 
herabsetzen. Edward Flatau (Berlin). 


III. Aus den Gesellschaften. 


Gesellschaft der Neuropathologen und Irrenärzte zu Moskau, 


Sitzung vom 30. Januar 1898. 


Dr. G. Pribytkoff: Bin Tumor an der Grenze des Hals* und Brust- 
theils des Büokenmarks mit Erscheinungen von Seiten der Pupillen. 

Bei einer 41 Jahre alten Kranken entwickelte sich im Laufe von l 1 /* Jahren 
das Krankheitsbild der Klumpke’sehen Paralyse: Störungen der Sensibilität am 
oberen Theil des Brustkorbes und an der ulnaren Seite beider oberen Extremitäten 
mit gleichzeitigen linksseitigen oculo-pupillären Symptomen; einige Tage vor dem 
Exitus eine sich acut entwickelnde Paraplegia inferior und Fehlen des Kniephänomens. 
Autopsie: Ein apfelgrosses Sarcom, welches das Köpfchen der ersten Rippen und den 
Körper der beiden ersten Brustwirbel zerstört und das Bückenmark comprimirt hat. 
Myelitis e compressione mit den gewöhnlichen Erscheinungen der secundären Dege¬ 
neration. Proximalwärts vom verlängerten Mark sind keine Untersuchungen aus¬ 
geführt worden. 

Discussion: 

Dr. Weidenhammer spricht sein Bedauern darüber aus, dass in Folge der 
nicht weiter ausgeführten Untersuchung es nicht möglich ist, sich unter anderem 
z. B. die Abwesenheit des Kniereflexes zu erklären. (Das Rückenmark ist nicht nach 
Nissl untersucht worden.) 

An der Discussion nahm noch Prof. Koshewnikoff Theil. 


Dr. N. M. Wersiloff: Zwei Fälle von Büokenmarksoompressionen. 

1 . Die Krankheit dauerte 2 1 /* Monate und bestand in einer spastischen Para¬ 
plegia inferior. Autopsie: Sarcomatöse Infiltration des 7. Hals- und 1. Brustwirbel¬ 
körpers, welche in dieser Höhe das Rückenmark comprimirt hatten. Bei der mikro¬ 
skopischen Untersuchung wurden die gewöhnlichen Erscheinungen der secundären 
Degeneration im Rückenmark gefunden, darunter auch eine absteigende Degeneration 
in den Hintersträngen in der Ausdehnung von zwei Segmenten (das Schultze’sehe 
Comma). 

2 . Die Krankheit, welche ungefähr 3 1 /* Monate dauerte, nahm allem Anschein 
nach, einen plötzlichen Anfang mit spinaler spastischer Paralyse der linken Extre¬ 
mitäten und Herabsetzung der Sensibilität auf der rechten Körperhälfte und der 
rechten unteren Extremität. 

Nach einigen Monaten gesellte sich auch eine Paralyse der rechten Extremi¬ 
täten hinzu mit Herabsetzung des Muskelgefühls in denselben. Zu Ende der Beob¬ 
achtung stellte sich eine progressirende Paraplegia inferior heraus mit erhöhten 
Sehnen- und Hautreflexen. Während der ganzen Dauer keine Zeichen von Com- 
pression der hinteren Wurzeln, 

Autopsie: Angio-sarcoma psammomatosum, welches seinen Ausgang von der 
Dura mater in der Höhe der 2. Halswurzel nimmt, und welches in hohem Grade das 
Rückenmark von der linken Seite comprimirt hai Bei der mikroskopischen Unter¬ 
suchung sind neben anderen absteigenden secundären Degenerationen auch solche 
im Gebiete des Schultze’schen Gommas in der Ausdehnung zweier Segmente ge- 


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fanden worden. In aufsteigender Richtung waren noch, ausser den gewöhnlichen 
Bahnen, die Orundb&ndel der Vorder* und Seitenstrangbahn des Rückenmarks, die 
lateralen Gebiete der medialen Schleife, des Pons Varoli und der Hirnschenkel dege- 
nerirt. Die Degeneration dieser Bflndel lässt sich bis zum Thalam. opt. verfolgen. 

Schlussfolgerungen: 

1. Die Erscheinungen der hinteren Wprzeln fehlen häufig bei Tumoren des 
Rfickenmarks, was die Diagnose erschwert. 

2. Die motorischen Symptome von Seiten des Rfickenmarks haben ifir die Dia¬ 
gnose keine geringere Bedeutung als die sensiblen. 

3. Das Schnitze’sehe Comrna, besteht wahrscheinlich aus kurzen absteigenden 
Fasern der hinteren Wurzeln. 

4. Die Fortsetzung der Grundbfindel der Vorder- nnd Seitenstrangbahn verläuft 
in der Med. oblong, zwischen Olive und Pyramide, im Pons Varoli und Hirnschenkel, 
im lateralen Gebiet der medialen Schleife. 

Discussion: 

Dr. Weidenhammer bemerkt, dass die vom Vortr. beschriebene Degeneration 
der GrundbQndel der Vorder- und Seitenstrangbahn auch bei Thieren beobachtet wird. 

Drr. Korniloff, Orlowsky, Muratoff und Prof. Koshewnikoff tauschten 
ihre Meinungen aus in Bezug der Frage Ober das Verhalten der Reflexe bei Rficken- 
markßcompression. 

An der Debatte betheiligten sich ausserdem noch Prof. Roth, Dr. Bernstein 
und Dr. Pribytkoff. S. Orlowsky. W. Murawieff. 


Sitzung vom 20. März 1898. 

Dr. M. A. Luntz: Bin Fall von Syringomyelie mit akromegalisohen 
Erscheinungen. 

Eine 30 Jahre alte Patientin ohne neuropathische Belastung. Menstruation tritt 
zum ersten Male im 20. Lebensjahre auf und wiederholt sich seitdem & Mal im 
Jahre. Seit 3 Jahren Schmerzen in der rechten oberen Extremität; allmähliche 
Schwellung und Schwäche derselben und Verlust des Schmerz- und Temperatursinns; 
desshalb auch, häufige Verbrennung dieser Extremität. Entzündliche Processe des 
Unterhautzellgewebes und der Fascien des rechten Handtellers, welche schmerzlos 
verlaufen. Seit einem Jahre Schmerzen und Verlust der Sensibilität der linken 
oberen Extremität, der Brust und des oberen Theils des Rflckens. 

Status praesens: Kräftiger Bau, reichliche Entwickelung des Unterhautfett¬ 
gewebes. Vergrösserung des Umfangs der ganzen rechten oberen Extremität, welche 
besonders im unteren Drittel des Unterarms, im Handgelenk, in der Hand und den 
Fingern in die Augen fällt. Hypertrophie der weichen Theile, als auch der Knochen, 
was durch eine Röntgen'sche Aufnahme Bestätigung findet. Am hinteren Theile 
des Kopfes, des Halses, an beiden oberen Extremitäten, an der Brust und am 
Rficken bis zur Höhe des 9. Wirbels partielle Störung der Sensibilität, Anästhesie 
und Thermoanästhesie bei voller Intactheit der Berflhrungsempfindlichkeit und des 
Druckgeffihl8. Weiter nach unten ist die Sensibilität vollkommen normal. Keinerlei 
Paresen, die motorische Kraft in den Händen herabgesetzt, hauptsächlich rechts. 
Dynamometer rechts = 15, links = 24. Keine Ataxie, Romberg’sches Symptom 
fehlt. An der Haut der rechten oberen Extrrmität viele Karben, in Folge von 
Verbrennungen. Auf der veutralen Seite des Daumens eine Narbe von einer Ent¬ 
zündung der tiefen Gewebe herrfihrend. Der rechte Zeigefinger im Zustande einer 
Beugecontractur als Folge einer Sehnenentzfindung. Im ganzen Gebiete der Anästhesie 
ein ekzemartiger Ausschlag, stellenweise auch Blasen mit serösem und eitrigem Inhalt. 
Vasomotorische Störungen in Form von blau-rotben Flecken und häufigem Kältegefühl 


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in den Extremitäten. Die Hautreflexe ein wenig herabgesetzt, hauptsächlich an den 
oberen Extremitäten, besonders an der rechten. An den unteren Extremitäten lassen 
sich etwas erhöhte Patellarreflexe nachweisen. Die elektrische Erregbarkeit der 
Muskeln und Nerven der rechten oberen Extremität ist fflr beide Stromesarten quan- 
titativ etwas herabgesetzt. Die Sphincteren functioniren normal; am Uterus und den 
Eierstöcken lässt sich ein gewisser atonischer Zustand bemerken. Alle anderen 
inneren Organe zeigen keine Abweichung von der Norm. Es unterliegt keinem 
Zweifel, dass wir es hier mit einer Syringomyelie des Halstheils und der oberen 
Hälfte des Brusttbeils des Bückenmarks zu thun haben in Anbetracht des Bestehens 
einer partiellen Anästhesie nnd charakteristischer trophischer Störungen. 

Die Besonderheiten dieses Falles äussern sich erstens im Fehlen einer Muskel¬ 
atrophie in den linken Extremitäten, der Brust und des Bückens, was recht selten 
beobachtet wird. In dieser Beziehung besteht eine Analogie mit den Fällen von 
Bossolimo und Kobra, wo bei der Section Veränderungen in den Vorderhörnern 
fehlten. Eine andere noch interessantere Besonderheit ist die Vergrösserung der 
ganzen oberen rechten Extremität. Aehnliche Fälle sind von Marie und Maisner 
unter dem Namen Cheiromegalie, von Schlesinger als Syringomyelie mit Makrosomie 
publicirt worden. Die Frage nach der Entstehung solcher Hypertrophieen, ob sie 
trophischen oder vasomotorischen Ursprungs ist, bleibt bis jetzt noch eine offene. 

Discussion: 

Prof. A. J. Koshewnikoff kann bei der vorgestellten Pat. keine Akromegalie 
zugeben, da die Vergrösserung einiger Maasse der rechten oberen Extremität durch 
Erkrankungen in den Gelenken und durch dieselben begleitende Oedeme in den 
Weichtheilen und Hypertrophie der letzteren erklärt werden können. 

Ferner betheiligten sich noch Bossolimo und Preobrashensky. 

Dr. N. E. Schön demonstrirte einen Kranken von 21 Jahren, welcher ver* 
schiedentliche Zeichen des Infatilismus darbietet Eine ausführliche Mittheilung Ut 
für eine der nächsten Sitzungen in Aussicht gestellt 

Dr. W. A. Samgin: Sin Fall von Lepra anaesthetioa mit Autopsie. 

Der Vortr. untersuchte die Haut, das Nervensystems und die inneren Organe 
eines Kranken, welcher an der anästhetischen Form der Lepra gelitten hatte, mikro¬ 
skopisch. Der Pat lebte und War gebürtig im Moskauer Gouvernement, wo die 
Lepra eine Seltenheit ist. Sein Leiden erstreckte sich auf 10 Jahre. Zu Ende 
seines Lebens verbreitete sich die Anästhesie über den ganzen Körper, ausser einem 
geringen viereckigem Felde zwischen den Schulterblättern. Dissociirte Sensibilitäts¬ 
störungen: die tactile Sensibilität, obgleich abgeschwächt, überall erhalten, Temperatur- 
und Schmerzgefühl erloschen. Paralysen im Gebiete des Ulnaris, Medianus, Peroneus 
nnd Facialis, Panaritium analgicum. Keine Verstümmelungen. Auf der Haut charak¬ 
teristische Flecken, welche zu Ende des Lebens der Pat. confluiren. 

Mikroskopische Untersuchung: ln der Haut inselförmige Infiltrate in der 
Umgebung der Gefässe; Bacillen nur dort, wo die Infiltrate frisch sind; an älteren 
Stellen, bei bindegewebiger Organisation der Infiltrate, schwinden die Bacillen. In 
den Nerven specifische Infiltrate; im N. ulnaris steigen sie von der Haut bis zum 
Plexus axillaris auf. Der N. peroneus ist ebenfalls von Infiltraten durchsetzt 
Myelinfasern fehlen bei allen diesen Nerven in Folge starker Entwickelung einer 
interstitiellen Neuritis. Wucherung von Fettgewebe in das Peri- und Epineurium. 
In den Infiltraten finden sich die Bacillen nur in geringer Zahl und nicht überall. 
In den hinteren Wurzeln aufsteigende secundäre Degeneration. Im Goll’schen Strang 
eine im Halsmurk besonders ausgeprägte Degeneration. In den Zellen der Hörner 
und der Ganglien werden keine Bacillen gefunden, es lässt sich nur eine vermehrte 
Pigmentation nachweisen. Die inneren Organe ohne lepröse Veränderungen. Der 
Vortr. ist der Meinung, dass seine Beobachtung die Ansicht unterstützt, welche die 

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lepröse Neuritis als Folge der unmittelbaren Invasion der Bakterien ans der Haut 
in die Nerven entstanden annimmt; die Veränderungen der Wurzeln und des Rücken¬ 
marks hält er für seoundäre. Unerklärlich bleibt der Umstand, den auch schon 
früher die Autoren hervorgehoben haben, warum bei der Lepra anaesthetica eine 
geringe Zahl von Bakterien eine interstitielle Neuritis hervorznrufen im Stande ist, 
während bei der Lepra tuberosa häufig auch eine grosse Quantität von Bakterien 
eine solche nicht zur Folge hat. 

Discussion: 

In Anbetracht der geringen Zahl von Bacillen, welche bei der Lepra anaesthetica 
gefunden werden, und auf Grund von einigen in der Litteratur vorhandenen Facta, 
ist Dr. Rossolimo der Ansicht, dass man bei dieser Form die Möglichkeit einer 
chronischen Einwirkung sowohl der Bacillen selbst, als auch der von ihnen prodn- 
cirten Toxine auf das Nervensystem zulassen kann. 

Ferner betheiligten sich Muratoff und Wersiloff. 

S. Orlowsky. G. Rossolimo. 

Sitzung vom 24. April 1898. 

Dr. G.J. Rossolimo: Hereditäre oerebellare Ataxie (Krankendemonstration). 

Der Vortr. beobachtete 3 Kranke — eine Schwester und 2 Brüder (die beiden 
letzteren werden demonstrirt) —, bei denen man erblicherseits bloss auf Alkoholismus 
des Vaters hinweisen kann; in der Verwandtschaft litt (nach Aussage der Mutter 
der Kranken) niemand weder an schwankendem Gange, noch am Schielen. Eine 
Schwester und 2 Brüder aus dieser Familie sind vollkommen gesund. 

1 . Olga Sch. (zweites Kind), unverheirathet, 29 Jahre alt, wurde rechtzeitig 
geboren, ohne Dystopieen, entwickelte sich physisch etwas langsam. Ist stets mittel- 
mässig begabt und etwas ungeschickt in ihren Bewegungen gewesen. Im 20. Jahre 
erhebliche Verletzung des rechten Kniees, wonach sie zunehmendes Schwanken beim 
Gehen und gleichzeitige Schwäche des rechten Beines bemerkte, etwas später Zittern 
und Unsicherheit beim Bewegen der Hände; in den letzten Monaten Diplopie. — 
Schmale, schräg abfallende Stirn, flacher Hinterkopf, beide 5. Finger kurz. 

Stat. praes.: Zittern und Unsicherheit der feineren Bewegung beider Hände; 
unregelmässige (atactische) Schrift mit leichtem Zittern. Atactischer (cerebellarer) 
Gang. Schwanken in aufrechter Haltung, Unvermögen auf einem Bein zu stehen. 
Bedeutende Entwickelung der Muskulatur beider unteren Extremitäten, links noch 
erheblicher. Ermüdungsgefühl in den Beinen. Erhöhung der Patellarreflexe. Paresis 
m. obliqui superioris dextri. 

2. Michael Sch. (das 6* Kind), 24 Jahre alt, rechtzeitig geboren, ohne 
Dystopieen, wuchs und entwickelte sich normal. Masturbirte seit seinem 14. Jahre. 
Mit 18 Jahren — nach einem 2 Monate andauerndem Fieber — stellte sich Schwanken 
beim Gehen, etwas später Unsicherheit in den Händen ein. Mit 19 Jahren aber 
wurde das Schielen, das auch bisher bestanden hatte, noch viel ausgesprochener, das 
rechte Auge ist ganz nach innen abgelenkt und Diplopie eingetreten. Diese Er¬ 
scheinungen haben sich beständig verstärkt. Der Pat. hat sieh niemals durch be¬ 
sondere geistige Fähigkeiten ausgezeichnet. 

Stat. praes.: Niedrige, schräg abfallende Stirn, flacher Hinterkopf, asymmetrische 
verstärkte Mimik. Lachlust. Paresis m. recti interni oculi utriusque. Unsicherheit 
bei feineren Bewegungen der Finger, etwas atactische Handschrift. Fähigkeit der 
Hyperextension der 2. Phalanx des linken Zeigefingers. Schwanken in aufrechter 
Haltung, Unvermögen auf einem Bein zu stehen. Atactischer (cerebellarer) Gang. 
Starke Entwickelung der Muskulatur der unteren Extremitäten, Ermüdungsgefühl in 
denselben. Erhöhung der Kniereflexe, leichter Fussclonus. Hemicranie. Undeutliche, 
stossweise erfolgende Sprache. 

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3. Nicolaus Sch. (das 6. Kind) ist rechtzeitig geboren, ohne Dystopieen; 
entwickelte sich normal, lernte mittelmässig. Im 10.—13. Jahre Masturbation. Mit 
13 Jahren begann Schwanken beim Geben sich einzustellen, das stetig progressirte. 
Verlangsamte Sprache. 

Stai praes.: Flacher Hinterkopf, schräg abfallende Stirn, verstärkte Mimik, 
kurze donische, choreiforme Zuckungen in der unteren und lntentionszuckungen in 
der oberen Gesicbtsmuskulatur. Sprache stolpernd, stossweise. Fistelstimme. Lach¬ 
lust. Unsicherheit bei feineren Bewegungen mit den Händen. Handschrift aus¬ 
gesprochen atactisch. Schwanken beim Aufrechtstehen. Unvermögen auf einem Bein 
zu stehen. Atactischer (cerebellarer Gang). Ermüdungsgefühl in den Beinen. 
Fussrücken stark gewölbt. Wahre Hypertrophie der Hüft- und Unterschenkel¬ 
muskulatur. Paresis m. recti int. dextri. Hemicranie. 

Diagnose: Ataxia cerebellaris hereditaria. Familiäre Besonderheiten der Fälle: 

1. Paresen der Mm. interni (Fall 1 n. 2) und des Obliq. sup. (in den früheren 
Beobachtungen häufiger des Bectus int). 

2. Wahre Hypertrophie der Muskeln der unteren Extremitäten, in Folge ver¬ 
stärkter Bemühung das Gleichgewicht zu erhalten. 

3. Andere dem Beginn der Ataxie vorhergehende Erkrankungen: Beschädigung 
des Kniees mit langandauernder Bettbehandlnng (Fall 1); fieberhafte Erkrankung 
(Fall 2); anhaltende und häufige Masturbation (Fall 2 u. 3). 

Discussion: 

Prof. Koshewnikoff erwähnt die Beobachtung von Pelizäns (familiäre disse- 
minirte Sclerose), die man ebenfalls unter die Zahl ähnlicher Fälle einreihen kann. 
Ausserdem hält er die Annahme für nothwendig, dass in Fällen von hereditärer 
cerebellarer Ataxie die mangelhafte Entwickelung, abgesehen von dem Kleinhirn, 
auch andere Theile des Nervensystems betrifft (das Bückenmark im Fall von Nonne), 
hauptsächlich aber die motorischen Theile desselben. 

Dr. S. Nalbaudoff: Zur Symptomatologie der Syringomyelie (Typus 
Morvan). 

Der Vortr. stellt ein krankes Mädchen vor, welche er anfangs in der Klinik des 
Prof. Koshewnikoff, später in der Ambulanz beobachtet hatte. Anfang der Krank¬ 
heit, Ende des Jahres 1895, in Form multipler schmerzhafter Panaritien, die gleich¬ 
zeitig mit anderen trophischen Störungen (oberflächliche Blasenbildung, Gangrän der 
Endphalangen) wiederholt an Händen und Füssen auftraten. Diese Erscheinungen 
dauerten bis zur letzten Zeit fort Von anderen Symptomen konnten ausser all¬ 
gemeinen hysterischen Erscheinungen Herabsetzung sämmtlicher Qualitäten der Haut¬ 
sensibilität im Gebiet der Hände und Füsse und ebenso der oberen Aeste beider 
Trigemini constatirt werden. — Der Vortr., bei seiner Patientin das Bestehen der 
Syringomyelie annehmend, hebt die diagnostische Bedeutung der schmerzhaften Pana¬ 
ritien als ein Frühsymptom der Syringomyelie hervor, welches dem allgemeinen 
Krankheitsbilde vorhergeben kann. Die Bildung schmerzhafter Panaritien als Einzel¬ 
symptom berechtigt, nach der Meinung des Vortr., zur Annahme eines trophischen 
oder vasomotorischen Centrums, welches streng im Bückenmark localisirt ist. 

An der Discussion nahmen Theil Dr. Preobranshensky, Prof. W. Both, 
Dr. Muratoff. 

Dr. L. Minor: Syringomyelitisohe Dissooiation der Sensibilität bei 
transversalen Myelitiden (auf Veranlassung des Artikels von Prof. Marinesco); 
cf. Originalmittheilung 3 in dieser Nummer. 1 

A. Bernstein. W. Murawieff. 


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III. Versammlung mitteldeutscher Psyobiater und Neurologen in Jena 

am 1. Kai 1898. 

(Schloss.) 

II. Sitzung Nachmittags 1 Ohr. 

Vorsitzender Mayser lässt Ober den nächsten Versammlungsort abstimmen; als 
solcher wird einstimmig Dresden, zu Geschäftsführern werden p. a. Gauser und 
Pierson, zum Gassenffihrer wird Ilberg gewählt. 

Laudenheimer: Ueber nervöse und psyohisohe Störungen der Oummi- 
arbeiter. 

Die beim Vulcanisiren des Gummi durch Einathmung von Schwefelkohlenstoff 
entstehenden Vergiftungen, die wegen ihrer atypischen Bilder für den Ungeübten oft 
schwer diagnosticirbar sein können, hat Vortr. in mehr als 60 Fällen studirt. Er 
unterscheidet: 

I. Allgemeine somatische; II. Nervöse; III. Psychische Störungen. Allen Formen 
ist eine Art Prodromalstadium gemeinsam, bestehend in Schläfenkopfschmerz, in 
gastrischen Beschwerden, in Schwindel und Müdigkeit in den Beinen. ‘ 

Ad II. sind peripherische (neuritische) und centrale (functionelle?) Affectionen 
zu unterscheiden. Erstere sind selten und treten nur bei directem Contact der Haut 
mit CSg-Flüssigkeit auf. Letztere (Schwefelkohlenstoffneurosen) haben einen viel* 
gestaltigen Symptomencomplex, der zwar hysterische und neurasthenisch hypochon¬ 
drische Züge enthält, sich jedoch durch die acute Entstehung und vorwiegendes Be¬ 
fallensein der unteren Extremitäten [Schwäche bis Parese — Pseudotabes (!)] von 
den genannten Neurosen unterscheidet. 

Ad III. berichtet Vortr. über 25 in der Zeit von 13 Jahren beobachtete Psy¬ 
chosen nach Schwefelkohlenstoffintoxication. Oefter kommen im Anschluss an gewisse 
Schädlichkeiten localer Art (schlechte Ventilation u. A.) gruppenweise Erkrankungen 
in einzelnen Betrieben vor. Voraussetzung ist eine gewisse Disposition. In schweren 
Fällen findet sich stets hereditäre Belastung. Die Psychose bricht durchschnittlich 
3—4 Wochen nach Uebernahme des Vulcanisirens aus. Arbeiter, die in den ersten 
zwei Monaten nicht erkrankten, bleiben in der Begel psychisch gesund. 

Vortr. unterscheidet folgende Formen der Geistesstörung: 

a) maniakalische; meist typische Manie, häufig kurze hypochondrische Episoden, 
ferner ausgesprochene motorische Symptome (Tremor, Pupillendifferenz u. s. w.) Aus¬ 
gang in Heilung nach 2—3 monatlicher Dauer; 

b) depressive; dem hallucinatorischen, depressiven Wahnsinn gleichende Bilder. 
Dauer der heilbaren Fälle ca. 3 Monate. Oft Unheilbarkeit; 

c) stuporöse; 

«) katatonisch-hebephrenische Erankheitserscheinnngen mit schlechter Prognose; 
ß) acuter, heilbarer Stupor (Dementia acuta Kräpelin’s). Charakteristisch 
für die ganze Gruppe ist Weite und Trägheit der Pupillen; 

d) einfache Demenz; namentlich nach lange andauernder Gifteinwirkung (Ge- 
dächtnisssch wache); 

e) Charakterveränderung im Sinne eines moriatischen Wesens. Die Therapie 
hat der allgemeinen Indication zu genügen. Wichtiger ist die Prophylaxis, bezüglich 
deren Vortr. eine Reihe gewerbehygienischer Maassnahmen vorschlägt, die auf Grund 
reichsgesetzlicher Regelung obligatorisch werden müssten. (Ausführliche Publication 
erfolgt später.) 

Köster: Experimenteller und pathologiseh-anatomisoher Beitrag aur 
Lehre von der chronischen Schwefelkohlenstoffvergiftung (mit Demon¬ 
strationen); cf. Original-Mitthoilung II in Nr. 11 dieses Centralblattes. 


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Stintzing: Beitrag sur Lehre vom Tetanus. 

Vortr. glaubt, man solle auch ungünstige Fülle berichten, um über den Werth 
der Antitoxine ein Urtheil zu gewinnen. Auf seine Klinik kam ein Mann, der sich 
bei der Arbeit im Steinbruch eine Bisswunde am linken Oberschenkel zugezogen 
hatte. Nach 8 tägiger Erkrankung brach Tetanus aus. Am 16. Tage nach der 
Verletzung starb der Patient Bei der Section fand sich unterhalb der chirurgisch 
behandelten Wunde ein zweiter Eiterherd, der ziemlich tief lag, darum der Operation 
entgangen war; derselbe enthielt massenhaft Tetanusbacillen. Es war Höchster’« 
scbes und Merck’sches Antitoxin zur Anwendung gekommen. Vortr. meint, dass 
dieser Fall natürlich nichts für noch gegen die Serumbehandlung beweise. Von be¬ 
sonderem Interesse sind die Impfversuche, die Vortr. machte. Er nahm bei diesem 
Kranken Spinalpunction vor. Dieselbe ergab Steigerung des Druckes (322 mm herab¬ 
gesetzt nach der Punction auf 170 mm). Die Spinalflüssigkeit wurde mit positivem 
Ergebnisse überimpft; die Giftigkeit derselben sank im Laufe des Tages. Die Ueber- 
impfung von Blut gab keine Infection, während bei Blutimpfungen von Thier auf 
Thier toxische Wirkungen beobachtet sind. 

Diese Thatsachen beweisen, dass nicht das Blut allein der Träger der Toxine 
ist; vielleicht folgen dieselben den Nervenbahnen (Bahnen der Endolymphe). Was 
die anatomische Untersuchung anbelangt, so war dieselbe positiv; die Ganglienzellen 
zeigten sich afflcirt; ob dies aber unbedingt dem Tetanusgifte zuzuscbreiben ist, wie 
Goldscheider meint, möchte Vortr. nicht behaupten. 

Gebhardt zeigt der Versammlung eine blassviolette, vollkommen reactionslose, 
colloide und sterile Flüssigkeit, die eine durch Dialyse gewonnene Auflösung von 
Gold in Wasser (1:1000) darstellt. Gewonnen wurde dieses Präparat von Szig- 
mondy (Jena). 

Ilberg: Die Bedeutung der Katatonie. 

Vortr. legt grossen Werth auf die Anschauung der von Kahlbaum entdeckten 
Katatonie als selbständiger Krankheitsform, da die hierher gehörenden Fälle nach ihren 
Symptomen, nach Zeit des Beginnes, nach Verlauf und Ausgang weitgehende Ueber- 
einstimmung zeigen und durchaus nicht selten sind. Vortr. skizzirt dann die be¬ 
kannten katatonischen Symptome und demonstrirt eine grosse Anzahl interessanter 
katatonischer Schriftstücke, die die von Neisser geschilderten Eigentümlichkeiten 
aufweisen. Die katatonischen Symptome sind für die Diagnose der Krankheit eine 
conditio sine qua non; sie kommen aber ausserdem vor bei angeborenem und secun- 
därem Schwachsinn, bei periodischer Seelenstörung, bei Amentia, Hysterie, Dementia 
paranoides und Paralyse. 

Wichtig ist der Wechsel im Zustandsbild so zwar, dass entweder nach der 
„Kahlbaum’schen Angabe auf die Melancholie, eine Manie, der Stupor, eine Ver¬ 
wirrtheit und der terminale Blödsinn folgt, wobei zwischen den einzelnen Stadien 
Bemissionen eintreten können, die sich oft über viele Jahre erstrecken. In „Sonnen¬ 
stein“ starben zwei Katatoniker 15 bezw. 24 Jahre nach Beginn des Leidens; ein 
Kranker lebt noch daselbst, der 40 Jahre lang Katatoniker ist-. Im Gegensatz zu 
Kahlbaum und Schüle und in Uebereinstimmung mit Kraepelin hält Vortr. die 
Prognose der Krankheit stets für schlecht. 

Nachdem der körperlichen Begleiterscheinungen und der Krampfzustände gedacht 
wurde, macht Vortr. einige casuistische Mittheilungen. 20 von ihm beobachtete 
Fälle begannen durchschnittlich im Alter von 24 Jahren, der früheste Fall ent¬ 
wickelte sich im 15., der späteste im 30. Lebensjahre. Die ursprüngliche Befähigung 
war bei der Hälfte gut, bei der Hälfte mässig. Die Hälfte der Kranken waren 
Kopfarbeiter. 45°/ 0 war erblich belastet, davon nur 30°/ o direct. Sichere äussere 
Ursachen waren nicht zu erkennen. Vier männliche Gehirne hatten ein Durch¬ 
schnittsgewicht von 1502 g (incl. weichen Hirnhäuten und 50 g Liquor cerebralis). 
Die Hemisphären waren gleich schwer; das Gewicht des Gehirnstammes verhielt sich 

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za dem des Kleinhirns, za dem des Hirmnantels, wie 10:11:79. Die Hirnrinde 
zeigte mikroskopisch normale Gefasse und Nervenfasern; ein Theil der Ganglienzellen 
war atrophirt. Viele Ganglienzellen waren von Beihen von Nearogliakernen um¬ 
geben. Obwohl die Hebephrenie and die Katatonie mancherlei verwandtschaftliche 
Beziehungen haben, kann sich Vortr. nicht fQr die Zusammenfassung dieser beiden 
Krankbeitsfonnen, wie dies Aschaffenburg vorschlägt, erklären und bestreitet die 
Nützlichkeit der von Schfile vorgenommenen Unterordnung der tbatsächlichen Kata¬ 
toniefälle unter die primäre Demenz. Es giebt Uebergangsformen zwischen Katatonie 
und Hebephrenie und zwischen Katatonie und der klinisch sehr wichtigen Dementia 
paranoides Kraepelin’s. 

Discussion: Binswanger steht hinsichtlich der Katatoniefrage auf dem Boden 
der Schüle'schen Auflassung. Er rechnet die Katatonie zu den degenerativen Psy¬ 
chosen und findet die erbliche Degeneration überwiegend, er ist deshalb überrascht 
von der relativ niedrigen Erblichkeitsziffer bei den Ilberg’schen Fällen. 

Ziehen beschränkt sich in Anbetracht der vorgerückten Zeit auf eine kurze 
Mittheilung über eine neue Methode der Entlarvung der Simulation einer halbseitigen 
hysterischen Taubheit bezw. Blindheit. Dieselbe beruht im wesentlichen darauf, dass 
die zu Untersuchende — welche beispielsweise linksseitige Taubheit angiebt — 
vorgesprochene Worte theils bei geschlossenem, theils bei offenem rechten Ohre 
nachzusprechen aufgefordert wird. Sie spricht dabei nur diejenigen Worte nach, 
welche ihr bei offenem rechten Ohre vorgesprochen worden. Nach etwa 10—15 Min. 
fordert man die zu Untersuchende auf, die nachgesprochenen Worte zu wiederholen. 
Die Simulation vermag nun, entsprechend bekannten psychologischen Thatsachen, sich 
nicht mehr zu erinnern, welche Worte sie nachgesprochen hat und welche nicht. 
Die Einzelheiten der praktischen Durchführung der Methode sind in der ausführ¬ 
lichen Mittheilung (Monatsscbr. f. Psych. u. Neurolog.) nachzulesen. 

Hösel: Ueber einige seltene secundäre Degenerationen nach Herden 
in der Insel und im Thalamus optious (mit Demonstrationen). 

Vortr. demonstrirt Weigert-Präparate von einem Gehirne, welches einen Herd 
in der linken Insel mit Uebergreifen desselben auf den Fuss des Stabkranzes der 
vorderen Centralwindung und unteren Stimwindung und einen zweiten Herd im 
Thalamus opticus aufwies, der dessen ganzes ventrales Kernlager und das des lateralen 
Kerns in seiner hinteren Hälfte zerstört hatte. Von den secundären Veränderungen, 
die diese ein Jahr alten Herde hervorgerufen hatten, besprach Vortr. folgende, seines 
Wissens bisher noch nicht beobachteten Befunde: 

1. Der vordere Thalamuskern war vollständig geschwunden (erste positive 
Beobachtung). Mit Bezugnahme auf die Monakow’sche Arbeit über die Binden¬ 
zonen der Tbalamuskerne spricht Vortr. die Ueberzeugung aus, dass das Paracentral¬ 
läppchen zwar nicht sicher als corticale Zone des vorderen Thalamuskerns auszu- 
schliessen, dass aber die hinteren Abschnitte der unteren Stirnwindung wahrscheinlich 
das corticale Bindencentrum sei; die obere Stimwindung glaubt er ausschliessen zu 
müssen. 

2. macht Vortr. auf die auffallende Thatsache aufmerksam, dass trotz totalen 
Schwundes des vorderen Thalamuskemes und trotz des langen Bestehens des Leidens 
das Vicq-d’Azyr’sche Bündel erhalten war; dann zeigte er, dass das Forel’sche 
Feld H 2 ebenfalls secundär degenerirt war. Am entwickelungsgeschichtlichen Prä¬ 
parate, welches dieses Feld isolirt markscheidenhaltig aufwies, erklärte er Verlauf, 
Ursprung und Ende des Bündels. 

3. demonstrirte er die Zerstörung des äusseren und ventralen Kemlagers des 
Thalamus bei fast vollständigem, trotz einjährigen Bestehens des Leidens Erhalten¬ 
sein des Schleifenhaupttbeils und gab der Versammlung anheim, zu entscheiden, ob 
nach diesem Befund die Lehre Monakow’s von der Unterbrechung der ganzen 

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Schleife im Thalamus opticus haltbar oder ob nicht vielmehr seine Auffassung vom 
directen Verlauf der Bindenschleife die richtigere sei (ausführliche Veröffentlichung 
folgt später). 

Haenel berichtet über einen bisher noch nicht beobachteten Tumor der Dura 
mater, den er in genauester Weise makro- und mikroskopisch untersuchte und mit 
dem Namen Neuroganglioma myelinicum verum belegt. Der sehr interessante Vor¬ 
trag entzieht sich leider dem Rahmen eines kurzen Referates. 

Bnchholz demonstrirt die Photographie einer an Lues cerebri leidenden Frau 
mit einseitigem Oraefe’Bchen Symptom, sowie Photographieen der unteren Extremi¬ 
täten einer an Tabes dorsalis leidenden Frau mit merkwürdigen Knochen- und Ge¬ 
lenkveränderungen; ferner Röntgen-Aufnahmen von besonderer Klarheit, dieselbe 
Kranke betreffend, welche die Veränderungen in anschaulichster Weise zeigten und 
Aufnahmen der beiden Hände eines jungen Mädchens, welches an cerebraler Kinder¬ 
lähmung leidet. Skelett sowohl als Weichtheile der rechten Hand sind erheblich 
atrophirt. Die ganze rechte Körperhälfte blieb gegenüber der linken im Wachsthum 
zurück. Vortr. berichtet noch unter Demonstration von Präparaten und Zeichnungen 
über einen Fall von secundärem Gehirncarcinom, welcher durch die ausserordentlich 
grosse Zahl der Carcinomknoten und durch den Sitz einzelner derselben ausgezeichnet 
ist (der Vortrag wird ausführlich veröffentlicht werden). 

Matth es demonstrirt Büokenmarksveränderungen bei Poliomyelitis 
acuta (Niss 1-Präparate). 

Binswanger verzichtet mit Rücksicht auf die vorgeschrittene Zeit auf eine 
ausführliche Demonstration seiner pathologisch-histologischen Präparate (über Lympb- 
circulationen in der Grosshimrinde und über arteriosklerotische Hirndegeneration), 
und beschränkt sich auf die Demonstration von Zeichnungen. Er hofft, seine Mit¬ 
theilungen im Herbste in Dresden machen zu können. 

Nach Schluss der Versammlung vereinte ein Festmahl sämmtliche Theilnehmer. 

Friedländer (Jena). 


Verein für Psychiatrie und Neurologie in Wien. 

Sitzung vom 15. Juni 1897. 

(Wiener klin. Wochenschr. 1897. Nr. 26.) 

Dr. von Sölder demonstrirt 3 Fälle von Syringomyelie mit eigenartiger 
Abgrenzung der dissooiirten Empfindungslähmung am Kopfe. 

1. Fall. 30jähr. Frau, seit einem Jahre krank. Verlauf progressiv. Kypho¬ 
skoliose, rechte Pupille eng, ausgedehnte Atrophieen und fibrilläre Zuckungen in 
Muskeln des 8cbultergürtels und der rechten oberen Extremität. Spastische Parese 
des rechten Beins mit entsprechender Gangstörung; Patellarreflexe gesteigert, rechts 
stärker wie links. Rechtsseitige Anidrosis. Berührung»- und tiefe Sensibilität un¬ 
gestört; Schmerz- und Temperaturempfindung herabgesetzt oder aufgehoben in einem 
zusammenhängenden, symmetrisch vertheilten Gebiete, das die obersten Partieen des 
Thorax, die Radialseite beider oberer Extremitäten, Hals und Hinterkopf einnimmt. 
Die Grenze gegen das gut empfindende Gesicht verläuft von der Scheitelhöhe zur 
Ohrmuschel, geht auf die Rückseite der letzteren über, quert sie dann und verläuft 
an der Vorderseite über den ganzen Antihelix und Antitragus, zieht dann nach vorn 
qner über den Masseter, wendet sich im Bogen nach abwärts und kreuzt den Unter¬ 
kiefer in der Mitte zwischen Kinn und Kieferwinkel. Zwei Querfinger hinter der 
Kinnspitze schneidet sie die Mamillarlinie. 

2. Fall. 26jähr. Mann, seit 3 Jahren krank. Kyphoskoliose. Ausgebreitete 
degenerative Atrophie am Schultergürtel mit entsprechender Lähmung, leichte Ab- 


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magerung des rechten Arms. Rechtsseitige Posticusläbmung, rechtsseitige spastische 
Hemiparese, allgemeine Reflexsteigeriing. Ausgedehnte dissociirte Anästhesie und 
geringe tactile Hypästhesie an Rumpf und Extremitäten. Im Beginne der Beobach¬ 
tung vor etwa einem halben Jahre stand die Grenze der Sensibilitätsstörung am 
Halse und zog von der Haargrenze im Hacken gegen den Kieferwinkel und zum 
Kehlkopf. Allmählich rückte diese Grenze nach oben und zwar am Hinterkopfe 
stärker als vorn. Während einiger Zeit war die Grenzlinie genau die gleiche wie 
im ersten Falle, nur hat sie sich in toto noch nach vorn verschoben. 

3. Fall. 27jähr. Mann. Seit einem Jahre progressive Muskelatrophie an 
Schultergßrtel und oberen Extremitäten. Patellarreflexe gesteigert. Dissociirte Em¬ 
pfindungslähmung am SchultergQrtel; die obere Grenze links steigt von der Haar¬ 
grenze im Nacken zum Kehlkopf ab, rechts von ungefähr dem hinteren Ende der 
Pfeilnaht in sanftem, nach vorn convexem Bogen zum oberen Pol der Ohrmuschel 
und dann weiter bis unter das Kinn wie im ersten Falle. 

Die üebereinstimmung der Befunde in den drei Fällen zeigt, dass die gefundene 
Sensibilitätsgrenze und die Art ihres Vorr&ckens den gesetzmässigen Typus für eine 
spinale, in die Oblongata vorrückende Querschnittsläsion (Syringomyelie) darstellt 

In zwei von den Fällen Lähr’a waren ähnliche Sensibilitätsbefunde am Kopfe 
beobachtet worden. Die in den Fällen gefundene Scheitel-Ohr-Kinnlinie wurde in 
derselben Weise von Kocher nach Stichverletzung des obersten Cervicalmarks be¬ 
schrieben. Eine genauere toxische Diagnose der anatomischen Läsion lässt sich aus 
der Sensibilitätsstörung am Kopfe bisher nicht geben. 

Dr. J. Zappert: Beitrag zur Caauiatik der sogen. Pseudoparalyse here¬ 
ditär syphilitischer Kinder. 

Vortr. berichtet über ein 14 Tage altes, hereditär-syphilitisches Kind, welches 
eine Parese beider Arme, rechts stärker als links, darbot. Am rechten Humerus 
anscheinend Crepitation, welche als Ausdruck einer syphilitischen Osteochondritis mit 
Epiphysenlösung aufgefasst wurde. Die Obduction ergab keine Knochenaffection an 
den Armen. Im Cervicalmarke bestand bis zum oberen Drittel des Dorsalmarks eine 
Meningitis mit Verdickung der Pia und Verwachsung derselben mit dem Rücken¬ 
marke. Degeneration der hinteren Wurzeln, welche scharf an der von Obersteiner- 
Redlich beschriebenen Einschnürungsstelle einsetzte. Starke Degeneration in den 
vorderen Wurzeln; alle Veränderungen rechts stärker ausgesprochen. 

Vortr. sieht in den Veränderungen des Rückenmarks die Ursache für die Arm¬ 
parese. Es ist durch diese Beobachtung erwiesen, dass die sogen. Pseudoparalysis 
syphilitica öfter durch Rückenmarksveränderungen bedingt sein möchte, besonders 
diejenigen Fälle, in welchen die Knochenerkrankung, die Schmerzhaftigkeit fehlt und 
beiderseitige Lähmungen auch in Combination mit Contracturen auftreten. 

Dr. v. Sölder bespricht unter Demonstration der histologischen Präparate einen 
Fall von Rüokenmarkserweiohung mit Polyneuritia. (Wird anderweitig publicirt) 

Sitzung vom 9. November 1897. 

(Wiener klin. Wochenschr. 1897.) 

Dr. A. Bum: Die mechanische Behandlung der tabisohen Ataxie. 

Vortr. bespricht die von Frenkel angegebene Methode in ziemlich eingehender 
Weise. Seitdem Vortr. das Verfahren übt, hat auch er recht günstige Resultate zu 
verzeichnen. In vier noch in Behandlung befindlichen, mittelschweren Fällen von 
tabischer Ataxie trat nach 3—9 wöchentlicher Anwendung der Uebungstherapie -mehr 
oder weniger deutliche Besserung der Incoordinntion der oberen, bezw. der unteren 
Extremitäten ein. Vorstellung der Kranken. 

Dr. Erben bat Jahre hindurch bei Tabikern Uebungen mit Hülfe einfacher, auf 
dem Boden gezeichneter Striche angestellt, die Resultate wurden aber erst dann be- 

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friedigende, als die Kranken einer systematischen Behandlung mit der Frenkel'schen 
Methode unterworfen wurden. 

Dr. von Sölder demonstrirt ein 9jähr. Mädchen mit infantiler Pseudo¬ 
bulbärparalyse als Theilersoheinung einer spastischen Diplegie mit bi¬ 
lateraler Athetose. 

Das Kind ist hereditär nicht belastet; normale Geburt Die Entwickelung der 
ersten 5 Jahre war eine ungestörte. Fat lernte erst mit 2 Jahren, aber sonst in 
ganz normaler Weise gehen und war ein kluges Kind. Seit dem 6. Lebensjahre 
allmählich ohne anderweitige Begleiterscheinungen Entwickelung des jetzigen Zustandes, 
zuerst Ergriffensein des rechten Beins mit Schlechterwerden der Sprache, später Er¬ 
krankung des rechten Armes, ein weiteres Jahr später des linken Beines und um 
diese Zeit Auftreten von Kaustörungen. Seit mehr als einem Jahr ist auch der 
linke Arm gestört und hat Pat. Schlingbeschwerden. Einmal vorübergehende Besserung 
in den ersten zwei Jahren. 

Status praesens: Kleines, graciles Kind, körperlich und geistig zurückgeblieben, 
aber nicbt verblödet. Spastisch-paretischer Gang mit gespreizten Beinen, der linke 
Fuss in maximaler Equinovarusstellung, der rechte Fuss pronirt. Lordose der 
Lendenwirbelsäule, mangelhaftes Aequilibrium (Bumpfmuskelschwäche). Keine cere- 
bellare Ataxie; sie fällt leicht beim freien Gehen, während des Ganges athetotiscbe 
Bewegungen in der unteren Gesichtshälfte und in den oberen Extremitäten, in letzter 
Zeit auch leichte Bewegungen in der Buhe. Hochgradige Muskelschwäche ohne 
Lähmung an den oberen Extremitäten, leichter Bigor im linken Arm, an den unteren 
Extremitäten starke Spasmen. Leichte Athetose bei willkürlichen Bewegungen und 
als Mitbewegung. Patellarreflexe lebhaft, rechts stärker als link6. Die Sprache ist 
bulbär, fast unverständlich,' Orbicularis oris und Kanmuskulatur paretisch. Die 
Nahrung wird gar nicht gekaut, der Schlingact an sich ist nicht gestört Facialis 
elektrisch normal erregbar, keine Muskelatrophieen im Bereiche des Kopfes. Die 
obere (Jesichtshälfte, die Augenmuskeln, Spbincteren, Sinnesorgane wiesen keine Stö¬ 
rungen auf. Keine Progression der Erscheinungen während einer 6 monatl, Beobachtung. 

Vortr. nimmt an, dass der vorliegende Symptomencomplex von Glossolabial- 
parese, spastischer Diplegie, doppelseitiger, intentioneller Athetose der Gruppe der 
cerebralen Kinderlähmungen zuzuzählen sei. Bemerkenswerth ist das späte Auftreten 
und die langsame Entwickelung des Leidens. 

Sitzung vom 14. December 1897. 

(Winer klin. Wochenschr. 1898. Nr. 1.) 

Dr. Infeld demonstrirt einen chronisohen progressiven Fall von Muskel- 
krftmpfen. 

Der löjähr. Pat. leidet seit dem 9. Lebensjahre an Krämpfen; es treten unwill¬ 
kürliche Bewegungen zuerst im Gesichte, dann am Kopfe, Schultergürtel und der 
Hand auf, öfter Ausstossen von inspiratorischen Lauten, wie von Wörtern. Die 
Krämpfe sind fast continuirlich, die Beihenfolge unregelmässig. Die einzelnen Con- 
tractionen sind weder deutlich tonisch, noch sehr rasch; die Bewegungen sind an 
der unteren Gesichtsbälfte, am Hake und am Schultergürtel am meisten, am ge¬ 
ringsten in der Muskulatur der Halseingeweide ausgesprochen. Psychische Erregungen 
steigern die Krämpfe; Pat. kann sie nicht willkürlich unterdrücken, im Schlafe 
cessiren sie. Intendirte Bewegungen werden durch die Krämpfe nicht gestört. In 
Bezug auf Stimmung und Charakter keine Aenderung. Die Sensibilität vollkommen 
erhalten, die Beflexe normal, ebenso der elektrische Befnnd. Physikalischer Befund 
der inneren Organe, vegetabile Fnnctionen normal. 

Vortr. betont, dass der Fall in keine der bekannten Krankheitsgruppen passt, 
am ähnlichsten wäre er noch der chronischen progressiven Chorea. 

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Hofrath v. Krafft-Ebing stimmt der Ausf&hrung des Vortr. bei, dass es sich 
um einen der chronischen Chorea ähnlichen Symptomencomplex handelt. 

Elschnig berichtet Ober je einen Fall von Augenmuskellähmungen duroh 
metastatisohes Caroinom der A ugenmuskeln und metastatisohes Oaroinom 
des Sinus 'cavernosus. (An anderer Stelle publicirt.) 

Schlagenhaufer demonstrirt und bespricht eine Methode, wasserhaltige 
Präparate am Mikrotom zu zerlegen. (Anderweitig publicirt.) 

Hofrath v. Erafft-Ebing berichtet über die Aetiologie von 100 Fällen von 
Paralysis agitans seiner eigenen Beobachtung. 

Die Fälle von dieser Erkrankung betrugen 0,22 °/ 0 des gesammten Materials 
im Bereiche der Nervenkrankheiten. Es handelte sich um 60 Männer, 40 Frauen. 
Aus höheren Ständen stammten 38, aus niederen 62; die Morbidität der Israeliten 
war, procentuell gerechnet, 8 Mal grösser als die der Christen. Die Alterstabellen 
des Vortr. ergeben die grosse Seltenheit der Paralysis agitans in jüngeren Jahren 
und im Qreisenalter, der grösste Procentsatz der Erkrankungen fiel ins 5. Decennium 
bei beiden Geschlechtern. Unverkennbar war hier der Einfluss involutiver Vorgänge 
im Organismus, erbliche oder sonstige Veranlagung spielt eine sehr geringe Bolle. 
Psychisches Trauma bildete bei 13 Männern und 9 Frauen die Veranlassung zum 
Ausbruche der Krankheit; mechanisches Trauma bei 4 Männern, 1 Frau; Durch- 
nässung bei 6 Männern, 1 Frau; apoplectischer Insult bei 2 Männern; acute Krank¬ 
heiten bei 6 Männern, 4 Frauen. In Fällen von mechanisch wirksamem Trauma 
entwickelte sich regelmässig das Leiden von der Stelle des Traumas ans. Bei 
10 Männern und 7 Frauen entwickelte sich die Krankheit ohne Gelegenheitsursache 
in unmittelbarem Anschlüsse an Involutionsvorgänge. 

Vortr. weist den neuerlich von Koller, Bedlich u. a. gemachten anatomischen 
Befunden im Sinne einer perivasculären Sclerose nur die Bedeutung einer erworbenen 
Prädisposition zu und vermuthet die Aetiologie des Leidens darin, dass bei einem in 
solcher Weise disponirten, anatomisch nicht integren, zudem in einer physiologischen 
Phase der Begression befindlichen Individuum dasselbe treffende Schädlichkeiten (be¬ 
sonders psychisches oder mechanisches Trauma, acute Erkrankungen) die Krankheit 
hervorrufen können. H. Schlesinger (Wien). 


XXTTI. Wanderversammlung der südwestdeutschen Neurologen und Irren¬ 
ärzte zu Baden-Baden am 21. und 22. Mai 1898. 

Erste Sitzung vom 21. Mai, Nachmittags 2 1 / 2 Uhr, im Conversationshause zu 
Baden: Eröffnung durch den ersten Geschäftsführer Director Dr. Franz Fischer 
(Pforzheim). 

Zum Vorsitzenden für den ersten Tag wird Geh. Bath Prof. Dr. Hitzig (Halle) 
gewählt. 

Schriftführer: Dr. Leop. Laquer (Frankfurt a./M.). Docent Dr. A. Hoche 
(Strassburg i./E.). 

Anwesend sind 91 Theilnehmer. 

Nach Erledigung geschäftlicher Angelegenheiten und nach Verlesung mehrerer 
. Entschuldigungsschreiben werden am ersten Tage folgende Vorträge gehalten: 

Geh. Bath Prof. Dr. Erb (Heidelberg): Ueber intermittirendes Hinken 
und andere nervöse Erscheinungen in Folge von Arterienerkrankung. 

Das Symptomenbild des „intermittirenden Hinkens“, von den Thierärzten schon 
lange bei Pferden beobachtet, ist von C har cot in die menschliche Pathologie ein- 
geführt und mit der Obliteration der grossen Gefössstämme der unteren Extremitäten 
(Aorta, Iliacae, Femorales) in Zusammenhang gebracht worden; später stellte es sich 

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heraus, dass es beim Menschen weit häufiger durch Arteriitis and Phlebitis der 
kleinen und kleinsten Gefässe ausgelöst würde. 

Der Vortr. berichtet über einen typischen, sehr bemerkenswerthen Fall dieses 
Leidens. — Ein Mann von 54 Jahren, seit 1894/95 an einem Gefühl von Schwere 
in den Beinen leidend, bekam 1896 rascheres Ermüden, das in der Buhe sofort 
verschwand; schmerzhafte Spannung in der Wade, Parästhesieen, vasomotorische 
Störungen, Absterben einzelner Zehen, Krampf — alles nach 5—10 Minuten Gehens so 
gesteigert, dass Pat. nicht mehr weiter kann; nach wenigen Minuten Buhe tritt Erholung 
ein. Pat. kann wieder springen, tanzen u. s. w. Nach 5—10 Minuten Wiederholung der 
Störung u. 8. f. Im Uebrigen ist Pat., bis auf geringe Neurasthenie, gesund. Auf Grund 
des objectiven Befundes an den unteren Extremitäten: Cyanose, Kälte, locale Blässe und 
Fehlen der Pulse aller vier Fussarterien und der Popliteae erschien 
die Diagnose zweifellos: „intermittirendes Hinken“ in Folge von Arteriosderose. 
Als Aetiologie kamen in Betracht: Frühere Syphilis, übermässiger Tabakmissbrauch 
und geradezu unsinnige Erkältungs-Schädlichkeiten (5 Jahre lang täglich 
applicirte starke Kneipp’sche Güsse, vielstündiges, oft wiederholtes Waten in kalten 
Gebirgswässern beim Fischen, Durchnässungen u. s. w.); Neurasthenie. Die Therapie 
bestand in galvanischen Fussbädern, Buhe, Wärme, Kal. joda. und Strophant, später in 
systematischen Gehübungen und hatte einen glänzenden Erfolg. — Pat. konnte schliess¬ 
lich, ohne Beschwerden, bis zu einer Stunde gehen. Vortr. geht nicht näher auf 
die vielfachen fremden und auf etwa ein Dutzend eigener Beobachtungen ein, die das 
Symptom des intermittirenden Hinkens und dabei das Fehlen der Fussarterienpulse 
zeigen. Er betont die enorm praktische Wichtigkeit der Sache, als Vorläufer der spon¬ 
tanen Gangrän. Vortr. erörtert die klinische Bedeutung des Fehlens der 
Fusspulse: Unter 700 daraufhin untersuchten gesunden oder anderweitig erkrankten 
Personen fehlen kaum bei 1 °/ 0 einzelne Fusspulse. — Man müsse darauf achten, 
denn bei evept. dem intermittirenden Hinken zu Grunde liegenden arteriosclerotischen 
Veränderungen der kleinen und kleinsten Arterien kann das Leiden progressiv sein 
und nicht selten zur spontanen arteriosclerotischen Gangrän führen. Die 
pathologische Anatomie ergiebt in diesen Fällen, wie bei der spontanen Gangrän der 
Chirurgen, Arteriitis obliterans seu prolifera mit Thrombosen u. s. w., ähnliches auch 
an den Venen. Es spielten nicht bloss die mechanischen Verhältnisse der Gefäss- 
Verengerung, sondern auch functionelle Störungen in der Gefässinnervation dabei eine 
Bolle: die Hauptsache sei die relative oder absolute Ischämie der Haut der Nerven 
und der Muskeln. 

Für die Aetiologie seien wesentlich das höhere Alter der Lues, Tabakmissbrauch 
(weniger der Alkoholismus) und starke Erkältung, auch Diabetes und Gicht Dia¬ 
gnostisch wichtig ist das charakteristische Gesammtbild: intermittirendes Hinken, 
vasomotorische Störungen; Fehlen der Fusspulse; die Unterscheidung von 
Myasthenia gravis, Akroparästhesie, Eiythromelalgie, Tarsalgieen u. s. w. wird in der 
Begel eine leichte sein. 

Prof. Dr. Siemerling (Tübingen): Zur Diagnose der multiplen Solerose. 

Vortr. berichtet über einen Fall von multipler Sclerose, welcher unter dem 
Bilde einer Myelitis transversa verlief. 

39jährige Frau. 5 normale Geburten. 4 Aborte. Nach einer Durchnässung 
stellten sich Kreuzschmerzen, Mattigkeit und Schwäche in den Beinen ein (1888). 
1894: Vertaubung an den Füssen, bald darauf plötzliche schnelle Verschlechterung 
des Ganges: ohne Unterstützung nicht mehr möglich; Störung beim Urinlassen. 
Status: beiderseits Opticusatrophie bei erhaltenem Sehvermögen. Kein Nystagmus. 
Pupillenreaction erheblich. Keine Sprachstörung; ganz leichter Intentionstremor in 
den oberen Extremitäten. Befiexe erhalten; starke Parese der unteren Extremitäten. 
Spasmen. Contracturen. Kein Tremor. Steigerung der Kniephänomene. Gang mit 
Unterstützung: spastisch-paretisch. Schwanken nach hinten. 

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Incontinentia nrinae. Elektrische Untersuchung nichts besonderes. 

Sensibilität: Berührung aufgehoben* an den unteren Extremitäten bis zur 5. Rippe 
hinab, später bis zum Oberschenkel. An den Unterschenkeln Schmerzempfindung auf¬ 
gehoben. Zunehmende Lähmung der unteren Extremitäten. Starke Contractnrstellnng. 
Temperatursinn an den Oberschenkeln umgekehrt, an den Unterschenkeln erloschen. 
Schnell sich entwickelnder Decubitus am Kreuzbein. 

Im Rückenmark ausgedehnte sclerotische Herde; in der Hühe des 10. Dorsal¬ 
wirbels ein fast den ganzen Querschnitt einnehmender sclerotiscber Fleck. Hier 
Axenglieder nicht mehr erhalten. Auf- und absteigende Degeneration in den Hinter¬ 
und Pyramidenseitensträngen. In der Medulla, der Brücke nnd Vierhügelgegend viele 
Herde, ebenso grössere im Kleinhirn. 

Grossbirn an ganzen Frontalschnitten untersucht: massenhafte Herde, 'grosse 
und kleine in der Rinde und im Mark. Auffallend die Symmetrie des Sitzes in 
beiden Hemisphären. In allen Herden lässt sich ein Geßssdurcbschnitt erkennen. 
(Demonstration der Präparate.) 

Zwei Sagittalschnitte der Hemisphäre eines Falles von progressiver Para¬ 
lyse. Behandlung nach Weigert-Pal. Starke Entfärbung. Vorzugsweise Schwund 
der Fasern in den sogen. Associationscentren, die Sinnescentren zeigen noch grösseren 
Faserreichthum. 

Priv.-Doc. Dr. Brauer (Heidelberg): Ueber Muakelatrophie bei multipler 
Solerose. 

Bei einem 23jährigen Mädchen wurde im Jahre 1871 eine durch anderweitige 
nervöse Symptome nicht complicirte ziemlich hochgradige Atrophie der kleinen Hand¬ 
muskeln, sowie Schwäche der Vorder- und Oberarme beobachtet. Während ^jähriger 
elektrischer Behandlung trat weitgehende Besserung ein, bald aber zeigten sich die 
gleichen Störungen von neuem, jetzt aber in Begleitung einer geringfügigen spastischen 
Parese der Beine. Unter verschiedenen Schwankungen trat allmählich eine complete 
spastische Paraplegie der Beine, hochgradige Atrophie der kleinen Handmuskeln, 
sowie eine grosse Zahl heftiger, quälender Parästhesieen auf. Nystagmus, Sprach¬ 
störungen und Intentionstremor fühlten stets. Nach 23jähriger Krankheitsdauer, 
während welcher Zeit die Patientin fast stets in Beobachtung der medicinischen 
Klinik zu Heidelberg stund, verstarb dieselbe 1894; die Section ergab typische 
multiple Sclerose des Qehims und Rückenmarks. 

Mikroskopisch fanden sich in den oberen und mittleren Partieen der Hals* 
anschweUung grosso sclerotische Herde, die auch vielfach die graue Substanz in 
Mitleidenschaft gezogen hatten. Die unteren Cervical- und die oberen Dorsalsegmente 
zeigten nur sehr geringfügige Veränderungen. Die extramedullären Wurzeln, Cauda 
equina, Spinalganglien, Nervenstämme, sowie die Muskelästchen führten zwar keine 
in Degeneration begriffenen Nervenfasern, liessen aber auf den Schwund einzelner 
Nervenfasern schliessen. Die erkrankten Muskeln befanden sich in Atrophie. 

(Schluss folgt.) 

Leop. Laquer (Frankfurt a./M.). 


VI. Berichtigung. 

In Nr. 11 d. Centrolbl., S. 519, Zeile 9 von oben, liess: „Lilienfeld“ statt Lilienthal; 
S. 522, Zeile 9 von oben, liess: ein „directer Zusammenhang“ statt Zusammenhang. 

Um Einsendung von Separatabdrficken an den Herausgeber wird gebeten. 

Einsendungen für die Redaction sind zu richten an Prof. Dr. E. Mendel, 

Berlin, NW. Schiffbauerdamm 20. 


Yerlag von Vkit & Comp, in Leipzig. — Druck von Mktzobb & Wittig in Leipzig. 

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Neurologisches Centralblatt. 

Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie 
und Therapie des Nervensystems einschliesslich der Geisteskrankheiten. 

Henasgegeben von 

Professor Dr. E. Mendel 

Siebzehnter " Jahrgang. 

Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 24 Mark. Zu beziehen durch 
alle Buchhandlungen des In- und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie 

direct von der Verlagsbuchhandlung. 

1898. 1. Jnli. Nr. 13. 


Inhalt: I. Origlnalmittheilungen. 1. Bemerkungen Ober den Ban der Spinalganglien¬ 
zellen , von Prof. Dr. M. v. Lenhotsm. 2. Zar Frage ron den centralen Verbindungen da* 
motorischen Hirnnerven. Vorläufige Mittheilung, von stnd. M. P. Romanow. S. Hysterie bei 
einer Katze and einem Kanarienvogel, von H. Higier (Warschau). 

II. Aus den Oesellschaften. Berliner Gesellschaft für Psychiatrie and Nervenkrankeiten. — 
83. Versammlung des Vereins der Irrenärzte Niedersachsens und Westfalens zu Hannover 
am 7. Mai 1898. — XXIII. Wanderversammlung der südwestdentschen Neurologen und Irren¬ 
ärzte za Baden-Baden am 21. und 22. Mai 1898. (Sohlass.) — K. k. Gesellschaft der Aerzte 
in Wien. — Oesterreichiache otologische Gesellschaft 

III. Mittheilung an den Herausgeber. 

IV. Personalien. 


I. Originalmittheilungen. 


[Aus dem anatomischen Institut zu Tübingen.] 

1. Bemerkungen über den Bau der Spinalganglienzellen. 

Von Prof. Dr. Jt. v. Lenhossök. 


Im letzten Heft des Archivs für pathologische Anatomie (Bd. CLII. 1898. 
S. 298) veröffentlicht Herr Dr. E. Hetmann eine Arbeit „Beiträge zur Eenntniss 
der feineren Structur der Spinalganglien“, worin er an den Angaben, die ich 
vor nnnmehr zwei Jahren über denselben Gegenstand gemacht hatte 1 , Manches 
auszusetzen hat. Der Umstand, dass die Arbeit aus dem Pathologischen In¬ 
stitut zu Halle a. S. hervorgegangen ist, veranlasst mich, meine Angaben den 
kritischen Bemerkungen des Herrn Heimann gegenüber in Schutz zu nehmen. 
Vor Allem die Bemerkung, dass Herr Heimann ausschliesslich an Kaninchen 
gearbeitet hat, während meine Arbeit die Spinalgangienzellen des Menschen 
behandelt Ich finde diesen gewiss nicht gleichgültigen Umstand bei Herrn 
Heimann nirgends gehörig bervorgehoben. 


1 Ueber den Bau der Spinalganglienzellen des Menschen. 
S. 345/ 

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Arch. f. Psych. Bd. XXIX. 

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Zunächst findet Herr Heimann, dass ich meinem Material in Bezug auf 
Frische zu viel Vertrauen geschenkt habe. Er sagt: „Wenn v. Lenhossäk in 
seiner letzten Arbeit einen Hingerichteten, der in die Anatomie geschafft 
wurde 1 ), als Quelle für sein Material benutzt, so darf er mindestens aus seinen 
Objecten nur sehr vorsichtige Schlösse ziehen. Denn man kann wohl an¬ 
nehmen, dass mindestens einige Stunden zwischen der Hinrichtung und der 
Entnahme der Ganglien gelegen haben, ein Zeitraum, der genügt, um die Dar¬ 
stellung der feinsten Zellleibsubstanzen so gut wie unmöglich zu machen.“ Ich 
weiss nun nicht, wie Herr Heimann zu der Annahme kommt, dass ich mein 
Material einem Hingerichteten entnommen habe, „der in die Anatomie geschafft 
wurde“; in meiner Arbeit steht nur so viel: „Die Hinrichtung eines gesunden 
kräftigen Mannes in den besten Jahren hat unlängst dem anatomischen Institut 
za Tübingen ein vortreffliches Material für mikroskopische Zwecke zugeführt, 
und darunter auch Spinalganglien in tadellos conservirtem Zustand.“ Herr 
Heimann hätte doch wenigstens vermeiden sollen, seine Supposition in eine 
solche Form zu kleiden, dass der Leser denken muss, er citire meine eigenen 
Worte. Ich kann ihn versichern, dass die Spinalganglien, die ich meiner Arbeit 
zu Grunde gelegt hatte, gleich an Ort und Stelle, unmittelbar nach der Hin¬ 
richtung von sachkundiger Hand herauspräparirt und sofort in die Fiiirungs- 
flüssigkeiten gelegt wurden. Uebrigens enthält der Satz von der Unmöglichkeit 
der Darstellung „der feinsten Zellleibsubstanzen“ schon einige Stunden nach 
dem Tode meiner Ansicht nach eine kleine Uebertreibung. Würde es sich 
wirklich so verhalten, so wäre es um die pathologisch-histologische Erforschung 
der Nervenzellen schlecht bestellt. 

Ein Tadel wird mir auch zu Theil wegen der Art und Weise, wie ich 
meine Objecte fiiirte. Auch Herr Heimann erhielt, gleich mir und vielen 
Anderen, die besten Resultate mit dem Sublimat. Nun aber wendet er es 
etwas anders an als ich und die meisten Forscher, die damit arbeiten. Er 
lässt die zu fixirenden Stücke nicht länger als zwei Stunden darin und be¬ 
merkt ausdrücklich, dass es wesentlich sei, „dass man. die Stücke nicht zu 
lange in der Sublimatlösung belässt, wie z. B. v. Lenhossäk, der 24 Stunden 
lang fixirt.“ Nun übersieht Herr Heimann dabei vor Allem, dass er es mit 
den Spinalganglien des Kaninchens, und zwar mit denen junger Kaninchen, ich 
aber mit denen des Menschen zu thun hatte. Ich glaube, dass Jeder, ausser 
Herrn Heimann, der mit der Sublimatfixirung Erfahrungen hat und der jemals 
ein menschliches Spinalganglion aus dem Lumbalgebiet in Augenschein zu 
nehmen Gelegenheit hatte, mir zustimmen wird, wenn ich sage, dass es ge¬ 
radezu Kunstfehler gewesen wäre, verhältnissmässig so grosse, von so viel 
Bindegewebe durchsetzte und vor Allem von einer so derben Bindegewebs- 
kapsel umgebene Gebilde, wie es die Spinalganglien des Menschen sind, auch 
wenn man sie, wie wir es gethan haben, der Länge nach entzwei geschnitten hat, 
bloss so kurze Zeit der Sublimatlösung auszusetzen. Ja ich würde sogar für 


1 Im Original nioht gesperrt gedruckt. 

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die Spinalganglien des Kaninchens, die beträchtlich kleiner sind, als die des 
Menschen, dringend davon abrathen, die Vorschrift des Herrn H bemann zu be¬ 
folgen; systematische Versuche, die ich im vorigen Jahr über die zweckmässigste 
Einwirkungsdauer des Sublimats gerade an den Spinalganglien von Säugern an¬ 
gestellt habe, zeigten mir, dass nach so kurzer Sublimatwirkung der Zustand 
der Ganglienzellen dem bei einer schlechten Alkoholfixirung gleichkommt, d. h. 
dass dabei fast ausschliesslich nur die nachträgliche Alkoholhärtung zur Geltung 
gelangt Herr G. Mann, ein in der Technik der Nervenzellenuntersuchung 
ausserordentlich bewanderter Forscher, empfiehlt für die Spinalganglien ebenfalls 
24 Stunden 1 ; Herr G. Levi, dem wir eine Reihe der feinsten cytologischer 
Arbeiten über den Bau der Nervenzellen verdanken, giebt Folgendes an 2 : 
„Während man bei der Grosshirnrinde der Säuger, bei dem Rückenmark und 
den Ganglien der Reptilien und Amphibien die Fhrirung mit Sublimat nicht 
über 1—2 Stunden ausdehnen darf, ist für das Rückenmark und die Ganglien 
der Säuger eine Einwirkungsdauer von 20—24 Stunden erforderlich.“ W. H. Cox 
lässt die Spinalganglien des Kaninchens in verschiedenen Sublimatgemischen 
2—3 Tage liegen. Eine Umschau in der allemeuesten neurologischen und 
sonstigen technischen Litteratur hätte Herrn Heimann ergeben, dass die meisten 
Forscher es vorziehen, das Sublimat in energischerer Weise in Anwendung zu 
ziehen, als er es thut 

Eigenartig ist auch die weitere Behandlung, die Herr Heimann seinen Ob¬ 
jecten angedeihen lässt. Nachdem er sie 2 Stunden lang mit Sublimat be¬ 
handelt hat, legt er sie auf 6 Stunden in 70% Jodalkohol, auf 6 Stunden in 
96% und zuletzt auf weitere 6 Stunden in absoluten Alkohol. Das macht 
also summa summarum sammt Fixirung 20 Stunden — in nicht ganz einem 
Tage ist das Object zum Einbetten parat. Wenn ich auf der einen Seite 
sagen muss, dass mir eine derartige gallopirende Behandlung fast einer Miss¬ 
handlung gleichzukommen scheint, so muss ich auf der anderen Seite den wissen¬ 
schaftlichen Eifer des Herrn Heimann bewundern, der es sich nicht verdriessen 
lässt, selbst seine Nachtruhe seinen Forschungen zu opfern; denn ich wüsste nicht, 
wie bei einem solchen Sechsstundensystem das nächtliche Umlegen der Objecte 
zu vermeiden wäre. 

Die Resultate einer solchen Technik können unmöglich glänzend sein, das 
darf man schon von vornherein sagen; und dass sie es wirklich nicht sind, 
das zeigt ein Blick auf die Abbildungen der HEiMANN’schpn Arbeit Ich stehe 
nicht an, zu behaupten, dass sämmtliche Bilder des Aufsatzes, die mit Sublimat 
fixirte Objecte wiedergeben, also die Figg. 17—25, mit Ausnahme vielleicht der 


1 6. Mann, Ueber die Behandlung der Nervenzellen für experimentell • histologische 
Untersuchungen. Zeitschr. f. Wissenschaft!. Mikroskopie. 1894. Bd. 11. S. 479. — Vcrgl. 
S. 484. 


1 G. Lbvi, Ricerche citologiche comparate sulla ceilula nervosa dei vertebrati. Rivista 
di patologia nervosa e mentale. 1897. Vol. II. 

* W. H. Cox, Der feinere Bau der Spinalganglienzelle des Kaninchens. 1898. Bd. X. 
Seite 72. 


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Fig. 25, handgreiflich mehr oder weniger mangelhaft fixirte Zellen dem Leser 
vorfnhren. Ja seihst bei Fig. 25 ist ein solcher Verdacht nicht ganz ans* 
geschlossen, in Anbetracht der undeutlichen Begrenzung des Kerns und noch 
mehr der unnatürlich groben Fibrillen der Bandschicht des Protoplasmas, die 
mehr als der Ausdruck einer Dissociation als der in natura ausserordentlich 
feinen fibrillären Streifung des Zellplasmas der Nervenzellen erscheint Aber 
wenn wir diese Figur auch gelten lassen, so bleiben immer noch die anderen 
Figuren, die das von dem Herrn Verfasser befolgte technische Verfahren nicht 
im besten Lichte erscheinen lassen. 

Es ist eine Sache von grosser Schwierigkeit, ja fast ein Ding der Unmög¬ 
lichkeit, ein Bild davon zu entwerfen, wie eine ganz gut fixirte Spinalganglien¬ 
zelle aussehen soll. Müsste man doch, um hier etwas ganz Bestimmtes angeben 
zu können, wissen, wie sie im lebenden Zustande aussieht. Unser Wissen be¬ 
wegt sich vielmehr nur in der Richtung, dass wir sagen können, wie sie nicht 
aussehen soll, d. h. dass wir an den uns im Präparate vorliegenden Zellen die 
Kunstproducte als solche sicher zu kennzeichnen und als zur Förderung unserer 
Erkenntniss untauglich auszuscheiden im Stande sind. Gerade bei den Spinal¬ 
ganglien der Säuger haben wir hierfür sehr prägnante und bequeme Kriterien 
im Zustande der Randschichten des Zellkörpers. Wie ich zuerst im Jahre 1895 1 
nachgewiesen, genauer dann 1897 in meiner citirten Arbeit ausgeführt habe, 
zeigen die meisten Spinalganglienzellen, besonders aber die grösseren Exemplare, 
auf ihrer Oberfläche eine sehr auffallende, der Tigroidschollen entbehrende, mehr 
oder weniger breite helle Zone. Diese Zone grenzt sich dann nach aussen gegen 
die Kapsel hin durch eine scharfe, deutliche, sich dunkel färbende Linie ab; 
offenbar ist das Zellprotoplasma auf der Oberfläche leicht verdichtet Dieser 
eigentliche Zellcontour, den bis vor Kurzem die meisten Untersucher der Spinal- 
ganglienzellen übersehen zu haben scheinen, hat einen sehr regelmässigen, glatten 
Verlauf; bei den kleinen Säugern (z. B. Kaninchen), wo die Kapselzellen sohwach 
entwickelt sind, läuft er fast ganz geradlinig, bei den grösseren dagegen (Menscb, 
Rind, Hund, Katze), deren Kapselzellen ziemlich stark gegen die Zelle vor¬ 
springen, nimmt er durch den Contact mit diesen typische sanfte Eindrücke auf. 
Diese von mir für den Ochsen und den Menschen beschriebenen Verhältnisse 
gelten vollkommen auch für das Kaninchen; auch hier begegnen wir an den 
meisten, besonders an den voluminöseren Zellen jener hellen oberflächlichen Lage; 
auch hier liegt die wahre Zellgrenze erst ausserhalb dieser Schicht, wie überall, 
im dichtesten Anschluss an die innere Fläche der Kapsel. Wir haben also drei 
.sehr augenfällige Merkmale, woran wir uns als an Kennzeichen eines relativ guten 
Erhaltungraustandes der Zellen halten können: 1. die Gegenwart und der Zu¬ 
stand der hellen Randzone; 2. der geradlinige Verlauf des wirklichen Zellcontours 
und 3. dessen Zusammenfallen mit der inneren Grenze des Kapselepithels. 

Jene helle Zone ist nun den chemisohen und mechanischen Eingriffen 


1 M. v. Lehhoss£k, Der feinere Bau des Nervensystems im Lichte neuester Forschungen. 
1895. 2. Aufl. Berlin. S. 173. 



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Original fro-m 

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gegenüber, wie sie unsere histologische Technik auf dem langen Wege von der 
Fiximng bis zum Kanadabalsamtropfen mit sich bringt, ausserordentlich empfind¬ 
lich ; sie ist der vulnerabelste Theil der Zelle. Seihst an den besten Präparaten, 
die wir mit unserer heutigen Technik erzielen können, wird man sie an sehr 
vielen Zellen theilweise oder ganz zerstört finden. Ich habe in meiner letzten 
Arbeit die verschiedenen Stadien ihrer Läsion genau geschildert „Bei leichteren 
Formen ihrer Alteration weist sie nur an einzelnen Stellen Defecte oder schwache 
Retractionen von der Kapsel auf, die Oberfläche der Zelle wird holprig.“ „Bei 
einer vorgeschrittenen Stufe erscheint bereits ein grosser Theil der hellen Sub¬ 
stanzlage zerstört, wobei die erhaltenen Theile sich vielfach in unregelmässigen 
Abständen radiär zur Kapsel ausspannen.“ „Bei den extremen Formen der 
Zerstörung schliesslich ist von der Rindensohicht überhaupt nichts mehr zu sehen, 
die Zelle sieht aus, als ob sie enorm geschrumpft wäre, zwischen ihr und der 
Zelle klafft nun eine weite Lücke.“ 

Wie ist es nun an den HmMAxn’schen Sublimatbildern um diese charakte¬ 
ristische oberflächliche Plasmaanlage und ihre äussere Begrenzung bestellt? 
Das Ergebniss fallt recht ungünstig aus. Nur Fig. 25 zeigt sie annähernd in 
ihrem natürlichen Zustande. Bei allen anderen ist sie durch die Behandlung 
mehr oder weniger stark mitgenommen, bei Fig. 17 vollkommen vernichtet! 
Figg. 21 und 24 bieten das häufigste Bild schlecht fixirter Zellen: die Zelle 
erscheint an ihrer Oberfläche wie zerzaust, wie mit einer Unmenge frei flotti- 
render Wurzelfadchen bedeckt; die die Zelle sonst als breiter, schöner, gleich- 
mässiger Saum bedeckende helle Zone erscheint faserig zerklüftet, ln den 
Figg. 18, 19, 20, 22 und 27 ist es namentlich der im höchsten Grade unregel¬ 
mässige Zellcontour, woraus man die Diagnose: schlechte Fixirung, stellen kann, 
ja selbst bei der oben noch milde beurtheilten Fig. 25 ist die Zellgrenze nicht 
so scharf, wie wir es bei einer gut erhaltenen Zelle erwarten dürfen. 

Ich habe vorhin zugegeben, dass auch die besten Präparate derartige Zellen 
enthalten — sporadisch, zwischen anderen gut conservirten. Da nun aber 
Herrn Heimann nicht zuzumuthen ist, dass er gerade die schlechten Zellen 
seiner Präparate für den Zeichner ausgesucht hat, so ist anzunehmen, dass 
seine Sublimatschnitte gut erhaltene Zellen überhaupt nicht aufweisen. Wie 
ungünstig die von Herrn Heimaxn so warm empfohlene zweistündige Sublimat- 
fixirung ist, erkennt man daraus, dass von den HEiMAüN’schen Abbildungen 
die relativ noch am besten fixirten Zellen (Fig. 5, 6, 11, 16) sich gerade nicht 
unter den Sublimathildern, sondern unter denjenigen finden, die mit Alkohol 
fixirte Zellen darstellen. Die Fixirung in 96°/ 0 Alkohol taugt also für die 
Spinalganglien des Kaninchens noch immer mehr als eine zweistündige Fixi¬ 
rung in Sublimat. 

Die Fixirung8frage ist' überhaupt der wunde Punkt unserer heutigen Nerven¬ 
zellentechnik. 8elbst das Sublimat ist weit davon entfernt, den Anforderungen, 
die wir nach dieser Seite hin an ein Reagens stellen müssen, zu entsprechen. 
Nach den Versuchen, die mit verschiedenen Fixirungsflüssigkeiten in unserem 
Institute in letzter Zeit angestellt wurden, scheint ein gleichtheiliges Gemisch 

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von concentrirter Sublimat- und Pikrinsäurelösung 1 vor dem reinen Sublimat 
als Fixirungsmittel den Vorzug zu verdienen. Auch mit dem Cahn o Y’schen 
Gemisch (Alkohol abs. 6, Chloroform 3, Eisessig 1) gelang es, relativ gute Bilder 
zu erzielen: aber auch hier erschien, wie bei den Sublimatbilden), nur ein Theil 
der Zellen befriedigend conservirt Höchst merkwürdig ist dabei die Thatsache, 
dass sich die besser fixirten Zellen nicht etwa nur im Randgebiete oder über¬ 
haupt in einer bestimmten Region des Ganglions finden, so dass man etwa an 
einen Zusammenhang mit der Penetrationsweise des Fixirungsmittels denken 
könnte, sondern stets unregelmässig zerstreut über den Durchschnitt. Es ist 
dies eine Erscheinung, die einigermaassen an die bekannte, bisher unaufgeklärte 
elective Eigenart der GoLGi’schen und der Methylenblaumethode erinnert. — 
Die Osmiumgemische haben leider den Nachtheil, dass sie nur sehr oberfläch¬ 
lich in die Ganglien eindringen und auch die Färbbarkeit der Zellen beein¬ 
trächtigen. 

In meiner Arbeit hatte ich zur Färbung der Tigroidsubstanz der Nerven¬ 
zellen (Nissi/sche Körper) das Toluidinblau als das beste Mittel bezeichnet; 
ja, um meiner Empfehlung mehr Nachdruck zu verleihen, habe ich es sogar 
geradezu als ein Specificum für die Darstellung dieses Bestandteiles des 
Nervenzellenplasmas hingestellt Ich kann auch heute nur meine damaligen 
Worte wiederholen. Toluidinblau ist zu dem genannten Zwecke entschieden 
sowohl dem Methylenblau, wie auch dem früher von mir selbst empfohlenen 
Thionin überlegen; es giebt die schärfste Tigroidfarbung. Wie sehr das Tolui¬ 
dinblau den Rang eines elektiven Färbemittels für das Tigroid verdient, 
das sieht man nirgends schöner, als an Durchschnitten von Embryonen. Unter¬ 
suchungen, die gegenwärtig in unserem Institute über die Entwickelung der 
Tigroidsubstanz in den Nervenzellen im Gange sind, haben ergeben, dass sich 
die Zellen der verschiedenen Regionen des Nervensystems durchaus nicht zur 
gleichen Zeit mit Tigroid beladen, dass vielmehr auch hier eine bestimmte 
Reihenfolge vorherrscht Die Theile des Nervensystems nun, deren Zellen be¬ 
reits mit Tigroid versehen sind, treten an Toluidinblaupräparaten aus den Durch¬ 
schnitten des embryonalen Körpers durch ihre intensiv blaue Färbung schon 
bei den schwächsten Vergrösserungen äusserst lebhaft hervor. 

Es ist mir nicht erklärlich, weshalb sich die Toluidinblaufärbung unter den 
Ncrvenzellenforschern bisher noch relativ so wenig Freunde erworben hat. Die 
Methode ist ja sehr einfach, ein Versuch damit macht keine grössere Mühe. 
Wir verfahren hier in der Weise, dass wir die Celloidinschnitte oder die mit 
Eiweissglycerin und destillirtem Wasser auf dem Objectträger festgeklebten 
Paraffinschnitte über Nacht in einer concentrirten Toluidinblaulösung stehen lassen 
und dann den anderen Tag, nach Abspülung in Wasser, rasch in Alkohol 
differenziren, mit Carbolxylol, bezw. Xylol aufhellen und in Canadabalsam ein- 
schliessen. Fast immer lassen wir noch Tor der Differenzirung eine leichte 


1 Zuerst von Rabl, allerdings mit 2 Th'ilen Wasser verdünnt, für Embryonen an¬ 
gegeben. 

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Erythrosinfärbung naohfolgen, doch ist hier grosse Vorsicht am Platze, damit 
der saure Farbstoff das Toluidinblau nicht verdrängt Um sich über die 
Leistungsfähigkeit der Toluidinblaufarbung eine Vorstellung zu verschaffen, wird 
es sich empfehlen, zunächst die Erythrosinnachfärbung bleiben zu lassen. Ich 
kann es mir nicht denken, dass wer einmal mit Toluidinblau in der angegebenen 
Weise richtig gefärbt hat, jemals wieder zu dem Thionin oder Methylenblau 
zurückkehren würde. 

Jeder Andere hätte nun, ausser Herrn Heimann, um sich über den Werth 
der Toluidinfärbung ein Urtheil bilden zu können, zu dem einfachsten Mittel ge¬ 
griffen, d. h. die Färbung selbst versucht Für Herrn Heimann wäre ja dies 
um so leichter gewesen, als er ja Schnitte aus den Spinalganglien, die er zu 
diesem Zwecke hätte benützen können, gewiss in grosser Fülle vorräthig hatte. 
Anders Herr Heimann. Unter der stattlichen Beihe von Farbstoffen, die er 
angewendet hat — seine Arbeit ist ja wesentlich eine technische Mittheilung — 
vermissen wir gerade das Toluidinblau. Es macht den Eindruck, als ob er es, 
gerade mit Rücksicht auf meine Empfehlung, absichtlich vermieden hätte. Er 
belehrt mich, dass „Toluidinblau, Thionin und Methylenblau drei vollkommen 
gleichwerthige, von einander nur durch ganz geringe Constitutionsänderungen 
unterschiedene Thiazine sind, deren tinctorielle Eigenschaften eben, dem gleichen 
chemischen Bau entsprechend, auch die gleichen sind“. Was Herr Heimann 
hier sagt, ist nicht stichhaltig. Aus G. Schultz und P. Julius, Tabellarische 
Uebersicht der künstlichen organischen Farbstoffe. 3. Aufl. Berlin 1897. S. 172 
u. 174, hätte er ersehen können, dass die drei Farbstoffe sowohl in ihrer 
Zusammensetzung, wie in ihrem Verhalten verschiedenen Reagenzien gegen¬ 
über ziemlich verschieden sind. Methylenblau hat vier Methylgruppen, Toluidin¬ 
blau nur zwei, Thionin (Laoth’s Violett) gar keine. Der Mangel des Methyls 
in dem einen, die Häufung der Methylgruppen in dem anderen Farbstoff 
ist aber durchaus nicht als unbedeutend zu bezeichnen. 1 Mag man aber 
auch der Ansicht sein, dass diese Constitutionsverschiedenheiten „ganz ge¬ 
ring“ sind, so steht doch die (empirische Thatsache fest, dass sie genügen, 
um den drei Farbstoffen, namentlich aber dem Methylenblau den zwei 
anderen gegenüber, in ihrem Verhalten zu gewissen thierischen Zellen und 
Geweben, verschiedene tinctorielle Eigenschaften zu verleihen. Hier hilft das 
Theoretisiren nicht, da muss man sich an die Empirie halten. Herr Heimann 
wird sich vergeblich bemühen, mit Thionin oder Toluidinblau ebenso schöne 
Nervenfärbungen durch vitale Injection zu erreichen, wie mit Methylenblau; 
auf der anderen Seite wissen wir aus der bekannten Arbeit von Hoteb*, dass 
es zwar auch mit Methylenblau gelingt, mucinhaltige Zellen metachromatisch 
zu färben, dass aber diese Schleimfärbung an Schärfe weit hinter der mit 


1 Der Unterschied zwischen Methylenblau und Thionin entspricht ungefähr demjenigen 
zwischen Krystallriolett (6 Methylgruppen) und p-Fuchsin (keine Methylgruppe), von welchen 
beiden Farbstoffen der eine in Ldsung blau, der andere dagegen roth erscheint. 

* H. Honn, Ueber den Nachweis des Mucins in Geweben mittelst der Färbemethode. 
ArchiT f. mikrosk. Anatomie. 1890. Bd. XXXVI. S. 310. — Vergl. namentlich S. 320. 

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Original frum 

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Thionin zurückbleibt. Thionin färbt das Muern viel prägnanter, Methylenblau 
viel weniger metachromatisch, dafür aber freilich constanter als Thionin; daher 
empfiehlt Hoyeb das Thionin für die Feststellung auch geringer Grade von 
schleimiger Metamorphose, Methylenblau dagegen zum quantitativen Nachweis 
des Mucins in den Geweben, wo es in grösserer Menge auftritt. Wird Herr 
Seemann den Muth haben, auch diese Angaben Hoyeb’s auf Grund seines 
aprioristischen Dogmas ungeprüft zu verwerfen? 

Eine ganz merkwürdige Erscheinung bei den Spinalganglien ist das ver¬ 
schiedene stnioturelle Verhalten der einzelnen Nervenzellen. Ein Durchschnitt 
durch ein Ganglion bietet dadurch ein sehr buntes Bild dar; dunkler und heller 
gefärbte, feiner und gröber granulirte Zellen liegen regellos durcheinander. 
Herr Hkimann macht hier die ganz richtige Bemerkung, dass die Unterschiede 
im Aussehen der Zellen theilweise schon dadurch hervorgerufen sind, dass ein¬ 
zelne Zellen mehr in der Mitte, andere mehr in ihren Bandpartieen getroffen 
sind. Die peripherischen ZeUdurchschnitte werden natülich heller und schwächer 
granulirt erscheinen, als die centralen. Aber dies erklärt nicht Alles; die 
einzelnen Zellen sind thatsächlich etwas anders structurirt, und zwar kommen 
diese Structurverschiedenheiten in zwei Momenten zum Ausdruck: 1. in der 
verschiedenen Menge und Vertheilungsweise des Tigroids, d. h. in der ver¬ 
schiedenen Dichtigkeit und Feinheit der Eömelung, und 2. in den verschiedenen 
Dichtigkeitsverhältnissen der „Gnmdsubstanz“, d. h. des Zellplasmas, das zwischen 
den Tigroidschollen liegt. Gröber und feiner granulirte Zellen finden sich unter 
allen Zellgrössen vertreten; was dagegen den dichteren Bau der Grundsubstanz 
betrifft, so lässt sich das gesetzmässige Verhalten nachweisen, dass es haupt¬ 
sächlich die kleineren Zellen sind, die diese Eigenschaft besitzen. Deshalb treten 
an dem Durchschnitte die kleinen Elemente durch ihre dunklere Färbung mehr 
oder weniger lebhaft hervor. Diese Thatsache ist schon in der Arbeit von 
Daae 1 verzeichnet, nach dessen Angabe „die am dunkelsten gefärbten Zellen 
beim Pferd am häufigsten klein sind“; ebenso bemerkt auch FiiKmmtnq *, dass 
die kleineren Zellformen „durchweg dichter gebaut, dunkler und stärker färb¬ 
bar“ sind. Einen klareren und bestimmteren Ausdruck aber hat dieser Sach¬ 
verhalt in meiner citirten Arbeit und kürzlich in einem Vortrag Mabinbsco’s 3 
gefunden. Nach Mamnesco lassen sich die Spinalganglienzellen in Bezug auf 
den Bau der Grundsubstanz in drei Typen eintheilen: Der erste Typus umfasst 
die grossen Zellformen und kennzeichnet sich durch weitmaschige Anordnung 
des Spongioplasmas und daher durch helles Aussehen der Zelle. Der zweite 
Typus wird durch die kleinen Zellen dargestellt; das Maschenwerk des Spongio¬ 
plasmas erscheint hier dicht, die Zelle selbst in Folge dessen dunkel (Chromato- 


1 H. Daab, Zar Kenntnias der Spinalganglienzellen beim Säugethier. Archiv f. mikrosk. 
Anat. 1888. Bd. XXXI. S. 223. 

1 W. FuunuNQ, Ueber den B&a der Spinalganglienzellcn bei Säogetbieren and Be¬ 
merkungen aber den der centralen Zellen. Archiv f. mikrosk. Anat. 1895. Bd. XXXXVI. 
S. 879. 

* G. Mabutesco, Pathologie de la cellole nerveose. 1897. Paris. S. 10. 

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filie). Als einen dritten Typus endlich fasst Majeunesco diejenigen Zellen zu¬ 
sammen, bei denen die Grundsubstanz einen ausgesprochen fibrillären Bau auf¬ 
weist, mit nur schwach angedeuteter Netzbildung der Fibrillen. Ob solche 
Elemente sich unter den grösseren oder kleineren Zellformen finden, giebt 
Mabinesco nicht an. 

Aber lange schon vor den genannten Forschern ist Flbsoh auf diese 
Tinctionsversohiedenheiten der Nervenzellen der Spinalganglien aufmerksam ge¬ 
worden. Die Durchsicht der Mittheilungen von Flesch 1 und einiger unter 
seiner Leitung arbeitenden Damen, namentlich der Arbeit von Helene Koneff 2 , 
ergiebt auf das Bestimmteste, dass es sieb bei den Beobachtungen von Flbsch 
um dasselbe bandelt, wovon hier die Bede ist. Die helleren Zellen nannte 
Flesch chromofile, die dunkleren chromofobe. Bei allen untersuchten Thieren 
überwiegen die dunklen Zellen über die hellen. Was aber in den Arbeiten von 
Flbsch und Helene Koneff merkwürdigerweise nicht genügend hervorgehoben, 
ja kaum erwähnt wird, ist der Umstand, dass die chromofoben Zellen die 
grösseren, die chromofilen' die kleineren Zellen des Ganglions darstellen. Es ist 
dies um so auffallender, als sich diese Thatsachen aus den Tabellen auf S. 19 
und 20 der KoNEFF’schen Arbeit, in denen eine grosse Anzahl von Messungen 
der Nervenzellen zusammengestellt sind, und ebenso aus Fig. 1, ohne Weiteres 
ergiebt Dass unter den chromofoben Zellen auch einige grössere Exemplare 
figuriren, erklärt sich eben daraus, dass Koneff zu den chromofoben Elementen 
auoh noch einige grobgranulirte Zellen hinzugerechnet hat, Zellen, deren dunkles 
Aussehen nicht wie bei dem kleinen Zelltypus durch diohte Beschaffenheit des 
Grundplasmas, sondern durch aussergewöhnlich starke Entwickelung und grob¬ 
schollige Vertheilung des Tigroids verursacht ist; solche Zellen kommen auch 
unter den grösseren Formen vor.® 

Eine ganz andere, neue Anwendungsweise hat das Wort „chromofil“ .neuer¬ 
dings von Nisbl 4 erhalten. An weniger gut fixirten Präparaten der Spinal¬ 
ganglien, namentlich an Alkoholfixationen, sieht man in seltenen Fällen merk¬ 
würdige Kunstproducte.: Die Zelle erscheint enorm geschrumpft, mit zackigen, 
unregelmässigen Bändern; das durch die*Schrumpfung verdiohtete Protoplasma 
und selbst der Kern färbt sich intensiv dunkel, „tintenartig“, wie sich Njssl 
ausdrückt. Ein Zweifel, was Nissl hier im Auge hat, kann nicht bestehen, 
angesichts der Fig. 7 der NissL’schen Arbeit im Neurol. CentralbL 13. Jahrg., 
in der er eine solche Zelle abbildet Nun nennt Nissl eine solche Zelle eine 


1 M. Flesch, Bemerkungen über die Structur der Ganglienzellen. Neuro log. Centralbl. 
1866. S. 145. 

1 H. Kone», Beiträge zur Eenntnias der Nervenzellen in den peripheren Ganglien. 
1886. Inaug.-Disaert. Bern. 

* Die Chromofilie in diesem Sinne scheint nur bei den peripherischen Ganglienzellen 
Torzukommen. 

* Fb. Nissl, Die sogenannten Granula der Nervenzellen. Neurolog. Centralbl. 1894. 
Derselbe: Die Beziehungen der Nervenzellensubstanzen zu den thätigen, ruhenden und er* 
mttdeten Zellzuständen. Zeitschr. f. Psych. 1895. Bd. LH. 


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„chromofile“ und so schliesst sich dann selbstverständlich an eine derartige Be¬ 
nützung des von FiiEsoh geschaffenen und in einem anderen Sinne gebrauchten 
Wortes der Schluss an, dass die „Chromofilie“ ein Kunstproduct, eine Folge der 
, technischen Behandlung des Gewebes“ ist. 

Wir haben also zwei verschiedene Begriffe der „Chromofilie“ in der Litte- 
ratur, und diese Begriffaspaltung spiegelt sich nirgends anschaulicher wieder als 
in jenem Passus der HmuAim’schen Arbeit, der diesen Gegenstand behandelt 
Herr Heimann beschreibt ziemlich umständlich, dass die einzelnen Zellen ein ver¬ 
schiedenes Aussehen darbieten. „Erstens sind Zellen vorhanden, bei denen die 
Structurelemente des Zellleibes als solche zarter und dünner, aber so dicht an 
einander gelagert sind, dass das Zellindividuum im Ganzen einen dunkleren 
Eindruck hervorruft“; es sind dies nach Hktmann die pyknomorphen Zellen 
Nissl’s oder (in der Klammer) die chromophilen Zellen von Flesoh und 
seinen Schülerinnen. 1 „Andere Zellen wiederum haben grosse Elementar¬ 
gebilde, doch liegen dieselben weiter auseinander, so dass die Zelle zwar — wie 
Flemmeng es nennt — ein scheckiges, aber doch ein helleres Bild darbietet, 
als die erst beschriebene Art.“ Das sind die apyknomorphen Zellen von Nissl 
oder die chromophoben von Flebch . 1 Man sieht: hier hält sich Hk tman n 
an den älteren Begriff der Chromofilie; er beschreibt allem Anschein nach un¬ 
mittelbar nach seinen Präparaten hellere und dunklere Zellen und bezeichnet 
sie mit Flesch als chromofile und chromofobe. Nun aber macht er, ohne jede 
Vorbereitung, plötzlich einen kühnen Seitensprung und überrascht den Leser 
durch den mit Allem, was er auf derselben Seite gesagt hat, in diametralem 
Gegensatz stehenden Ausspruch: „Chromofile Zellen habe ich an meinen Spinal¬ 
ganglienpräparaten nie gesehen.“ Für den, dem die beiden Chromofiliebegriffe 
geläufig sind, wird die Sache natürlich sofort klar; in Herrn Heimann’s Brust wohnen 
zwei Seelen, eine die mit Flebch, und eine die mit Nissl fühlt; in der ersten 
Hälfte des Passus kommt die erste zum Ausdrucke, in der zweiten übernimmt 
die zweite das Wort. Aber dem der Nervenzellenforschung ferner Stehenden 
muss es beim Lesen dieser Stelle merkwürdig zu Muthe werden und er wird 
sich „absolut nicht herausfinden können“. 

Das Merkwürdigste nun aber an der Sache ist, dass Herr Heimann diesem, 
gelinde gesagt, etwas unklaren Passus noch eine Fussnote anhängt, worin er 
mir den Yorwurf macht, ich hätte „in die von Nissl bereits so klargelegten 
Verhältnisse durch unrichtige Anwendung des Wortes „Chromofilie“ wieder 
etwas Verwirrung gebracht, so dass der der Nervenzellenforschung ferner Stehende 
sich absolut nicht herausfinden kann“. Wenn letzteres Herrn Hfjmann nicht 
gelingt, so kann ich ihm nicht helfen; aber ich glaube kaum, dass ausser ihm 
irgend Jemand auf der Welt durch die betreffende Stelle meiner Arbeit hin¬ 
sichtlich der Chromofilie in Verwirrung gerathen könnte. Das ist ja schon des¬ 
halb nicht möglich, weil ich es dort überhaupt vermieden habe, in der 
Frage der Chromofilie Stellung zu nehmen. Ich beschreibe ganz einfach 


1 Im Original nicht gesperrt gedruckt. 

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die verschiedenen Färbbarkeiten, Dichtigkeits- und Körnelungsverhältnisse der 
Nervenzellen der Spinalganglien, bebe besonders hervor, dass die dunkler ge¬ 
färbten im Ganzen und Grossen mit den kleineren Zellen, die heller gefärbten 
mit den grösseren Zellen identisch sind. Weiterhin füge ich hinzu, dass ich 
mir durchaus zweifelhaft darüber bin, inwieweit ioh die beschriebenen Wahr¬ 
nehmungen in Parallele bringen soll mit dem, was Flesch seiner Zeit als 
Chromofilie und Chromofobie beschrieben hat 1 und bemerke zum Schlüsse, dass 
meine Beobachtungen jedenfalls mit der von Nissl als Chromofilie beschriebenen 
Erscheinung, die nach Nissl’s eigener Angabe ein Kunstproduct darstellt, nichts 
zu thun haben. Nun frage ich den Leser: ist in diesem Passus etwas enthalten, 
wodurch Verwirrung entstehen könnte? 

Ein weiter Gegensatz zwischen unseren Anschauungen bezieht sich auf den 
Zellkern der Spinalganglienzellen. Färbt man einen Schnitt aus dem Spinal¬ 
ganglion eines Kaninchens oder auch eines anderen Säugers mit Toluidihblau, 
Thionin oder Methylenblau, so zeigt der Kern der Spinalganglienzellen nach 
der Diflerenzirung in Alkohol ein eigenartiges, von den Kernen anderer Gewebs¬ 
zellen wesentlich abweichendes Bild. Während sich z. B. in den Kapselkernen 
oder den Kernen der Bindegewebszellen des Zwischengewebes das Kerngerüst 
vermöge seines Gehaltes an Chromatm intensiv blau gefärbt zeigt, erscheint in 
den grossen, runden Kernen der Spinalganglienzellen das Kerngerüst ganz un¬ 
gefärbt und tritt nur schattenhaft, mehr durch Unterschiede der Lichtbrechung, 
als durch Tinction hervor. Bloss der umfangreiche runde, im Kern gewöhnlich 
central gelegene, nur selten (beim Menschen niemals) doppelte Nucleolus erscheint 
blau gefärbt, und zwar in intensivster Weise. Selten nur findet man beim 
Kaninchen in der Nähe des Kernkörperchens 1—8 gaDz kleine, ebenfalls 
blau gefärbte Schollen. — Zierlichere Bilder erhält man, wenn man die Schnitte 
nach der Toluidinblaufärbung noch mit einem sauren Farbstoff, z. B. Ery¬ 
throsin oder Eosin behandelt: das Kemkörperchen hat seine starke dunkel¬ 
blaue Färbung beibehalten, das zarte lockere Kerngerüst dagegen hat sich 
sammt seinen Netzknoten mit dem Erythrosin verbunden und stellt sich in 
zarter Bosafärbung dar. 

Es ist dies ein tinctorielles Verhalten, das, soviel ich weiss, in dieser 
scharfen Ausprägung von somatischen Zellen bei Säugethieren nur den Kernen 
der Nervenzellen, und auch da nur denen eines Theiles der Nervenzellen zu¬ 
kommt; wir finden z. B. das gleiche Verhalten ebenso schön ausgesprochen bei 
den Kernen der grossen motorischen Zellen des Rückenmarks, bei den Pübkinje’- 
schen Zellen, den Pyramidenzellen. — Die drei genannten blauen Farbstoffe, 
und ebenso auch das Methylgrün, mit dem man analoge Bilder erhält, gehören 
zu jenen Farbstoffen, die Ehelich basische Anilinfarbstoffe genannt hat und so 


1 Die Zweifel habe ich seitdem fallen lassen; nach erneuerter Durchsicht der Arbeiten 
von Flesch nnd seiner Schülerinnen bin ich nnn überzeugt, dass Flbsch’s und meine 
eigenen Beobachtungen dasselbe betreffen, natürlich nur soweit es sich um die Spinalganglien- 
zellen handelt. 


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kann man dem beschriebenen Verhalten dadurch Ausdruck geben, dass man 
sagt: bei den Spinalganglienzellen ist die basische Substanz des Zellkerns haupt¬ 
sächlich im Nucleolus enthalten, das Kerngerüst dagegen, anders als in den 
Kernen der meisten anderen Gewebszellen, entbehrt der basofilen Substanz voll¬ 
kommen und zogt ausgesprochene acidofile Eigenschaften. Auf alle Fälle fehlt 
im Kerngeröst jene Sustanz, die in anderen Kernen die dunkle Färbung des 
Gerüstes mit „Kemfarbstoffen“ verursacht, nämlich das FLEMMnro’sohe Chro¬ 
matin (M. Hktd rhhaik’h Basiehromatin 1 * ), das wahrscheinlich identisch ist mit 
Fs. Miesobeb’s Nudeln. 

Diese bemerkenswerthe Thatsache, auf die ich in meiner Arbeit besonderes 
Gewicht gelegt habe, hat bei allen neueren Forschern, die bei der Besprechung 
der Spinalganglienzellen auch den Kern in den Kreis der Betrachtung ziehen, 
gehörige Würdigung gefunden. So hat z. B. R. y Cajal* die Kerne der Spinal¬ 
ganglienzellen als Kerne charakterisirt, bei denen das ganze Chromatin im Kern¬ 
körperchen vereint ist; van Gehuchten 3 sagt: „Le nuclöole est donc basophile 
tandis que la partie organisöe du caryoplasme se montre acidophile.“ Und an 
einer anderen Stelle heisst es von dem Chromatin des Kerns der Spinalganglien¬ 
zellen, dass „au lieu d’etre röpartie dans toute l’ötendue du röseau caryoplas- 
matique, cette nuclöine s’est condensöe en un amas central pour continuer 
le nuclöole: celui-oi serait donc un nuclöole nuclöinien dans le sens de Cabnot.“ 
Levi 4 , der sich bei seinen Untersuchungen hauptsächlich der Ehblioh-Biondi’- 
schen Färbung bedient hat, findet das Kerngerüst ebenfalls stets acidofil und 
verlegt das Basiehromatin der Spinalganglienzellen in die oberflächlichsten 
Schichten des Nucleolus (s. weiter unten). 

Herr Heim an n glaubt nun, diese übereinstimmenden Angaben durch einige 
hingeworfene Worte in einer Fussnote abthun zu können. „Dass das Kerngerüst 
nicht, wie v. Lenhoss&k behauptet, aoidophil ist, sondern sich auch mit 
basischen Farben färbt, dürfte ein Blick auf meine Abbildungen beweisen.“ Was 
zeigen uns nun die HEiMANN’schen Bilder? Sie zeigen, dass, wenn man den 
Zellen ein Gemisch aus einem basischen und einem sauren Farbstoff oder beide 
hintereinander darbietet, der Nucleolus immer die basische, das Kerngerüst 
immer die saure Farbe an sich reiset, besonders anschaulich kommt dieser 
Thatbestand zum Ausdruck an den Figg. 5, 6,18 und 25; sie zeigen weiterhin, 
dass sich bei alleiniger Anwendung saurer Farbstoffe (Figg. 7, 8, 9, Säurefuchsin, 
Indulin, Chlorhydrinblau) das Kerngerüst ziemlich farbgierig verhält, sie zeigen 
aber freilich auch, dass es manchmal auch durch sehr starke Anwendung eines 
basischen Farbstoffes allein gelingt, dem Kemgerüst einen blassen Farbenton, 


1 M. Hkidbnhain, Ueber Kern and Protoplasma. 1892. Festschrift für v. KClukeb- 
Leipzig. 

* S. R. y Cajal, Estrnctnra del protoplasma nervioso. Revista trimestral micrografica. 
1896. VoL I. 8. 1. 

* A. van Gebuchtem, L’anatomie fine de la cellnle nerveose. Lonvain. 1897. S. 30. 

4 G. Lavj, Sn alcane particolarita di strattara del nucleo delle eellole nervöse. Rivista 

di patologia nervosa e mentale. 1896. Vol. I. S. 141. 


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so za sagen einen Hauch von Färbung aufzuzwingen. Wenn Herr Heimann 
glaubt-, durch den Hinweis auf die letztere Thatsache unserer Auffassung den 
Boden entziehen zu können, so befindet er sich im Irrthum. Ich glaube kaum, 
dass es in thierischen Gewebszellen, einschliesslich ihres Kerns, irgend einen 
Bestandteil giebt, den man nicht, bei energischer Anwendungsweise, sowohl mit 
einem sauren wie mit einem basischen Farbstoff färben könnte. Bei der gegen¬ 
wärtig üblichen Gebrauchsweise sollen die Bezeichnungen „basofil“ und „aci- 
dofil“ auch nicht besagen, dass es absolut nicht möglich sei, den betreffenden 
Bestandteilen auch mit einem sauren resp. basischen Anilinfarbstoff eine gewisse 
Färbung zu verleihen, sondern nur soviel, dass die betreffenden Formelemente 
1. aus Farbstoflgemischen und -Combinationen mit einer gewissen Constanz und 
Lebhaftigkeit den einen oder anderen Farbstoff für sich auswählen und 2. dass 
sie sich mit dem einen, z. B. dem basischen Farbstoff besonders leicht und 
distinkt, mit dem anderen, z. B. dem sauren nur schwach und diffus darstellen 
lassen. So gilt z. B. das Zellprotoplasma im Allgemeinen als acidofil und doch 
erhält man auch mit dem basischen Methylenblau ziemlich gute Zellfarbungen; 
auf der anderen Seite ist das Kernchromatin (wenigstens das Basichromatin 
M. Hbedenhain’s) allgemein als Prototyp eines basofilen Zellbestandteiles an¬ 
erkannt, und doch ist es bekanntermaassen auch dem einen oder anderen der 
sauren Farbstoffe zugänglich. Oder hat etwa Herr Heimann schon die Wahr¬ 
nehmung gemacht, dass an mit sauren Theerfarben behandelten Präparaten die 
chromatinreichen Zellkerne als ganz ungefärbte Löcher aus der Zelle hervor¬ 
treten? Freilich ist mit dieser Anwendungsweise der beiden Ausdrücke der 
Uebelstand verknüpft, dass es dem subjectiven Ermessen anheim gestellt bleibt, 
wo man die Grenze ziehen soll zwischen Basofilie und Acidofilie einerseits und 
Amphofilie andererseits. Es werden sich hieraus wohl noch manche Differenzen 
in der Litteratur, ähnlich der hier vorliegenden, ergeben; aber wenn man die 
Namen Basofilie und Acidofilie ganz strenge auf eine exclusive Färbbarkeit mit 
einer Farbstoffbase oder einem sauren Farbstoff beschränken wollte, so würde das 
so ziemlilich einen Verzicht auf die Benutzung dieser bequemen und doch eine 
gewisse charakteristische Eigenart anzeigenden Namen bedeuten. Wenn Herr 
H eimann das Tigroid im Anschluss an Nibsl 1 und im Gegensatz zu Rosm’s 2 
Ausführungen als amphofil bezeichnet, so kann man ja ihm in so fern zu¬ 
stimmen, als sich dieser Bestandtheil der Nervenzellen in der That auffallend 
leicht und scharf auch mit sauren Farbstoffen hervorheben lässt, unbeschadet 
seiner Vorliebe in erster Reihe für basische Farben; aber für das Kerngerüst der 
Spinalganglienzellen trifft dies nicht zu, hier ist die Bezeichnung acidofil am 
Platze und man kann die Begründung dazu der Arbeit Herrn Heimakn’s selbst 
entnehmen, indem darin an verschiedenen Stellen, besonders aber auf S. 821 
hervorgehoben wird, dass „das Kemgerüst mit basischen Farben schlecht, mit 
sauren sehr gut darstellbar“ ist. 

1 Fb. Nibsl, Ueber Robin's neue Färbemetbode des geflammten Nervensystems and 
dessen Bemerkungen über Ganglienzellen. Nearolog. CentralbL 1894. S. 98 u. 141. 

1 H. Boflin, Entgegnung auf Nissl’b Bemerkungen. Neurolog. Centralbl. 1894. S. 210. 

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Stbasbubgeb 1 hat vor einigen Jahren (1892) die Ansicht aufgestellt, dass 
das Kerngerüst dann ein erythrofiles (acidofiles) Verhalten zeige, wenn dem be¬ 
treffenden Kern viel Cytoplasma als Nährmaterial zur Verfügung steht Diese 
Ansicht ist aber von verschiedenen Seiten 2 erfolgreich bekämpft worden, und 
sie scheint mir auch für unsem Fall nicht die richtige Erklärung in sich zu 
schliessen. Vielleicht etwas mehr Wahrscheinlichkeit darf die Hypothese für 
sich beanspruchen, dass der merkwürdig acidofile Charakter des Kerngerüstes 
bei den Nervenzellenkernen mit der Thatsache zusammenhängt, dass die Nerven¬ 
zellen vollkommen zur Ruhe gelangte, niemals mehr einer Theilung unterliegende 
Elemente darstellen. 

Ich möchte hier noch die interessante Frage streifen, wie sich die Substanz 
des Nucleolus zu dem echten Chromatin verhält R. y Cajal und mit ihm 
Van Gehüohten haben, wie wir hörten, das Kernkörperchen direct als aus 
Chromatin bestehend hingestellt Indessen giebt die Anwendung des Ehblich- 
BioNDi’schen Gemisches Resultate, die diese Annahme doch bedenklich erscheinen 
lassen, zum mindesten ohne jeden Vorbehalt Man kann allerdings auch mit 
dieser Methode Bilder erzielen, die sich als Stütze der Caj AL’schen Auffassung 
verwerthen lassen könnten, indem das Kemkörperchen dabei oft in der für das 
basofile Chromatin charakteristischen leuchtend grünen Färbung erscheint. Ist 
aber das Säurefuchsin des Dreifarbengemisches nur ein wenig stärker zur Wirk¬ 
samkeit gelangt — und dies entspricht dem gewöhnlichen Verhalten bei dem 
typisch nach M. Heidenhain ausgeführten EHBLiCH-BiONDi’schen Verfahren — 
so erhält man ein anderes Bild. Zu dem Verständniss dieses Bildes muss ich 
vorausschicken, dass beim Kaninchen und Meerschweinchen das Kernkörperchen 
niemals ganz glatt contourirt erscheint, sondern stellenweise sanfte Höcker, 
leichte Vorwölbungen erkennen lässt. Nun zeigt sich bei der Dreifarbenmethode, 
dass das grosse Kernkörperchen in seinem Haupttheile nicht die reine Metbyl- 
grünfärbung aufweist, sondern mehr einen bläulich-violetten, oft sogar rein rothen 
Farbenton. Nur auf der Oberfläche des Nucleolus, entsprechend den eben er¬ 
wähnten Höckern, treten 1 bis 8 schollenformige kleine Substanzpartieen in die 
Erscheinung, die die charakteristische Grünfärbung, und zwar recht lebhaft, 
zeigen. Manchmal hat es den Anschein, als lägen diese Schollen im Inneren 
des Nucleolus, doch ist dieser Eindruck offenbar nur dadurch bedingt, dass das 
Kernkörperchon diejenige Stelle seiner Oberfläche dem Beobachter zuwendet, der 
jene Schollen angehören. Die scharfe Abgrenzung der kleinen Schollen gegen 
den übrigen Theil des Nucleolus ruft den Eindruck hervor, als gehörten die 
Gebilde eigentlich gar nicht mehr zum Kernkörperchen, sondern seien ihm nur 
angelagert, und dieser Eindruck wird dadurch noch gesteigert, dass die Schollen 
manchmal vom Nucleolus ganz losgetrennt erscheinen, in welchem Falle sie jene 
schon oben erwähnten, sich mit Toluidinblau, u. s. w. blau färbenden kleineren, 


1 E. Stbasborgbe, Ueber das Verhalten des Pollens and die Befrnchtangsvorgänge bei 
den Gymnospermen. Histologische Beiträge. 1892. H. 4. S. 1. 

* Vergl. A. Zimmermann, Die Morphologie and Physiologie des pflanzlichen Zellkernes. 
1896. Jena. S. 35. 

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selbständigen Körnchen bilden, die man ab and za im Kerngerüst, neben dem 
Nucleolus findet. Jedenfalls sind die Gebilde in der überwiegenden Mehrzahl 
sofest an den Naclelons angelöthet, dass man sie unbedenklich in morphologischem 
Sinne auch diesem zurechnen darf. Die geschilderten Verhältnisse sind zuerst 
von Leyi 1 beschrieben worden. 2 

Man kann aus diesen Beobachtungen also den 'Schluss ziehen, dass die 
Basofilie des Nncleolas nur eine relative ist Während das wahre Basichromatin 
der umliegenden Bindegewebskeme das Methylgrün des EHSLiCH-BiONDi’schen 
Gemisches immer festhält, wird dieser Farbstoff im Kernkörperchen leicht durch 
das saure Rubin (Säurefuchsin) theilweise oder ganz verdrängt; nur die oberfläch¬ 
lichsten Theile des Nudeolus, in Form von kleinen Schollen, erweisen sich hierbei 
als typisch basofil, als in ihren färberischen Eigenschaften mit dem Chromatin 
völlig übereinstimmend. Malfatti 3 hat nachgewiesen, dass sich reine Nuclein- 
säure, die aus Hefe dargestellt ist, mit einem Gemisch von Methylgrün und 
Säurefuchsin rein grün färbt, phosphorärmere Nuolelne dagegen eine bläulich¬ 
violette, bei grosser Phosphorarmut selbst rein rothe Färbung annehmen. Diese 
Befunde berechtigen zu der Annahme, dass der Nucleolus der Spinalganglien¬ 
zellen aus einer Verbindung besteht, die dem Nuclein nahe steht, sich aber 
davon durch geringeren Gehalt an Phosphor unterscheidet. Nur an der Ober¬ 
fläche des Nucleolus liegen kleine Partikelohen phosphorreicheren, typischen 
Nucleins. 

Ich gelange zum Schlüsse zur schwierigen Frage des Baues der Grund- 
Substanz, d. h. des zwischen den Tigroidschollen gelegenen Protoplasmas der 
Spinalganglienzellen, die Herr Heimann ebenfalls berührt, unter gegensätzlicher 
Erwähnung meiner Angaben. Ich habe die Frage schwierig genannt, obgleich 
es nach den kurzgefassten, kategorischen Aeusserungen mancher jüngeren 
Forscher im Sinne der Fibrillärstructur, auch des Herrn Heimann, scheinen 
sollte, als bandelte es sich hier um die einfachste, handgreiflichste histologische 
Thatsache, um eine Frage, die sich mit einigen Worten abthun lässt. Indessen 
kann sich der mit der Frage auf Grund eigener Nachforschungen Vertraute des 
Eindruckes kaum erwehren, dass diese von Sicherheit strotzenden kurzgefassten 
Aussprüche mehr auf den suggestiven Einfluss der Stellungnahme des grossen 
Kieler Histologen, als auf die handgreifliche Klarheit der eigenen Bilder zurück¬ 
zuführen ist. Herr Heimann verräth sich in dieser Beziehung selbst, wenn er 
trotz des Ausspruches auf S. 325 „Man sieht bei allen Färbungen, bei der 
einen besser, bei der anderen schlechter, ein deutliches Faserwerk in der Zelle“ 
— in einem Nachwort doch noch mittheilt, dass er nach Abschluss seiner Unter¬ 
suchungen, „um das Vorhandensein eines Fibrillenwerkes ganz deutlich zu 


1 G. Levi, Su alcune particolarita u. s. w. 

1 Nach den in unserem Institute Angestellten Untersuchungen von Herrn Dr. Timofbeff 
(Kasan) liegen’auch in den Spinalganglienzellen der Vögel analoge Verhältnisse vor. 

* H. J. Malfatti, Zur Chemie des Zellkerns. Bericht des naturwiss.-medic. Vereins zu 
Innsbruck. 1891/92. S. 16. 

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zeigen“, sich der Mühe unterzogen hat, nach dem Vorgänge von Lugabo ein 
Kaninchen mit Arsenik zu vergiften. So müssen also seine früheren Bilder 
doch nicht so „ganz deutlich“ gewesen sein. Zu demselben Schlüsse, d. h. dass 
hier eine der heikelsten histologischen Fragen vorliegt, muss man kommen, 
wenn man berücksichtigt, dass die Ansichten gewandter, in der Histologie 
erfahrener Forscher über diesen Funkt noch sehr verschieden sind, und selbst 
die Anhänger der Fibrillentheorie unter sich in sehr wesentlichen Punkten 
differiren. So einfach also, wie es der Herr Verfasser hinstellt, kann die Sache 
doch nicht liegen. 

Was mich selbst betrifft, so habe ich mich seit meiner letzten Arbeit, die 
vor mehr als zwei Jahren entstanden ist, dem Standpunkte Flemming’s, den auch 
Herr Hf.tmakn theilt, wesentlich genähert, indem ich nun auf Grund eigener 
Beobachtungen zugebe, dass es auch in den Spinalganglien der Säuger Zellen 
giebt mit fibrillärer Differenzimng des Grundplasmas. Schon früher batte ich 
ja die fibrilläre Streifung des Axencylinders und des als „Ursprungskegel“ be- 
zeichneten Theiles der Spinalganglienzelle anerkannt Meine Einwände hatten 
sich niemals gegen die Fibrillärtheorie im Allgemeinen gewendet, sondern sich 
immer nur auf den speciellen Fall der Spinalganglien bezogen; sie waren darin 
begründet, dass es mir trotz vielfacher darauf gerichteter, technischer Bemühungen 
niemals gelungen war, ganz überzeugende Bilder im Sinne des Fibrillenbaues 
zu erhalten. Erst vor anderthalb Jahren sollte dieses mein Postulat in Er¬ 
füllung gehen, als mir Herr Lugabo in Florenz einige seiner Spinalganglien¬ 
präparate freundlichst zur Ansicht überliess. Die Präparate stammten von einem 
Hunde, der langsam mit Arsenik vergiftet worden war. In Folge der Ver¬ 
giftung war ein Zustand eingetreten, den Herr Lugabo „peripherische Chroma- 
tolyse“ 1 nennt, d. h. ein Schwund des Tigroids in den äusseren Lagen des 
Zellkörpers. In Folge dieser Veränderung und begünstigt durch eine gelungene 
Sublimatfixirung und progressive Hämatoxylinfärbung trat in den meisten 
grösseren Zellen in den peripheren Schichten der Zelle ausserordentlich deutlich 
eine fibrilläre Structur zu Tage, bestehend aus dicht gelagerten, feinen, wellig, 
aber nicht geknickt verlaufenden Fäserchen, die, unbeschadet eines im Ganzen 

1 S. darüber E. Ldoabo’s Aufsatz-. Solle alterazioni degli elementi nervosi negli av- 
velenamenti per arsenico e per piombo. Bivista di patolog. nervosa e mentale. 1897. .Vol. H. 
S. 49. — Bezüglich des Wortes „Chromatolyse", das auch von französchen and belgischen 
Forschern mit Vorliebe benutzt wird, möchte ich mir erlauben, darauf aufmerksam zu 
machen, dass das Wort seit längerer Zeit (1885) schon für etwas anderes, nämlich für eine 
von F Lemming beschriebene charakteristische Degenerationsform des Zellkerns in allgemeiner 
Verwendung steht. Ueberdies könnte die von Lugabo u. A. bevorzugte Benutzung des 
Wortes zu dem Missverständnis Veranlassung geben, als wäre das Tigroid mit dem Chromatin 
des Kerns identisch, was ja bekanntlich nicht zutrifft. Ich meine daher, man sollte das 
Wort durch ein anderes, vielleicht durch das unmissverständliche „TigTofyBe“(„Tigroid8ch wund“) 
ersetzen. Die Einwände, die von Nibsl (Die Hypothese der specifischen Nervenzellenfunction. 
Zeitschr. f. Psych. Bd. LIV. S. 91) kürzlich gegen das Wort „Tigroid" erhoben worden 
Bind, scheinen mir nicht wesentlich zu sein und kommen nicht in Betracht gegenüber der 
Thatsache, dass wir unbedingt ein kurzes, bequemes Wort brauchen zur Bezeichnung dieser 
für die Nervenzellen so charakteristischen Substanz. 

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und Grossen concentrisohen Verlaufs sich auf dem Längenschnitt reichlich zu 
durchflechten, dort dagegen, wo das Messer ihren Verlauf quer getroffen hat, 
mit einander in netzförmigem Zusammenhang zu stehen schienen. — Aehnlich 
klare Präparate habe ich seitdem nur bei dem Frosche erhalten (mit der Eisen- 
hämatoxylin-Färbung); in den Spinalganglien von Säugern ist es mir nur ab 
und zu gelungen, den fibrillären Aufbau an den Randschichten sicher zu sehen; 
das gewöhnlichste Bild bei den meisten Fixirangen und Färbungen ist das 
einer netzförmigen Anordnung der Grundsubstanz, bald mehr, wie ich es früher 
beschrieben habe, mit körnigem, bald mehr mit faserigem Charakter der netz¬ 
artigen Zeichnung. Viel kommt hier jedenfalls auch auf den Fixirangszustand 
der Zellen an; ich glaube, dass der Nachweis der Fibrillen weniger eine Frage 
der Färbung als eine Frage der Fixirung ist. Fest steht für mich so viel, dass 
in dieser Angelegenheit das letzte Wort noch nicht gesprochen ist. 

Zum Schlüsse möchte ich ein Missverständnis berichtigen. Auf S. 325 
legt mir Herr Heimann die Behauptung in den Mund, dass „bei dickeren 
Schnitten durch Uebereinanderliegen der Körnelung der Grandsubstanz ein 
fibrillärer Bau vorgetäuscht werden könne“. Dieser Satz steht so fern von 
Allem, was ich jemals behauptet habe, dass selbst die Feststellung dessen, welche 
Stelle meiner Arbeit zu solchem Missverständnis Anlass gegeben haben mochte, 
ein mehrmaliges genaues Durchlesen meines Aufsatzes erforderte. Der Leser 
wird es kaum glauben, dass es sich um eine irrthümliche Auslegung folgen¬ 
den, gewiss nicht unklaren Satzes handelt: „Hier kommt freilich ein der 
feineren histologischen Forschung im Allgemeinen feindliches Moment in Be¬ 
tracht: die dilemmaartige Schwierigkeit, dass dicke Schnitte durch Ueberein- 
anderlagerung vieler Schichten den Einblick in den feinsten Bau der Zelle ver¬ 
hindern, dünne Schnitte dagegen von Allem, was in der Zelle ist, nur Bruchstücke 
zeigen.“ Herr Heimann kann meinen Aufsatz oder zumindest die betreffende 
Stelle nur ganz flüchtig durchgelesen haben, sonst wäre ein solches Miss- 
verständniss wohl kaum möglich. 


[Aus dem klinischen Laboratorium von Prof. L. 0. Dabkschewitsch.] 

2. Zur Frage von den centralen Verbindungen der moto¬ 
rischen Hirnnerven. 

[Vorläufige Mittheilung.] 


Von stnd. M. P. Romanow. 


Zu den noch wenig geklärten Fragen im Gebiete der Anatomie des cen¬ 
tralen Nervensystems gehört die Frage von den centralen Verbindungen der 
motorischen Hirnnerven. Um nun in einige von den dunkelsten Seiten dieser 


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Frage Licht zu bringen, unternahm ich an Hunden eine Reihe von Versuchen, 
welche darin bestanden, dass zunächst mittelst des faradischen Stroms das cor- 
ticale Centrum dieses oder jenes Nerven bestimmt und sodann die Hirnrinde 
an der betreffenden Stelle mechanisch — durch Auslöffeln — zerstört wurde. 
Das Thier blieb nach der Operation 20—30 Tage am Leben, darauf wurde es 
secirt, und das Gehirn wurde mit MARCHi’scher Flüssigkeit bearbeitet und in 
einer ununterbrochenen Schnittreihe untersucht. 

Bisher bin ich zu einigen Schlüssen in Bezug auf die Nn. trigeminus, 
facialis und hypoglossus gelangt, und erlaube mir, dieselben hier in aller Kürze 
mitzutheilen. 



Fig. I. Hund. Zerstört wird das corticale 
Centrum des N. trigeminus. Färbung nach 
Makchi. Schnitt durch den Hirnschenkel. 
1 Bündel degenerirter Fasern des Hirn¬ 
schenkels, 2 Schleife. 



Fig. II. Derselbe Versuch. Schnitt im Niveau 
des oberen Endes vom motorischen Trigeminus¬ 
kern. 1 Pyramide, 2 Raphe, 3 degenerirte 
Pyramidenfasern, welche die Raphe über¬ 
schreiten und zum Trigeminuskern der ent¬ 
gegengesetzten Seite ziehen, 4 degenerirte 
Pyramidenfasern, welche zum Trigeminuskern 
derselben Seite gehen. 


Sowohl bei der Auslöffelung des corticalen Ceutrums des N. trigeminus, als 
auch bei der Zerstörung der Centren des N. facialis und N. hypoglossus war in 
der Pyramide der gleichnamigen Seite stets absteigende Degeneration zu beo¬ 
bachten. Die degenerirten Fasern sind in den Fällen mit Verletzung des 
Facialiscentrums vorzugsweise in dem ventro - medialen Theile der Pyramide 
localisirt (Fig. IV, /), in den Fällen von Verletzung der Centra des N. trige¬ 
minus und des N. hypoglossus verbreiten sie sich über die ganze Fläche der 
Pyramide (Fig. II, 1 \ Fig. III, 1 \ Fig. V, 1 ), wobei die den Trigeminus be¬ 
treffenden Fälle mehr (Fig. II, 1 ), die den Hypoglossus betreffenden weniger 
(Fig. V, 1 ) solcher Fasern aufweisen. 

Im Niveau der Kerne eines jeden der untersuchten Nerven sieht man, wie 
aus der degenerirten Pyramide in der Richtung zur Raphe degenerirte Fasern 
ziehen, welche auch auf die entgegengesetzte Seite übergehen. In den Fällen 


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von Verletzung des Facialiscentrums kann man solche degenerative Fasern öfter 
bis dicht zum Kerne verfolgen (Fig. IV, 4), während in den Fällen, wo die 
Centren des Trigeminus und Hypoglossus beschädigt waren (Fig. III, 4\ Fig. V, 3), 
ein solches Bild nicht zu sehen ist. 



Fig. III. Derselbe Versuch. Schnitt im Niveau des unteren Endes vom moto¬ 
rischen Trigeminuskern. 1 Pyramide, 2 Raphe, 3 motorischer Trigeminuskern, 

4 degenerirte Pyramidenfasern, welche an den Trigeminuskern herantreten. 

Bei Verletzung des corticalen Centrums des N. hypoglossus ist die Kreuzung 
der degenerirten Pyramidenfasern in der ganzen Ausdehnung der Kerne dieses 
Nerven zu beobachten; oberhalb der Kerne dagegen begegnet man für gewöhn¬ 
lich keinen solchen Fasern. Die degenerirten Pyramidenfasern, welche zum 

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Fig. IV. Hund. Zerstört wird das Facialiscentrum. Färbung nach Mabchi. 
Schnitt im Niveau der Facialiskerne. l Pyramide, 2 Raphe, 3 Facialiskern, 
4 degenerirte Pyramidenfasern, zur entgegengesetzten Seite ziehend, 5 degenerirte 
Pyramidenfasern, die zum Facialiskern der gleichen Seite ziehen. 


Facialiskern ziehen, vollziehen ihre Kreuzung in der ganzen Ausdehnung der 
Kerne dieses Nerven und auch oberhalb derselben, im Gebiet der oberen Oliven. 
Was die Pyramidenfasern betrifft, welche zum Trigeminuskern gehen, so findet 
ihre Kreuzung hauptsächlich weit oberhalb des oberen Endes der Kerne dieses 
Nerven statt — im distalen Asbchnitt der unteren Corp. quadrigemina. Im 


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Niveau des unteren Endes der Trigeminuskerne ist eine Kreuzung nicht mehr 
zu sehen, man sieht nur Fasern in der Nähe des Kerns. 

Bei "Verletzung der corticalen Centra des N. trigeminus und des unteren 
Facialiscentrums sind ausser den degenerirten Pyramidenfasern, welche zum 
Kern der entgegengesetzten Seite ziehen, stets auch solche Fasern zu beobachten, 
welche zum Kern der gleichnamigen Seite gehen (Fig. II, 4 \ Fig. IV, 5). 

In den Fällen, wo der Versuch vollkommen gelingt, sind auf den nach 
Mabchi behandelten Schnitten alle Fasersysteme ausser den Pyramiden ge¬ 
wöhnlich vollkommen frei von degenerirten Fasern. Was die Pyramide selbst 
betrifft, welche die degenerirten Fasern enthält, so sind da auch unter dem 



Fig. V. Hund. Zerstört wird das Centrum des N. hypoglossos. Färbung 
nach Mabchi. 1 Pyramide, 2 Raphe, 3 degenerirte Pyramidenfasern, 
welche zur entgegengesetzten Seite ziehen. 

Niveau der Kerne des untersuchten Nerven immer degenerirte Fasern anzutreffen 
(wenn auch in geringerer Zahl), und man kann sie bis ins Rückenmark hinein — 
bis zum Seitenstrang der entgegengesetzten Seite — verfolgen. Es ergiebt sich 
also, dass bei isolirter Läsion des corticalen Centrums irgend eines Hirnnerven 
stets auch irgend welche Fasern degeneriren, welche zum Rückenmark ziehen. 
Somit weisen keineswegs alle diejenigen Pyramidenfasern, welche nach Verletzung 
des Rindencentrums irgend eines Hirnnerven degeneriren, auf centrale Verbin¬ 
dungen dieses Nerven hin. Dieser Umstand ist bei derartigen Experimenten 
störend bei der genauen Localisation der gesuchten Bahnen im Gebiete des 
Pedunculus und der inneren Kapsel: in beiden findet man solche Fasern dege- 
nerirt, welche sicherlich in gar keinem Zusammenhang mit den Kernen des 
untersuchten Nerven stehen. Da dem nun so ist, so haben wir gar keine An- 
haltspunke, um zu entscheiden, welche von den degenerirten Fasern zum System 
des untersuchten Nerven gehören, und welche ins Rückenmark verlaufen. 

Eine ausführlichere Mittheilung nebst Erörterung der Litteratur wird an 
anderer Stelle erfolgen. 


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3. Hysterie bei einer Katze und einem Kanarienvogel. 

Von H. Higier (Warschau). 


Dass die Mehrzahl organischer Krankheiten, die beim Menschen Vorkommen, 
auch bei den Thieren beobachtet werden, ist eine allbekannte, wiederholt con- 
statirte Thatsache. Weniger bekannt ist es für functionelle Leiden, besonders 
diejenige des Nervensystems (Neurosen), wo psychischen Momenten eine nicht 
unbeträchtliche Rolle zukommt. So sind beispielsweise unsere Kenntnisse über 
Hysterie bei Thieren ziemlich mangelhaft, wogegen wir über viele Tausende, die 
Menschenhysterie betreffende Studien verfügen. 

Die ausführlichen, die Hysterie behandelnden Monographieen und Hand¬ 
bücher (BbJQUET, ChABCOT, RiCBEB, JoiiliY, PlTBES, LÖWENFELD, GlLLE8 
de la Toubette) lassen die Frage der Thier-Hysterie entweder ganz uuberührt, 
oder begnügen sich mit dem Citiren der vereinzelten Beobachtungen Eletti’s 
(1853), Olveb’s (1878), Chabcot’s (1878) und Abuch’s (1889), was um so 
auffallender erscheinen muss bei der Hysterie, die, wie bekannt, die häufigste 
Neurose des Menschengeschlechts darstellt 

In Anbetracht dessen erlaube ich mir in Kürze über zwei Fälle von un¬ 
zweifelhafter Hysterie bei Hausthieren zu berichten, die ich längere Zeit zu 
beobachten Gelegenheit hatte. Der eine Fall betraf eine Katze, der andere einen 
Kanarienvogel. 

Fall I. 3 / 4 jährige8 Kätzchen eines meiner Patienten, war stets gesund 
und munter, spielte gern mit den Kindern, äusserte viel Intelligenz. Eines 
Tages wurde es vom Hunde des Hanswächters überfallen und in den Rücken 
tief gebissen. Auf Ort und Stelle soll die Katze wie gelähmt hingestürzt sein, 
mehrere Minuten jämmerlich miauend. 

Das Kätzchen lernte ich erst 5—6 Wochen nach dem Unfälle kennen. Es 
bewegte beim Laufen nur die vorderen Pfoten, den Rumpf und die Hinterpfoten 
einfach nachschleppend. Die Hinterpfoten und etwa das hintere Drittel des 
Rumpfes waren sowohl an der ventralen und dorsalen, als an den seitlichen 
Flächen total anästhetisch. Auf tiefe Nadelstiche und heisse Uebergüsse reagirte 
das Thier an den genannten Stellen kaum, indem es leise Berührungen der 
vorderen Körperhälfte in dieser oder jener Weise stets beantwortete. Der Schweif 
war ebenfalls gelähmt und konnte nicht die gute Laune und Zufriedenheit seitens 
der Katze in der üblichen Weise durch Wedeln geäussert werden. Muskel¬ 
schwund der hinteren Extremitäten liess sich beim Vergleich mit dem Ernährungs¬ 
zustand in den vorderen nicht feststellen. Auffallende Incontinenz der Blase 
oder des Mastdarms bei der in Bezug auf diese Functionen gut dressirten Katze 
waren nicht vorhanden. 

Von den recto-vesicalen Störungen, die bei der Katze fehlten, abgesehen, ' 
machte das bloss am Hintertheile gelähmte Thiercheu bei seinen Bewegungen 


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durchaus den Eindruck derjenigen, in den physiologischen Laboratorien ge¬ 
legentlich zu beobachtenden Experimentthiere, die in Folge Rückenmarksdurch- 
schneidung künstlich paraplegisch gemacht werden. 

Und in der That dachte ich anfänglich an eine traumatische Myelitis 
dorsalis. Durch eine Zufälligkeit wurde jedoch nach wenigen Tagen meine 
Diagnose corrigirt. Eines Morgens schleuderte das Dienstmädchen die Katze 
vom ersten Stocke auf das Strassenpflaster, mit der naiven Absicht, zu sehen, 
ob das gelähmte Thier in derselben Weise, wie es sonst bei Katzen der Fall 
ist, beim Herunterfallen auf allen Vieren stehen bleiben wird. Und thatsächlich 
blieb das überraschte Kätzchen in der gewünschten Weise stehen, lief sofort 
davon, und wurde, gegen Erwartung, von ihrer, über 2 Monate dauernden sen- 
8itivomotorischen Paraplegia posterior dauernd geheilt. 

Dass sowohl das Zustandekommen der Lähmung als das Verschwinden der¬ 
selben auf psychischem Wege, durch intensive Affecte geschah, braucht in 
unserem Falle kaum bewiesen zu werden. Für die hysterische Natur der Läh¬ 
mung spricht übrigens der foudroyante Beginn, die complete Lähmung der 
motorischen und sensiblen Functionen bei erhaltener Blasenmastdarmfunction, 
das unzweifelhaft plötzliche Zurückgehen der Lähmung, — kurzum ein Ver¬ 
halten, das man bei organischen Rückenmarksleiden kaum zu sehen bekommt. 

Anhangsweise sei noch über diesen Fall von traumatischer Neurose eine 
nicht uninteressante anamnestiscbe Tkatsache erwähnt, die ich nur nach den 
Angaben der Angehörigen anführe, aber selbst nicht controlliren konnte, und 
die einigermaassen zu Gunsten hereditärer neuropathischer Prädisposition bei der 
genannten Katze spricht. Ihre Mutter hatte wiederholt in den letzten Wochen 
der Gravidität an allgemeinen clonischen, ohne Trübung des Bewusstseins sich 
abspielenden Zuckungen zu leiden (Chorea gravidarum?). 

Fall II. Ganz analog war die Pathogenese in der zweiten Beobachtung, 
die meinen eigenen Kanarienvogel betraf. Hier kam die Rolle des Stärkeren, 
des Angreifers, der Katze zu. 

Eine Katze, die sich ganz unbemerkt ins Zimmer hineingeschlichen hatte, 
überfiel meinen Kanarienvogel, indem sie in einem Nu den Käfig von der 
Wand herunterriss. Bevor sie jedoch den erschreckten Vogel anzugreifen Zeit 
hatte, wurde ich durch den Fall des herabstürzenden Käfigs auf die tragische 
Scene, die sich hinter mir abspielte, aufmerksam gemacht. Die Katze lief sofort 
davon, ohne, was ich kategorisch betonen möchte, den Vogel verletzt oder sogar 
berührt zu haben. Den Vogel fand ich am Boden des Käfigs todtenstarr liegend 
und nach wiederholten Bespritzen mit kaltem Wasser gelang es mir, ihn ins 
Leben zurückzurufen. Er wurde munter, ass gern und zeigte in seinem sonstigen 
Verhalten keine nennenswerthe Abweichung von der Norm. 

Eine schwere Schädigung blieb jedoch in der motorischen Sphäre nach: 
totale Stummheit (Aphonie) bei dem meisterhaft singenden Kanarienvogel. Die¬ 
selbe hielt über 67 a Woche ununterbrochen an, um dann ganz unerwartet zu 
verschwinden und dem wunderschönen Trillern des Artisten Platz zu maehen. 

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Von einem organischen Leiden ist auch in diesem Falle kaum die Bede. 
Intensive psychische Aufregung, nachfolgende Bewusstlosigkeit, Verlust der 
Phonation, plötzliches Zurückkehren der normalen Stimme, — alle diese Momente 
machen die Annahme einer functioneilen Erkrankung, einer Neurose, sehr wahr¬ 
scheinlich. Der Schreck ist also als agent provocateur des nachfolgenden hyste¬ 
rischen Anfalls (Verlust des Bewusstseins, tonische Contractur der Muskeln) und 
des Mutismus oder Aphonie (wahrscheinlich Lähmung der Adductoren der Stimm¬ 
bänder) aufzufassen. 

Die angeführten 2 Beobachtungen beweisen somit aufs Neue die a priori 
wahrscheinliche Thatsache, dass bei mit Intelligenz begabten Thieren, ebenso 
wie beim Menschen, psychische Eindrücke tiefgreifende Reaction auf die soma¬ 
tischen Functionen auszuüben und gelegentlich typische hysterische Symptomen- 
complexe hervorzurufen im Stande sind. 

Da analoge, genauer beobachtete Fälle von thierischer Hysterie, wie er¬ 
wähnt, nur sehr wenige in der medicinischen Litteratur veröffentlicht sind, so 
erlaube ich mir in Kürze diejenigen Beobachtungen zu citiren, die im grossen 
Werke Gilles de la Toubette’s über Hysterie angeführt werden. Sie ge¬ 
hören sämmtlich einem mediolanischen Veterinärarzte Abuoh 1 , der die Gelegen¬ 
heit hatte einmal die Autopsie auszuführen, ohne irgend welche Anomalie im 
Centralnervensystem nachweisen zu können. 

a) 2V 2 jährige intelligente Hündin. In der Anamnese Erkrankung (nervöser 
Natur?) in Folge des Verreisens ihres Herrn. Eines Tages erkrankte sie ziem¬ 
lich acut und schwer, als sie in den Händen der Hausfrau ihren Säugling sah. 
Das Leiden äusserte sich in Dysphagie, Husten, Polyurie, Alteration der Stimme 
und launenhafter Stimmung; später stellte sich complete Aphonie und sensitivo- 
motorische, nicht atrophische Lähmung der Glieder ein. Die Obduction des 
durch Darreichung von Strychnin getödteten Thieres ergab normales Verhalten 
des Nervensystems. 

b) 11 jähriger lustiger und intelligenter Hund. Nach einem Zornausbruch 
seitens seines Herrn bekam er einen schweren Krampfanfall ohne Bewusstseins¬ 
verlust Derselbe wiederholte sich dann jedes Mal, als der Herr von der Stadt 
nach Hause kam und das Zimmer, wo der Hund sich befand, betrat 

c) 2 jähriger Dachshund. Anamnestisch ein vor einem Jahre geheilte Para¬ 
plegie unbekannter Natur. Nachdem eine junge Hündin als Gesellschafterin für 
ihn ins Haus gebracht wurde, verlor er allmählich seine Heiterkeit und Esslust 
Gleichzeitig stellten sich multiple Lähmungserscheinungen ein: Dysphagie, 
Aenderung der Stimme, Paraplegie ohne Blasen-Mastdarmerscheinungen. Com¬ 
plete Heilung trat ziemlich rasch ein, als die zur Gesellschaftsleistung besorgte 
Hündin vom Hause entfernt wurde. 


1 Bevue scientifique. 1889. Nr. 14. S. 443. 


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II. Aus den Gesellschaften. 

Berliner Gesellschaft für Psyohiatrie und Nervenkrankheiten. 

Sitzung vom 13. Juni 1898. 

Jolly macht bezüglich des vonWestphal in der vorigen Sitzung vorgestellten 
Falles von Tetanie die ergänzende Mittheilung, dass nach der ans der Gesellschaft 
herausgegebenen Anregung versucht worden ist, die Anfälle bei der Patientin zu 
coupiren, dass dieser Versuch aber s'tets negativ ausfiel. Im Laufe der bis jetzt 
verflossenen Zeit haben sich die Anfälle fast ganz verloren. Nur einmal sei in der 
Zwischenzeit wieder eine Erhöhung der Anfälle eingetreten. Diese Erhöhung der 
Zahl der Anfälle war durch psychischen Shock verursacht Mit dem Nachlass der 
Anfälle sei auch die erhöhte Muskelerregbarkeit in gleicher Weise zurückgegangen. 

Rosin: Zur Färbung und Histologie der Nervenzellen. 

Vortr. empfiehlt auf Grund gemachter Erfahrungen als allgemeine Härtungs- 
fiüs8igkeit für das Centralnervensystem eine 4°/ 0 Formollösung zu gebrauchen. Die 
mikroskopischen Schnitte, welche in dieser Weise vorgehärtet seien, könnten dann 
den meisten Färbungsmethoden auch der Nissl’schen mit gleichem Erfolge unter¬ 
zogen werden, als wenn man sie zuerst manchen speciellen Färbungsmethoden als 
Grundlage dienenden und empfohlenen Härtungsmetboden unterworfen hätte. Vortr. 
demonstrirt alsdann Schnitte vom Rückenmark, die mit Neutralroth gefärbt sind. 
Das Neutralroth ist eine Farbbase, welche eine Doppelfärbung hervorruft, indem alle 
basophilen Gewebe sich roth und alle acidophilen sich gelb färben. Nach Ansicht 
des Vortragenden sei bei dieser Färbung der Zellleib besser gefärbt, als es mit der 
Nissl’schen Methode geschehe; man kann ferner an den Präparaten erkennen, dass 
der Zellleib in einer Hülle stecke, welche wahrscheinlich von einer dichteren Zone, 
der die Zelle einschliessendön Gliaschicht gebildet wird. Ausserdem zeigen sich die 
Protoplasmafortsätze auch von einer feinen Hülle umgeben, welche man aber weit 
verfolgen kann. Die Bilder zeigen ferner aufs deutlichste, dass der Axencylinder 
keine Granula enthält, die sich im Zellleib uud in den Protoplasmafortsätzen roth 
gefärbt und scharf conturirt darstellen. Die Färbungsflüssigkeit besteht in einer 
concentrirten Lösung von Neutralroth, man kann mit dieser Flüssigkeit die Schnitte 
von 10 Minuten bis zu 24 Stunden färben, ohne dass eine Ueberfärbung eintritt; 
bei kurz dauernder Färbung wird allerdings der Zellleib nicht so gut gefärbt. Nach 
der Färbung werden die Schnitte in Wasser ausgewaschen, so lange sie Farbstoff 
abgeben; hierauf kommen sie in Alkohol, wo noch weiter Farbstoff abgeht und schliess¬ 
lich werden sie nach Aufhellung in Xylol in Canadabalsam eingeschlossen. Vortr. 
stellt ausserdem Querschnitte aus dem Rückenmark des Kaninchen vor, in letzterem 
kamen, wie mit Triacidlösung gefärbte Präparate erkennen lassen, besonders in der 
Zone nach den Hinterhörnem zu Ganglienzellen vor, die sich sowohl von den grossen 
Zellen der Vorderhörner, als auch von den ganz kleinen der Hinterhörner unter¬ 
scheiden, indem sich die Grundsubstanz dieser Nervenzellen dunkler färbt, und ihre 
Fortsätze seien schmäler. Beim Menschen konnte Vortr. diese Zellen nicht finden. 

Goldscheider. Die kleinen Zellen, welche Vortr. erwähnt hat, seien bei den 
Untersuchungen, welche Flatau und er angestellt, auch Gegenstand der Prüfung 
gewesen; aber bei der Nissl’scben Methode haben sich in diesen Zellen nicht sichere 
Veränderungen nachweisen lassen. Ob diese Zellen mit den pycnomorphen Zellen 
Ni8sl’s identisch sind, bezweifelt Verf. Die Ansicht, dass die verschiedene Färbung 
der einzelnen Zellelemente bei Anwendung des Triacidgemisches einen Schluss auf 
die saure oder basische Beschaffenheit des betreffenden Gewebes gestatte, erscheine 
ihm noch nicht genügend bewiesen. 


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Kaplan bemerkt, dass im Laboratorium von Herzberge sebr viel mit Neutral- 
roth gearbeitet worden ist. Die damit gewonnenen Resultate seien deshalb nicht 
besonders erwähnt worden, weil Thionin dieselben Resultate ergeben, und dieser blaue 
Farbstoff auf die Dauer ffir das Auge wohlthätiger sei als der rothe. Die Präparate 
mit Thionin und Neutralroth hätten sich bis jetzt 2 Jahre lang gehalten, ohne dass 
eine Veränderung derselben eingetreten sei. 

Trömmer hat gefunden, dass das Formol alle Gewebstheile ganz gut fixirt, 
aber doch nicht so gut, wie die einzelnen für bestimmte Färbungsmethoden ausge¬ 
wählten Fixirungsmittel. Die Bilder, die man bei Formolhärtung speciell mit der 
N i 881’sehen Methode erhalte, sind nicht so scharf, wie nach reiner Alkoholhärtung. 
Die vorzüglichen Bilder, welche man bei den electiven Färbungsmethoden erhalte, 
basiren doch zum grossen Theil auf electiven Härtungsmethoden. Was die Anwen¬ 
dung des Neutralroths anbetrifft, so hätte Becker schon vor 3 Jahren dasselbe vital 
angewendet. Die Formolhärtung sei von Vortheil, wenn aus besonderen Umständen 
die einzelnen Stücke nicht in besondere Fixirungsflüssigkeiten gelegt' werden können. 

Rosin hat auch nur die Empfehlung des Formols in diesem Sinne gemeint; 
man solle jedenfalls das Formol vor der Müller’schen Flüssigkeit bevorzugen. Die 
Angaben Kaplan’s stehen denjenigen von v. Lenhossek gegenüber, welcher sich 
dahin äusserte, dass die Thioninpräparate sich nicht halten. Vortr. vertheidigt zum 
Schluss die von Ehrlich zuerst aufgestellte Theorie der acido- und basophilen Ge- 
webselemente. 

Brasch: Traumatische Hypoglossuslähmang. (Krankenvorstellung.) 

Der vorgestellte Fall betrifft einen 54jährigen Maurer, welcher vom Erdgeschoss 
in den Keller gefallen war und zwar fiel er zuerst auf das Gesäss und stiess dann 
noch mit dem Nacken gegen die Wand. Nach dem Sturz war Patient 1 / 2 Stunde 
bewusstlos, hatte Blut aus Nase, Mund und Ohren verloren und auch Erbrechen 
gehabt. Bei der späteren Untersuchung hielt Pat. die Zunge beständig nach rechts 
gewendet und diese Drehung erschien zuerst als ein Spasmus, wozu noch kam, dass 
sich bei weiterer Untersuchung auch noch andere hysterische Erscheinungen, z. B. 
halbseitige Sensibilitätsstörung herausstellten. Der weitere Verlauf indessen hätte 
ergeben, dass es sich um eine linksseitige Hypoglossuslähmung handele. Man siebt 
fibrilläre Zuckungen in der Zunge, die gelähmte Seite ist atrophirt und stärker be¬ 
legt; im Munde weicht die Zunge ein wenig nach links ab. Der Kranke trägt den 
Kopf ein wenig nach rechts gewendet; von einer Lähmung des Accessorius ist in¬ 
dessen nichts zu finden. Wenn überhaupt hier etwas Pathologisches bestehe, so 
könne nur ein Krampf des Cucullaris vorhanden sein. Der electrische Befund, welcher 
Herabsetzung der Erregbarkeit in diesem Muskel ergeben habe, sei allerdings eigen¬ 
tümlich. Indem Vortragender die meisten bis jetzt veröffentlichten Fälle von trau¬ 
matischer Hypoglossuslähmung einer kritischen Besprechung unterwirft, wobei er 
besonders das Zustandekommen der Lähmung in den einzelnen publicirten Fällen 
näher beleuchtet, kommt er zu dem Schluss, dass es bei Luxationen und ähnlichen 
Läsionen in den ersten beiden Halswirbeln sehr leicht zu Quetschungen des N. hypo- 
glossus kommen kann, und dass in diesem und anderen Fällen möglicher Weise diese 
causale Ursache obgewaltet hat; indessen sei auch die Annahme nicht zurückzu¬ 
weisen, dass hier eine Basisfractur die Ursache der Lähmung gewesen. 

H. Krön stellt im Anschluss an den Vortrag ebenfalls einen Fall von peri- 
pherisoher, traumatischer Hypoglossuslähmung vor, der dadurch entstanden 
ist, dass der Nerv bei einer grösseren Geschwulstoperation am Halse vor 8 Wochen 
verletzt worden ist. Es besteht Atrophie der linken Zungenhälfte mit fibrillären 
Zuckungen bei completer Entartungsreaction. Die Beschwerden sind jetzt gering, 
die Sprache ist kaum merklich alterirt, nur das R macht Schwierigkeiten. Im An- 

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fange wurde die gelähmte Zungenhälfte häufig zerbissen. Die Zunge weicht beim 
Herausstrecken mit der Spitze nach links ab. In der Mundhöhle zeigt sie keine 
Lage Veränderung. An der Lähmung betheiligen sich auch die stemalen Muskeln. 

Der Fall bietet ferner eine Lähmung des äusseren Accessoriusastes der¬ 
selben Seite dar. Der Sternocleido-mastoid., wie der Cucullaris ist gelähmt und 
erheblich atrophirt. Beide Muskeln zeigen complete Entartungsreaction. Die Ver¬ 
änderungen sind die charakteristischen. Besonders bemerkenswerth ist aber, dass 
trotz der völligen atrophischen Lähmung auch des mittleren Cucullarisabschnittes 
kein sogen. Mouvement de bascule (Schaukelstellung) der Scapula besteht. Beschwerden 
werden tbeils durch Schmerzen in Folge Herabbängens des Armes, theils durch die 
Unfähigkeit, denselben auch nur bis zu einem Winkel von 45° eleviren zu können, 
hervorgerufen. 

Bemak bemerkt, dass das Verhalten der Zunge der von Brasch vorgestellten 
Patientin nicht dem einer reinen Hemiatrophia linguae entspricht. Bei derselben ist 
die Zunge passiv widerstandslos beweglich und wird dieselbe nach beiden Seiten frei 
willkürlich bewegt. Hier findet man aber bei Versuchen der Zunge gerade zu schieben 
einen Widerstand und nimmt die gerade gestellte Zunge nach einiger Zeit wie will¬ 
kürlich die gekrümmte Stellung wieder ein. Es ist dies ein Symptom des Hemi- 
spasmus linguae, welche auch durch die complicirende Hemianaesthesie wahrschein¬ 
lich ist. Activ will aber der Kranke die Zunge garnicht deutlich bewegen können. 
Wenn Entartungsreaction constatirt wäre, so liegt jedenfalls ausserdem eine hyste¬ 
rische Complication vor, und handelt es sich nicht um einen reinen Fall halbseitiger 
Zungenlähmung. 

In Bezug auf das acromiale von den Cervicaläöten versorgte Cucullarisbündel, 
durch dessen Verschonung bei Accessoriuslähmung die Drehstellung der Scapula aus¬ 
bleibt, haben die Ergebnisse von Schlodtmann und Sternberg diese vom Bedner 
zuerst geäusserte Ansicht bestätigt. 

Gumpertz erwähnt einen Fall, bei welchem neben Zungenlähmung auch eine 
solche des M. orbicularis oris bestand. 

Schuster fragt an, ob die Schiefstellung des Kopfes in dem von Brasch 
vorgestellten Falle nicht schon vorher bestanden habe, wie man sie bei Lastträgern 
öfters finde. 

Bernhardt: Wie Herr Krön mitgetheilt habe, ist bei seinem Patienten der 
ganze Cucullaris gelähmt; und dieser gelähmte Muskel zeigt überall Entartungs¬ 
reaction; ferner sind die Zunge und die Sternalmuskeln auf einer Seite gelähmt, 
letztere aber werden sicher von Cervicalästen innervirt; wenn nun doch die Schankel- 
stellung der Scapula in diesem Falle fehle, so scheine dies gegen die Annahme von 
Bemak zu sprechen, dass die mittlere Portion des Cucullaris von solchen Aesten 
versorgt werde. 

Betnak: Um entscheiden zu können, ob der Kron’sche Fall seiner Ansicht 
entspricht, dass die Drehstellung (Schaukelstellung) der Scapula nur eintritt, wenn 
neben dem Accessorius auch die cervicalen Aeste des Cucullaris erkrankt wären, 
müsste er den Fall genauer untersuchen. Aber auch ohne dies geht aus der Lage 
der kurzen Narbe vorn am Cucullarisrande in der Gegend des Accessoriuseintrittes 
mit Wahrscheinlichkeit hervor, dass • die cervicalen Aeste nicht getroffen sein dürften, 
deren motorischer Punkt für die faradische Beizung ca. 5 cm tiefer am vorderen 
Cucullarisrand sich findet. Wenn diese Aeste nicht mit verletzt sind, so bleibt das 
znm Acromion ziehende Bündel erhalten und fehlt die Drehstellung. 

Gegen Herrn Bernhardt sei zu bemerken, dass eine Verletzung des N. des- 
cendens hypoglossi und seiner Anastomosen nicht nothwendig eine gleichzeitige Ver¬ 
letzung der cervicalen Cucullarisäste der Lage der Narbe nach mit sich bringt 

Krön: Ans der am Halse befindlichen Narbe könne noch nicht sicher ge¬ 
schlossen werden, wo das Messer in der Tiefe überall hingekommen sei. Den Ein- 

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603. — 


wand Remak’s, dass der mittlere Abschnitt des Gucullaris functionire, weise er mit 
Rücksicht auf die erhebliche Atrophie und die complete Entartungsreaction desselben 
sowie auf das Fehlen jeder Bewegungsäusserung im ganzen Cucullaris zurück. Es 
sei vielleicht möglich, dass der Serratns durch verstärkte Innervation in solchen 
Fällen dieses mouvement de bascnle verhindern kann. 

Goldscheider: Die Cervicaläste können so weit vorn liegen, wie Bernhardt 
annehme; sie werden verletzt bei Schnitten, die am hinteren Rande des Sternocleido- 
mastoideus geführt werden. 

Bernhardt erwidert, dass er keine Behauptung aufgestellt hat, sondern nur, 
gestützt auf die vom Vortr. gegebene Darstellung, Fragen gestellt habe. 

Remak: Die rein theoretisch begründete Ansicht des Vortr., dass die Lage der 
Narben für die Nerven Verwundung gleichgültig wäre, ist durch zahlreiche tbatsäch- 
liche Beobachtungen über Operationsfälle längst widerlegt. Redner hat schon 1887 
(Berliner klin. Wochenschr. S. 124) an von v. Langenbeck und v. Bardeleben 
operirten Fällen gezeigt, dass die Scbaukelstellung eingetreten war bei tiefer am 
vorderen Rande des Cucullaris ausgeführten Operationen, bei welchen der Accessorius- 
eintritt absichtlich vermieden war. Wie er 1892 (Ebenda. S. 1113) noch weiter 
ausgeführt hat, tritt die Deviation des Schulterblattes nicht ein bei reiner Accessorius- 
Verletzung, sondern nur bei gleichzeitiger Läsion der tiefer in den Muskel eintretenden 
Cervicaläste, welche gar nicht erst in den Accessorius gelangen. Nach der Lage der 
Narbe und dem Habitus des Muskels glaube er an dem Kron’schen Falle annehmen 
zu dürfen, dass die cervicale Innervation des acromialen Cucullarisbündels hier er* 
halten ist und sie auch die faradische Untersuchung würde nachweisen lassen. 

Brasch: Ob sein Pat. vor dem Unfälle den Kopf schief gehalten, sei ihm nicht 
bekannt; er halte seinen Kranken auch heute noch für hysterisch, die Zungenlähmung 
aber nicht für eine solche. Der Kranke konnte zuerst die Zunge ganz gut bewegen, 
warum er es heute nicht thut, weiss er nicht Jacobsohn (Berlin). 


33. Versammlung des Vereins der Irrenärzte Niedersachsens und West¬ 
falens zu Hannover am 7. Mai 1898. 

Vorsitzender: Gerstenberg. 

Schriftführer: Sn eil II. 

Vor der Tagesordnung stellt Bruns zunächst 2 Kinder mit cerebraler Kinder¬ 
lähmung vor. Das erste Kind — ein Mädchen von jetzt 3 Jahren — wurde normal 
geboren, litt aber schon im 1. Lebensjahre an so schweren allgemeinen Krämpfen, 
dass man oft für sein Leben fürchtete. Es besteht jetzt das Symptomenbild der 
doppelseitigen Athetose. An den athetotischen Bewegungen nehmen Arme und 
Beine, vor allen Hände und Füsse, der Rumpf, der Kopf und die Gesichtsmuskeln 
theil. Der Gesichtsausdruck ist besonders beim Lächeln sehr eigenthümlich. In den 
Extremitäten besteht ausserdem deutliche spastische Parese mit erhöhten Sehnen¬ 
reflexen. Da auch das Schlucken und Kauen erschwert ist, und das Kind, obgleich 
es alles versteht, noch garnicht spricht, so gehört der Fall wohl zur pseudobulbär¬ 
paralytischen Form der cerebralen Kinderlähmung (Oppenheim). 

Im 2. Falle — & jähriges Mädchen — handelte es sich um einen typischen 
Fall von Hemichorea oder, wie Kussmaul dies sehr charakteristisch bezeichnet, 
Hemiballismus. Auch hier kein Geburtstrauma. Im 2. Jahre linksseitige Con- 
vulsionen — allmählich volle linksseitige Lähmung. Aus dieser entwickelte sich 
ganz allmählich die linksseitige Hemichorea, die jetzt etwa sei einem Jabre besteht. 

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. 604 


An den Bewegungen sind das linke untere Gesicht, der linke Arm und das linke 
Bein betheiligt. Im Gesicht handelt es sich um einfache Zuckungen. Der linke 
Arm wird in cerebraler Contracturstellung vom Körper abducirt und dann mehrmals 
hintereinander wild auf den Leib aufgeschlagen (Hemiballismus). Das linke Bein 
wird beim Versuch zu gehen in ganz unregelmässiger Weise nach vorn, hinten oder 
nach der Seite geworfen, nach dem Aufsetzen gleich wieder gehoben u. s. w. Dennoch 
ist das Gehen möglich. Die Bewegungen haben alle etwas heftiges, ruckartiges — 
ganz anders wie bei der Sydenham’schen Chorea; an den linken Fingern kommen 
aber auch athetotische Bewegungen vor. Es besteht keine eigentliche Lähmung — 
auch sind die Sehnenreflexe links nicht erheblich gesteigert. Ausserdem besteht 
links noch Strabismus convergens. Die Intelligenz ist nicht gestört, die Sprache gut 
entwickelt; das Kind hat aber abwechselnd Perioden der Erregung, wo es den ganzen 
Tag herumtanzt und schwatzt, und Perioden der Depression, wo es immer schläft 
und kaum zur nöthigsten Nahrungsaufnahme wach gehalten werden kann. Diese 
Fälle sind recht selten. 

Ausserdem demonstrirt Bruns die anatomischen Präparate zweier Fälle von 
Hirntumor, in denen beiden eine genaue Localdiagnose möglich war. 

Im 1. Falle handelte es sich um einen Tumor des linken Stirnhirns. Von 
October 1897 an allmählich zunehmende Benommenheit und Schlafsucht bei 
sonst klarem Bewusstsein. Im November ganz leichte rechtsseitige Hemi- 
parese — besonders in der rechten Hand —, nie eigentliche Lähmung, nie 
Convulsionen, ab und zu rechts Acbillesclonus. Dann Störungen der Sprache — 
zuerst Paraphasie, zuletzt vollständige Sprachlosigkeit — bei vollem Verständniss der 
Sprache und zunächst noch erhaltener Lesefähigkeit. Stauungspapille fehlt zunächst, 
am 21. December ist sie links sehr stark mit Blutungen, rechts beginnend. 
Am 30. December besteht links Ptosis und Abducenslähmung und auch 
wohl Amblyopie, rechts ebenfalls Abducenslähmung. Die Benommenheit nahm 
zu. Jetzt wurde die Diagnose eines Tumors des linken Stirnhirns mit 
Sicherheit gestellt, der besonders nach der Basis zu wuchs (Augenmuskellähmung, 
Verhältnisse des Opticus). Gleichgewichtsstörungen waren nie deutlich 
vorhanden. Der Vorschlag einer Operation wurde vom Ehemann nicht angenommen. 
Tod Mitte Januar. Es fand sich ein Tumor — Sarcom — des linken Stirnhirnes, 
das beinahe an den Stirnpol reichte, die grösste Ausdehnung in der Mitte des 
Stirnhirns hatte und in das Mark der Centralwindungen nur als kleiner Zapfen unter 
dem Ependym des Seiten Ventrikels hineinragte. Der Tumor war besonders nach der 
Basis und nach aussen zu gewachsen — die medianen oberen Theile des Stirn¬ 
lappens und ihre Markfaserung waren nicht tangirt — vor allem auch nicht das 
rechte Stirnhirn coroprimirt; dadurch ist vielleicht das Fehlen der Ataxie 
zu erklären. Der Tumor war nicht scharf abgegrenzt und sass ganz subcortical, 
am nächsten der Binde an Basis und Insel; es war also sehr günstig, dass der Gatte 
die Operation verweigert hatte. 

Im 2. Falle handelte es sich um einen Tumor im linken oberen Scheitellappen. 
Beginn der Erkrankung im October 1896 mit psychischer Abgeschlagenheit; im 
November 1896 Fall von der Treppe auf die rechte Stirnseite und die rechte Hand. 
Im Februar 1897 beiderseits beginnende Neuritis optica, im August 1898 rudimen¬ 
täre rechtsseitige Hemianopsie. Damals sah B. den Patienten zuerst; er fand ausser 
dem schon Berührten: erstens Störungen in der Gebrauchsfähigkeit des rechten Armes 
ohne jede Lähmung; später stellte sich deutliches Fehlen des stereognostischen Sinnes, 
Herabsetzung des Muskelgefübls und der Tastlocalisation ein; Schmerz- und Temperatur¬ 
gefühl blieben erhalten; auch im rechten Beine Ataxie beim Kniehackenversuche, nie¬ 
mals deutliche Lähmung, ab und zu rechts Achillesclonus. Sprache: zunächst Ver¬ 
ständniss erschwert, nie aufgehoben, aber besonders erschwert für Aufträge, die den 
rechten Arm betrafen. Später Wortschatz sehr beschränkt, auch Paraphasie. Lesen 

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605 


lange möglich. Schreiben von Anfang an schlecht. Später complete rechtsseitige 
Hemianopsie, keine hemianopiscbe Pupillenstarre. 

Währeud der ersten 6 / t Jahre der Erkrankung nie Kopfschmerz, nie Er¬ 
brechen; keiue locale percutorische Schmerzhaftigkeit. Erst von Februar 
1898 viel Kopfschmerz, ab und zu apoplectiforme Anfälle mit Erbrechen; dabei einmal 
rechtsseitige totale Ptosis,- die sich aber in 6 Stunden wieder verlor. 

Aus den Symptomen hatte B. die Diagnose auf einen Tumor des linken 
Parietalhirnes gestellt; bei der Geringfügigkeit der Schmerzen und bei dem gleich¬ 
zeitigen Eintreten der rechten Hemianopsie und der rechten Gefflhlsstörungen glaubte 
er aber an einen central sitzenden Tumor in der Gegend des Corpus geniculatum 
externum und der hinteren Partie der inneren Kapsel; er dachte deshalb garnicht 
an eine Operation. Bei der Section am 5. Mai 1898 fand sich ein von der Dura — 
Innenseite — ausgegangener harter Tumor (Sarcom); er hatte eine Grube in dem 
linken oberen Scheitellappen gedrückt und dabei auch die Kinde hier zerstört; 
Centralwindungen, Occipitalwindungen, Schläfenlappen, Gyrus supramarginalis und 
angularis waren frei, aber verdrängt, besonders das Occipitalbirn. Der Tumor hatte 
die Dura nach aussen durchbohrt und den Knochen bis an die äussere Schale arrodirt. 
Bemerkenswerth war hier jedenfalls die Geringfügigkeit der Schmerzen; in den letzten 
Wochen hat B. allerdings auf percutorische Schmerzhaftigkeit nicht mphr untersucht. 
Für eine Operation wäre der Fall sehr günstig gewesen. (Beide Fälle sollen aus¬ 
führlich in d. Centralbl. veröffentlicht werden.) 

Weber (Uechtspringe): 1. Uebor eisenhaltige Ganglienzellen. 

Im Gehirn eines 6jährigen Knaben, der 1 Jahr lang an meningitischen Er¬ 
scheinungen litt, ergab die Section multiple kleinste Erweichungsherde in allen 
Theilen der Kinde, hauptsächlich im Occipitalhirn. 

Bei der mikroskopischen Untersuchung fand sich productive Entzündung der 
Gefässe in diesem Bereich, entzündliche Wucherung oder cystäre Erweichung des 
Bindengewebes, perivasculäre kleinste Blutungen und Blutreste in den Ge websspalten. 

Um erkrankte und blutende Capillaren der Binde fand sich regelmässig eine 
Zone, in der die Ganglienzellen ihre normale Anordnung verloren hatten, radiär den 
Herd umstanden und in Form und Grösse, sowie tinctoriellem Verhalten verschieden 
waren. Am ungefärbten Präparat waren sie farblos, aber von starrem, etwas glän¬ 
zendem Aussehen, aufgetrieben, der Kern nicht sichtbar. Mit gewöhnlichen Häma* 
toxylin färbten sich Leib und Ausläufer intensiv schwarz, wodurch sie gegenüber 
dem übrigen Gewebe deutlich hervortraten. Der Kern liess sich bei dieser Färbung 
nicht mehr unterscheiden. 

Mit Ferrocyankalium-Salzsäure färbte sich die ganze Zelle mit Ausläufern und 
Kernstelle intensiv blau, bei etwas weniger starker Einwirkung lagerte sich der 
blaue Farbstoff in Körnern im ganzen Zellleib ab. Es handelte sich also einerseits 
um einen Degenerationsprocess der Zelle, andererseits um einen Inflltrationsprocess, 
wobei ein eisenhaltiger Bestandtheil des extravasirten Hämoglobins von der Zelle 
aufgenommen und durch einen activen Process der Zelle soweit umgestaltet wurde, 
bis er Eisenreaction gab. Diese active Thätigkeit der absterbenden Zelle wird betont 
im Gegensatz zu der Kalkimprägnation, die nur an abgestorbenen Zellen vor sich 
geht. Nach dem Verhalten der Zellen gegenüber verschiedenen Reagentien scheint 
es sich um ein Eisenalbuminat zu handeln, das Vortr. als eine Vorstufe des Hämo- 
siderins auffasst. Dafür spricht seine Farblosigkeit im ungefärbten Zustande und 
sein eigenartiges Verhalten gegenüber Hämatoxylin. 

Vortr. hat die gleiche Veränderung ein zweites Mal beobachtet in einer gelben 
Erweichung des Hinterhauptlappens bei einem 70jähr. Individium. Aus der Litteratur 
ist kein Fall von eisenhaltigen Ganglienzellen bokannt. 

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606 


2. Herstellung makroskopischer Demonstrationspräparate des Central¬ 
nervensystems. 

Vortr. demonstrirt Frontal-, Sagittal- und Horizontalschnitte durch ganze Gehirne 
und einzelne Hemisphären, welche die natürlichen Farbenunterschiede zeigen, topo¬ 
graphische Anordnung der grauen und weissen Substanz, den Verlauf der Haupt- 
faserzDge, sowie in pathologischen Fällen, einzelne Erkrankungs-, Erweichungs-, 
Blutungsherde deutlich erkennen lassen. Die Schnitte sind von 3—8 mm Dicke, in 
Gelatine in flachen Glaskästen eingeschlossen; sie haben den Vorzug halb durchsichtig 
zu sein und können bei Demonstrationen bequem herumgereicht werden. Die Fixirung 
der Gehirne geschieht in Kayserling’scher Flüssigkeit (Formol-Salzlösung), die 
Schnitte werden mit dem grossen Gehimmesser hergestellt, indem man eine dickere 
Himscheibe in den zur nachherigen Aufnahme dienenden Glaskasten legt, und was 
über den Band absteht, abträgt. 

Die Gelatine wird, um nachberiges Verdunsten von Wasser und Schrumpfen der 
Präparate zu verhüten, in reinem Glycerin im Dampftopf gelöst, in die Glaskästen 
eingegossen und dann unter Vermeidung von Luftblasen eine Glasscheibe als Deckel 
aufgesetzt. 

Die Glaskästen stellt Vortr. aus alten photographischen Platten her, denen 
Streifen von gewöhnlichem Glas als Bänder aufgesetzt werden. 

(Eine genauere Beschreibung der Methode siehe in der Lähr'sehen Zeitschrift.) 

Otto Snell (Hildesheim): Ueber Hypothermie bei Geisteskranken. 

Subnormale Körpertemperaturen, auch solche unter 35 °, sind bei geistig Gesunden 
und bei Geisteskranken viel häufiger als man früher glaubte. Unter den Ursachen 
der Hypothermie kommen bei Geisteskranken besonders drei in Betracht: directe 
Wärmeentziehung, Herabsetzung des Stoffwechsels und unmittelbare Wirkung des 
nervösen Centralorgans. Die Hypothermie durch Wärmeentziehung wird begünstigt 
durch die bei Geisteskranken häufige Unempfindlichkeit gegen Kälte. Hier muss die 
Aufmerksamkeit der Aerzte und des Pflegepersonals ersetzen, was die Stumpfheit der 
Kranken versäumt. Die geringen Erniedrigungen der Körperwärme, welche bei 
Melancholischen, Stuporösen und Blödsinnigeu häufig sind, auch wenn die Kranken 
dauernd in warmen Bäumen das Bett hüten, sind wohl durch eine Herabsetzung des 
Stoffwechsels zu erklären. In einzelnen Fällen kommt es hier zu Temperatur¬ 
senkungen bis unter 34°. Am auffallendsten sind die Schwankungen der Körper¬ 
wärme bei Paralytikern. So häufig andere Gründe als Erklärung herangezogen 
werden können, so bleiben doch Fälle übrig, in denen eine unmittelbare Einwirkung 
des Gehirnes angenommen werden muss. — Es wurden zahlreiche Temperaturcurven 
vorgelegt; eine von ihnen zeigte einen Wärmeabfall bis auf 25°. 

An der Discussion betheiligten sich Alt, Bruns und Snell I. 

Bruns fragt an, ob auch in den Anstalten die aufgeregte Form der Paralyse 
gegenüber der langsam progressiven Demenz seltener geworden sei, er sehe in der 
Praxis die paralytische Tobsucht sehr selten. Diese Frage wird von den ver¬ 
schiedensten Seiten bejaht; Alt führt das auf die frühere Internirung dieser Kranken 
und die bessere Behandlung zurück. 

Bartels (Ballenstedt): Ueber die Aufnahme von Psychisoh-Kranken in 
offene Anstalten. 

Eine scharfe Trennung zwischen Nervenkranken und Psychisch-Kranken ist nicht 
zu machen, es giebt zahlreiche Uebergangszustände, wie die völlig anerkannten Be¬ 
zeichnungen Neuro-Psychosen oder Psycho-Neurosen zeigen. Dem entsprechend ist 
es auch allmählich anerkannt worden, dass eine ganze Anzahl von leichteren Psychosen- 
formen, besonders in den Anfangsstadien nicht nothwendig der Behandlung in der 

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geschlossenen Irrenanstalt bedarf, sondern in Nervenheilanstalten, in die sogenannten 
offenen Anstalten aufgenommen werden kann. Voraussetzung ist dabei, dass der 
Leiter derselben psychiatrisch vorgebildet ist, ausserdem ist zur erfolgreichen Behand¬ 
lung der verschiedenen Arten von Psychopathieen ein geeignetes Pflegepersonal noth- 
wendig, da das vielfach übliche Begleitenlassen der Patienten durch Angehörige nur 
ein mangelhafter Nothbehelf ist und auch in kleinen Sanatorien der Arzt sich nicht 
selbst und allein den einzelnen Patienten in Allem ausreichend widmen kann. 

Es kommt nun daranf an, bestimmte Grenzlinien zu ziehen und sich über die 
Grundbedingungen zn einigen, unter denen Psychisch-Kranke in offene Anstalten auf¬ 
genommen werden können. Einzelne derselben sind schon frQher von Laehr, 
Hecker u. A. gelegentlich angegeben. Wenn man einerseits das Wohl und Wehe 
der unterzubringenden Psychisch-Kranken, andererseits das Interesse der übrigen 
nervenkranken Insassen der offenen Anstalten berücksichtigt, so werden sich diejenigen 
Patienten eignen, welche 

1. Bewusstsein und Erkenntniss ihrer Krankheit haben, 

2. freiwillig kommen und bleiben, 

3. den ärztlichen Anordnungen nachzukommen bereit und im Stande sind, 

4. keiner fortdauernden Beaufsichtigung bedArfen, 

5. nicht selbstmordverdäcbtig sind, 

6. im Zusammenleben mit Nervenkranken nicht störend sind. 

Ein besonderes Gewicht ist auf die mittleren Bedingungen zu legen, nur unter 
der Voraussetzung 2 und 3 ist eine erfolgreiche Behandlung in der offenen Anstalt 
möglich, nur unter der Voraussetzung 4 und 5 kann der Leiter der offenen Anstalt 
sowohl den Kranken selbst als auch ihren Angehörigen gegenüber die Verantwortung 
der Aufnahme übernehmen. Am entschiedensten ist die 5. Bedingung zu betonen, 
wird diese streng inne gehalten und alle in dieser Kichtung irgendwie verdächtigen 
Fälle von vorn herein abgelehnt, oder, sobald sich die geringste Gefahr zeigt, sofort 
der geschlossenen Anstalt übergeben, so lassen sich Suicidien in offenen Anstalten, 
wenn auch nicht immer und mit absoluter Sicherheit, so doch so gut wie sicher 
vermeiden, wie Vortr. in seiner eigenen Anstalt im Laufe einer Beihe von Jahren 
gesehen hat. L. Bruns (Hannover). 


XXm. W ander Versammlung der BÜdwestdeutsohen Neurologen und Irren¬ 
ärzte zu Baden-Baden am 21. und 22. Mai 1808. 

(Schluss.) 

Prof. Dr. Fürstner (Strassburg): Ueber nervöse Symptome bei Urämie. 

Vortr. giebt zunächst einen Ueberblick über die bisher bei Urämie beobachteten 
nervösen Symptome, die Krampfanfalle, die meist den epileptischen Insulten gleich¬ 
gestellt würden, die Anfälle von halbseitigen Zuckungen als Jackson'sehe Epilepsie 
aufgefasst, endlich Convulsionen in einzelnen Muskelgruppen bezw. Muskeln. Dem¬ 
gegenüber stehen als Herdsymptome: Zustände von Aphasie, Seelen- bezw. Binden¬ 
blindheit, Hemiplegieen, in einem Falle bestanden auf der einen Seite Zuckungen, 
auf der anderen Lähmung. Dass letztere functioneller Natur sind, hält Vortr. noch 
nicht für erwiesen, da mikroskopische Untersuchungen einschlägiger Fälle nicht vor¬ 
liegen und der makroskopische Befund allein nicht beweise. Wenig steht über das 
Verhalten der Pupillen fest, bald wird angegeben, sie seien auf der Höhe des An¬ 
falls weit, bald dass sie bei chronischer Urämie eng, bei acuter weit seien. Ueber 
das Verhalten der Beflexe liegt überhaupt kein Material vor. Vortr. erinnert daran, 
dass die genannten Symptome durchaus gleichartig im Verlauf der progressiven 

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608 


Paralyse beobachtet wörden (paralytische Anfalle), dass sie experimentell gewonnen 
seien. Bei Wiederholung der von Landois vorgenommenen Versuche (Aufstreuen 
von Kreatin und Kreatinin, sowie anderer Stoffe auf die Hirnrinde, Bickel kam zu 
gleichen Resultat bei Verwendung von Galle) überzeugte sich Vortr., dass die vor 
dem epileptischen Anfalle engen Pupillen sich ad maximum erweiterten, starr wurden, 
dass die Patellarreflexe auch nach dem Anfalle Steigerung zeigten — mehr auf der 
gekreuzten Seite —, während die Hautreflexe abgeschwächt waren. Vortr. bespricht 
das Verhalten der Reflexe nach paralytischen Anfällen und berichtet dann über 
zwei Fälle von Urämie bei Menschen, bei denen er das Verhalten der Pupillen und 
Reflexe genau prüfen konnte. 

Der erste Pat. starb, nachdem einige Tage fast Anurie und Zeichen von Urämie 
bestanden. 5 Monate vor der Aufnahme zwei schlagartige leichte Anfälle mit sich 
zurückbildender rechtsseitiger Parese. Der stark saure, spärliche, eiweisshaltige Urin 
war dadurch bemerkenswerth, dass er colossale Mengen Bacillus acrogenes lactis 
enthielt (es bestand Nahrungsverweigerung, per Sonde wurde fast ausschliesslich Milch 
eingeführt). Kurze Zuckungen im Gesicht, Singultus, Cheyne-Stoke’sche Athmung. 
Pupillen allmählich enger werdend, schliesslich ad maximum verengt, starr. Zu* 
nehmende colossale Steigerung aller Sehnenreflexe, links noch mehr als rechts. Ab¬ 
schwächung der Hautreflexe. Keine Trübung des Sensoriums. Exitus, ohne dass es 
zu einem Krampfanfalle gekommen. Bei der Section ergaben sich zwei kleine un¬ 
bedeutende Herde im Stabkranz, ein weiterer im Pons. Degeneration der beiden 
Pyramidenseitenstränge, der einen Pyramidenvorderstrangbahn. Nephritis. Atherom. 

Im zweiten Falle Graviditätsurämie, am Tage vor der Entbindung leichter 
Krampfanfall, an den beiden Tagen nach der ohne Kunsthülfe erfolgten Entbindung 
wurde zunehmende Myosis, ungemeine Steigerung der Sehnenreflexe, Herabsetzung 
der Hautreflexe beobachtet, dann erfolgte noch ein Krampfanfall, während desselben 
Pupillen ad maximum erweitert, starr. Allmählich verengerten sich die Pupillen 
wieder, die Steigerung der Reflexe lässt sich immerhin in geringerem Grade als vor 
dem Anfalle weiter constatiren. Genesung. 

Vortr. resumirt sich dahin, dass zu untersuchen sein wird, ob dies experimentell 
und klinisch nachgewiesene Verhalten der Pupillen und Reflexe allen Fällen von 
Urämie zukommt, ob, wenn letztere einen hohen Grad erreicht, wenn namentlich 
Krampfantälle drohen, die Pupillen sich immer verengern, die Sebnenreflexe sich 
steigern, die Hautreflexe sich mindern. Wenn dies zuträfe, wäre das Verhalten der 
Pupillen und Reflexe ein Warnungssignal, dass Anfälle drohen. Endlich hebt Vortr. 
hervor, dass bei der Paralyse, bei den Versuchen von Landois, bei der Urämie 
das auslösende Moment für die klinisch gleichen Symptome ein ganz verschiedenes 
sei, dass aber dieselben Abschnitte und Bestandteile das Centralnervensystems dabei 
in Mitleidenschaft gezogen würden. 

Geh. Rath Prof. Hitzig (Halle) demonstrirt zwei Röntgen-Photographieen, 
die eine dicht neben der Falz sitzende Revolverkugel zeigen, welche seit 
19 Jahren an dieser Stelle verweilt. Der Pat. kam wegen gehäufter Krampf¬ 
anfälle, die aber nicht durch die Kugel, sondern durch die Hirnnarbe bedingt 
waren, zur Beobachtung. 

Dr. Möbius (Leipzig) erläuterte den Satz: „Es ist Pflicht der Aerzte, die 
Gründung von Nervenheilstätten zu fördern.“ 

Vortr. setzte auseinander, dass in absehbarer Zeit die private Wohlthätigkeit 
unentbehrlich sei, da die Gründung von Nervenheilanstalten für Unbemittelte durch 
die Behörden vorläufig nicht zu erwarten sei, die Anstalten sich selbst aber nicht 
erhalten können. Aufgabe der Aerzte sei es daher, die betonte Wohlthätigkeit activ 
zu machen. 


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Andererseits sei die zweckmässige Einrichtung der Nervenheilstätten eine 
Seche der ärztlichen Erfahrung. Besonders au die Kenntnisse der Anstaltleiter sei 
die Forderung zu stelleo, dass sie geeignete Vorschläge machen und besprechen, 
damit die ersten Versuche so erfolgreich wie möglich werden. 


Prof. t. Monakow (Zürich): Uebar die Faserbestandtbeile der Seb- 
strahlung und der retrplentioulären inneren Kapsel. 


Der Flechsig’sehen Lehre, dass das untere und obere Scheitelläppchen, ferner 
die Occipitotemporalwindung keine Faserantheile in die sagittalen Strahlungen des 
Occipitallappens und in die retrolenticuläre innere Kapsel entsenden und somit an 
der Stabkranzbildung unbetheiligt sind, trat der Vortr. schon früher entgegen und 
ist jetzt in der Lage, mittels der Methode des Studiums der Markscheidenentwicke* 
lung das Vorhandensein von Projectionsfasern sowohl im Scheitelläppchen, als im 
Gyr. occipitotemporalis nachzuweisen. — Die Stabkranzbfindel des Gyr. angul. und 
supramargin. umhüllen sich mit Mark im 4. Lebensmonat. An Frontalschnitten 
durch den Parietooccipitallappen eines viermonatlichen Kindergehirns lässt sich ein 
feiner Faserregen aus dem Mark des Gyr. angul. direct in die Sehstrahlung verfolgen 
und den mehr caudal gelegenen Ebenen kommt ein Antheil von Projectionsfasern 
aus dem Gyrus occipitotemporalis in die ventrale Etage des Sehstrahles zu. An einem 
Mikrocephalengehirn mit Agenesie der meisten corticalen Associationsfasern liess sich 
ein directer Uebergang von Faserfäden aus dem Gyrus angularis in die Sehstrahlungen 
erkennen. 

An dem Gehirn eines neugeborenen Kindes konnte der Vortr. die Angabe von 
Flechsig, dass die ersten stärker markhaltigen Badiärbündel sich im Mark der 
hinteren Central Windung zeigen, bestätigen, nicht aber die Flechsig'sehe Annahme, 
dass im Grosshirnmark des Neugeborenen ausschliesslich Projectionsfasern (Sinnes* 
leitungen) markreif sind und völlig isolirt vor Augen liegen. 

Redner hebt weiter hervor, dass in einem Falle von auf das Pulvinar und auf 
den ventralen Sehhügelkern .beschränkten älteren Hirnblutung sich die secundäre 
Degeneration mit Leichtigkeit in das Mark des Gyr. angularis und die Sebstrahlungea 
verfolgen liess. 

Aus diesen Untersuchungen geht hervor, dass der ventrale Sehhügelkern seine 
corticale Strahlung weit über die hintere Centralwindung hinaus in die Binde des 
unteren Scheitelläppchens entsendet, und dass die Projectionsfasern aus dem Pulvinar 
zum Theil in den Gyr. angularis und in den Lobul. pariet. sup. sich ergiessen. Die 
sagittale Hinterhauptsstrahlung wächst von hinten nach vom successive; sie nimmt 
unter Anderen auch Faserantheile aus dem Gyr. occipitotemporalis und angularis auf. 
Die Sehstrahlungsbündel aus den primären optischen Centren mischen sich mit 
Fasern anderer Ordnung, wie denn die Qualität weder im Stratum sagittale ext. noch 
int. eine gleichartige ist. 

Vortr. spricht ferner über einen Fall von Mikrooephelie mit Seotio^e- 
befund. 


2V 3 jähriges Mädchen, 4. Kind gesunder Eltern. Bei der Geburt fielen schon 
der kleine Kopf und die Bewegungsschwäche der Glieder auf (Beine und Arme meist 
gestreckt!). Das Kind konnte nie saugen. Es schrie viel; lernte weder stehen 
noch sitzen. Mit 2 1 / 4 Jahren ca. 5 kg schwer. Maximaler Kopfumfang 38 cm; etwas 
Spitzkopf, Hinterkopf ganz flaoh, Stirn leidlich gewölbt, aber schmal: allgemeine 
Glieder-, besonders Nackenstarre. 

Fussclonus. Freibleibende Sensibilität. Strabismus conv. Augenbewegungen 
erhalten. Pupillen gleich, reagiren gut. Lichtreize wirken nicht auf die Aufmerk* 
samkeit, wohl aber Töne. 


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Das Hauptinteresse des Falles liegt 1. in der Aufhebung der Saugfähigkeit bei 
Erhaltung der Bewegungsfähigkeit sämmtlicher Gesichtsmuskeln zu anderen Zwecken 
(Weinen) bei Intactheit der elektrischen Erregbarkeit der Saugmuskeln, bei intacter 
Sensibilität und bei ziemlicher Unversehrtheit beider Facialiskerne. — Der Fall 
spricht dafflr, dass zu einem erfolgreichen Saugen ein Minimum von corticalen Er¬ 
regungseinflüssen erforderlich und die Intactheit der Facialis- und Oblongatakerne 
für das Zustandekommen von für die Erregung genügenden Saugbewegungen nicht 
ausreichend ist, 2. Zusammenfällen von Mikrogyrie mit ganz atypischen, aber mark¬ 
haltigen Faserbündeln im Grosshirn, ferner mit Heterotopie grauer Substanz im Gross¬ 
hirn und in der Oblongata, 3. in dem nahezu isolirten Zurückbleiben der Projections- 
fasern im Grosshirn, wodurch der Nachweis von Stabkranzverbindungen auch aus 
dem Parietal- und Occipitallappen ermöglicht wird. 

Dr. Friedmann (Mannheim): Zur Lehre von der nioht eitrigen Ence¬ 
phalitis. 

Die vorzugsweise nach Influenza beobachteten Fälle der nicht eitrigen Ence¬ 
phalitis lassen sich in zwei Gruppen eintheilen: Zur ersten gehören die meist ganz 
stürmisch mit exquisit infectiösem Charakter und schwerem, früheinsetzendem Coma 
verlaufenden Fälle, für welche sich durchweg frische und oft sehr ausgedehnte 
hämorrhagisch-entzündliche Herde anatomisch ergeben haben. Zur zweiten Gruppe: 
subacut mit geringem Fieber verlaufende Fälle ohne oder mit schwacher Bewusst¬ 
seinsstörung, aber charakteristisch langsamem Ansteigen und Verschwinden der 
Herdsymptome. Für diese letzteren fehlte bisher ein Sectionsbefund. Der vom 
Yortr. untersuchte Fall bot gleichzeitig eine abgelaufene Cyste und ein frisches 
Aufflammen der Encephalitis an einem Pol der Cyste mit Durchbruch in den 
linken Seitenventrikel. Bei einer 62 jährigen Dame, die im Ganzen gesund war, 
tritt anfangs December 1897 Erkältungsfieber ein (Grippe). 2 Wochen danach 
Apathie und Krankheitsgefühl, 1 Woche weiter stellt sich langsam motorische Aphasie 
und Schwäche des rechten Arms ein, dann Erbrechen, Schlaflosigkeit, Unruhe, heftiger 
Kopfschmerz, die von da ab anhielten, bis 6 Wochen seit Beginn der nervösen Er¬ 
krankung, plötzlich Coma und schon am Nachmittag der Exitus eintrat. Bei der 
Section fand sich absolut keine Sklerose der Gefässe, auch keine Embolie, dagegen 
neben sehr starkem Oedem im Gehirn eine wall nussgrosse Cyste entsprechend 
der ersten Stirnwindung innerhalb des Marks der linken Hemisphäre, welche von 
einer glatten zarten Membran ausgekleidet, mit klarer tief bernsteingelber Flüssigkeit 
angefüllt war und nach rückwärts in das erweiterte Vorderhorn überging. Hier 
war die Substanz hellgrau röthlich, weich und ohne Membran mit Blutaustritten auf 
dem Durchschnitt. Mikroskopisch zeigt sich die Cystenmembran ausschliesslich aus 
grossen schönen anastomosirenden Zellen von Sternform mit eingelagerten runden 
epitheloiden Elementen gebildet und gefässreich. Die Zellen besitzen nicht selten 
schöne mitotische Kerntheilungen, gegen den Innenraum der Cyste zu finden sich 
rundliche Mikrokokken in kleinen Häufchen. Der erweichte frische Herd besteht 
neben rein nekrotischen Partieen aus pflasterförmig dicht gelagerten grossen rund¬ 
lichen Zellen, die in mächtiger Proliferation begriffen sind, reichliche Mitosen auf¬ 
weisen (obwohl die Section erst 36 Stunden p. m. stattfand), beinahe die Hälfte 
zwei- und vielkemig, die Kerne selbst meist ausnehmend gross und amöboid, von den 
mannigfaltigsten und unregelmässigsten Formen. 

Eine centrale Blutung scheint den Ausgangspunkt des frischen Herdes darzu¬ 
stellen. 

Klinisch ist aus dieser Beobachtung zu ersehen, dass ein encephalitischer Herd 
auf der einen Seite ausheilen kann, während er an anderer Stelle mit deletären 
Verlauf fortwuchert. 

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Prof. Ad. Strampelt (Erlangen): Ueber aoute und chronische Myelitis. 

Das Vorkommen einer echten acuten primären Myelitis transversa kann nach 
zahlreichen sicheren Beobachtungen nicht bezweifelt werden. Ueber die Aetiologie 
dieser Erkrankung ist aber bisher nichts Sicheres bekannt, obwohl man schon lange 
einen endogenen, infectiösen Ursprung der acuten Myelitis annehmen musste. Eine 
vom Vortr. gemachte Beobachtung ist geeignet, dieser Anschauung zum ersten Mal 
eine feste Stütze zu geben. 

Ein 16jähriges Dienstmädchen B. H. erkrankte am 19. November 1897 an 
einem Panaritium am rechten Zeigefinger, welches am 24. November auf der 
chirurgischen Poliklinik incidirt wurde. Bald danach bekam Pat. sehr heftige 
Kreuzschmerzen, die in die Beine ausstrahlten. Sie konnte vor Schmerzen kaum 
liegen und stehen. Trotzdem kam sie am 27. November noch zu Fuss in die 
medicinische Klinik. Nach wenigen Tagen waren die Patellarreflexe verschwunden, 
Parese der Beine, Sensibilitätsstörungen und Retentio urinae stellten sich ein und 
schon am 1. December konnten eine totale schlaffe Paraplegie der Beine, Fehlen 
der Patellarreflexe und sehr beträchtliche Sensibilitätsstörungen constatirt werden. 
Die Kreuzschmerzen und die Schmerzen bei jedem Versuch die Kranke im Bett 
aufzurichten hielten an. Die Anästhesie der Beine ward schliesslich so vollständig, 
dass an der Diagnose „Myelitis acuta transversa“ nicht mehr gezweifelt werden 
konnte. 

Am 3. December wurde eine Lumbalpunktion vorgenommen. Durch dieselbe 
entleerten sich mehrere Tropfen einer dicken fadenziehenden, hämorrhagisch* 
eitrigen Flüssigkeit, ln einem mit Löfflers Methylenblau gefärbten Deckglas* 
präparat fanden sieb neben den Leukocyten in grosser Menge Staphylokokken. 

Am 16. Februar 1898 starb die Kranke. Die Section ergab starke Ver¬ 
wachsungen und entzündliche Auflagerungen an der Aussenfläche der Dura mater 
spinalis, etwa von der Höhe des 9. Brustnerven an abwärts; die Innenfläche der 
Dura war glatt und normal, ln der Höhe der Austrittsstelle vom 9. und 10. Brust¬ 
nerven ist das Rückenmark ca. 2—2 1 / 3 cm lang weich und eingesunken. Beim Ein¬ 
schneiden entleert sich hier eine milchige Flüssigkeit, die mikroskopisch fast nur 
aus unzähligen Fettkörnchenkugeln, wenigen Myelinschollen besteht. 

Die mikroskopische Untersuchung des gehärteten Präparates ergab die gewöhn¬ 
lichen Veränderungen der acuten Myelitis nebst auf- und absteigenden aecundären 
Degenerationen. Auf den nach der Gramm’schen Methode gefärbten Schnitten durch 
den myelitischen Herd konnten Staphylokokken nicht mehr nachgewiesen werden, ein 
Befund, der nicht auffallend ist, wenn man bedenkt, dass zwischen der primären ln- 
fection und dem tödtlichen Ausgange der Krankheit über 2 1 / 2 Monate vergangen 
waren. 

Die in diesem Falle zur Zeit der frischen acuten Erkrankung mittelst Lumbal* 
punction entleerte eitrige Flüssigkeit stammte nach dein Ergebniss der Section wohl 
kaum aus dem Duralsack, sondern aus dem Raum zwischen äusserer Durafläche und 
Wirbelgerüst, da, wo sich später die deutlichen Residuen der Pachymeningitis exterua 
fanden. Dass letztere durch den Staphylococcus bedingt war, kann kaum einem 
Zweifel unterliegen, ln dem myelitischen Herd selbst wurden später keine 
Staphylokokken mehr gefunden, was aber nicht gegen die ursprüngliche infectiöse 
Entstehung desselben spricht. An das Panaritium einer Staphylokokkenerkrankung 
schloss sich zuerst offenbar die eitrige, umschriebene Pachymeningitis spinalis 
externa an, klinisch deutlich charakterisirt durch die anfänglichen äusserst heftigen 
Krenzschmerzen. Der myelitische Herd, die eigentliche Hauptkrankheit und Todes¬ 
ursache entstand, wie Vortr. annimmt, durch Verschleppung der Krankheitserreger im 
Rückenmark auf dem Wege der Lymphbahnen, ähnlich wie bei der Entstehung 
eines Rückenmarkstuberkels nach Tuberkulose an der Aussenfläche der Dura mater 
ohne jedes continuirliche Ergriffensein der Dura-Innenfläcbe. 


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Was die chronische Myelitis transversa betrifft, so ist nach des Vortr. 
Ansicht die ganze Pathologie dieser Krankheit noch eine sehr unsichere. Yori selbst 
bat'noch niemals einen völlig reinen Fall von einfach entzfindlicher, echter, chro- 
nischer Querschnittsmyelitis pathologisch-anatomisch beobachtet. Die klinisch 
beobachteten Paraplegien, die als chronische Querschnittsmyelitis angedeutet werden, 
stellen sich bei weiterer Beobachtung und bei der Section fast immer als etwas 
Anderes heraus. In vielen derselben ergiebt die Anamnese einen acuten Anfang 
der Paraplegie; dann handelt es sich aber nicht um chronische Myelitis, sondern 
um den stationären Ausgang einer acuten Myelitis. Andere Fälle beruhen auf 
Syphilis, so insbesondere die bekannten Dorsalmyelitiden mit don Symptomen 
einer spastischen Spinalparalyse. In anderen Fällen stellt sich schliesslich ein Tumor 
heraus u. s. w. Kurzum bei keinem anderen klinischen spinalen Krankheitsbild ist 
gegenwärtig die sichere Diagnose so schwierig, als bei einer sich langsam entwickelten 
Paraplegie, die nicht ohne Weiteres auf eine der gewöhnlichen Ursachen (Wirbel* 
oaries u. s. w.) zurückgeführt werden kann. Einen derartigen Fall von langsam ent¬ 
standener Paraplegie beobachtete Vortr. bei einer 32jährigen Frau. Im October 1897 
bemerkte Patientin Schwäche und pelziges Gefühl in den Beinen. Langsam nahmen 
die Erscheinungen zu. Bis zum Anfang März 1898 hatte sich eine ausgesprochene 
spastische Paraplegie der Beine mit deutlichen Sensibilitätsstörungen entwickelt. 
Dann nahmen die vorher gesteigerten Sehnenreflexe rasch ab und aus der spastischen 
Paraplegie entwickelte sich eine schlaffe Lähmung der Beine. Betentio urinae. 
Decubitus. Arme völlig normal. Am 6. April 1898 trat der Tod ein. Vortr. hatte 
eine intramaculäre Neubildung (Gliom) vermuthet, statt dessen ergab die Section, 
und insbesondere die mikroskopische Untersuchung des Bückenmarks den ganz 
unerwarteten Befund einer eigenthümlichen combinirten Strangerkrankung in 
den Hinter- und Seitensträngen durchs ganze Bückenmark hindurch (Demonstration 
der Präparate). 

Prof. A. Strümpell (Erlangen): Demonstration des Unterkiefers und des 
Gehirns einer an Akromegalie verstorbenen Patientin. 

Die Präparate verdankt Vortr. der Freundlichkeit des Herrn Collegen Weh mann 
in Vegesack, der die Kranke behandelt hat. Die ungewöhnlichen Dimensionen des 
Unterkiefers fallen namentlich beim Vergleich mit einem normalen Unterkiefer auf. 
Es fand sich ein grosser Hypopbysistumor, der nach oben die Gehirnbasis stark 
comprimirt, nach unten auf den Keilbeinkörper übergegriffen hatte. Es bandelte 
sich um ein Sarcom. 


In der zweiten Sitzung, welche Prof. Dr. Strümpell leitete, und in der 
Prof. Gruetzner (Tübingen) zum internationalen Physiologen-Cougress für 
den 28. August 1898 nach Cambridge einlud, wurden folgende Vorträge gehalten: 

Dr. Gerhardt (Strassburg i./E.): Ueber das Verhalten der Beflexe bei 
Büokenmarksläsionen. 

Zahlreiche Beobachtungen haben erwiesen, dass beim Menschen nach hochsitzenden 
totalen Durchtrennungen des Bückenmarks und bei intactem Keflexbogen die Sehnen¬ 
reflexe an den unteren Extremitäten in der Kegel verloren gehen. 

Für die Hautreflexe, für die anfänglich dasselbe behauptet worden war, lauten 
die Angaben jetzt verschieden, sie können gleichfalls fehlen, können aber auch er¬ 
halten bleiben. Vortr. berichtet über drei Fälle, bei denen sie exquisite Steigerung 
zeigten. 

Bezüglich der Sehnenreflexe ist die Frage noch offen, ob ihr Verschwinden 
nothwendige Folge der Bückenmarksdurchtrennung ist, oder ob sie nur durch Mit- 


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wirken irgend welcher andere Momente unterdrückt werden. Für letztere Möglichkeit 
spricht jedenfalls ein Fall, den Senator kürzlich mittheilte; hier blieben sie bis 
zum Tod bestehen. Vortr. selbst berichtet über eine Beobachtung der Strassbnrger 
Klinik; die Kniesehnenreflexe fehlten zwar, aber von den Sehnen des Gracilis nnd 
Sartorius, sowie des Tibialis anticns Hessen sich sichere Reflexzuckungen dieser 
Muskeln auslOsen. 

Schliesslich zeigen einige Mittheilungen aus der Litteratur, sowie zwei vom 
Vortr. beobachtete Fälle, dass auch bei partieller Läsion des Marks — bei intactem 
Reflexbogen — die Sehnenreflexe fehlen können. 

Vortr. glaubt deshalb, sich den diagnostischen Schlussfolgerungen anderer Autoren 
(besonders Bastian, Bruns, Kocher) nicht anschliessen zu können, dass 
nämlich Fehlen der Sehnenreflexe als sicheres Zeichen fflr totale, ihr 
Erhaltensein für nur theilweise Läsion des Rückenmarks zu ver- 
werthen sei. 

Docent Dr. Buchholz (Marburg) berichtet über einen jugendlichen Kranken, 
welcher eine Reihe von Krankheitserscheinungen der multiplen Sklerose dargeboten 
hatte. Es fand sich unter Anderem: Intentionstremor, starke Steigerung der Reflexe, 
Robertson’sches Phänomen; Opticusatrophie, Sprachstörung, psychische Störungen. 
Die Untersucnung des Centralnervensystems ergab Gummata in den Hoden, Vermehrung 
des periostalen Bindegewebes, Hydrops mening., Bpendymgranulationen in den erwei- 
terten Ventrikeln; ein Gumma im Gehirn, welches mit seiner Oberfläche in einen grossen, 
fast den ganzen rechten Schläfenlappen erfüllenden neugebildeten Hohlraum hineinragte. 
Von dem Unterhorn des Seitenventrikels war daher dieser pathologische Hohlraum 
überall durch ein Septum noch erhaltenen Gewebes getrennt. An den Gefässen end- 
und peri-arteriitisclie Veränderungen, Meningitis spinalis ohne directes Uebergreifen 
des Entzündungsprocesses anf das Rückenmark. Starke Wucherung des peripheren 
Gliasaums des Rückenmarks, welcher als breiter Ring das Mark umgiebt Diffuse 
Degenerationsprocesse im Mark, daneben herdartige Erkrankungen. Diese Herde be¬ 
stehen aus colossal geschwollenen Axencylindern; eine nennenswerthe Vermehrung 
der NeurogUa ist in den Herden nicht erkennbar. Im Gehirn finden sich neben 
der schon erwähnten grossen Höhle eine Reihe kleinerer Höhlen und Herde. Es 
Hesse sich durch Vergleich einer grösseren Reihe von Präparaten feststellen, dass 
diese Höhlen aus den herdartigen Erkrankungen hervorgegangen sind. Daneben be¬ 
steht eine diffuse Erkrankung der Rinde, die zum Untergang der nervösen Elemente 
bezw. Wucherung der Glia geführt hat. 

Vortr. glaubt alle diese Veränderungen auf die Syphilis zurückführen und somit 
diesen Fall von der multiplen Sklerose vollkommen trennen zu müssen. Er macht 
zum Schlüsse auf die Aehnlichkeit dieses Falles mit den von Kocher, Gräf und 
Schultze veröffentlichten Beobachtungen einer Combination der multiplen Sklerose 
mit der Dementia paralytica aufmerksam. 

Docent Dr. Nissl (Heidelberg): Rindenbefunde bei Vergiftungen. 

Die Untersuchungen des Vortr. erstreckten sich in den beiden letzten Jahren 
auf die Nervenzellen der Kaninchenrinde. Zu Vergiftungsversuchen wurden ge¬ 
nommen: Alkohol, Morphium, Sulfonal, Trional, Bromkali, Chloralhydrat und 
Nicotin. Die Vergiftungsart war die subacute maximale Vergiftung. Vortr. weist 
auf die histopathologische Wichtigkeit seiner bisherigen Rindenbefunde hin: die 
Rareficirung der Kernsubstanzen u. s. w.; doch will er sich bei der Kürze der Zeit 
nur auf eine allgemeine Frage beschränken. Bei subacuter maximaler Vergiftung 
verändert jedes Gift die Nervenzellen der Rinde in specifischer Weise, dagegen 
konnte Vortr. nicht einmal bei solchen Paralytikern, deren Krankheit ziemlich gleich¬ 
artig verlief, speciflsche Cortexzellenveränderungen feststellen, 

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Vortr. bespricht nun die von ihm als acute Erkrankung der menschlichen Cortex* 
zellen bezeichneten Veränderungen, betont, dass hierbei die ganze Zelle, vor Allem 
aber auch die nicht färbbare Substanz in Mitleidenschaft gezogen ist und beim Auf¬ 
treten dieser Erkrankung stets alle Zellen der Rinde betroffen werden. Aus der 
Thatsache, dass sich diese Zellerkrankung nicht nur bei den verschiedensten Geistes¬ 
krankheiten, sondern auch bei zahlreichen, nicht geisteskranken Menschen nach- 
weisen lässt, ergiebt sich die Folgerung, dass es nicht erlaubt ist, aus der 
Feststellung von Nervenzell Veränderungen in der menschlichen Rinde 
auf klinische Krankheitsbilder Schlüsse zu ziehen. — Vortr. weist auf die 
bekannten Versuche von Goldscheider und Flatau hin, die zu demselben Resultate 
gekommen sind, auf andere Experimente, z. B. Compression der Bauchdecke, die alle 
zu dem Schlüsse führen, dass die in Folge verschiedener experimentell gesetzter 
Schädigungen nachweisbaren Nervenzellveränderungen in erster Linie sicher uicht 
der Ausdruck für die functioneilen Störungen sein können, die durch die Schädi¬ 
gungen herbeigeführt wurden, sowie in erster Linie eine andere Bedeutung haben. 
Da aber der subacute, maximale Giftversuch zeigt, dass zwischen dem einzelnen Gift 
und der Nervenzelle unzweifelhaft directe unmittelbare Beziehungen vorhanden sind, 
so können diese, wenn sie in erster Linie functioneller Natur sind, nur chemischer 
und physikalischer Natur sein. — Seine Methode sei, wie er gegenüber Gold- 
scheider und Flatau behauptet, dafür nicht verantwortlich zu machen. 

Durch die neueren Forschungen von Apathy, Bethe und Held sei der Be¬ 
weis erbracht worden, dass die Neuronenlehre durch und durch falsoh ist. 
Das Centralorgan besteht aus Nervenzellen und einer specifisch nervösen Substanz, 
der fibrillären Substanz, die Vortr. als ein specifisch modificirtes Pro¬ 
toplasma auffasst, als eine lebende Substanz, die dem Nervenzellkörper 
gegenüber eine erhebliche Selbständigkeit besitzen muss und sich auch 
räumlich zu einem grossen Theile ausserhalb der Nervenzelle ent¬ 
wickelt. — Sie scheint der Träger der nervösen Function zu sein. Durch 
Bethe’s ganz unvergleichliche Methode ist die Frage der ungefärbten Substanz im 
Sinne des Vortragenden (Allg. Zeitschr. f. Psych. Bd. LIV) zum Abschluss gebracht. 
Damit ist der Forschung eine neue grosse Aufgabe erwachsen, nämlich auch für die 
Wirbelthiere das anatomische Verhalten der fibrillären Substanz ausserhalb der Nerven¬ 
zellen zu erkennen. Wenn auch die histopathologischen Erfahrungen beweisen, dass 
die Nervenzellen nur in so weit mit der nervösen Function zu thun haben, als sie 
in sich nervös functionirende Substanz enthalten, bleibt doch nach wie vor der 
Gattungsbegriff der Nervenzelle unberührt. Mit der Neuronentheorie fallt 
selbstredend auch die Hypothese der specifischen Nervenzellenfunction im Sinne des 
Vortragenden. Aber der Begriff der specifischen Nervenzellenfunction verschwindet 
deshalb keineswegs: er verschiebt sich nur und wird nun eine andere Bedeutung 
erhalten. 

Dr. Bethe (Strassburg i. E.): Das Verhalten der Primitivfibrillen in den 
Ganglienzellen des Menschen und bei Degenerationen in peripheren 
Nerven. 

Die individuellen Fibrillen von Nervenfasern und Ganglienzellen, die Vortr. nach 
Apathy bei wirbellosen Thieren und Fröschen nach weisen konnte, hat er jetzt auch 
bei Säugethieren und Menschen dargestellt. — Die Fibrillen bilden hier aber nicht 
Netzwerke, sondern durchziehen Vorderhorn- und Hinterhornpyramidenzellen, indem 
sie theils die Protoplasmafortsätze einander, theils mit dem Achsencylinder verbinden. 
(Demonstration der Präparate.) 

Die Methode soll erst der Oeffentlichkeit Übergeben werden, wenn alle Fibrillen 
darstellbar und sie auch für pathologisches Material verwerthbar erscheint. Dagegen 
ist es Georg Mönckeberg und dem Vortr. gelungen, die Veränderungen an den 

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Fibrillen bei Durchschneidung peripherer Nerven zu studiren: Das Endresultat der 
Primitivfibrillendegeneration stellt hier immer einen vollkommenen, körnigen Zerfall 
dar: Die normaler Weise glatten und wenig geschlängelten Fibrillen nehmen eine 
starke Schlängelung an, liegen wirr durch einander und zeigen stellenweise klumpige 
Verdickungen: Die Fibrillen verflüssigen sich und zerfallen dann in einzelne Tröpf¬ 
chen, welche sich weiterhin mit zunehmendem Zerfall der Markscheiden zu einem bei 
weitem feinkörnigeren Pulver auflösen. Beim Frosch nimmt die Degeneration Wochen 
in Anspruch; beim Kaninchen sind in einem isolirten Nervenstück schon nach 
26 Stunden keine Fibrillen mehr enthalten. 

Dr. Oscar Kohnstamm (Königstein i./T.): Studien über den Phrenious- 
kern. 

Vortr. weist dem Phrenicuskern eine besondere Bedeutung für die Biologie der 
Nervenzellen zu, weil er durch Vermittelung des Athmungscentrums in jene definirte 
Erregungszustände versetzt, ein gutes Object für das Studium phasisch-functioneller 
Zellveränderungen abgeben muss. Um seine Lage beim Kaninchen zu bestimmen, 
wurde ca. 14 Tage nach Besection eines Nervenstückes an der oberen Thoraxapertur 
im Halsmark nach chromatolytischen Zellen mit der Nissl’chen Methode gesucht, 
wobei Vortr. zu folgenden Ergebnissen und Thesen gelangt: 

1. Der Phrenicuskern erstreckt sich beim Kaninchen als „centrale Bodengruppe“ 
von der unteren Hälfte des 4. Segmentes bis zum oberen Theil des 6. Segmentes. 
Die Lage der centralen Bodengruppe ist dadurch bestimmt, dass in dem als Rhombus 
gedachten Vorderhorn, dessen hintere Seite den Centralcanal in eine ventrale und 
dorsale Hälfte theilt, eine der medio-lateralen Seiten parallele Mittellinie gezogen, 
diese iu drei Theile getheilt und die Gruppe an der Grenze vom vorderen und 
mittleren Drittel gefunden wird. 

2. Die Innervation der Zwercbfellbälften ist streng bilateral getrennt, indem 
jeder Phrenicus nur die gleichzeitige Muskelhälfte beherrscht und nur aus dem Kern 
der gleichen Seite Fasern bezieht. Eine Kreuzung des peripheren Nervens in der 
vorderen Commisur hat aber für den Phrenicus nicht statt. 

3. Der ventrale Theil des Zwerchfells wird von einem kranialen Stämmchen 
(aus dem 4. Segment) und der dorsale von einem caudalen (aus dem Ö. oder 6. Seg¬ 
ment) versorgt, in welcher Beziehung eine bemerkenswerthe Analogie mit der auto¬ 
genetisch doppelten Anlage des Zwerchfells und eine Ausnahme von der Regel zu 
liegen scheint, nach der jeder Muskel oder Muskelantheil in mehreren Segmenten 
seine erste Projection findet. 

4. Verglichen mit den Kernen des Hypoglossus und anderen motorischen Hirn¬ 
nerven erscheint die Zahl der Phrenicuszellen sehr gering, so dass die Zahl der 
Zellen eines Kernes und damit die Gesammtmasse seines Protoplasmas mehr von der 
Differenzirung der Aufgabe, als von der absoluten Arbeitsgrösse der motorischen 
Neurone bezw. der Muskeln bestimmt zu sein scheint. 

5. Maximale Beanspruchung des Phrenicuskerns durch Vermehrung der Athem- 
anstrengung nach doppelter Vagotomie hat keinen Einfluss auf die Nisslstructur 
der Phrenicuszellen und bewirkt speciell keine Veränderung im Sinne der dusch 
Tetanustoxin- oder Strychnin Vergiftung hervorgebrachten Läsionen. 

6. Auch diese Befunde sprechen dafür, dass die Nissl-Körper (Tigroid, von 
Lenhossök) in keiner directen Beziehung zur Zellarbeit stehen. 

7) Die Demonstration deutlicher Fibrillen in der intertigroiden Substanz durch 
Apathy, Becker, Bethe und die Wiederaufrollung der Continuitätsfrage durch 
Held und S. Meyer können nicht dazu führen, die Betheiligung der Nervenzelle 
an der Bewegungsleitung in Frage zu stellen, da ein wahrscheinlich durch den Ab¬ 
lauf chemischer Processe ausgefüllter Aufenthalt der Erregungswelle durch die 
Messungen der Leitungsgeschwindigkeit auf Bahnen, in die Ganglienzellen einge- 


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schaltet sind, über jeden Zweifel erhoben ist Der Umstand, dass dieser Nachweis 
nicht nnr für die motorischen Vorderhornzellen, sondern anch für die Spinalganglien- 
zellen erbracht ist, spricht dafür, dass jene Processe innerhalb der Zelle sich ab¬ 
spielen. Die Nenronlehre bleibt also anch jetzt bestehen. 

8. Ueberanstrengung des Athemapparates durch doppelte Vagotomie nach 
Dnrchschneidung des Phrenicusstammes führt nicht — etwa in Folge verhinderten 
Abflusses und dadurch bewirkter Stauung der Erregungswelle — zu einer nachweis¬ 
baren Beschleunigung der Chrotnatolyse. 

Dr. Adolf Passow (Strassburg i./E.): Der Markfasergehalt normaler 
Centralwindungen beim */ 4 jährigen Kinde und bei einem Manne von 
33 Jahren. 

Die Central Windungen wnrden in sechs ungefähr gleich grosse Blöcke getrennt; 
als erster wurde der an dem grossen Längsspalt gelegene bezeichnet, der letzte — 
sechste — entsprach dem Quercnlum. Das Paracentalläppchen wurde besonders be¬ 
zeichnet. 

Die Stücke der rechten Centralwindungen wurden dann serienweise geschnitten — 
1741 Präparate, in denen vordere und hintere zusammengehörende nebeneinander 
liegen. Nachdem sich bei der mikroskopischen Untersuchung herausgestellt hat, dass 
die Breiteverhältnisse der Schichten nur langsam zunehmen, wurden die linken 
Centralwindungen in Serien von je 10 Schnitten behandelt; je 5 wurden zurück¬ 
gelegt; von den anderen 5 wurden 1—3 gefärbt und untersucht. 

Die Centralwindungen eines 6 / 4 jährigen männlichen Kindes wurden ähnlich 
untersucht; aus den ganzen Windungen ungefähr 25 hintereinander laufende Schnitte 
zur Untersuchung gewonnen. 

Gefärbt sind die Präparate nach der Wolters 'sehen Methode. 

An den Präparaten der 33jährigen kann man schon makroskopisch die ver¬ 
schiedenen Breiten der einzelnen Schichten an den Farbennüancen erkennen. Genaue 
Messungen ergaben eine regelmässige, stetige Zunahme an Breite, Schichtung und 
Stärke der einzelnen Fasern in allen Schichten für die ersten zwei Drittel der Central¬ 
windungen (Block 1—4). Plötzlich findet man dann ein Schmälerwerden im letzten 
Drittel; jedoch sind im Querculum die Schnitte wieder etwas faserreicher. Das Haupt¬ 
interesse nehmen die Wachsthumsverhältnisse der 2. und 3. Schicht — des super¬ 
radiären Faserwerkes und des interradiären Flechtwerkes — in Anspruch. An den 
faserreichsten Schnitten aus dem unteren (Block 5 näher gelegenen) Ende des 
4. Blockes reicht die schmäler gewordene, aber völlig von Fasern durchsetzte 2. Schicht 
bis an die Tangentialfasem heran; zugleich ist die 3. auch am stärksten entwickelt 
und zeigt die beiden Baillargerstreifen. 

Interesse beanspruchen ebenfalls die Verhältnisse der vorderen und hinteren 
Centralwindung. Letztere zeigt das völlig gleiche Wachsthum der verschiedenen 
Schichten u. s. w. — Alles nur in einem sehr viel schwächeren Grade; die hintere 
kann als ein schlecht gelungener, sehr schwacher Abklatsch der vorderen bezeichnet 
werden. 

Im Vergleich hierzu sind die Befunde an den Präparaten des */ 4 jährigen männ¬ 
lichen Kindes vielfach verschieden. Vor allen Dingen steht die hintere Central¬ 
windung nicht in dem gleich starken Maasse an Faserarmuth hinter der vorderen 
zurück. Die Tangentialfasem treten sogar in den Präparaten der hinteren Central¬ 
windung häufiger auf, als in denen der vorderen Centralwindung. 

Sämmtliche Präparate der 8 ersten Blöcke zeigen in toto das stärkste Fasern* 
auftreten, Blöcke 9 und 10 sind sehr faserarm in allen Schichten. 

Im superradiären Faserwerke zeigen der 3. und 4. Block (Präparate 6—10) 
zarte vereinzelte Fasern; ebenda stellt sich das interradiäre Flechtwerk als theils 
schmales, theils etwas breiteres Band dar. 


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Wenn man die Eintheilung der Centralwindongen in 6, bezw. 10 Blöcke (beim 
Erwachsenen nnd Kinde) auf die in Folge pathologischer Beobachtungen schematisch 
als motorische oder stabile Zonen abgegrenzten Bindengebiete überträgt, so fällt auf, 
dass die letzten faserarmen Blöcke dem Querculum, also der Begion des Kopfes, der 
Facialis* und Hypoglossusgegend entsprechen. 

Die faserreichsten Partieen des 4. Blockes beim Gehirn des Erwachsenen würden 
der Hand* und Fingerregion entsprechen, die ersten Blöcke der Beinregion. 

Beim Gehirn des Kindes wurde kein besonderer Unterschied im 1.—8. Block 
gefunden; jedoch ist auch hier der 9. und 10. Block — die Querculumgegend — 
die faserärmste Partie. 

Prof. Dr. Edinger (Frankfurt a./M.) legt Präparate von Batten-Büoken- 
marken vor, welche Folgendes zeigen: Langdauernde schwere Anstrengungen erzeugen 
schon bei normalen Thieren Zerfall von Bückenmarksfasern, vorwiegend in den Hinter- 
strftngen. Ausnahmslos sind die Hinterwurzeln betheiligt. Macht man die Thiere 
anämisch, so kann man mit geringeren Anforderungen an sie dasselbe erreichen. 

Anämie allein erzeugt bei tbunlichst ruhig gehaltenen Thieren nur Spuren oder 
gar keine Veränderungen. 

Diese Versuche, welche Vortr. mit C. Helbing angestellt hat, sollen die von 
ersterem aufgestellte Ersatztheorie stützen. Vortr. weist auf die praktische Wichtig¬ 
keit der Ergebnisse für die Tabesbehandlung kurz hin. 

Prof. Dr. Dinkler (Aachen): Ueber einen letal verlaufenen, mit Hemi¬ 
plegie und psyohiatrisohen Störungen oomplicirten Fall von Basedow’soher 
Krankheit. 

42jährige Beamtenfrau hat im 39. Lebensjahre 1894 eine schwere, ca. 6 bis 
7 Monate dauernde septische Infection überstanden; hat sich seitdem nicht recht 
erholt; erste Erscheinung von Basedow’scher Krankheit December 1896: Kropf, 
Exophthalmus, Zittern der Hände, periodische Schwellung der Füsse, Darm¬ 
erscheinungen, Incontinent. alvi, Agrypnie u. s. w. Landaufenthalt, vom 2. Juli 
bis 3. October 1897, brachte erhebliche Besserung, jedoch nach 6 Wochen wieder 
Verschlimmerung, eigenartige, mit Crises gastriques fast übereinstimmende Magen¬ 
erscheinungen, Exophthalmus u. s. w. wie früher, Polyphagie; seit Ende October 
Zuckungen im rechten Arm und beiden Beinen; Eingeschlafensein und Kribbeln in 
der linken Hand mit vorübergehender Schwäche und Lähmung im linken Arm, 
weniger im linken Bein; seit December eigenthümliche choreiforme Zuckungen im 
ganzen Körper, vorwiegend in der nicht gelähmten rechten Seite, nasale Sprache, 
Verschlucken u. s. w. (an asthenische Bulbärparalyse erinnernd); Verfolgungsideeen, 
Hallucinationen, auffallende Charakterveränderuugen u. s. w.; objectiv ausser den 
Basedow'sehen Symptomen schlaffe linksseitige Lähmung, bulbäre Erscheinungen u. s. w., 
progressive Gewichtsabnahme; nach 3 Wochen (Februar 1898) Exitus letalis; bei der 
Autopsie fand sich: Emphys. pulm.; Dilatation und Hypertrophie beider Herzhälften; 
Struma, Thymus persistens. Im Gehirn und Bückenmark makroskopisch nichts Sicheres. 
Bei der mikroskopischen Untersuchung fanden sich nach Marchi eine Degeneration 
von Nervenfasern im ganzen Grosshirn mit herdförmiger Intensität im Bereich der 
rechten Centralwindung; absteigende Degeneration der rechten Pyramidenbahnen, 
Degeneration der bulbären Nervenfasern; die Thymus persistens erwies sich als 
Struma, möglicherweise verlagerter mittlerer Lappen. Vortr. glaubt, dass dieser 
Befund von schweren organischen Veränderungen im Nervensystem im Verein mit 
der gleichzeitig vorhandenen „toxischen“ Nierenerkrankung für die Moebius’sche 
Lehre Über die Pathogenese der Basedow’schen Krankheit (Intoxicationstheorie) 
die anatomische Basis zu geben vermag. 

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Privat.• Doc. Dr. 6. Aschaffenburg (Heidelberg): Die Entmündigung 
Geisteskranker nach dem bürgerlichen Gesetzbuch. 

Mit dem 21. Lebensjahr wird nach § 2 des B. G.-B. das Individuum volljährig, 
d. h; es hat von da ab die uneingeschränkte Selbständigkeit und Verfügungsfähig* 
keit, während gleichzeitig auch Pflichten ihm auferlegt sind und bleiben. Diese 
beiden Seiten der bürgerlichen Rechtsfähigkeit charakterisirt Ende mann als die 
Geschäftsfähigkeit, d. h. die Fähigkeit, Rechtsgeschäfte wirksam abzuschliessen 
und die Verantwortlichkeit für unerlaubte Handlungen und Verletzungen der Vertrags* 
pflichten. Für beide führt er den gemeinsamen Begriff der „Verkehrsfähigkeit“ 
ein, der übrigens im B. G.-B. nicht enthalten ist. 

Die Verkehrsfähigkeit kann nun beeinträchtigt werden und wird oft völlig 
aufgehoben durch eine Schädigung oder ungenügende Entwickelung der geistigen 
Fähigkeiten. Dieser Thatsache trägt das B. G.-B. vollauf Rechnung, und zwar, 
indem es gleichzeitig den nothwendigen Schutz des durch seine Erkrankung 
ohnehin schon genugsam Geschädigten mit dem Interesse des bürgerlichen Rechts¬ 
staates zu vereinigen sucht. Letzterem Zwecke dient vor allem der § 829; dieser 
setzt fest, dass zwar derjenige, der in einem Zustande der Bewusstlosigkeit oder 
krankhafter Störung der Geistesthätigkeit oder als Entmündigter einen Schaden an¬ 
richtet, dafür nicht verantwortlich ist, dass aber die Billigkeit eine Schadloshaltung 
des Geschädigten verlange. Noch wichtiger ist in dieser Beziehung der § 832, der 
zum Schadenersatz denjenigen verpflichtet, der Kraft Gesetzes zur Aufsicht über eine 
Person gesetzt ist, die wegen ihres geistigen Zustandes der Beaufsichtigung bedarf. 

Wenn wir absehen von den Bestimmungen, die wie § 104,2 und 105, Absatz 2, 
die in Zuständen krankhafter Störung der Geistesthätigkeit abgegebenen Willens¬ 
erklärungen für nichtig erklären, so tritt uns die Hülfe, deren ein geistig nicht 
Intacter bedarf, in zwei Formen entgegen, in der einer Pflegschaft und der Ent¬ 
mündigung. Die Pflegschaft stellt eine Art freiwillige nnd partielle Bevormundung 
dar. Freiwillig insofern, als sie nur mit Einwilligung des Volljährigen eingerichtet 
werden darf, der nicht unter Vormundschaft stehend, in Folge geistiger Gebrechen 
einzelne seiner Angelegenheiten oder einen bestimmten Kreis seiner Angelegenheiten, 
insbesondere seine Vermögensangelegenheiten nicht zu besorgen vermag, partiell 
insofern, als ausdrücklich die Pflegschaft nur für diesen bestimmten Kreis der An¬ 
gelegenheiten zu gelten hat (§ 1910). 

Auch die Entmündigung ist nach dem B. G.-B. nicht mehr eine einheitliche 
Maassregel. Nach § 6, Abthoilung 1, kann entmündigt werden, „wer in Folge von 
Geisteskrankheit oder von Geistesschwäche seine Angelegenheiten nicht zu besorgen 
vermag.“ Die Wirkung der Entmündigung ist aber durchaus verschieden, je nachdem 
sie wegen Geisteskrankheit oder Geistesschwäche erfolgt. Wir werden uns 
deshalb als Psychiater darüber Rechenschaft zu geben haben, was jeder dieser Aus¬ 
drücke besagen will. Die Motive und Commissionsberichte lassen darüber keinen 
Zweifel, dass mit Geistesschwäche und Geisteskrankheit nicht psychiatrische Be¬ 
nennungen bestimmter Zustände gemeint sind. 

Geistesschwäche ist eine Form der Geisteskrankheit; das erkennt auch die 
2. Commission für das B. G.-B. an und lehnte deshalb die gesonderte Betrachtung 
der Geistesschwäche ab; in der letzten Revision aber wurde festgestellt, dass der 
Gesetzgeber damit rechnen müsse, dass es Zustände der geistigen Unvollkommen¬ 
heit giebt, die nach der gewöhnlichen Auffassung nicht unter den Begriff der 
Geisteskrankheit fallen; der Unterschied, der im praktischen Leben zwischen der 
Geisteskrankheit und der Geistesschwäche gemacht werde, genüge, um ihn zum Aus¬ 
gang für zwei verschiedene Entmündigungsfälle zu nehmen. Wir müssen uns also 
nach der Laiendefinition und nicht nach psychiatrischen Anschauungen richten. Am 
besten werden wir die Intentionen des Gesetzgebers bei der Scheidung dieser Zustände 
an den gewünschten Wirkungen erkennen. 

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Der wegen Geisteskrankheit Entmündigte wird durch die Entmündigung ge* 
schäftsunfäbig, der wegen Geistesschwäche Entmündigte nur in der Geschäfts* 
fähigkeit beschränkt; ersterer wird vom Gesetze wie ein Kind von 7 Jahren be¬ 
handelt, letzterer wie ein Minderjähriger, der das 7. Lebensjahr, aber noch nicht das 21. 
vollendet hat. Die Willenserklärung des Geschäftsunfähigen sind nichtig. Das ist 
eine ausserordentlich tiefgreifende Bestimmung. Es wird dadurch dem Entmündigten 
nicht nur das Recht zur Heiratb, zur Testamentsabgabe genommen, er kann nicht 
einmal Erbschaften annehmen, Besitz erwerben, bewegliche Sachen als Eigenthum 
annehmen. Betrachten wir dagegen den wegen Geistesschwäche Entmündigten; er 
bedarf, wie der Minderjährige, zu einer Willenserklärung, durch die er nicht lediglich 
einen rechtlichen Vortheil erlangt, z. B. Annahme eines Schenkungsversprechens, der 
Einwilligung seines gesetzlichen Vertreters (§ 107). Eine Reihe weiterer Zusatz¬ 
paragraphen aber erleichtern die Verkehrfähigkeit noch bedeutend. Die Testaments¬ 
abgabe ist ihm zwar ganz genommen, die Ehe von der Einwilligung des Vormundes 
abhängig. Dagegen kann der Vormund seinem Mündel zu bestimmten Zwecken 
Geld zur Disposition stellen (§ 110), ebenso mit Genehmigung des Vormundschafts¬ 
gerichts ihn zum selbständigen Betriebe eines Erwerbsgeschäfts ermächtigen (§ 112). 
Es hat also Entmündigung wegen Geistesschwäche den Zweck, den Entmündigten 
„gegen die Benachtheiligung durch ältere und erfahrenere Gegner zu schützen.“ 

Von diesem Standpunkte aus, ob Geisteskrankheit oder Geistesschwäche, d. h. 
Geisteskrankheit geringeren Grades, bezw. blosse ungenügende Entwickelung der 
geistigen Kräfte als vorliegend zu betrachten ist (Scbultze) haben wir im concreten 
Falle den Geisteszustand zu beurtheilen. Wir werden genöthigt sein, nach Ab¬ 
stufungen, nicht nach Formen geistiger Störung unser Urtheil auszuspreeben, 
und damit, allerdings in höherem Grade, als Seitens des Gesetzgebers beabsichtigt 
ist, in die Rechtssphäre durch unseren Entscheid eingreifen. Endemann kommt 
zn dem Schlüsse, dass wir z. B. „Paralytiker je nach den juristischen Erwägungen 
als geisteskrank oder geistesschwach entmündigen können, Idioten nur als geistes¬ 
krank, Imbecille je nach der Schwere des Falles als geisteskrank, geistesschwach 
oder gar nicht; circuläre nur als geistesschwach.“ 

Einen ganz extremen Standpunkt nimmt Hardeland ein. Er glaubt, „da die 
natürliche Geschäftsfähigkeit fast niemals völlig aufgehoben ist, so kann ein Be¬ 
dürfnis nach besonderen, diese Ausnahmsfälle berücksichtigenden gesetzlichen Be¬ 
stimmungen nicht anerkannt werden, zumal der Geisteskranke schwersten Grades 
regelmässig in Irrenanstalten internirt und damit ohnehin dem bürgerlichen Verkehr 
entzogen ist." Deshalb sei die Entmündigung, die den Entmündigten in Ansehung 
der Geschäftsfähigkeit einem Minderjährigen gleichstellt, in allen Fällen, in denen 
die Geisteskrankheit eine Beschränkung der Geschäftsfähigkeit erfordert, dasjenige 
Institut, „welches allein in ausreichender Weise allen Bedürfnissen des Rechtslebens 
Rechnung trägt.“ 

Definitiv beseitigt wird durch das B. G.*B der Entmündigungszwang. 

Prof.J.Richard Ewald (Strassburgi./E.): Ueber künstlich erzeugte Epilepsie. 

Bisher hat man die elektrischen Reizungen der Gehirnrinde bei den den Hunden 
kurze Zeit nach der für die Reizung nöthigen Operation amgeführt. Unter diesen 
Umständen sind aber die Thiere nicht normal, und die Grosshimfunctionen noch 
theilweise gehemmt. Der Vortr. hat ein Verfahren ersonnen, welches gestattet, 
die Hunde erst am Tage nach der Operation und dann in voller Freiheit zu reizen. 
Die Operation besteht darin, dass über der zu reizenden Stelle des Grosshirns ein 
Elfenbeinkonus in die Schädeldecke eingeschraubt wird. Am nächsten Tage werden 
dann die Elektroden in den hohlen Elfenbeinkonus eingesetzt. Der Strick an welchem 
der Hund geführt wird, enthält die elektrischen Leitungsschnüre. Eine Batterie von 
kleinen Trockenelementen trägt der Beobachter um die Schulter gehängt und kann 


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so den Hund in einem beliebigen Moment von der Gehirnrinde ana reizen. Unter 
diesen Umständen kann man bei völlig 1 ungehemmten Hunden auch von der Seh- 
und Hörsphäre aus durch die stärkere und namentlich etwas längere Zeit anhaltende 
elektrische Beizung epileptische Anfälle auslösen. Dabei sind die erforderlichen 
Ströme nicht viel stärker als diejenigen, die von der epileptogenen Zone aus wirksam 
sind, und es ist nicht anzunehmen, dass etwa Stromschleifen in die epileptogene 
Zone die Anfälle bei den Versuchen veranlassen könnten. 

Wenn man bei einem Hunde durch elektrische Beizung der Grosshimrinde einen 
epileptischen Anfall auslöst, so beginnen die Krämpfe in den Muskeln, welche in 
der gereizten Bindenstelle ihren Beizpunkt haben, und verbreiten sich dann in 
typischer Weise Aber den Körper. Um nun zu untersuchen, ob diese Verbreitung 
der Erregung primär in der Grosshirnrinde stattfindet, genügt es nicht, die zu 
reizende Stelle zu umschneiden, da die starken Ströme, die man zur Auslösung des 
epileptischen Anfalls braucht über die Schnittstelle hinaus in die umliegende Gehirn* 
Substanz ein brechen. 

Der Vortr. hat deshalb kleine, sehr dünnwandige Glascylinder in die Gehirn* 
rinde versenkt, derart, dass die Cylinder einige Millimeter tief in die Substanz ein* 
sinken, aber auch noch ein Stück weit über die Oberfläche des Gehirns hervor¬ 
ragten. Es wurde dann innerhalb des Cylinders gereizt. Die entsprechenden Muskeln 
zuckten wie unter den gewöhnlichen Umständen; epileptische Anfälle liessen sich nun 
aber nicht mehr von dieser durch den Glascylinder abgegrenzten Stelle aus 
erzeugen. 

Diese Versuche legen den Gedanken nahe bei Hnnden, welche durch Exstirpation 
■ eines Bindenstückes Epileptiker geworden sind, die Narbe des Defectes mit dem 
Messer zu umschneiden. Der Schnitt hindert zwar nicht die Ausbreitung der elek¬ 
trischen Erregung, wohl aber die Ausbreitung der physiologischen Erregung. Die 
Versuche wurden nur an Hunden angestellt, welche bereits mehrere Tage hinter¬ 
einander täglich mindestens einen epileptischen Anfall spontan gehabt hatten. Bis¬ 
her sind nur 3 Hunde in diesem Stadium der Epilepsie in der angegebenen Weise 
(Umschneidung der Narbe) operirt worden. Bei zweien derselben blieben die An¬ 
fälle seitdem völlig aus. Bei dem 3. Hunde trat nach etwa 6 Wochen noch ein 
leichter Anfall ein, dann blieb das Thier ebenfalls frei. 

Prof. Grützner (Tübingen) spricht über die Aenderung der Erregbarkeit 
des quergestreiften Muskels nach Ausschaltung oder Durohsohneidung 
seiner Nerven. 

Durch Brücke, Erb und Andere war festgestellt worden, dass Muskeln, 
welche in Folge von Giften (Curare) oder in Folge von Durchschneidung ihres 
Nerven nicht mehr unter nervösem Einfluss stehen, ihre Erregbarkeit in hohem 
Maasse verändern. Diese Aenderung der Erregbarkeit, welche kürzlich in eingehen¬ 
der Weise von Wiener untersucht worden ist, hat man fast immer nur geprüft ver¬ 
mittels elektrischer Beize. 

Aber auch andere z. B. chemische Beize ergeben Behr auffällige Unterschiede 
zwischen nervenhaltigen und nervenlosen Muskeln. Erstere z. B. in 5—6°/ 0 ige 
Kochsalzlösung getaucht, gerathen in Zuckungen und ziehen sich mässig zusammen; 
letztere dagegen, ebenso behandelt, zucken zwar auch, aber ziehen sich schliesslich 
ausserordentlich viel stärker zusammen. Man kann unter günstigen Umständen Unter¬ 
schiede wie 2:3, ja beinahe wie 1:2 beobachten. Der Nerv hemmt also die Ein¬ 
wirkung des chemischen Beizes auf den Muskel, insofern er ihn uicht so stark 
sich zusammenziehen lässt. Diese Verhältnisse kann man an curarisirten Muskeln, 
sowie an solchen, deren Nerven 10—14 Tage durchschnitten sind, beobachten. Am 
besten eignet sich hierzu der Sartorius und der Biceps des Frosches. 

Es zeigt sich aber weiter, dass bei den entnervten, chemisch gereizten Muskeln 

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nicht alle Fasern an dieser energischen Contraction theilnehmen, sondern wesentlich 
nnr die dicken, flinken Fasern. Der Sartorius eines Frosches, in welchem der Haupt* 
sache nach diese beiden Muskelarten in zwei Schichten übereinander gelagert sind, 
dreht sich daher, in die reizende Flüssigkeit getaucht, stets in ganz bestimmter 
Richtung und rollt sich nicht selten zu einem Halbrohr oder zu einer geschlossenen 
Röhre zusammen, deren innere, gekrümmte Seite ausnahmslos von der Schicht der 
dickeren Fasern gebildet wird. 

Med. Rath Dr. Baumgärtner (Baden-Baden): lieber Lumbalpunction. 

Vortr. hat an 5 Leichen, die intra vitam keinerlei Gompensationsstörungen mit 
Gefassstauungen zeigten, einmal keine, die anderen Male 4 bis 6 ccm Lumbalflüssig¬ 
keit vorgefunden und betrachtet somit letztere Menge als die normale. 

Je mehr Flüssigkeit, desto höher sind im Allgemeinen die Druckwerthe, doch 
entsprechen die Drucksymptome nicht immer der Druckböhe; schwere Erscheinungen 
haben oft geringe Druckwerthe und umgekehrt. 

Negative Resultate bei Untersuchung der Lumbalflüssigkeit werfen die klinischen 
Diagnosen nicht um, sie sind bedingt durch Unterbrechung der Communikationen 
zwischen den Subarachnoidalräumen des Gehirnes und denen des Rückenmarkes. 

Gewöhnlich werde die Lumbalpunction gleich als therapeutischer Eingriff vor¬ 
genommen entsprechend der Quincke'sehen Indication, „die Meningealräume von einem 
vorhandenen Drucke mechanisch zu entlasten.“ Vortr. hat diese Indication bis heute 
bei 26 Patienten durch 43 Punctionen entsprochen, er betrachtet die Lumbalpunktion 
bei acutem hohen Drucke als eine Indicatio vitalis, will sie aber auch bei allen 
Fällen von chronischem Hirndrucke angewendet wissen, so nach dem Vorschläge von 
Lenhartz bei schweren Chlorosen, nach Gehirnerschütterungen u. s. w. 

Vortr. schätzt den therapeutischen Werth der von Quincke eingeführten Lum¬ 
balpunction trotz mancher negativer Resultate dem diagnostischen Werthe min¬ 
destens gleich. 

Die Gefahren der Punktion können nicht in dem aseptisch durchgeführten 
operativen Eingriffe liegen, sondern in dem zu schnellen und zu reichlichen 
Entleeren der Flüssigkeit, weshalb das Ablassen in horizontaler Lage zu ge¬ 
schehen hat. Vortr. sticht in sitzender Stellung ein und legt den Patienten mit 
eingestochener Nadel um. 

Nicht selten ist als Folge des zu sehr verminderten Druckes eine Ab- 
Schwächung der Herzthätigkeit sowohl im Betreff der Frequenz als der Energie 
der Schläge zu beobachten, die mehrere Tage andauern kann. 

Vortr. glaubt mit dem Lumbalpuuctionsapparate von Krönig das zu schnelle 
und zu starke Herabsinken des Druckes sicher vermeiden zu können. 

Werden die Druckverhältnisse beim Ablassen der Lumbalflüssigkeit genau über¬ 
wacht — je höher der Druck, um so weniger darf auf einmal abgelassen werden — 
so werden die unangenehmen, zuweilen bedrohenden Erscheinungen seltener oder 
nicht mehr zu beobachten sein und der therapeutische Werth der Lumpalpunction 
immer mehr zur Geltung kommen. 

Dr. Lüderitz (Baden-Baden): Ueber Veränderungen in den Hintersträngen 
bei progressiver Paralyse. 

Vortr. weist an der Hand von 16, sowohl klinisch wie anatomisch genau unter¬ 
suchten Fällen von progressiver Paralyse, die Ansicht zurück, dass progressive Paralyse 
und Tabes identische Krankheiten seien. Abgesehen vom klinischen Bilde — Verschieden¬ 
heit der Blasenmastdarmstörungen, grosse Seltenheit von Opticusatrophieen bei Paralyse, 
Fehlen der eigentlichen „Krisen“ u. s. w. — zeigen auch die anatomischen Befunde 
in den Hintersträngen mannigfache Differenzen, besonders im Lendenmarke. Während 
wir bei vorgeschrittenen Fällen von Tabes fanden, dass das ganze Areal der Hinter- 


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stränge hier mehr oder weniger in degenerirtes Gewebe verwandelt ist, zeigen sich 
bei Paralyse nnr ganz bestimmte, scharf umgrenzte Partieen krankhaft verändert 
und zwar dergestalt, dass sowohl im oberen wie unteren Lendenmarke ganz bestimmte, 
in jedem Falle mit fast photographischer Treue, wieder auftretende Degenerations¬ 
figuren zu Stande kommen, die eine Unterscheidung beider Krankheitsbilder auch 
am mikroskopischen Präparat ermöglichen. Irgend welche Beziehungen in der Stärke 
der Degeneration zwischen Hintersträngen und Seitensträngen Hessen sieb nicht nach- 
weisen, auch da, wo in den Seitensträngen die eine Seite stärker verändert schien 
als die andere, Hessen sich in den Hintersträngen keine Differenzen erkennen. 

Dr. van Oordt (Heidelberg): Tabes mit Hysterie. 

Im vorliegenden FaUe waren die Symptome einer durch Section bestätigten 
Tabes und einer auf dem Boden tabischer Erscheinungen entstandenen Hysterie ver¬ 
flochten. Besondere Schwierigkeiten bot der Erkennung beider Krankheitsbilder die 
Eigentümlichkeit, dass die ausgedehnten Sensibilitätsstörungen zum Theil tabischer, 
zum Theil hysterischer Natur waren und der Umstand, dass bei nicht unerhebHcher 
Alteration der Muskel- und Gelenksensibilität keine Bewegungsstörungen auftraten. 
Vortr. betont die Thatsache, dass Fehlen von Muskel- und Gelenksempfindungen 
besonders im Beginn der Erkrankung nicht notwendiger Weise eine spinale Be¬ 
wegungsataxie im Gefolge haben muss. 

Dr. W. Weygandt (Heidelberg): Kritische Bemerkungen zur geistigen 
Hygieine der Schule. 

Bei Anwendung psychophysischer Methoden zur Feststellung der Schulüber- 
bürdung wurde eingeworfen, dass die Schule die wichtigste Erholung biete durch 
Abwechslung im Arbeitsstoff, wodurch immer neue Hirntheile in Anspruch genommen 
und die bis dahin angestrengten entlastet würden. Vortr. stellte mittelst der con- 
tinuirlichen Arbeitsmethoden Experimeute über den Arbeitswechsel an, die ergaben, 
dass von einer erholenden Wirkung des Wechsels an sich nicht die Bede ist. Der 
Erfolg des Wechsels hängt ab vom Verhältniss der Schwere der Arbeiten. Höchstens 
durch rasch vorübergehenden „Antrieb“ kann der Wechsel als solcher etwas günstig 
wirken. 

Die modernen Methoden der Feststellung geistiger Ermüdung durch ästhesio- 
metrische Untersuchung (Griesbach, Vaunod, Wagner) sind, wie zahlreiche 
exacte Nachprüfungen ergeben, ungenau, in ihrer bisherigen Anwendung oberflächHcb, 
und können höchstens mit aller Vorsicht zu Einzel versuchen, aber noch nicht zu 
Massenversuchen in der Schule angewandt werden. 

Herr Tallermann (London) zeigte während der Verhandlungen in einem 
Nebensaale einen an die Gasleitung angeschlossenen Heissluftapparat eigenartiger 
Construction vor; zur Behandlung gelangten arthritische Kranke aus dem Landesbad. 

Baden-Baden wurde wieder zum Ziele der nächsten Wanderung der südwest¬ 
deutschen Neurologen und Irrenärzte bestimmt. 

Prof. Dr. Naunyn (Strassburg) und Director Dr. Frz. Fischer (Pforzheim) 
wurde die Geschäftsführung übertragen. 

Um l x / 2 Uhr Mittags wurdj die Versammlung geschlossen. 

Leop. Laquer (Frankfurt a./M.). 


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K. K. Gesellschaft der Aerate ln Wien. 

Sitzung vom 5. November 1897. 

(Wien. klin. Wochenschr. 1897. Nr. 45.) 

E. Ul 1 mann berichtet über einen Fall von doppelseitiger Arthropathia 
tabioa im Sprunggelenk. 

Durch Ausführung einer atypischen Eesection am rechten Fnsse konnte beinahe 
normales Aussehen des Fusses erzielt werden, auch die Beweglichkeit ist normal. 
Es entwickelte sich weder Ankylose noch ein Schlottergelenk. Vortr. hebt hervor, 
dass bei tabischer Arthropathie des Sprunggelenkes bisher fast immer Amputation 
durchgeführt wurde und erst in drei Fällen eine Resection ansgeführt worden war. 

Sitzung vom 8. December 1897. 

(Wien. klin. Wochenschr. 1897. Nr. 49.) 

Prof. Weinlechner hält einen Vortrag über die Folgen suboutaner Sohädel- 
fraoturen in den ersten Lebensjahren. 

Nach kurzer Erwähnung der Schädelfracturen während des uterinen Lebens, 
während des Geburtsactes und unmittelbar post partnm bespricht Vortr. die Schädel¬ 
fissuren und Schädelbrüche in den ersten Lebensjahren. Vortr. unterscheidet Schädel¬ 
lücken mit anlagerndem Gehirne und Schädellücken mit falschen Meningocelen; beide 
Formen können nebeneinander bestehen. Die Schädellücken werden bald nach er¬ 
littener Verletzung beobachtet uud nehmen mit den Jahren an Umfang zu; sie bleiben 
schliesslich stationär und verursachen keine Beschwerden. Die weiteren Ausführungen 
über diese Frage haben nur chirurgisches Interesse. 

Die Schädellücken mit falscher Meningocele finden sich gewöhnlich am Seiten¬ 
wandbein und stellen weiche, fiuctuirende, mitunter transparente, wenig pulsirende 
Geschwülste dar, welche eine harte Umrandung besitzen. Der Inhalt gleicht der 
Cerebrospinalflüssigkeit, die Knochenlücke lässt sich selten deutlich fühlen. Die Ver¬ 
bindung zwischen der Meningocele und dem Schädelinneren wird durch eine narbige 
Durafistel aufrecht erhalten. 

Eine Verletzung der weichen Gehirnhäute und des Gehirns kommt bei Bildung 
der Fissur nicht selten vor; je tiefer der Riss ins Gehirn geht, desto mehr Cerebro¬ 
spinalflüssigkeit wird ausgetrieben. Wenn das Gehirn bis in die Seitenventrikel reisst, 
so ist der Anstritt der Flüssigkeit noch mehr begünstigt und damit auch das rasche 
Wachsthum der Geschwulst. Vortr. hat einmal eine solche traumatische Poren- 
cephalie bei einem Kinde gefunden, bei welchem die Verhältnisse dnrch die Nekro¬ 
skopie klarge3tellt wurden. Die falsche Meningocele heilt mit Hinterlassung einer 
Schädellücke, die Fissur mit anlagerndem Gehirn heilt entweder ganz aus oder bessert 
sich wesentlich. Eine Persistenz der Meningocele über das 3. Lebensjahr hinaus ist 
eine Rarität. H. Schlesinger (Wien). 


Oesterreichlsohe otologisohe Gesellschaft. 

Sitzung vom 26. October 1897. 

(Wiener klin. Wochenschr. 1897. Nr. 48.) 

Prof. Politzer stellt einen 26jährigen Mann vor, der durch ein Maschinenrad 
an eine Wand gedrückt wurde, unmittelbar nach dem traumatischen Insulte aus 
beiden Obren blutete und eine beiderseitige Facialisparalyse acquirirte. Rascher 


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Backgang der Hörstörung bei Persistiren der Lähmung beider Faciales. Vortr. ist 
der Ansicht, dass es sich um eine Fissur an der Calvaria bandle, welche sich durch 
die beiden Schläfenbeine in der Weise fortsetzt, dass sie durch die hintere obere 
Gehörs wand bis zur hinteren Trommelhöhlenwand durch den Faloppi’schen Canal 
beiderseits reicht. Die Blutung aus dem äusseren Qehörgang spricht dafür, dass eine 
Blutung im Canalis Fallopiae erfolgt iah H. Schlesinger (Wien). 


III. Mittheilung an den Herausgeber. 

Sehr geehrter Herr College! 

Die Ueberffllle der zeitgenössischen Litteratur lässt es verständlich erscheinen, 
wenn sich in die historischen Feststellungen jüngerer Autoren zuweilen Irrthflmer 
einschleichen, die dem älteren, als für die Sache selbst irrelevant, kaum der Beach¬ 
tung werth erscheinen und habe ich meiner daraus gezogenen Ansicht noch kürzlich 
in der Vormerkung zu meinen „Beiträgen“ Ausdruck gegeben. Diesmal möchte 
ich jedoch von meiner Gepflogenheit eine Ausnahme machen, weil es sich darum 
bandelt, dass ein Fachcollege die historische Aufstellung eines anderen bemängelt, 
er selbst aber nicht minder dabei fehl geht als jener. 

In der kürzlich erschienenen Nr. 12 des Neurolog. Centralbl. oorrigirt Herr 
Minor Herrn Marinesco, der im April 1898 in einer Arbeit die Aeusserung ge- 
than, dass in derselben das bis dahin nicht beachtete Vorkommen der sogenannten 
syringomyelitischen Dissociation bei Querschnittsmyelitis erwiesen sei, dahin, dass er 
schon lange vor dieser Publication, nämlich am 21. August 1897 auf dem Moskauer 
Congresse über diese Erscheinung in 8 Fällen von Bückenmarksquetschung be¬ 
richtet bat. 

Da scheint es mir denn doch nöthig, darauf hinzu weisen, dass Kahler und 
Pick im Archiv f. Psych. Bd. X. H. 2, also vor 18 Jahren, einen Fall von Fractur 
der Halswirbelsäule mittheilten, der, wie in den Fällen von Minor und Marinesco, 
jene Dissociation oberhalb der anästhetischen Zone zeigte; ich darf weiter darauf 
hinweisen, dass wir dort auch die anatomischen Grundlagen der Erscheinung zu 
deuten versuchten und dass jener Fall umsoweniger dem Gedächtniss der Zeitgenossen 
entgangen, als es ja derselbe ist, in welchem wir als die ersten (und dabei kann 
ich trotz aller historischen Fesstellungen bleiben) in klar bewusster Weise nach¬ 
wiesen, dass bei completter Durchtrennung des Halsmarkes und int acte m Lenden¬ 
marke die Kniephänomene fehlen und dafür eine Erklärung versuchten, die, neuerlich 
anfänglich zurückgewiesen, jetzt doch wieder von anderer Seite aufgenommen wird. 

Trotzdem wir seiner Zeit gerade der ausführlichen Discussion der eigentümlichen 
Form der Sensibilitätsstörung wegen die einschlägige Litteratur gewiss eingehend 
studirt haben dürften, möchte ich trotz Allem natürlich nicht behaupten wollen, dass 
nicht vielleicht schon früher ähnliche Beobachtungen gemacht und veröffentlicht 
sein mögen. A. Pick. 


IV. Personalien. 

Unser verehrter Mitarbeiter Herr Dr. v. Frankl-Hochwart wurde zum Professor 
eztraord. an der Universität Wien ernannt. 


Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten. 

Einsendungen für die Redaction sind zu richten an Prof. Dr. E. Mendel, 
Berlin, NW. Schiffbauerdamm 20. 

Verlag von Vkit & Coup, in Leipzig. — Druck von Mbtzobr & Wittig in Leipzig. 


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Neurologisches Centralblatt. 

Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie 
und Therapie des Nervensystems einschliesslich der Geisteskrankheiten. 

Herauflgegeben von 

Professor Dr. E. Mendel 

Siebzehnter " Jahrgang. 

Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 24 Mark« Zu beziehen durch 
alle Buchhandlungen des In- und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Beichs, sowie 

direct von der Verlagsbuchhandlung. 

1898 . 1 5. Jnli, "~"Nr7l£ 

Inhalt: I. Originalmitthollungen. 1. Zur Histologie und Pathologie der inselförmigen 
Sklerose, von Dr. 8igmond Erben. 2. Muskelatrophie bei multipler Sklerose, von Priv.-Doc. 
Dr. L Brauer. 3. Zur Färbung der Ganglienzellen, von Dr. Friedrich Luithleu in Wien und 
Dr. Josef Sorgo, Hospitant an der HI. medicinischen Klinik in Wien. 4. Zur Härtung 
des Centralnervensystems in situ, von Dr. Hermann Pfister, Assistenzart der psychiatr. Klinik 
in Freiburg i./B. 

II. Referate. Anatomie. 1. De leer der neuronen toegepast op de anatomie der 
zintuigen, door Jeigersma. 2. Inögalit 6 de poids des hömisphöres cerebraux, par Bourneville. — 
Experimentelle Physiologie. 8. Ueber den corticalen Ursprung der durch Absynth 
hervorgerufenen epileptischen Anfälle bei Hunden, von Ossipow. 4. A further experimental 
contribution to the knowledge of the mechanism of deglutition, by Meitzer. 5. Ueber Beiz¬ 
versuche mit Inductionsströmen am Thiermagen, von Meitzer. 6. Becherches experimentales 
sur les mouvements de la cellule nerveuse de la moölle 6pini£re, par Odier. — Patho¬ 
logische Anatomie. 7. Examen des cellules nerveuses mödullaires dans le tetanos experi¬ 
mental, par Courmont, Doyon et Pariot. — Pathologie des Nervensystems. 8. Du 
reflexe patellaire, par Marandon de Montyel. 9. Le phönomöne des orteils en pathologie 
nerveuse, par Babinski. 10. Ophthalmoskopische onderzoekingen bij Epilepsie, door Meyer. 
11. Zeldzame gevallen van Epilepsie, door Winkler. 12. I sogni e il sonno neir isterismo 
e nella epilessia, per 8ante de Sanctis. 13. Partieele epilepsie en hare heelkundige behände- 
ling, door van Eyk. 14. Epilepsia Jacksonii post fracturam cranii cum depressione permagna. 
Besectio cranii. Porbättring, af Naumann. 15. Note sur quelques r^flexes cutanös chez les 
Äpileptiques, par FM. 16. Note sur la plus grande rapidite de rölimination du bleu de 
möthylene par les urines ä la suite des acc£s chez les öpileptiques, par F4r4 et Laubry. 
17. Epilepsie consöcutive ä une fievre typhoide, par Bourneville et Dardel. 18. Epilepsie als 
Abstinenzerscheinung bei Morphiumentziehung, von Heimann. 19. Klinische Beiträge zur 
Beflexepilepsie, von Seeligmüller. 20. Some notes of echolalia, with the report of an 
extraordinary case, by Barr. 21. Epilepsy with luxation of the yaw, by Stanley. 22. A 
octogenarian epileptic, by Simpson. 23. Ueber die chronische Paranoia bei epileptischen 
Individuen, von Buchholz. 24. Le traiteroent de l'öpilepsie, de Tidiotie et d’autres etats en- 
cöphaliqueB analogues par la resection des ganglions cervicaux superieurs du sympathique, 
par Chipault. 25. Ueber die Aufgaben des Pflegepersonals bei Epileptischen, von Wildermuth. 
26. A contribution to tbe study of tetanus, by Gonzalez. 27. A case of tetanus, by Rudis- 
Jiclnsky. 28. Zur Frage des rheumatischen Tetanus und der Tetanus-Antitoxinbehandlung, 
von Steiner. 29. A case of cephalic, dysphagic, or hydrophobic tetanus, by Maylard. 30. Ueber 
einen Fall von Kopftetanus, von Solmsen. — Psychiatrie. 31. Psychoses post-opöratoires. 
32. Les psychoses de la vieillesse, par Ritti. 33. Insanity of the different periods of life. 
Evolutional and involutional types, by Maclachlan. 34. On arrested development and Little's 
disease, by Spüler. — Therapie. 35. Die Behandlung der tuberculosen Wirbelentzündung 
auf Grund von 700 Fällen, von Dollinger. 36. Zur operativen Behandlung der Spina bifida 
occulta, von Maass. 37. Ueber Bewegungstherapie bei Erkrankungen des Nervensystems, 
von Goldscheider. 38. Ueber die compensatorische Uebungstherapie bei der Tabes aorsalis, 
von Jacob. 39. Beitrag zur Quecksilberbehandlung der multiplen Sklerose, von Mühsam. 

III. Aus den Gesellschaften. Verein für Psychiatrie und Neurologie in Wien. 

IV. Bibliographie. Die Bedeutung der Beize für Pathologie und Therapie im Lichte der 
Neuronlehre, von Goldscheider. — Die nervösen Erkrankungen der Blase, von Prof. Dr. 
L. v. Frankl-Hochwart und Dr. 0. Zuckorkandl. 

V. Berichtigung. 

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UMfVERSITY OF CALIFORNIA 




L Originalmittheilungen. 


[Aus der II. Wiener medicin. Universitätsklinik (Hofrath Prof. Neüsseb).] 

1. Zur Histologie und Pathologie der inselformigen Sklerose. 

Von Dr. Sigmund Erben. 

Analyse der verbreiterten Stützsubstanz. Die primär 
auftretenden Veränderungen. Ueber das Intentionszittern. 

Die Heilbarkeit einzelner Symptome. 

Mir standen 5 Fälle zur Verfügung. Bei jedem derselben konnte ich im 
Rückenmark Stellen ermitteln, wo die Sklerose fortgeschritten war, und 
andere Stellen, welche Anfänge der Entwickelung aufwiesen. Meine Aus¬ 
führungen beziehen sich ausschliesslich auf die weisse Bückenmarkssubstanz. 
An solchen Flecken im Bückenmarksquerschnitte, wo die Sklerose beginnt, 
war mir eine grosse Anhäufung von markhaltigen Nervenfasern kleinsten Calibers 
aufgefallen. Auch das normale Bückenmark zeigt innerhalb der weissen Sub¬ 
stanz zwischen den überwiegend grossen Nervenfasern kleinere und kleinste, 
aber bei beginnender Sklerose bestand das Gesichtsfeld fast aus lauter Faser¬ 
querschnitten kleinsten Calibers (conf. die Stelle e der Zeichnung), unter welchen 
die grossen Nervenfasern (einzeln oder gruppenweise) spärlich und zählbar ein¬ 
gestreut waren — ausgesprochene Vermehrung der kleinsten Nervenfasern und 
Verringerung der grossen. 

Das Carminpräparat lieferte in einem weiteren Stadium der Sklerose das 
bekannte Bild, wo innerhalb einer gleichmässig roth gefärbten Masse vereinzelte 
grosse Nervenfasern zu finden sind; die spärlichen Nervenfaserquerschnitte durch¬ 
brachen hier gewissermaassen siebförmig eine homogene Masse. Diese Nerven¬ 
fasern haben meist normales Aussehen, der Axencylinder ist gesättigt roth ge¬ 
färbt, die Markscheide ist aber farblos und zeigt ineinander geschichtete Binge; 
einzelne dieser grossen Nervenfasern weisen Veränderungen auf, entweder findet 
man den Axenoylinder vergrössert, geschwollen, oder die Markscheide repräsentirt 
sich als zartroth gefärbter Hof um den axialen Strang — die Markscheide ist 
färbbar geworden, von den concentrischen Ringen ist dann nichts zu merken. 
Die homogene Masse wird als verbreiterte Balken des Stützgewebes angesehen. 
Bei starker Vergrösserung (Zmss Apochromat 4,0 mm, Apert 0,95, 160 Tuben¬ 
länge, Compensationsocular Nr. 12 bei enger Blende) verliert sie das homogene 
Aussehen und rasch wechselnde Einstellung lässt darin (besonders am Bande 
der sklerotischen Herde) isolirte Punkte erkennen, die von einem lichteren Hofe 
umgeben sind; sehr oft trifft man Stellen, wo diese Pünktchen deutlich als 
Durchschnitte von feinen markhaltigen Fasern erscheinen, ein anderesmal ist das 

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Bild nicht so klar, tim bereits auf den ersten Bliek unbestritten als eine An¬ 
häufung kleiner Nervenfasern erkannt zu werden. 1 

Ich erwartete, dass WmGEBT-PAL-Präparate ein deutlicheres Bild geben 
werden, weil die kleinen Nervenfasern innerhalb der „verbreiterten Gliabalken“ 
als schwarze Kreise hervortreten müssten. Diese Erwartung täuschte midi, denn 
die Markscheide verliert durch die krankhaften Vorgänge bei der multiplen 
Sklerose frühzeitig ihre Färbbarkeit durch Hämatoxylin. Stellen der 
weissen Rückenmarkssubstanz, wö die grossen Nervenfasern noch dicht an ein¬ 
ander gelagert sind und keinerlei Zwischengewebe bemerkbar ist, enthalten neben 
den breiten, schwarz gefärbten Myelinringen Markscheiden, deren äusserer oder 
innerer Ufnkreis durch einen meist unvollständigen, äusserst zarten, schwarzen 
Säum angedeutet war. Viele von den Markscheiden mit der zarten schwarzen 
Umsäumung hatten bei der Nachfärbung mit Alauncarmin eine schwache Roth- 
färbung angenommen. Wurden Rückenmarksschnitte gleichen Ursprungs von 
vom herein mit Ammoniakcarmin behandelt, so nahmen jene Marscheiden, die 
sich an WnroEBT-Präparaten (wie eben geschildert) mangelhaft gefärbt hatten, 
in Carminpräpäraten rothe Farbe an. Die Querschnitte der feinen Nervenfasern 
hoben sich im W eigeet-P AL-Präparate nicht durch entsprechende schwarze 
Ringlein hervor, vielmehr sah man bei gelungener Nachfärbung das gleiche Bild 
wie bei der Behandlung mit Ammoniakcarmin: satt gefärbte Punkte von einem 
zartrothen Hofe umgeben. Die zahlreichen kleinsten Nervenfasern hatten also 
nicht die Eigenschaften der normalen Nervenfasern, vielmehr verhielten sie 
sich dem Hämatoxylin gegenüber gleich jenen krankhaft veränderten grossen 
Nervenfasern.* 

Ich legte an solchen Stellen mit „verbreitertem Stützgerüste“ Längschnitte 
an, färbte sie mit Ammoniakcarmin und zerzupfte sie. Dann fand ich vereinzelt 
markhaltige (c) und marklose breite Axencylinder («), im übrigen ein Filzwerk 
von allerfeinsten roth gefärbten Fäserchen, die kreuz und quer, aber überwiegend 
längs geordnet waren und am Rande wie an den Enden des Stückes buschig 
hervorquollen. Ich habe den Faserfilz durch das Zupfen gewissermaassen auf¬ 
gefasert, und man sah nun, dass in dem Stroma aüerfeinster, glänzender Fäser¬ 
chen (Gliafasern) etwas breitere Fasern liegen (&), die matt gefärbt 
waren, sich steifer und gerade zeigten, während die zahlrächen um¬ 
gebenden herausgezupften feinsten (Glia-) Fäserchen glänzen, geschwungen und 
wellig verlaufen. Einige Male fand ich ich diese breiteren, geraden und matt- 


1 Sobald die Sklerose vollständig ansgebildet ist, finden Bioh am Querschnitte weder 
grosse, noch kleine und kleinste Nervenfasern, da giebt es nur ein struppiges, undeutliches 
und vielfach durchbrochenes, rothgefärbtes Geflecht mit eingestreuten rothen Kernen und 
spärlichen Spinnenzellen; die Lücken im Flecht- oder Netzwerk sehen so unregelmässig aus, 
dass man ihren Ursprung kaum auf den Schwund der runden Nervenfaserquerschnitte be¬ 
ziehen würde. 

* In diesem Verhalten liegt zugleich ein Anhaltspunkt, dass es sich hierbei nicht bloss 
um ungewöhnliche Anhäufung normaler kleiner Nervenfasern handelt, wie sie stellenweise 
manchmal auch bei Gesunden zu finden ist. 


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gefärbten Fasern im Zusammenhänge mit grosscalibrigen Axencylindern; doch 
getraue ich mich nicht zu behaupten, dass sie besimmt von den Axencylindern 
ausgegangen, ausgewachsen sind und nicht etwa bloss aufgelagert waren. Sie 
sind s chät zun g sweise doppelt so dick als die wellig geschwungenen I asern, welche 
vollends den Bindegewebsfasern gleichen; verglich ich sie mit den benachbarten 
isolirten, normal grossen Axencylindern, so erschienen mir letztere 4 bis 6 mal 
breiter. Diese Fasern lassen die Deutung zu, dass sie marklose feinste Axen- 
cylinder sind 1 ; einerseits sehen wir auf den Querschnitten eine Vermehrung 

kleinster Nervenfasern, anderer¬ 
seits glichen sie den jungen 
Nervenfasern, die man bei Re¬ 
generation des peripheren und 
centralen Nervensystems beo¬ 
bachten kann. Solche Miniatur- 
axencylinder fand ich um so 
zahlreicher, je vorgeschrittener 
die Sklerose war, am leichtesten 
waren sie in Stücken zu finden, 
die ausschliesslich aus dem com¬ 
pacten Geflechte von welligen 
Fasern zusammengesetzt schie¬ 
nen, man muss dem Bande des 
Präparates entlang nach ihnen 
suchen, sonst entgehen sie einem. 
Manche der herausragenden 
Fasern lassen sich bis in das 
Präparat hinein verfolgen, ich 
wäre niemals zur Ansicht dieser 
feinen Axencylinder gekommen, 
wenn ich die Längsschnitte 
nicht zerzupft hätte. Denn 
das Innere eines Längschnittes — 
mag er noch so dünn sein — 
lässt beim Carminpräparate keine 
entsprechende Analyse zu, so 
dicht ist das Geflecht von 
Fasern daselbst, und Details über Structur, Maschenwerk oder gar Faser¬ 
beschaffenheit kann man nicht wahrnehmen. Man findet selbst in den aus¬ 
gebildetsten sklerotischen Partieen einzelne markhaltige oder marklose, normal 
grosse Nervenfasern, auch dünne markhaltige Nervenfasern neben zahlreichen 
nackten Axencylindern feinsten Calibers; sie alle sind in einem filzigen Gewebe 
eingebettet, 'welches durch die Beschaffenheit seines Bandes zeigt, dass es aus 

1 Prof. Obkbstsutbb, den ich am sein Urtheil bat, stimmte dieser Deutung zu, während 
dieselbe von anderer Seite nicht einwurfsfrei gefunden wurde. 



r 

Gezupfter Längsschnitt von vorgeschrittener Sklerose. 
Bei e ist ein im Beginn der Sklerose befindliches, 
querverlaufendes Faserbündel getroffen. 


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geschwungenen Gliafasern und unzähligen Eernen zusammengesetzt ist Wenn 
die Eeme freiliegen, erkannte man, dass einige von ihnen nackt, andere aber 
von einem zart gefärbten, unregelmässig gestalteten protoplasmatischen Zelleibe 
umgeben sind (<f); von den Zellen und Eernen gehen stets Büschel feiner Fasern 
aus, die sich von den benachbarten Gliafasern nicht unterscheiden. Die Faser¬ 
büschel sind kurz und enthalten nur einzelne lange Fasern. Es handelt sich 
um DniTEB8’sche Zellen (Pinselzellen). Das Wesentliche der vorausgegangenen 
Ausführungen liegt darin, dass in dem sklerotischen Gewebe zwei Gat¬ 
tungen feiner Fasern Vorkommen. Ich habe diese in so vielen Präparaten 
gesehen, dass ich von jedem Zweifel frei geworden bin. 

Was für Deutungen ergeben sich aus dem Beobachteten? Man sieht in 
sklerotischen Partieen der Rückenmarksstränge eine beträchtliche Vermehrung 
der feinsten Nervenfasern. Sie können das Product einer Degeneration oder 
Regeneration der Nervenfasern sein. Nun trifft man in den Herden Symptome 
der Degeneration an den Markscheiden, wodurch die Annahme einer De¬ 
generation der Axencylinder nahe liegt. Da ausserdem im Beginne der Sklerose 
sich eine Anzahl von Nervenfasern geschwellt zeigt, wäre auch die Quelle für 
eine Compression gegeben; die benachbarten Nerven müssen leiden und an 
ihrem Volumen einbüssen, bis sie die Gestalt dünner und dünnster Fasern an¬ 
nehmen. Diese Vorstellung ist logisch vollkommen begründet, trägt aber nicht 
allen vorliegenden Umständen Rechnung: Zunächst wäre damit der Befund 
herdförmiger Sklerose 1 schwer vereinbar, da der Druck sich über den Quer¬ 
schnitt des Rückenmarkes ausbreiten muss. Weiter erwartet man unter diesem 
Gesichtswinkel, dass von den grossen zu den kleinsten Nervenfasern Ueber- 
gänge bestehen, je nachdem eine Nervenfaser etwas gedrückt oder schon er¬ 
drückt ist; derartige Befunde vermisste ich. Drittens sieht man auf einem Areale, 
wo Raum für eine grosse markhaltige Nervenfaser wäre, oft 5—8 markhaltige 
Nervenfasern kleinsten Calibers*; so viele grosse Nervenfasern können nicht er¬ 
drückt worden sein, als feinste Faserquerschnitte sich vorfinden. Ausserdem ist 
die Schwellung der benachbarten Nervenfasern zu gering und von vermehrter 
Zwischensubstanz — die etwa einen Druck ausüben könnte — ist in einem ge¬ 
wissen Stadium der Sklerose noch keine Spur zu entdecken. Die grosse Zahl 
der feinen Nervenfasern spricht zumeist dafür, dass die letzteren neu gebildete 
und nicht verkleinerte Formen bereits vorhandener Nervenelemente sind. Bringt 
man diese Erwägung noch zu den Beobachtungen Stboebb’s bei den Rücken¬ 
markswunden in Beziehung und vergleicht mit seinen Befunden die zarten, 
steifen Fasern in meinen gezupften Längsschnitten, so wird man in der Deu¬ 
tung (I) bestärkt, es handle sich hier um junge neugebildete Axencylinder. 3 Ob 

1 Man findet in jedem Falle neben der diffusen Sklerose auch eine herdförmige. Die 
Form der Herde ist ansgesprochen rundlich oder längsoval und der Band hebt sich bei 
makroskopischer Betrachtung gewöhnlich scharf ab. 

* Gin solches Areal ist von grossen Nervenfasern umgrenzt, so dass man die Grössen- 
Verhältnisse unschwer vergleichen kann. 

* Nicht verschweigen darf ich eine Divergenz meiner Befunde mit der Darstellung von 
Stbozhb; die jungen Axencylinder liessen in den STBonnn’schen Präparaten eine dünne 

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die Zahl der feinen Axonoylinder mit dar Ausbildung der Sklerose stetig zu¬ 
nimmt oder ob die Begeneration in einem gewissen Stadium stehen bleibt, konnte 
ich nicht feststellen. Ich darf nur sagen, dass jene Fasern bei Torgeschrittener 
Sklerose am besten zu finden sind. 

Dass die GHabalken hei der Herdsklerose sich verbreitern, anfangs homogen 
aussahen und später aus feinsten Fibrillen zusammengesetzt scheinen, wurde 
von vielen Autoren ausgesprochen (so von Zehkeb, Schülb, Buchwald, Chvostkk, 
Chaboot, Leyden, Ebb, Fbomamn, N. Wbiss, Schultzb, Bibbert, Strümpell, 
Bobst). Aber auch meine Befinde treten nicht unvorbereitet in den Kreis der 
Litteratur ein. Goldscbeidbb veröffentlichte 1896, dass er in einem Falle 
frischer Herdsklerose zahlreiche verdünnte Nervenfasern antraf. Er hat 
vorzügliche Zeichnungen dazu gebracht (Figg. 2, 3 und 4 seiner Fublicationen 
decken sich vielfach mit meinen Präparaten), worauf man normale und ver- 
grösserte Axenoylinder mit färbbarer (Carmin) Markscheide sieht; auoh hebt er 
„die zahlreichen verdünnten Easerungsquerschnitte 1 , welche alle Uebergänge bis 
zum kleinsten Axencylinder aufweisen“, hervor. Er deutet die feinen Nerven¬ 
fasern als solche, welche die Schwellung — „Quellungsprocess“ — bereits durch¬ 
gemacht und die Compression überstanden haben; während andere Nervenfasern 
dabei zu Grunde gehen, sind diese gerettet worden — „wenn auch immerhin 
die Möglichkeit gelassen werden muss, dass einzelne neugebildete unter ihnen 
sein könnten“. Mir erscheinen gegen eine solche Auffassung zwei gewichtige 
Bedenken (die ich bereits an früherer Stelle erwähnt habe): Noch Niemand 
vorher hat auf Bückenmarksquerschnitten Uebergänge von geschwollenen zu 
den feinsten Nervenfasern beschrieben, weiter spricht die Menge der vorhandenen 
Faserquerschnitte dagegen, dass es sich nur um zusammengedrückte, prä- 
existirende Nervenfasern handelt 2 Prof. M. Popofp machte 2 Jahre vorher auf 
Grund einer neuen Färbungsmethode die bedeutsame Mittheilung aus dem 
FiiECHSiö’schen Laboratorium, dass die sogenannten Bindegewebszüge zwischen 
den Nervenfasern „nur Yeränderungsproducte der Nervenfasern selbst sind“; 
leider fehlen seiner Publication Abbildungen. Neben ,verfallenden“ Markscheiden 
und Nervenfasern beschreibt er an einigen Stellen der Präparate „eigenthüm- 
liche, aus feinen, parallel geordneten Fasern bestehende Bündel, welche kaum 
anders als regeneiirte Axencylinder zu betrachten sind“; auoh behauptet er, es 
finde bei der multiplen Sklerose gar keine Bindegewebswucherung, bezw. Glia¬ 
wucherung statt, vielmehr verlieren die Gliazellen ihre Fortsätze und zerfallen. 
Seine Beobachtung bezüglich der Neuroglia kann ich nicht bestätigen; jeder 
Längsschnitt überzeugte mich, dass die verdickte Zwischensubstanz ein Stroma 

Markscheide erkennen, dieselbe zeigt sich an Anilinblan-Präparaten als schmaler blassblaner 
Saum, war „jedoch mit WsionnFscher Färbung schwerer zu erkennen“. Jene Fasern in 
meinen Zupfpräparaten, die ich als dünne Axencylinder ansah, hatten fast niemals doppelte 
Gontour; ich färbte entweder nach Weigibt-Pal oder mit Ammoniakoarmin. 

1 Andeutungen dieser Beschreibung finden sich auch bei Ungbb. 

* Es fiel mir auf, dass Bobst, der 1 Jahr darauf eine umfangreiche, vorzügliche, die 
ganze Litteratur einbeziehende Monographie über den Gegenstand schrieb, diesen originellen 
Beitrag Goldsohudbb’s gar nicht berücksichtigt hat. 

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fernster, glänzender, geschwungener Fasern enthält, die durch kein Merkmal an 
markhaltige oder marklose Nervenfasern erinnern. Die Faserbündel Popofp’s 
habe ich an meinen Präparaten nicht gesehen, das könnte darin seinen Grand 
haben, dass ich nur Carmin- oder W biokbt - Pal -Färbung angewendet habe, 
und andererseits meine Präparate auseinander zupfte; auf den Rückenmarks- 
quesschnitten erwartete ich eine den PoopoFF’schen Faserbündeln entsprechende 
Fäderang, konnte aber eine solche Zusammenordnung kleinster Nervenfasern 
nicht auffinden. Popoff erschliesst die nervöse Natur jener zu Bündeln ge¬ 
ordneten feinsten Fasern, weil er an seinen Präparaten zuweilen markhaltige 
Axencylinder antraf, die sich an ihren Enden in 5—3 Fibrillen spalteten. 
WmanBT widei sprach der Ansicht Popoct's auf Grund seiner Neorogliafarbung 
und hält die Fasorbündel für Gliafasern. Mit der Färbung Popofp’s hat auch 
Lapinsky im Laboratorium Oppenhedc’s gearbeitet; er legte an Stellen von 
Herden Längsschnitte an und sab darin feine Fäserchen in Längsrichtung, 
„einige von diesen Fibrillen sahen etwas dicker aus“. Ich entnehme dieser 
Bemerkung, dass er feine Axencylinder inmitten des Gliafaserfilzes gesehen hat; 
eine Deutung dieser „etwas dickeren“ Fibrillen vermisste ich in seiner Arbeit. 
Er behauptet gleich Popoff, dass die Zwischensubstanz bei der multiplen 
Sklerose gar nicht vermehrt sei, ferner dass die zahlreichen fernen Fasern aus 
einer faserigen Metamorphose der Markscheiden, hervorgehen, loh fand den 
Contour der Markscheiden in meinen gezupften Längsschnitten niemals glatt, 
sie waren stets faserig, and zwar sowohl bei normalem Rüokenmarke, wie bei 
der multiplen Sklerose; diese Auffaserung der Markscheide kann darum nicht 
der Grand für den fibrillären Aufbau des verdickten Stützgerüstes bei der mul¬ 
tiplen Sklerose sein. Gegen die Behauptungen Lapxnsky’s kehrte sich beräts Bobst. 

Da ich durch die Färbung nach Wbigbbt-Pal Veränderungen an den 
Markscheiden und äne ungewöhnliche Fülle von kleincalibrigen Faserquerschnitten, 
fand, wo noch keinerlä Wucherung der Glia constatirbar war, enthalten meine 
Befunde eine Bestätigung für die Meinung von Adamkiewioz, Krames, Popoff,. 
Taylob, Lapinsky, 0. Hubes, Redlich, dass Veränderungen an den Nerven- 
elementen das Primäre säen, indess die Veränderungen im interstitiellen Gewebe 
naohfolgen. 1 

In Bezug auf Gefässveränderungen brachten meine Präparate keinen wesent¬ 
lichen Bätrag. Ich fand in meinen 5 Fällen die grossen Gefässe gewöhnlich 
stark gefüllt, ihr Lumen erweitert und die Wandungen infiUnart 1 ; nur selten 
waren sie unverändert 1 , aber leere und zarte Capillaren traf ich sähst inmitten 

> Den entgegengesetzten Standpunkt vertreten Leo, Claus, Zenker, Buohwald , 
CavowrK aen., Berlin, Chaboot, Lethen, Putzab, Bbb, Fromkann, Sohultzk, 
Wbrdnio, Uhthoff, Bossouho. 

1 Wie es bereits von Rutofleisob, Babbwinkri», Sohülb, Buchwald, Chvobtbk sen., 
Berlin, Putzar, Erb, Westphal, Greif, Sohultzb, Koppen, Adamkiewioz, Hess, Bum, 
Popoff, 0. Huber, Goldschkidkb beschrieben worden. 

• Fälle ohne Veränderung der Gei&see sind durch Büohwald, Jollt, Frommann, 
Tatlor bekannt geworden; solche mit theilweise unveränderten Gefäasen von Brdlioh 
und Borst. 


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au8gebildeter Sklerose 1 * , allerdings gab es auch innerhalb intacter Rückenmarks- 
partieen infiltrirte Gefässwandnngen der Gapillaren, Yorcapillaren und selbst 
grösserer Arterien (Art. interfunicularis, Art fissurae, Art. corp. com. post). 
Die perivasculären Lymphscheiden waren mitunter erweitert, mit Pigment und 
Blutkörperchen gefüllt* Einen merkwürdigen Befund ergab ein Fall: ich be¬ 
obachtete am Querschnitte des Brustmarks innerhalb eines Hinterstranges einen 
schmalen, streifenförmig entwickelten Herd, welcher der Länge nach von der 
Art interfunicularis durchzogen wurde — die Sklerose hatte sich also entlang 
dem Arterienverlaufe entwickelt 3 Längsschnitte ergaben, dass dieser Herd der 
obere Pol einer sich nach aufwärts allmähli ch verschmälemden diffusen Sklerose 
ist Auf Grund dieser Ergebnisse getraue ich mir nicht, zur Frage über die Be¬ 
deutung der Gefässe bei der Entwiokelung der Sklerose Stellung zu nehmen. 4 * 


Nebst dem Zerfall und vollständigem Schwunde, der blasigen Quellung 
und protoplasmatischen Umwandlung der Markscheide sind an dem axialen 
Bande selbst vielfache Veränderungen wahrzunehmen. Man sieht einzelne Axen- 
cylinder (am besten bei den gezupften Längsschnitten der Carminpräparate) 
stellenweise angeschwollen 6 , andere gekniokt oder innerhalb der varicösen Mark¬ 
scheide wie eine Wellenlinie verbogen. 6 Ich erwähnte schon bei der Schilderung 
eines Querschnittes von beginnender Sklerose, wie die Zahl der grossen Nerven¬ 
fasern im Gesichtsfelde verringert und die Stelle der fehlenden von einer Fülle 
kleiner Nervenfasern eingenommen ist. Noch deutlicher sieht man gelegent¬ 
lich an gezupften Stücken eines Längsschnittes, dass in den Reihen der parallelen 
und dicht neben einander laufenden, breiten, rothen Streifen (nackte Axencylinder) 
Lücken vorhanden sind. Es ist also festgestellt, dass einzelne Axencylinder 
schon im Anfänge der multiplen Sklerose verschwinden 7 ; darin sehe ich die 
Bedingungen für das Intentionszittera. Da das Zittern bei der multiplen Sklerose 
an den Innervationsact geknüpft ist, muss eine Störung desselben vorliegen; die 
Störung kann durch den Ausfall einzelner Fasern der psychomotorischen Bahnen 
gegeben sein. Bbückb hat auf Grund von Thierexperimenten und Beobach¬ 
tungen am Menschen darüber Aufschlüsse gebracht, dass der Muskel bei will¬ 
kürlichen Bewegungen nicht in allen seinen Theilen gleichmässig innervirt wird, 


1 Desgleichen von Hass. 

* Warden nach von Chaboot and Bobst beschrieben. 

* Dieser Befand entspricht einer (allerdings generalisirenden) Behauptung Grkif’b dass 
man die Sklerose nur an solchen Stellen antrift, wo normaler Weise grössere Gefässe auf- 
treten. 

4 0. Hubeb kam über die Incongrnenz der Gefössveränderungen durch die Annahme 
hinweg, dass die Erkrankung der Gefässe rückbildongsfähig sei. 

4 Vor mir haben schon Engessbb, Sohüle, Ebb, Pbommann, Wbiss, Schul tze, 
Köppen, Cbaxbb, Hess, Uhthoff, Popoff dies beobachtet. 

4 Aehnliche Beschreibungen finden sich bei Adamkibwioz, Popoff. 

7 Aehnlich sprechen sich auch Leyden und Goldbcheidbb aus; Befunde völligen 
Unterganges haben unter vielseitigem Widerspruche Leube, Jolly, Kblp, Chvostbk een., 
Ribbbbt, StbOmpell, Fkiedmann, Oppbnhim, Wbbsnig, Bobst behauptet. 


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sondern dass die einzelnen Fasern derselben zum Zwecke einer Bewegung in 
rascher Aufeinanderfolge — aber zu verschiedenen Zeiten — sich contrahiren 
(Entladungen nach Art eines Pelotonfeuers 1 * * ). Nehmen wir an, dass in einem 
bestimmten Momente beispielsweise ein Viertel des Muskelquerschnittes zur 
Contraction kommen sollte, im nächsten Momente ein anderes Viertel. Nun 
bleibt in dem Viertel, das sich eben verkürzen soll, eine Anzahl von Fascikeln 
wegen des Ausfalles einzelner Leitungsbahnen ohne Impuls, so dass die Kraft 
des sich zusammenziehenden Muskels schwächer werden muss. Das hat zur 
Folge, dass die Componenten für diese Bewegung vorübergehend aus dem 
Gleichgewichte kommen, dass die Bewegung dadurch die Gleichmässigkeit und 
Rundung verliert, dass sie ruckweise und unterbrochen ausgeführt wird — also 
das Bild des Intentionszitterns entsteht Durch Störung der Contraction inner¬ 
halb der einzelnen Muskeln erkläre ich mir das Intentionszittem, während 
Ataxie erst durch Alteration der Muskelsynergieen, des geordneten Zusammen¬ 
wirkens mehrerer Muskeln oder Muskelgruppen erzeugt wird. Die Ursache für 
die letztere suche ich auf Grund von Untersuchungen Zuckerkandl und Ebbkn’s 
in Herden oberhalb des Rückenmarks. Im Gegensätze zu Stbümpell, Bbuns, 
0. Hubes halte ich den Begriff des Intentionszitterns und der Ataxie auseinander 

Chabcot* war der Erste, welcher die Beobachtung mittheilte, dass die 
isolirten Aiencylinder sich mit neuen Markscheiden 9 umgeben können, dass die 
Möglichkeit einer Restitutio ad integrum gegeben sei; Chabcot verwendete seine 
Beobachtung, um sich den Ausfall der secundären Degeneration 4 * trotz der 
Zerstörung von Axencylindero zu erklären. 8 Jahre darauf hat Popoff die 
Regeneration der Axencylinder behauptet Nun komme ich mit meinen Bildern, 
die wegen der auffallend zahlreichen kleinen Nervenfasern an eine Neubildung 
von Axencylindem denken lassen. Eine solche Neubildung scheint mir besonders 
geeignet, das anatomische Substrat für die klinische Thatsache abzugeben, dass 
sich im Verlaufe der multiplen Sklerose ausgefallene Functionen wieder her- 
stellen. Remissionen 6 * werden fast in jedem Falle beobachtet, sie betreffen nicht 
allein die sensiblen Symptome, sondern auch Lähmungen der Blase und Mast¬ 
darmstörungen; selbst bedeutende Herabsetzung der Sehschärfe kann sich zurück¬ 
bilden. 


Benotete Litteratur: 

Adahkiewicz, Ueber malt Sklerose. Berliner klin. Wochenschr. 1886. S. 892. — 
Derselbe, Die degener. Erkrankungen d. Bückenmarks. 1888. Stuttgart — Barwinkbl , 

1 Bis auf J. v. Kais (Zur Eenntniss der willkürlichen Muskelthätdgkeit, du Bois-Re y- 
mohd’s Areh. 1886. Suppl. S. 1) wird diese Auffassung überall acceptirt 

* Gaz. des höpit. 1886. 

* Bestätigungen seines Befundes kamen von Marie, andere sind bisher ausgeblieben. 

4 Secundäre Degeneration wurde bisher nur von wenigen Autoren beobachtet: Wbst- 

phal, Gutmann, Greif, Schultzb, Strümpell, Webdhig, Uhthoff, Boss, Lapinsky, 

Borst. 

4 Dieseses Thema wurde zuletzt von C. S. Freund monographisch bearbeitet. 


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Zur Lehre m d. Herds kl erose u. s. w. Areh. d. Heflk. Iflfik S. 5Wk — Btolen, Bäfa. 
zur Lehre v. d. uralt. Hirn- u. Büekenmarkssklerose. Deutsches Areh. f. klin. Med. 1874. 
Bd. XIV. S. 133. — Bröoxb, üeber willkürliche und krampfhafte Bewegung. Sitzungeber, 
d. Akad. d. Wissensch. 1877. Bd. LXXVL — Bbuns, ZurPathol. d. mult. Sklerose. Ber¬ 
liner klin. Woehenschr. 1888. — Bdohwald , üeber mult. Sklerose d. Gehirns u. Bück. 
Deutsches Areh. f. klin. Med. 1872. Bd. X. S. 487. — Bose. Beitr. zur Aetiol. u. Pathol. 
d. mult. Sklerose. Deutsches Areh. f. klin. Med. 1888k S. 559. — Chabcot , Klin. Vortr. 
über Krankh. d. Nervensystems. 1874. Deutsch von Fbtzeb. — Chvostsk sen.. Zur Kennt- 
niss d. Herdsklerose u. s. w Wiener med. Presse. 1874. Nr. 5—29. — Derselbe » Beitr. 
zur herdweisen Sklerose u. s. w. Wiener med. Presse. 1873. Nr. 47—50. — Claus, Ein 
Beitrag zur CasuiBtik der Cerebrospinalsklerose. Zeitschr. f. Psych. 1879. Bd. LHI. 
S. 335. — Cbambb, Beginnende mult. Sklerose u. acute Myelitis. Areh. f. Psych. 1888. 
Bd. XIX. S. 667. — Bbstbin, Sprach- u. Coordinationsstörung u. s. w» Deutsches Areh. f. 
klin. Med. 1872. Bd. EL S. 528. — Derselbe, Scler. mult. spin. et oblong, eto. Deutsches 
Areh. f. klin. Med. 1873. Bd. X. S. 595. — Engesseh, Beitrag zur Casuistik der mult. 
Sklerose u. s. w. Deutsches Areh. f. klin. Med. 1876. Bd. XVII. S. 556. — Ebb, Ziemssen’s 
Handb. 1878. Bd. XL 2. S. 487. — C. S. Freund, üeber d. Vorkommen von Senaibilitäts- 
störnng bei d. mult. Sklerose. Areh. f. Psych. Bd. XX I I . S. 817. — Fbbdmamh, En Pall 
von EpendymWucherung u. s. w. Areh. f. Psych. 1885. Bd. XVI. S. 698. Derselbe, 
Einiges über Degenerationsprooesse u. s. w. Neurolog. Centralbl. 1887. Nr. 4 u. 5. 
Fbomann, üntersuch. über d. normale u. pathoL Anatomie d. Bückenmarks. 1864. Jena. 
Derselbe, üntersuch. über d. Gewebsveränderungen bei d. mult. Sklerose. 1878. Jena. 
Goldbc hbxpbb , üeber d. anatom. Process im Anfangsstad. d. mult. Sklerose. Zeitschr. f. 
klin. Med. 1896. Bd. XXX. S. 417. — Greif, üeber difftase u. dissemin. Sklerose u.s.w. 
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Derselbe, Weitere Beiträge zur Hirn- u» Rttokenmarkssklerose. Deutsches Areh. f. klin. Med. 
1871 Bd. VIIL S. 228 u. 1879. Bd. VH. S. 259. - Schultzb., üeber die Beziehungen, 
der mult Sklerose u. s. w. Areh. f. Psych. 1881. Bd. XL S. 216. - Derselbe, üeber das 
Verhalten der Azencylinder bei der mult Sklerose. Neurolog. CentralbL 1884. S. 195. 
Sxbohbb, Experiment, üntarsuoh. über die degen. u. reparator. Vorgänge u. s. w. Zieglerie 
Beitr. 1894. Bd. XV. S. 388. — Stbümpbll, üeber difltase Hirnsklerose n. s. w. Areh. 
f. Psych. 1879. Bd. IX. S. 268. — Derselbe, Beitr. zur Patbol. u. s. w. Areh. f. Psych. 
1880. Bd. X. 8.676. — Derselbe, Aroh. f. Psych. 1886, Bd. XVIL S. 217. — Taylor, 

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685 


Zur puthol. Anat. der »alt. Sklärose. Deutsche Zeitsch. f. Nervenheilk. 1694. Bd. V. 
8.1. — L. Ungbb, Ueber »ult. aeehförm. Sklerose u, s. w, 1697. Wien. 8. 38. — Uhthoff, 
Ueber die bei der mult. Sklerose vorkommende Amblyopie. Berliner klin. Woebenschr. 1869. 
S. 23. — Derselbe, Untersuch, über die Augenstörungen bei mult. Sklerose. Arch. f. Psych. 
1890. — Wbigkbt, Beitr. ?ur Keuntniss der normalen menachl. Neuroglia. 1895, — Nathan 
Wbiss, Ueber die Qistiogenesis der HinterstrangsskLerose. Sitzungsber. d. Akad. d. Wies. 
1879. S. 253. — Webdnig, Medic. Jahrb. d. Ges. d. Aerzte. 1888. S. 335. — Whswhap, 
Ueber eirapgförmige Degen, u. s. w- Aroh. f. Psych- 1879. Bd. IX- S. 389. — Zenkeb, 
Ein Beitr. zor Sklerose d. Gehirns u. Rücken n». Zoitschr. f. rat Med. 1865. Bd. XXIV, 
8. 228. — Derselbe, Zur Lehre von der inselförm. Hirnskisrose. Deutsches Arch. f. klin, 
Med. 1871. Bd. VIII. S. 126. — Zuckbbkandl u. Ebben, Zur Physiologie d. willkürlichen 
Bewegungen (auf GrnndL v. Untersuoh. am Lebenden). Wiener klin. Wochensehr. 1898. Nr. 1. 


[Aas der medicin. Klinik (Prof. Erb) und dem patholog. Institut (Prof. J. Abhold) 

zu Heidelberg.] 

2. Mnskelatrophie bei multipler Sklerose. 1 

Von Priv.-Doc. Dr. L. Brauer. 

Durch die grosse Reihe der Arbeiten über multiple Sklerose zieht sich wie 
ein rother Faden die Angabe, dass das klinische Bild dieser Erkrankung in den 
aller verschiedenartigsten Formen sich zeigen kann. Schon Chabcot und seine 
Mitarbeiter haben mit Nachdruck darauf hingewiesen. Mehrere der Cardinal- 
Symptome können fehlen, es können sich die einzelnen Störungen in den ver¬ 
schiedensten Spielarten und Combinationen zeigen. In den Anfangsstadien der 
Erkrankung aber fehlen einzelne Symptome, soweit man bisher das Krankheits¬ 
bild übersehen kann, fast stets; besonders sind hier Muskelatrophieen zu nennen» 
eine Thatsache, die um so auffälliger ist, als Störungen der Motilität im All¬ 
gemeinen das Krankheitsbild in allen seinen Stadien zu beherrschen pflegen. 

Im Nachfolgenden sei daher kurz über eine multiple Sderose berichtet, 
welche 28 Jahre auf der Heidelberger Klinik in Beobachtung war und gerade 
deswegen der richtigen klinischen Beurtheilung die grössten Schwierigkeiten 
entgegenstellte, weil neben dem völligen Mangel des für multiple Sklerose 
pathognostischen Symptomencomplexes eine frühzeitige und später sehr 
hochgradige Muskelatrophie an den Händen und Armen im Vordergründe 
der Erscheinungen stand. 

Bei der zuvor stets gesunden 23jährigen Katharina Frank entwickelte sich im 
Jahre 1871 unter geringfügigen Parästhesieen in 7 Wochen eine ausgesprochene 
Atrophie der kleinen Handmuskeln. Dabei bestand Schwäche der Vorder- 
und Oberarme, an denen die Muskeln normal ernährt waren. Die Erscheinungen 
waren r.~7l.; sie batten auch in den atrophirten Muskeln keine complete Paralyse 
entstehen lassen. Die Sensibilität, die Beine und Sphincteren waren völlig 


1 Nach einem Vertrage, gehalten auf der Wandervereammhmg südwestdentsoher 
Neurologen und Irrenärzte zu Baden-Baden 1898. 


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normal. Als Nebenbefund ergab sich Mitralinsufficienz nnd chronische Bronchitis. 
Die Fat. war sehr deprimirt und gab als mögliche Ursache ihrer Erkrankung 
schwere ermfldende Landarbeit an. 

Als Diagnose wurde progressive spinale Muskelatrophie angenommen 
und eine galvanische Behandlung eingeleitet, die im Verlauf von 6 Monaten von fast 
completer Wiederherstellung der Muskelfunction und Muskelernährung begleitet 
wurde. 

Nach 1 / i Jahr kam Pat. jedoch wieder zur Aufnahme; es war mit einer erneuten 
leichten Verschlimmerung an den Händen jetzt zu einer Schwäche und Steifig¬ 
keit der Beine gekommen. Auch an diesen war die Affection rechts stärker 
als links. 

Die nächsten Jahre liessen die Symptome bald schwächer, bald wieder stärker 
auftreten; es wurde allmählich immer mehr die linke Seite von den Storungen be¬ 
troffen. 

Im Jahre 1875 befanden sich bei der kräftig gebauten und gut ernährten 
Pat die Unterextremitäten in spastischer Parese mässigen Grades; sie 
zeigten keine Atrophieen und nur subjective Sensibilitätsstorungen. 

Die Bauchmuskeln und Sphincteren functionirten normal. 

Die oberen Extremitäten waren geschwächt, zu feinerer Arbeit ungeschickt 
ermüdeten leicht, zeigten Parästhesieen, schwach entwickelte Sehnenreflexe und jetzt 
keine Atrophie, und zwar auch nicht an den kleinen Handmuskeln; diese waren 
zwar nicht sehr mächtig, aber nicht atrophisch. Coordinationsstörungen und 
elektrische Veränderungen fehlten. Die Gehirnnerven functionirten alle ganz 
normal. 

Die Pat. klagte nur Ober Schwindelgefühl. Sie kam 1876 ungeheilt zur Ent¬ 
lassung. Eine sichere Diagnose wurde nicht gestellt; man dachte an die inzwischen 
von Chabcot genauer beschriebene amyotrophische Lateralsklerose, auch an 
chronische Myelitis. 

Im April 1882 trat die Pat. dann von neuem in die Klinik und verblieb jetzt 
dort bis zu ihrem 1894 erfolgten Tode. Es war ihr allmählich unmöglich geworden 
zu gehen, dann auch zu stehen, der linke Arm war fast ganz gebrauchsunfähig, sie 
hatte aller Art Parästhesieen, leichte Sehschwäche, mässige Blasenstörungen und 
auch zunehmende Herzbeschwerden. In den Beinen war es bei relativ gut erhaltenem 
Muskelvolumen zu fast completer Parese gekommen, die ihren spastischen Charakter 
aber auch jetzt noch erkennen liess. Die oberen Extremitäten waren wieder sehr 
geschwächt, zeigten sehr ausgeprägte Atrophie in den kleinen Handmuskeln und 
zwar jetzt links > rechts. 

Die Erkrankung zeigte sich auch in der klinischen Behandlung progressiv. Pat. 
bekam weitere Abnahme des Sehvermögens, leichte Gesichtsfeldeinengung und überaus 
heftige Parästhesieen in Gestalt von Brennen. Psychische Erregung liess die 
Gesichtsmuskulatur in heftige Zuckungen gerathen; im übrigen fehlen subjective oder 
objective Störungen an den Gehirnnerven. 

An den oberen Extremitäten, die hier besonders interessiren, bestanden in den 
letzten Jahren gelegentlich Zuckungen, leichte Hypalgesie, wechselnde, sehr heftige 
Parästhesieen, An umschriebener Partie des rechten Vorderarmes wurde 
mehrfach stärkeres Schwitzen beobachtet. 

Die Schulter und Oberarmmuskeln waren mässig geschwächt, zeigten zum Theil 
geringe Spannungen, aber keine Atrophie; diese trat schon deutlicher an den Vorder¬ 
armen zu Tage und war am stärksten ausgeprägt in den kleinen Handmuskeln. 
Dieselben waren schlaff, stark atrophirt, aber nicht völlig geschwunden, 
daher z. B. auch Fingerspreitzen, sowie Opposition des Daumens auf der rechten 
Seite noch mit geringer Kraft möglich. Der Schluss der rechten Hand zur Faust 
geschah in leicht tonischer Weise. Links war es zu weit stärkerem Muskelschwunde 


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gekommen; es bestand ausgesprochene Krallenhand, die nicht willkürlich, sondern 
nur passiv zu lösen war. 

Die Sehnenreflexe an den oberen Extremitäten, die vor Jahren stark herab¬ 
gesetzt waren, erschienen jetzt rechts normal, links sogar gesteigert 

Die Muskelerregbarkeit war herabgesetzt, es bestanden zeitweise fibrilläre 
Zuckungen, keine gröberen Sensibilitätsstörungen. 

Auch an den Unterschenkeln trat allmählich bei harter Consistenz der Muskelu 
eine mässige Atrophie zu Tage. 

Dieses Bild wurde vorübergehend noch einmal durch die Erscheinungen einer 
flüchtigen Bulbärparalyse unterbrochen. 

Es hatte sich 1890 nach einer Influenzainfection eine Schlucklähmung und 
leichte Facialisparese herausgebildet, doch ging dieselbe unter Strychnininjectionen 
bald wieder zurück. 

Zunehmende Herzschwäche brachte den Tod. 

Die Diagnose war bis zum Schlüsse offen geblieben; man hatte zuletzt speciell 
auch wegen der überaus heftigen Parästbesieen an Syringomyelie gedacht und 
daneben an eine complicirende Hysterie. 

Die Section ergab den überraschenden Befund einer multiplen Sklerose 
des Qehirns und des Bückenmarks. Die Vorderhörner erschienen in der 
Cervicalanschwellung geschrumpft, die graue Substanz machte im ganzen einen ver¬ 
änderten Eindruck. 

Zur mikroskopischen Untersuchung wurden mir das Centralnerven¬ 
system, mehrere Spinalganglien, zahlreiche periphere Nervenstückchen, 
sowie Muskeln, in Müller’scher Flüssigkeit conservirt, überliefert Gefärbt wurde 
nach Weigert, van Qieson und mit Hämatoxylin. In allen Abschnitten des 
Centralnervensystems fanden sich in launenhafter Verkeilung die typischen, vielfach 
beschriebenen sklerotischen Herde. Im oberen und mittleren Halsmark waren 
dieselben besonders stark auch in der grauen Substanz entwickelt. 
Bringt man die Herde aus den verschiedenen Höben zur Deckung, so erscheint un¬ 
zweifelhaft der gesammte Bückenmarksquerschnitt betroffen; dennoch findet sich 
keine Spur von secundärer Degeneration. 

Auffallenderweise traten die Sklerosen gerade in den untersten Abschnitten 
des Halsmarks, wo wir sie nach den starken Dystrophieen an den kleinen Hand¬ 
muskeln vor allem erwarten mussten, sehr zurück. Im oberen Abschnitte des 
7. Cervicalsegments ist nur noch eine geringfügige, fast symmetrische Läsion im 
Bereiche der Vorderseitenstränge zu finden. Die graue Substanz ist nur noch in 
der äusseren Partie des sich hier herausbildenden Seitenhorns mit in den Herd 
hineingezogen. Im 8. Cervicalsegment erscheint dann nur noch diese linke Seiten¬ 
hornspitze als ganz kleiner Herd erkrankt (links waren auch klinisch die stärkeren 
Erscheinungen). Das 1. Dorsalsegment ist intact. Nach abwärts findet sich noch 
im 6. Dorsalsegmente und dann im Lenden- und Sacralmark Sklerose. 

Ueber die Vorderhornzellen geben unsere chromsalzgehärteten Präparate ja 
keinen sicheren Aufschluss. Eine grosse Zahl der Zellen lässt jedenfalls nichts Ab¬ 
normes erkennen. Ferner finden sich zahlreiche Zellen, deren Kern unregelmässig 
geschrumpft und dunkler gefärbt erscheint; wir haben hier wohl den aus den Nissl’- 
sehen Bildern bekannten Zustand der Chromophilie vor uns, somit wahrscheinlich 
eine Zellveränderung durch Beagenswirkung. Daneben findet sich aber auch eine 
nicht unbeträchtliche Anzahl von Zellen in stark geschrumpftem Zustande 
mit undeutlichem oder fehlendem Kerne; diese Zellen sind mit ziemlicher 
Sicherheit als abgestorben anzusprechen. Auffallend stark ist die Pigmentanhäufung 
in den meisten Vorderhornzellen; es überschreitet dieser Befund selbst das Maass 
dessen, was man bei Greisen zu sehen bekommt. Eine Prädilection dieser an den 

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Zellen zu erhebenden Befände für die mehr oder weniger sklerotischen Partie« der 
grauen Substanz konnte ich nicht nachweisen. 

Verdickung der Gefässwände and hyaline Degeneration derselben 
findet sich vielfach, und zwar besonders, wenn auch nicht ausschliesslich in den 
sklerotischen Herden. 

Die extramedullären Wurzeln, die Cauda equina, sowie die Spinal¬ 
ganglien mH den ein- und ausstrahlenden Nervenbündeln zeigen gleich wie die 
peripheren Nerven einen geringen Faserausfall. 

In den peripheren Nerven sind zwar in Degeneration begriffene Markscheiden 
nicht nachzuweisen, vielfach aber findet man die einzelnen Fasern durch Binde- 
gewebsanhäufungen soweit auseinandergedrängt, dass man berechtigt ist, hieraus auf 
den Schwund von Nervenfasern zu schliessen. Es ist dieser Befund nicht nur 
in den Nervenstämmen der Arme zu erheben, sondern auch an den feinen Muskel¬ 
ästchen. An diesen im Weigert-Bilde sehr hübsch Und deutlich gefärbten Nerven- 
ästehen finden sich mehrfach derartige Stellen, die auf den Sohwund einzelner Nerven¬ 
fasern schliessen lassen. 

Die in ihrem Volumen stark reducirten kleinen Handmaskein boten mikro¬ 
skopisch in ausgeprägter Weise stets nur das Bild einfacher, nicht degenerativer 
Atrophie. Die Muskelfasern sind ziemlich beträchtlich verschmälert, zeigen nur 
hier und da mässige Kernvermehrang, Überall normale Querstreifung bei nur spärlicher 
Bindegewebsvermehrung. 

Es liegt auf der Hand, dass man nicht zu der Diagnose einer multiplen 
Sklerose neigen wird hei einem Krankheitsbilde, hei welchem Intentions¬ 
tremor, Nystagmus, sowie Sprachstörungen völlig fehlten und 
bei welchem die spastisohe Parese der Beine erst viel später einer 
primär beiderseits die Arme und besonders die kleinen Handmuskeln 
befallenden uncomplicirteh Muskelatrophie folgte. 

Am ehesten hätte noch der mehrfache Wechsel in der Intensität der Er¬ 
scheinungen und die sprungartige Fortentwickelung des Leidens auf die richtige 
Diagnose hinleiten können; vielleicht auch die anfängliche Depression. 

Die flüchtigen bulbären Symptome passten natürlich ebensowohl in den 
Rahm en anderer Diagnosen. Ein Gleiches gilt von den quälenden Parästhesieen; 
hier hätte vielleicht nur der Contrast zu den auffällig geringen objectiven Gefühls¬ 
störungen auf die Diagnose hinweisen können. 

TJeberblicken wir die Litteratur, so zeigt sich, dass unserem Krankheits¬ 
bilde nicht das Auftreten von Muskelatrophieen an sich den Stempel der Eigen¬ 
artigkeit aufdrüokt Muskelatrophieen bei multipler Sklerose sind ein nicht allzu 
seltener Nebenbefund. Sie treffen, wenn vorhanden, zumeist auch die kleinen 
Handmuskeln oder das Peroneusgebiet. Schon Charcot 1 erwähnt derartige Fälle, 
die in der Localisation und der Art des Auftretens der Muskelatrophie durchaus 
der progressiven Muskelatrophie analog waren. Er fügt dem aber hinzu, und 
lässt dieses auch in einer die Fälle genau beschreibenden Dissertation 2 sagen, 
dass diese Atrophieen, die erst später sich dem Krankheitsbilde untermischten, 
doch an begleitenden klinischen Symptomen als zur multiplen Sklerose gehörig 


1 Le 9 ons snr les maladies da syst&ne nerveax. 8.168. 

* Timal, ßtude sar quelques complications de la scldrose en plaques dissdminde. 
Thöse de Paris. 1873. 


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zu erkennen waren. Weiterhin werden Muskelatrophieen erwähnt in den von 
Jolly 1 , Ebstein s , Lbubb 9 , Schübe 4 , Buohwald*, Otto 6 , Engesseb 7 , Dbje- 
bdtb 8 und endlioh v. Pitbes 9 beschriebenen Fällen. Der Fall y. Pit&bs ist 
von allen diesen insofern noch der prägnanteste, als hier die Muskelatrophieen 
relativ stark hervortraten. Aber auch hier setzten dieselben erst im zweiten 
Erankheitsjahre ein und waren von deutlichen Sklerosesymptomen begleitet. 

ln dem uns vorliegenden Falle copirte die multiple Sklerose im Beginne 
völlig die progressive Muskelatrophie und später in hohem Maasse die sog. 
amyotrophische Lateralsklerose. Erst im weiteren Verlaufe traten einzelne 
Momente hinzu, die eventuell auf die richtige Diagnose hätten hinweisen können. 
Auf diesen Beginn mit uncomplicirter Muskelatrophie möchte ich 
daher in dem beschriebenen Falle den Nachdruck legen, viel 
weniger auf den späteren starken Ausbau dieses die Scene er¬ 
öffnenden Symptomes. 

Die gefundenen degenerativen Veränderungen im Nervensystem stimmen 
recht gut zu den intra vitam beobachteten Functionsstörungen. Zwar sind es 
nicht die gröberen sklerosirten Herde, welche für die vorhandenen Atrophieen 
verantwortlich zu machen sind. Es erschienen vielmehr diejenigen Rückenmarks- 
querschnitte, in welchen die trophischen Centren für die kleinen Handmuskeln 
zu suchen sind, relativ gut erhalten, sie zeigen aber doch neben Zoll Verände¬ 
rungen kleinere Herde. Es mag die räumliche Beschränktheit dieser Verände¬ 
rungen, auf welche wohl die anfänglichen Störungen zurückzuführen sind, die 
Ursache dafür gewesen sein, dass nicht gleich von Beginn spastische Parese an 
den Unterextremitäten auftrat 

Der Umstand, dass sich neben abgestorbenen Zellen eine grosse Zahl sehr 
wahrscheinlich gesunder Zellen fand, mag die Erklärung dafür abgeben, dass 
an den peripheren Nerven nur so relativ geringe Veränderungen sich zeigten, 
dass auch die stärker atrophirten Muskeln nicht völlig degenerirten und fast 
alle noch einer gewissen Willkürbewegung fähig waren. 

Periphere Nerven sind bei der multiplen Sklerose bisher noch nicht, oft 
untersucht worden, und wenn untersucht, dann intact gefunden, z. B. von 
Babtsoh. 10 In diesem Falle hatten aber auch keine Muskelatrophieen bestanden. 

Wenn in unserem Falle frischere oder überhaupt sichere, einen Nerven¬ 
zerfall beweisende Befunde nicht zu erheben waren, so darf dieses nicht Wunder 


1 Arch. f. Psych. Bd. III. S. 711. 

* Deutsches Arch. f. klin. Med. 1872. Bd. IX. S. 528 und Bd. X. S. 595. 

* Ebenda. 1870. Bd. VIII. S. 1. 

4 Ebenda. 1870. Bd. VII u. VIII. 

6 Ebenda. Bd. X. S. 478. 

* Ebenda. Bd. X. S. 581. 

» Ebenda. Bd. XVU. S. 556. 

* Revue de med. 1884. S. 193. 

* Revne mensnelle. 1877. Nr. 12. 

10 Ueber einen Fall von herdweiser Sklerose des Centralnervensysteins. Dissertation. 
1891. Heidelberg. 

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nehmen. Es sind längst abgelaufene, vielleicht 23 Jahre alte Veränderungen, 
die sich unserer Untersuchung darbieten; da ist längst alles Zerfallsmaterial 
geschwunden und nur noch geringe secundäre, vielleicht schon stark wieder 
zurückgebildete Stützgewebsveränderungen oder unscheinbare Lücken verrathen, 
dass dereinst sich dort ein krankhafter Propess abspielte. Dass sich im peri¬ 
pheren Nerven nicht etwa Processe abspielen können, die der inselförmigen 
Sklerosirung des Gentrainervensystems parallel zu setzen wären, ist bei dem 
Mangel einer Glia an sich schon sehr wahrscheinlich (Redlich). 

Es möge der Hinweis die Mittheilung beschlossen, dass in dem besprochenen 
Falle, der so vielerlei Abweichendes und Irreguläres darbot, sich endlich auch 
noch eine umschriebene Aenderung in der Schweisssecretion fand; es 
ist dieses Vorkommniss bei der in Rede stehenden Erkrankung bisher noch 
nicht beschrieben worden. 


3. Zur Färbung der Ganglienzellen. 1 

Von Dr. Friedrioh Luithleu in Wien 
and 

Dr. Josef Borgo, 

Hospitant an der HI. medicinischen Klinik in Wien. 

Nisbl’s Ganglienzellenfärbung hat leider Härtungsmethoden zur Voraus¬ 
setzung, welche für andere ebenso wichtige Untersuchungsmethoden des Central¬ 
nervensystems nicht angewendet werden dürfen. Nach Alkoholhärtung geht 
die Structur des Markes so vollständig verloren, dass weder eine Markscheiden¬ 
färbung, noch eine gute Bindegewebsfarbung mehr möglich ist. Bei Härtung 
in Formol kann eine länger dauernde Chromirung der Schnitte bei Brutofen¬ 
temperatur zwar die Markscheiden färbbar machen, aber die Nachtheile der 
Förmolhärtung hinsichtlich der MABcm’schen Degenerationsfärbung, welche an 
so behandelten Präparaten viel schwerer und meist gar nicht gelingt, hebt den 
weiteren Vortheil derselben wieder auf, dass sie die Anwendung von Nissl’s 
Zellfarbung gestattet. Auch Mülleb -Formolhärtung, welche sehr schön die 
Granulationen darstellen lässt, ist für die MABom’sche Methode kein ganz ge¬ 
eignetes Härtungsmitte]. 

Es ist ferner wohl kaum nöthig hervorzuheben, dass man durch Einlegen 
verschiedener Theile des Nervensystems in verschiedene Härtungsflüssigkeiten 
oft nur unvollkommen zum Ziele gelangt, besonders bei local beschränkten 
pathologischen Processen. Am fühlbarsten macht sich dieser Uebelstand bei der 
Medulla oblongata geltend. 

Der Vortheil der nachfolgenden Methode liegt darin, dass ihre Anwendbar¬ 
keit ziemlich unabhängig von der Härtungsmethode ist; vornehmlich darin, dass 


1 Von Dr. J. Sokgo am 20. April 1898 im Wiener medicinischen Klub demonstrirt. 


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sie auch an in MüLLEB’scher Flüssigkeit oder in Chromsaure gehärteten 
Präparaten die Darstellung der Nissl’ sehen Ganglienzellengranulationen ge¬ 
stattet 

Die angewendete Farhflüssigkeit ist Unna’s polychromes Methylenblau, von 
Unna in die dermatologisch-histologische Technik eingeführt und daselbst aus¬ 
gedehnte Anwendung findend. 

Dem Versuche, auf die verschiedenen von Unna mittelst dieses Farbstoffes 
nachgewiesenen bindegewebigen und protoplasmatischen Substanzen hin das 
Centralnervensystem zu prüfen, verdanken wir die Entdeckung, dass dieser 
Farbstoff bei Anwendung gewisser Differenzirungsmethoden die Eigenschaft hat, 
die chromatische Substanz des Ganglienzellenleibes zu tingiren, und zwar auch 
dann, wenn die härtende Flüssigkeit so beschaffen war, dass andere der bisher 
gefundenen Methoden (mit Fuchsin, Nibsl’s Methylenblau oder Thionin) zu 
keinem Ziele führten. Wir konnten an in MüLLEB’scher Flüssigkeit erhärteten 
Präparaten ebenso schöne Ganglienzellenbilder erhalten wie an Alkoholpräparaten 
mittelst derselben oder einer der andereu Methoden. 

Von den verschiedenen von Unna zumeist angegebenen Differenzirungs¬ 
methoden haben wir die Differenzirung mit Unna’s Glycerinäthennischung und 
die Weiterdifferenzirung mit absolutem Alkohol als die geeignetste befunden. 

Das Verfahren gestaltet sich folgendermaassen: 

1. Härtung der Präparate in Alkohol oder MüLLBB’scher Flüssigkeit oder 
Formol oder MüLLEB-Formol. 

Es ist selbstverständlich, dass behufs rascher Fixirung entsprechende Ver¬ 
kleinerung des Präparates ein schnelles Eindringen der Härtungsflüssigkeit er¬ 
möglichen muss. 

Bezüglich der Härtung in MüLLEB’scher Flüssigkeit sei nach unseren bis¬ 
herigen Erfahrungen noch hervoigehohen, dass die Dauer dieser Härtung 6 bis 
8 Wochen betragen darf, dass aber eine übermässige Chromirung der Stücke, 
bei welcher sie sehr dunkel werden und auch nach gründlichem Auswässern 
noch dunkel bleiben, für das Gelingen der Färbung entscheidend ist. Es genügt 
dieser Zeitraum auch vollkommen zur entsprechenden Fixirung der myelinigen 
Bestandteile des Nervensystems, besonders bei kleineren Stücken. Jedenfalls 
muss vor der Weiterhärtung in Alkohol eine gründliche Auswässerung der Stücke 
erfolgen, am besten durch 24 Stunden in fliessendem Wasser, welches die Chrom¬ 
säure und ihre Salze viel besser löst als Alkohol. 

2. Einbettung in Celloidin oder Paraffin. Erstere Einbettungsmethode wird 
der Markscheidenfärbung wegen an MüLLEB-Präparaten vorzuziehen sein. Mög¬ 
lichst dünne Schnitte. 

3. Die Schnitte kommen aus Wasser in die Farblösung (polychromes 
Methylenblau, Dr. Gbübleb in Leipzig) und verbleiben darin entweder 24 Stunden 
bei Zimmertemperatur oder werden bis zur Entwickelung von Dämpfen über 
dem Wasserbade erwärmt. 

4. Abspülen der Schnitte in destillirtem Wasser. Zur entsprechenden 
Fixirung des Farbstoffes und zur Erhöhung der Haltbarkeit der Präparate em- 

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pfiehlt es sieh, die Schnitte durch 24 Stunden in dem einige Male gewechselten 
destilhrten Wasser za belassen. 

5. Die Dififerenzirnng wird am besten am Objectträger vorgenommen. 

Die dorthin übertragenen Schnitte werden abgetrocknet und mit Unna’s 

Glycerinäthermischung (Dr. Grübler in Leipzig) übergossen, welche man bis 
zum Eintritte einer deutlichen makroskopischen Differenzirung der grauen und 
weissen Substanz einwirken lässt (je nach der Dicke der Sohnitte 8—15— 
25 Secunden). Der Ueberschuss wird abgegossen und der Schnitt mit Filtrir- 
papier oder besser mit einem glatten Tuohe abgetrocknet 

6. Mehrmaliges TJebergiessen mit absolutem Alkohol zur Entfernung des 
Glycerinäthers und zur endgültigen Differenzirung. Abtrocknen. 

7. Aufhellen in Ol. origani, wobei durch mehrmaliges TJebergiessen mit 
demselben und Hin- und Herschwanken des Objectträgers für gründliche Ent¬ 
fernung des Alkohols gesorgt werden muss, was für die Dauerhaftigkeit der 
Präparate von grosser Bedeutung ist Aus demselben Grunde darf bereits ge¬ 
brauchtes Oel nicht mehr verwendet werden. 

Die Granula der Ganglienzellen und der Eemkörperohen derselben, sowie 
die Gliakerne erhalten an Schnitten von Alkohol- oder Formolpräparaten einen 
violetten, an gechromten Schnitten einen mehr in’s Blaue gehenden Farbenton. 
Das Kernkörperchen daneben häufig noch eine rothe Farbennüance. 

Bindegewebe und Axencylinder färben sich blau, erfahren aber an Alkohol¬ 
präparaten meist eine fast vollständige Entfärbung. 

Nicht selten, aber inconstant, werden an Mülleb- oder Formol-MüLLEB- 
Präparaten auch die Markscheiden roth-violett mit Vorherrschen bald der einen, 
bald der anderen Farbe gefärbt. Diese Markscheidenfärbung lässt sich sicher 
und viel intensiver, aber auf Kosten der Ganglienzellenfärbung erzielen, wenn 
man die gefärbten und noch nicht difierenzirten Schnitte auf kurze Zeit (mehrere 
Secunden) in eine schwache */ a —1 °/ 0 Lösung eines Metallsalzes, Sublimat oder 
Platinchlorid, überträgt. Doch gelingt die Färbung des feinen Markfasernetzes 
in der grauen Substanz nie so schön wie an Weigert- oder Weigebt-Pal- 
Präparaten. 

Betreffs der Haltbarkeit der Präparate möchten wir noch erwähnen, dass 
diejenigen unserer Präparate, welche unter Beobachtung aller oben für die Er¬ 
zielung entsprechender Dauerhaftigkeit angegebenen Cautelen angefertigt wurden 
(Auswässern der gefärbten Schnitte durch 24 Stunden in Aqua destill., Ver¬ 
wendung von immer frischem, alkoholfreiem Origanumöl, gründliche Entfernung 
des Glycerinäthers und des Alkohols durch energisches Auswaschen mit Alkohol 
bezw. Ol. origani), nach mehr als s / 4 Jahren sich unverändert schön erhalten 
haben. 


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4. Zur Härtung des Centralnervensystems in situ. 

Von Dr. Hermann Pfister, 

Assistenzarzt der psychiatrischen Klinik in Freibarg i./B. 

Soeben kommt mir im neuesten Hefte des Deutschen Archiv für klinische 
Medicin 1 ein Aufsatz von Sainton und Kattwinkel zur Hand, in dem die 
Verfasser nach Prüfung einer Methode Pierre Martha ihr Verfahren zur 
Formolisirung des Centralnervensystems in situ angeben. Während P. Marie 
am inneren Augenwinkel inddirt und von dort aus, der Medianwand der Augen¬ 
höhle entlang, durch die Fiss. sphenoidalis neben dem Türkensattel den Troikart 
einstösst, zogen es die Verfasser wegen der bei diesem Verfahren oft eintretenden, 
entstellenden Anschwellung in der Gegend der Augenlider vor, durch die Nase, 
Lamina cribrosa, neben Crista galli einzustossen und einzufüllen, wodurch auch 
die Basis der Frontallappen und die Temporalpole besser angehärtet werden seilen. 

Ich selbst habe, ohne Kenntniss des P. MABiE’schen Verfahrens seit 1896 
mich wiederholt mit Versuchen zur vorbereitenden Härtung des Centralnerven¬ 
systems in situ abgegeben, bin aber aus äusseren Gründen zu einer Controle 
meiner verschiedenen Methodeu an grösserep Material noch pcht gelangt An¬ 
lässlich der Veröffentlichung von Sainton und Kattwinkec möchte ich Aber 
doch einige Notizen darüber mittheilen. 

Was die Lumbalinfusion (Irrigator oder grosse Druckspritze) anbelangt, so 
kann man mit derselben, nach üblichem Einstich des Troikarts zwischen 3. und 
4. Lendenwirbel, nach meiner Erfahrung mehr erreichen, als dies die citirten 
Verfasser annehmen, wenn man die Leiche mit erhöhtem Becken, tiefem Ober¬ 
körper und Kopf lagert. Bei einer kindlichen Leiche gelang es mir, das ganze 
Rückenmark, Oblongata, Pons und Kleinhirn sehr gut anzuhärten. Das Gehirn 
zeigte nur Spuren von Formolwirkung, wahrscheinlich, weil ich damals zu wenig 
(110—140 ccm) Flüssigkeit verwendet hatte. Reflectirt man bloss auf das 
Rückenmark, so ist die lumbale Methode weitaus ausreichend und lässt sich 
auch vor allem in viel kürzerer Zeit ausführen, als die Anhärtung des Rücken¬ 
marks vom Cranium aus. 

Bezüglich der Gehirnhärtung in situ versuchte ich ein ähnliches Verfahren 
wie P. Marie, aber ich führte den „dünnen“ Troikart in der Mitte des unteren 
Orbitalrandes unter leichtem Empordrängen des Bulbus in der Richtung des 
Canalis infraorbitahs nach hinten (Rückenlage der Leiche), wobei man leicht 
durch die Fiss. orbitalis superior in den Arachnoidalraum in der Gegend der 
Temporalpole eindringen kann. Vielleicht ist es dieser Abänderung des Weges 
zuzuschreiben, dass ich nie wie Sainton und Kattwinkel Oedem der Lider u.s. w 
beobachtete. Besonders leicht gelingt die Methode bei Hydroceph. externus. 
Bei Hydroceph. internus gelang es mir ausserdem durch einen kleinen Haut¬ 
schnitt beiderseits der Sagittalnaht, die Scheitelbeine, ca. 1—2 cm hinter Coronar- 


1 Bd. LX. H. 4 a. 5. S. 548. 

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41* 

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naht anbohrend, die Canüle senkrecht bis in die erweiterten Seitenventrikel ein- 
zuführen, und — nach Aspiration des Ventrikelinhaltes — durch Infusion der 
Härtungsflüssigkeit Hemisphäre und Centralganglien von innen anzuhärten. 

Einstichversuche unter dem Subocciput zwischen Atlas und Foramen 
magnum (Planum nuchae ossis occip.) bei stark an die Brust gebeugtem Kopfe 
(Bauchlage der Leiche), wobei die Canüle 5—7 cm tief einzuführen ist, hatten 
in einem Probeversuche leidliches Besultat bezüglich der Anhärtung von Hirn 
und Rückenmark. Zur weiteren Nachprüfung fehlte es mir bisher an Material. 
Es ist klar, dass man je nach Eigenart der Fälle und nach Absicht mit be¬ 
liebigen Combinationen der einzelnen cerebralen und spinalen Methoden noch 
bessere Resultate erzielen wird. Im Allgemeinen ist es nach meiner Erfahrung 
aber gut, eine Gegenöflhung für den Abfluss (im Rückgratscanal oder Schädel) 
anzulegen und äusserst langsam einfliessen zu lassen, damit Compressionen 
möglichst vermieden werden. Wie Saxnton und Kattwinkel benutze ich 
4 °/ 0 Formol oder 96 °/ 0 Alkohol = 90 Theile zu 10 Theilen Formol, da dann die 
Durchdringung rascher erfolgt. Auf die Vortheile der Härtung in situ bezüglich 
späterer mikroskopischer Untersuchung haben die genannten Verfasser schon 
hingewiesen. Die Grösse dieses Vortheils kann besonders ermessen, wer auf 
Krankenhausmaterial angewiesen ist, wo wegen ungünstiger äusserer Verhältnisse 
oder spätem Eintreffen der Einwilligung der Angehörigen auf die Section oft 
ein oder mehrere Tage gewartet werden muss. 


II. Referate. 


Anatomie. 

1) De leer der neuronen toegepast op de anatomie der zintuigen, door 
Dr. G. Jelgersma. (Psychiatr. en neurol. Bladen. 1897. Mai. Nr. 2.) 

Der anatomische Bau aller sensiblen und sensoriellen Organe ist nach dem 
Verf. in ihrem ganzen Verlaufe von der Peripherie bis zum Gentrum im Princip 
ganz derselbe und speciell das Auge macht keine Ausnahme von den allgemeinen 
Principien, die ffir das Zustandekommen jeder Wahrnehmung gelten. Die Unter¬ 
schiede, die zwischen den verschiedenen Sinnesorganen bestehen, sind nur von secun- 
därer Art und durch Nebenumstände verursacht worden. Alle Sinnesorgane sind 
nach einem festen Plan gebaut, nach den Einzelheiten aber lassen sich 4 Gruppen 
unterscheiden, die in einander übergehen: 

1. Beim Geruchsorgan liegt allein das Neuroepithel an der Oberfläche, die 
Endfasern desselben befinden sich bereits innerhalb des centralen Nervenapparats. 

2. Bei der allgemeinen Körpersensibilität in ihren verschiedenen Qualitäten, 
beim Muskelgefühl und beim Geschmack liegt die Neuroepithelzelle an der Peripherie, 
ganz ausserhalb des centralen Nervensystems, und die Verzweigungen des ersten 
Neurons sind mit an die Peripherie gekommen, ausserhalb des centralen Nerven¬ 
systems. 

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3. Das (Jehörorgan unterscheidet sich im Princip wenig yon den vorhergehenden 
Sinnesorganen, das erste Neuron ist aber viel mehr an die Peripherie gekommen und 
dadurch bildet es einen Uebergang zu dem Auge. 

4. Bei dem Auge kommen die Neuroepithelzelle, das ganze erste Neuron und 
ausserdem fast das ganze zweite Neuron an die Peripherie zu liegen. Es treten in 
dieser angegebenen Beihenfolge immer grössere Theile des Nervenapparats nach 
aussen und kommen an die Peripherie zu liegen. 

Auf Grund dieser Auffassung kommt man für die Anatomie auf einen Stand* 
punkt, den die Physiologie schon lange eingenommen hat, dass jede Entwickelung 
von Sinnesorganen eine Differentiation aus einem allgemeinen Geffige ist, das unserer 
allgemeinen Körpersensibilität am nächsten kommt. Die Differentiation aus diesem 
allgemeinen Geffige und die Entwickelung jedes speciellen Sinnesorgans geschieht 
nach der Verschiedenheit der äusseren Lebensumstände und nach dem Theile des 
Körpers, der mit der Aussenwelt in Berührung kommt, gleichgültig ob dieser die 
äussere Körperoberfläche, das Ektoderm, ist, oder auch die Höhle eines eingestfilpten 
Organs. Ueberall, wo der Körper mit der Aussenwelt in Berührung kommt, ist die 
Gelegenheit zur Entwickelung von Sinnesorganzellen gegeben und gleichzeitig zur 
Entwickelung des damit verbundenen und davon abhängigen Nervenapparats. 

Walter Berger (Leipzig). 


2) Indgalite de poids des hemisphöres oördbraux, par Bourneville. (Pro* 
grös mddical. 1898. S. 248.) 

Als Beitrag zum ungleichen Gewichte beider Grosshirnhemisphären veröffentlicht 
Verf. aus seinen in Bicötre geführten Aufzeichnungen einige, welche die grössten 
Differenzen ergaben. 

Den grössten Unterschied von 320 g (rechts 240, links 560) zeigten die Hemi¬ 
sphären eines 15jährigen Pseudoporencephalen, der an linksseitiger Hemiplegie und 
an epileptischen Anfällen litt. 

280 g Unterschied (rechts 465, links 185) fand man bei einem 21jährigen 
Imbecillen, der an Epilepsie und rechtsseitiger Hemiplegie litt 

Die Grosshirnhemisphären eines 11 Jahre alten Alkoholisten, der an links¬ 
seitiger Hemiplegie und epileptischen Insulten erkrankt war und Pachymeningitis 
nebst Meningoencephalitis bei der Autopsie erkennen liess, zeigten eine Gewichts¬ 
differenz von 260 g (rechts 310, links 570). Denselben Unterschied (rechts 460, 
links 200) fand man bei einem 4 7tjährigen Idioten mit Sklerosen in der linken 
Grosshirnhemisphäre. 

Bei einem 13jährigen Imbecillen mit rechtsseitiger Hemiplegie flberwog die 
rechte Hemisphäre (665), die linke (455) um 210 g. 

Ein 10jähriger Idiot zeigte einen Unterschied von 222 g (rechts 477, links 255). 

Sämmüiche Gehirne stammen natürlich von Imbecillen oder Idioten; fast alle • 
litten an epileptischen Krämpfen und zeigten post mortem Sklerose, Atrophieen und 
chronische Veränderungen an den nervösen Häuten oder in der Substanz der Hemi¬ 
sphären selber. 

Stets entsprach das Mindergewicht einer Hemisphäre der gekreuzten Körper¬ 
seite, welche die Hemiplegie zeigte; den gesunden Extremitäten einer Seite stand 
das stets grössere Gewicht der zugehörigen Hemisphäre zur Seite. 

Adolf Passow (Strassburg i./E.). 


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Experimentelle Physiologie. 

3) lieber den oortioalen Urspning der durch Absynth hervorgerufbnen 
öpilöptiachen Abfälle bei Httaden, von Dr. V. Ossip o w. (Obosrjenije 
PBichiatrii. 1897. Nr. 12. [Russisch.]) 

Da die Untersuchungen Magnau’s Ober den Ursprung der epileptischen An* 
fälle den derzeitigen Anschauungen hierüber nicht entsprechen, so unternahm es der 
Verf. dieselben an Hunden, denen Absynthessenz (essence d’absinthe cultivde) ins 
Blut eihgeföhrt Wurde, zu prflfen. Die Yersuche betrafen: 

' 1. Unterschüeidurig der beiderseitigen motorischen Riudenregionen während des 
epileptischen Abfalls, wodurch der Anfall immer unterbrochen wurde, wenn nur die 
Unterschneidung eine vollständige war; wurde danach eine neue Portion Absynth¬ 
essenz eingefflhrt, so traten nunmehr nur tonische Krämpfe auf. 

2. Unvollständige Entfernung der motorischen Gebiete, wobei die Krampfanfälle 
nicht aufhörten. 

3. Vollständige Exstirpation der beiderseitigen motorischen Rindengebiete vor 
Absynthinjection. Durch nachfolgende Injectionen wurden nur tonische Krämpfe 
hervorgerufen, während partielle Exstirpation des motorischen Gebiets bei nach¬ 
folgender Absynthinjection sowohl clonische, als auch tonische Krämpfe auftreten lies. 

4. Absynthinjection nach voraufgegangener beiderseitiger Exstirpation des 
Temporalrindengebiets und des grössten Theiles des Occipitalrindengebiets, bewirkte 
Status epilepticus, wobei die Krämpfe sich durchaus nicht von denen unversehrter 
Rinde unterschieden. 

Die Versuche fahren den Verf. zu folgenden Schlossen: 

1; Es ist unzweifelhaft, dass die clonischen Krämpfe während des Anfalls bei 
Absynthepilepsie von der motorischen Rindenregion abhängen, während 

2. die tonischen Krämpfe nicht von der Rinde, sondern von tieferliegenden Hirn¬ 
zentren abhängen, wobei die. Rinde, wenn Oberhaupt, nur eine sehr nebensächliche 
Rolle in iiirer Entwickelung spielt. F. Holzinger (St. Petersburg). 


4) A further experimental oontribution to the knowledge of the meoha- 
Aism of deglutition , by S. J. Meitzer. (Journal of experimental Medicine. 
Vol. II. Nr. 5. S. 463.) 

Verf. hat die bereits früher gemeinsam mit Kronecker unternommenen Studien 
Ober den Mechanismus des „Schluckacts“ wieder aufgenommen utid gegenüber den 
abweichenden Angaben von Quincke, Ewald u. A. folgendes festgestellt: 

Schluckt ein Thier oder ein Mensch Flüssigkeit oder Luft, so dringt diese mit 
grosser Geschwindigkeit in den Oesophagus vor, in dessen mittlerem Theile jedoch 
eine vorübergehende, oft nach Secunden zählende Stagnation eintritt. Erst wenn die 
allmähliche nachfolgende peristaltische Welle den Punkt erreicht bat, wo der Bissen 
oder die Luftblase stagnirt, wird dieselbe durch den tonisch contrahirten unteren 
Theil des Oesophagus hindurch in den Magen befördert. 

W. Cohnstein (Berlin). 


5) Ueber Reisverauohe mitInductionsströmen am Thiermagen, von Meitzer. 

(Archiv f. Verdauungskrankh. 1898. S. 128.) 

Verf. polemisirt gegen M. Einhorn und bestätigt durch neue Experimente 
eine bereits früher aufgestellte Behauptung, dass eine wirksame Reizung der Magen¬ 
wand durch Inductionsströme nach dem in der Therapie Oblichen Verfahren nicht 
möglich sei. Wenn man nämlich eine Elektrode auf die Mucosa bringt und die 
zweite auf die Serosa oder gar auf die Bauchdecken legt, so ist es selbst durch 


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recht stark« Ströme kfum möglich eine irgendwie erhebliche Oontractien der Magen* 
muscularis zu erzielen. — Aber selbst wenn es gelang, eine schwache Oontraction 
hervorzurufen, so blieb diese stets nnr auf die Pylorusgegend beschränkt; die Cardia- 
gegend und der grösste Theil des Fundns verhielten sich selbst stärksten Strömen 
gegenüber refractär. — Die therapeutische Nutzanwendung dieser Versuche liegt 
auf der Hand. W. Cohnstein (Berlin). 


6) Beoherohes experimentales sur les mouvements de la oellule nerveuse 
de la moölle öpiniöre, par B. Odise. (Bevue mddicale de la suisse romande. 
1898. Nr. 2u. 3.) 

In den Jahren 1894 and 1895 wurde von den beiden Forschern LÖpine und 
Duval, unabhängig von einander, die Hypothese aufgestellt, dass der natürliche Schlaf 
eine Folge der Betraction der Protoplasmafortsätze der Ganglienzellen der Hinrinde 
sei; das Erwachen erfolge in dem Momente, wo durch Wiederherstellung der ur¬ 
sprünglichen Länge die Verbindung der Zellen untereinander von Neuem vorhanden 
sei. Dass die nervösen Zellen wirklich Bewegungen unterworfen sind, wurde schon 
früher von Wiedersheim beobachtet. Zweck der Untersuchungen des Verf.’s war 
nun, experimentell die kleinsten Veränderungen festzustellen, die die künstlich er¬ 
zeugte Buhe und Erregung in den motorischen Ganglienzellen des Bückenmarks 
hervorruft. Als Versuchstiere dienten Meerschweinchen, Kaninchen und Hunde. 
Der Schlaf wurde erzeugt durch Chloroform, Morphium und Cocain, die Erregung 
durch direct auf das Bückenmark applicirte constante und faradische Ströme ver¬ 
schiedener Intensität. Die Hauptschlösse, die Vetf. aus einer grossen Beihe von 
Versuchen zieht, sind folgende: 

1. Die motorische Bückenmarksganglienzelle ist bewegungsfähig; der Zustand 
der Buhe unterscheidet sich von dem der Erregung durch die Form, das Volumen 
und die feinere Structur der Zelle. 

2. Die Bewegung äussert sich zunächst in den Protoplasmafbrtsätzen. Diese, 
im Zustande der Buhe vollständig erschlafft, führen im Zustande normaler Thätigkeit 
eine Bewegung in cellulipetaler Bichtung aus. Die künstliche Erregung vermehrt 
diese Wirkung noch proportional ihrer Stärke und Dauer. 

S. Der Zellkörper ist widerstandsfähiger als die Protoplasmafortsätze; doch 
bringt eine länger dauernde Erregung auch hier eine Zusammenziehung hervor. 

4. Noch widerstandsfähiger ist der Zellkern. Höhere Grade der Erregung er¬ 
zeugen zunächst eine Vergrösserung, die noch nachzuweisen ist, wenn der Zellkörper 
sich schon Contrahirt hat, endlich beginnt auch er, sich zusammenzuziehen. 

5. Die Granula (la chromatine) zeigen im Zustande der Buhe übereinstimmende 
Form und sind regelmässig vertheilt, während sie sich in der Erregung regellos an- 
sammeln. 

6. Ihr Färbungsvermögen nimmt unter dem Einfluss kurzer und starker Er¬ 
regung zu, um bei längerer Einwirkung es rasch wieder zu verlieren. 

7. Am empfindlichsten reagiren die Chromatinpunkte des Zellkerns auf die Er¬ 
regung. Ihre Zahl nimmt ab proportional der Zellthätigkeih 

H. Wille (St. Pirminsberg). 


Pathologische Anatomie. 

7) Examen des oellules nervenses mödollatres dann 1« titanoe experi¬ 
mental, par Jules Courmont, Doyon et Ptriot. (Comptes rendus de la 
sociöte de biologie. 1898. 28. Mai.) 

Die Verff. haben die Angaben Marinesco’s naehgeprüft, welcher bekanntlich 
während des experimentell erzeugten Tetanus gewisse, mit der Nissl’schen Methode 


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nachweisbare Veränderungen in den Rückenmarksganglienzellep nachgewiesen haben 
wollte, welche er f&r pathognomisch hielt und als Ursache der tetanischen Krämpfe 
bezeichnete. — Die Verff. können seine Angaben nicht bestätigen, denn sie vermissen 
einerseits in zahlreichen Fällen von ausgesprochenem Tetanus die betreffenden Ver¬ 
änderungen in den Ganglienzellen und fanden andererseits derartige Veränderungen 
bei einer Reihe von Thieren, deren tetanische Erscheinungen bereits seit langer Zeit 
schon wieder abgeklungen waren. W. Gohnstein (Berlin). 


Pathologie des Nervensystems. 

8) Du röflexe patellaire, par Marandon de Montyel. (Annales mddico-psycholog. 

1897. März/April.) 

Im Anschluss an seine früheren Untersuchungen des verschiedenen Verhaltens 
des Cremasterreflexes im Verlaufe der progressiven Paralyse, richtete Verf. sein 
Augenmerk diesmal auf den Patellarreflex. Um möglichst alle Fehlerquellen ans- 
zuschliessen, prüfte er stets selber in drei verschiedenen Entwickelungsstadien der 
Erkrankung bei den gleichen Kranken das verschiedene Verhalten der Reflexe. Er 
unterscheidet die zwei Gruppen normal und anormal, und unter letzteren die drei 
Formen, des leichten und schwereren Auslösens und des Fehlens der Reflexe. 

Ursprünglich begann er seine interessanten Untersuchungen an 40 Kranken; 
jedoch sind in vorliegender Arbeit nur die Beobachtungen derjenigen 17 Kranken 
niedergelegt, welche der Verf. von den ersten Anzeichen der Erkrankung bis zum 
Tode untersuchen konnte, während die anderen 23 theils transferirt oder entlassen, 
theils vor dem Eintreten des paralytischen Marasmus aus anderweitigen Gründen 
gestorben waren. 

Diese 17 Kranken haben 128 Untersuchungen ergeben, unter denen 41 Mal 
normales Verhalten, 87 Mal anormales gefunden wurden. Diesen 128 stellt Verf. 
92 Untersuchungen gegenüber, die ein gegen die erste Prüfung wechselndes Ver¬ 
halten zeigten — also 30 Mal blieb das Verhalten der Reflexe vom ersten bis zum 
letzten Tage der Untersuchung dauernd das gleiche. 

Im ersten Theile der Arbeit berücksichtigt er ferner die bisher vorhandene 
Litteratur, und unterscheidet bei den Kranken auch solche, bei denen die Patellar- 
reflexe sehr leicht oder sehr schwer auszulösen sind. Auch die Fälle, in denen das 
Verhalten links und rechts verschieden ist, sind berücksichtigt. 

Der zweite Theil umfasst die Beziehungen der Krankheitsart zu dem ver¬ 
schiedenen Verhalten der Reflexe. Einerseits sind die bei den „expansiven, depres¬ 
siven und dementiellen Formen“ gefundenen Resultate aufgezäblt; andererseits ist 
auf massige, stärkere und extreme Verworrenheit der Kranken Rücksicht genommen. 
Ferner ist auf Alkohol und Syphilis, auf Analgesie und Hyperalgesie, wie auch auf 
Anästhesie und Hyperästhesie geachtet worden. 

Wegen der interessanten und zuverlässig angestellten Befunde seien die wich¬ 
tigsten Resultate aufgeführt. 

1. Bei der progressiven Paralyse sind die Patellarreflexe in der Mehrzahl 
der Fälle anormal, und zwar meist leicht auszulösen. Seltener sind sie 
überhaupt nicht auszulösen, in den seltensten Fällen schwer auslösbar. 

2. Die ausgesprochensten Grade des leichten und schweren Hervor- 
rnfens der Reflexe sind seltener. 

3. Die Ungleichheit (rechts und links) ist häufiger, als beim Cre¬ 
masterreflex, jedoch immerhin selten. 

4. Der Patellag*eflex ist in der ersten Periode der Erkrankung häufiger 
verändert, als in der zweiten, und in der zweiten häufiger, als in der 
dritten. 


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5. Das Maximum der veränderten Reflexe findet man in der zweiten Periode, 
während in der ersten das Maximum des Fehlens und in der dritten das 
Maximum des schwierigen und das Minimum des leichten Auslösens 
constatirt wurde. 

6. Bei der depressiven Form der Paralyse sind die Reflexe meist leicht 
anslösbar. 

7. Dieses leichte Anslösen steht bezfiglich der Häufigkeit im umgekehrten 
Verhältnis zu den Sprachstörungen. 

8. Das Verhalten der Reflexe erlaubt keine prognostischen Schlflsse. 

9. Im Vergleich zu den syphilitisch erkrankt Gewesenen, fanden sich die 
Patellarreflexe bei den Trinkern häufiger verändert, sowohl leichter, als 
auch schwerer anslösbar. 

Wenn auch der Werth derartig genauer klinischer Beobachtungen entschieden 
nicht zu unterschätzen ist, würden sie an Bedeutung noch ganz erheblich gewinnen, 
wenn mikroskopische Untersuchungen die Arbeit vervollständigten. 

Adolf Passow (Strassburg i./E.). 


9) Le phönomdne des orteils en pathologie nerveuse , par M. Babinski. 

(Progrös mödical. 1898. S. 166.) 

Im Höpital de la Pitiö setzte Verf. einem grösseren Kreise von Fachgenossen 
die Bedeutung des von ihm beschriebenen Zehenreflexes auseinander. Dieser besteht 
in einer langsamen Streckung der Zehen und zumal der grossen Zehen nach einem 
in dem vorderen Theile der Fusssohle applicirten Nadelstiche. 

Nach seinen Mittheilungen fand er diesen Reflex stets bei frischen und alten 
organisch bedingten Hemiplegieen, bei der diffusen Meningo-Encephalitis, bei der 
essentiellen Epilepsie, bei allen spinalen Systemerkrankungen, bei Myelitis transversa 
nnd Syringomyelie. Niemals konnte er ihn hervorrufen bei Neurosen, bei peripheren 
Neuritiseben, bei Poliomyelitis und bei der reinen Tabes. 

Nicht regelmässig, doch zuweilen gelang es ihm, diesen Reflex bei Epileptikern 
und bei sonst lebhaften Reflexen auszolösen. 

Er ist geneigt anzunehmen, dass dieser Reflex sich stets bei Läsionen der 
Pyramidenstränge findet Zur Unterstützung dieser Hypothese führte er ausser einer 
grösseren Anzahl Kranker mit nnd ohne dieses Phänomen das Factum an, dass dieser 
Reflex, der bei gesundem Individuum fehlt, beim Neugeborenen sich vorfindet. 
Letztere seien im gewissen Sinne als Paraplegiker anzusehen, indem die Pyramiden¬ 
bahnen in Folge ihres mangelhaften, noch nicht vollendeten anatomischen Baues 
vom Gehirn kommende Eindrücke schlecht übertragen. 

Adolf Passow (Strassburg i./E.). 


10) Ophthalmoekopisohe ondersoekingen blj Epilepsie, door Dr. L. S. Meyer. 

(Psychiatr. en neuroL Bladen. 1897. Nr. 3. Blz. 252. Juli.) 

Bei einigen Epileptikern hat Verf. Untersuchungen über den Augenspiegelbefund 
angestellt und sich bemüht, unter Eliminirung störender Einflüsse und Uebelstände 
eine Uebersicht über die Veränderungen zu erlangen, die sich in verschiedenen 
Perioden der Epilepsie am Augenhintergrund finden; einige der bemerkenswerthen 
Fälle theilt Verf. mit Im 1. Falle ergab sich eine regelmässige Coincidenz der 
epileptischen Anfälle mit dem Erscheinen von Venenpulsation, wobei die Intensität 
der Anfälle mit der der Venenpulsation in gleichem Verhältnisse stand. Im 2. Falle 
fand sich keine Venenpulsation, aber beträchtliche Hyperämie, die mit den Anfällen 
coincidirte. Im 3. Falle war stets Venenpuls vorhanden, der nachliess, wenn die 
AnflUle seltener wurden. Auch in einem 4. Falle war immer Venenpuls vorhanden. 


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In den übrigen Fällen Ährte die Untersafchung zu keinen Besaitetem Das Vor¬ 
kommen von Venenpulsation and Hyperämie im Aagengrunde bei epileptischen An¬ 
fällen verdient nach Verf. entschiedene Beachtung and fordert za genaueren Unter¬ 
suchungen der Circulationsverhältnisse bei Epilepsie auf. Die Annahme, dass der 
epileptische Anfall durch Anämie der corticalen motorischen Contra verursacht wurde, 
oder von ihr begleitet sei, kann nicht als allgemein g&ltig angenommen werden. 

Walter Berger (Leipzig). 


11) Zeldzame gevallen van Epilepsie, door Prof. Dr. C. Winkler. (Psychiatr. 

en neurol. Bladen. 1897. Kr. 3, 4. Blz. 214. 321. Juli, Sept.) 

Im 1. der vom Verf. mitgetheilten Fälle bestand Erihnerungsaura. Der 
21 Jahre alte Pat hatte vor 6 Jahren einen Stoss an die rechte Seite des Vorder¬ 
kopfes direct unter der behaarten Kopfhaut bekommen, er war nicht bewusstlos ge¬ 
worden, musste aber nach Bans gebracht werden. 3 Jahre danach bekam Patient 
nächtliche epileptische Anfälle; die Krämpfe begannen in den linken Extremitäten 
und gingen dann auch auf die rechten, waren von Bewusstlosigkeit begleitet and 
kehrten etwa jede Woche wieder. Vor 1 1 / ! Jahr traten dazu am Tage auftretende 
Anfälle von petit mal, die mit Erinnerungsaura begannen nnd manchmal in voll¬ 
ständige Anfälle mit Drehung des Kopfes nach links und Ktampf des linken Facialis 
bei vollständigem Verlast des Bewusstseins übergingen; manchmal schlieseen sich an 
die Erinnerungsaura Traumenzustände an. Patient klagte Ober Kopfschmerz, den er 
aber nicht localisirte. Nachdem Pat. am 17. Mai einen Anfall ohne Zuckungen ge¬ 
habt hatte, bei dem er zusammensank nnd nach dem ungewöhnliche Schwäche in 
beiden Beinen zurückblieb, wurde äm 22. Mai von Prof. Karte Weg an der Stelle 
der nach dem Stoss zurückgebliebenen Narbe die temporäre Schädelresection aus¬ 
geführt. Dabei fand sich eine Narbe in der Dnra mater, ungefähr über dem mittleren 
Drittel der obersten nnd der mittleren Frontalwindung, wo Dura und Pia mit der Hirn¬ 
substanz verwachsen waren. Auf der Hirnoberfläche fand sich ein Convolut von 
stark entwickelten Venen, das nach Unterbindung exstirpirt wurde; ein Stück krank¬ 
haft veränderter Hirnmasse, nach innen zu trichterförmig sich VOtjüngend, wurde 
ebenfalls exstirpirt. — Verf. schliesst sich Denjenigen an, die meinen, dass Erinne¬ 
rung nnd Wahrnehmung nicht, an derselben Stelle entstehen; er nimmt an, dass in 
den Stirnlappen associative Verbindungen mit einer Beihe von Wahrnehmungsfeldern 
gelegen sind, und dass durch die Zusammenffigung von verblassten Wahrnehmungen 
dort die Erinnerungen entstehen. 

Die Epilepsia procürsiva beruht nach Verf. nicht auf einer Rindenaffection; 
er theilt einen Fall mit, in denen bei Epilepsia procürsiva die Intelligenz intaet war 
und auf einer hoben Stofe stand. 

Eine dritte Form von Epilepsie, die, soviel Verf. weiss, noch nicht beschrieben 
worden ist, nennt er analog der Hemiplegia alternans Epilepsia alternans. Sie 
geht vom Pons Varolii oder von über diesem entspringenden Nerven ans nnd bei ihr 
bestehen Krämpfe der einen Körperhälfte mit Krämpfen der Gesichtshälfte der anderen 
Seite oder mit ihnen alternirend. Die Krämpfe sind mehr tonisch, nicht clonisch, 
wie bei der Rindenepilepsie. In einem vom Verf. mitgetheilten Falle litt der 19 Jahre 
alte Pat. seit 1 Jahre an Kopfschmerz, seit 4 Wochen an schwankendem Gang, ohne 
Abweichung nach einer Seite, nnd an Anfällen, die durch Erbrechen und Kopf¬ 
schmerz eingeleitet wurden, während der Anfäll« waren Augen und Kopf stark nach 
links conjugirt abgewichen, die linke Gesichtshälfte befand sich in Contraction, die 
rechten Extremitäten waren ganz steif; nach den Anfällen sahen die Augen nach 
rechts und Pat. konnte sie fast nicht bewegen. Es stellte sich vollständige Trige¬ 
minuslähmung links und unvollständige rechte ein. Pat. staib. Bei der Section fand 
sich ein Gliom im rechten Temporalleppen und ein Ghom im Pons Varolii, dicht 

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unterhalb des Kerns des N. abdnoens und der anstretenden Wurzel dee N. facialis 
links. — Das Vorkommen einer Epilepsia alternans liefert den Beweis, dass Krämpfe 
von subcorticalen Centren ausgehen können, und es ist wahrscheinlich, dass die 
Krämpfe dann, besonders tonische, durch directe Beizung von Fasern des zweiten 
Neurons entstehen können. Ein Grund, einen centralen Beiz anzunehmen, liegt nicht 
vor. Directe Beizung der Fasern des Centrains für das Seitwärtssehen und der 
Fasern für den Facialiskern kommen zu einer directen Beizung der Pyramide in 
dieser Höhe, und die Folge ist die alterairende Entladung. 

Walter Berger (Leipzig). 

12) I sognl e il sonno nell’ isterlsmo e nella epilessia, per Santo de Sanctis. 

(Borna. 1896.) 

Auf einem sehr grossen Materiale von Hysterikern und Epileptikern fassend, 
hat Verf. sehr eingehend hier den Schlaf und das Traumleben studirt und eine Beihe 
sehr interessanter Besultate gefunden. Nebenbei ist aber das Buch voll von einer 
Menge klinischer und psychologischer merkwürdiger Thatsachen, die hier aber nicht 
näher berührt werden können. 

Nach einer historischen Einleitung nnd nach Darlegung der Methodik und der 
einschlägigen Litteratur werden im ersten Theile die Hysterischen, im zweiten Theile 
die Epileptischen bezüglich des Schlafes uud Traumes genau untersucht und als 
appendix eine grosse Beihe von Beobachtungen mitgetheilt. Im dritten Theile endlich 
werden die allgemeinen, aus den Untersuchungen sich ergebenden Schlüsse gezogen, 
deren hauptsächliche folgende sind: Die gewöhnliche Tiefe des Schlafes bei Hyste- 
rischen geht parallel der Schwere und dem Alter des Leidens und wächst mit höherem 
Alter. Das gilt auch von der Epilepsie. Der Somnambulismus ist nicht charakte¬ 
ristisch, ebensowenig das Sprechen im Schlafe, wenngleich letzteres häufiger in der 
Hysterie stattfindet. Wichtiger ist das plötzliche Aufwachen, das am häufigsten bei 
leichter Hysterie und beim petit mal ist. Die sog. „hypnagogen“ Hallucinationen 
sind meist bei oberflächlichem Schlafe nnd am häufigsten sind solche des Gesichts 
und Gehörs. 

Das echte Albdrücken ist häufiger in der Epilepsie, sehr häufig besonders beim 
petit mal und verschwindet allmählich mit dem Alter des Leidens. Gestörter Schlaf 
ist sehr häufig; selten die vollständige Schlaflosigkeit (anipnia); häufig dagegen die 
epileptische Insomnie und die unvollständige Schlaflosigkeit, sehr häufig bei leichter 
Hysterie und dem petit mal. Je älter das Leiden ist, das Alter, je geringer die 
Bildung, je mohr schwere und nahe auf einander folgende Krämpfe, besonders bei 
Epilepsie, desto seltener sind Träume, die auch sehr von meteorologischen Verhält¬ 
nissen abhängen, z. B. vom Monde, Barometerstand (? Bef.). Die Träume der Hyste¬ 
riker sind wahre Dramen, die der Epileptiker kurz, wenig complicirt; dort herrscht 
der Traum von grossen Ideeen vor und der „Contrasttraum“, hier der lascive und 
der mit Veränderung der Person. Gewöhnlich verstärken die Träume, oder die Er¬ 
innerung daran, die Hysterie; bei Epileptikern lösen Träume wahrscheinlich oft nächt¬ 
liche Anfälle aus; oft, besonders bei petit mal, verstärken sie die Epilepsie. Schwere 
hysterische Anfälle heben oft, die epileptischen fast immer die Traumthätigkeit auf. 
Bei leichter Hysterie sind oft die Nächte vor den Anfällen durch Träume gestört, 
die nachfolgenden immer. Bei der Epilepsie zeigt sich kein constantes Verhältniss 
darin. Bei beiden wirkt der Traum noch nach, aber in verschiedener Weise. Die 
Erinnerung des Traumes ist im Allgemeinen viel besser erhalten bei der Hysterie 
als der Epilepsie, parallel der Erinnerungsstärke im Wachen. Das Schlaf- und 
Traumleben zusammen bezeichnet Verf. als „nächtliche syndrome" und „onirivisches 
(6rtq>og — Traum) Stigma“ und bietet im Allgemeinen bei Hysterie und Epilepsie gewisse 
ipecifische Eigentümlichkeiten dar, die zur Diagnose mit dienen können, welche frei¬ 
lich dem Bef. in concreto immerhin zn verwaschen erscheinen. Näcke (Hubertusburg), 


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13) Fartieele epilepsie en hare heelkundige behandeling, door Hoyte 

Hendrik van Eyk. (Acad. proefschr. Amsterdam 1897. J. H. en G. van 

Heteren. 8°. 129 S., XVII Tabellen, 1 Tafel.) 

Vom Standpunkte der Entladnngstheorie Hughlings Jackson’s aasgebend, 
bespricht Verf. die Bedeutung der operativen Behandlung der Epilepsie auf Grund 
von 10 aus niederländischen Kliniken stammenden und anderen aus der Litteratur 
stammenden Fällen. Als Schlussresultat seiner Untersuchungen giebt Verf. an, dass 
man mittelst der Operation die Epilepsie ebenso wenig zu heilen vermag, als mit 
Medicamenten; man erreicht aber durch die operative Behandlung oft sehr wesent¬ 
liche Besserung, wenn bei der Operation eine greifbare Ursache der Epilepsie an¬ 
getroffen wird. In 11 von 13 Fällen, in denen in dem vom Verf. gesammelten 
Material die Epilepsie auf subduraler Blutung beruhte, wurde trotz der Lebensgefahr 
des Status epilepticus, in dem sich die Pat. befanden, Heilung erzielt, und wenn 
man die Fälle ausscheidet, in denen die Epilepsie nicht auf Trauma beruhte, so 
wurden von 11 nicht weniger als 10 geheilt Epilepsie oder Status epilepticus, aus 
einer subduralen Blutung entstanden, muss deshalb stets operativ behandelt werden. 

Bei 100 willkfirlich ausgewählten Fällen von Epilepsie (Geschwülste und Abscesse 
ausgenommen) ergaben sich die folgenden Resultate der Operation. 

Von 18 Fällen von Epilepsie, in denen die Veränderungen über der Dura mater 
zu sehen waren (Depressionen, Adhäsionen u. 8. w.) und in denen die operative Be¬ 
handlung in Trepanation oder temporärer Besection ohne Eröffnung der Dura mater 
bestand, folgte definitive Heilung (Wegbleiben der Anfälle 3 Jahre oder noch länger 
nach der Operation) in 3 Fällen, Besserung (selteneres Auftreten der Anfälle und 
Abschwächung bis zum Auftreten einer blossen Aura, unzweifelhafte Besserung der 
Krankheitserscheinungen; Fälle, in denen nicht mindestens 3 Wochen nach der Ope¬ 
ration verstrichen waren, hat Verf. möglichst ausgeschlossen) in 10 Fällen, keine 
Heilung in 5 Fällen, Verschlimmerung oder Tod in keinem Falle. 

Von 26 Fällen, in denen die operative Behandlung in Trepanation mit folgender 
Eröffung der Dura bestand, aber ohne weitere Eingriffe, folgte in keinem Falle definitive 
Heilung, in 16 Fällen Besserung, in 3 keine Besserung, in 5 Verschlimmerung, in 
2 der Tod. 

Von 38 Fällen, in denen die operative Behandlung in der Entfernung eines 
deutlich veränderten Theiles der Hirnrinde bestand (Knochensplitter, Cysten, Narben, 
oberflächliche Erweichung), folgte in 3 definitive Heilung, in 26 Besserung, in 7 
keine Besserung, iu keinem Falle Verschlimmerung, in 2 Fällen der Tod. 

Von 18 Fällen, in denen die operative Behandlung in der Entfernung eines 
nicht sichtbar veränderten Theiles der Hirnrinde bestand, folgte in keinem Falle 
definitive Heilung, in 9 Fällen Besserung, in 7 keine Besserung, in 1 Falle Verschlim¬ 
merung und in 1 Falle der Tod. 

Die Mortalität ist also ziemlich gross (5 °/ 0 ), jedoch nicht allein von der Ope¬ 
ration abhängig, sondern auch von dem Zustande, in dem sich der Pat. befand, be¬ 
sonders in Fällen, in denen Status epilepticus bestand oder eitrige Entzündung. 

Walter Berger (Leipzig). 


14) Epilepsia Jaoksonii post fracturam cranii cum depressione permagna. 

Beseotio cranii. Pörbättring, af G. Naumann. (Hygiea. 1897. LIX. 5. 

S. 210.) 

Ein 17 Jahre altes Mädchen hatte einen heftigen Schlag an die rechte Seite 
des Kopfes bekommen und war sofort bewusstlos geworden; sie musste einige Zeit 
zu Bett liegen, war aber bald wieder gesund. Erst 4 Jahre danach begann sich 
Jackson’sehe Epilepsie zu entwickeln, die Krämpfe begannen in der linken Hand, 
gingen auf den Arm über, manchmal auch auf die linke Gesichtshälfte und mitunter 


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wurde auch das linke Bein davon ergriffen. In der letzten Zeit sprangen die Krämpfe 
auch anf das rechte Bein über und es traten allgemein clonische Krämpfe auf. Es 
bestand geringe Parese des linken Arms. An der vorderen Hälfte des rechten 
Scheitelbeins und am hinteren Theile des Stirnbeins fand sich eine ziemlich bedeutende 
Depression im Knochen. Die Schädelresection, die am 20. April 1896 ausgeführt 
wurde, war durch Verwachsung der Dura mater mit dem Knochen erschwert. Ein 
Knochensequester wurde mit dem darunter liegenden sclerotischen Gewebe entfernt, 
und, da diese Stelle unterhalb des motorischen Centrums für den Arm lag, wurde 
die verdickte Dura höher oben durchschnitten und die darunter liegende missfarbige, 
etwas sclerotische Hirnsubstanz excidirt. Das bei der Operation abgetragene Knochen* 
stück umfasste nicht die ganze Depression, aber den am meisten eingedrückten Theil. 
Der Verlauf war gut, anfangs hatte Pat. etwas Kopfschmerz und die Parese des 
linken Arms hätte zugenommen. Am 29. Mai trat wieder ein eben so heftiger Anfall 
wie früher auf, bis zur Entlassung am 9. Juni trat aber kein neuer Anfall auf, auch 
einen Monat später war kein Anfall wieder aufgetreten und die Parese des linken 
Arms hatte abgenommen. Nach Nachrichten vom März 1897 waren mitunter wieder 
Anfälle aufgetreten. Walter Berger (Leipzig). 


15) Note sar quelques reflexes outanes ohez les dpileptiques, par Ch. Före. 

(Comptes rendus des säances de la socidtd de biologie. 1897. 2 Octobre.) 

Verf. hat an 137 Epileptikern systematische Untersuchungen über das Verhalten 
der Hautreflexe angestellt, und zwar hat er gesonderte Tabellen für Patienten, die 
Brom in mehr oder minder grossen Dosen brauchten, und solche, die kein Brom 
gebrauchten, aufgestellt. Die tabellarisch zusammengestellten Ergebnisse seiner Unter¬ 
suchungen sind folgende: 

Es fehlten die Reflexe in Procenten der untersuchten Fälle: 


Der Pupillarreflex auf Hautreize 
Obere Scapularreflexe .... 
Untere Scapularreflexe . . . 

Palmarreflexe. 

Epigastrische Reflexe .... 

Obere Bauchreflex. 

Untere Bauchreflex .... 

Cremasterreflex. 

Glutäalreflex. 

Plantarreflex.. 


Unter 

Bromgebrauch 
. . 100 
. . 91,78 

. . 91,78 

. . 98,63 

. . 27,39 

. . 16,06 

. . 12,32 

r. 41,09, 1. 42,46 
. . 76,34 

. . 21,91 


Ohne 

Bromgebranch 

100 

85,90 

78.12 

98.43 
17,18 

9,37 

9,37 

r. 42,18, 1. 50 

73.43 

28.12 


Besonders interessant bei diesen Ergebnissen ist der geringe Unterschied 
zwischen den beiden Gruppen; derselbe bleibt weit hinter den Erwartungen zurück, 
die man von dem Einfluss des Broms a priori haben sollte, besonders wenn man 
berücksichtigt, dass die Tagesdosen des Bromkali mindestens 5—10 g betrugen, bei 
einer nicht kleinen Anzahl von Fällen 20—30 g pro die erreichten bezw. über¬ 
schritten. Martin Bloch (Berlin). 


16) Note sur la plus grande rapiditd de l’dlimination du bleu de methy- 
lene par les urlnes 4 la suite des aooes ohes les dpileptiques, par 

Ch. Före et Ch. Laubry. (Comptes rendus de la societe de biologie. 1897. 
23 Octobre.) 

Die schon mehrfach constatirte Thatsache, dass gewisse dem Magendarmcanal 
zugeführte Substanzen, wie Jodkali, salicylsaures Natron, unmittelbar nach epilep- 


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tischen Anfällen viel schneller ansgeschieden werden, als in der Norm, hat man zu 
erklären versucht theils durch eine dem Anfall folgende Lähmung der Nierengefässe, 
theils durch erhöhte Durchlässigkeit der Nierensubstanz (die bisweilen sich der 
Polyurie nähert) nach dem Anfall. Die Schnelligkeit der Ausscheidung kann aber 
auch beeinflusst werden durch die Concentration der Blutflflssigkeit, die bei dem 
epileptischen Anfall durch Polyurie, Salivation, Schweissausbruch zweifellos verändert 
wird. Eine Entscheidung dieser Frage, was eigentlich die schnellere Ausscheidung 
bedingt, wird aber nicht eher möglich sein, ehe wir nicht die Schnelligkeit der 
Resorption kennen. Indess bietet die Tbatsache an sich nicht geringes Interesse. 
Verf. hat bei 11 Kranken Versuche mit subcutanen Injectionen von Methylenblau 
gemacht, und zwar in jedem Falle während des Anfalls oder kurz nachher und 
24 Stunden nach dem Anfalle. Die Ausscheidung erfolgte in jedem Falle bei der 
ersteren Versuchsanordnung weit schneller, als bei der zweiten; nur zwei Kranke 
machten eine Ausnahme, bei dem einen war kein Unterschied zu constatiren, bei 
dem zweiten erfolgte die Ausscheidung langsamer in der paroxysmalen Zeit, als 
nachher. Absolut erhöht war die Schnelligkeit der Ausscheidung nur in 4 Fällen, 
in den anderen 5 von den untersuchten 11 waren sie es nur relativ. 

_ Martin Bloch (Berlin). 


17) Epilepsie oonseoutive a une flövre typhoide, par Bourneville et 

Dardel. (Progrbs mddical. 1898. S. 177.) 

Wie so häufig, geben uns die Verff. auch in dieser Mittheilung genaue Kranken¬ 
geschichte und ausführliches Sectionsprotocoll eines Patienten, der aus gesunder 
Familie stammt, in welcher keine Krankheiten erblich waren, von Alkoholismus nichts 
bekannt war. Er entwickelte sich als Kind sehr gut, zeigte gute Intelligenz, konnte 
mit 2 Jahren laufen und sprechen. 

Mit 3 Jahren erkrankte er wie seine sämmtlichen Familienmitglieder an schwerem 
typhösen Fieber. Sein Vater gesundete, während die Mutter und 2 Geschwister 
starben. 

Bei unserem Pat. trat die Erkrankung besonders schwer auf; er lag während 
6 Wochen häufig stundenlang bewusstlos und konnte sich kaum wieder erholen. Es 
traten auch schon während des Fiebers, besonders aber nachher Convulsionen auf, 
die sich immer wiederholten, stärker wurden und schliesslich als epileptische Krämpfe 
angesehen werden mussten. 

Mit diesen ging ein Nachlassen der intellectuellen Fähigkeiten einher; mehr¬ 
fache Versuche, ihm die Anfangsgr&nde in der Schule beizubringen, misslangen. 
Als sich mit 11 Jahren die Aufnahme in die Anstalt nothwendig machte, kannte er 
seinen Vater nicht mehr und sprach kaum einige Worte. Im allgemeinen ruhig, 
wurde er zeitweise sehr erregt und war dann kaum festzuhalten. 

Während des 8 monatlichen Anstaltsaufenthalts hatte er jeden Monat 4—25 An¬ 
fälle, im Durchschnitt 9—10. Er starb dann an profuser Diarrhöe und Entkräftung. 

Bei der Autopsie fand man Bildungshemmungen in den Frontallappen, Sklerosen 
im Hinterhaupt und eine sehr ausgesprochene Asymmetrie der Windungen an Con- 
vexität und Medianfläche. Eine Anzahl Photographieen und genaue Zahlenangaben 
des Gewichts der Hemisphären (Unterschied von 30 g zu Gunsten der rechten) ver¬ 
vollständigen die Mittheilung. 

Interesse beansprucht sie wegen des in diesem Falle wohl zweifellos statt¬ 
gehabten Einflusses der sehr schweren, infecüösen Erkrankung auf die Entwickelung 
des Gehirns. Adolf Passow (Strassburg i./E.). 


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18) Epilepsie als Abstinenaersohsinung bei Morphiumentaiehung, von 
Cäsar Heimann (Cbarlottenburg). (Festschrift anlässlich des 50jährigen Be¬ 
stehens der Provinzial-Irrenanstalt zu Nietleben. 1897. F. C. W. Vogel) 

Eine 30jährige Patintin nahm in Folge Aufregungen Morphium, und als dies 
nicht mehr fruchtete, griff sie zu Cocain und Alkobolicis. Die Folge davon war eine 
charakteristische Cocainparanoia. Pal wurde das Cocain sofort, das Morphium all¬ 
mählich entzogen, doch begann sie letzteres wieder zu nehmen und unterzog sich 
1 / 8 Jahr später einer neuen Entziehungskur. Während derselben bekam sie, nachdem 
sie schon 3 Tage kein Morphium mehr erhalten hatte, an einem Tage zwei typische 
epileptische Anfälle (völlige Bewusstlosigkeit, Krämpfe, Pupillen reactionslos, Zungen¬ 
biss). Verf. glaubt diese Anfälle als Abstinenzerscheinung bei dieser Morphiumkur 
auffassen zu müssen, da die Pal vorher nie an epileptischen Krämpfen gelitten hat, 
der Alkoholgenuss nie übermässig gewesen und seit dem letzten Gebrauche von Cocain 
bereits */ s Jahr verflossen war. Epileptoide Zustände während einer Entziehungskur 
sind von Levinstein schon beschrieben worden. Kurt Mendel. 


19) Klinische Beiträge aur Reflexepilepsie, von Prof. Dr. Adolf Seelig- 
mAller (Halle a./S.). (Festschrift anlässlich des 50jährigen Bestehens der 
Provinzial-Irrenanstalt zu Nietleben. 1897. F. C. W. Vogel.) 

Verf. theilt 17 Fälle von Beflexepilepsie mit In denselben sind die epilep¬ 
tischen Erscheinungen 5 Mal auf Verletzungen am Kopf, 2 Mal am Rumpf, 5 Mal 
an den oberen und 5 Mal an den unteren Extremitäten zurückzuführen. Zwischeu 
Trauma und erstem Anfall kann ein längerer oder auch nur ein kurzer Zeitraum 
liegen. So betrug derselbe in einem Falle nur 2 Stunden, in einem anderen 
13 Jahre. 

Ein Fall bietet dadurch Interesse, dass vollständiger Sprachverlust im Anschluss 
an den epileptischen Anfall auf die Dauer von 1—2—3 Stunden sich einstellte. In 
den 4 Fällen, in welchen sich die epileptischen Erscheinungen an eine Fingerverletzung 
anschlossen, bestand Pupillenerweiterung auf der Seite der Verletzung, ohne dass eine 
gleichzeitige directe Halssympathicusläsion anzunehmen wäre. 

Therapeutisch empfiehlt Verf. bei der Reflexepilepsie die Operation, welche so 
früh als möglich auszuführen ist und die Prognose bei der Reflexepilepsie als un¬ 
gleich günstiger als bei allen anderen Epilepsieformen hinstellt. Bei vorliegender 
Narbenbildung ist sorgfältig darauf zu achten, dass alles Narbengewebe vollständig 
entfernt wird und dass auch nicht die geringste Druckempfindlichkeit der verheilten 
Operationsnarbe zurückbleibt. Kurt Mendel. 


20) Sone notea of eehoteüa, with tbe report of an extr&ordinary oaee, 
by Martin W. Barr, M. D. (Journal of nervous and mental disease. 1898. 
Jan. XXV. S. 20.) 

Betrifft einen 22 jährigen epileptischen Idioten, der trotz sorgfältiger Erziehung 
weder lesen noch schreiben gelernt hat, wohl aber zur Verrichtung kleiner häus¬ 
licher Dienstleistungen* geeignet ist. Spontan spricht er fast gar nicht und nur ab¬ 
gerissene kurze Worte und Sätze. Dagegen besitzt er eine höchst auffällige Fähig¬ 
keit, Alles, was ihm vorgesprochen wird, sei es in seiner Muttersprache, sei es in 
ganz anderen Sprachen, wie Griechisch, Japanisch, Dänisch, Spanisch u. s. w, fliessend 
und mit durchaus richtiger Betonung nachzusprechen. Sommer (Allenberg). 


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21) Epilepsy with luxation of the yaw, by Charles E. Stanley, M. D. 

(Journal of nervous and mental disease. 1896. Febr. XXXIII. S. 115.) 

Typische Epilepsie bei einer 27j&hrigen Frau mit der Eigentümlichkeit, dass, 
nachdem sich in einem Krampfanfall einige Molarzähne so gelockert hatten, dass sie 
ausgezogen werden mussten, fast jedem Anfall eine beiderseitige complette Luxation 
des Unterkiefers durch den krampfhaften Muskelzug folgte. 

Sommer (Allenberg.) 


22) An octogenarian epileptio, by Frederick T. Simpson, M. D. (Journal 
of nervous and mental disease. 1896. Jan. XXUI. S. 29.) 

Fall von genuiner idiopathischer Epilepsie, bei dem nur zu erwähnen ist, dass 
die Krankheit erst im 80. Lebensjahr des Patienten, eines Geistlichen, ausbrach. 
Während der 6 Lebensjahre, die ihm noch beschieden waren, hatte er im ganzen 
44 Anfälle erlitten, von denen die Mehrzahl während der Nacht eintrat. 

Sommer (Allenberg). 


23) Ueber die ohronisehe Paranoia bei epileptischen Individuen, von Dr. 

Albert Buchholz (Marburg). (Festschrift anlässlich des 50jährigen Be¬ 
stehens der Provinzial-Irrenanstalt zu Nietleben. 1897. F. C. W. Vogel.). 

Verf. berichtet über 5 Fälle, bei welchen neben der Epilepsie eine typische 
chronische Paranoia bestand. Bei zwei derselben war das ätiologische Moment für 
den Ausbruch der Psychose in einer abzubüssenden Haft zu suchen, während in zwei 
anderen Fällen andere Schädlichkeiten als die Epilepsie für die Entwickelung der 
Paranoia nicht verantwortlich gemacht werden konnten. Verf. glaubt an einen ge¬ 
wissen Zusammenhang zwischen dem Auftreten der Psychose und der Epilepsie, 
indem ein durch Epilepsie geschwächtes Individuum dank äusseren Schädlichkeiten 
leicht psychisch erkranken könne. 

Zwei Fälle gelangten zur Obdnction und zeigten beide diffuse herdartige Ver¬ 
änderungen der Hirnrinde, welche auf die Verwandlung der obersten Bindenschicht 
in ein verdicktes, derbes und faseriges Gewebe zurückzuführen sind. Während es 
sich in diesen Fällen wahrscheinlich um eine primäre Erkrankung des Stützgewebes 
und eine secundäre Erkrankung der nervösen Elemente handelt, dürfte bei der 
progressiven Paralyse der Schwund der Associationsfasern das Primäre, die Ver¬ 
änderung des Stützgewebes das Secundäre sein; in den beiden angeführten Fällen 
müsse — bei so hochgradiger Veränderung des Stützgewebes — der Faserschwund 
ein beträchtlicherer sein, um an eine primäre Erkrankung der nervösen Elemente 
denken zu können. Es handelt sich hier vielmehr um „eine im frühen Lebensalter, 
event. noch während des fötalen Lebens entstandene chronische Entwickelungsstörung, 
die durch eine Wucherung der Neurogliazellen und secundäre Schädigung der anderen 
Gewebselemente der Binde ausgezeichnet ist.“ Mit diesen Veränderungen steht die 
bei den Kranken beobachtete Intelligenzschwäche in engstem Zusammenhang, vielleicht 
gaben dieselben auch den Anstoss zur Entwickelung der Epilepsie ab. Erwähnens¬ 
wert!) sind noch die vom Verf. in dem einen Falle beobachteten, in ihrer Form und 
Lagerung eigentümlichen Zellen der Hirnrinde. Kurt MendeL 


24) Le traitement de l'öpilepsie, de l’idiotie et d'autree dtats encdpha- 
liques analogues par la reseotion des ganglions oervioaux supdrieurs 
du sympathique, par A. Chipault. (Gazette des höpitaux. 1898. Nr. 16.) 

Nachdem zuerst Alexander im Jahre 1883 bei Epilepsie das obere Ganglion 
des Halssympathicus resecirt hatte, sind noch von Kümmel, Yacksh, Jaboulay, 


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Jonnesco ähnliche Operationen zu gleichem Zweck unternommen worden. Da der 
angestrebte Zweck der Operation der sei, der für den Anfall supponirten Hirnanämie 
und den daraus jresultirenden Ernährungszuständen entgegenzuwirken, hält Yerf. die 
Resection des oberen Ganglion für nöthig zur Beseitigung der vasoconstrictorischen 
Wirkung des Sympathicus. Die Operation ist ungefährlich und technisch ausser¬ 
ordentlich leicht. Sie ist gefolgt von leichter Temperatursteigerung an der operirten 
Gesichtshälfte, etwas Pupillarverengerung mit geringer Ptosis und Tbränenfluss; die 
Veränderungen sind so unbedeutend, dass sie gar nicht auffallen, wenn beide Opera¬ 
tionen einseitig vorgenommen werden. Der Puls ist vorübergehend leicht beschleunigt. 
In 30 Fällen kam eine Verschlimmerung vor, 7 Mal blieb der Zustand gleich, in 
10 Fällen wurde er gebessert, 13 Fälle wurden geheilt, doch war bei einigen der¬ 
selben die Beobachtungsdauer sehr kurz, erstreckte sich aber bei 2 Fällen auf 1 Jahr, 
bei 1 auf l x / a Jahr, bei 3 auf 2 Jahr und bei 2 Fällen auf 3 Jahre. Verf. ent¬ 
schloss sich bei einem 15jährigen Knaben zur Operation, der seit seinem 9. Jahre 
an ausgesprochenen Anfällen und Absencen litt, die allmählich an Häufigkeit zu¬ 
nehmend im letzten Jahre 5—6 Mal zu einem förmlichen Status epilept. geführt 
hatten; in den letzten Monaten war ein gewisser Grad von Demenz eingetreten. 
Nach der Entfernung des einen oberen Ganglion kam es zu beträchtlicher Erweiterung 
der Pupille der entgegengesetzten Seite; nach der zweiten, 3 Tage später vor¬ 
genommenen Operation waren beide Pupillen gleich und so weit wie vorher. Seit 
dem ersten Eingriff (ca. 1 Monat) hat Pat. keinen Anfall, keine Absence gehabt; 
seit der zweiten Operation hat Pat. sein somnolentes cyanotisches Anssehen ver¬ 
loren, in seinem psychischen Verhalten ist eine auffallende Besserung eingetreten. 

E. Hatschek (Wien). 


26) Ueber die Aufgaben des Pflegepersonals bei Epileptischen, von Dr. 

Wildermuth. (Irrenpflege. 1898. Nr. 11 u. 12.) 

Verf. behandelt in einer gerade der durchschnittlichen Fassungskraft des Warte¬ 
personals ausgezeichnet angepassten, populären Art und Weise die Symptomatologie 
der verschiedenen Erscheinungsformen der Epilepsie, so dass diese auch dem Ver¬ 
stand niss eines nicht wissenschaftlich Vorgebildeten soweit klar werden, dass er ohne 
weiteres begreifen muss, warum er sich den acuten und chronischen Aeusserungen 
der Krankheit gegenüber gerade so verhalten muss, wie es die moderne Wissenschaft 
und die Humanität erfordert. Kaplan (Herzberge). 


26) A oontributlon to the study of tetanus, by J. Y. Gonzalez. (New York 

med. Journal. 1898. Vol. LXVU. Nr. 9.) 

Im Anschluss an eine Schussverletzung der Tibia entwickelten sich neben Eiterung 
der Wunde spastische Contractionen der Fussmuskeln auf der Seite der Verletzung, 
Trotz ausgiebiger und energischer Wundbehandlung nahmen die Spasmen an Häufig¬ 
keit, In- und Extensität zn, so dass der Verf. in der Annahme, eine Compression 
des Poplitealnerven verursache die Krämpfe, den Nerven durchschnitt. Fuss- und 
Unterschenkel blieben jetzt frei von Contractionen, dagegen traten nunmehr Spasmen 
auf am Oberschenkel 

Innerliche Mittel blieben erfolglos. Verf., nicht überzeugt dass Tetanus vorliege, 
schritt zur Amputation des Oberschenkels im mittleren Drittel. Einige Tage später 
Spannung (Spasmen) der Bauchmuskeln, hartnäckige Verstopfung, zeitweise Delirien, 
dann rapide Besserung und Genesung. Verf. betont als besonders auffallend die Ab¬ 
wesenheit von Trismus und Episthotonus, die Contractionen einzelner Bauchmuskeln, 
die Einseitigkeit der Spasmen, die lange Krankheitsdauer (ca. 40 Tage). 

Die Kürze der Mittheilung erschwert ein Urtheil über diesen nach jeder Rich¬ 
tung stark merkwürdigen Fall. R. Pfeiffer (Cassel). 


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27) A G8M of tetanus, by Radis-Jicinsky. (New York med. Journal. 1897. 

VoLLXVL Nr. 20.) 

In einem peracuten Falle von traumatischem Tetanus blieben die gründliche 
Reinigung und antiseptische Behandlung der Wunde, sowie die medicamentöse Be¬ 
handlung (Bromkali, Chloroformnarkose während der Anfälle, Morphium, zeitweise 
Stimulantien) erfolglos. Es wurden nun an 6 aufeinanderfolgenden Tagen jo 10 ccm 
Antitoxinserum eingespritzt, daneben die Wundbehandlung und (nach Bedarf) die 
Chloroforminhalationen fortgesetzt Die Anfälle begannen nach der ersten Injection 
an Zahl, Intensität und Dauer abzunehmen; es trat Genesung ein. Interessant war 
in diesem Falle eine während der Antitoxinbehandlung eintretende, wohl durch die 
allgemeine Schwäche begünstigte Soorentwickelung im Munde, welche unter localer 
Behandlung and gleichzeitiger Darreichung von Tonica zurückging. 

R. Pfeiffer (Cassel). 


28) Zur Frage des rheumatischen Tetanus und der Tetanus - Antitoxin¬ 
behandlung , von Dr. Ferd. Steiner. (Wiener klin. Wochenschr. 1897. 

Nr. 36.) 

I. 38jähr. Geschäftsdiener. Auftreten des Tetanus einige Tage nach einer von 
Schnupfen gefolgten heftigen Durchnässung. Bei Tag und Nacht häufig sich wieder¬ 
holende Paroxysmen. Trotz Salicyl-, Chloral-, Sulfonal- und Morphiumbehandlung 
keine Besserung. Nach ca. 3 Wochen vom Beginn der Krankheit an schleudert Pat. 
bei einem heftigen Niessacte eine 3 cm lange und Kleinfingerdicke eitrige Borke aus 
der Nase. Darauf rasches Zurückgehen der Symptome. 9 Tage später wird Pat. 
geheilt entlassen. 

Vielleicht erfolgte in diesem Falle die Infection von oberflächlichen Excoriationen 
an der Nasenschleimhaut aus, die in Folge des Schnupfens aufgetreten waren und 
wahrscheinlich vermittelst der staubbeschmutzten Finger des Pat. 

II. 25jähr. Gürtlergeselle. Erstes Auftreten der Symptome einige Tage nach 
Spaltung eines Panaritiums. Die allgemeine Muskelstarre von häufigen Krampf- 
paroxysmen unterbrochen. Die Remissionen dauern nur 10—30 Minuten. Chloral, 
Sulfonal, Morphium erfolglos. 3 Tage nach der Aufnahme (am 8. Krankheitstage) 
werden 1,125,000 Immunitätseinheiten Tizzoni’schen Antitoxins, d. i. die halbe 
Portion (2,25 g) der im Handel erhältlichen Fläschchen, mit Trockenserum in 10 ccm 
sterilisirtem Wasser gelöst dem Pat. injicirt. 1 / 2 Stunde später subjectives Wohl¬ 
befinden, Aufhören der Schweisse und der Schmerzen, Nachlassen der Starre. Am 
nächsten Tage abortiver Anfall. Injection von 300,000 Immunitätseinheiten (=0,6 g 
Trockensubstanz). Tags darauf nach einem abortiven Anfall der Rest injicirt 
(825,000 Immunitätseinheiten = 1,65 g Trockensubstanz). Am nächsten Tage noch 
einige Anfälle wie tags vorher, durch 2 Wochen noch leichte Rigidität der Vorder¬ 
arme und der Adductoren der Oberschenkel mit Schmerzhaftigkeit der Ischiadici. 

Das rasche Nachlassen der Schweissproduction und der gehäuften Paroxysmen, 
das subjective Wohlbefinden und der Eintritt von Schlaf im unmittelbaren Anschlüsse 
an die Injection beweisen wohl deren heilenden Einfluss. Verf. räth übrigens, die 
doppelte Dosis von Antitoxin, also 2 Fläschchen anzuwenden, und davon das 1. Fläschchen 
auf ein Mal zu injiciren. 

Zum Schlüsse tritt Verf. noch für die combinirte Behandlung ein: neben der 
Injection reichliche Flüssigkeitszufuhr, Chloral, Morphium u. s. w. und Desinfection 
der Infectionsstelle. J» Sorgo (Wien). 


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29) A oase of oephalio, dysphagio, or hydrophoblo tetanus, by Ernst 

Maylard. (Glasgow med. Journal. 1898. March.) 

Verf. berichtet über einen Fall von Tetanus, der sich an eine unbedeutende 
Verletzung der linken Kopfhälfte anschloss. 6 Tage nach dem Trauma Schwierigkeit 
beim Oeffnen des Mundes, allgemeine Mattigkeit; seit dem 13. Tage nach der Ver¬ 
letzung anfallsweise heftige Dyspnoe, Schluckkrämpfe bei jedem Versuch, etwas zu 
sich zu nehmen; tonische Krämpfe der rechten, Lähmung der linken Gesichtsseite, 
später auch Krämpfe der rechtsseitigen Halsjnuskulatur. Am 18. Tage Exitus. Verf. 
hebt besonders hervor, dass fast ausschliesslich die Kopf-, Hals-, Kehlkopf- und 
Schlundmuskulatur ergriffen war. Kaplan (Herzberge). 


30) Ueber einen Fall von Kopftetanus, von A. Solmsen. Aus dem Stadt- 
lazareth in Danzig (Oberarzt: San.-Kath Dr. Freimuth). (Deutsche med. 
Wochenschr. 1897. Nr. 46.) 

Kurze Mittheilung eines relativ leichten Falles von Kopftetanns mit Parese des 
rechten Facialis, wobei der rechte M. orbicularis im Zustande tonischer Erregung war. 

R. Pfeiffer (Cassel). 


Psychiatrie. 

31) Fsyohoses post - opdratoires. Sdance de la Socidtd de Chirurgie. (Progrös 
mdd. 1898. S. 204 u. 301.) 

Die seitens Chirurgen und Frauenoperateuren angeregte Discussion ergab kaum 
neues; doch sei folgendes Hauptsächlichste kurz angeführt: 

Wenn man von den toxischen (Anaesthetica, Alkohol und Jodoform) und den 
infectiösen Delirien (Septicämie) absieht, kommen wirkliche Psychosen äusserst selten 
im Anschluss und als Folge von Operationen vor. In den allermeisten Fällen sind 
es prädisponirte, neuropathische Individuen, die zudem meist an Hysterie leiden. 

M. Hartmann schlägt vor, mehr wie bisher auf den psychischen Zustand Rück¬ 
sicht zu nehmen und die seelischen Einflüsse möglichst zu vermindern. Routier 
sah Fälle von Verfolgungswahn und auch einmal von Agoraphobie. M. Bouilly will 
zwischen Individuen unterschieden wissen, die sensu stricto hysterisch sind, und 
solchen, die in Folge eines Genitalleidens an Hysterie erkrankt sind. Während 
erstere durch Operationen kränker werden, können letztere durch operative Entfernung 
der kranken Organe wesentlich gebessert werden. Er habe in seiner gynäkologischen 
Praxis bezüglich dieser zwei Unterschiede mehrere Erfolge zu verzeichnen gehabt. 

Adolf Passow (Strassburg L/E.). 


32) Leg psychoses de la vieillesse, par Dr. Ant. Ritti, .Medecin de la maison 
nationale de Charenton. (Bordeaux. G. Gounouilhou.) 

Verf. erörtert zunächst das Geschichtliche der Psychosen des Greisenalters 
und stellt fest, dass Pinel und Esquirol zu Anfang des Jahrhunderts aus der 
Menge der Geisteskrankheiten zuerst die senile Demenz herausgehoben haben, dass 
Esquirol sogar schon das Vorkommen manischer Anfälle bei Greisen festgestellt hat. 

Maudsley hat dann mehrere Jahrzehnte später die senile Melancholie be¬ 
schrieben und Wille hat 1873 eine Monographie der Psychosen des Alters verfasst. 
Ihnen schlossen sich die Arbeiten von Weiss und Fürstner an. Fürstner hat 
die Häufigkeit der Verworrenheit (la confusion mentale) im Greisenalter nach¬ 
gewiesen. Andere haben Fälle von ddlire systdmatisd im hohen Alter veröffentlicht. 


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Verf. fand hier noch la folie instinctive (Kleptomanie, Erotisme, Exhibitionnisme), 
ebenso das circulare Irresein und die Hysterie. 

Verf. geht nun auf diese einzelnen psychischen Erkrankungen des Näheren ein: 
Bei der Manie der Greise finden sich die verschiedenen Grade zwischen excitation 
maniaque bis zur manie avec fureur. Die motorische Erregung pflegt sehr stark 
ausgebildet, der Ideeenreichthum gering zu sein. Erotische Tendenzen herrschen vor. 
Die Manie kann heilen, chronisch werden, zum Tode führen oder in Demenz über¬ 
gehen. 

La mdlancolie simple erscheint beim Greise weniger tief und weniger an¬ 
haltend. Hypochondrische Ideeen sind häufig. Gewöhnlich ist die Willenskraft ge¬ 
schwächt, trotzdem werden aber plötzlich gewaltthätige Acte an sich und Anderen 
ausgeführt. Ausgang in Heilung ist nicht selten. 

La mdlancolie anxieuse wird im Anschluss an die Darstellung von 
Maudsley wiedergegeben; ihre Prognose stellt der Verf. etwas günstiger als der 
englische Autor. 

Interessant sind die den statistischen Untersuchungen Dr. Soquet’s entnommenen 
Zahlen über den Selbstmord in Frankreich. Hiernach kamen von 1835 —1880 
in Frankreich 191,288 Selbstmorde vor, von denen 48,931 Personen über 60 Jahre 
betrafen, und zwar 38,033 Männer und 10,898 Frauen. Im Jahre 1891 entfielen 
nach dem Bericht der Criminaljustizverwaltung von 8884 Selbstmorden in Frankreich 
2854 auf Individuen über 60 Jahre, und zwar 2300 auf Greise, 554 auf Greisinnen. 

Von folie circulaire wird ein Fall mitgetheilt, der im 70. Jahre einsetzte; 
früher sollen hier auch keine leichten Anfälle vorhanden gewesen sein. 

La confusion mentale der Greise kann heilen, sich bessern, unheilbar werden 
oder in Tod ausgehen. Die Krankheit scheint in directer Beziehung zu Erkrankungen 
des Arteriensystems zu stehen. 

Betreffs des dölire systömatisd erwähnt Verf., dass er Fälle von Verfolgungs¬ 
wahn, wie von Grössenwahn im Greisenalter kennen gelernt hat. Er erinnert an 
Feuersbrünste, die durch Kranke mit Verfolgungswahn bei ihrem nächtlichen Umher¬ 
leuchten in der Wohnung hervorgerufen worden sind, und macht darauf aufmerksam, 
dass Fürstner einen Zusammenhang zwischen Verfolgungswahn mit Gehörehallu- 
cinationen und Schwerhörigkeit, und Lasögue zwischen Verfolgungswahn mit Gesichts- 
hallucinationen und der Einwirkung toxischer Substanzen in einigen Fällen festgestellt 
hat. Ueber die Beurtheilung des vom Verf. citirten Falles von Grössenwahn im 
Greisenalter hat Referent seine abweichende Meinung schon früher im Neurolog. 
Centralbl. 1895. S. 742 niedergelegt. 

Unter folie morale on instinctive versteht Verf. einen pathologischen Zu¬ 
stand, der in einem oft unwiderstehlichen Drang zu tadelnswerthen und gefährlichen 
Handlungen sein Wesen haben soll. Er hat diesen Zustand bei Greisen beobachtet, 
die früher niemals eine moralische Störung gezeigt haben. Die Handlungen bestanden 
in Kleptomanie, in der Sucht, Menschen zu tödten und namentlich in Verirrungen 
du sens gönital (amour platonique, salacite, exhibitionnissme). 

Das Auftreten - von folie hystörique im Greisenalter wurde von Fleury 
beobachtet. Anästhesieen fanden sich hier selten, hysterogene Zonen häufig. Schmerz¬ 
hafte und spasmodische Phänomene der Eingeweide waren sehr intensiv. 

Die Arbeit des Verf.'s bringt, wie wir berichtet zu haben glauben, mancherlei 
Neues und Interessantes. Sehr fein durchdacht ist u. A. das Kapitel über die 
Psychologie des Greisenalters. — Noch eins sei zum Schlüsse bemerkt: Wenn der 
Verf. die einfache Altersdemenz in der vorliegenden Abhandlung auch nicht beschreibt, 
so glauben wir uns doch wohl in Uebereinstimmung mit ihm zu befinden, wenn wir 
annehmen, dass er ausser den von ihm dargestellten, durch die späte Zeit des Auf¬ 
tretens in einigen Zügen charakteristisch gefärbten Psychosen noch die Dementia 
senilis anerkennt; ist diese Krankheit doch scharf charakterisirt durch allmähliche 

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Abnahme des Gedächtnisses, Neigung zum Fabuliren, Unfähigkeit zur Verarbeitung 
und Auffassung neuer Eindrücke, Urtheilsschwache, Zerfahrenheit, Verwirrtheit, Ver¬ 
ödung des Gemüthslebens, augenblickliche Erregbarkeit u. s. w. 

Als Ursachen der Psychosen im Greisenalter werden vererbte Prädisposition 
(anticipirte Vererbung!), organische Transformationen durch das Alter und Gelegenheits¬ 
ursachen angegeben. 

Einen sehr interessanten Abschnitt der Abhandlung bildet das Kapitel, welches 
der Frage nach der etwaigen Veränderung des Geisteszustandes der vorher geistig 
erkrankten Patienten im Greisenalter gewidmet ist. Verf. kommt zu dem Resultat, 
dass diejenigen Geisteskranken, die nach einer lange in psychischer Krankheit ver¬ 
brachten Existenz das Greisenalter erreichen, im Allgemeinen neben ihrer Psychose 
ihre Intelligenz bcibehalten. 

Wie so oft in französischen Arbeiten, finden wir auch in der vorliegenden 
anerkennenswertherweise eine Besprechung der Beziehungen zwischen den in Rede 
stehenden Psychosen und der forensischen Uedicin, die die Zurechnungs-, wie 
die Dispositionsfähigkeit eingehend behandelt. Auch hier wird der erotischen Nei¬ 
gungen geisteskranker Greise gedacht, die ihre Erben durch Eingehen später Ehen 
schädigen, die wegen dieser Neigungen ausgebeutet werden, namentlich auch betreffs 
ihrer testamentarischen Dispositionen. Georg Ilberg (Sonnenstein). 


33) Insanity of the different perioda of life. Evolutional and invoiutional 

types, by John T. Maclachlan, M. D. (Glasgow medic. Journ. 1897. March.) 

Drei Perioden sind besonders bevorzugt beim Ausbruch von Geisteskrankheiten: 
Pubertät, Klimakterium und Greisenalter. Während der Pubertät entwickelt sich der 
Sexualapparat rapide; dieser Vorgang bietet Gelegenheit zu mannigfachen Störungen 
des Nervensystems. Das Individuum wird mehr altruistisch und seine Hauptbestim¬ 
mung, welche früher in seiner eigenen Person concentrirt war, concentrirt sich jetzt 
nm Andere, ausserdem nehmen religiöse und sexuelle Vorstellungen die Psyche ein. 
Knaben unterliegen in dieser Periode eher geistigen Störungen als Mädchen, welch 
letztere in dem Bestehen der Menses ein gewisses Sicherheitsventil zu haben scheinen. 
Sexuelle Störungen sind meistentheils bei Psychosen dieser Art vorhanden, besonders 
Masturbation. Die Patienten sind ruhig und düster und führen ein abstraktes Leben. 
Hauptzweck der Behandlung muss daher sein, sie aus der Welt der Träume zu harter 
Muskelarbeit und zur Wirklichkeit zurückzuführen. Körperlich sehen die Patienten 
gewöhnlich blass und „überwacht“ aus. Der Ausbruch der geistigen Störungen 
der Adolescenz hat gewöhnlich die Form einer Manie, während der die Patienten 
sehr aggressiv und oft gemeingefährlich besonders gegen ihre Familie und die ihnen 
Nahestehenden sind. Gehörshallucinationen sind fast immer vorhanden, ebenso plötz¬ 
liche impulsive Handlungen. Wenn die Psychose in Form einer Melancholie aus¬ 
bricht, besteht Neigung zum Selbstmord, der besonders in dieser Form oft stark 
ausgesprochen ist; ausserdem bestehen Nahrungsverweigerung, Gehörshallucinationen 
und seltener Gesichtshallucinationen. Gewichtszunahme gilt als ausgezeichnetes Zeichen 
der Besserung. Die Behandlung soll demzufolge auch in reichlicher Ernährung be¬ 
stehen. Die Masturbation erfordert besondere Berücksichtigung. 

Die Geisteskrankheiten des Klimakteriums treten zwischen dem 40. und 50. Jahr 
auf. Häufig bestehen um diese Zeit bei den Patientinnen Kopfcongestionen, Geräusche 
in den Ohren, Kopfschmerzen, neuralgische und Verdauungsstörungen mannigfacher 
Art, häufig mit Verlust der geistigen Stabilität: das sind Warnungszeichen. Bricht 
in dieser Periode Geisteskrankheit aus, so ist sie charakterisirt durch anhaltende 
und tief eingewurzelte Wahnvorstellungen, und die Prognose ist daher ungünstig. 
Etwas sehr Gewöhnliches sind subacute maniakaliscbe Anfälle, die in einer gewissen 
Periodicität auftreten und dadurch mit dem Aufhören der Menses in Verbindung zu 


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sein scheinen. Aach hier sind Gehörs- and Gerachshallucinationen nicht selten. Die 
Behandlung muss besonders die Umstände berücksichtigen, unter denen die Psychose 
ausbrach. Leichte Muskelbewegung, Beschäftigung im Hause sind empfehlenswert!). 
Intern giebt man Purgativa, Brom und Tonica. Die Mehrzahl derartiger Patienten 
wird übrigens wegen der Neigung zum Selbstmord in Anstaltsbehandlung kommen. 
Bei Männern nimmt die Psychose in dieser Altersperiode oft eine hypochondrische 
Form an mit mannigfachen krankhaften Vorstellungen betreffs der Körperorgane. 
Häufig ist Mastkurbehandlung oder künstliche Ernährung nothwendig. 

Die senilen Psychosen brechen gewöhnlich bei Personen über 60 Jahren aus 
und sind besonders mit organischen Veränderungen am Herzen und an den Gefässen 
verbunden. Von den letzteren Veränderungen hängt auch wahrscheinlich die Atrophie 
der Hirnrinde ab. Die Hauptsymptome sind Verlust des Gedächtnisses, besonders 
für frische Ereignisse, kindisches Benehmen. Somatisch treten die Zeichen einer 
schlechten Circulation zu Tage. Allmählich werden die Patienten dementer, der Tod 
tritt entweder ein durch Hirnblutung, durch Erschöpfung, oder durch eine Lungen- 
affection. Nicht selten besteht geringer Eiweissgehalt im Urin. Streng zu trennen 
ist diese Form von der Demenz, welche bei alten Geisteskranken auftritt. 

Paul 8chuster. 


34) On arrested development and Little’s disease, by William G. Spiller, 
M. D. (Journal of nervous and mental disease. XXV. 1898. Febr. S. 81.) 
Verf. bespricht einen Fall von Idiotie, in dem Dr. Keen die Craniektomie auf 
der linken Schädelhälfte im Alter von 19 Monaten und 3 Monate später dieselbe 
Operation rechts ausgeführt hatte. Das Kind war ein rechtzeitig geborenes Mädchen 
von gesunden Eltern zeigte aber sogleich einen auffallend kleinen Kopf und eine 
bereits geschlossene Stirnfontanelle. Im Alter von 19 Monaten besass es einen Kopf- 
umfang von nur 360 mm; es konnte weder sitzen noch stehen, zeigte Contracturen 
der Fussflexoren, Fehlen der Patellarreflexe und war sonst völlig idiotisch. 

Im Alter von 6 Jahren starb das Kind plötzlich. Die Operationen hatten keine 
wesentliche Besserung in dem gesammten Zustande herbeigeführt trotz der sorg¬ 
fältigen Pflege in einer Idiotenanstalt. Aus dem mikroskopischem Hirnbefunde ist 
hier nur zu erwähnen, dass in den motorischen Centren, und besonders im Para¬ 
centrallappen die charakteristischen Kiesenzellen fast vollständig fehlten. Abgesehen 
von der Kleinheit des gesammten Centralnervensystems war es wohlgebildet. 

Dr. Keen giebt im Anschluss noch einen Ueberblick über die 18 von ihm 
operativ (durch lineare Craniektomie) behandelten Fälle von Idiotie. Es starben 
6 21,7 °/ 0 . 6 Kinder wurden gebessert, bei 7 war kein Erfolg zu bemerken. Er 

hat operirt bei Kindern im Alter von 18 Monaten bis zu 6 Jahren. Bei älteren 
Kindern, und dann bei Mikrocephalen höheren Grades überhaupt, nimmt Verf. auf 
Grund seiner Erfahrungen von einer Operation Abstand. An letztere muss immer 
eine sehr sorgfältige Erziehung in einer Idiotenanstalt angeschlossen werden. 

Sommer (Allenberg). 


Therapie. 

36) Die Behandlung der tuberculösen Wirbelentzündung auf Grund von 
700 Fällen, von Prof. Dollinger. (Stuttgart. 1896. Enke.) 

Indem Verf. bereits im Jahre 1892 seine Erfahrungen über die Behandlung 
tuberculöser Gelenke veröffentlicht hat und dort hervorhob, dass er dieselben all¬ 
mählich mit der Hand redressirt ohne Distractionsapparate und das erreichte Resultat 
mit Gypsverband, später mit einer abnehmbaren immobilisirenden Kapsel fixirt, be¬ 
zweckt er in dieser Arbeit zu demonstriren, in welcher Weise er das Princip der 
continuirlichen Fixirung auf die Behandlung der Wirbelentzündung erstreckt. 


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Hauptziele der Behandlung sind: 

1. Aufhebung der Entzündung und des Schmerzes durch Fixirung bei Tag 
mittelst eines Mieders, bei Nacht durch einen Lagerungsapparat, welche beide nach 
einem Gypsmodell angefertigt werden, 

2. die Verkrümmung zu verhindern durch zweckmässige Unterstützung der 
kranken Wirbelsäule. 

Betreffs der sinnreich construirten Apparate and anderer hauptsächlich Chirurgen 
interessirender Thatsachen müssen wir auf das lesenswerthe Original verweisen und 
uns auf die Lähmungen beschränken. Von den 700 Kranken des Verf. waren 41 
gelähmt. Davon entfallen auf den Halstheil 4, auf den Brusttheil 37. Die Spondylitis 
lähmung wird, wie allbekannt, selten von der durch die Verkrümmung verursachten 
Verengerung des Wirbelcanals verursacht, sondern in einer Hälfte der Fälle durch den 
das Bückenmark blutarm machenden Druck des epiduralen tuberculösen Exsudats, in 
der anderen Hälfte durch das Oedem des Bückenmarks, welches das die Lymph- 
strömung behindernde Exsudat hervorruft. Sobald das Exsudat reeorbirt ist, kehrt 
die Leistungsfähigkeit des Bückenmarks wieder zurück, besteht es hingegen längere 
Zeit, so entsteht Bückenmarkssklerose und die Lähmung wird eine beständige. 

Indem die operative Entfernung der Granulationen und des Exsudats den Er¬ 
wartungen gar nicht entsprach, und indem Verf. durch die oben kurz erwähnte 
Behandlung bei anderen tuberculös erkrankten Gelenken glänzende Erfolge zu ver¬ 
zeichnen hatte, lag der Gedanke nahe, dasselbe Princip auf die Wirbelsäule zu 
übertragen. Von den 41 gelähmten Fat. konnte Verf. nur 15 bis zu Ende beobachten; 
von diesen sind mittelst seiner Behandlungsweise 13 gänzlich geheilt 0. 


36) Zur operativen Behandlung der Spina bifida ooculta, von H. Maass. 

Demonstration in der freien Vereinigung der Chirurgen Berlins am 12. Juli 1897. 

(Deutsche med. Wochenschr. 1897. Nr. 47.) 

Das 3jähr. Mädchen stammt aus gesunder Familie: die Geburt war normal, die 
anfängliche Entwickelung gut Im 3. Monat bemerkt die Mutter, dass die Beine 
des Kindee stark gespreizt, nach aussen rotirt gehalten und fast gamicht bewegt 
worden; der linke Fuss soll von früh an blauroth verfärbt und kühl gewesen sein. 
Das Kind begann gegen Ende des 2. Jahres die ersten Gehversuche zu machen, 
konnte sich aber nie aufrecht halten, ohne unter den Armen gestützt zu werden; 
liess man es los, so fiel es sofort hin. 

Status (5. October): Gesund aussehendee Kind ohne nachweisbare Bachitis. 
Innere Organe gesund. Am Bücken eine die Lendenwirbelsäule überdeckende, flache, 
rundliche Geschwulst von ca. 8 cm Durchmesser, die seit der Geburt besteht und 
von normaler Haut bedeckt ist Circumskripte Hypertrichosis oberhalb der Geschwulst 
in Höhe des 12. Brustwirbels. Unter dem Haarbüschel fühlt man am 12. Brust¬ 
wirbel genau median einen Defect des betreffenden Wirbelbogens von ca. 1 cm Breite 
und seitlich die Dornfortsatzhücker der beiden getrennten Bogentheile, Weiter ab¬ 
wärts ist die Palpation durch die Geschwulst unmöglich. — Keine weiteren Miss¬ 
bildungen. In Horizontallage sind die Beine in den Hüftgelenken abducirt und nach 
aussen rotirt; links etwas Genu valgum, beiderseits starker Pes valgus, links ausser¬ 
dem leichte Equinusstellung. Verkürzung des linken Unterschenkels und Fusses, die 
Haut daselbst kühl, marmorirt, blauroth. Störung der Motilität an beiden Beinen, 
besonders links, starke spastische Widerstände bei passiven Bewegungen, Andeutung 
des rechten, Fehlen des linken Patellarreflexes. Grobe Sensibilität erhalten, elek¬ 
trische Beaction prompt. 

In Bücksicht auf die Thatsache, dass bei Spina bifida occulta organische 
Läsionen des Bückenmarks, besonders Bildungsstörungen vollkommen fehlen, die 
eventuell vorhandenen nervösen Störungen lediglich auf einer Drucklähmung der 


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intacten Medulla spinalis bezw. Cauda equina beruhen können, und auf den operativ 
geheilten Fall von Jones wurde die Operation vorgeschlagen und am 15./XII. 1896 
ausgeführt. Nach Loslösung eines bogenförmigen Hautlappens und Exstirpation der 
Oesch wulst (Lipom) lässt sich der Wirbelspalt gut ab tasten: er reicht vom untersten 
Brust* bis obersten Kreuzbeinwirbel und klafft in der Mitte fast 3 cm und ist durch 
eine fibrös-muskulöse Platte abgeschlossen, welche in der Mitte eine tiefe horizontale 
und je eine seichtere Furche lateralwärts aufweist. — Spaltung des Bandes nahe 
seiner linksseitigen Insertion, bis sich die Furchen vollkommen ansgleichen. Glatte 
Wundheilung. Erhebliche Besserung der Stellung und Motilität der unteren Extre¬ 
mitäten: die spastischen Widerstände sind vollkommen geschwunden, 
das Kind ist stundenlang auf den Beinen ohne hinzufallen. Die 
trophischen Störungen sind dagegen eher in Zunahme begriffen, es lag also wahr¬ 
scheinlich keine reine Compressionsmyelitis vor (Fehlen der Patellarrefiexe!), sondern 
es besteht eine — wenn auch geringfügige — organische Läsion der Centralorgane. 

Das Operationsresultat ist günstig und fordert — ebenso wie der Jones’sche 
Fall — zu einem gleichen Vorgehen in ähnlichen Fällen auf. 

B. Pfeiffer (Cassel). 


37) Ueber Bewegungstherapie bei Erkrankungen des Nervensystems, von 

Prof. Goldscheider. Aus dem städtischen Krankenbause Moabit in Berlin. 

Vortrag, gehalten in den Sitzungen des Vereins für innere Medicin vom 6. und 

13. December 1897. (Deutsche med. Wochenschr. 1898.) 

Zweck des sehr gehaltvollen Vortrags ist, das Interesse der Praktiker auf die 
Bewegungstheorie hinzulenken: „sie stellt ejn weites Feld wirksamer Be- 
thätigung für den Arzt dar; sie erfordert keine specialistischen Kennt¬ 
nisse, jeder Arzt ist nach den gegebenen Anweisungen im Stande, sie 
auszuüben; mögen die Aerzte sich nicht von geschäftigen Naturärzten 
diese Methode entreissen lassen.“ — Bei paraplectischen oder sehr herunter¬ 
gekommenen Tabikern ist grosse Vorsicht nöthig, oft erst vor Einleitung der Kur 
die Ernährung zu heben. Die Bewegungen dürfen anfangs nur gering sein, zunächst 
bei offenen, dann bei geschlossenen Augen gemacht werden, grosse Erholungspausen 
dazwischen treten. In leichteren Fällen ist die Verbesserung des Ganges das Wesent¬ 
liche: Geh- und Treffübungen können vielfach, unter Anderem unter Zuhülfenahme 
von Apparaten, variirt werden; die Hauptsache ist Ausdauer. Wenn der Tabiker 
nicht übt, so verlernt er die Präcision der Bewegungen. Gleichzeitig ist wichtig die 
Regulirung des Bewegungsmaasses; das Princip muss lauten: möglichst viel Be¬ 
wegung ohne Ueberanstrengung, mit grossen Buhepausen. Die That- 
sache, dass Tabiker oft kein Ermüdungsgefühl haben, ist zu berücksichtigen, mangelnde 
Energie der Patienten andrerseits zu heben. — Bei vorhandener Atonie empfiehlt es 
sich, fieissig nebenher zu elektrisiren und zu massiren, ferner die Gelenke durch 
Bandagen zu stützen. Anzustreben ist eine Besserung des Muskelsinnes, der Tabiker 
soll dahin gebracht werden, dass er womöglich eine Verfeinerung in der Perception 
selbst erreicht. Die Erfolge dieser auch an die Intelligenz der Kranken appellirenden 
Methode sind verschieden: in leichteren Tabesfällen nützt sie fast ohne Ausnahme 
wesentlich und kann unter Anderem selbst Paraplectische wieder gehfähig machen. — 
Die Bewegungstherapie beeinflusste günstig den Intentionstremor bei multipler 
Sklerose, den hysterischen Tremor jugendlicher, auch kindlicher Individuen, Fälle 
von Chorea und Athetose; ihre unter Anderem vorzüglichen Ergebnisse beim 
Schreibkrampf sind bekannt. — Spastische Contracturen nach cerebralen 
und spinalen Lähmungen bleiben durch Bewegnngstherapie ungebessert, diese wirkt 
dagegen günstig bei hysterischen Contracturen, bei der Muskelthätigkeit 
der multiplen Sklerose. Die Spannung verringert sich hier am meisten, wenn 


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die Glieder entlastet nnd die Bewegungen möglichst acut ausgefübrt werden. Ausser¬ 
ordentlich wichtig ist bei hochgradigen Paresen und Muskelatrophieen die 
Gymnastik im Wasserbade, welchem zweckmässig Salz zugesetzt wird, da der Auf¬ 
trieb mit zunehmender Concentration und höherem specifischen Gewicht des Wassers 
stärker wird. Die elektrische Bewegungstherapie bahnt den motorischen Impuls 
und wirkt dadurch erfolgreich: der Pat. muss gleichzeitig mit der elektrischen Beizung 
des Nerven oder Muskels activ mitbewegen (v. Leyden). — Ausserordentliche 
Triumphe feiert die Bewegungstherapie häufig bei Neuralgieen und schmerz¬ 
haften Gelenkaffectionen (nach Contusionen, abgelaufenem Gelenkrheumatis¬ 
mus u. 8. w.). Die Details des sehr wichtigen Vortrages sind im Originale nach- 
zulesen. R. Pfeiffer (Cassel). 


38) Ueber die compensatorisehe Uebungstherapie bei der Tabes dorsalis, 

von P. Jacob. Aus der I. medic. Universitätsklinik in Berlin, Geh. B. v. Leyden. 

Nach einem Vortrag auf dem XII. internationalen Congress zu Moskau und 

einem Vortrag im Verein für innere Medicin in Berlin. — (Deutsche med. 

Wochenschr. 1898. Nr. 8, 9 u. 10.) 

Um den Werth der Frenkel’schenMethode besser begründen zu können, bespricht 
Verf. die bei der Tabes während der letzten Decennien angewandten therapeutischen 
Methoden. Die localen Ableitungen sind heute fast völlig verlassen, höchstens 
kommen sie und zwar besonders Jodpinselungen und Charcot's Points de feu in Be¬ 
tracht zur Beseitigung localer Schmerzen. Eine richtig geleitete Balneotherapie 
kann das Allgemeinbefinden bessern, die subjectiven nervösen Beschwerden mildern, 
die sensiblen Bahnen anregen; der anatomische Process bleibt unbeeinflusst. Ein 
wohlthätiger anregender Einfluss auf die Nervenfunction kann sich auch bei einer 
vorsichtigen und sorgfältigen bydropathischen Cur bemerkbar machen. — Die 
Elektricität kann Paraesthesien, Gürtelgefühl u. s. w. beseitigen und auf die an¬ 
ästhetischen Partieen erregend ein wirken. Die Nervendehnung ist heute völlig 
aufgegeben, Motchutkowski’s Suspensionsmethode überflüssig und daher fast 
ganz aus der Therapie verschwunden, die Nervenausdehnung durch forcirte Dehnung 
und Beugung des Körpers (Bonuzzi, Blondei, Benedict) zu verwerfen. Die 
Methode von Gilles de la Tourette und Chip au lt ist zeitig nicht definitiv zu be- 
urtheilen. — Hessing ev. Paschen’sche Corsets können möglicher Weise einer 
stärkeren Erschlaffung der Bückenmuskeln entgegen arbeiten und dem Kranken einen 
besseren Halt geben. Die medicamentöse Therapie hat ausserordentlich viele 
Enttäuschungen gebracht. Was Quecksilber und Jodkali aniangt, so „geben selbst 
die eifrigsten Verfechter der Lehre von dem Zusammenhang der Tabes 
und Syphilis fast sämmtlich zu, dass eine wesentliche, bezw. specifische 
Besserung der Kückenmarksymptome durch die antiluetische Therapie 
nicht zu erzielen sei.“ Das Anrathen der Cur ist bequem, helfen wird sie aber 
niemals, geschweige den anatomischen Process zur Heilung führen, oft dagegen den 
Kranken schwächen. Die angeblichen Erfolge mit Sperminbehandlung sind wohl 
bei streng wissenschaftlicher Kritik sehr einzuschränken. Die hygienisch-diäte¬ 
tischen Maassnahmen sind sehr wichtig, gleichen aber den bei anderen chronischen 
Krankheiten angewandten. Wir besitzen kein Specificum, können ein solches auch 
kaum von der Zukunft erwarten, müssen daher im wesentlichen symptomatische 
Therapie treiben. Die compensatorisehe Uebungstherapie sucht die atactischen 
Störuugen zu bessern, sie gründet sich auf die heute Gemeingut aller Aerzte ge¬ 
wordene Leyden-Goldscheider’sche Theorie, die Lehre der „sensorischen Ataxie.“ 
Das Princip der Frenkel’scben Uebungen besteht darin, „in systematischer Weise 
dem Patienten, hauptsächlich unter Controlle seines Gesichtssinns, die Sicherheit in 
seinen Bewegungen wiederzugeben, welche er in Folge des Verlustes seines Be¬ 
wegungssinnes, bezw. in Folge des fehler- und mangelhaften Functionirens desselben 


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verloren hat“ — sie haben mit activer und passiver Gymnastik nichts za than, 
wollen vielmehr die incoordinirten Bewegungen zn coordinirten gestalten, das Gefühl 
der Unsicherheit dem Patienten nehmen, ihm Zntrauen zu sich selbst einflössen. 
Die Hauptbedingungen der Uebungstherapie sind: einmal die richtige 
und zweckmässige Einführung von Uebungen, welche zum Theil an ge* 
eigneten Apparaten vorgenommen werden mflssen, zweitens ein syste* 
matischer, von kundiger Seite dem Patienten erteilter Unterricht. 
Vorbedingungen sind guter Kräftezustand, ev. Correctur fehlerhafter Stellungen durch 
passende Verbände, Schienen, Corsets. Je nach dem Grade der Ataxie mflssen die 
Uebungen variiren: zur Erlernung möglichster Exactbeit und Präcision bei Ausfflhrung 
der Bewegungen hält Vortr. im Gegensatz zu Goldscheider und Anderen Apparate 
für erforderlich und demonstrirt eine Reihe derselben (Pendel* und Gitterapparat, 
Fusskegelspiel, Gehbretter, Laufbarren und Uebungstreppe). Die Uebungstherapie ist 
eine zeitraubende, keineswegs einfache, am besten von einem erfahrenen 
Nervenärzte zu leitende Methode. Niemals darf der Tabiker ohne ärztliche 
Aufsicht die Uebungen machen, niemals sich ausser in den Uebungsstunden viel 
allein bewegen. R. Pfeiffer (Cassel). 


SO) Beitrag zur Quecksilberbehandlung der multiplen Solerose, von Wil¬ 
helm Mühsam. (Inaug.-Dissert. 1897. Kiel.) 

Nach kurzer Besprechung der pathologischen Anatomie, sowie der klinischen 
Symptome der multiplen Sclerose geht Verf. zu der Therapie derselben Aber. Er 
berichtet Aber 10 Fälle, bei denen eine Schmierkur eingeleitet wurde. Bei 4 der¬ 
selben wurde eine erhebliche Besserung des ganzen Zustandes, bei anderen 4 eine 
Besserung einzelner Symptome erzielt, während 2 Fälle völlig unbeeinflusst blieben. 
Die Sensibilitätsstörungen sind in allen Fällen, wo sie bestanden, der Quecksilber¬ 
behandlung gewichen, ebenso die Kopfschmerzen und Schwindelanfälle. 

Kurt Mendel. 


m. Aus den Gesellschaften. 

Verein für Fsyohiatrie und Neurologie in Wien. 

Sitzung vom 11. Januar 1898. 

(Wiener klin. Wochenschr. 1898. Nr. 6.) 

v. Sölder demonstrirt eine Frau mit der Diagnose: Aneurysmen der Basilar- 
arterien des Gehirns. 

Die 40jährige Oekonomengattin hatte mit Ausnahme von Gelenkrheumatismus 
keine Erkrankung Qberstanden; im Jahre 1891 unbestimmtes Unwohlsein, dann 
plötzlich Auftreten einer linksseitigen Gesichtslähmung, näselnde Sprache und Schling¬ 
lähmung. Letztere Erscheinungen schwanden nach einigen Tagen. Gleichzeitig Auf¬ 
treten von Rauschen auf dem linken Ohre, das jetzt noch persistirt; die Hörschärfp 
nahm links allmählich ab. Seit mehreren Jahren zeitweilig auftretende Sehstörungen, 
Abnahme der Sehschärfe, Stirnkopfschmerz, links stärker wie rechts. 

Status praesens: Parese des linken Facialis, Zunge weicht nach rechts ab, 
hochgradige Sehstörungen, Lichtscheu, beiderseits Stauungspapille. Beim Gehen 
schwankt Pat. öfter nach der Seite, die Auscultation am Kopfe ergiebt ein musi¬ 
kalisches Geräusch, das rhythmisch und zwar synchron mit dem Puls anschwillt. Es 
ist oft nur rechts von der Mittellinie an einer umschriebenen Stelle der Hinterhaupt¬ 
schuppe zu hören. Exspirationsdruck verstärkt das Geräusch, Compression der 
Carotiden schwächt es ab bis zum Verschwinden. Keine anderen Symptome. 

Vortr. stellt die Diagnose auf Aneurysmen auf der Hirnbasis. Die subjective 
Gehörswahmehmung dürfte auf die Compression des N. acusticus zurückgeführt 

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werden, da keine Uebereinstimmung zwischen der von der Kranken gegebenen Schil¬ 
derung and dem anscnltatorisch festgestellten Geräusche besteht. 

Infeld stellt einen Fall von Tabes mit centralen Sensibilitätsdefeoten 
im Gesiohte vor. 

49 jähriger Kranker mit allen typischen Symptomen der Tabes und linksseitiger 
Hypoglossuslähmung. Hochgradige Arthropathie in beiden Kiefergelenken und in 
beiden Schultergelenken, besonders im rechten; hochgradige Störungen der Sensibilität 
an den oberen Extremitäten. Der centrale Sensibilitätsdefect im Gesichte umfasst 
zwei Gebiete, von denen eins am Nasenr&cken dem N. infratrochlearis, das andere 
am Nasenflügel einem Zweige des N. infraorbitalis, dem zweiten Trigeminusaste, ent¬ 
spricht. Die Form der Sensibilitätsstörung ist eine sehr seltene. 

Hofrath v. Krafft-Ebing: Ueber Ecmnesie. 

Vortr. erinnert an hypnotische Experimente, bei denen es sich um suggestive 
Rückversetzung in eine frühere Lebensperiode handelte. Er habe einen ganz analogen 
Fall gesehen, in welchem die Zustände spontan aufgetreten sind. 

21jähr. Dienstmädchen, hereditär belastet, bekam 1893 nach starken Gemüths- 
bewegungen Lethargusanfalle mit nachfolgendem delirantem Zustande. Goncentrische 
Gesichtsfeldeinengnng, Druckpunkte. Im Anschlüsse an eine zu therapeutischen 
Zwecken unternommene Hypnose trat ein transitorischer, psychischer Ausnahmszustand 
ein, in welchem sich die Kranke in ihr 10. Lebensjahr zurückversetzt glaubt, im 
Übrigen aber lucid ist; für alles, was sich nach ihrem 10. Lebensjahre zugetragen 
hat, ist ihre Erinnerung vollständig ausgelöscht, für jene Lebensphase und weiter 
rückwärts aber vollkommen prompt. Solche Zustände von Ecmnesie wiederholten 
sich oft im Anschlüsse an Lethargus oder Hypnose. Ausbleiben der Anfälle nach 
hypnotischer Behandlung. Seit kurzem nach Gemüthsbewegungen hysterische Attaquen, 
aber keine spontanen ecmnestischen Zustände; dieselben lassen sich aber durch 
Suggestion in Hypnose hervorrufen. 

Vortr. demonstrirt diesen Zustand an der Kranken und knüpft daran allgemeine 
Ausführungen über Ecmnesie. (Wird ausführlich an anderem Orte veröffentlicht.) 


Sitzung vom 8. Februar 1898. 

(Wiener klin. Wochenschr. 1898. Nr. 8.) 

v. Sölder demonstrirt einen Fall von krampfhaften, associirten Mitbewegungen 
eines Oberlides bei Bulbusbewegungen. 

Bei einer 33jährigen Frau waren vor einem Jahre unter schweren cerebralen 
Allgemeinsymptomen am linken Auge Ptosis und mehrfache Augenmuskellähmungen 
plötzlich aufgetreten, wovon sich gegenwärtig noch Parese in allen Aesten des Oculo- 
motorius und im Abducens nach weisen lässt. Die vollständige Hebung des gesenkten 
Lides ist an die Adduction und an die intendirte Senkung des Auges geknüpft, 
ebenso der prompte Ablauf des Lidschlages. 

Elzholz: Ueber Corcinompsyohosen. 

Vortr. berichtet über 3 Fälle von Psychosen im Endstadium carcinomatöser 
Leiden. Diese Psychosen sind sehr selten und in der Litteratur fast gar nicht be¬ 
rücksichtigt, besonders betont Vortr. das Fehlen jeden Hinweises auf die ätiologische 
Bedeutung des Carcinoms für Psychosen in der Litteratur der Inanitionspsychosen. 

Die 3 Fälle betreffen hereditär weder mit Geistes-, noch mit Nervenkrankheiten 
behaftete Individuen, die bis zum Ausbruche ihrer Carcinomerkrankung kein ernsteres 
Leiden durchzumachen hatten. In dem einen Falle handelte es sich um Garcinom 
der Lungenspitze mit secundärem der mediastinalen und bronchialen Lymphdrüsen 


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und Metastasen in der Lendenwirbelsäale ohne weitere somatische Complicationen. 
Im 2. Falle war ein Magencarcinom mit Stenosirnng des Doctns choledochns und 
Icterus gravis, im 3. ein verjauchtes Carcinom des Bectums mit jauchiger Periproc- 
titis, Phlegmone an beiden Leistengegenden und parenchymatöse Nephritis vorhanden. 

Trotz der Complicationen in den beiden letzten Fällen glaubt Vortr. einen Zu¬ 
sammenhang zwischen Carcinom und Psychose auch hier annehmen zu dürfen, weil 
die bei Icterus gravis sonst zur Beobachtung gelangenden Psychosen anders geartet 
sind als die vorliegenden, und weil im zweiten Falle die Psychose 2 Monate vor 
dem Exitus zum Ausbruche kam, bevor sich noch Eiterungs- und Jauchungsproceese 
und Infiltrationen entwickelt hatten. In beiden Fällen wurde eine degenerative Er¬ 
krankung der hinteren Wurzeln und eine diffuse Verbreitung der degenerativen Vor¬ 
gänge in den langen Bückenmarksbahnen constatirt. 

In allen drei Fällen wechselten Zeiten, in denen die Kranken klar oder nahezu 
klar sind, mit Phasen ab, in denen sie hochgradig verwirrt und unbesinnlich waren; 
in den Bemissionen finden sich auch gewisse gemeinschaftliche Eigentümlichkeiten. 
Die Kranken erschienen klar, jedoch verwirren sich bei lange fortgesetztem Examen 
ihre Gedanken, die Gedächtnissleistung nimmt ab, und sie versinken in einen ab¬ 
springenden, ungeordneten Gedankengang. Längere Inanspruchnahme der Aufmerk¬ 
samkeit hatte eine Ermüdung und Erschöpfung der correcten Ideeenassociation zur 
Folge; der Grundton der Gemütsstimmung war während der Dauer der delirösen 
Verwirrtheit ein depressiver, von zeitweiligen ängstlichen Aufregungen accentnirter. 
Die Kranken äusserten Todesangst, Lebensüberdruss; der eine unternahm einen Selbst¬ 
mordversuch. Bezüglich des Zusammenhanges zwischen Carcinom und Psychose wären 
für im Intestinaltractus localisirte Carcinome Autointoxicationen denkbar, für anders 
wo vorkommende Krebse könnte man an eine Aenderung des Lymphstromes, an 
übermässigen Abfluss der Lymphe aus dem Gewebe des Gehirns in die Blutbahn 
(im Sinne der Grawitz’schen Lehre) denken, dadurch würde eine Unterernährung 
des Gehirns gesetzt. 

Sternberg würde gegenüber dem vom Vortr. gegebenen Erklärungsversuche 
die Annahme einer directen Einwirkung des Carcinomgiftes auf das Centralnerven¬ 
system bevorzugen. 

Hofrath v. Krafft-Ebing äussert sich in gleichem Sinne. 

Sitzung vom 19. April 1898. 

(Wiener klin. Wochenschr. 1898. Nr. 17.) 

J. Bedlich demonstrirt Präparate einer miliaren Sklerose der Hirnrinde 
bei seniler Atrophie. 

Dieselben entstammen einem Falle von vorgeschrittener seniler Demenz mit 
Sprachstörungen und epileptischen Anfällen. Die Section ergab allgemeine Hirn¬ 
atrophie ohne Erweichungsherde. Bei der mikroskopischen Untersuchung zeigten sich 
ausser den der senilen Atrophie zukommenden typischen Veränderungen (Atrophie 
der Ganglienzellen und Nervenfasern, vermehrtem Auftreten von Spinnenzellen in der 
Hirnrinde) ungemein zahlreiche, mikroskopisch kleine Verdichtungsherde, die Vortr. 
als miliare Sklerose bezeichnet und dieselben dahin auffasst, dass nach aufgetretener 
Gliawucherung in Form feinster Fäserchen es zu DegenerationsVorgängen in der ge¬ 
wucherten Glia komme (Homogenisirung, körniger Zerfall). Am ausgesprochensten 
waren die Veränderungen im Stirnlappen, in der Broca’schen Windung und der 
linken ersten Schläfenwindung, während sie in den Stammganglien, sowie überhaupt 
im Hirnstamm und dem Kleinhirn fehlten. Dies weist auf einen gewissen Zusammen¬ 
hang zwischen den atrophischen Vorgängen an den nervösen Elementen der Binde 
und dem Auftreten der miliaren Sklerose hin. Vortr. konnte denselben Befund in 


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minder ausgesprochenem Grade auch in zwei anderen Fällen von seniler Demenz 
erheben. 

Vortr. demonstrirt ferner einen Fall von 3 faoher Missbildung des unteren 
Rückenmarksendes. 

Bei einem Fände mit Spina bifida und rechtsseitigem Klumpfuss zeigte die 
Untersuchung einen Foetus in foetu. Bei der mikroskopischen Untersuchung ergab 
sich, dass das untere Backenmarksende 3 fach angelegt war. Es fanden sich zwei 
annähernd regelmässig miteinander verwachsene Rückenmarke, die dem ausgewachsenen 
Kinde angehören, wobei Zweitheilnng des RQckenmarks (Diastematomyelie) mit der 
Spina bifida zusammenhängt. Das dritte unregelmässige Backenmark gehört dem 
Foetus in foetu an. Vom Lendenmark nach aufwärts findet sich bloss ein Rücken¬ 
mark vor, dessen rechte Hälfte deutlich kleiner ist als die linke. Ein Kunstproduct 
ist absolut ausgeschlossen, da nirgends auch nur eine Andeutung von Quetschungs¬ 
vorgängen vorhanden ist. 

Vortr. erörtert kurz die Frage der Abhängigkeit des angeborenen Klnmpfusses 
von spinalen Veränderungen. 

S. Erben: Ueber ein Pulsphänomen bei Neurasthenie. 

Lässt man Neurastheniker niederhocken oder sich tief bücken, so setzen nach 
einigen Pulsschlägen plötzlich charakteristische Vaguspulse (verlangsamte, stark ge¬ 
spannte Pulse) ein. Nach 4—10 solchen Pulsen geht diese Verlangsamung in eine 
vorübergehende Pulsbeschleunigung über. Auch starkes Rückwärtsbeugen des Kopfes 
hat mitunter diesen Effect. Wiederholung des Versuchs macht das Phänomen zumeist 
weniger deutlich; der Athem darf vom Kranken nicht angehalten werden. Wahr¬ 
scheinlich wird der passagere Vagusreiz durch das Einsetzen venöser Hirnhyperämie 
producirt und nicht durch mechanische Reizung des Vagusstammes am Halse oder 
durch reflectorische Beeinflussung des Vaguscentrums vom Bauche aus. Auch die 
Erhöhung des Blutdruckes scheint nicht die Ursache der Vagusreizung zu sein. 

Das Phänomen konnte Vortr. nur bei Neurasthenikern, bei verschiedenen 
Psychosen finden, dagegen nicht bei nervengesunden Menschen, fiebernden oder ander¬ 
weitig erkrankten, auch nicht bei Morbus Basedowii und Tabes, so dass demselben 
eine differential-diagnostische Bedeutung zukommt. 

Prof. Wagner meint, dass eine reflectorische Reizung durch Blntdracksteigerung 
vorliege, indem die Vagusendigungen im Herzen gereizt werden. Die Versuche des 
Vortr. schliessen Blutdrucksteigerung als Ursache der Pulsverlangsamung nicht aus, 
während die an dem Kranken vorgenommenen Proceduren geeignet sind, Blutdruck¬ 
steigerung hervorzurnfen, und zwar durch Compression der Baucheingeweide. Die 
Versuche des Vortr. beweisen das Vorhandensein einer gesteigerten Erregbarkeit des 
Vaguscentrums. Die Art und Weise der Reizung ist nach der Ansicht W.’s eine 
reflectorische und nicht eine directe, wie auch aus den Pulscurven des Vortr. hervor¬ 
gehe, welche zeigen, dass die Pulsverlangsamung eine vorübergehende sei. 

H. Schlesinger (Wien). 


IV. Bibliographie. 

Die Bedeutung der Reize ftir Pathologie und Therapie im Lichte der 
Neuronlehre, von Goldscheider. (1898. Leipzig. Johann Ambrosius Barth.) 

Die vorliegende Arbeit des Verf.’s, welche sich eng anschliesst an die in früheren 
Vorträgen und Schriften von dem Verf. niedergelegten Gedanken, behandelt in einer 
Reihe von Kapiteln: die Nenronschwelle, die pathologischen Veränderungen der 
Neoron8chwellen, die Beziehung der Reize zur fortschreitenden Degeneration, die 
gegenseitige Beeinflussung der im Nervensystem ablaufenden Erregungen durch 


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Bahnung und Hemmung, die Bedeutung der Reize fflr die Therapie, sowie die Ein¬ 
wirkung der Reize auf das Krankheitsgefühl. 

Bisher ist das Neuron im Wesentlichen nur in seinem Charakter als anatomische 
Einheit betrachtet worden. Verf. geht einen Schritt weiter und betrachtet es als 
functioneile Einheit. Er führt dabei einen neuen Begriff ein: die Neuronschwelle. 
Unter der Neuronschwelle versteht der Verf. diejenige Höhe der Erregung, welche 
in einem Neuron vorhanden sein muss, damit auf das angegliederte Neuron ein Reiz 
ausgeübt wird. Die Annahme jener Neuronschwelle bildet die Grundlage für die in 
den weiteren Kapiteln enthaltenen Ansführungen. 

Nach der früheren Anschauung war man genöthigt den Widerstand, welcher für 
gewöhnlich der Reizverbreitnng im Nervensystem Schranken setzt, auf den Act des 
Uebertretens der Erregung vom Axencylinder in die Nervenzelle zu verlegen. Jetzt 
muss man annehmen, dass der genannte Widerstand da zu suchen ist, wo die Er¬ 
regung von einem Neuron auf das andere geht. 

Es ist sicher, dass die Schwellenwerthe der Neurone ganz verschieden sind. 
Ob sie ursprünglich von gleicher Grösse angelegt sind, entzieht sich der Beurtheilung. 
Durch den Gebrauch (vorausgesetzt dass die Stärke der Erregung nicht zu gross 
ist), verfeinert sich die Neuronschwelle: hierauf beruht das Ausschleifen einer Bahn. 
Gebahnte Neurone leiten schneller. 

Die Fortleitung der Nervenerregung wird durch die Höhe der Neuronschwellen 
bestimmt. Das heisst: die Neurone mit tiefer Schwelle werden bevorzugt, da sie 
am wenigsten Widerstand bieten. Krankhafte Vertiefung der Schwelle ist Ueber- 
empfindlichkeit des Neurons: Hyperästhesie oder Hyperkinese. Normalerweise wird 
die Neuronschwelle durch die Aufmerksamkeit erniedrigt. 

Die Unterempfindlichkeit der Neurone, d. i. die Erhöhung der Neuronschwelle, 
findet sich bei Vergiftungen, Degenerationsprocessen, hysterischer Anästhesie u. dergL 

ln dem Kapitel über das Trauma und die Neuronschwelle sind besonders inter¬ 
essant die Ausführungen betreffs der psychischen Genese vieler traumatischer Nerven¬ 
krankheiten. Es kann nicht zweifelhaft sein, dass die Ansicht des Verfi’s die richtige 
ist (was auch Oppenheim schon gelegentlich einer Discussion in der Charite- 
Gesellschaft betont hat), dass die von Charcot angenommene psychogenetische Ent¬ 
wickelung jener Krankheiten für eine grosse Reihe von Fällen nicht zutrifft. In 
diesen letzteren Fällen handelt es sich vielmehr um eine unmittelbare Wirkung des 
Traumas, indem die Erregbarkeit der Neurone unmittelbar durch die Erschütterung 
alterirt und diese Erregung bis zu den Centralorganen fortgepflanzt wird. Hinzutreten 
mag dann allerdings auch in manchen dieser Fälle noch die Entwickelung psychischer 
Störungen. 

Die nach Gehirnerschütterungen auftretende retrograde Amnesie erklärt der Verf. 
durch eine directe Erschütterung und dadurch geschaffene Erregbarkeitsherabsetzung 
von cerebralen Neuronen. Am stärksten werden dabei diejenigen Neurone getroffen, 
welche an und für sich schon eine geringe Erregbarkeit hatten: das sind die wenig 
geübten. Die am wenigst geübten sind nun aber die frisch eingeschliffenen Bahnen 
für die jüngsten Gedächtnisseindiücke. (Bei dieser Erklärung macht Verf. die [aller¬ 
dings erst zu beweisende] Annahme, dass für die Festigkeit und Lebhaftigkeit eines 
Gedächtnisseindruckes, d. i. für die Höhe der Neuronschwelle der in Anspruch ge¬ 
nommenen Neurone, nur die Uebung und Einschleifung der Neurone maassgebend sei. 
Dem widerspricht jedoch der Umstand, dass manche Gedächtnisseindrücke unabhängig 
von der Zeit ihrer Anlage und dem Grade ihrer Reproductionsfähigkeit offenbar von 
Hause aus durch den primären Reiz viel fester angelegt sind, als andere gleichzeitig 
erworbene. Der Ref.) 

In dem Abschnitt von der Bedeutung der Reize für die Therapie bringt Verf. 
eine Fülle von Beobachtungen, die zwar bisher meist gut gekannt, aber schlecht 
oder gar nicht erklärt schienen. An der Hand der neuen Erklärungen verlieren 

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jene Beobachtangen in einleuchtender und zwangloser Waise ihr bisheriges Dunkel 
und reihen sich scheinbar von selbst ein unter einen grossen allgemeinen Gesichts¬ 
punkt. 

Die künstlich gesetzten Hautreize werden von dem obigen Gesichtspunkte aus 
eingehend gewürdigt. Dabei spricht sich Verf. gegen die Allerweltserklärang vom 
Schaffen einer Hyperämie oder Anämie aus, ohne natürlich diese Erklärung ganz 
missen zu wollen. Die Bahnung und Hemmung durch jene applicirten Hautreize 
sind vielmehr viel wichtigere Prindpien zur Erklärung ihrer therapeutischen 
Wirkungen. 

Die Behandlung durch Elektricität, durch Massage, durch Uebungs- und Com- 
pensationsverfahren verdankt einen grossen Theil ihrer physiologischen Bedeutung 
und therapeutischen Wirkung dem Gesetz der Hemmung und Bahnung durch appli- 
cirte Haut- u. s. w. Beize. 

Der Baum gestattet uns nicht auf alle anderen Kapitel des geistvollen Werkes 
genügend einzugehen: besonders das Kapitel über die gegenseitige Beeinflussung der 
Beize sei jedoch einer aufmerksamen Lectüre empfohlen. 

Das vorliegende Buch wird jedem eine Quelle der Anregung bieten und ihm 
den Weg zeigen, wie eine grosse Beihe sowohl von täglich beobachteten und des¬ 
halb als „selbstverständlich“ angesehenen Dingen, als noch von Symptomen seltener 
und scheinbar widersinniger oder gar scheinbar vorgetäuschter Art ihre Erklärung 
finden können. 

In ihrer Gesammtheit bildet die Arbeit des Verf.’s einen Beitrag zu der auch 
auf anderen Gebieten der Medicin geschehenen Behabilitation der Empirie auf Grund 
ihrer Erklärung durch die Daten der Anatomie und Physiologie. 

Pani Schuster (Berlin). 


Die nervösen Erkrankungen der Blase, von Prof. Dr. L/v. Frankl-Hoch - 
wart und Dr. 0. Zuckerkandl. (Handbuch der speciellen Pathologie und 
Therapie, von H. Nothnagel, Wien 1898. Alfred Hölder.) 

Die ungemein werthvolle Arbeit basirt auf umfangreichen eigenen Untersuchungen 
und der genauen Kenntniss der einschlägigen Litteratur. Die obengenannten Er¬ 
krankungen werden zum ersten Male monographisch dargestellt. Die eigenen Unter¬ 
suchungen der Autoren beziehen sich auf 200 Fälle von nervösen Blasenstörungen, 
welche sie an der Klinik Nothnagel beobachtet haben. 

Die anatomischen Verhältnisse der Blase werden kurz auseinander gesetzt und 
dann die Art des Verschlusses der letzteren erörtert. Die Verff. nehmen an, dass der¬ 
selbe durch permanenten Tonus des glatten Sphincter internus zu Stande kommt, 
während die quergestreiften Muskeln erst bei stärkerem Harndrang functioniren. Die 
Austreibung des Harnes erfolgt durch die willkürliche Erschlaffung des Sphincters, 
di« Baucbpresse tritt nur nach erfolgter Eröffnung des Sphincters in Thätigkeit. Die 
Thierversuche der Antoren, welche in Uebereinstimmung mit denen von Zeissl sind, 
unterstützen diese Anschauung. Bezüglich der Lehre vom Harndrange schliessen 
sich die Autoren der von Duyon vertretenen Anschauung an, nach welcher der 
Harndrang ein Contractionsgefühl ist. Manometrische Messungen, welche von den 
Verff. behufs des Studiums dieser Frage unternommen wurden, haben gezeigt, dass 
die erste geringe Drucksteigerung der Blasendehnung i. e. der Vergrösserung 
des Volumens entspricht; man kann dieselbe auch an der Cadaverblase demonstriren. 
Erst die höheren Drnckwerthe entsprechen der Contraction und tritt auch mit dieser 
das Gefühl des Harndrangs auf. Zwei weitere Versuchsreihen stützen diese An¬ 
schauung und sprechen gegen die Meinung von Küss, dass der Harndrang durch 
Eindringen einzelner Tropfen aus der vollen Blase in die Pars prostatica zu Stande 
kommt und dass von diesem Theile aus die specifiscbe Empfindung ausgelöst wird. 


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Aus diesen Versuchsreihen heben wir die wichtige Thateache hervor, dass es bei 
systematischen Untersuchungen spinaler Kranker sich zeigte, dass manche dieser 
Patienten normalen Harndrang bei mangelnder Sensibilität des genannten Harnröhren* 
antlieiles hatten, und andererseits Kranke ohne Harndrang völlig normale Sensibilität 
der Pars prostatica zeigten. 

Der zweite Abschnitt behandelt die allgemeine Symptomatologie. Die Autoren 
fahren die Differentialdiagnose gegenüber den localen Erkrankungen und zwischen 
den einzelnen Formen der nervösen Affectionen durch. Die Bedeutung der Schmerzen, 
die Wichtigkeit der Steigerung und der Herabsetzung des Harndrangs, die Ursachen 
der nervösen Dysurie und Harnverhaltung werden eingehend besprochen. Bei letzterer 
Affection meinen die Autoren, dass den Paresen eine grössere Bedeutung zukomme 
als dem Krampfe. 

Die Harnincontinenz wird eingehend behandelt Zuerst beschreiben die Verff. 
das paralytische Harnträufeln; neben dieser Form besteht zweifellos nach den Aus¬ 
föhrungen der Verff. bei spinalen Erkrankungen auch eine Incontinenz ohne Retention. 
Eine specielle Form der Incontinenz stellt weiterhin das unwillkürliche Abgehen 
grösserer oder geringerer Mengen von Harn; es kommt dann zumeist zu plötzlichem 
Harndurchbruch in normalem Strahle. Dies Phänomen findet sich bei benommenen 
oder auch bei nicht benommenen Kranken. — Bei der hypertonischen Blase werden 
in Folge einer Ueberregbarkeit des Detrusors auch kleine Harnmengen auf äussere 
Beize hin ausgestossen. Die Ausdrückbarkeit der Blase wird in ihrer klinischen 
Wichtigkeit entsprechend gewürdigt. 

In dem umfangreichen speciellen Theile werden zuerst die centralen Verände¬ 
rungen, welche Blasenstörungen veranlassen, besprochen, die Lage des Blasencentrums, 
die Bedeutung der vesicalen Störungen für die Segmentdiagnose des Bückenmarkes 
klargelegt. Eine wesentliche klinische Bereicherung bringt die Mittheilung von 
4 neuen, genau beobachteten Fällen von Blasenerkrankungen. An etwa 70 Fällen 
haben die Verff. das klinische Bild der Blasenerkrankungen bei Tabes dorsalis studirt 
und schildern dieselben eingehend. Hieran schliessen sich die von den Autoren er¬ 
hobenen Befunde bei progressiver Paralyse, multipler Sklerose, Syringomyelie, Häma- 
tomyelie und anderen Bückenmarkserkrankungen an. Eine kurze Uebersicht über 
die cerebralen und peripheren Blasenerkrankungen ist diesem Capitol angereiht. 

Es gelangen sodann die Neurosen zur Besprechung. Von neurasthenischen 
.Blasenstörungen sind besonders die Pollakiurie und die psychische Betention hervor¬ 
zuheben, während sehr selten echte Formen der Betention zur Beobachtung gelangen; 
Harnträufeln kommt bei dieser Erkrankung nicht vor. Die hysterische Blasenstörung 
documentirt sich sehr häufig durch Harnverhaltung. — Bei der Besprechung der 
Enuresis nocturna stellen sich die Verff. auf den Standpunkt, dass dieselbe durch die 
Mangelhaftigkeit des Sphinctertonus zustande komme. 

In dem Capitel „Therapie“ werden die verschiedenen Verfahren (Sondenkur, 
Elektrotherapie, Massage, hydriatische Behandlung, innere Medication) auseinander¬ 
gesetzt und die Indicationen zum therapeutischen Eingriffe bei den verschiedenen 
Erkrankungen angegeben. Den Schluss der vorzüglichen Arbeit bildet eine Ueber¬ 
sicht der Litteratur. H. Schlesinger (Wien). 

V. Berichtigung. 

Id Nr. 13 d. Centralbl., S. 582, Z. 2 von unten liess: „Bergamottöl“ statt Carbol* 

xylol. 

üm Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten. 

Einsendungen lür die Redaction sind zu richten an Prof. Dr. E. Mendel, 

Berlin, NW. Schiffbauerdamm 20. 

Verlag von Veit & Comp, in Leipzig. — Druck von Metzgeb & Wittig in Leipzig. 

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Neurologisches Centralblatt. 


Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie 
und Therapie des Nervensystems einschliesslich der Geisteskrankheiten. 

Heraasgegeben von 

Professor Dr. E. Mendel 

Siebzehnter “ B * rlln * Jahrgang. 

Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 24 Mark. Zu beziehen durch 
alle Buchhandlungen des In- und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Beichs, sowie 

direct von der Verlagsbuchhandlung. 

1898. 1. August__ Nr. 15. 


Inhalt: I. Originalmittheilungen. 1. Die Arteriosklerose des Gehirns, von Prof. 
P. J. Kovalevsky. 2. Ueber nervöse und psychische Störungen bei Gummiarbeitern (Schwefel¬ 
kohlenstoffvergiftung), von Dr. Rudolf Laudenheimer. 8 . Radialislahmung nach epileptischen 
Anfallen, von Dr. Adler. 4. Ein Fall von spinaler Monoplegie des rechten Beines, von Dr. 

Julius Well. 

II. Referate. Anatomie. 1. Nervenmark- und Axencylindertropfen , von Neumann. 
2. Sur les ganglions spinaux, par Cavazzani. S. Weitere Untersuchungen im Gebiete der 
centralen Endigungen des 10. Paares der Gehirnnerven, von Ossipow. — Experimentelle 
Physiologie. 4. Sülle alterazioni delle cellule nervöse neir ipertermia sperimentale, per 
Lugaro. 5. Lesioni degli elementi nervosi neir avellenamento sperimentale per nitrato 
d’argento, per Donaggio. 6. I. Motorische Functionen hinterer Spinalnervenwurzeln, von 
Steinach und Wiener. II. Ueber die viscero-motorischen Functionen der Hinterwurzeln und 
über die tonische Hemmungswirkung der Medulla oblongata auf den Darm des Frosches, 
von Steinbach. 7. Zur Frage über die corticalen Ceptra des Dickdarms, von Ossipow. — 
Pathologische Anatomie. 8. Ueber miliare Sklerose der Hirnrinde bei seniler Atrophie, 
von Redlich. 9. On the structural alterations observed in nerve cells, by Warrington. 
10. Beitrag zur pathologischen Anatomie des Centralnervensystems bei der acuten Anämie, 
von Scagllosi. 11. La corteccia cerebrale di nn delinquente paranoico. Nota istologia per 
Angioletia. — Pathologie des Nervensystems. 12. L’etat aigu de la paralysie in¬ 
fantile, par Modln. 13. Alte infantile Poliomyelitis mit folgender spinaler Muskelatrophie, 
von Langnor. 14. Ueber progressive Muskelatrophie nach cerebraler Kinderlähmung, von 
Bisping. 15. Ueber Complication spinaler Kinderlähmung mit progressiver Muskelatrophie, 
von Filbry. 16. Sülle distrofie muscolari progressive, per d’Abundo. 17. Sopra un caso 
di miopatia atrofica progressiva con partecipazione di un muscolo oculare, per Lombroso. 
18. Idioglossia associated with pseudo-hypertrophic paralysis, by Guthrie. 19. Amiotrofia 
idiopatica a corso rapidissimo svolta si durante l primi mesi della vita, per Mya e Luisaela. 
20. Kecherches histo-pathologiques sur Y6 tat des centres nerveux dans la commotion thora- 
cique et abdominale experimentales, par Parascandolo. 21. Een geval van traumatische 
porencephalie, door Graanboom. 22. Neuroglioma cerebrale in segnito a trauraa al capo, per 
Carrara. 28. Ein Fall von traumatischer, amyotrophischer Lateralsklerose am untersten 
Theile des Kückenmarks, von Goldberg. 24. Ueber chronische ankylosirende Entzündung der 
Wirbelsäule, von Bäumler. 25. L’osteomyelite vertebrale, par Chipault. 26. Ueber „Muskel¬ 
schwund“ Unfallverletzter mit besonderer Berücksichtigung der oberen Extremitäten, von 
Firgau. 27. La contracture hystero-traumatique des massöters, par Verhoogen. 28. Een geval 
van traumatische Hystero-epilepsie, door Jacob! en Lamberts. 29. Kicerche batteriologiche 
nel delirio acuto, per C. Ceni. — Therapie. 30. Bijdrag tot de kennis der thyreoidea- 
behandeling by psychosen, door BIJI. 31. Ueber Anwendung von Schilddrüsenpräparaten 
bei Geisteskrankheiten, von Gerwer. 

III. Aus den Gesellschaften. Berliner Gesellschaft für Psychiatrie und Nervenkrank¬ 
heiten. — Wissenschaftliche Versammlung der Aerzte der St. Petersburger Klinik für Nerven- 
und Geisteskranke. 


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I. Originalmittheilungen. 


1. Die Arteriosklerose des Gehirns. 

Von Prof. P. J. Kovalevsky. 

Gegenwärtig unterscheiden wir zwei Gruppen von Krankheiten des Gehirns: 
organische und functioneile. Eine solche Eintheilung erscheint natürlich als 
gezwungen, doch entspricht sie der Lage der Dinge, und so lange wir nicht im 
Stande sind, alle Krankheiten des Centralnervensystems auf scharfbegrenzte 
organische Erkrankungen zurückzuführen, müssen wir nolens volens die Be¬ 
zeichnung „functioneile Leiden“ beibehalten. 

Unter den organischen Krankheiten des Gehirns ist ein Theil bis auf die 
kleinsten Details erforscht; in Bezug auf den anderen dagegen reicht unsere 
Erkenntniss kaum über die Anfangsgründe hinaus. Die Feststellung der Dia¬ 
gnose einer organischen Hirnerkrankung muss zweierlei Anforderungen genügen: 
die Diagnose muss eine typische und eine topische sein, d. h. zuerst müssen wir 
feststellen, welcher Art der Krankheitsprocess ist, der statthat, und dann den 
Ort genau begrenzen, auf dem sich der Frocess abspielt. 

Eine Anzahl organischer Gehirnkrankheiten ist uns so gut bekannt, dass 
wir den Anforderungen der Diagnose nach beiden Richtungen hin genügen 
können, die Symptomatologie der anderen dagegen ist weder in typischer noch 
topischer Hinsicht genügend erforscht. Zu den ersteren gehören die Hirnblutung 
und die Neubildungen im Gehirn, weniger bekannt sind die Processe, die der 
Encephalitis zu Grunde liegen, obwohl auch die Symptomatologie der letzteren 
uns allmählich klarer wird, seit man angefangen hat, vom allgemeinen Bilde 
der Encephalitis die Poliencephalitis u. a. abzutrennen. Sehr wenig erforscht 
in typischer wie in topischer Beziehung sind die Atheromatose und Arterio¬ 
sklerose des Gehirns. Erst in letzter Zeit beginnt man diesen Processen mehr 
Aufmerksamkeit zuzuwenden, und es steht zu erhoffen, dass es den gemeinsamen 
Bemühungen gelingen wird, auch über dieselben Klarheit zu gewinnen. 

Eingehend mit der Arteriosklerose beschäftigt sich Grasset. 1 Er unter¬ 
sucht die Erscheinungen des Schwindels und unterscheidet einen acuten und 
einen chronischen Schwindel. Der acute Schwindel ist sehr häufig von zufälligen 
Ursachen abhängig, so kommt er z. B. bei acuten Erkrankungen vor u. s. w.; 
beim chronischen Schwindel unterscheidet Grasset 3 Arten: den epileptischen, 
den sensorischen oder die Meniöre’sche Krankheit und den digestiven. Hierhin 
rechnet er auch den cardio-vasculären Schwindel oder den Schwindel der an 
Arteriosklerose Leidenden. In letzterem Falle beobachtet man einfachen Schwindel 


1 Grassbt, Du vertige cardio-vasculaire ou vertige des artdriosclöreux. 1890. 

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oder Schwindel gleichzeitig mit epileptiformen Ohnmachtsanfallen. Einer def 
Patienten Gbabbet’s hatte einen Puls von 25—30 Schlägen in der Minute. 
Wenn der Puls noch langsamer wurde, fiel der Patient in Ohnmacht. Nach 
der Meinung Gbasset’s werden diese Erscheinungen verursacht durch Arterio¬ 
sklerose des verlängerten Markes. Der Arteriosklerose geht eine Hypertension 
der Gefasse vorher, weiche durch langdauernden Gebrauch von Jodpräparaten 
und Amylnitrit beseitigt werden kann. 

Mendel 1 sagt u. a. bei Besprechung der verschiedenen Formen des 
Schwindels, dass bei Sklerose der Hirnarterien der Schwindel als erstes Zeichen 
des sich vorbereitenden Ereignisses auftrete. Bei langsamer Entwickelung der 
Arteriosklerose tritt der Schwindel später auf, bei schnellerem Entstehen kann 
er schon sehr frühzeitig bemerkt werden. Mendel empfiehlt bei Schwindel in 
Folge von Arteriosklerose anhaltenden Gebrauch von Jodkalium und Ergotin. 

Regis* macht auf das häufige Auftreten von Neurasthenie bei Arterio¬ 
sklerose aufmerksam, wobei die einzelnen Fälle einander sehr ähnlich sind. 
Nicht immer gelingt es in solchen Fällen die Arteriosklerose nacbzuweisen, wenn 
sie sich in der präarteriellen Periode befindet. Diese Periode könnte man die 
neurastheniscbe Periode der Arteriosklerose oder Atheromatose nennen. Während 
derselben finden sich häufig Ohrensausen, Schwindel, Störungen von Seiten des 
Gefässsystems und des Herzens und in geringerem Maasse Blasenstörungen. 
Unzweifelhaft ist in vielen solcher Fälle die Neurasthenie eine Folge von Intoxi- 
cation und Infection und muss als ein Erschöpfungszustand angesehen werden 
in Folge von Ernährungsstörungen, die sich hauptsächlich im Nervensystem 
abspielen. Die Arteriosklerose entsteht aus denselben Ursachen, und man 
kann sagen, dass Neurasthenie und Arteriosklerose eine gemeinsame Ursache 
haben — die Ernährungsstörung. So bedingt bei der Arthritis dieselbe sowohl 
die Neurasthenie, wie die Arteriosklerose, entweder gleichzeitig oder zeitlich von 
einander getrennt. Nach der Meinung von Regis ist die Neurasthenie viel 
häufiger mit der Arteriosklerose verbunden, als man glaubt, ohne Unterschied 
ob es sich um angeborene oder erworbene handelt, latente oder voll zu Tage 
tretende und in allen ähnlichen Fällen wird die Heilung der Arteriosklerose auch 
die Heilung der Neurasthenie bedingen. 

Hutchings 3 erweitert einigermaassen das klinische Bild der Arteriosklerose. 
Den krankhaften Erscheinungen des Centralnervensystems bei der Arteriosklerose 
liegt eine Ernährungsstörung der Nervenzellen zu Grunde, bedingt durch Ver¬ 
dickung der Gefässwände, wobei eo ipso auch die Function der Zellen leidet. 
Die Folge davon ist in erster Linie eine Abschwächung der geistigen Thätigkeit, 
ferner beobachtet man Schwindel, Ohnmachtsanfälle und Sprachstörungen. Daher 
sei es wichtig, möglichst frühzeitig die Arteriosklerose der Hirngefasse zu dia- 


1 Mendel, Ueber den Schwindel. Berliner klin. Wochenschr. 1895. 

* Regie, Neurasthenie et arterioscläroBe. Presse mädicale. 1896. 

* Hutchings, Mental symptoniB associated with arterioscleroses. State hospital bulle- 
tins. 1896. 


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gnosticiren und durch rechtzeitigen Eingriff die möglichen schlimmen Folgen zu 
beseitigen; die Untersuchung der Augen und der Aorta ist daher immer in 
solchen Fällen vorzunehmen. 

Lapinsei 1 untersuchte die entarteten grossen Hirngefässe der Basis und 
auch die Capillaren; hierbei erwies sich, dass die Capillaren der Hirnrinde nur 
selten unversehrt bleiben, in den meisten Fällen befinden sich ihre Wände im 
Zustande der trüben Schwellung oder der körnigen Entartung. Die Veränderung 
der Capillarwände ging gleichzeitig einher mit bedeutender Verengerung des 
(Jelasslumens bis zu völligem Verschluss desselben, wobei in einigen Fällen 
dieser Zustand sowohl durch die Verdickung der Wände, als auch durch den 
Verlust der Elasticität derselben bedingt war. 

GAN 90 N * stimmt Grabset darin bei, dass bei Sklerotikern Anfidle von 
Schwindel häufig sind, einfacher Schwindel, Schwindel gleichzeitig mit epilepti- 
formen Attaquen und Schwindel mit permanent langsamem Pulse. In welcher 
Form der Schwindel auch auftritt, so begleitet er doch häufiger die latente Form 
der Arteriosklerose, zu einer Zeit, wo letztere sich noch äusserlich nicht kund 
giebt; daher muss beim ersten Auftreten des Schwindels schon energisch ein¬ 
gegriffen werden, zu einer Zeit, wo es noch zuweilen gelingt, den Gang der 
Krankheit aufzuhalten und weitere Veränderungen in den Gefassen zu verhüten. 

Betrb’ beschrieb einige Fälle von Arteriosklerose des Gehirns, welche 
grosse Aehnlichkeit mit progressiver Paralyse hatten. Die Krankheit trat auf 
im Alter von 50—55 Jahren mit apoplectischen Insulten; der Ausgang trat 
gewöhnlich nach 4 Jahren ein. Der Verfasser nannte die Krankheit Dementia 
apoplectioa und unterschied sie von der Dementia paralytica und Dementia senilis 
hauptsächlich dadurch, dass bei ihr der Schwachsinn schubweise sich fort¬ 
entwickelt und keinen so hohen Grad erreicht, wie bei den erwähnten Krank¬ 
heiten — die Kranken sind viel weniger dement, als es auf den ersten Blick 
scheint. Euphorie kommt auch hier vor, auch die Neigung, unglaubliche Ge¬ 
schehnisse als Thatsachen hinzustellen, doch fehlt diesen die Grandiosität. Beyer 
bekennt selbst, dass es zur Zeit unmöglich ist, das Krankheitsbild der Dementia 
apoplectica genau zu formuliren, dennoch hat es soviel Eigenthümliches, dass es 
mit Recht als besondere Krankheit aufgefasst werden kann. 

Nobburg 4 in seiner Betrachtung der verschiedenen Bedingungen für die 
Entstehung der Dementia senilis weist auf die Arteriosklerose als auf eine der 
Ursachen hin. 

Endlich spricht sichABNAüD 6 auf dem Congresse der französischen Psychiater 
in Toulouse, bei der Besprechung der Diagnose der progressiven Paralyse, dahin 

1 Lapinski, Zar Frage Aber den Zustand der Capillaren der Hirnrinde bei der Arterio¬ 
sklerose der grossen Qefasse. Wratsch 1896. 

* Gar^on, Vertige des artdriosclöreux. 1897. 

* Bira, Ueber psychische Störungen bei Arteriosklerose. Centralblatt f. Nervenheil¬ 
kunde. 1896. 

4 Norbdbo, Arterio-sclerosis as it affects the brain and Bpinal cord. Journal of medi- 
cine and surgery. 1897. 

5 Abraud, Diagnostic du paralysie gönöral. Gazette bebdomadaire. 1897. 

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aas, dass im Greisenalter die Arteriosklerose häufig die Erscheinungen der Paralyse 
vortäuscht, besonders durch Störungen der Sprache und des Gedächtnisses. 

Ich hatte Gelegenheit eine Reihe von Fällen von Arteriosklerose des Gehirns 
zu beobachten und erlaube mir drei von ihnen hier wiederzugeben: 


Fall I. P., 70 Jahre alt, aus Sibirien. Die Eltern des Kranken waren voll¬ 
ständig gesunde Lente, Geschwister und Kinder des Kranken zeigten keine krank¬ 
haften Erscheinungen. Schon früh als Kind trat Pat. in einen sehr schweren Dienst 
an einem Fabrikcomptoir. Zufällig lernte er, der Bauernknabe, lesen und schreiben, 
und, da er sich als geschickt und vernflnftig erwies, machte er schnell Carriöre. 
Mit 35 Jahren war Pat. Hauptverwalter grosser fürstlicher Besitzlichkeiten und 
siedelte nach Petersburg über, dem Centrum seiner Thätigkeit. Nach der Heirath 
führte er ein streng sittliches Leben und trieb weder Alkohol-, noch Tabakmissbrauch. 
Nur selten, während des Jahrmarktes in Nishny-Nowgorod trank er zuweilen and 
dann auch nur mässig. Geschlechtlich ist er nie krank gewesen. Als junger Mann 
litt er an Fieberanfällen; irgend eine andere Krankheit hat er nicht durchgemacht 
So verlief sein Leben in Mühe und Arbeit bis zum 70. Lebensjahr. Vor l 1 /, Jahren 
fiel es Pat. auf, dass sein Gedächtniss schwächer wurde. Oft vergase er das eine 
und das andere und konnte sich nicht solcher Dinge entsinnen, von denen es un¬ 
möglich schien, sie zu vergessen. Bald traten Anfälle von Schwindel hinzu. Diese 
Anfalle traten nicht nur bei schnellen Aenderungen der Körperstellung auf, wie z. B. 
beim Aufrichten des Körpers aus geneigter Stellung, beim Niedersitzen, bei schnellen 
Wendungen nach der einen oder anderen Seite, sondern auch in vollständig ruhiger 
Lage des Körpers. Während der Pat. ruhig sitzt, wird ihm plötzlich schwindelig, 
er bekommt das Gefühl, als ob er die Besinnung verlöre, die Stirn bedeckt sich mit 
Schweiss; nach einem Moment ist alles vorüber. Zuweilen dauert der Anfall bis zu 
einer Minute, bewusstlos wird der Kranke nie. Diese Erscheinungen waren nicht 
häufig; ein bis zwei Mal monatlich. Hierzu gesellte sich bald schwankender Gang. 
Die Gedächtnisschwäche nahm immer mehr zu, es trat Ohrensausen auf, Obstipation, 
welche gewöhnlich 3—4 Tage anhielt. Anfangs waren die Beschwerden gering; 
9 Monate nach Beginn der Krankheit verschlimmerte sich das Leiden beträchtlich. 
Der Schlaf war gestört; am Morgen beim Erwachen hat der Pat das Gefühl, als ob 
alles von Nebel umhüllt wäre. Er sieht die Gegenstände, doch scheint ihm, als ob 
sich etwas zwischen ihm und den Gegenständen befände, die Geräusche scheinen ihm 
aus weiter Ferne zu kommen. Das dauert gewöhnlich 1—2 Stunden und vergeht 
vollständig. Zuweilen trat dieser Zustand einige Stunden nach dem Erwachen auf 
und hielt bis 6 Stunden an. Er trat auch nicht alle Tage auf, sondern in 3—4 Tagen 
ein Mal. Hierzu gesellte sich ein unbestimmtes Gefühl von Angst, meistens Morgens, 
welches bald den Schwindel, bald das Gefühl von Umneblung begleitete. Zuletzt 
erschienen neben den gewöhnlichen Schwindelanfällen auch heftigere, begleitet von 
Ohnmachtsgefühl, Uebelkeit, Umfallen und zuweilen Bewusstseinsverlust. Solche 
Anfälle waren nicht sehr häufig und dauerten 10—20 Minuten. In diesem Zustande 
wandte sich Pat. an mich. 

Bei der Untersuchung ergab sich: 

Pat. ist ein hochgewachsener Mann von kräftigem Körperbau. Die rechte 
Wange hängt ein wenig, die Pupillen etwas erweitert, gleichmässig, ihre Beaction 
prompt; die Zunge zittert leicht, die rechte Nasolabialfurche seichter und etwas ab¬ 
gewichen. Die Sprache undeutlich, Andeutung von Silbenstolpern. Die Arterien an 
den Schläfen sklerotisch. Der ophthalmoskopische Befund zeigt Ausbuchtungen, sowie 
starke Schlängelung der Papillararterie; Gesichtsfeld, Licht- und Farbenwahmehmung 
normal; Zeichen von Presbyopie. Die Gehörschärfe des rechten Ohres = 26 c., die 
des linken 20 c. Das Gesicht wird bald roth, bald bleich. Die Arterien der oberen 


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Extremitäten sklerotisirt. Die vasomotorischen Reflexe der Haut erhöht Die Grenzen 
des linken Ventrikels etwas erweitert; Accentuation des zweiten Tones; der Pols 

hart und springend, 40—50 in der Minute. Von Seiten der Lungen, Leber und 
Milz nichts Erwähnenswerthes. Keine pathologischen Bestandteile im Harn. Die 
Sehnenphänomene an oberen und unteren Extremitäten etwas abgeschwächt. Kein 
Romberg. Das Gedächtniss hat bedeutend gelitten, sowohl in Bezug auf die Fähig* 
keit Eindrücke zu behalten, als wie längst geschehene zu reproduciren. Auch die 
Combinationsfahigkeit ist beeinträchtigt Anfälle von Angst, Gefühl von Umneblung, 
Schlaflosigkeit und Unruhe. Verordnet wurden Jodpräparate, Cardiaca, leichte Exci- 
tantien, Ableitung auf den Nacken (Cauterisation) und Darm; strenge Diät und 

horizontale Lagerung. Nach einem Monat besserten sich alle Erscheinungen, der 
Schlaf wurde besser, die Asymmetrie des Gesichts verschwand, die Sprache ist frei, 
die Intelligenz nicht gestört, das Gedächtniss besser, Schwindel, Gefühl von Angst 
und Umneblung seltener und leichter. Im Laufe der Zeit nur ein Anfall von Schwindel 
mit Bewusstseinsverlust Im nächsten Monat waren die Anfälle von Schwindel und 
Schwanken selten, Gefühl von Umneblung trat nicht auf. Intelligenz dauernd gut. 
Verordnet wurde Sodae carbon. 10,0, Acidi lactici 10,0, Aq. dest 200,0 3 Esslöffel 
täglich. Keine Aenderung im Befinden. Rückkehr zur früheren Kur. Der Pat. 

fühlt sich gesunder, ist vollständig arbeitsfähig. 

Fall IL Baron U., 67 Jahre alt Gutsbesitzer, Wittwer. Der Vater des Pat. 
ist vollständig gesund, die Mutter eine nertöse Person, zwei Brüder sind psychisch 
krank. Vor 35 Jahren machte Pat. Syphilis durch, wurde häufig mit Quecksilber 

und Jod behandelt. Die Frau hatte zwei Fehlgeburten, drei Kinder starben frühzeitig 
an Convulsionen; zwei Söhne sind gesund. Ausser der Syphilis litt Pat. bis zu 
seinem 63. Jahre an keiner Krankheit. Mässiger Alkoholgenuss. Mit 63 Jahren 
machte Pat. Influenza durch, nach welcher er nicht vollständig gesund wurde. Es 
stellten sich Anfälle von Schwindel ein, jeder solcher Anfall dauerte 20—25 Min. 
und war von Ohnmachtgefühl begleitet. Gleichzeitig traten auf: Ohrensausen, Ge¬ 
dächtnisschwäche, Schlaflosigkeit, Angstanfälle; auch die Intelligenz litt zusehends. 
Das dauerte 8 Monate, bald besser, bald schlimmer werdend. Um diese Zeit, ohne 
äussere Veranlassung, ein apoplectischer Insult mit Bewusstseinsverlust, nach welchem 
eine Parese der rechten Körperhälfte und der Sprache zurückblieb, die nach 3 bis 
5 Tagen unter dem Einfluss leichter Jodpräparate zurückgingen. Nach 2 Monaten 
ein zweiter Schlaganfall, der aber schwächer war als der erste und nicht von pare- 
trnchen Erscheinungen begleitet war. Die Insulte wiederholten sich nicht mehr, alle 
anderen Erscheinungen dagegen verblieben und wurden immer stärker. Hierzu kam 
die Angst, ohnmächtig zu werden, und die Furcht, allein auszugehen, oder zu fahren. 
Zuweilen Schwanken beim Gehen. 

Bei der Untersuchung erwies sich folgendes: 

Pat. ist hochgewachsen, von kräftigem Körperbau; die rechte Pupille ist enger 
als die linke, Reaction der Pupillen prompt, leichte, fast unbemerkbare Asymmetrie 
des Gesichts, Arteriosklerose der Arterien an der Schläfe und den oberen Extremi¬ 
täten. Vergrösserung des linken Vorhofs und Accentuation des zweiten Tones; 
springender Puls, 56—60 in der Minute. Schlängelung der Arterien am Augen¬ 
hintergrund; Obstipation, Erhöhung der Reflexe auf der rechten Körperhälfte. Der 
Pat. ist schwatzhaft, kann seine Gedanken nicht klar und bestimmt hervorbringen, 
sondern gebraucht übermässig viele Umschreibungen und Einleitungen. Der Pat. 
verblieb unter meiner Beobachtung nur kurze Zeit. 

Fall III. Frau P., 62 Jahre alt, verheirathet. Der Vater war vollständig 
gesund, die Mutter eine nervöse Person. Hat ein Mal fehlgeboren, ein Sohn leidet 
an Migräne; drei Töchter sind sehr nervös, eine von ihnen leidet gleichfalls an 

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Migräne. Bis zu ihrem 58. Lebensjahre war Pat. vollständig gesund; rauchte sehr 
viel. Vor 12 Jahren Schmerzanfälle in den unteren Extremitäten, wobei letztere sich 
mit rothen Flecken bedeckten. Nach 3 Jahren hörten diese Anfälle auf. Seit 
4 Jahren Ohrensausen und Schwindel. Das Gehör wurde allmählich schlechter. 
Hierzu kamen Angstanfälle, Schlaflosigkeit und leichte Gedächtnissschwäche. Alle 
diese Erscheinungen waren nicht besonders ausgeprägt und Pat. ertrug sie geduldig. 
Aber vor 2 Jahren begannen ausser den gewöhnlichen Anfällen auch solche heftigster 
Natur aufzutreten, begleitet von Zucken der Stirn, Angst, Ohnmachtsgefühl, Gefühl 
als ob sich alles um sie drehe, Pfeifen in den Ohren und gegen Ende Erbrechen. 
Während des Anfalls hört und versteht Pat. alles, kann aber nicht antworten. Der 
ganze Anfall dauert 1—3 Stunden. Nach demselben bleibt Schwäche und Zerschlagen¬ 
heit des ganzen Körpers zurück. Neigung znm Lachen und Weinen. Dieser Zustand 
dauert ungefähr 2 Stunden. Im letzten Jahre wurden diese Anfälle häufiger. Schwindel 
und Angstgefühl waren fast beständig vorhanden und Pat. fühlte sich sehr schlecht. 

Die Untersuchung ergab: 

Kleingewachsene, kräftig gebaute Person. Schlängelung der Arterien an der 
Schläfe und am Augenhintergrund. Arteriosklerose der Armarterien. Gehörschärfe 
am rechten Ohr 20 c., am linken 18 c.; die hervorgestreckte Zunge zittert ein wenig. 
Der linke Ventrikel vergrössert; springender Puls, 60 in der Minute. Häufige 
Obstipation. Auf den Schenkeln geringe gelbbraune Pigmentation. Leichte Herab¬ 
setzung der Sehnenreflexe. Unter dem Einfluss von Jodpräparaten mit Herzmitteln 
wurde der Zustand bedeutend besser. Es blieb nur Ohrensausen zurück und die 
Furcht, dass die Anfälle sich wiederholen könnten. 

Diese 8 Fälle zeigen gemeinsam folgende Erscheinungen: 

Sklerose der Arterien des Augenhintergrundes, der Schläfen und der oberen 
Extremitäten, Vergrösserung des linken Ventrikels, Accentuation des zweiten 
Tones und verlangsamten Puls bis auf 40—60 Schläge. Die symptomatischen 
Erscheinungen sind stets folgende: Ohrensausen, mehr oder weniger beständiger 
Schwindel, besonders heftige Anfälle von Schwindel, in Art von epileptiformen, 
Ohnmachtsgefühl, Angstanfälle, Abschwächung des Gehörs, Gedächtnissschwäche, 
Schlaflosigkeit und Obstipation. Dieselben Erscheinungen, die in den drei vor¬ 
liegenden Fällen so ausgeprägt waren, habe ich auch in anderen dieser Art 
beobachtet. Ausserdem kamen in meinen Fällen zur Beobachtung: Schwäche 
der Intelligenz, Silbenstolpem, apoplectiforme Anfälle mit Bewusstseinsverlust 
und sogar mit restirenden Paresen; Gefühl der Umneblung, Schwanken beim 
Gehen. In anderen Fällen konnte ich noch das eine oder andere Symptom 
beobachten, die in den einzelnen Fällen verschieden waren. 

Die erste Gruppe der krankhaften Erscheinungen scheint beständig zu sein 
und allen Fällen gemeinsam zuzukommen, eine zweite ist bei verschiedenen 
Kranken verschieden. Ich glaube, dass die erste Gruppe durch den Process in 
den Arterien selbst bedingt ist und die Gruppe der für die Arteriosklerose des 
Gehirns typischen Erscheinungen ausmacht, während die zweite Gruppe in Ab¬ 
hängigkeit davon steht, welche Stelle des Centralnervensystems besonders be¬ 
troffen ist, also als die Gruppe der für diese Krankheit charakteristischen 
topischen Erscheinungen aufgefasst werden kann. 


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Vor kurzem hat Rumpf 1 ein neues Verfahren für die Behandlung der 
Arteriosklerose vorgeschlagen, ein Verfahren, welches die vollste Aufmerksamkeit 
verdient, wenn es auch nicht ganz die Erwartungen des Verfassers erfüllen 
sollte. Die Arteriosklerose bedeutet einen Process in den Wänden der Arterien, 
der darin besteht, dass in den aufgelockerten Gefässwänden Kalksalze abgelagert 
werden. Daher muss die Behandlung der Arteriosklerose folgende Haupt¬ 
bedingungen erfüllen: 1. die Menge der mit der Speise in den Organismus ein¬ 
geführten Kalksalze vermindern, 2. die Arterien decalciniren und das Salz aus 
dem Körper ausführen. Ersteres wird durch die Diät erreicht Gewöhnlich 
wird Herzkranken reichliche Milchdiät verordnet Rumpf hält dieses bei der 
Arteriosklerose für gänzlich unzulässig, da die Milch grosse Mengen Kalksalze 
enthält; daher empfiehlt er nicht nur nicht den reichlichen Gebrauch von Milch 
bei dieser Krankheit, sondern schlägt vor, sie ganz zu vermeiden. Statt dessen 
empfiehlt er folgende Diät: 

Fleisch 250,0 Kartoffeln 100,0 

Brot 100,0 Obst 100,0 

Fisch 100,0. 

Hierzu kann man noch etwas Butter und Zucker hinzufügen. Ausserdem kann 
man statt des Obstes Gemüse geben. Eine solche Zusammensetzung der Speisen 
enthält 10 Mal weniger Kalk, als die Milchdiät, und empfiehlt sich daher bei 
der Arteriosklerose besonders. Ausser der Milch verbietet Rumpf solchen Kranken 
Käse, Eier, Rüben, Reis und Spinat Als Getränk empfiehlt er destillirtes oder 
gekochtes Wasser. 

Was die medicamentöse Behandlung anbetrifft, so wurde schon früher 
(SaxiKOWBky, Hoppjb-Seyleb u. A.) auf die verstärkte Kalkabsonderung aus dem 
Organismus bei subcutanem Gebrauch von Calomel. subl. corros. und hydrarg. 
jodat. hingewiesen. Eine gleiche Wirkung erzeugen Kali acetic., Acid. oxalic., 
viele Diuretica und Milchsäure. Ebenso bewirkt das Hungern die verstärkte 
Ausscheidung von Kalksalzen aus dem Organismus. Rumpf räth zu folgender 
Verordnung: Natri carb. 10,0 

Acid. lactici q. s. ad satur. 

Aq. destill. 200,0. 

Nach seiner Meinung bewirkt eine solche Behandlung nebst angegebener Diät 
eine verstärkte Ausscheidung von Kalk aus dem Körper, bis zu 50—52°/ 0 - 

Ich habe bei einen meiner Patienten die Behandlung nach Rumpf während 
eines Monats durchgeführt, ohne irgend einen Erfolg zu sehen. Auch in anderen 
Fällen von Arteriosklerose und hauptsächlich bei Angina pectoris, für welche 
Rumpf seine Methode der Behandlung besonders empfiehlt, habe ich keine be¬ 
sonders guten Resultate damit erzielt Doch bedarf es zur Entscheidung über 
diesen Punkt längerer und zahlreicherer Beobachtungen. 

Ich sah günstige Erfolge bei der Arteriosklerose nach Verordnung von 
Jodaten bei streng geregelter Lebensweise. 

1 Rümpf, Ueber die Behandlung der mit Gefässverkalkuug einhergehenden Störungen 
der Horzthätigkeit. Berliner klin. Wochenschr. 1897. 

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[Aus der psychiatrischen und Nervenklinik der Universität Leipzig.] 
(Director: Geheimrath Prof. Dr. Flechsig.) 

2. Ueber nervöse und psychische Störungen bei Gummi¬ 
arbeitern (Schwefelkohlenstoffvergiftung). 1 

Von Dr. Rudolf Laudenheimer, 

U. Amt der Klinik. 

Die Kenntniss der Schädigungen, denen die Gummiarbeiter ausgesetzt 
sind, ist fast so alt wie die Gummiindustrie selbst. Mitte der 50 er Jahre 
wurde in Paris zuerst ein Verfahren angewandt, das dem Gummi durch Ein¬ 
tauchen von Flüssigkeit in CS 2 eine ausserordentlich erhöhte Elasticität und 
Widerstandsfähigkeit verlieh und so erst die Verwendbarkeit des Gummis zu un¬ 
zähligen technischen und Gebrauchsgegenständen ermöglichte. Man hatte anfangs 
offenbar keine Kenntniss von der heimtückischen Wirkung des schon bei Zimmer¬ 
temperatur flüchtigen, stark riechenden Körpers, und so setzten sich Arbeiter 
wie Fabrikanten ohne jede Vorsichtsmaassregel den giftigen Dünsten aus. In 
Folge dessen häuften sich bald die Fälle schweren, theils unheilbaren Siech¬ 
thums bei Leuten, die mit dem Eintauchen der Gummifabrikate in CS 2 -Dämpfe 
(dem sogen. Vulcanisiren) zu thun hatten, und Delpech, der zuerst diese Er¬ 
krankungen als Giftwirkung des CS 2 erkannte, konnte bereits 1860 eine Casuistik 
von 24 Fällen veröffentlichen. Dass diese Casuistik bisher die grösste geblieben 
ist, ist vorwiegend dem Umstande zu danken, dass Delpeoh’s eindringliche 
Mahnung eine Reihe von hygienischen Vorkehrungen gegen die Einathmung 
der CS a -Dämpfe in Frankreich veranlasst hat. Wenn ich nun heute trotzdem 
im Stande bin, mich auf ein Material von mehr als 50 innerhalb der letzten 
13 Jahre in Leipzig vorgekommenen Intoxicationsfälle zu stützen, so liegt das 
nicht sowohl an etwaigen ungünstigen hygienischen Bedingungen des Industrie¬ 
bezirks, als vielmehr daran, dass sich die Zahl der in Leipzig beschäftigten 
Gummiarbeiter in den letzten 15 Jahren durch den Aufschwung der Industrie 
fast verzehnfacht hat, und jetzt an 1000 beträgt Von diesen ist allerdings 
höchstens der 4. Theil mit Vulcanisiren beschäftigt, während die übrigen Arbeiter, 
dank der vollständigen gesetzlich vorgeschriebenen Abtrennung der Vulcanisir- 
räume von den übrigen Fabriklocalitäten, nicht mit Schwefelkohlenstoff in Be¬ 
rührung kommen. Die seit Delpech erfolgten Veröffentlichungen sind so 
vereinzelt, dass man diese Gewerbekrankheit als eine Rarität ansehen musste. 
Meines Erachtens liegt dies nicht an der Seltenheit der Erkrankungen, sondern 
vielmehr an der geringen Verbreitung der Kenntniss dieser Krankheit unter den 
Aerzten. Die Erkennung der ursächlichen Natur des Leidens wird erschwert 


1 Vortrag, gehalten auf der III. WanderrerBammlung mitteldeutscher Psychiater and 
Neurologen za Jena am 1. Mai 1898. Die ausföhrliche Mittheilung der zahlreichen Kranken¬ 
geschichten erfolgt später. 

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durch die mannigfaltigen, scheinbar regellosen Erscheinungsformen der 
CS 2 -In toxica tion. 

Man muss eine relativ grosse Anzahl von Fällen gesehen haben, ehe man 
eine vollständige Symptomatologie aufstellen und die Construction von constanten 
klinischen Krankheitsbildern versuchen kann. 

Gemeinsam sind sämmtlichen Fällen eine Reihe von Prodromalerscheinungen, 
die sich meist bereits in den ersten Tagen nach dem Eintritt in den Vulcanisir- 
raum bei den erkrankten Arbeitern zeigten, oft auch bei solchen, bei denen 
schwerere Vergiftungserscheinungen späterhin ausbleiben. Die Leute klagen über 
Schläfenkopfweh, eingenommenen Kopf, Appetitlosigkeit und Brechneigung, letztere 
öfter dadurch bedingt, dass alle Speisen nach Schwefel zu schmecken scheinen; 
Schwindel und unsicherer Gang treten nicht selten noch hinzu. Bei einem 
Theil der Leute bleibt es bei diesen relativ geringfügigen Beschwerden, die sich 
im Anfang überdies bald nach der Entfernung des Arbeiters aus dem Vulcanisir- 
saal zu verlieren pflegen, und es findet eine gewisse Angewöhnung an das Gift 
oder Abstumpfung gegen die Beschwerden statt Ein anderer, nicht geringer 
Theil der Arbeiter, wird durch die genannten Störungen veranlasst, seine Be¬ 
schäftigung aufzugeben, woraus sich die häufig gehörte Klage der Fabrikanten 
über die starke Fluctuation des Arbeiterpersonals im Vulcanisirbetrieb, trotz 
relativ hohen Lohnes, erklärt Bei einem dritten Theil der Arbeiter endlich 
steigern sich die oben geschilderten Prodromalsymptome rasch zu schwereren Ver¬ 
giftungserscheinungen, die den Kranken in der Regel dem Arzt oder dem 
Krankenhaus zuführen. 

Mein Material setzt sich zusammen aus 25 in der Leipziger psychiatrischen 
Klinik beobachteten Fällen, aus 18 Kranken der medicinischen Klinik, deren 
Krankengeschichten mir Herr Geheimrath Cübschmann in liberalster Weise 
zur Benutzung überliess, wofür ich ihm an dieser Stelle nochmals meinen Dank 
ausspreche, ferner aus einer kleineren Anzahl von Patienten, über die mir die 
Herren Collegen Dr. Habnapp und Dr. Reiteb in Plagwitz so liebenswürdig 
waren zu berichten. 

Bei der folgenden Besprechung der einzelnen von mir beobachteten Krank¬ 
heitsformen muss ich in Anbetracht der kurzen mir zur Verfügung stehenden 
Zeit mich begnügen, die Krankheitsbilder in allgemeinen Umrissen zu skizziren, 
indem ich mir die ausführliche Mittheilung der Krankengeschichten für eine 
spätere umfangreichere Veröffentlichung Vorbehalte. 

Die durch CS 2 verursachten Erkrankungen theilt man zweckmässig ein in: 

I. Allgemein-somatische Störungen. 

II. Nervöse Störungen, bei denen a) locale, bezw. neuritische Affectionen 
und b) Neurosen zu unterscheiden sind. 

HI. Psychische Störungen. 

L Die allgemein-somatischen Störungen interessiren hier nur insoweit, als 
sie fast constante und charakteristische Merkmale jeder CS 2 -Vergiftung bilden 
und deshalb zur Sicherung der Diagnose bei den beiden folgenden Gruppen 
Verwendung finden. 


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Fast an allen Schleimhäuten verursacht die Einwirkung der CS 2 -Dämpfe 
chronische Katarrhe und andere Functionsstörungen. Rachencatarrh, Angina, 
hartnäckige, zuweilen fieberhafte Bronchitis, Gastritis und Enteritis sind häufig, 
Obstipation findet sich fast regelmässig. 

Bindehautkatarrhe, Oedem der Lider und Erytheme des Gesichtes scheinen 
besonders bei Leuten vorzukommen, die durch Kurzsichtigkeit gezwungen sind, 
sich sehr nahe über die CS 2 -Gefässe zu beugen; Albuminurie, ein Mal mit 
Uebergang in Schrumpfniere, kam zwei Mal vor, im TJebrigen zeichnete sich 
der Urin der frisch eingelieferten Patienten stets durch blasse Farbe, niedriges 
Gewicht und eigentümlich süsslichen Geruch aus. Im Blut habe ich überein¬ 
stimmend mit früheren Beobachtern niemals Veränderungen constatiren können. 

II. Die nervösen Störungen sind zu trennen: 

a) in solche, die durch directe Contactwirkung mit dem flüssigen Gift — 
das bekanntlich ein dem Aether gleichwertiges Local-Anästheticum darstellt — 
entstehen. Hierhin gehört vielleicht ein Fall von Anästhesie und Parese im 
rechten Ulnarisgebiet bei einem Arbeiter, der beim Vulcanisiren häufig mit dem 
ulnaren Rand der beiden Hände in die CS 2 -Flüssigkeit eintauchen musste. Die 
peripherisch-neuritisohe Natur dieser Alfection wurde durch den Nachweis der 
Entartungsreaction am rechten vierten Interosseus dorsal, wahrscheinlich ge¬ 
macht. 

Ein analoger Fall von Parese und partieller Entartungsreaction im Me¬ 
dianusgebiet ist durch Mendel-Käther 1 in der Litteratur bekannt geworden. 

Diesem einzelstehenden sicher neuritischen Befund gegenüber habe ich 
zahlreiche Sensibilitätsstörungen und Lähmungen, darunter eine mit doppel¬ 
seitiger Atrophie sämmtlicher Mm. interossei, gesehen, ohne dass der Nachweis 
einer peripherischen Störung zu erbringen war. Ich möchte diese Fälle daher 
vorläufig als functionelle Erkrankungen auffassen und zu der Gruppe 

b) den Neurosen 

zählen. Bei ausgedehnteren Sensibilitätsstörungen, namentlich wenn sie, wie in 
dem Falle von Bernhardt 3 , die ganze Körperoberfläche betreffen, kann man 
eine locale Einwirkung der — doch sehr verdünnt in der Luft enthaltenen — 
CSj-Dämpfe kaum annehmen, sondern muss an einen centralen Sitz der Gefühls¬ 
lähmung denken. Diese wird von Bebnhabdt, wie ich glaube mit Recht, als 
Theilerscheinung „eines auch im Uebrigen stark hervortretenden hypochondrischen 
Symptomencomplexes*‘ angesehen. 

Ausser der regelmässigen Entwickelung der oben geschilderten Prodrome 
weisen die CS 2 -Neurosen als gemeinsame Befunde Herabsetzung der rohen Kraft, 
namentlich der unteren Extremitäten auf, die sich als leichte Ermüdbarkeit 
und Unsicherheit beim Gehen äussert In vier Fällen war ausgesprochene 
Parese der Peronealmusculatur zu constatiren, Sehnenreflexe und Muskelerreg¬ 
barkeit sind häufig gesteigert, jedoch verfüge ich auch über einen Fall von 


1 Berliner klin. Wocbcnschr. 1886. Nr. 30. S. 503. 
s Berliner klin. Wochenschr. 1871. S. 13. 

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sog. Pseadotabes, wie sie schon einige Male, zuletzt von Stadelmann 1 , in der 
Litteratur beschrieben sind. Zu den Neurosen wäre ferner zu rechnen die nicht 
ganz seltene Amblyopie der Gummiarbeiter; doch sei nebenbei erwähnt, dass 
ganz vereinzelt auch palpable Veränderungen des Augenhintergrundes (Chorioiditis) 
beobachtet worden sind. 

Von allgemeinen Symptomen dieser Gruppe ist noch ein eigentümlich 
neurasthenisch-hypochondrischer Zug hervorzuheben. Von der einfachen Neur¬ 
asthenie unterscheiden sich die CS 2 - Neurosen durch die aoute Entstehung, die 
charakteristischen Prodrome und durch das vorwiegende Befallensein der unteren 
Extremitäten. 

Die Prognose ist bei leichteren Fällen nach Entfernung aus dem Bereich 
der giftigen Gase eine ziemlich gute. Leichtere Abschwächungen der psychischen 
Energie, Gedächtnissschwäche, apathisches, träumerisches Wesen, seltener psy¬ 
chische Beizerscheinungen, Unruhe, Angst, geschwätziges Wesen kommen bei 
den Neurosen öfters vor und bilden den Uebergang zu der dritten Gruppe, den 
CS a -Psychosen. 

m. Psychische Störungen. 

Die Litteratur dieses Gegenstandes beschränkte sich bis vor Kurzem auf 
vereinzelte, meist aus Frankreich stammende Fälle. Aus der deutschen Litteratur 
ist mir nur ein von Bloch beschriebener Fall, der neben neuritiseben Ver¬ 
änderungen Hallucinationen darbot, bekannt, so dass Kobebt in seinem 1893 
erschienenen Handbuch der Intoxicationen Geistesstörung durch CS 2 als ein 
seltenes Vorkommniss bezeichnen konnte. Erst 1895 wurde auf Veranlassung 
Flechsig’s durch die Dissertation von Hampe 2 aus der Leipziger psychiatrischen 
Klinik eine grössere Reihe von Fällen an die Oeffentlichkeit gebracht. Ich habe 
die betreffenden Krankengeschichten einer nochmaligen genauen Durchsicht 
unterzogen, namentlich die Anamnese bezüglich der Aetiologie zu vervollständigen 
gesucht und einige Fälle, in denen concurrirende Ursachen, wie Alkoholismus 
und schwere Hysterie, neben der CS 2 -Vergiftung hervortraten, ausgemerzt. 

Eine Beihe neuer und sicherer Beobachtungen, die ich seit 1895 zu machen 
Gelegenheit hatte, ergänzen das einschlägige Material unserer Klinik nunmehr 
auf 25 Fälle. 

Da es die meinem Vortrag zugemessene Zeit nicht erlaubt, die Diagnose 
jedes einzelnen Falles klinisch-analytisch zu begründen, so möchte ich, zumal 
gerade in neuerer Zeit Zweifel an der toxischen Herkunft dieser Psychosen ge- 
äussert worden sind 3 , eine Beihe allgemein nosologischer Thatsachen anführen, 
die mir die ursächliche Bolle des CS a unwiderleglich zu beweisen scheinen: 

1 . Die acute Entstehung der Geistesstörung nach kurz dauernder Beschäf¬ 
tigung mit CS a bei vorher psychisch gesunden Individuen. Dieselben zeigen 
sämmtlich die früher beschriebenen charakteristischen Prodrome. 


1 Berliner Klinik. 1896. Heft 98. 

4 lieber psychische Störungen in Folge Schwefelkohlenstoffvergiftung. 1895. Leipzig. 
Veit * Co. 

* Ks&pslin's Lehrbuch. 5. Aufl. S. 46. 

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2. Bieten die durch Thierexperiment und feststehende klinische Erfahrungen 
seit Langem ätiologisch sichergestellten CS 3 -Neurosen eine Reihe bereits oben 
geschilderter psychischer Symptome, die wir als Elemente der complexen CS 2 - 
Psychose regelmässig wiederfinden. — Umgekehrt findet man bei den Geistes¬ 
störungen der Gommiarbeiter zahlreiche organisch nervöse Anomalieen, wie 
Tremor, Pupillenstörnngen, Sensibilitätsstörungen, und somatische Erscheinungen 
(als Bronchitis, Gastritis, Enteritis), die für CS 3 -Vergiftungen typisch sind. 

3. Kann man im Thierexperiment durch CS 3 deutliche, wenn auch nur 
rudimentär entwickelte psychische Veränderungen im Sinne einer hochgradigen 
motorischen Erregung mit nachfolgendem depressiv-stuporösen Verhalten beob¬ 
achten. Ebenso ist durch Selbstversuche am Menschen 1 nachgewiesen, dass 
bereits ein wenige Stunden dauernder Aufenthalt in einer Atmosphäre, die 
wenige Milligramm CSj auf den Liter Luft enthält, schwere Störungen des 
Sensoriums, Angstgefühl und Unfähigkeit zum Denken hervorruft 

4. Ist die Zahl der Gummiarbeiter, die in Leipzig im Jahre geistig er¬ 
kranken, relativ grösser als die geistige Morbidität in anderen Betrieben; dabei 
sind sämmtliche Personen, die aus Gummifabriken der Klinik zu¬ 
geführt wurden (mit einer Ausnahme) in der Zeit vor ihrer Erkran¬ 
kung dauernd im Vulcanisirraum, d. h. in dem einzigen Raum der 
Fabrik, in dem CS a -Dämpfe reichlioh vorhanden sind, beschäftigt 
gewesen. 

Diese letzte Thatsache ist um so auffallender, als nur ein geringer 
Bruchtheil der Arbeiter, etwa l lv in diesem Raume Verwendung findet 

5. Ist das gruppenweise Auftreten der Erkrankungsfalle derart, dass, wie 
ich es mehrfach beobachtet habe, innerhalb weniger Wochen aus demselben 
Etablissement 2, 3 und mehr Arbeiter erkrankt sind, gar nicht anders zu er¬ 
klären, als durch die Annahme einer gemeinsamen — in diesem Falle toxischen — 
Schädlichkeit. — In der Periode 1886—1887 wurden beispielsweise aus einer 
einzigen Fabrik, in der überhaupt nur ca. 10 Personen vulcanisirten, 6 Indi¬ 
viduen unserer Klinik zugeführt. Nachdem daraufhin die Sanitätsbehörde in 
Bewegung gesetzt und ein Umbau des früher durchaus hygienisch ungenügenden 
Vulcanisirraums durchgeführt war, kamen 4 Jahre lang keine Erkrankungen 
mehr vor, bis dann 1891 im Verlauf von 8 Wochen wiederum 2 Arbeiter der 
betreffenden Fabrik eingeliefert wurden. In einer anderen Fabrik, die uns im 
vorigen Herbst im Verlauf von 10 Tagen 2 Arbeiterinnen zuschicken musste, 
war, wie mir von der einen Patientin glaubhaft berichtet wurde, gerade in dieser 
Zeit eine Störung der Ventilation in dem betreffenden Vulcanisirsaal eingetreten. 
Das wiederholte Vorkommen solcher gruppenweisen Erkrankung schliesst einen 
Zufall aus. 

Wie gross der Gehalt der Athmungsluft an CS 3 sein muss, um eine OS,- 
Vergiftung überhaupt und eine Geistesstörung insbesondere hervorzuTufen, hängt 
natürlich von einer unberechenbaren individuellen Disposition des Menschen 

1 Vergl. die unter Lehmann gearbeiteten Dissertationen von Rosenblatt und Hertel. 

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ab. Erwähnt sei nur, dass nach Versuchen Lehmann's eine Athmungsluft, die 
0 ,8—0,9 mg CS 2 im Liter enthält, bei längerer Arbeit bereits heftige Beschwerden 
verursacht, dass 1 cg per Liter schon bei kurzem Aufenthalt direct gefährlich 
ist. Dass aber neben der individuellen Anlage auch die Quantität des einge- 
atbmeten Gases von Wichtigkeit ist, beweist u. A. ein von Herrn Collegen 
Dr. Köster in Leipzig beobachteter Fall. 1 Ein Arbeiter, der in einer hygienisch 
gut eingerichteten Fabrik Leipzigs ca. 14 Jahre ohne wesentliche Beschwerden 
vulcanisirt hatte, übernahm die Einrichtung eines neuen Betriebes in einem 
benachbarten Bundesstaat, in welch letzterem anscheinend bisher keinerlei Vor¬ 
schriften über Ventilation u. s. w. der Vulcanisirräume existiren. Nachdem er 
2—8 Monate in den hygienisoh äusserst ungünstigen Fabrikverhältnissen ge¬ 
arbeitet hatte, bekam er die Symptome einer typischen schweren CS t - Neurose, 
an die sich eine tiefe melancholische Depression anschloss. 

Einmalige acute Vergiftung scheint, ähnlich wie der Alkoholrausch, stets 
nur vorübergehende, wenn auch schwere Exaltationszustände oder Betäubung, 
niemals länger dauernde Psychosen zu machen. Wir haben es also bei unseren 
Fällen in der Regel mit einer chronischen, mindestens über eine Reihe von 
Tagen sich erstreckenden, Giftwirkung mässiger Intensität zu thun. Der 
Umstand, dass nur ein kleiner Theil der Arbeiter, die doch alle in gleicher 
Weise der Giftwirkung ausgesetzt sind, geistig erkrankt, macht zweifelsohne die 
Annahme einer besonderen Disposition nothwendig. Die Annahme wird bestätigt 
durch die Thatsache, dass mindestens 80% meiner psychischen Patienten here¬ 
ditäre Belastung auf wiesen, während von den nervös Erkrankten, soweit überhaupt 
genaue anamnestische Nachrichten Vorlagen, nur ungefähr der dritte Theil be¬ 
lastet war. In demselben Sinne ist das auf den ersten Blick paradox erschei¬ 
nende Factum zu deuten, dass die Psychose, also die anscheinend 
schwerere Störung, in der Regel schon nach viel kürzerer Arbeits¬ 
dauer sich entwickelt als die Neurose. Bei jener bricht die Krankheit 
durchschnittlich bereits 4 Wochen nach Beginn der Vulcanisirarbeit aus, bei 
dieser erst im 4. Afonat nach Beginn der Beschäftigung. Ebenso scheint die 
Schwere der psychischen Erkrankungen bis zu einem gewissen Grad im umge¬ 
kehrten Verhältniss zur Dauer der Gifteinwirkung zu stehen, denn die durch 
absolut günstige Prognose ausgezeichneten maniakalischen Formen brachen durch¬ 
schnittlich erst 5—7 Wochen nach Eintritt in die Gummifabrik aus, dagegen 
die weit schwereren, oft unheilbaren, depressiven Formen bereits nach einer 
durchschnittlichen Arbeitszeit von 8 Wochen. Die depressiven Formen 
betrafen ohne Ausnahme belastete Individuen, während von den 
manisch Erkrankten nur der kleinste Theil Heredität aufwies. 

Nach diesen Erfahrungen muss man annehmen, dass das Gift, ähnlich wie 
gewisse epidemische Krankheiten, eine, der Selectionstheorie entsprechende, Aus¬ 
lese der schwachen Individuen im Kampf ums Dasein hält Man kann — cum 

1 leb bin Herrn Collegen Eösteb, der den betreffenden Fall später ansf&brlich ver¬ 
öffentlichen wird, für die Erlaubnis«, seine mündliche Mittheilung hier verwerthen zu dürfen, 
zu grossem Dank verpflichtet 

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grano salis — behaupten, dass deijenige Arbeiter, der 2 Monate hindurch vul- 
canisirt hat, ohne geisteskrank zu werden, voraussichtlich psychisch gesund bleiben 
wird. — Bezüglich der nervösen Affectionen liegt die zeitliche Grenze, jenseits 
deren die Wahrscheinlichkeit krank zu werden wesentlich abnimmt, viel höher. 
Ich habe Arbeiter gesehen, die zwei Jahre lang ohne nennenswerthe Beschwerden 
vulcanisirt hatten und dann noch an Neurosen erkrankten. 

Als ein Unicum in der Litteratur, wie in meiner persönlichen Erfahrung, 
betrachte ich einen Fall, wo nach 8jähriger intensiver Beschäftigung mit CS a 
unter heftigen epileptiformen Anfallen eine bis zur tiefsten Verblödung fort¬ 
schreitende Demenz auftrat, zu der sich Paresen der Beine UQd Blasenlähmung 
gesellten und wo nach 1 *4jähriger Krankheit unter den Erscheinungen des 
Marasmus der Tod erfolgte. Ob auch die in diesem Fall beobachtete, später 
in Schrumpfniere übergehende, Albuminurie als eine Folge der CS a -Vergiftung 
anzusehen ist und inwieweit die Nierenaffection den psychischen Verlauf beein¬ 
flusst hat, lasse ich dahingestellt. 

Was die klinische Form der CS 2 -Psychose betrifft, so hat bereits Flechsig 
mehrfach darauf hingewiesen 1 , welches hohe theoretische Interesse die That- 
sache beansprucht, dass durch dieselbe, wohlbekannte chemische Schäd¬ 
lichkeit so ausserordentlich verschiedene Krankheitsbilder hervorgerufen werden. 
Offenbar ist dies so zu erklären, dass bei verschiedenen Individuen verschiedene 
Theile des Seelenorgans von der Vergiftung befallen werden.* Ohne auf 
Theoretisches näher einzugehen, möchte ich hier zum ersten Male den Versuch 
machen, eine rein klinische Classification dieser Geistesstörungen durchzuführen. 
Ich bin mir dabei wohl bewusst, dass einerseits mein Material von 25 Fällen, 
wenn es gleich die grösste bisher vorliegende Casuistik bildet, nicht ausreicht, 
um einen erschöpfenden Ueberblick über die möglichen Erscheinungsformen 
der CS a -Psychose zu gewinnen; andererseits würden sich aber aus einem 
grösseren Materiale wahrscheinlich einfachere und einheitlichere Eintheilungs- 
principien ergeben, indem die durchgreifenden und wesentlichen Unterscheidungs¬ 
merkmale klarer hervor- und die Zufälligkeiten des einzelnen Falles mehr 
zurücktreten würden. Ich möchte daher vermuthen, dass eine zu¬ 
nehmende klinische Erfahrung unsere Krankheitsgruppen eher 
vereinfachen als vervielfachen wird. Ein Eintheilungsversuch scheint 
mir auch schon deshalb berechtigt, weil mit Sicherheit zu erwarten steht, 
dass mit der Schaffung besserer hygienischer Zustände in den Fabriken unsere 
interessante Krankheitsspecies binnen wenigen Jahren völlig von der Bildfläche 
verschwinden wird. 

1 Zuletzt in der Discusaion aber Binswanqbh’s Vortrag: „Die Erschöpfungspsychosen“ 
bei der I. Versammlung mitteldeutscher Psych. u. Neurolog. am 24. April 1897. 

* Eine sehr werthvolle experimentelle 8ttttze hat inzwischen diese Vermuthung erhalten 
in dem interessanten Befund Köstkr’s, dass die durch die CS,-Vergiftung hervorgerufenen 
Zelldegenerationen unter ganz analogen Versuchsverhältnissen bei verschiedenen Thieren ganz 
verschiedene Abschnitte des Centralnervensystems betreffen. Vergl. Dr. Köster, Experimen¬ 
teller und pathologisch-anatomischer Beitrag zur Lehre von der chronischen CS t -Vergiftung. 
Neurolog. Centralbl. 1898. Nr. 11. 

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I. Die maniakalischen Formen umfassen 7 Fälle meiner Casuistik. 
Zuweilen nach einem kurzen einleitenden Stadium depressiver Verstimmung, 
theils aus scheinbar voller geistiger Gesundheit sich entwickelnd, tritt heftige 
motorische Erregung, Ideenflucht und Erotismus bei vorwiegend heiterer 
Stimmungslage auf. Hallucinationen sind äusserst selten, niemals kommt 
es zu eigentlicher Verwirrtheit Vorübergehende Conception von Grössenideen 
wurde 2mal, beide Male bei Männern beobachtet. Ein besonderes Gepräge 
erhält die CS 2 -Manie durch eine eigentümliche, neben der Exaltation herlaufende 
oder mit derselben intermittirende hypochondrische Verstimmung, die 
ganz offenbar auf den bekannten, durch CS 2 hervorgerufenen unangenehmen 
Sensationen beruht. Mir ist es wenigstens bei Manieen anderer Herkunft nie¬ 
mals begegnet, dass der Kranke mitten in seinen heiteren Redeschwall plötz¬ 
lich die jammernde Klage einflicht, dass er Knoten von Schwefel im Hals 
habe, dass das Blut im Herzen stocke, dass der Magen ausgetrocknet sei u. s. w. 

Von den somatischen Begleiterscheinungen ist fast constant Tremor der 
Hände, ferner gesteigerte Sehnenreflexe und Pulsbeschleunigung. Häufig findet 
man Pupillendifferenz bezw. Trägheit Sensibilätsstörungen, sowie die bei 
den CS 2 -Neuro8en so gewöhnliche Gehstörung waren niemals vorhanden. 

Der Ausgang war stets günstig. Die Dauer schwankt zwischen 1 und 
4 Monaten und betrug im Durchschnitt 27 4 Monat. Dies ist wesentlich kürzer 
als die Durchschnittsdauer der in den letzten 5 Jahren in unserer Klinik be¬ 
handelten übrigen Manieen, welch letztere durchschnittlich 3 bis 4 Monate zur 
Heilung beanspruchten. 

H. Die depressiven Formen umfassen den weitaus grösseren Theil 
meiner Casuistik. Im Gegensatz zur vorigen Gruppe gehen sie stets einher 
mit einer hochgradigen hallucinatorischen Erregung, die sich im Be¬ 
ginn öfters bis zur Verwirrtheit steigert. Häufig sind triebartige Angst und 
Verfolgungsideen vorhanden; hypochondrische Vorstellungen finden sich auch 
hier recht oft. Die durchschnittliche Dauer der heilbaren Formen, die sich 
im Allgemeinen mit dem Bild des acuten depressiven Wahnsinns decken, be¬ 
trägt 2 3 / 4 Monate. Von 10 Fällen wurden 4 unheilbar. Hiervon ging 1 Fall 
in chronisches hallucinatorisches Irresein aus, welches heute nach Verlauf von 
11 Jahren bei voller Lucidität und Krankheitseinsicht unverändert besteht, ohne 
Ansätze zu fixirter Wahnbildung aufzuweisen. Zweimal entwickelte sich chronische 
hallucinatorische Paranoia mit ziemlich raschem Uebergang in Demenz. Ein Fall 
zeigte die typische Evolution der chronischen Paranoia vom Verfolgungs- zum 
Grössenwahn. Bemerkt sei, dass 3 von diesen 4 ungünstig verlaufenen Fällen 
schon im Beginn der Erkrankung intercurrente Zustände von Benommenheit, 
Apathie oder Stupor gezeigt haben, so dass diese Symptome als zweifellos in¬ 
faust angesehen werden müssen. 

Einfache typische Melancholie ist unter den depressiven Formen bisher 
noch nicht zur Beobachtung gekommen. 

HI. Eine weitere Gruppe von CS 2 -Erkrankungen, bei der Stupor die vor¬ 
wiegende Krankheitserscheinung ist, zerfallt in zwei ihrem Verlauf und Wesen 

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nach völlig verschiedene Unterabtheilungen. Die eine dnrch 2 männliche 
Kranke gebildete Untergruppe enthält Krankheitsbilder der katatonisch-hebe- 
phrenischen Forfn.. Der eine von diesen Kranken ist nach 6jährigem Aufent¬ 
halt in unserer Klinik hochgradig dement an Phtise gestorben, der andere 
zeigte nach 9 monatlicher Dauer der Psychose Heilung mit Defect — wenn es 
sich nicht etwa um eine Remission gehandelt hat. 

Die zweite als acuter heilbarer Stupor zu bezeichnende Untergruppe unter¬ 
scheidet sich von der vorigen durch das Fehlen tiefergehender Verworrenheit 
und durch ein besonders stark ausgeprägtes Gefühl der eigenen körperlichen 
und geistigen Unzulänglichkeit. Diese ungefähr dem Bild der KnÄPELrN’schen 
Dementia acuta entsprechende Form ging nach 1—3 monatlicher Krankheits¬ 
dauer stets in Heilung über. 

Allen stuporösen Formen gemeinsam scheint Weite und Trägheit der 
Pupillen 1 und das Fehlen der für die übrigen Formen der CS,-Vergiftung be¬ 
kannten motorischen Reizerscheinungen. 

Hieran schliessen sich als mehr rudimentäre Formen von Geistesstörung an 
einige Fälle von Charakterveränderung im Sinne eines moriatischen Wesens und 
ferner Zustände einfacher Demenz. Letztere, wie sie namentlich unter den 
Fällen Delpeoh’s sich fanden, scheinen nur nach langdauernder Einwirkung 
von CS, vorzukommen. Die Gedächtnissschwäche erweist sich bei diesen Kranken, 
auch nach dem Auf hören der Giftwirkung, als äusserst hartnäckig und deutet 
darauf hin, dass es sich um eine wirkliche Zerstörung nervöser Elemente in der 
Hirnrinde handelt 

Die Therapie hat, abgesehen von den bekannten symptomatischen Indi- 
cationen, noch die besondere Aufgabe durch Anregung des Gaswechsels und des 
allgemeinen Stoffwechsels die Ausscheidung des etwa noch im Blute kreisenden 
Giftes zu bewirken. 

Den bei weitem wichtigsten Theil der ärztlichen Fürsorge muss jedoch 
meines Erachtens die Prophylaxe bilden, auf die ich hier der vorgerückten 
Zeit halber nur noch ganz kurz eingehen kann. 3 

Da man den CS, bisher in der Gummifabrikation nicht entbehren kann, 
so muss die Aufgabe der Gewerbehygiene darin bestehen, möglichst zu ver¬ 
hindern, dass die giftigen Dämpfe des, bereits bei 48° siedenden Stoffes, sich 
der Athmung8luft des Arbeiters beimengen. Dies geschieht in erster Linie da¬ 
durch, dass sämmtliche CS,-Gefässe, ebenso die frisch vulcanisirten Gegenstände, 


1 Dieses Symptom wurde von Kösteb a. a. O. bei CS,-vergifteten Thieren im letzten 
Stadium gefunden. 

2 Dnrch das liebenswürdige Entgegenkommen der städtischen Medicinalbehörde, ins¬ 
besondere des Herrn Dr. Pötteb in Leipzig, wnrde ich in Stand gesetzt, bei jedem frisch 
auftretenden Erkrankungsfalle sofort die hygienischen Verhältnisse der betreffenden Fabrik 
und so die Genese dies einzelnen Falles an Ort und Stelle zu studiren. Ferner bin ich 
Herrn Gewerbeinspector Haupt in Leipzig, der mir den Einblick in eine ßeihe von Betrieben 
ermöglichte und mich mit werthvollen technischen Informationen versah, zu grossem Dank 
verpflichtet. 


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welche an einer grossen Oberfläche CS, verdunsten lassen, nur in Abzügen, die 
unter Wirkung eines kräftigen Exhaustors stehen, geduldet werden. Es sollte 
überhaupt nur in sehr geräumigen, vorzüglich ventilirten Räumen vulcanisirt 
werden und diese Räume müssen von allen übrigen Fabriklocalitäten abgetrennt 
werden, um die Vergiftungsgefahr auf eine denkbar geringe Anzahl von Arbeitern 
zu beschränken. Die Arbeiter dürfen sich nur eine beschränkte Zeit hindurch, 
höchstens 2 Stunden am Tage, in dem Yuloanisirraume aufhalten, da er- 
fahrungsgemäss Vergiftungssymptome in leidlich ventilirten Räumen erst nach 
mehrstündigem Aufenthalt eintreten. Ferner müsste jeder Arbeiter über die 
Gefährlichkeit der Beschäftigung belehrt und sobald sich die ersten wohl* 
charakterisirten Prodromalsymptome zeigen, sofort aus dem Betrieb entfernt 
werden. 

Diese Maassregeln sind zum Theil bereits seit mehr als 10 Jahren im 
Bezirke der Leipziger Gewerbeinspection durchgeführt, nachdem die zahl¬ 
reichen in der Periode 1885—1887 vorgekommenen Vergiftungsfalle durch die 
Direction der psychiatrischen Klinik zur Kenntniss der Behörde gebracht worden 
waren. Um die Wirkung dieses Vorgehens zu würdigen, muss man sich ver¬ 
gegenwärtigen, dass in dem Triennium 1885—1887, zu welcher Zeit in sämmt- 
lichen Fabriken Leipzigs höchstens 40 Vulcaniseure 1 gleichzeitig thätig waren, 
8 dieser Personen geisteskrank wurden, dagegen in der Periode 1895—1897, 
während durchschnittlich mehr als 200 Arbeiter dauernd mit Vulcanisiren be¬ 
schäftigt waren, nur 4 CS,-Psychosen vorkamen. Die relative Morbidität ist 
also auf den zehnten Theil der früheren Ziffer gesunken. 

Mag es auch stets vereinzelte besonders empfindlich schwer belastete 
Individuen geben, bei denen schon eine noch so geringe Giftmenge eine Psy¬ 
chose auslösen kann — so würde sich obige Zahl zweifellos noch mehr herab¬ 
drücken lassen, wenn es gelänge, die oben vorgeschlagenen hygienischen Maass¬ 
nahmen in voller Schärfe in praxi durchzuführen. Dies musste bis jetzt 
daran scheitern, dass ein Theil meiner Postulats dem Betrieb grosse Kosten 
auferlegen und durch extreme Verkürzung der Arbeitszeit die Productionsfahig- 
keit des Leipziger Industriebezirkes gegenüber nichtsächsischen Betrieben be¬ 
deutend herabsetzen würde. Dieser Uebelstand kann nur dadurch paralysirt 
werden, dass eine reiohsgesetzliche Regelung für sämmtliche deutsche 
Gummibetriebe eintritt 

Ich weise zur Erläuterung dieses Gesichtspunktes besonders auf die Berliner 
Verhältnisse hin, wo nach den mir vorliegenden Berichten, wenigstens bis vor 
Kurzem, weit ungünstigere hygienische Bedingungen als in Leipzig bestanden. 

Demgegenüber ist die Thatsache, dass, abgesehen von den französischen 
und vereinzelten amerikanischen Veröffentlichungen, CS,-Psy chosen in grösserer 
Anzahl nur aus dem Leipziger Bezirk bekannt geworden sind, schwer zu er¬ 
klären. Ich kann es nur so verstehen, dass bisher gerade die Psychiater — 


1 Dabei ist allerdings der eingangs erwähnte 
von Arbeitern za berücksichtigen. 


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häufige Wechsel gerade dieser Klasse 


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denn anPublicationen über Schwefelkohlenstoff-Neurosen hat es nicht gefehlt — 
ihre Aufmerksamkeit diesem Gegenstand nicht hinreichend zugewendet haben. 
Bei der Schwierigkeit, die bei Geisteskranken die Erhebung der Anamnese oft 
macht, kann ja leicht die Thatsache, dass der Patient in einer Gummifabrik 
thätig gewesen ist, übersehen werden. Auch sind es ja nur wenige Centren in 
Deutschland (und nicht immer solche Orte, in denen Berufepsychiater thätig 
sind), in denen die Gummiindustrie eine grössere Ausdehnung angenommen hat 
Vielleicht kann die vorliegende Mittheilung einen Anstoss zur weiteren Er¬ 
örterung dieses vom wissenschaftlichen wie vom socialen Standpunkt wichtigen 
Gegenstandes geben. 


[Aus der Nervenpoliklinik von Dr. Adleb in Breslau.] 

3. Radialislähmung nach epileptischen Anfällen. 

Von Dr. Adler. 

Es ist bekannt 1 , dass im Anschluss an epileptische Anfalle meist rasch 
vorübergehende Lähmungen in der Form von Hemiplegieen, Paraplegieen oder 
auch Monoplegieen auftreten können. Auch einseitige Gesichts- und Zungen¬ 
lähmungen kommen darnach vor. Thomsen 2 beschrieb conjugirte Augenablenknng 
und Strabismus nach epileptischen Anfällen. Man macht für die Entstehung 
dieser postparoxystischen Lähmungen nach dem Vorgänge von Tonn, 
Robertson und Huoblinos Jackson 3 die durch die Entladung bedingte Er¬ 
schöpfung des Gehirns verantwortlich. 

Im vergangenen Jahre habe ich zwei Epileptiker an postparoxystischen 
Lähmungen anderer Genese behandelt. Es lag beide Male eine totale rechts¬ 
seitige Radialislämung peripherer Natur vor. Bei dem einen war schon 
einmal, vor mehreren Jahren, nach einem Anfall eine lähmungsartige Schwäche 
der rechten Hand aufgetreten und hatte mehrere Monate angehalten. 

Was die Entstehung der Radialislähmung betrifft, so wäre es denkbar, dass 
ein Fall auf den betreffenden Arm oder Handrücken 4 im Anfalle eine Quetschung 
bezw. Zerrung des Radialis verursacht habe. Bei dem anderen Patienten, bei* 
welchem es sich um einen nächtlichen Anfall handelte, und der erst am fol¬ 
genden Morgen die Lähmung seiner rechten Hand bemerkte, käme noch die 
gewöhnliche Schlaflähmung in Betracht; aber ich halte in beiden Fällen eine 
andere Art des Zustandekommens der Nervenläsion nicht für ausgeschlossen. 


1 Charles F£b6, Die Epilepsie. Deutsch von Ebers. 1896. Leipzig. S. 156. 
1 Thomsen, Archiv f. Psychiatrie. XVII. 

* Fäbä. L c. S. 447. 

4 cf. Bernhardt, Oppenheim’s Lehrb. der Nervenkrankh. IL Aufl. S. 325. 

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Gowebs erzählt in seinem Handbnch der Nervenkrankheiten S. 85, dass 
er in 3 Fällen Hadialislähmungen nach einer heftigen .Contraction des 
Triceps habe eintreten sehen, und auch Oppenheim (L c. S. 324) hält es 
fär möglich, dass eine heftige Muskelaction, besonders eine plötzliche 
Streckung des Arms, z. B. bei einer brüsquen Wurfbewegung, den N. radialis 
so zu schädigen vermag, dass er vollständig gelähmt wird. Die Pathogenese 
derartiger Radialislähmungen hat Gebot, anus 1 näher studirt und gelangt auf 
Grund anatomisch - physiologischer Betrachtungen zu folgender Erklärung der¬ 
selben: 

„Der N. radialis liegt im ganzen mittleren Drittel des Oberarms direct auf 
dem Periost, in einem Bindegewebsspalt, welcher ihm seitliche Excursionen bis 
über einen Centimeter gestattet, und ist dabei vom Muskelbauche des äusseren 
Kopfes des M. triceps brachii bedeckt Der Nerv würde jedes Mal bei der Con¬ 
traction dieses Muskels eine Compression auf die hintere, äussere Knochenkante 
erfahren, wenn derselbe nicht eine Verschiebung gegen den sehnigen Ursprung 
des Muskels erfahren würde, wo er .unter diesem gespannten Bande Schutz 
findet Die Verschiebung geschieht durch das sich Anschmiegen des Muskel- 
bauchs selbst an die Knochenoberfläche.“ 

„Unter besonderen Umständen, wie Fixation der Nerven durch die Vorder¬ 
armmuskulatur, plötzlich einsetzende Contraction des M. triceps u. s. w., kann 
der Nerv beim Ausweichen gehindert, und so zwischen Knochen und Muskel 
comprimirt werden.“ 

Eine ähnliche Genese möchte ich bei meinen beiden Fällen von Radialis- 
lähmung nach einem epileptischen Anfall für möglich halten. Die plötzlichen 
und heftigen Muskelcontractionen während eines Krampfanfalls scheinen mir 
durchaus geeignet, eine Compression des Nerven zwischen Muskel und Knochen 
zu veranlassen und hierdurch eine Quetschung desselben herbeizuführen. 

Wenn nun auch Badialislähmung nach epileptischen Anfällen recht selten 
zu sein scheint — ich finde wenigstens in den gebräuchlichen Lehrbüchern 
dieselbe nicht erwähnt —, so dürfte das doch nicht ohne weiteres gegen die 
Richtigkeit meiner Annahme in Bezug auf ihre Genese sprechen. Wahrscheinlich 
ist zu ihrem Zustandekommen eine gewisse Widerstandslosigkeit des Nerven¬ 
systems, wie solche bspw. bei Potatoren vorhanden ist, erforderlich, und ausserdem 
eine ganz, bestimmte Aufeinanderfolge der Muskelkrämpfe im Arme, derart, 
dass die plötzliche Zusammenziehung des Triceps erfolgt, während noch die 
Vorderarmmuskulatur contrahirt ist und den N. radialis fixirt hält 


1 Ueber das Vorkommen von Badialislähmung nach einer heftigen Contraction des 
M. triceps brach. Deutsche Zeitschr. f. Chirurgie. Bd. XLVII. H. 1. 


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• [Aus Prof. Mendel’s Privatklinik.] 

4. Ein Fall von spinaler Monoplegie des rechten Beines. 

Von Dr. Julius Weil, 

Assistenzarzt an der Prof. MraDBi/schen Poliklinik. 

Der Arbeiter G. R., 31 Jahre alt, kam am 8. April 1897 in die Klinik des 
Herrn Prof. Dr. Mendel nnd klagte aber das Unvermögen, sein rechtes Bein za 
gebrauchen. Er habe in demselben absolut keine Kraft, so dass sein Gang sehr 
erschwert und er in Folge dessen arbeitsunfähig sei. 

Anamnestisch ist nach den Angaben des Pat. folgendes zu erwähnen: 

In der Familie des Pat. sind noch keine Nerven« und Gemüthskrankheiten vor¬ 
gekommen. Lues wird negirt. Pat. .war zuletzt als Bierfahrer in einer Brauerei 
beschäftigt und hat während dieser Zeit ca. 5 Liter Bier täglich getrunken. Im 
Alter von 7 Jahren hatte er Gelenkrheumatismus, seitdem will er immer etwas eng¬ 
brüstig gewesen sein und bei schwerer Arbeit öfter Aber Athemnoth und Herzklopfen 
geklagt haben, war aber nie deshalb in ärztlicher Behandlung. 

Im Januar 1897 fiel Pat. beim Gehen im Hofe einer Brauerei in eine mit 
Wasser gefüllte Senkgrube, die er für bedeckt gehalten hatte, und zwar so, dass er 
mit beiden Beinen bis zum Rumpf im Wasser gestanden hat. Er hat jedoch darauf 
weitergearbeitet und in der Folgezeit nur zeitweilig geringe Schmerzen in beiden 
Waden gespürt. 

Anfang Februar 1897 — den Tag giebt Pat. nicht genau an — war Pat. im 
Begriff, eine schwere Last eine Treppe hinaufzntragen, als er plötzlich einen heftigen 
Schmerz im rechten Knie und rechten Fussgelenk verspürte. Zu gleicher Zeit merkte 
er bei dem Versuch zu gehen, dass das rechte Bein sehr schwach geworden war, 
dass er dasselbe nachschleppen musste und dabei bei jedem Schritt im Knie ein¬ 
knickte. Das Fussgelenk konnte er angeblich dabei gar nicht bewegen und den Fass- 
nur in schleudernder Weise immer flach aufsetzen. Einige Tage nach ihrem Auftreten 
verschwanden nun die Schmerzen und sind auch seitdem nicht mehr aufgetreten, da¬ 
gegen hat die Lähmung des Beines in unveränderter Weise fortbestanden. Eine 
Abmagerung wurde an dem betroffenen Beine nicht bemerkt 

Sonst hat Pat. keine Klagen, insbesondere sind nach dem Aufhören der be¬ 
schriebenen Schmerzen in dem rechten Beine niemals wieder Schmerzen irgend 
welcher Art aufgetreten, auch hatte Pat. niemals Klagen über erschwertes Wasser¬ 
lassen oder Harnträufeln. Seine Potenz sei unverändert Appetit, Stuhl und 8chlaf 
haben nie zu Klagen Veranlassung gegeben. 

Bei seiner Aufnahme am 8. April 1897 wurde folgender Befund erhoben: 

Pat. ist ein mittel grosser Mann, von mittelstarker Muskulatur und geringem 
Fettpolster. Die Gesichtsfarbe ist etwas bräunlich, die Schleimhäute normal gefärbt. 
An den Hirnnerven ist nichts besonderes. Die Pupillen sind gleichweit und reagiren 
normal auf Lichteinfall und Accommodation. Der Rachen ist stark geröthet 

Die Kraft der oberen Extremitäten ist gut. Es besteht leichter vibratorischer 
Tremor manuum. Die Sensibilität ist am ganzen Oberkörper normal. 

Das auffallendste Symptom bildet der Gang des Pat. Er hebt, sobald er einen 
Schritt machen will, den rechten Darmbeinkamm und beugt den Rumpf etwas nach 
links über. Das rechte Bein, welches dabei in toto nach aussen rotirt wird, wird 
in der Hüfte etwas übergebeugt. Der M. quadriceps femoris functionirt nicht beim 
Gehen, der rechte Fass hängt schlaff und passiv herunter, wird beim Vorsetzen des 

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rechten Beines in steter Berührung der Fassspitze mit dem Fassboden weiter¬ 
geschoben and vollständig schlaff and platt aufgesetzt Das rechte Bein, als Stand¬ 
bein, wird in Form eines Genju recurvatum überstreckt. Ohne sich mit der Hand 
aufznstützen, kann Pat. nicht auf dem rechten Beiu alleinstehen. 

In der Bettlage fällt am rechten Bein nur das Herabhängen des Fasses auf. 
Die Haut ist Über beiden Patellae stark cyanotisch, die Haut der beiden Ober¬ 
schenkel bläulich marmorirt. Es bestehen geringe Venenerweiternngen an beiden 
Oberschenkeln. Die Bückseite des rechten Beines schwitzt Veränderungen der 
Hautgebilde bestehen nicht 

Das rechte Bein ist in allen Gelenken abnorm beweglich, so kann die Ferse bis 
an das Tuber ossis iscbii gebracht werden. 

Activ ist die Beugung in der rechten Hüfte minimal, der M. tensor fasciae latae 
wird angespannt, die Adduction und Abduction des rechten Oberschenkels ist sehr 
schwach, dagegen die Botation ziemlich gut. Die Streckung des Oberschenkels fehlt 
Das Aufrichten aus der liegenden Stellung geschieht gut. Bei willkürlichen Zusammen¬ 
kneifen der Hinterbacken bleibt der rechte vollständig unbewegt. Die Beuger des 
Unterschenkels functioniren activ absolut nicht ebenso ist die Streckung des passiv 
gebeugten Beines activ unmöglich, obschon bei stärkstem Willensimpuls geringe Con- 
tractionen im Quadriceps zu sehen sind. Eine minimale Beugung und Streckung der 
rechten 5 Zehen ist möglich. 

Pat. erkennt die Nadelspitze am rechten Ober- und Unterschenkel. Auf beiden 
Fuassohlen ist das Gefühl beiderseits gleich. Auf der Haut der Hinterbacken ist 
kein Unterschied in der Sensibilität. 

Kalt und warm wird am rechten Beine überall deutlich unterschieden. Die 
Nervenstämme sind rechts nicht druckschmerzhaft. Hyperästhesieen sind nicht vor¬ 
handen. Das Mu8kelgefübl ist intact. Die mechanische Muskelerregbarkeit ist am 
rechten Beine stark herabgesetzt, bezw. erloschen. Die Patellarreflexe fehlen, ebenso 
Achillessehnen- und Fusssohlenreflex. Cremaster- und Bauchdeckenreflex sind normal. 

Die elektrische Untersuchung des rechten Beines ergiebt: Erloschensein der 
faradischen Erregbarkeit und träge Zuckung bei galvanischer Beizung in allen Mus¬ 
keln mit Ausnahme der Mm. sartorius, Vastus internus und Bectus femoris. Pat. 
erträgt am rechten Bein die stärksten faradischen Ströme ohne Schmerzen zu em¬ 
pfinden. 


Die Maasse an beiden Beinen betragen: 


Umfang in der Höhe der Inguinalfalte .... 

links 

46 cm, 

rechts 

43 cm 

„ „ „ „ „ Mitte des Oberschenkels 

ft 

45 „ 

ff 

43 „ 

„ oberhalb der Kniescheibe. 

ft 

34 ,, 

ft 

34 „ 

Grösster Wadenumfang. 

ft 

33 „ 

ff 

33 „ 


Der Befund am linken Beine ist vollkommen normal. 

Die Untersuchung per anum ergiebt weder abnorme Besistenzen, noch schmerz¬ 
hafte 8tellen. 

Die Lungenbefund ist normal. 

Obere Herzgrenze = am oberen Bande der 5. Bippe, rechte = auf der Mitte des 
Sternums, Spitzenstoss im 6. Intercostalraum innerhalb der Mammillarlinie. Der erste 
Ton an der Spitze ist gespalten. Gefässtöne sehr leise. Der Puls ist celer, regel¬ 
mässig. Arterie derb. Es besteht geringe epigastrische Pulsation. Leber und Milz 
sind nicht fühlbar. 

In beiden Schenkel- und Leistenbeugen sind geringe DrÜ6enschwellungen. 

Der Urin ist frei von Eiweiss und Zucker. 

Der Pat.' befand sich in der Klinik bis zum 15. Mai 1897. An diesem Tage 
wurde feBtgeetellt, dass die Adduction und Abduction des rechten Oberschenkels sich 


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etwas gebessert haben. Sonst war der Befand im wesentlichen dem bei der Auf¬ 
nahme erhobenen gleichgeblieben. 

Am 12. October 1897 derselbe Befund. 

Am 8. Januar 1898 ergiebt die Messung: 

Umfang des Oberschenkels in der Höhe der Inguinalfalte links 47 cm, rechts 40 xm 

In der Mitte des Oberschenkels .„ 43 „ „ 35 „ 

Oberhalb der Kniescheibe.. . „ 34 „ „ 32 „ 

Grösster Wadenumfang.„ 33 „ „ 29 „ 


Am 11. Juli 1898 hat die Atrophie weitere Fortschritte gemacht. Die elek¬ 
trische Untersuchung ergiebt im wesentlichen die gleichen Resultate wie früher, 
ebenso die Sensibilitätsprüfung für alle Qualitäten. 

Pat. befindet sich seit 4 Wochen in Behandlung wegen einer starken Schwellung 
des rechten Kniegelenks, die ihm beim Gehen Schmerzen verursacht. Es besteht 
starker Erguss in das Gelenk, die Patella ballottirt. Blase, Mastdarm und Sexual¬ 
apparat gaben nie zu Beschwerden Anlass. 

Fassen wir nun die Hauptmomente in unserem Krankheitsbilde zusammen, 
so haben wir: 


1. Das plötzliche Eintreten einer schlaffen Lähmung des rechten Beines. 

2. Das baldige Verschwinden der anfänglich bestehenden Schmerzen. 

3. Das Ausbleiben von Sensibilitätsstörungen — mit Ausnahme der farado- 
cutanen Empfindung — und das Ausbleiben von Blasen- und Mastdarmstörungen 
und das normale Verhalten des Sexualapparates. 

4. Das constante Bestehenbleiben aller Erscheinungen während 1V 2 Jahren. 

Von letzterer macht auch die zunehmende Atrophie der Gesammtmuskulatur 

eigentlich keine Ausnahme, da sie ja durch die Parese bedingt ist. Auch der 
Ausfall der farado-cutanen Empfindung findet ihren Grund in der Parese. Da 
die Muskeln nicht faradisch erregbar sind, und so die clonischen Contractionen 
ausfallen, tritt auch der Schmerz bei starken faradischen Beizungen nicht auf, 
denn er ist durch die Contractionen bedingt 

Zu erwähnen ist noch der Nebenbefund einer Artropathie des rechten 
Kniees, welche als Folge der steten mechanischen Beizung zu betrachten ist, 
die durch das Schleudern des rechten Beines beim Gehen hervorgerufen wird. 

Die Lähmung erstreckt sich auf Muskeln, welche vom Plexus lumbalis und 
sacralis von der 3. Lumbal- bis 3. Sacralwurzel versorgt werden. Es ist in 
diesen Gebieten zur Entartungsreaction gekommen. 

Wie hat man sich nun die Ursache der bestehenden Erscheinungen zu 
denken? 

Da kein Fieber bestanden hat, dürfte sich die Poliomyelitis anterior acuta 
adultorum ausschliessen lassen. 

Eine Geschwulst war nicht anzunehmen, da die Untersuchung per anum 
und der Befund an der Wirbelsäule negative Besultate lieferten. 

Schwieriger war es im Anfang, den Gedanken an eine Neuritis abzuweisen. 
Aber eine Neuritis, die in apoplectiformer Weise zwei Plexus — den Lumbal- 
und Sacralplexus — befällt, ist schon nicht anzunehmen. Im Uebrigen ist der 
bisherige Verlauf nicht derart, dass die Annahme einer Neuritis begründet er- 


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schiene. Fehlen doch bis jetzt Sensibilitätsstörungen, Parästhesieen und tro- 
phische Störungen der Hautgebilde. 

Es erübrigt nur, an eine spinale Apoplexie zu denken, die hier allerdings 
in einer seltenen Form aufgetreten sein müsste. Eine Blutung in die Vorder¬ 
säule von der Höhe der 8. Lumbal- bis 3. SacralwurzCl würde das plötzliche 
Eintreten der beschriebenen Lähmung und darauffolgenden Atrophie und elek¬ 
trischen Entartungsreaction erklären. 

Unterstützt wird diese Annahme auch durch das Bestehen ätiologischer 
Momente. Der Patient war beim Elintreten der TAhmnng im Begriff eine schwere 
Last eine Treppe hinauf zu tragen, dabei kann er leicht eine heftige Bewegung 
gemacht haben. Dazu kommt eine hochgradige Arteriosklerose, die wohl mit 
dem zugestandenen Alkoholismus in Zusammenhang steht. Damit wird wohl 
auch die Annahme berechtigt erscheinen, dass die Arteriosklerose die Disposition 
geschaffen und die schwere Last in Verbindung mit einer heftigen Bewegung 
die directe Veranlassung zu der angenommenen Blutung gegeben hat. Wir 
dürfen also den Fall auffassen als eine spinale Monoplegie des rechten Beines 
in Folge einer Blutung in die Vordersäule. 

Am Schlüsse sage ich Herrn Dr. Schubtee für seine freundliche Hülfe bei 
der Aufnahme des Status und Herrn Prof. Dr. Mendel für die Ueberlassung 
des Falles meinen herzlichsten Dank. 


II. Referate. 


Anatomie. 

1) Nerven mark- und Axencylindertropfen, von Prof. Neu mann in Königs¬ 
berg. (Virchow’s Arch. Bd. CLII.) 

Ueber die Natur der bei Druck auf den ausgeschnittenen frischen Nerven 
aus demselben ausquellenden sog. Myelintropfen herrschen verschiedene Ansichten. 
Während He nie, der Nervenmark und Axencylinder noch nicht voneinander scheidet, 
annimmt, dass die Myelintropfen vom gesammten Inhalt der Nervenfaser gebildet 
werden, glaubt Kölliker, dass dieselben nur aus Myelin — ohne Betheiligung des 
Axencylindere— bestehen. Verf. gelang es nun, dorch vorsichtig ausgeübten Druck 
auf den Nerven, sowie weiterhin durch Tinction des Tropfens den sicheren Nachweis 
zu führen, dass der letztere sowohl Nervenmark, als auch Axencylinder enthält. 
Zugleich zeigen seine Untersuchungen, dass der lebende Axencylinder weder eine 
serumartige, dünnflüssige Beschaffenheit, noch eine vorwiegend feste, fibrilläre Structur 
haben kann, sondern dass derselbe — gerade im Hinblick auf die Art seiner Aus¬ 
breitung in den Myelintropfen — im wesentlichen aus einer consistenten, schleimigen 
oder colloiden Flüssigkeit bestehen muss. 

Verf. schliesst weiter, dass der Axencylinder der marklosen Nerven, da ihm die 
Eigenschaft, Tropfen zu bilden, fehlt, seiner ganzen Beschaffenheit nach von dem 
Axencylinder der markhaltigen Fasern verschieden sein müsse. Es könne daher nicht 


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richtig sein, wenn man, wie bisher üblich, sage, der Axencylinder umgiebt sich beim 
Uebergang der marklosen in einen' markhaltigen Nerven mit einem Markmantel, sondern 
man müsse vielmehr annehmen, dass ein in der marklosen Faser vorhandenes, eigen* 
artiges Protoplasma (oder Nenroplasma) sich beim Uebergang in den sog. mark¬ 
haltigen Nerven in zwei verschiedene Substanzen, Mark und Axencylinder, differen- 
zire. Lilienfeld (Gr. Lichterfelde). 


2) Sur les ganglions spinaox, par Cavazzani. (Arch. ital. de biolog. XXVIII.) 

Verf. hat die Spinalganglienzellen der Menschen, des Affen, des Hundes, der 
Katze, des Kindes, des Kaninchens, des Igels, der Batte und des Frosches unter¬ 
sucht, und zwar zunächst in Bezug auf die Grösse der Zellen, welche theils frisch 
an Zupfpräparaten — Glycerin und 1 °/ # Osmiumsäurelösung —, theils nach Härtung 
in Müller dargestellt wurden. Aus dem Durchschnitt vieler Hundert von Messungen 
folgert Verf., dass die Spinalganglienzellen bei Thieren verschiedener Species ver¬ 
schieden gross sind, jedoch nicht proportional der Körpergrösse, wenngleich sich im 
allgemeinen die kleineren Zellen bei den kleineren Thieren finden; bei höher ent¬ 
wickelten Thieren der gleichen Species (Hund) fänden sich die grösseren Zellen bei 
den höherstehenden und bei den älteren; endlich seien die Zellen in den Lumbal- 
und Cervicalganglien grösser als in Dorsalganglien. Verf. hat ferner bei Fröschen 
6 Tage bis ca. 2 Monate nach einseitiger Amputation oder Durchschneidung des 
Ischiadicus Grössenunterschiede von 2—8 fi zwischen den Spinalganglienzellen der 
gesunden und der kranken Seite gesehen und glaubt, darin eine Stütze für die Hypo¬ 
these zu haben, dass die Grösse der Zelle mit der Länge der zugehörigen Nerven¬ 
fasern in Beziehung stehe — da ja ( ! Bef.) die artificielle Verkürzung der Nerven¬ 
fasern zu einer Verkleinerung der Zellen geführt habe —, falls nicht der Mangel 
an Activität für die Erklärung der Verkleinerung herangezogen werden könne. 
Endlich sah Verf. bei der Untersuchung der Spinalganglien eines Cercopithecus nach 
Weigert und Vassale zwei Arten von Zellen: 

1. granulirte, in welchen Körnchen in Gestalt rundlicher * Partikel mehr oder 
weniger regelmässig theils isolirt, theils in kleinen Gruppen angeordnet sind, und 
zwar dichter im Centrum, als in der Peripherie, jedoch nicht concentrisch; zwischen 
den Körnchen eine homogene Grundsubstanz ohne Structur, speciell ohne ein Netz¬ 
werk; 

2. homogene, nicht granulirte Zellen, deren Kerne übrigens kleiner seien, als 
die der anderen Zellen und im Gegensatz zu diesen meist nicht in der Mitte der 
Zelle lägen. 

In Bezug auf die Deutung des Befundes möchte Verf. noch am ehesten an die 
Möglichkeit denken, dass es sich um Zellen handle, welche sich in verschiedenen 
Perioden ein und derselben Function befinden. Kaplan (Herzberge). 


3) Weitere Untersuchungen im Gebiete der centralen Endigungen des 
10. Paares der Gehirnnerven, von Dr. W. P. Ossipow. (Nevrologitschesky 
Wjestnik. 1898. Bd. VT. [Bussisch.]) 

Im Anfänge der Arbeit bemerkt Verf., dass dieselbe als Ergänzung seines ersten 
Aufsatzes über die centralen Endigungen des N. vagi (Nevrologitschesky Wjestnik. 
1896. Bd. IV) erscheint, da sie zum Theil jene Untersuchungsresultate enthält, die 
in seiner ersten Arbeit nicht angeführt waren, da dieselben weiterer Controll* 
Untersuchungen bedurften. Als Untersuchungsmaterial für die gegenwärtige Arbeit 
dienten ausser früheren Präparaten, die von jungen Hunden und Katzen gewonnen 
waren, noch die Gehirne zweier Kaninchen, die nach einseitiger Ausschneidung des 
N. vagi 91 bezw. 90 Tage gelebt hatten, und das Gehirn eines Hundes, bei dem 

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Prof. J. P. Pawlow in dem Institut für experimentelle Medicin in St. Petersburg 
eine doppelseitige Dnrcbschneidnng des cer?icalen Theils der Nn. vagi ansgefübrt 
hatte, nach welcher das Thier noch 6 Monate und 3 Wochen gelebt hatte. Färbung 
nach Nissl, van Gieson, Pal und anderen Methoden. Die mikroskopische Unter¬ 
suchung der Schnitte bestätigte vollkommen die Besultate der ersten Arbeit des 
Yerf.’s, d. h. es wurde gefunden: Atrophie der Wurzelbündel des N. vagi, des dor¬ 
salen Kernes des hl. vagi und der Zellen in dem angrenzenden Gebiet der Ala cinerea, 
des Nucl. ambigui, des Funic. solitarius und dessen gelatinösen Substanz auf der Seite 
der Operation und Atrophie der Fasern, die unter dem Boden des 1Y. Ventrikels 
ziehen. Ausserdem fand der Yerf. eine partielle Atrophie der Zellen im Dorsalkem 
des N. vagi auf der der Operation entgegengesetzten Seite, die besonders scharf aus¬ 
geprägt war in dem vorderen-innereu Abschnitte des Kerns; Yerf. erblickt darin 
einen Beweis für das Vorhandensein von partieller Kreuzung der Wurzelbündel des 
N. vagi. Auf Grund der Atrophie der betreffenden Gebiete kommt der Verf. zu dem 
Schluss, dass die Wurzelbündel des N. vagi in enger Beziehung stehen ausser zu 
dem Dorsalkern des N. vagi und dem Gebiete der Ala cinerea, des Solitärbündels 
mit dessen gelatinösen Substanz und des Nucleus amibigui, auch zu den dorsalen 
Partieen des 12. Nervenpaares und zu dem Nucl. intercalat. Staderini; in der Baphe 
erleidet ein Theil der Wurzelbündel des N. vagi eine Kreuzung, wobei ein Theil der 
Fasern mit dem Dorsalkem der entgegengesetzten Seite in Verbindung tritt, der 
andere Theil mit dem entgegengesetzten Nucl. ambiguus. 

Auf Grund seiner Untersuchungen bestätigt der Yerf. die motorische Function 
des Nucl. ambigui; der Grad der Atrophie'desselben hängt nicht ab von dem Niveau 
der Durchschneidung des N. vagi oberhalb oder unterhalb des Ganglion nodosum 
(Plexus ganglioformis) des N. vagi. 

Der Arbeit sind 2 Abbildungen beigegeben. E. Giese (St. Petersburg). 


Experimentelle Physiologie. 

4) Sülle alterazioni delle cellule nervöse nell* ipertermia sperimentale, 
per E. Lugaro. (Biv. di Patologia nerv, e ment 1898. 111. 5. Mai.) 

Bei Hunden und Kaninchen, die im Thermostat erwärmt wurden, und deren 
Körpertemperatur 46 0 überstiegen hatte, fand Yerf. an Ganglienzellen aus allen Ge¬ 
bieten des Nervensystems tiefgehende Schädigungen, bestehend in einem erheblichen 
Zerfall des Chromatins bei Intactheit des achromatischen Theils der Zellen, so dass 
dessen Netz- und Fibrillenstructur deutlicher zu Tage trat, als in normalen Zellen; 
der Kern unversehrt; am Kerakörperchen verminderte Färbbarkeit des acidophilen 
Theils, leichte Formveränderungen der basophilen Schollen. Die gefundenen Alte¬ 
rationen waren diffus über das ganze centrale Nervensystem vertheilt und betrafen 
alle Ganglienzellen gleichmässig. 

Stimmen die vom Yerf. beschriebenen Veränderungen mit den von Goldscheider 
und Fla tau an den Vorderhornzellen constatirten überein, so theilt hingegen Yerf. 
nicht die Ansicht dieser beiden Autoren hinsichtlich der geringen Bedeutung des 
Chromatins für Leben und Function der Zelle. Er fand vielmehr bei seinen Thieren 
einen Zustand allgemeiner Muskelschwäche und verminderter Beactionsfähigkeit auf 
Beize und gegen Ende bei nicht von Convulsionen befallenen Thieren Stillstand der 
Athmung in Folge Erschöpfung des Athmungscentrums, und ist deshalb geneigt an¬ 
zunehmen, dass zwar nicht absolute structurelle und quantitative Intactheit des 
Chromatins zur motorischen Function erforderlich ist, dass aber mit der quantitativen 
Verminderung des Chromatins eine entsprechende Schwächung der Functionsf&higkeit 
einhergeht. Solange also die Structur der achromatischen Substanz und die Yer- 


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bindung der Zellen untereinander erhalten sind, ist auch die Functionsmöglichkeit 
gegeben: Die Intensität der Function bängt aber von der noch erhaltenen Menge 
Chromatin ab. Valentin. 


5) Lesioni degli elementi nervös! nelT avellenamento sperimentale per» 
nitrato d’argento, per A. Donaggio. (Riv. sperim. di Freniatr. XXIV.) 

Die Wirkung des Argentum nitricum stndirte Verf. an Hunden, denen er in 
steigender Dosis das Gift in den Magen brachte. Verf. kommt zu dem Resultat, dass 
durch die experimentelle Silbernitratvergiftung Läsionen an Zellen und Fasern des 
Nervensystems sich entwickeln, dass an den Veränderungen der Nervenzellen im 
Rfickenmark aberwiegend die Vorderhörner betheiligt sind, dass systematische Dege¬ 
nerationen in den Hinter-, wie in den Seitensträngen entstehen können, und dass 
diese Degenerationen nicht von Zellläsionen abhängig sind, dass sie vielmehr als ihren 
Ursprung von den Nervenfasern selbst nehmend zu betrachten, mithin primäre Dege¬ 
nerationen sind. Valentin. 


6) I. Motorische Functionen hinterer Spiüalnervenwurzeln, von E. Steinach 
und H. Wiener. (Arch. f. d. ges. Physiolog. Bd. LX.) — II. Ueber die 
visoero - motorischen Functionen der Hinterwurzeln und über die 
tonische Hemmungswirkung der Medulla oblongata auf den Darm des 
Frosohes, von Prof. E. Steinach. (Ebenda. 1898. Bd. LXXI.) 

Es erscheint Ref. nothwendig, die beiden zeitlich ziemlich weit auseinander 
liegenden Arbeiten unter einem zu besprechen, da in der interessanten zweiten Mit¬ 
theilung vielfach auf die Resultate der ersten Rücksicht genommen ist. 

Die umfangreichen Versuche (ca. 180 Experimente) wurden an Fröschen (Sommer¬ 
und Herbstfröschen) vorgenommen. Nach genauer Beschreibung der ganzen Ver¬ 
suchsanordnung und der getroffenen Cautelen theilen die Verff. folgende Ergebnisse 
der Wurzelreizung mit: Reizung der hinteren Wurzeln veranlasst Contractionen der 
Darmmuskulatur. Dieselben äussern sich zuerst als locale Einschnürungen, an welche 
sich peristaltische und antiperistaltische Bewegungen anschliessen. Die Peristaltik 
nimmt bei Verstärkung der Ströme oder etwas längerer Einwirkung an Ausbreitung 
und Lebhaftigkeit zu. Den aufeinanderfolgenden Wurzelpaaren entsprechen auch be¬ 
stimmt aufeinanderfolgende, wenn auch nicht scharf begrenzte motorische Functions¬ 
gebiete. Im allgemeinen wird je ein Hauptabschnitt des Darmtractus von zwei 
benachbarten Wurzelpaaren versorgt, so der Oesophagus von der 2. und 3. Hinter¬ 
wurzel, der Magen von der 3. und 4., der Dünndarm von der 5. (im Duodenum 
auch von der 4., im unteren Abschnitt von der 6. Hinterwurzel), das Rectum von 
der 6. und 7. Hinterwurzel. Den Hinterwurzelfasern kommen also motorische Func¬ 
tionen zu. Aufhebung des Kreislaufs durch Ausschneiduug des Herzens ändert nichts 
an den oben mitgetheilten Verhältnissen. Die vorderen Wurzeln versorgen nur jenen 
Darmtheil, der in gewissem Sinne auch willkürlicher Innervation unterworfen ist 
(Rectum). Eis überwiegt aber auch in diesem Theile der Einfluss der Hinterwurzeln. 
Sowohl Hinter-, als auch Vorderwurzeln innerviren die Harnblase motorisch (und 
zwar 7., 8. und 9. Hinterwurzel). Die motorisch wirksamen Fasern in den Hinter¬ 
wurzeln können auch auf reflectorischem Wege erregt werden, wie dies die Verff. 
durch sinnreiche Versuchsanordnung darthun. 

Die Resultate dieser (ersten) Arbeit wurden von Horton Smith (Journal of 
Physiology. 1897. Vol. XXI. S. 101) bestritten. Sh führt nun den eingehenden 
Nachweis, dass H. Smith nicht am gleichartigen Materiale und nicht unter den ent¬ 
sprechenden Cautelen (so u. a. mit unwirksamen elektrischen Strömen) gearbeitet 
habe. Gleichzeitig berichtet er über neue Versuche, betreffend die Hemmüngswirkung 

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des Kopfmarkes. Entfernt man beim Versucbsthiere nach Freilegung der Därme die 
Mednlla oblongata, so treten Contraction des Oesophagus und Magens auf, während 
bei gleicher Versuchsanordnung, aber erhaltener Medulla oblongata diesen Contractionen 
sich nicht einstellen. Die Ursache der spontanen Zusammenziehungen liegt nach St. 
in dem Ausfälle der hemmenden Einflüsse von der Medulla oblongata her. Durch 
locale Aetherisirung lässt sich die Medulla oblongata temporär ausschalten; hierdurch 
kann zeitweilig die Hemmungswirkung aufgehoben und wiederbelebt werden. Durch 
die durchgeführten Experimente und Controllversuche scheint die Annahme gerecht¬ 
fertigt, dass die Medulla oblongata des Frosches neben erregenden auch hemmende 
Organe für den Oesophagus, den Magen und obersten Dünndarm enthält, dass die 
Hemmungsimpulse durch die Vagi den Darmganglien vermittelt werden, und dass 
die auf die letzteren ausgeübte Hemmungswirkung tonischer Natur ist. 

Durch locale Aetherisirung lassen sich verschiedene centrale Functionen zeit¬ 
weise ausschalten. Das Verfahren stellt eine Ergänzung zum Exstirpationsverfahren 
dar. Aetherisirt man das über der Eintrittsstelle der Ischiadicuswurzeln befindliche 
Bückenmarkssegment, so erhält man ein gelähmtes Hinterthier; narkotisirt man das 
dicht über den Brachialwurzeln liegende Segment, so erhält man ein Thier, dessen 
Vorderkörper gelähmt ist, dessen Hinterkörper jedoch in normaler sprungbereiter 
Verfassung bleibt. Auch die verschiedenen Hirnabschnitte lassen sich durch Aetheri¬ 
sirung temporär ausschalten. 

Zu den Control 1 versuchen, welche St. neuerlich unternahm, um die viscero- 
motorische Function von Hinterwurzeln zu prüfen, fügte er nun auch eine histo¬ 
logische Nachuntersuchung hinzu, welche zeigte, dass es sich um echte Hinterwurzel¬ 
fasern ohne Hinzutritt sympathischer Elemente handle. 

Diese Untersuchungen haben dargethan, dass die hinteren Bückenmarkswurzeln 
zum Theil gemischter Natur sind, im Gegensatz zur rein motorischen der Vorder¬ 
wurzeln. H. Schlesinger (Wien). 


7) Zur Frage über die cortioalen Centra des Diokdarms, von Dr. W. P. 

Ossipow. (Obozrenje psichiatrii. 1898. Nr. 3. [Bussisch.]) 

Im Anfänge der Arbeit führt Verf. die Litteratur über die corticale Innervation 
des Magens, der Gedärme und der Harnblase an, die noch sehr spärlich ist (Boche- 
fontaine, Hlasko, Bechterew und Mislawski, Oppenchowski, Pal und 
Bergrün, Dragomiroff). Die Frage über die corticalen Centra des Dickdarms 
bleibt gänzlich offen. Die Experimente wurden vom Verf. an curarisirten Hunden 
ausgeführt; die Contractionen des Dickdarms bei Beizung der Hirnrinde wurden auf 
dem Kimograph verzeichnet. Bei 2 Hunden erzielte Verf. eine Beihe von Contrac¬ 
tionen (9) des Dickdarms bei einer Beihe (7) von Beizungen eines Punktes der Hirn¬ 
rinde, der beim inneren Bande des Gyrus sygmoidei, unmittelbar nach vorn vom 
Sulcus cruciatus gelegen war; bei einem Hunde trat die Contraction des Dickdarms 
ein bei Beizung eines Punktes der Sygmoidalwindung, der unmittelbar nach - vorn 
vom äusseren Ende des Sulcus cruciatus sich befand. Der Umfang der Punkte war 
äusserst unbedeutend, so dass bei der geringsten Verschiebung der Elektroden keine 
Contraction mehr auftrat. Bei einem Hunde konnten Contractionen überhaupt nicht 
erzielt werden. Verf. kommt zu dem Schluss, dass Beizung einiger Punkte der 
Hirnrinde, deren Lage, wie es scheint, nicht constant ist, Contraction des Dickdarms 
hervorruft. Der Arbeit sind Abbildungen von Contractionscurven des Dickdarms und 
ein Schema der Oberfläche einer Gehirnhälfte mit Bezeichnung der oben beschriebenen 
Punkte beigefügt. Die vorliegende Untersuchung des Verf.’s bietet ein hervorragendes 
Interesse dar, da dieselbe auf exacte Weise eine bis jetzt fast gänzlich unberührte 
Frage zu lösen bestrebt ist. E. Giese (St. Petersburg). 


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Pathologische Anatomie. 

8) Ueber miliare Sklerose der Hirnrinde bei seniler Atrophie, von Priv.- 
Doc. Dr. Emil Redlich. Aus der psych. Klinik von Prof. v. Wagner. (Jahrb. 
f. Psych. 1898. Bd. XVII.) 

Bei einer 73jährigen Kranken, die die Erscheinungen vorgeschrittener seniler 
Demenz mit sehr ausgesprochener Sprachstörung, zum Schlüsse bis zum nahezu voll* 
ständigen Verluste der Sprache sich steigernd, und epileptische Anfälle dargeboten 
hatte, ergab die mikroskopische Untersuchung des Gehirns nebst den der senilen 
Atrophie zukommenden histologischen Veränderungen (Schwund und Atrophie der 
Ganglienzellen und Nervenfasern, Gliawucherung mit Auftreten von pigmentirten 
Spinnenzellen u. s. w.) in der Hirnrinde ungemein zahlreiche, kleine Verdichtungsherde 
von der Grösse einer Ganglienzelle bis zum 4—6 fachen einer solchen, die Verf. als 
miliare Sklerose bezeichnet. Dieselben waren auf die Hirnrinde beschränkt, fanden 
sich besonders reichlich in den Stirn- und Schläfenwindungen, weniger zahlreich in den 
Centralwindungen und im Hinterhanptslappen. Verf. leitet diese miliaren Sklerosen 
von Spinnenzellen ab. Es kommt an denselben zum Auftreten sehr reichlicher, 
feinster Fäserchen in ungemein dichter Anordnung. Im weiteren Verlaufe treten in 
dieser gewucherten Glia regressive Vorgänge auf, wodurch es einerseits zu einer Art 
Homogenisirung kommt, andererseits zu einem grobkörnigen Zerfall. Im Centrum 
dieser Verdichtungsherde finden sich öfters Beste von Ganglienzellen oder Capillaren. 
Verf. bringt das Auftreten dieser miliaren Sklerose mit den atrophischen Vorgängen 
an den Ganglienzellen in Beziehung. Ohne eine endgültige Entscheidung treffen zu 
wollen, erscheint ihm die Annahme, dass das Primäre der Schwund der nervösen 
Elemente sei, plausibel. 

Verf. beschreibt in einem zweiten Falle von seniler Demenz, der gleichfalls mit 
schweren Sprachstörungen und epileptischen Anfällen einherging, vereinzeltes Auf¬ 
treten solcher miliaren sklerotischen Herde, desgleichen bei einem dritten Falle, über 
den keine klinischen Nachrichten zur Verfügung standen. 

Bloetz und Marinesco haben in einem Falle von Epilepsie einen ähnlichen 
Befund beschrieben. 

In klinischer Beziehung weist Verf. kurz auf zwei Momente hin: erstens auf 
die in beiden eigenen Fällen bestandenen epileptischen Anfälle ohne gröbere Schädi¬ 
gung des Gehirns, und zweitens auf die ausgesprochenen Sprachstörungen, die in 
einem Falle eine Herdläsion der Sprachcentren hatten annehmen lassen. 

(Autorreferat.) 


9) On the structural alterations observed ln nerve cells, by W. B. War- 
rington. (Journal of Physiology. XXIII. S. 112.). 

Verf. hat nach einem neuen Verfahren das Verhalten der Ganglienzellen des 
Rückenmarks nach Durchschneidung der zugehörigen vorderen und hinteren Wurzeln 
untersucht. Um mit den Folgen des letzteren Eingriffes zu beginnen, so zeigten 
sich nach Durchschneidung der hinteren Wurzeln des 5.—9. Brustnerven constant 
Veränderungen in der postero-externen Gruppe der Ganglienzellen der Vorderhömer, 
und zwar waren es vorwiegend das 7. und 8. Brustsegment, welche befallen er¬ 
schienen. Der Ausfall der normalen centripetalen Reize bewirkte an den betreffenden 
Zellen typische Veränderungen, welche sich zunächst in der excentrischen Lage des 
Kernes documentiren, alsbald jedoch gesellen sich hierzu Veränderungen in dem 
Verhalten der Nissl’schen Granulation. Diese lösen sich auf, und zwar zunächst 
in der Zellperipherie, so dass nur noch der Kern von einem Kranz von Nissl’schen 
Körpern umgeben erscheint, schliesslich verschwinden auch diese und mit ihnen wird 

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702 


auch der Kern unsichtbar, so dass, die Granglienzelle nur noch wie ein aufgeqnollener 
leerer hyaliner Sack ausflieht. — Diese Zelldegenerationen sind meist nur auf der 
operirten, selten auch vereinzelt auf der gekreuzten Seite nachweisbar. 

Aehnliche, aber qualitativ und quantitativ hochgradigere Veränderungen kann 
man nach Durchschneidung der vorderen Wurzeln in dem zugehörigen Bücken¬ 
marksegment constatiren, nur findet man hier nicht eine besondere Zellengruppe be¬ 
fallen, sondern fast alle Zellen des Segments ergriffen. Neben der Chromatologie 
spielt auch hier die Verlagerung des Kernes und die Zerstörung der normalen Kern¬ 
hülle die Hauptrolle unter den pathologischen Symptomen. Weniger ausgedehnt und 
weniger constant sind die Veränderungen, welche man nach Dnrchschneidung des 
Facialis oder Ocnlomotorius in den zugehörigen KernzelleD wahrnehmen kann. Es 
scheinen hier starke Individualitäts- nnd Altersunterschiede vorzukommen. 

W. Cohnstein (Berlin). 


10) Beitrag zur pathologischen Anatomie des Centralnervensystems bei 
der acuten Anämie, von G. Scagliosi. Aus dem patholog.-anatom. Institut 
der Universität Palermo. (Deutsche med. Wochenschr. 1898. Nr. 20.) 

Verf. konnte das Centralnervensystem einer schwangeren Frau untersuchen, 
welche nach 33jähriger, zeitweise sehr starker Gebärmutterblutung starb. Gehirn 
und Rückenmark zeigten bei der Obduction (12 Stunden post mortem) ausser Blässe 
der grauen Substanz und einer geringen Füllung der Blutgefässe nichts abnormes. 
Mikroskopisch fanden sich bei Anwendung der Nissl-Methode an den Nervenzellen 
ausgesprochene Veränderungen. Fast alle Zellen des Gehirns, besonders die 
Pyramidenzellen, zeigen diffusen oder seltener auf die Basis beschränkten Zerfall und 
Auflösung der Nissl’schen Zellkörperchen, einzelne Pyramidenzellen daneben eine 
homogene diffuse blassbläuliche Färbung der Grundsubstanz. Der Nebenkern weist 
eine leere rundliche Stelle auf, welche entweder central oder excentrisch liegt nnd 
eine Wandstellung einnimmt. Der Körper der Purk inj e’schen Kleinhirnzellen 
ist fast überall mit feinsten Körnchen erfüllt, der Kern verwaschen, die Nissl’schen 
Körperchen abgeblasst, die Grnndsubstanz des Plasmas und des Kernes diffus blass¬ 
bläulich gefärbt. — Die Ganglienzellen des Bückenmarks, besonders der Vorder¬ 
hörner, lassen Atrophie erkennen, verbunden mit Chromatolyse; die Nissl’schen 
Körperchen sind in manchen Zellen vergrössert und schwach färbbar, in anderen 
partiell feinkörnig zerfallen. In den Zellen des Kleinhirns und Rückenmarks zeigt 
der Nebenkern im Inneren die beschriebene klare 8telle. 

Verf. betrachtet die Ganglienzellen Veränderungen als Folge einer Intoxication 
durch Luftmangel. B. Pfeiffer (Cassel). 


11) La oorteceia cerebrale di un delinquente paranoioo. Nota istologia per 

Dr. G. Angioletta. (Manicomio. XHI. Nr. 1 u. 2.) 

Boncoroni hat in seiner Arbeit über die Morphologie des Gehirns von Epilep¬ 
tikern und Verbrechern (Arch. di Psichiatria. 1896. Vol. XVII. Fase. 1—2), wohl 
als der erste, den merkwürdigen Befund veröffentlicht, dass bei diesen beiden Kate¬ 
gorien die tiefe Schicht der kleinen Nervenzellen der Binde fehlte oder atrophisch 
war, so dass von der Schicht der grossen Pyramidenzellen ein directer Uebergang 
zu der Schicht der polymorphen Zellen und von da zur weissen Substanz statthatte; 
dass die Schicht der grossen Pyramidenzellen ausserordentlich entwickelt war und 
zahlreiche Nervenzellen in der weissen Substanz existirten, so zahlreich als dies — 
normalerweise — nur bei einigen niederen Thieren der Fall ist. Verf. hat anf 
diesen Punkt hin das Gehirn eines alten Paranoikers, früheren Verbrechers, unter¬ 
sucht. Ausser den üblichen Altersverändernngen in den Zellelementen constaürte 


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Verf. Structuranomalien, die er fQr angeboren hält und die mit Boncoroni’s Ent¬ 
deckung Abereinstimmten; als besonders wichtig aber hebt er hervor, dass diese Ver¬ 
änderungen sich namentlich in den Stirn- und Schläfenwindungen am deutlichsten und 
constant zeigten; weniger constant waren sie in den Scheitellappen, garnicht zu finden 
waren sie in den Occipital Windungen. Das Versprengtsein einer abnormen Menge 
von Nervenzellen in die weisse Substanz beobachtete er nur in einigen Schläfen¬ 
windungen. Bresler (Freiburg i./Schl.). 


Pathologie des Nervensystems. 

12) L’ötat aigu de lä paralysie infantile, par 0. Medin. (Arcbives de Me* 
decine des Enfants. 1898. Mal Juni) 


In einer ausführlichen Abhandlung fasst der Stockholmer Pädiater die Er¬ 
fahrungen zusammen, welche er bei zwei grösseren Epidemieen von „Kinderlähmungen“ 
zu sammeln Gelegenheit hatte. Die erste, bereits durch frQhere Mittbeilungen be¬ 
kannte, kam von August bis Mitte October 1887 zur Beobachtung, während dieser 
Zeit behandelte Verf. 30 Fälle acuter spinaler, cerebraler und peripherer Lähmungen, 
während im ganzen vorigen Jahre nur 13 solcher Fälle der Klinik zugingen. Bei 
der schwächeren Epidemie vom 15. Juli bis anfangs September 1895 wurden 15 Fälle 
beobachtet. Im Ganzen verfügt der Verf., die sporadischen Fälle der Zwischenzeit 
mitgerechnet, Aber 64 Fälle, von denen er eine grosse Anzahl interessanter Kranken¬ 
geschichten mittheilt. 

Der Umstand, dass die während der Epidemieen beobachteten Fälle in buntem 
Wechsel Symptome darboten, • welche auf Erkrankung des Rückenmarks, der Medulla 
oblongata, der Gehirnrinde und der peripheren Nerven hinwiesen, dass sogar bei 
manchen Individuen sich diese Symptome combinirten, lässt für den Verf. keinen 
Zweifel an dem Zusammenhang aller dieser Formen von „Kinderlähmung“ bestehen. 
Zur Illustrirung* der Verschiedenartigkeit der gestellten Diagnosen diene folgende 
Tabelle: 


Spinale Kinderlähmung im Lendenmark. 

„ „ „ Halsmark. 

„ „ complet .. 

„ „ im Lendenmark und Abducenslähmung . . 

„ „ „ „ „ Oculomotoriuslähmung 

„ „ complet und Facialislähmung . . . . . 


„ „ „ „ „ und Oculomotoriuslähmung 

„ „im Lendenmark, Facialislähmung, Polyneuritis . . . 

„ „ complet, Vaguslähmung, Polyneuritis. 

„ „ complet und bulbäre Lähmung.. 

Monoplegis facialis. 


Acute einfache Polyneuritis. 

Polyneuritis mit Ataxie. 

„ „ Facialislähmung. 

„ „ Abducens- und Hypoglossuslähmung 

Acute Polioencephalitis . 


und Abducenslähmung. 

Facialis-, Hypoglossus- u. Accessoriuslähmung, Polyneuritis 


32 

5 

4 

2 

1 

1 

1 

1 

1 

2 

3 

1 

3 

1 

1 

2 

2 

1 


Dieser Mannigfaltigkeit der Diagnosen stehen allerdings nur 2 Obductionsbefunde 
von spinaler Kinderlähmung gegenüber, welcher seiner Zeit von Risler veröffentlicht 
worden sind. Als ätiologisches Moment vermuthet der Verf. eine Toxin-, bezw. 
bakterielle Wirkung, möglicherweise durch bekannte Mikroorganismen (Streptokokken), 


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welche unter besonderen Umständen eine eigentümliche Affinität zu den motorischen 
Ganglienzellen erlangen können. 

In Bezug auf die Lebensgefahr erwiesen sich die beiden Epidemieen als ziemlich 
günstig; dauernde Lähmungen blieben allerdings bei einer grossen Beihe von Fällen 
zurück. Zappert. 


13) Alte infantile Poliomyelitis mit folgender spinaler Muskelatrophie, 

von Armin Langer. (Jahrbuch der Wiener k. k. Krankenanstalten. Bd. V. 

n. Theil.) 

Ein 50jähriger, neuropathisch belasteter Schneidergeselle hat in seinem .4. Lebens* 
jahre eine als poliomyelitische Kinderlähmung aufznfassende Lähmung beider rechts¬ 
seitigen Extremitäten mit leichter Mitbetheiligung des linken Beins erlitten. Der 
Zustand besserte sich, so dass Pat. allein gehen und mit dem rechten Arm nähen 
konnte. Erst Mitte der 30er Jahre verschlechterte sich die Beweglichkeit des rechten 
Arms und in geringem Grade auch der Beine. Im Arm sind die mit Erheben, 
Abduciren und Auswärtsrollen des Oberarms verbundenen Bewegungen gestört. Vor 
3 Jahren trat plötzlich völlige Lähmung des rechten Arms ein, die aber nach 
17 wöchentlicher Elektrotherapie sich wieder zurückbildete. Es besteht jetzt dextro- 
convexe Sklerose der Brust- und oberen Lendenwirbelsäule. Am rechten Arm ist 
der M. deltoides stark atrophisch, schwächer der M. supra- und infraspinatus und 
der obere Theil des M. pectoralis. Auch der M. biceps und Supinator longus zeigen 
hochgradige Atrophie, weniger der Triceps; der Daumen ballen ist stark atrophisch. 
Der Oberarm kann kaum gehoben werden; Rotation und Adduction sind kraftlos. 
Die Sehnenreflexe fehlen. Der linke Arm ist normal. Das rechte Bein ist stark im 
Wachsthum zurückgeblieben, zeigt starke Muskelatrophie; die Bewegungen in Hüft- 
und Kniegelenk, vor allem Extension und Rotation, sind stark behindert. Am 
Unterschenkel ist vor allem die Function der Plantarflexoren und Heber des inneren 
Fussrandes herabgesetzt; es besteht Calcaneo-valgus-Stellung des Fusses. Das linke 
Bein ist besser entwickelt, aber auch atrophisch. Kniebeuger und Strecker sind 
deutlich paretisch. Die Sehnenreflexe fehlen an beiden Beinen. Die Sensibilität ist 
überall normal. 

Der ursprüngliche poliomyelitische Process ist sehr ausgedehnt mit Affection 
der Lumbal- und Cervicalanschwellung. Die nach 30 Jahren eintretende Verschlech¬ 
terung schreitet langsam, aber stetig fort und betrifft nur von der ersten Erkrankung 
bereits geschädigte Muskelgebiete. In dem rechten Arm sind auf die spätere Er¬ 
krankung zu beziehen: die Atrophie der Mm. deltoides, infraspinatus, biceps, Supi¬ 
nator longus und der Daumenballenmuskulatur, während an den Beinen der Antheil 
derselben nicht sicher festzustellen ist. 

Die Differentialdiagnose der späteren Erkrankung schwankt zwischen Polio¬ 
myelitis chronica und progressiver spinaler Muskelatrophie. Verf. ist geneigt eine 
Uebergangsform zwischen beiden Krankheitsbildern anzunehmen mit stärkerer Hin¬ 
neigung zur Muskelatrophie. Interessant ist dabei der vor 3 Jahren eingetretene 
acute Nachschub der Krankheit. Aetiologisch kommt die hereditäre nervöse Be¬ 
lastung in Betracht, ferner die durch die erste Affection gesteigerte Disposition zu 
neuerlicher Erkrankung der grauen Substanz, als unmittelbare Gelegenheitsursache die 
locale Muskelanstrengung des Nähens. M. Rothmann (Berlin). 


14) Ueber progressive Muskelatrophie nach cerebraler Kinderlähmung, 

von H. Bisping. (Inaug.-Dissert. 1898. KieL) 

Verf. bespricht einen interessanten Fall aus der Quincke’schen Klinik. Es 
handelt sich bei einem Individuum um: 

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1. Ellbogentrauma im 3. Jahre, 

2. Cerebralerkrankung mit Hemiplegie im 4. Jahre, 

3. Muskelatrophie im 25. Jahre. 

Bei letzterer handelt es sich um die Erb’sehe juvenile Form der Dystrophia 
muscularis progressiva. Verf. hält es für wahrscheinlich, dass diese Dystrophie 
ätiologisch mit der im 4. Jahre überstandenen Encephalitis acuta in Zusammenhang 
stehe. Kurt Mendel. 


15) Ueber Complication spinaler Kinderlähmung mit progressiver Muskel¬ 
atrophie, von August Filbry. (Inaug.-Dissert. 1898. Kiel.) 

Die Besprechung der pathologischen Anatomie der spinalen Kinderlähmung, 
sowie der progressiven Muskelatrophie zeigt,' dass beide Erkrankungen auf Verände¬ 
rungen der grauen Vorderhörner beruhen. Nur das Bild ist bei beiden Krankheiten 
ein verschiedenes. Die spinale Kinderlähmung tritt plötzlich auf und ist weit ver¬ 
breitet, sie bessert sich bald und es kommt schliesslich zur Qanglienzellenatrophie. 
Meist werden Kinder von ihr befallen. Die progressive Muskelatrophie ist hingegen 
eine chronische, langsam einsetzende und progressiv verlaufende Krankheit, die meist 
Erwachsene befällt. Die Residuen der spinalen Kinderlähmung scheinen den Boden 
für die progressive Muskelatrophie zu bereiten. Verf. fügt den 5 bisher beobachteten 
Fällen von Complication beider Krankheiten eine eigene, auf der Quincke’schen 
Klinik gemachte Beobachtung hinzu. Bei einem Manne, der im 2. oder 3- Lebens¬ 
jahre eine spinale Kinderlähmung durchgemacht hat, stellt sich vom 26. Jahre an 
eine im Schultergürtel beginnende progressive Muskelatrophie ein. In den in der 
Kindheit erkrankt gewesenen Vorderhömern trat eben von neuem eine langsam fort¬ 
schreitende Erkrankung mit Schwund der Ganglienzellen ein. Eine' Läsion des 
Bückenmarks lag vor, der Boden für eine neue Erkrankung war geebnet. Eine 
äussere Einwirkung, welche entweder Ueberanstrengung oder Erkältung sein mag, 
„weckt die vorhandene Läsion aus ihrem Schlummer“ und so entsteht die progressive 
Muskelatrophie. Kurt Mendel. 


16) Salle distrofle muscol&ri progressive, per d’Abundo. (1897. 61 Seiten.) 

Verf. bringt in dieser vornehm ausgestatteten, mit vielen ausgezeichneten Photo- 
graphieen illustrirten Schrift wichtige Beiträge zur Lehre der progressiven Muskel¬ 
atrophie, bezw. Dystrophie. Sehr eingehend werden 14 Beobachtungen mitgetheilt, 
von denen eine Beihe dem familiären Typus angehöreu, und überall fast ist erbliche 
Belastung vorhanden. Wichtig ist auch eine specielle anthropologische Untersuchung. 
Verf. zeigt, dass es sich in manchen seiner Fälle um Uebergänge der spinalen 
progressiven und der primären Muskelatrophie handelt, die auch andern bekannten 
Typen sich nipht gut subsummiren lassen. Er glaubt — und das wohl mit Recht —, 
dass das Centralnervensystem wohl stets in Mitleidenschaft gezogen ist, und dass das 
ganze Studium der Muskelatrophieen überhaupt von neuem zu machen ist. Vor 
allem haben die verschiedenen Unterabtheilungen zu fallen; sie zeigen eben nur an, 
dass es gewisse bevorzugte Localisationen giebt, deren Grund wir aber noch nicht 
kennen, da wir überhaupt Näheres über die Entwickelung der Muskeln und deren 
Differenzirung noch nicht kennen. Die Klinik zeigt immer mehr, wie sich die 
Haupttypen: die primäre und spinale Muskelatrophie einander nähern; die Pathologie 
muss dies endgültig aber beweisen. Vielfach sind die Ursachen dieser Dystrophieen, 
in mehreren Fällen des Verf.’s spielten Infectionen eine grosse Bolle. Experimente 
werden hier aufklären können. Wichtig ist, dass die anthropologische Untersuchung 
in einer guten Anzahl angeborene defecte Organisation anzeigte. Die Entwickelung 

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Entwickelung der Muskeln und des Skeletts sind eng miteinander verbunden. Je 
complicirter bei Thieren das letztere ist, desto differenzirter ist die Muskulatur. 

Näcke (Hubertusburg). 


17) Supra un oaso di miopatia atrofloa progressiva oon parteoipazione 

di un museolo ooulare, per G. Lombroso. (Clinica moderno. UI. 40.) 

Mittheilung eines Falles von Dystrophia musc. progressiva bei einem 19jährigen 
jungen Manne. Das Leiden hatte im 6. Lebensjahre begonnen. Ausser dem Er¬ 
griffensein der Muskeln des Stammes und der Extremitäten bestand bei dem Fat. 
eine vollständige Lähmung des M. rect. ext. des linken Auges. Auch diese hatte 
sich langsam und schleichend entwickelt. Der Kranke, ein hochgradiger Myop, hatte 
keine subjectiven Beschwerden von Seiten des Auges, auch kein Doppeltsehen, wie 
Yerf. glaubt, weil er in Folge seiner starken Kurzsichtigkeit gewohnt war, die Gegen¬ 
stände stets nur mit einem Auge, bald mit dem rechten, bald mit dem linken zu 
fixiren, um die Anstrengungen der Convergenz zu vermeiden. Valentin. 


18) Idioglossia assooiated with pseudo-hypertrophio paralysis, by Leonh. 

Guthrie. (Brit. med. Journ. 1898. June 11. S. 1520.) 

Yerf. stellte der Londoner Harveian - Gesellschaft einen 7 jährigen Pat. mit 
pseudohypertrophischer Paralyse und eigentümlicher Sprachstörung vor (Idioglossia). 
Diese Bezeichnung ist nicht ganz correct; denn die Patienten sprechen nicht eine 
ihnen eigenthömliche Sprache, sondern die Sprache (in diesem Falle englisch) wird 
rficksichtlich der Buchstaben und Wörter falsch geäussert, Consonanten werden ver¬ 
tauscht, Consonanten für Vocale und umgekehrt hervorgebracht. Dies wurde deutlich, 
wenn der Knabe das Alphabet hersagte, oder ein bekanntes Kinderlied sang. . Alle 
der Sprache eigenen Töne und Laute konnten hervorgebracht werden, jedoch nicht an 
richtiger Stelle; das Kind hatte kein Bewusstsein von der Fehlerhaftigkeit solchen 
Sprechens. Der Fehler lag also mehr im Ohr, als im motorischen Tonapparat; Unter¬ 
schiede zwischen Tönen wurden nicht wahrgenommen; Musikgehör war gänzlich ab¬ 
wesend. Wenn man dem Kinde vorsprach mit deutlicher Formung der Lippen und 
Zunge, so wurde richtig nachgesprochen. Doch verlor sich die Aufmerksamkeit 
schnell, und dann wars wieder beim Alten. — Unterricht in dieser Art könne in 
solchen Fällen nützlich werden. 

Der ältere Bruder starb an pseudo-hypertrophischer Paralyse, und eine j&ngere 
Schwester hat ähnliche Sprechanomalien. Doch bestehe zwischen pseudo-hypertro¬ 
phischer Lähmung und Idioglossie kein causaler Zusammenhang. 

L. Lehmann I (Oeynhausen). 


19) Amiotrofla idiopatioa a oorso rapidissimo svolta si durante i primi 
mesi della vita, per G. Mya e E. Luisaela. (Biv. di Patologia nerv, e 
ment. 1898. Nr. 3.) 

Ein 5 Monate altes Kind, das vor l 1 / 3 Monaten, ohne dass fieberhafte oder 
andere Erkrankungen voraufgegangen waren, von Schwäche mit nachfolgender Läh¬ 
mung an Armen und Beinen befallen wurde. Bei der Aufnahme waren die Muskeln 
des ganzen Körpers gelähmt. Es traten Schluckbeschwerden und Dyspnöe hinzu, 
und das Kind starb bald darauf an Zwerchfelllähmung. Die Section ergab nichts 
Bemerkenswerthes mit Ausnahme der Atrophie der Muskeln, die den stärksten Grad 
im Gebiete der Glutaeen, der Deltoidei, der Supinatoren, der vom Badialis versorgten 
Muskelgruppen, der Brustmuskeln und des Zwerchfells erreichten. Mikroskopisch be¬ 
standen die Muskeln aus wenigen Bandeln, die ohne Querstreifung, aus homogenem, 


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granulirtem Protoplasma bestanden; daneben Fasern von riesigen Dimensionen und 
eine enorme Menge jungen Bindegewebes mit Fettzellen. 

Da sieb weder im Gebirn, noch im Bückenmark oder den peripheren Nerven 
Veränderungen fanden, so muss die Amyotrophie eine primäre, idiopathische gewesen 
sein. Ihre Ursache ist nach Ansicht der Verff. eine Unfähigkeit des Muskelplasmas, 
aus Blut und Lymphe sich die Nährstoffe zu assimiliren. So kommt es zur Inanition 
und Atrophie der Muskelfasern, an deren Stelle secundär Bindegewebe tritt. Diese 
Unfähigkeit ist Folge eines Defects der embryologischen Entwickelung, wie solche in 
ähnlicher Weise im Gebirn zur Idiotie, Mikrocephalie, Porencephalie führen können. 

Valentin. 


20) Beoherohes histo-pathologiqu.es sur l’etat des oentres nerveux dans 
la oommotion thoraeique et abdominale experimentales, par C. Paras- 
candolo (Neapel). (Arch. de phys. norm, et path. 1898. Nr. 1.) 

Verf. bat 10 Meerschweinchen durch einmalige stumpfe Traumen, welche sich 
dank der Versuchsanordnung auf Thorax bezw. Abdomen beschränkten, getödtet und 
das Centralnervensystem nach Nissl, Marchi und Golgi untersucht. Sämmtliche 
mikroskopische Befunde werden eingehend mitgetheilt. Die Golgi’sehe Methode 
ergab Deformation des Zellkörpers, rosenkranzähnliche Anschwellungen und Fragmen¬ 
tation der Protoplasmafortsätze. Die Marchi'sehe Methode ergab bald nur einfache 
Degeneration der Lissauer’schen Bandzone und der Hinterwurzein, bald eine über 
alle Stränge vertheilte Degeneration. Mit Hülfe der Nissl'sehen Methode war 
namentlich eine Chromatolyse in mannichfacher Form und Intensität nachzuweisen. 
Das Protoplasma (d. h. die Grundsubstanz) war mehr oder weniger stark rareficirt 
oder vaeuolisirt. Der Kern lag auffällig oft excentrisch und war bläschenförmig 
geschwollen. Th. Ziehen. 


21) Een geval van traumatisohe porencephalie, door Dr. J. Graanboom. 
(Weekl. van het Nederl. Tijdschr. voor Geneesk. 1897. I. 15.) 


Einem in Indien geborenen Kinde fiel im Alter von 8 Monaten eine Cocusnuss 
auf den Kopf; das Kind war eine Zeit lang bewusstlos und vollkommen gelähmt ge¬ 
wesen, erholte sich aber wieder. Zeichen äusserer Verletzung waren nicht vorhanden 
gewesen. Das Kind entwickelte sich körperlich und geistig normal und lernte im 
Alter von 1 Jahre gehen. Im Alter von 1 Jahr 8 Monaten stellten sich auf der 
Beise nach Europa plötzlich epileptiforme Anfalle ein, die während der Seereise 
selten, dann aber häufiger und heftiger waren. Harn und Koth gingen schliesslich 
unfreiwillig ab. Am hinteren Bande des linken Seitenwandbeins, wo die Cocusnuss 
aufgetroffen hatte, fand sich ein 8 cm langer und bis 3 cm breiter Knochendefect 
unter normaler Haut, ohne Narbe, in dem sich Pulsation zeigte und die Bedeckung 
über die Umgebungen emporragte, Anfälle mit clonisch-tonischen allgemeinen Muskel¬ 
krämpfen, die nicht in einer bestimmten Muskelgruppe begannen und von Bewusst¬ 
losigkeit begleitet waren, wechselten mit Anfällen von Benommenheit mit rascher 
vorübergehender Bewusstlosigkeit ab. Bei einer Explorativoperation an der Stelle 
des Schädeldefects sah man, dass dieser mit fibrösen Strängen überbrückt war und 
am Bande keine Depression zeigte. Die Dura war mit dem Pericranium und der 
Pia verwachsen und schwer abzulösen. Knochensplitter waren nicht vorhanden. Die 
Pia war unlösbar mit etwa 1 cm dicker, durch atrophische Sklerose veränderter 
Hirnsubstanz verwachsen; nach Einschneiden in diese, wobei eine Menge Cerebro¬ 
spinalflüssigkeit abging, sah man eine Höhle mit glatten, pigmentirten Wänden, die 
mit dem hinteren Horn des linken Seitenventrikels communicirte. Die Heilung verlief 
ohne Störung. Der Defect war unverändert, aber es war keine Pulsation mehr in 

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ihm vorhanden. Die Krämpfe erschienen nach der Operation nicht wieder. Später 
nahm die Intelligenz zu, aber nach fast 1 / a Jahre konnte das 2 */* Jahre alte Kind 
noch nicht sprechen. 

Da kein Grund vorhanden ist, eine angeborene Porencephalie anzunehmen, und 
der Zusammenhang mit der froheren Schädelverletzung kaum zweifelhaft sein kann, 
muss man wohl in diesem Falle eine Porencephalie traumatischen Ursprungs an« 
nehmen. Die gefundene, mit dem Seitenventrikel communicirende Höhle, die die 
Grösse eines Taubeneies hatte, ist nach dem Verf. nicht als ein nach Blutung ent* 
standener cystenartiger Baum zu betrachten, sondern mit mehr Wahrscheinlichkeit 
als eine Ausstülpung des Seitenventrikels nach der in atrophischer Sklerose begriffenen 
Hirnrinde hin. Walter Berger (Leipzig). 


22) Neuroglioma cerebrale in segnito a traurua al oapo, per M. Carrara. 

(Archiv, di Psichiatria. XIX. 1.) 

Hach einem Stockschlage auf den Kopf, der lediglich eine Weichtheilwunde ge¬ 
setzt hatte, litt der Kranke an Schwindel und Ohrenschmerzen, Hemiparese und 
Herabsetzung der Sensibilität auf der Seite der Verletzung. Bei der Section fand 
Verf. in der Binde der rechten Hemisphäre eine unregelmässige Höhle, von der 
vorderen Centralwindung bis zum Occipitallappen reichend: das Centrum eines zer¬ 
fallenen Neuroglioms. Aus dem mikroskopischen Befund pflichtet Verf. der Ansicht 
Toeglers bei, dass an dem Aufbau der Neurogliome die Ganglienzellen activ theil- 
nehmen. Ob der Schlag die Veranlassung zur Entstehung des Tumors gewesen, 
lässt Verf. unentschieden, hält es aber für unzweifelhaft, dass durch ihn der rasche 
Ausgang herbeigefQhrt ist. Valentin. 


23) Ein Fall von traumatischer, amyotrophisoher Lateralsklerose am 

untersten Theile des Bückenmarks, von Goldberg. (Berliner klin. 

Wochenschr. 1898. Nr. 12.) 

Ein 43jähr. Maurer war 3 m tief herabgestflrzt und hatte als alleiniges äusseres 
Zeichen dieses. Unfalles einen Bruch des vierten rechten Metatarsalknochens erlitten. 
Nach Heilung der Fractur klagte er Ober Schwäche und Schmerzen im ganzen rechten 
Bein, ohne dass sich ein objectiver Befund erheben liess. Pat. wurde eine Zeit lang 
der Uebertreibung, bezw. der Simulation beschuldigt Allmählich aber stellte sich 
heraus, dass ein centrales Nervenleiden bei ihm in der Entwickelung begriffen war. 
Pat bewegte sich mit spastisch-paretischem Gang.nur mühsam an einem Stock. Die 
rechte Fussspitze schleifte am Boden, die linke konnte nur wenig von demselben 
abgehoben werden. Beide Beine zitterten, das rechte mehr als das linke. Ueber- 
haupt waren alle Krankheitssymptome .auf der rechten Seite ausgesprochener als auf 
der linken. Patellarreflexe und Fussphänomen waren stark gesteigert. Die Sensi¬ 
bilität für alle Gefühlsqualitäten war garnicht tangirt. Die Sphinkteren waren frei. 
Die Wadenmuskeln waren an beiden Beinen beträchtlich abgemagert. Es musste 
also nach dem Befund die Diagnose der amyotrophischen Lateralsklerose, welche sich 
aber bisher nur an den unteren Extremitäten bisher kenntlich gemacht hatte, ge¬ 
stellt werden. 

Verf. fügt seinem Falle noch Bemerkungen bei über die wenigen Beobachtungen 
von Entstehung dieser Krankheit nach Trauma, die sich in der Litteratur ver¬ 
zeichnet finden. Bielschowsky (Breslau). 


24) Ueber ohronisohe ankylosirende Entzündung der Wirbelsäule, von 
Dr. Ch. Bäumler in Freiburg i./Br. (Deutsche Zeitschrift f. Nervenheilkunde. 
1898. XII.) 

Im Anschluss an die Veröffentlichungen v. Bechterew’s und Strümpell’s 
wird ein Fall von ankylosirender Entzündung der Wirbelsäule und der Hüftgelenke 


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mitgetheilt. ■ Wahrscheinlich waren letztere zuerst betroffen nnd ging die Affection 
erst dann aof die Wirbelsäule in der Richtung von unten nach oben Aber, so dass 
schliesslich auch die Halswirbelsäule in schmerzhafter Weise erkrankte. Verf. bringt 
diese Veränderungen des obersten Theils der Halswirbelsäule in directe Abhängig¬ 
keit von den vorausgegangenen, die statischen Verhältnisse umgestaltenden Processen, 
insofern der Kranke in Folge von Steifheit der übrigen Wirbelsäule genöthigt war, 
den Kopf, besonders beim Schreiben, stark vomübergeneigt zu. halten. Diese Ueber- 
anstrengung wirkte wie ein Trauma, das einen Locus minoris resistentiae setzte, an 
dem Bakterien wirksam wurden. Wie man sieht, nimmt Verf. zwei verschiedene 
Arten der Entstehung der Gelenkaffectionen an demselben Pat. an. Die Hüftgelenke 
und der grösste Theil der Wirbelsäule erkrankten allein in Folge eines infectiösen 
Agens, die Halswirbelsäule dagegen wurde erst durch eine Art Trauma der Wirksam¬ 
keit organisirter Entzünd ungeerreger zugänglich. Zu einer derartigen doppelten Ur¬ 
sache für den gleichen Fall zu greifen, erschien dem Bef. nicht geboten. Ob die 
ersten Gelenke auch unter Schmerzen erkrankten, wird nicht angegeben; sollten sie 
gefehlt haben, so könnte vielleicht das Trauma für die Schmerzen im Nacken ver¬ 
antwortlich gemacht werden (Ermüdungsschmerzen 1). Allerdings wird ja auch das 
eine Sternoclaviculargelenk als schmerzhaft bezeichnet. Die beiden Ursachen, welche 
Verf. einem Falle zu Grunde legt, werden dann noch weiter als die häufigsten Ver¬ 
anlassungen hingestellt, welche im Allgemeinen zur mehr oder minder hochgradigen 
Ankylosirung der Wirbelsäule führen. Es sind dies einmal vorwiegend (!) bestimmt 
gestaltete, mechanische Momente, andererseits die verschiedenartigsten Infectionen. 
Zur Therapie empfiehlt der Verf. möglichst frühzeitige Buhestellung der erkrankten Thbile. 

Bef. möchte hier nicht unterlassen zu bemerken, dass gerade Strümpell die 
Wirbelsäulenaffection als eine eigenthümliche Krankheit, und nicht wie Verf. 
als eine einfache bakterielle Entzündung hinstellt. Schliesslich braucht doch nicht 
jede Entzündung, die zn Ankylose führt, durch Bakterien verursacht zu sein. 

E. Asch (Frankfurt a./M.). 

25) L’osteomyölite vertebrale, par A. Chipault. (Gazette des höpitaux. 1897. 

Vol. CIL.) 

Verf. hat 28 Beobachtungen gesammelt. Die Krankheit kam in 4 / 6 der Fälle 
bei männlichen Individuen in der Pubertätsperiode vor; sie kann isolirt oder mit 
anderen osteomyelitischen Herden combinirt auftreten. Mit Vorliebe befallt sie die 
Wirbelbogen und die Lumbalregion. Bei der Localisation an den Bogen bestehen 
nebst den Allgemeinerscheinungen Zeichen der tiefen Eiterung, bei der Localisation 
au den Wirbelkörpern Steifheit der Wirbelsäule (jedoch selten Gibbus) und Senkungs- 
abscesse (Retropharyngeal-, Mediastinal-, Psoasabscesse). In einem Drittel aller Fälle 
bestanden myelitische Erscheinungen. Bei Zurücktreten der localen Erscheinungen 
ist die Diagnose sehr schwierig, es kann Myelomeningitis, Pneumonie, Typhus, Peri¬ 
tonitis vorgetäuscht werden. 3 Fälle wurden durch chirurgische Intervention dem 
sonst absolut tödtlichen Ausgang entrissen, der längstens in 30 Tagen eintritt. Im 
Falle des Verf.’s, der ein Kind betraf, bei dem man Endocarditis vermuthete, führte 
das Auftreten von tiefer Fluctuation in der Gesässgegend und Oedem neben der 
Wirbelsäule bis hinauf zur 12. Bippe auf die richtige Diagnose. 

B. -Hatschek (Wien). 


26) Ueber „Muskelsohwund“ Unfallverletzter mit besonderer Berück¬ 
sichtigung der oberen Extremitäten, von Dr. Firgau. (Archiv f. Unfall- 
heilk. 1898. Bd. XL) 

Verf. stellt sich die Aufgabe, zu beweisen, dass die Verminderung oder Ver- 
grösserung eines Muskelquerschnittes die Folge einer verminderten oder vermehrten 

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Arbeitsleistung ist. Als die „untere Grenze der endgfiltigen Kraftleistung“ bezeichnet 
Verf. diejenige Muskelanspannung und denjenigen Muskelquerschnitt, der jederzeit 
bei stärkerer Anspannung erreicht werden kann, als die „obere Grenze der end- 
gültigen Kraftleistung“ bezeichnet Verf. demgegenüber denjenigen maximalen Grad 
der Contraction, den ein Muskel in Folge von Uebung annehmen kann, ohne sich 
selbst zu schädigen. Ein Muskel „dehnt sich nur so weit, aus“, als es nöthig ist, 
um die an ihn gestellten Anforderungen zu erfüllen. Erst bei einer Steigerung der 
Ansprüche erfolgt die Dickenzunahme (vergl. Herzmuskel). Die Zunahme des 
Muskels 1 bei der Thätigkeit deutet schon auf eine Volum Verminderung bei In* 
activität hin. Dabei darf man unter Inactivität nicht die Herabsetzung oder Auf* 
hebung der sichtbaren Locomotion oder sichtbaren Bewegung verstehen, sondern die 
Herabsetzung der zum Muskel gelangenden motorischen Impulse. Je geringer des¬ 
halb der Ausfall an motorischen Impulsen ist, desto geringer ist die Volumsabnahme 
und umgekehrt. 

Die Atrophie unter einem Gipsverband ist nur eine geringe, weil nur eine 
geringe Zahl von motorischen Impulsen wegfällt, während eine grosse Zahl erhalten 
bleibt. 

Anders ist es bei Unterbrechung der peripherisch-motorischen Bahn abwärts von 
ihrem Gentrum. In diesem Falle ist die Atrophie hochgradig, da kein Beiz zum 
Muskel gelangen kann. Die nach Gelenkentzündungen so schnell auftretenden Atro- 
phieen erklären sich ähnlich. In Folge der grossen Schmerzhaftigkeit vermeiden die 
Kranken jede Bewegung und der Muskel nimmt dementsprechend an Volumen ab 
(? der Bef.). 

Verf. fasst die genannten Zustände unter dem Namen Muskelatonie zusammen 
und stellt folgende Gruppen dieser Atonie auf: 

1. myogene, erzeugt durch Verletzungen, welche den Muskel selbst treffen; 

2. peripher-neurogene, erzeugt durch Vorgänge, die den motorischen Nerven 
direct schädigen; 

3. centrale, erzeugt durch Vorderhorn- und Hirnerkrankungen mit Zerstörung 
motorischer Bezirke. 

In die letztere Gruppe rechnet Verf. auch Fälle, bei welchen in Folge einer 
Autosuggestion allmählich die motorischen Impulse ausgeschaltet worden sind. 

Verf. wendet das allgemein gesagte in einem speciellen Theile dann auf die 
„Atonieen am Schultergürtel“ an. Er bespricht dabei besonders die Inspection und 
Mensuration zur Erkennung der Atonieen. Paul Schuster (Berlin). 


27) La contraoture hystdro-traumatique des massdters, par Verhoogen. 
(Communic. faite au Congrös international de neurologie ä Bruxelles. 1897. 
Septembre.) 

Es werden 3 Fälle von hysterischer beiderseitiger Masseterencontractur nach 
Trauma berichtet. In den beiden ersten Fällen besteht neben der Contractur auf 
der vom Trauma betroffenen Seite eine Zone mit Hauthyperästhesie. Die Behandlung 
bestand in Suggestion ohne Hypnose, sowie Faradisation. Im dritten Falle war neben 
der Contractur beider Masseteren eine totale Facialislähmung auf der vom Unfall 
betroffenen rechten Seite vorhanden, welche sich als hysterische Lähmung erwies. 
Die Contractur wich in diesem Falle plötzlich auf der linken Seite, während sie 
rechts fortbesteht. Kurt MendeL 

28) Een geval van traumatisehe Hystero-epilepsie, door J. W. Jacobi en 
P. H. Lamberts. (Psychiatr. en neurol. Bladen. 1897. Juli. Nr. 3. blz. 224.) 
Ein 15 Jahre altes Mädchen hatte sich im Alter von 2 Jahren eine Wunde 

über der rechten Augenbraue zugezogen, wahrscheinlich mit folgender Wundinfection, 


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wonach eine Schmerzhafte Narbe zurückgeblieben war. Im Alter von 11 Jahren, 
beim Tode ihres Vaters, hatte Pat. die ersten Anfalle. Sie wurde von ihrem Stief¬ 
vater schlecht behandelt und, als sie in schlechte Gesellschaft gerieth, von ihrer 
Mutter in ein Kloster gebracht. Von hier aus wurde Patientin, da sich die Anfälle 
immer mehr häuften, in das Krankenhaus gebracht. Ausser den Krampfanfällen litt 
Patientin an häufig wiederkehrenden Anfällen von Traumzuständen, die durch eine 
Erinnerungsaura eingeleitet werden. Sobald die Erinnerung an die strenge Behand¬ 
lung zu Hause, in Folge deren sie schliesslich in das Kloster kam, lebendig wurde, 
was sich durch Bosheit vor dem Anfalle ku erkennen gab, folgte stets unmittelbar 
die Objectivirung dieser Erinnerung; Patientin kannte ihre Umgebung nicht mehr, 
und glaubte sich in das Kloster versetzt Während dieser Traumzustände wiederholten 
sich die Krampfanfälle, ein Krampfanfall leitete den Traumzustand ein und ein 
Krampfanfall beschloss ihn. Während der Traumzustände bestand starke Cönvergenz 
der Augen, die Pupillen reagirten nicht gegen Licht und waren verengt, es bestand 
conjugirte Ablenkung der Augen und des Kopfes nach links, sowie Laterospasmus 
mit der Goncavität nach links. In einem späteren Stadium der Anfälle folgten Angst, 
Gespräche, die sich um die schlechte Behandlung drehten, die Patientin zu Hause 
hatte erdulden müssen, dann verfiel Patientin wieder in ihren Traumzustand zurück, 
manchmal aber erwachte sie langsam daraus, dann blieb die Cönvergenz der Augen 
noch eine Zeit lang bestehen, und Patientin war vollständig amaurotisch. Cönvergenz 
und Amaurose verschwanden dann zugleich, meist plötzlich. Im Traumzustande er¬ 
innerte sich Patientin an alles, was mit ihr vorgegangen war, nach dem Traum¬ 
zustande aber bestand vollständige Amnesie für die ganze Dauer desselben. Bei der 
Aussichtslosigkeit der Behandlung erscheint eine, die schmerzhafte Narbe zum Aus¬ 
gangspunkte nehmende Operation gerechtfertigt. Walter Berger (Leipzig). 


29) Ricerohe batteriologiche nei delirio aonto, per C. Ceni. (Biv. sperim. di 

Freniatria. XXIII.) 

In zwei Fällen acuten, nicht alkoholischen Deliriums, die zur Section kamen, 
und in denen Verf. das Blut und die Cerebrospinalflüssigkeit bakteriologisch unter¬ 
suchte und Thieren einspritzte, fand Verf. nicht den von Bianchi und Piccinino 
als specifisch beschriebenen Bacillus, sondern nur Staphylokokken, ein Befund, der 
dafür spricht, dass der genannte Bacillus nicht die einzige Ursache des acuten 
Deliriums ist, und dass diese Mikroorganismen nur von secundärer Bedeutung, wahr¬ 
scheinlich vom Verdauungscanal her eiugewandert sind und für die Aetiologie der 
Erkrankung nicht in Betracht kommen. Valentin. 


Therapie. 

30) Bijdrag tot de kennte der thyreoidea-behandeling by psychosen, door 
C. BijL (Psychiatr. en neurol. Bladen. 1897. Nr. 5 en 6. blz. 435. Nov.) 

Während Verf. in mehreren Fällen von Paranoia, Hebephrenie und Katatonie 
mit trägem Puls, stark entwickeltem Panniculus adiposus, ohne Organkrankheiten, 
namentlich ohne Herzkrankheiten, wenig ermuthigende Resultate erzielte, beobachtete 
er in einem Falle von Katatonie bei einem 45 Jahre alten Manne nach Anwendung 
von Thyreoideapillen eine rasch eintretende günstige Wirkung auf die Körperfunctionen; 
nach einiger Zeit schien sich auch eine geringe Besserung einstellen zu wollen, die 
trotz eintretenden, die Herabsetzung der Gabe nöthig machenden Intoxicationserschei- 
nungen Fortschritte machte. Nach über 2 Monate lang fortgesetzter Kur machte 
der Pat. den Eindruck der Genesung, er benahm sich normal und befand sich gut 


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Als Pat. auf Probe entlassen wurde, zeigte er seit 3—4 Wochen einen normalen 
Zustand, und er befand sich auch noch 4 Wochen nach seiner Entlassung normal. 
Um eine blosse Remission, wie sie bei der Katatonie vorkomme, konnte es sich 
nicht handeln, weil eine Remission von 2 Monaten mit vollkommener Lucidität wohl 
als eine sehr grosse Ausnahme zu betrachten sein dürfe. 

Walter Berger (Leipzig). 


31) Ueber Anwendung von Sohilddrüsepräparaten bei Geisteskrankheiten, 

von Dr. A. W. Gerwer. (Obozrenje psichiatriL 1897. 8. 831.) 

Von 10 Geisteskranken, denen das Thyreoidinum siccatum Poehli in 
Einzelgaben von 0,12—0,6 3—4.Mal täglich verabreicht wurde, trat eine Besserung 
nur in 2 Fällen ein, und zwar je in einem Falle von Melancholie und Paranoia hallu- 
cinatoria acuta. Bei den übrigen 8 Kranken, von denen 2 an Melancholie, 3 an 
Amentia acuta, je 1 an Psychosis circularis, an Dementia e laesione cerebri organica, 
an Epilepsie, verbunden mit choreatischen Zuckungen in den Ober- und Unterextre¬ 
mitäten litten, war gar keine Besserung in ihrem Befinden eingetreten. Es wurden 
folgende schädliche Nebenwirkungen bei Verabreichung des Thyreoidin beobachtet: 
die Pulsfrequenz stieg um 15—25 Schläge in der Minute; das Gewicht der Kranken 
fiel um l--3kg; bei einer Kranken traten krankhafte Zuckungen in den Gesichts¬ 
muskeln ein, bei einer anderen Kranken entwickelten sich Störungen im Gastrointestinal- 
tractus; in einem Falle wurde eine massige Salivation beobachtet. Da es unentschieden 
blieb, ob die nur in 2 Fällen bei Verabreichung von Thyreoidin eingetretene Besserung 
von dem Gebrauch dieses Mittels oder von dem natürlichen Verlauf der Krankheit 
selbst abhing, so glaubt Verf. jeden sichtbaren Nutzen der Darreichung von Thyreoidin 
bei Geisteskrankheiten absprechen zu müssen. E. Giese (St. Petersburg). 


m. Aus den Gesellschaften. 

Berliner Gesellschaft für Psychiatrie und Nervenkrankheiten. 

Sitzung vom 11. Juli 1898. 

Krön theilt im Anschluss an seinen in der vorigen Sitzung (d. Centralbl. S. 602) 
demonstrirten Fall von Accessoriuslähmung mit, dass bei weiterer Untersuchung sich 
die von Remak erwähnten Muskelbündel faradisch und galvanisch haben erregen 
lassen. In einem zweiten Falle reagiren dieselben Muskelbündel, aber die Schaukel¬ 
stellung der Scapula sei doch eingetreten. 

Remak erwähnt bezüglich des Falles von Krön, dass bei einer. erstmaligen 
Nachuntersuchung der motorische Punkt der Gervicaläste, und bei einer zweiten 
Untersuchung der Accessorius selbst erregbar war, so dass letzterer gar nicht durch¬ 
schnitten sein kann. Im zweiten Falle, in welchem die Drehstellung eingetreten sei, 
liege die Narbe an der typischen Stelle; obwohl die von den Cervicalästen ver¬ 
sorgten Muskelbündel in diesem Falle erregbar sind, so seien diese Muskelbündel 
doch so dünn, dass sie die einmal eingetretene Schaukelstellung nicht auszugleicben 
im Stande wären. Beide von Krön erwähnten Fälle seien deshalb zur Entscheidung 
der in der vorigen Sitzung discutirten Frage nicht brauchbar. 

Juliusburger und Kaplan: Anatomischer Befund in einem Falle ein¬ 
seitiger Ooolomotoriusl&hmung, (Erscheint als Originalmittheilung in dieser 
Zeitschrift.) 


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1 


Weil (als Gast): Krankenvorstellung, (cf. Originalmittheilung 4 in dieser 
Nummer.) 

Vortr. stellt ferner eine Patientin vor, die seit mehreren Jahren an Paralysis 
agitans leidet. Neben dem typischen Befunde der Paralysis agitans stellte sich bei 
der Untersuchung das Fehlen der Pupillar- und Patellarreflexe heraus. In der Anam¬ 
nese fehlen Anhaltspunkte für Lues, auch sind niemals Blasenstörungen, lanzinirende 
Schmerzen, Doppelsehen u. s. w. aufgetreten, so dass ausser den fehlenden Reflexen 
keine tabischen Symptome zur Kenntoiss gelangten. Vortr. erinnert an einen Fall 
von ausgeprägter Tabes, der mit Paralysis agitans combinirt war und im Jahre 91 
in der neurolog. Gesellsch. vorgestellt wurde. Vortr. glaubt, dass in seinem Falle 
das Fehlen der Reflexe vielleicht eine zufällige Combination von Ursachen haben 
könnte, dass das Fehlen der Pupillenreflexe als Alterserscheinung, das Fehlen der 
Patellarreflexe als Folgen der bestehenden Rigidität der Muskulatur zu deuten wäre, 
jedoch sei trotz des Fehlens sonstiger Symptome das- Bestehen einer Tabes neben der 
Paralysis agitans doch die wahrscheinlichste Erklärung f&r das Fehlen der Reflexe. 

M. La ehr: Die nervösen Krankhoiteersoheinungen der Lepra. 

Vortr. schildert auf Grund der von ihm in Sarajevo, Constantinopel und Paris 
gesammelten Erfahrungen den nervösen Symptomencomplex der Lepra. Er hebt 
hervor, dass die wesentlichsten Erscheinungen desselben auf eine multiple Erkrankung 
peripherischer Nerven zurückgeführt werden mfissen, macht aber andererseits darauf 
aufmerksam, dass als Complicationen bisweilen auch Wurzel- und selbst Spinalsymptome 
hinzutreten können. Trotzalledem erscheint ihm auch ohne Bacillenbefund die Diffe- 
rentialdiagnose möglich, leichter gegenüber Centralerkrankungen des Rückenmarks, 
unter Umständen schwieriger gegenüber peripherischen Nervenerkrankungen anderer 
Aetiologie, besonders der Syphilis. Aber auch hier wird wohl die Berücksichtigung 
der eigenthümlichen Sensibilitätsstörungen, der multiplen Nerven Verdickungen, der 
besonderen Prädilectionsstellen, schliesslich der therapeutischen Unwirksamkeit des 
Quecksilbers die Lepradiagnose sichern. 

Eine ausführliche Publication wird an anderer Stelle erfolgen. 

Mendel: KrankenvorstelluDg. 

Der 44 Jahr alte Pat. bietet in seiner Anamnese weder hereditäre Anlage, noch 
Syphilis, noch Alkoholismus. Er ist rechtshändig. 

Der Beginn der jetzigen Erkrankung bei dem früher immer gesunden Manne 
datirt vom 18. April 1898 und zeigte sich mit Schwindel, Kopfschmerzen und Frösteln. 
Gleichzeitig waren ihm die Namen der Angehörigen entfallen und er verwechselte 
die Worte. Am selben Tage traten sehr lebhafte subjective Geruchsempfindungen 
auf. Dieselben kamen immer von rechts aus der Wand. Am 30. April untersuchte 
ihn Herr Dr. Munter. Ausser amnestischer und paraphatischer Sprachstörung fand 
sich kein objectiv nachweisbarer krankhafter Befund am Nervensystem. 

Es wurden sodann eine Anzahl Polypen aus der Nasenhöhle entfernt und die 
Highmorshöhle rechts eröffnet. Dabei trat geringes Fieber auf. Die Hörfähigkeit 
war für Flüsterstimme beiderseits 7—8 m. 

Ende Mai bemerkten die Angehörigen, ohne dass das Auftreten eines neuen An¬ 
falls constatirt werden konnte, Nachschleppen des linken Beines beim Gehen und 
einige Tage später, dass Pat. den linken Arm nicht gut gebrauchen konnte. Dabei 
Klagen über Kopfschmerzen und Schwindel. Ferner zeigte sich, dass die Sprach¬ 
störung erheblich zugenommen, dass er alles durcheinander sprach und das Gesprochene 
falsch verstand. Auch verkehrte Handlungen wurden beobachtet, er urinirte in ein 
Wasserglas n. s. w. Aufnahme in die Klinik am 20. Juli 1898.' 

Der jetzige Befund zeigt zuerst in Bezug auf die Sprache Folgendes: Auf gestellte 


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Fragen passen die Antworten gar nicht, sind znm Theil ganz unverständlich oder 
Wiederholungen irgend eines Satzes. Spontan spricht der Kranke wenig, doch 
öfter auch ganz verständig; z. B.: „mir ist immer so schnurrig!“, oder: „ich weise 
immer nicht recht, was ich sagen soll“. 

Nachsprechen ist zuweilen gar nicht zu erzielen, zuweilen besser. (Bei der 
Demonstration spricht er einzelne Worte gut nach, andere gar nicht, bei anderen 
bringt er verkehrte Worte hervor.) 

Auf Vo^zeigen einzelner Gegenstände weiss er bei manchen, wie z. B. beim 
Zeigen eines Groschens, die richtige Bezeichnung, meist jedoch bringt er eine falsche 
hervor. Beim Lesen von geschriebenen Worten bringt er, auch selbst bei denen 
seines Namens verkehrte Worte hervor, dagegen liest er die Zahl, z. B. auch 1898, 
fehlerfrei, während er aus 921 1890 macht. 

Beim Lesen von Gedrucktem kommt er meist Aber das erste Wort, welches 
er auch noch verdreht, nicht hinaus. 

Aufgefordert, seinen Namen, Wohnort und Datum zu schreiben, schreibt er: 

• Carl Orth, Neu Trebbin Amt 7 Uhhiel 1888 (soll heissen: am 7. Juli 1898). 

Gedrucktes nachzuschreiben, ist er. nicht im Stande. Geschriebenes dagegen 
schreibt er, wie z. B. den Namen seiner Frau und die Jahreszahl, richtig, anderes 
aber meist unrichtig (Demonstration). 

Die geschilderten Störungen zeigen, dass der Kranke an sensorischer Aphasie, 
an amnestischer Aphasie, an Paraphasie, an Wortblindheit, an Alexie, Agraphie 
und Paragraphie leidet. 

Der Qbrige Befund ergiebt: Sehapparat, speciell auch Augenhintergrund normal. 

Pat. hört gut; es bestehen auch jetzt noch Geruchshallucinationen, Schwäche 
des linken unteren Facialis, Schwäche des linken Armes, Schwäche des linken Beines, 
welches beim Gehen nachgeschleppt wird. 

Beiderseits starke Kniereflexe und Kniescheibenclonus. Links auch Fussclonus. 
Hautreflexe beiderseits gleich und normal. 

Die inneren Organe zeigen keine Abnormität. 

Der vorgestellte Fall erweckt unser Interesse dadurch, dass hier eine sensorische 
Aphasie mit linksseitiger Lähmung sich vereinigt. Die seltenen Fälle, in welchen 
bisher dieses Zusammenvorkommen beobachtet wurde, betrafen entweder Linkshänder 
oder zeigten bei der Section eine doppelseitige Läsion des Schläfenlappens. 
(Hierher gehören die Fälle vonWills, Wernicke und Friedländer u. a.) In einer 
grösseren Anzahl von Fällen werden ja paretische Symptome während des Lebens 
überhaupt nicht beobachtet. 

Ein unzweifelhafter Fall, in welchem ein isolirter Herd im rechten Schläfenlappen 
mit linksseitiger Lähmung und sensorischer Aphasie einhergeht, existirt meines 
Wissens nach nicht. 

Ich nehme auch im vorliegenden Fall einen doppelseitigen Herd an. 

Der erste ist am 18. April im linken Schläfenlappen entstanden und hat apha- 
tbische und paraphatische Störungen hervorgebracht 

Der zweite ist Ende Mai entstanden und hat jene aphatischen Störungen ge* 
steigert und sie zu der jetzigen Höhe gebracht Er hat seinen Sitz im rechten 
Schläfenlappen und hat durch Fernwirkung auf die innere Kapsel die linksseitige 
Lähmung bedingt. Die Ausdehnung des Herdes auf der linken Seite nach dem 
Gyrus angularis hin hat Wortblindheit und ferner die agraphischen Störungen be¬ 
dingt. Da man auch mit Rücksicht auf die in gewissem Grade und zu gewissen 
Zeiten verschiedene Objectblindheit eine wenigstens functionelle Bethätigung des 
Hinterhauptlappens wird annehmen müssen, so dflrfte dieser Herd erhebliche Grösse 
haben. Druckwirkung auf den Gyrus uncinatus dürften die Geruchshallucinationen 
erklären. 


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Da Syphilis ausgeschlossen, die Entwickelung eines oder mehrerer Tumoren bei 
dem Mangel aller Allgemeinerscheinungen, auch der Stauungspapille, wie nach dem 
Verlauf höchst unwahrscheinlich ist, endlich es auch fflr die Entwickelung von Hirn- 
abscessen jeder Anhaltspunkt fehlt, wird die Diagnose auf einen doppelseitigen 
Erweichungsherd im Schläfenlappen gestellt. (Die ausfflhrlicbe Publication 
erfolgt an anderem Orte.) 

M. Bloch: Demonstration eines anatomischen Präparates eines Falles 
von Worttaubheit. (Erscheint als Original - Mittheilung in der nächsten Nummer 
d. Centralbl.) 

Toby Cohn: Ein Fall von Athetose im Gebiete der Hiranerren und 
wahrer Muskelhypertrophie bei spastisoher infantiler Hemiplegie. 

Eine 25jähr. Frau aus der Poliklinik des Herrn Prof. Mendel, ohne besondere 
hereditäre oder persönliche Antecedentien (bis auf Diphtherie im 12. Lebensjahr). 
Seit 2V 2 Jahren verheirathet, kinderlos. — Seit ihrem 3. Lebensjahr besteht bei ihr 
(allmählich ohne Fieber, ohne Krämpfe, ohne Prodrome entstanden) eine linksseitige 
spastische Hemiparese (Contractur im linken Arm, im linken Bein und auch in der 
linken Gesichtshälfte). Athetosebewegungen am ausgesprochensten in den Fingern, 
aber auch im Ellbogen- und Schultergelenk; im Fuss- und den Zehengelenken weniger. 
Ausserdem sind Athetosebewegungen in der linken Zungenseite, im 
Gaumensegel und dem linken Facialisgebiet deutlich demonstrirbar. Mit¬ 
bewegungen sind gering. Die Muskulatur des linken Arms ist hypertrophisch; 
um den Grad der Hypertrophie an dem in Contractur stehenden Arm festzustellen, 
wurde die Pat. in Narcose untersucht. Der Arm wurde völlig schlaff, die Athetose¬ 
bewegungen cessirten, und es fand sich eine Umfangsdifferenz von durchschnittlich 
l7 a —2 cm zu Gunsten der kranken Extremität. Muskelexcision wurde verweigert. 
Ob es sich bei diesen Hypertrophieen, die mehrfach bei cerebraler Kinderlähmung 
beschrieben worden sind (z. B. von Bernhardt u. A.), um Arbeitshypertrophieen 
handelt (sie fanden sich immer gleichzeitig mit intensiver Athetose), oder ob sie, wie 
Freud meint, ein von den übrigen Erscheinungen unabhängiges Symptom der Gehirn- 
läsion darstellen, muss vorläufig unentschieden bleiben. Die letztere Annahme er¬ 
scheint als die begründetere. —. Nebenbei besteht bei der Pat. linksseitige Hemi- 
hypästhesie (besonders Hypalgesie), Herabsetzung des Geruchs, Geschmacks- und 
Gehörs auf der linken Seite, offenbar zum Theil in Folge einer Complication mit 
Hysterie. Jacobsohn (Berlin). 


Wissenschaftliche Versammlung der Aerste der St. Petersburger Klinik 

für Nerven- und Geisteskranke. 

Sitzung vom 25. September 1897. 

Dr. T. K. Teljatnik: Theoretische und praktische Betrachtungen über 
den Blutkreislauf im Gehirn auf Grund der Messung des Blutdruokes im 
centralen und peripherischen Absohnitt der Arteria oarotis. 

Bei seinen Betrachtungen ging Vortr. vom Hürthle’schen Schema aus, das 
graphisch das Verhältnis darstellt zwischen der Höhe der Flüssigkeit in zwei verti- 
calen Manometern, die in eine horizontale Böhre in einiger Entfernung von einander 
münden und dem Widerstande, den dem Ausströmen der Flüssigkeit jener Theil der 
Böhre darbietet, der hinter dem zweiten Manometer liegt. In Anwendung zum Thier- 


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experiment entspricht dieses Schema Folgendem: das erste Manometer bestimmt den 
Blutdruck im centralen Abschnitt der unterbundenen und durchschnittenen Art. carotis 
(bezw. der Aorta); das zweite Manometer den Blotdruck im peripherischen Abschnitt 
der Art. carotis; die horizontale Röhre des Schema entspricht dem ganzen Blutstrom 
von der Aorta bis zu den Venen, die das Blut aus dem Gehirn ableiten und zwar 
bis zu dem- Punkte derselben, wo der Blutdruck gleich Null ist; der Widerstand, 
von dem in dem Hürthle’schen Schema die Rede war, entspricht dem Widerstande, 
der dem Blutstrom entgegengesetzt wird von den Hirnarterien, die im Circulus Willisii 
beginnen, von den Capillaren und den Venen, die das Blut aus dem Gehirn ableiten. 
Vortr. bespricht auf dem Schema die verschiedensten Combinationen der Druckgrössen 
in beiden Manometern und kommt zum Schluss, dass nach der Höhe der Manometer* 
curven und ihrem Auseinandergehen und Aneinanderröcken man nicht immer über 
den Zustand des Widerstandes urtheilen kann. Der parallele Gang der Curven bei 
gleichzeitiger Erhöhung derselben weist auf eine Vergrösserung des Widerstandes hin, 
bei Senkung derselben auf Verminderung des Widerstandes. Das Auseinandergehen 
der Curven bezeichnet eine Verminderung des Widerstandes nur in dem Falle, wo es 
nicht von einer Steigerung der Carve des zweiten Manometers begleitet wird; das 
Aneinanderrücken der Curven dient als unzweifelhaftes Zeichen der Vergrösserung 
des Widerstandes nur in dem Falle, wo es nicht von einem Senken der Curve des 
zweiten Manometers gefolgt ist. In den Fällen aber, in welchen das Auseinander¬ 
gehen der Curven mit einer Hebung der Curve des zweiten Manometers oder das 
Aneinanderrücken der Curven mit einer Senkung der Curve des zweiten Manometers 
verbunden ist, kann der Widerstand entweder unverändert bleiben, oder grösser, oder 
kleiner werden. Dabei ist es gänzlich indifferent, ob absolute oder relative Messungs- 
curven geschrieben werden. 

In der darauffolgenden Discussion bemerkte Prof. W. v. Bechterew, dass seiner 
Meinung nach über den Zustand des Blutkreislaufes im Gehirn man nicht nur nach 
den Ziffern der Manometerangaben, sondern auch nach dem Auseinandergehen oder 
Aneinanderrücken der Curven urtheilen kann, gesetzt, dass man bei den Experimenten 
eine absolute Abscisse zeichnet; dass ferner die Hürthle’sche Methode Auskunft 
giebt nicht nur über den Zustand des Widerstandes, sondern auch über die Schnellig¬ 
keit des Blutkreislaufes und die Quantität des Blutes im Gehirn, angenommen, dass 
man bei der Messung absolute Zahlen anwendet. 

Dr. A. W. Gerwer: Ueber die Gehimeentra der assooiirten Augen¬ 
bewegungen. 

Die Experimente wurden an Hunden ausgeführt. Die Resultate seiner Unter¬ 
suchungen lassen sich in Folgendem zusammenfassen. Im Grosshirn giebt es zwei 
Regionen, die mit der Ausführung der Augenbewegungen vertraut sind. Die eine 
Region liegt im Lobus frontalis nach vorn vom Sulcus cruciatus, unmittelbar hinter 
dem Sulcus praecruciatus; 1 cm von der Fissura cerebri magna entfernt; die andere 
Region befindet sich im Lobus occipitalis entsprechend der Munk’schen Sehsphäre 
und auch im Gyrus angularis. Bei faradischer Reizung sowohl der ersten, als der 
zweiten Region treten fast stets Seitwärtsbewegungen beider Augen nach jener Seite 
ein, die der Reizungsstelle entgegengesetzt ist. Augenbewegungen nach oben und 
unten wurden nur in zwei Fällen bei Reizung obengenannter Bezirke erzielt; wieder¬ 
holte Reizungen riefen Seitwärtsbewegungen der Augen hervor. Vortr. glaubt daher, 
dass die Kerne des N. abducens reizbarer sind, als diejenigen anderer Augennerven 
(N. oculomotorius und N. trochlearis). Nach Durchschneidung des Gehirnes entlang 
dem Sulcus cruciatus wurden bei Reizung des Occipitallappens keine Augenbewegungen 
mehr ausgelöst; die Entfernung des Frontalbezirkes wurde von einer Seitwärtsstellung 
der Augen nach der Operationsseite hin gefolgt; bei Zerstörung aber des Occipital¬ 
lappens traten gar keine Störungen in den Augenbewegungen ein. Auf Grund dieser 


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Data schliesst sich Yortr. Ferrier’s Ansicht an, wonach die Augenbewegungen, die 
bei Beiznng des Occipitalbezirkes erfolgen, abhängig sind von den in dem Gehirn 
der Thiere entstehenden Gesichtsbildern, unter deren Einfluss das Thier seine Augen 
dahin bewegt, von wo es scheinbar die Gesichtswahrnehmungen empfängt. Yortr. 
nimmt an, dass die Occipitalregion mit der frontalen durch irgend welche Associations¬ 
fasern verbunden ist, wodurch am wahrscheinlichsten das Fehlen der Angenbewegungen 
erklärt wird, bei Reizung des Occipitallappens nach Durchschneidung des Gehirnes 
längs dem Sulcus cruciatus. Dem Frontalbezirk schreibt Yortr. bloss motorische 
Functionen zu. Beim Experiment am Affen, den Yortr. Gelegenheit hatte während 
der Untersuchungen von Prof. W. v. Bechterew zu beobachten, wurden Resultate 
erzielt, die ganz analog waren den Schlussfolgerungen, die Yortr. bei seinen Experi¬ 
menten an Hunden gewonnen hatte. Bei Reizung des Yierhfigels, sowohl des vorderen 
als des hinteren Abschnittes desselben, wurden Augenbewegungen nach der der 
Reizungsstelle entgegengesetzten Seite erzielt; die Augenbewegungen nach oben und 
unten wurden nur in drei Experimenten beobachtet. Yortr. neigt der Ansicht zu, 
dass in dem Yierhflgel die Centra für die Coordinationsbewegungen der Augen gelegen 
sind. Yortr. legte besonderes Gewicht auf die Entwickelung einer Tonushemmung 
im N. abducens, die in einigen Fällen bei Reizung des Yierhögels nach Durchschneidung 
des N. oculomotorii und N. trochlearis auf- der der Reizung gleichnamigen Seite auf¬ 
getreten war. Diese Erscheinung der Tonushemmung bestand darin, dass das Auge, 
in dem der N. oculomotorius und N. trochlearis durchschnitten waren, bei Reizung 
der gleichnamigen Seite des Yierhfigels dennoch in der Richtang nach innen sich 
bewegte, obgleich die Nerven, die diese Bewegung auslösen,. durchschnitten waren. 
Dieses Factum hält Yortr. als besonders wichtiges Ergebniss seiner Untersuchungen, 
da dasselbe bei Reizung des Yierhfigels noch von keinem Autor beobachtet worden 
ist Zum Schluss des Yortrages demonstrirte Yortr. eine Reihe von Curven der von 
den Augen ausgeffihrten Bewegungen. 

In der Discussion bemerkte Priv.-Doc. P. Rosenbach, dass des Vortr. Experi¬ 
mente mit Entfernung des Centrums der Augenbewegungen in . dem Occipitallappen 
durchaus nicht eine besondere Function dieses Centrums bekunden im Yergleich zu 
dem Centrum in dem Frontallappen. Was die Augenbewegungen bei Reizung des 
Yierhfigels betrifft, so könnten dieselben von einer Abschleifung des Stromes zu den 
Kernen des N. oculomotorii abhängen. 

Yortr. erwiderte darauf, dass bei Reizung der Kerne des N. oculomotorii keine 
associirten Augenbewegungen auftreten, wie bei Reizung des Yierhfigels. 

Prof. W. v. Bechterew hob das grosse Interesse des Yortrages hervor und 
sprach den Wunsch aus, dass die Experimente von Obregia, mit dessen Ansichten 
Vortr. nicht einverstanden ist, einer weiteren Prfifung unterzogen werden möchten. 
Es wäre ausserdem wichtig, Experimente auszuffihren mit Zerstörung der Centra ffir 
Augenbewegungen und die secundäre Degeneration der Leitungsbahnen, die von diesen 
Centra ausgehen, zu studiren. Hinsichtlich der Centra für Augenbewegungen im 
Yierhflgel ist er vollständig mit der Ansicht des Yortr. einverstanden, dass diese 
Centra durch besondere Associationsbabnen mit der Grosshirnrfnde verbunden sind. 
Um diese Frage zu lösen, sind ausgebreitete Zerstörungen der ganzen Rindenfläche 
auszufabren, von der die Augenbewegungen ausgelöst werden und nach einer gewissen 
Zeitdauer ist dann der Yierhflgel einer Reizung zu unterwerfen. Es kann auch ein 
mechanischer Reiz angewandt werden, z. B. eine Feder, die durch eine Stimmgabel 
in Vibration gebracht wird, um die Einwirkung des elektrischen Stromes auf tiefer 
gelegene Theile auszuschliessen. 


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Sitzung vom 23. October 1897. 

Dr. N. A. Wyrubow: Ein Fall von Geschwulst an der Gehimbasie. 

Vortr. demonstrirt Präparate aus dem Gehirn mit einer Cholestheatomgescbwulst 
in der Gegend des 3. Ventrikels, die die Grösse eines kleinen Apfels erreichte. Von 
den Symptomen, die bei Lebzeiten beobachtet wurden, steht in erster Reihe die 
Gleichgewichtsstörung, die im schwankenden Gange und Neigung zum Rückwärts* 
fallen sich kundgab. Einen Monat vor dem Tode des Kranken trat ein epileptischer 
Anfall auf, nach dem im Verlaufe einiger Tage eine peripherische Lähmung des 
linken N. facialis sich entwickelte. Eine Woche vor dem Tode wiederholte sich der 
epileptische Anfall, der Kranke verfiel in Coma und starb bei Erscheinungen von 
Herzschwäche. Die Gleichgewichtsstörung stellt Vortr. in Abhängigkeit von Läsion 
des Gebietes des 3. Ventrikels. Die epileptischen Anfälle hält er bedingt durch 
Reizung mit kleinen Geschwulstknötchen, die theils im oberen Abschnitt des ver¬ 
längerten Markes, theils am unteren Rande der Varolsbrflcke links localisirt waren; 
durch den von ihnen ausgeübten Druck erklärt sich auch die Facialisparalyse. 

In der Discussion bemerkte Prof. W. v. Bechterew, dass aus dem Fehlen von 
paralytischen Erscheinungen seitens der Extremitäten und aus dem Vorhandensein 
bloss von Gleichgewichtsstörungen man den Schluss ziehen mass, dass die Geschwulst 
hauptsächlich jenen Theil des Gebietes des 3. Ventrikels eingenommen hatte, der 
nach seinen diesbezüglichen Untersuchungen für Erhaltung des Körpergleichgewichtes 
von Belang ist. Bezugnehmend auf die vom Vortr. ausgesprochene Ansicht, dass 
die epileptischen Anfälle in seinem Falle durch Reizung des sogen. Krampfcentrums 
auf dem Boden des 4. Ventrikels bedingt waren, sprach sich v. B. dahin aus, dass 
das Auslösen von epileptischen Anfällen ohne Theilnabme der Hirnrinde nicht mög¬ 
lich sei. 

Prof. W. v. Bechterew demonstrirte einen Patienten, der soeben von einer 
Tetanuserkrankung sich erholt hatte. 

Derselbe hatte vor 2 Monaten während eines Spazierganges im Park einen 
Steinschlag in die Gegend des linken Auges erhalten, wodurch die Cornea und die 
äusseren Hüllen an der inneren Ecke des Auges beschädigt wurden. Der Pat. trat 
in die Augenklinik ein, wo nach 2—3 Wochen Anfälle von allgemeinen Krämpfen 
bei ihm auftraten, die besonders stark in der Brustgegend ausgeprägt waren. Im 
Laufe dieser Zeit hatte sich bei dem Kranken eine Entzündung des linken Auges 
mit consecutiver Atrophie des Augapfels entwickelt, die zum völligen Sehverlust auf 
diesem Auge führte. Der allgemeinen Krämpfe wegen wurde der Kranke in die 
Nervenklinik geschafft. Hier wurde Folgendes beobachtet: von Zeit zu Zeit traten 
beim Kranken anfallsweise allgemeine, sehr schmerzhafte Krämpfe auf, die besonders 
stark in der Brust- und Bauchgegend waren. Der Bauch wurde hart wie ein Brett 
Sehr stark war auch der Trismus ausgesprochen, der Mund konnte während des 
Krampfanfalles kaum bis 3 / 4 —1 cm geöffnet werden. Die Krämpfe konnten leicht 
durch äussere Reize hervorgerufen werden, z. B. durch Besprengung mit kaltem Wasser, 
Percutiren der Muskeln u. s. w. Die Temperatur des Körpers war erhöht. Es unterlag 
keinem Zweifel, dass man es mit einem Tetanus traumatischen Ursprunges zu thun 
habe. Von den pharmaceutischen Mitteln verschaffte bloss Morphium einige Erleich¬ 
terung. Es wurde darauf eine Behandlung mit Antitetanin eingeleitet die von 
Dr. Wlajew in der Quantität von 500 Einheiten in 2 Portionen eingespritzt wurde. 
Nach der Einspritzung trat eine wesentliche Besserung ein, die leider bloss 2—3 Tage 
aphielt. Von weiterer Einführung des Antitoxins wurde Abstand genommen, da grössere 
Portionen desselben hierselbst in kurzer Zeit nicht zu bekommen waren. Es wurde 


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719 


darauf die Excision der noch eiternden Narbe in dem atrophirten Augapfel vorge¬ 
nommen, da von dieser Stelle aus augenscheinlich das Tetanusgift in den Blutkreislauf 
eintrat. Nach der Enucleation wurden die Tetanusanfälle allmählich schwächer, bis 
sie gänzlich aufhörten. 


Dr. T. K. Teljatnik und Dr. E. S. Borischpolsky: Ueber den Einfluss 
von Sinnesreizen auf die Blutoiroulation im Gehirn. 


Die Untersuchungen sind an Hunden angestellt worden. Der Zustand des Blut¬ 
kreislaufes im Gehirn nach Einwirkung von Sinnesreizen wurde nach der Hürthle’- 
schen Methode bestimmt. Es erwies sich, dass alle Schmerzreize, sowohl an der 
Oberfläche des Körpers als im Innern desselben angewandt, eine Verminderung des 
Widerstandes der Blutcirculation im Gehirne gegenüber hervorrufen. Es ist dabei 
ganz irrelevant, ob diese Beize mechanischer (Kneifen, Stechen, Zusammenpressen des 
Testiculum), elektrischer (Faradisation) oder thermischer (Anlegen von warmen Gegen¬ 
ständen an die Haut, Bespritzen mit warmem Wasser) Art seien. Umgekehrt bewirken 
kalte Beize (Anlegen von kalten Gegenständen, Bespritzen mit kaltem Wasser) eine 
Vergrösserung des Widerstandes. Parallele Beobachtungen Aber Veränderungen in 
den Atbmungsbewegungen, die unter Einwirkung derselben Beize entstehen, weisen 
darauf hin, dass die vorerwähnten Veränderungen in der Grösse des Widerstandes 
der Einwirkung von vasomotorischen Nerven zuzuschreiben sind, d. h. dass in den 
einen Fällen eine Erweiterung, in den anderen eine Verengerung der Hirngefässe 
stattfindet. 

An der Discussion betheiligten sich Prof. W. v. Bechterew, Gerwer, Lev- 
tschenko und Dobrotworsky. Prof. W. v. Bechterew wies in seinem Schluss¬ 
worte auf einige Mängel hin, die der von den Vortr. geübten Untersuchungstechnik 
anhaften. Dieselben beeinträchtigen übrigens in keiner Weise die von den Vortr. 
gefundenen Besultate. Das von den Vortr. festgestellte Factum von Eintreten eines 
Spasmus in den Blutgefässen des Gehirnes nach Kälteeinwirkung verdient grosse 
Beachtung, da es auf die Möglichkeit hinweist, auf die Blutgefässe des Gehirnes 
einen Einfluss ausüben zu können, indem Kälte an die Peripherie des Körpers appli- 
cirt wird. 

% 

Dr. W. P. Ossipow: Ueber die oortieale Entstehung der epileptischen 
Anfälle, die durch Vergiften der Hunde mit Absinth (essenoe d’absinthe 
oultivöe) hervorgerufen werden. 

Die epileptischen Anfälle wurden bei Hunden durch Einführung ins Blut von 
essence d’absinthe cultivöe hervorgerufen. Es wurden folgende Experimente vom 
Vortr. ausgeführt: 1. nach doppelseitiger totaler Exstirpation der motorischen Sphäre 
der Hirnrinde in der tonischen Periode des epileptischen Anfalles trat die Periode 
der clonischen Zuckungen nicht ein, nach Einführung aber neuer Portionen von 
Absinth entwickelten sich allgemeine tonische Krämpfe; 2. nach doppelseitiger totaler 
Entfernung der motorischen Centra der Hirnrinde, die vor Einführung des Absinth 
in die Vene ausgeführt wurde, traten bloss tonische Krämpfe ein; 3. nach doppel¬ 
seitiger Entfernung der vorderen Partieen der motorischen Sphäre rief die Vergiftung 
mit Absinth einen Anfall mit vollausgeprägten Perioden der tonischen und clonischen 
Zuckungen hervor; 4. nach doppelseitiger Entfernung der Binde der Parietal- und 
des grössten Theiles der Occipitallappen trat bei Absinthvergiftung ein epileptischer 
Anfall mit gut ausgeprägten tonischen und clonischen Zuckungen auf. Untersuchungs¬ 
resultate: 1. Es unterliegt keinem Zweifel, dass die clonischen Krämpfe des epileptischen 
Anfalles bei der Absinthepilepsie von der motorischen Sphäre der Hirnrinde aus¬ 
gelöst werden; 2. die tonischen Zuckungen während des epileptischen Anfalles hängen 
nicht von den corticalen Centra ab, sondern von tiefer gelegenen Gehimcentra, wenn 
die Hirnrinde überhaupt einen Antheil daran hat, so ist er jedenfalls ganz unbedeutend. 


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Prof. W. v. Bechterew: Die Resultate der Untersuchungen mit Reizung 
von hinteren Partieen der Hirnhemisphftren und des Frontallappens bei 
Affen. 

Vortr. ist auf Grund zahlreicher Untersuchungen; die von ihm an verschiedenen 
Affenarten angestellt worden sind, zu der Ueberzeugung gekommen, dass die Frontal¬ 
lappen bei den Affen eine ganze Reihe von motorischen Centra enthalten, die in 
unzweifelhafter Beziehung zu den Augenbewegungen stehen. Im hinteren Abschnitt 
des Frontallappens, entsprechend der Lage der zweiten Frontalwindung, bewirkt eine 
Reizung der Hirnrinde mit schwachen Strömen immer eine Seitenwendung des Kopfes 
und der Augen; nach innen von diesen Centra ruft die Reizung der Hirnrinde haupt¬ 
sächlich Seitenwendung des Kopfes hervor; bei Reizung der Hirnrinde nach aussen 
von diesen Centra tritt erst Seitwärtsbewegung der Augen, dann auch des Kopfes 
auf. Bei Anwendung stärkerer Ströme können von diesen Partieen aus auch andere 
Bewegungen ausgelöst werden. So können von diesem Gebiete aus Obrenbewegungen, 
Aufheben der Augenbrauen (oberer Facialis), Pupillenerweiterung und Oeffnen der 
Lidspalte (Sympathicus), Athmungsbewegungen (Hemmung oder grössere Frequenz 
derselben) hervorgerufen werden. Alle obengenannten Centra nehmen eine streng 
bestimmte Lage in diesem Gebiete ein. Nach innen von diesem Gebiete, näher zur 
Fissura longitudinalis des Gehirnes, unmittelbar nach vom vom oberen Ende der 
vorderen Centralwindung ebenfalls in den Frontallappen befinden sich die Centra für 
Bewegungen des Oberschenkels, des Schwanzes und des ganzen Rumpfes, obgleich 
einige Autoren im Gegensatz dazu behaupten, dass diese Centra auf den inneren, 
einander zugewandten Theilen der Frontallappen gelegen sind. Schäffer und nach 
ihm Obregia hatten die Untersuchungen von Munk bestätigt, dass nämlich bestimmte 
Theile der Netzhaut auch ganz bestimmten Partieen der Sehsphären in der Hirnrinde 
des Occipitallappens entsprächen. Nach. diesen Untersuchungen wären associirte 
Augenbewegungen in Abhängigkeit von der Stelle der Reizanbringung festgestellt 
Nach den Untersuchungen aber des Vortr., die an Affen ausgeführt wurden, erweist 
sich, dass das Auge hinsichtlich seiner Bewegungen nicht nur zum Occipitallappen, 
sondern auch zum Parietallappen in Beziehung steht In dem Occipitallappen können 
3 Centra für Augenbewegungen festgestellt werden. Reizung der vorderen Partieen 
des Occipitallappens bewirkt eine Wendung der Augen nach unten und nach der 
der gereizten Hirnhemisphäre gegenüberliegenden Seite; Reizung der mittleren Partieen 
ergiebt Seitwärtsbewegungen der Augen; Reizung der hinteren Partieen, Bewegung 
der Augen nach oben und nach der der Reizungsstelle gegenüberliegenden Seite. 
Ausserdem kann von dieser Stelle aus, nämlich von dem mittleren Theile der Seh¬ 
sphäre, eine Pupillenverengung hervorgerufen werden und etwas nach innen von 
diesem Punkte, eine Erweiterung derselben, burch Reizung des Parietallappens in 
dessen äusserster Partie in unmittelbarer Nähe des Occipitallappens gelingt es eine 
Bewegung der Augen nach der entgegengesetzten Seite und nach oben hervorzurufen; 
von der innersten Partie des Parietallappens wird eine Bewegung der Augen nach 
der Seite hin und nach unten ausgelöst. Von den mehr in der Mitte gelegenen 
Partieen des Parietallappens wird gewöhnlich Seitwärtsbewegung der Augen nach der 
entgegengesetzten Seite hin hervorgerufen. Ausserdem befinden sich in dem Parietal¬ 
lappen auch die Centra für die Pupillen, von denen eines die Pupillen erweitert, 
das andere dieselben verengt. E. Giese (St. Petersburg). 


Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten. 

Einsendungen für die Redaction sind zu richten an Prof. Dr. E. Mendel, 
Berlin, NW. Schiffbauerdamm 20. 

Verlag von Veit & Comp, in Leipzig. — Druck von Metzgeb & Wittib in Leipzig. 


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Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie 
und Therapie des Nervensystems einschliesslich der Geisteskrankheiten. 

Herausgegeben von 

Professor Dr. E. Mendel 

Siebzehnter " B * rUn ' Jahrgang. 

Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 24 Mark. Zu beziehen durch 
alle Buchhandlungen des In- und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Beichs, sowie 

direct von der Verlagsbuchhandlung. 

1898. 15. Anglist Nr. 16. 

Inhalt: I. Originalmitthollungen. 1. Ueber hämorrhagische Encephalitis, von Dr. Deitert. 
2. Ein Fall von Worttanbheit nach Basisfractur, von Dr. M. Bloch und Dr. M. Bielschowsky 
in Berlin. 3. Nervenendigung in den Centralorganen, von Dr. med. Leopold Auerbach. 

II. Referate. Anatomie. 1. Die secundäre Acusticuabahn der Taube, von Wellenberg. 
2. Lehrbuch der Histologie des Menschen einschliesslich der mikroskopischen Technik, von 
BOhm und v. Davldoff. — Experimentelle Physiologie. 3. Ueber morphologische Ver¬ 
änderungen der Vorderhornzellen des Rückenmarks während der Thätigkeit. Vorläufiger 
Bericht von Luxenburg. 4. Beiträge zur Rackenmarksphysiologie der Amphibien und Rep¬ 
tilien, von Bickel. 5. Experimentelle Untersuchungen über den Einfluss von Rückenmarks- 
durchtrennungen auf den Kreislauf des Gehirns, von Spina. — Pathologische Anatomie. 
6. Ein Fall von Spina bifida mit Doppeltheilung des Rückenmarks (Diastematomyelie), von 
Theodor. 7. La chromatolyse dans les cornes antörieures de la moelle apres desarticuiation 
de La jambe et ses rapports avec les localisations motrices, par van Gebuchten et de Buck. 
8. Ueber Eiseninfiltration der Ganglienzellen, von Weber. — Pathologie des Nerven¬ 
systems. 9. Handbuch der Unfallerkrankungen auf Grund ärztlicher Erfahrungen (nebst 
emer Abhandlung über die Unfallerkrankungen auf dem Gebiete der Augenheilkunde von 
Dr. Cramer), von Thieme. 10. Ein Fall von traumatischer Apoplexie ohne nachweisbare 
Schädelverletzung, von Schloffer. llu.12. Klinische Mittheilungen, von Fischer. 13. A study of 
the lesions in a case of trauma in the cervical region of the spinal chord simulating syringo- 
myelia, by Lloyd. 14. General paralysis of the insane during adolescence with notes of three 
cases, by Stewart. 15. Zwei Fälle von Querschnittserkrankung des Halsmarkes. Beitrag 
zur Kenntniss der Sehnenreflexe, der secundären Degenerationen und der Körnchenzellen im 
Rückenmark, von Senator. 16. Die ärztliche Untersucnung und Beurtheilung von Unfallfolgen, 
von Ledderhose. 17. Ein Beitrag zur Pathologie und pathologischen Anatomie der traumatischen 
Rückenmarkserkrankungen (sog. Hämatomyelie, secundäre Höhlenbildung), von Lax und Müller. 
18. Troubles du thorax dans la Syringomyelie, par Marie. 19. Syringomyelie mit totaler 
Hemianästhesie nach peripherem Trauma, von Stein. 20. Ueber einen Fall von Syringo¬ 
myelie mit Spontanfractur beider Humerusköpfe und Resorption derselben, von Kofend. 
21. Form und Ausbreitung der Sensibilitätsstörungen bei Syringomyelie, von Hahn. 22. Ein 
Beitrag zur Aetiologie und Symptomatologie der Syringomyelie, von Laese. 23. Ein Fall 
von einseitiger Gliose im Cervicaltheile des Rückenmarks, die den aufsteigenden Theil der 
Trigeminuswurzel berührte, von Homdn. 24. Dissociazione a tipo siringomielico della sensi- 
bilita in un caso di isterismo maschite, per Burzlo. 25. Compression de la moelle cervicale. 
Syndromes de Brown-Sequard avec dissociation de la sensibilite, par Dejerine. 26. A case of 
fracture of the fifth cervical vertebra, in which an Operation was done. Death on the eighth 
day after the Operation, by Hudson. 27. Gliosarcoma of the spinal cord, by Fletcher. 
28. Tumor of the spinal dura mater, by Potts. 29. Tumor of the spinal pia, first cervical 
segment, mistaken for hypertrophic cervical pachymeningitis, by Collins and Blanchard. 
30. Ein weiterer Fall von solitärer Tuberculose des Rückenmarks, zugleich ein Beitrag zur 
Lehre von der Brown-Sdquard’schen Halbseitenlähmung, von Müller. 31. Pressare paraplegie 
treated by laminectomy, by Hutchinson jun. 32. Ueber die anatomische Grundlage einer an¬ 
scheinend falschen Segmentdiagnose bei tuberculöser Compressionsmyelitis, von Dinkler. 
33. Ein Fall von acnter Infectionskrankheit mit Thrombosen in den pialen Gefässen des 
Rückenmarks, nebst Beobachtungen über das Verhalten und die Entstehung der Amyloid¬ 
körperchen in demselben Falle, von Petrdn. 

III. Aus den Gesellschaften. Aerztlicher Verein zu Hamburg. 

IV. Vermischtes. Jahressitzung des Vereins der deutschen Irrenärzte zu Bonn. 

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I. Originalmittheilungen. 


1. Ueber hämorrhagische Encephalitis. 

Von Dr. Deiters, 

Assistenzarzt an der Provinzial-Irrenanstalt in Andernach. 


Nachdem man gelernt hatte, die durch primären Gefässverschluss ent¬ 
stehenden Erweichungsherde im Gehirn von der eigentlichen Entzündung zu 
trennen, war das Gebiet der acuten Encephalitis zunächst ein sehr kleines ge¬ 
worden. Es war fast nur die eitrige Form derselben bekannt; eine nicht-eitrige 
acute Encephalitis wurde wohl theoretisch angenommen, und war auch mehrfach 
experimentell an Thieren studirt worden, während Beobachtungen an Menschen 
noch nahezu ganz fehlten. Im Jahre 1881 beschrieb dann Webnicke in seinem 
Lehrbuch der Gehirnkrankheiten 1 unter dem Namen acute hämorrhagische 
Polioencephalitis superior eine acute Entzündung im Gebiete der Augenmuskel¬ 
kerne. Seine Fälle waren fieberfrei und führten in 10—14 Tagen zum Tode. 
Die befallenen Gehiropartieen waren im Allgemeinen geröthet und von zahl¬ 
reichen punktförmigen Blutungen durchsetzt. Mikroskopisch fand sich, dass 
diese Blutungen grösstentheils die Gefasse einscheideten, und dass die Gefasse 
selbst stark erweitert und prall gefüllt waren; in der Umgebung der Blutungen 
fanden sich überall auch Körachenzellen. — Die nächsten Jahre brachten eine 
Anzahl von Arbeiten, durch welche der W EBNiCKE’sche Befund bestätigt und 
ergänzt wurde. 

Später beschrieb Fbiedmann* im Anschluss an die Mittheilung einer Reihe 
von Thierexperimenten, in denen er künstlich durch mechanische und chemische 
Reize Entzündung der Hirnsubstanz hervorgerufen hatte, ganz kurz auch einen 
am Menschen beobachteten Fall von acuter Encephalitis, der in 4 Tagen tödtlich 
verlaufen war; in dem in der 2. Stimwindung gelegenen Herde fanden sich 
theils capilläre, theils grössere Blutungen und in deren Umgebung zahlreiche 
Körachenzellen und dichte Rundzellenansammlungen. 

Im Jahre 1891 berichtete dann Stbümpelii 3 ausführlich über 2 Fälle, dit 
unter hohem Fieber, Bewusstlosigkeit und Hemiplegie in wenigen Tagen zum 
Tode geführt hatten; bei beiden fand er im Centrum semiovale die Substanz 
gelockert, vorquellend und serös durchtränkt und von zahlreichen punktförmigen 
Blutungen durchsetzt Mikroskopisch fand er starke Füllung der Gefasse, die 
Gefässscheiden erweitert und mit ausgewanderten Rundzellen angefüllt, stellen¬ 
weise auch herdförmige Ansammlungen von Rundzellen; keine Körachenzellen. 

Gestützt auf diese beiden Beobachtungen in Verbindung mit dem Fbikd- 
MANN’schen Fall stellte Stbümpell den Begriff der primären acuten hämor¬ 
rhagischen Encephalitis als einer selbständigen Krankheit fest 


1 Bd. II. S. 229. * Neurolog. CentralM. 1889. 

* Arcb. f. klin. Med. Bd. XLVII, 


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Seither ist non eine grosse Anzahl ähnlicher Beobachtungen veröffentlicht 
worden. Zunächst galten dabei noch die von Wernicke and von Strümpell 
beschriebenen Zustände für zwei verschiedene selbständige Krankheiten, ln den 
letzten Jahren macht sich jedoch das Bestreben geltend, durch Auffinden von 
Uebergangsbildem die beiden Formen unter einen Hnt zu bringen und ihre 
Unterschiede allein durch die verschiedene Localisation des nämlichen patho¬ 
logischen Processes zu erklären. Leider stützen sich diese Bestrebungen im 
Wesentlichen auf nur klinisch beobachtete, gamicht zur Obduction gelangte 
Fälle. Es wird natürlich Niemand bestreiten, dass der von Strümpell be¬ 
schriebene Process gelegentlich auch einmal in den Augenmuskelkernen localisirt 
sein kann, und dann klinisch ähnliche Erscheinungen machen wird, wie die 
Polioencephalitis superior. Liest man dagegen die Beschreibungen des ana¬ 
tomischen Bildes von Wernicke und von Strümpell, so muss man doch 
sagen, dass es sich dabei auch anatomisch wohl um ähnliche, aber keineswegs 
um identische Processe handelt. Strümpell fand in seinen Fällen sowohl in 
den Gefässscheiden, als auch frei im Gewebe herdförmige Ansammlungen von 
Rundzellen, von denen Wernicke nichts erwähnt; andererseits waren in den 
W ernicke’ scheu Fällen zahlreiche Körnchenzellen vorhanden, während Strüm¬ 
pell solche nicht gefunden hat. Das sind doch Unterschiede, die nicht ohne 
weiteres ignorirt werden können. Vollends kann mau sich bei einigen der in 
neuerer Zeit publicirten Fälle des Eindrucks nicht erwehren, dass da auf äussere 
Aehnlichkeit hin ganz verschiedenartige Dinge zusammengestellt worden sind. 
Die Verschiedenheit der klinischen Erscheinungen auf dem Gebiete des Nerven¬ 
systems kommen dabei natürlich weniger in Betracht, weil diese sich that- 
sächlioh durch die verschiedene Localisation meist hinlänglich erklären lassen. 


Wichtiger sind schon Abweichungen in der Dauer der Erkrankung, vor allem 
aber der Umstand, dass in manchen Fällen das Fieber völlig fehlte, welches in 
allen typischen Fällen hoch und anhaltend war. Ausserdem finden sich aber 
auch bedeutende Unterschiede im anatomischen Befunde; Körnchenzellen, sowie 
Rundzellenherde wurden bald sehr zahlreich gefunden, bald ganz vermisst; die 
Nervenelemente fanden die einen ganz intact, während die anderen mannigfaltige 
Veränderungen daran beschreiben; am Gefässsystem wurden bald aneurysmatische 
Erweiterungen, bald Schwellung der Endothelien, häufig auch gar keine Ver¬ 
änderungen constatirt. Sehr auffällig ist ferner der in mehreren Fällen erhobene 
Befund von umfangreichen Venenthrombosen, die sich zuweilen bis in die Sinus 
hinein erstreckten und selbst grosse Theile dieser letzteren mitergriffen hatten. 
Unwillkürlich denkt man bei solchem Befund an die Möglichkeit, dass die 
Smusthrombose das Primäre sein könnte, und die Veränderungen in der Hirn¬ 
substanz einfach als nekrobiotische Processe in Folge von Stauung aufzufassen 
wären. Denn es ist eine alte Erfahrung, dass, wenn durch Verschluss der ab¬ 
führenden Venen der Blutabfluss von einer Gehirnpartie ganz abgeschnitten 
wird, nicht allein Stauungshyperämie und ödematöse Durchtränkung der Hirn¬ 
substanz die Folge ist, sondern auch nicht selten capilläre Blutungen in grosser 
Zahl entstehen. In solchen Fällen kann nur die mikroskopische Untersuchung 

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nähere Aufklärung geben, und gerade der mikroskopische Befand ist in vielen 
neueren Pablicationen nur ganz summarisch mitgetheilt worden. Es wird da¬ 
durch die Gefahr nahe gelegt, dass die längst festgestellte Grenze zwischen 
primärer Entzündung einerseits und Nekrobiose in Folge Circulationsstörung 
andererseits wieder verwischt werden könnte. 

Wir haben vor einiger Zeit in Andernach einen Fall obducirt, dessen 
pathogenetische Auffassung gerade in dieser Elinsicht anfangs gewisse Schwierig¬ 
keiten machte. 

Die Kranke, welche bei ihrem Tode 52 Jahre alt war, litt bereits seit 
einigen Jahren an Paranoia. In der Ascendenz war keine Belastung nach¬ 
weisbar; von ihren 6 noch lebenden Kindern leidet ein Sohn an Epilepsie, ein 
anderer an Paranoia; die anderen sollen gesund sein. — Sie erkrankte an 
Paranoia im Anschluss an den Eintritt des Klimakteriums, nachdem sie früher 
immer gesund gewesen war. Zuerst war sie etwa 8 / 4 Jahre lang in der Anstalt 
gewesen, war dann, nachdem die Erregung nachgelassen hatte, versuchsweise 
nach Hause entlassen worden, musste aber schon nach wenigen Monaten der 
Anstalt wieder zugeführt werden. Sie war jetzt unter dem Einfluss lebhafter 
Hallucinationen zeitweise ausserordentlich gereizt und misstrauisch, vermuthete 
dann stets Gift im Essen und nahm wochenlang nur die allernothwendigste 
Nahrung, während sie zu anderen Zeiten ganz umgänglich sein konnte. Eine 
solche Periode der Gereiztheit begann auch wieder Ende Juni; sie sass mürrisch 
und unthätig in der Ecke, gab auf Anreden keine Antwort, schimpfte hinter 
den Aerzten her, nahm nur äusserst wenig Nahrung, weil Gift darin sei, und 
begann sichtlich abzumagem. Da legte sie sich plötzlich am 6. Juli still¬ 
schweigend zu Bett, ohne über irgend etwas zu klagen. Dem hinzugerufenen 
Arzt gab sie auf seine Fragen gar keine Antwort, war gänzlich unzugänglich, 
wie sie es in den letzten Wochen überhaupt gewesen war. Sie lag zusammen¬ 
gekrümmt da mit kühlen Extremitäten, etwas geröthetem Kopf und mürrischem 
Gesichtsausdruck. Eine Untersuchung liess sie nicht zu. Der mürrische Aus¬ 
druck verschwand nach und nach, sie wurde sichtlich benommener. Abends 
gegen 67 3 Uhr traten Krämpfe in der ganzen linken Körperhälfte ein; clonische 
Zuckungen in Arm und Bein und in der linksseitigen Gesichtsmuskulatur; der 
Kopf war nach links gedreht, die Bulbi nach links verzogen. Die linke Pupille 
war stecknadelkopfgross, die rechte maximal erweitert, jedoch war an beiden 
noch Reaction auf Lichtreiz nachweisbar. Abends gegen 8 Uhr kamen Zuckungen 
im rechten Arm und in der rechtsseitigen Gesichtsmuskulatur hinzu, während 
das rechte Bein frei blieb. Die Herzaction war ausserordentlich beschleunigt, 
der Puls gespannt; die Körpertemperatur war nicht erhöht. Die Krampfanfalle 
dauerten mit Unterbrechungen die ganze Nacht hindurch, das Bewusstsein blieb 
dauernd aufgehoben. Am anderen Morgen bei der ärztlichen Visite erschien 
sie bereits moribund, der Puls war noch weiter beschleunigt und fadenförmig, 
die Athmung schnarchend und nach Cheyne-Stokes’schein Typus. Gegen 
10 Uhr trat der Tod ein. 

Die Obduction wurde 24 Stunden nach dem Tode ausgeführt. Der Inhalt 

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der Schädelhöhle war ausserordentlich blutreich; die Sinus enthielten reichlich 
dunkeln Cruor, nirgends Thromben; die Gefasse der Dura waren stark gefüllt 
und vorspringend. Die Pia war im Allgemeinen zart, ihre Gefasse prall gefüllt 
mit flüssigem Blute. Ueber dem rechten Scheitellappen, nach vom bis fast an 
die Centralfurche, nach hinten über die Occipitalwmdungen hin sich erstreckend, 
war die Pia diffus blutig tingirt und gequollen und konnte nicht ohne Substanz¬ 
verlust von der Himoberfläche abgezogen werden. Die venösen Gefasse der Pia 
waren im ganzen Bereiche dieser Veränderung und stellenweise auch noch 
darüber hinaus fest thrombosirt Auf einem Einschnitt erwies sich die Hirn¬ 
substanz stark geröthet und vorquellencl, die Binde fast violettroth und von 
massenhaften kleinsten dunkelrothen Blutpünktchen durchsetzt Diese waren 
fast ausschliesslich auf die Binde beschränkt, in der Marksubstanz sah man nur 
noch vereinzelte kleine Blutungen in der nächsten Nachbarschaft der Binde. 

Ein ähnlicher Herd, dessen Umfang etwa die Grösse eine Zweimarkstückes 
erreichte, befand sioh auf der linken Hemisphäre am oberen Ende der Central¬ 
furche, zu beiden Seiten der letzteren, so dass die oberen Enden beider Central¬ 
windungen ergriffen waren. Auch hier waren die Venen thrombosirt, die Pia 
blutig durchtränkt, die Himsubstanz geröthet und weich, in der Binde massen¬ 
haft kleinste Blutungen. 

Von der weiteren Zerlegung des frischen Gehirns wurde Abstand genommen 
und dasselbe zum Zwecke genauerer Untersuchung in Formol conservirt 

Von dem sonstigen Obductionsbefund ist ausser einem geringen Grad von 
Lungenemphysen und massigem Atherom der Brustaorta nur noch der Nieren¬ 
befund von Bedeutung. Die Kapsel löste sich nur schwer von der Niere, die 
Nierenoberfläche war von grobkörniger Beschaffenheit; die Grösse des Organs 
entsprach etwa der Norm. Auf der Schnittfläche erwies sich die Binde als 
etwas verschmälert und gelblich getrübt. Mikroskopisch fand sich Kemwucherung 
um die Glomeruli und Trübung und Schwellung der Epithelien der gewundenen 
Harncanälchen. 

Die spätere Zerlegung des conservirten Gehirns ergab ausser den beiden 
erwähnten Herden keine weiteren Veränderungen. Die am frischen Gehirn sehr 
starke Hyperämie auch der nicht erkrankten Partieen ist am gehärteten Präparat 
nicht mehr deutlich. Die erkrankten Partieen, die im frischen Zustande dunkel- 
roth waren, haben unter dem Einfluss der Conservirungsflüssigkeit theilweise 
einen schwärzlichen Farbenton angenommen, auf dessen Ursache später noch 
zurückzukommen sein wird. Man erkennt in der Binde deutlich zahllose 
kleinste Blutpünktchen, die an einzelnen Stellen sich auch in die Marksubstanz 
erstrecken, wodurch die Begrenzung der Binde stellenweise etwas verwaschen 
ist An einigen Stellen sind die Blutungen auch etwas grösser, bis stecknadel¬ 
kopfgross. ln der Marksubstanz treten deutlich einige durchschnittene throm- 
bosirte Gefasse hervor. Hier und da sieht man auf einer Schnittfläche in der 
Marksubstanz eine kleine, unregelmässig gestaltete Höhle mit fetziger Wandung, 
den Durchschnitt eines kleinen Erweichungsherdes, dessen Inhalt ausgefallen ist. 
Solcher kleinen Herde fanden sich in der Marksubstanz mehrere. 


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Zum Zwecke der mikroskopischen Untersuchung wurden einige Stücke theils 
in MüLLEn’scher Lösung, theils in Alkohol nachgehärtet. An Carminpräparaten 
heben sich die frischen Blutungen durch ihre gelbliche Farbe deutlich ab; sie 
sind grösstentheils so klein, dass man in einem Gesichtsfeld eine grosse Anzahl 
derselben vor sich hat. Sie liegen zum Theil innerhalb der Gefassscheiden und 
sind dann in diesen auf längere Strecken hin zu verfolgen; theilweise sind sie 
in das Gewebe durchgebrochen und haben dort mehr oder weniger umfangreiche 
Zerstörungen bewirkt Auch in der Marksubstanz, an Stellen wo makroskopisch 
nichts erkennbar ist, finden sich noch kleine Blutungen, meist von langgestreckter 
Form in der Richtung des Faserverlaufs. An den meisten Stellen sind die 
Blutkörperchen in diesen Hämorrhagieen nach Form und Farbe gut erhalten 
und mit relativ zahlreichen Leukocyten untermischt An anderen Stellen sind 
dagegen die Blutkörperchen abgeblasst und hier und da auch in der Form nicht 
mehr ganz regelmässig, und an diesen Stellen findet sich auch ein eigenthüm- 
liches Pigment, welches die auch makroskopisch schon hervortretende schwärz¬ 
liche Färbung dieser Partieen bedingt, und welches aus ganz schwarzen runden 
Körnchen besteht; zum Theil sind diese Körnchen regellos durch das Gewebe 
zerstreut; andemtheils sind sie in runde Zellen eingeschlossen, welohe vielfach 
vollständig damit ausgefüllt sind, und welche sich in grosser Zahl sowohl in 
den Hämorrhagieen, als auch innerhalb thrombosirter Gefässe befinden; in diesen 
Thromben ziehen sich auch lange, aus dichtgestellten schwarzen Körnchen zu¬ 
sammengesetzte Streifen zwischen den Blutkörperchen hin, und auch in den 
Zellen der innersten Schicht der Gefasswandungen ist solches körniges Pigment 
abgelagert; stets sind an diesen Stellen auch zahlreiche Ganglienzellen mit 
solchen schwarzen Körnchen dicht überlagert, ln der Litteratur finde ich nur 
bei Nauwebck 1 einen ähnlichen Befund erwähnt, welcher zugleich auch der 
einzige ist, der sein Präparat in Formol conservirt hat; er nimmt an, dass es 
sich um Fett handelt, das unter dem Einfluss des Formols in eine schwarze 
Verbindung übergegangen ist Sicher ist, dass die schwarze Farbe erst durch 
die Conservirung entstanden ist, denn in frischem Zustand war die Farbe der 
befallenen Partieen rein dunkelroth. Man könnte höchstens zweifeln, ob es 
sich wirklich um Fett oder um ein aus dem Blutfarbstoff stammendes Pigment 
handelt, das durch Formol so verändert wird; der Umstand, dass sich diese 
Gebilde hauptsächlich in Blutherden finden, deren Blutkörperchen mehr oder 
weniger abgeblasst sind, würde eher für letztere Möglichkeit sprechen. Das 
Aussehen der mit Pigment erfüllten Zellen ist allerdings ganz das von Fett¬ 
körnchenzellen, und auch die runde Form der einzelnen Körnchen weist darauf 
hin, sie als Fetttröpfchen aufzufassen. Der Befund dieser Körnchen in den 
Endothelzellen der Gefasse würde dann eine fettige Degeneration dieser Zellen 
bedeuten. 

In allen erkrankten Theilen sind die sehr zahlreichen Capillarsclilingen er¬ 
weitert und prall gefüllt. Die Venen sind meist durch weisse Thromben aus- 


1 Deutsche med. Wochenschr. 1895. 

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gefällt, in denen die WEiQEBT’sohe Färbung ein feines Fibrinnetz nachweist, 
worin gut erhaltene Leukocyten eingeschlossen sind; auch ein grosser Theil der 
Capillaren ist thrombosirt An den Gefässwandungen waren, abgesehen von den 
erwähnten Pigmentablagerungen, keine Veränderungen aufzufinden, nur hier 
und da erschienen die Endothelkeme der Capillaren auffallend gross und blass. 
Vielfach sind kleinere Gefässe mit diohten Rundzellenansammlungen überlagert, 
durch welche die Lymphsoheide vollständig ausgefüllt ist; die einzelnen Rund¬ 
zellen sind ziemlich gross, ihre Kerne gut färbbar, sehr mannigfaltig in der 
Form, viele enthalten auch mehrere Kerne, ln der nächsten Umgebung' der 
erkrankten Partieen, wo keine Blutungen mehr vorhanden sind, ist eine diffuse 
Vermehrung der Kerne in den unteren Rindenschiohten vorhanden, ohne dass 
es hier zu herdförmigen Ansammlungen von Zellen gekommen wäre. Die Kerne 
sind hier durchweg rund bis oval, gut färbbar und meist reihenförmig angeordnet 
Es wurde bereits erwähnt, dass in der Marksubstanz, unterhalb der erkrankten 
Rindenpartieen, einige kleine Erweichungsherde vorhanden waren; mikroskopisch 
erkennt man noch eine grössere Anzahl solcher Herde von kleinsten Dimensionen. 
Neben Detritus und Blutkörperchen enthalten diese Herde auch ziemlich grosse 
Rundzellen mit schönem runden Kern; die gleichen Zellen finden sich auch 
noch ziemlich zahlreich in der Wand solcher Herde. — Bakterienfärbungen 
fielen in allen Theilen negativ aus. 

An den nervösen Elementen sind die Veränderungen ziemlich beträchtlich. 
Die Nervenfasern sind in den erkrankten Partieen durchweg varicös aufgetrieben 
oder auch in unregelmässige Schollen und Tropfen zerfallen. Die Tangential¬ 
fasern sind an den meisten Stellen ganz geschwunden, nur hier und da findet 
man noch einzelne varicös gequollene Fasern. Unveränderte Ganglienzellen sind 
in den erkrankten Theilen nur vereinzelt aufzufinden; die meisten sind ge¬ 
schrumpft, ihr Kern undeutlich, die Fortsätze verkümmert; vielfach findet man 
auch nur leere Lücken, die wenig Detritus und körniges Pigment und an der 
Wand einen runden Kern enthalten. Die Ueberlagerung vieler Ganglienzellen 
mit schwarzem Pigment wurde bereits erwähnt. 

Auch in der Pia finden sich zahlreiche kleinere und grössere Blutungen, 
durch welche die Maschen stellenweise dicht ausgefüllt sind. Die grossen Venen 
der Pia enthalten gemischte Thromben, durch welche ihr Lumen vollständig 
ausgefällt wird. In den rothen Schichten ist die Form der einzelnen Blut¬ 
körperchen verwischt, die ganze Masse diffus braunroth gefärbt; dazwischen 
finden sich zahlreiche der erwähnten schwarzen Körachenzellen und Streifen. 
Die weissen Schichten bestehen aus dichten Zügen von Fibrinfasera; dazwischen 
sind zahlreiche Leukocyten eingelagert, deren Kerne sich nur unvollkommen 
färben und meist schon in mehrere Theile zerfallen sind. In den Endothel¬ 
zellen findet sich auch hier das erwähnte schwarze Pigment, sonst weisen die 
Gefässwandungen keine Veränderungen auf. 

Von den STBüMPELL’schen Beobachtungen ist dieser Fall wesentlich ver¬ 
schieden. In jenen handelt es sich um eine primäre Entzündung der Hira- 
substanz, die unter hohem Fieber in mehreren Tagen tödtlich verlief. Spätere 


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Beobachtungen, besonders die aus Leichtenstkrn’s und FObvbingeb’s Ab¬ 
theilungen stammenden Veröffentlichungen, haben dann den häufigen Zusammen¬ 
hang dieser Erkrankungsform mit der Influenza dargethan, und Oppenheim hat 
zuerst nachgewiesen, dass dieselbe keineswegs immer tödtlich ist, sondern zu¬ 
weilen auch in Genesung übergehen kann. Letzteres geht ans Fällen hervor, 
in denen die klinischen Erscheinungen übereinstimmten mit denen solcher 
Fälle, welche durch Obduction aufgeklärt wurden, so dass also die Diagnose bei 
Lebzeiten mit Sicherheit möglich war. Wir haben es also dabei mit einer 
acuten Infectionskrankheit zu thun, die häufig im Anschluss an Influenza, zu¬ 
weilen im Anschluss an andere Infectionskrankheiten, und in manchen Fällen, 
wie es scheint, ganz selbständig auftritt, und welche sowohl klinisch wie ana¬ 
tomisch ein wohloharakterisirtes selbständiges Krankheitsbild darstellt. — Dass 
die WEBNiCKE’sche Polioencephalitis superior sowohl klinisch wie anatomisch 
hiervon verschieden ist, wurde schon erwähnt; diese ist keine Infectionskrankheit, 
sondern wahrscheinlich durch Intoxication bedingt, verläuft klinisch ohne Fieber, 
anatomisch treten die eigentlich entzündlichen Erscheinungen gegenüber den 
degenerativen Processen mehr in den Hintergrund. 

Endlich giebt es eine kleine Anzahl von Fällen, die von beiden Formen in 
wesentlichen Punkten abweichen und nur auf die Aehnlichkeit des anatomischen 
Bildes hin ohne genauere Untersuchung jenen hinzngerechnet worden sind. 

Auoh unser Fall zeigt grob anatomisch eine grosse Uebereinstimmung mit 
den Schilderungen der Autoren. Aber sowohl der klinische Verlauf, wie auch 
das Resultat der mikroskopischen Untersuchung weisen auf eine andere Auf¬ 
fassung hin. Es kann wohl nicht bezweifelt werden, dass das Primäre in diesem 
Falle die Venenthrombose ist, an welche sich die Veränderungen in der Hirn- 
substanz erst secundär angeschlossen haben. Allerdings sind ja in der Hirn- 
substanz zweifellos entzündliche Erscheinungen vorhanden. Aber es ist ja schon 
durch die oben erwähnten FBESDMANN’schen Thierexperimente naohgewiesen 
worden, dass durch einfach mechanische und aseptische Reize in der Himsubstanz 
entzündliche Erscheinungen hervorgerufen werden. Der durch die zahlreichen 
capillären Blutergüsse bedingte mechanische Reiz würde also zur Erklärung 
dieser Entzündungserscheinungen genügen. Andererseits ist die Annahme, dass 
die Thrombose in den kleinen Gefässen als Folge der Entzündung begonnen 
und sich von da auf die grösseren Venen fortgepflanzt haben könnte, dadurch 
mit Sicherheit auszuschliessen, dass die kleinen Gefasse in der Hirnsubstanz 
ganz frische Thromben mit gut erhaltenen Blutelementen enthielten, während 
die Thromben in den Venen der Pia sich aus Elementen zusammensetzten, an 
denen schon beträchtliche Zerfallserscheinungen nachweisbar waren. Es folgt 
daraus, dass diese Thromben die älteren sind. Fraglich bleibt es allerdings, 
aus welcher Ursache diese Venenthrombose entstanden ist. Ein eigentlicher 
Marasmus, der zur Venenthrombose hätte disponiren können, war nicht vor¬ 
handen. Allerdings hatte die Kranke einige Zeit ungenügend Nahrung ge¬ 
nommen und magerte ab; aber der Ernährangs- und Kräftezustand war doch 
immer noch so gut, dass eine künstliche Ernährung noch gar nicht in Aussicht 


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genommen war. Es wäre denkbar, dass das beginnende Nierenleiden in Ver¬ 
bindung mit der mangelhaften Ernährung gewisse Veränderungen des Blutes 
bewirkt hatte, wodurch dessen Gerinnbarkeit erhöht wird. Als locale Ursache 
könnte die erwähnte Veränderung in den Endothelzellen in Betracht kommen, 
welche wohl als fettige Degeneration dieser Zellen aufgefasst werden muss. 

Der klinische Verlauf stimmt mit dem Befunde gut überein; die Localisation 
der beiden Herde entspricht genau der Verbreitung der im Leben beobachteten 
Beizerscheinungen. Auch der rapide Verlauf erklärt sich leicht; denn eine 
Thrombose in den verhältnissmässig kleinen Venen der Pia muss in kurzer Zeit 
zu völligem Verschluss fuhren; es wird dadurch begreiflich, dass schon in wenigen 
Stunden die schwersten Erscheinungen ausgebildet waren. 

Es wäre müssig untersuchen zu wollen, inwiefern manche der als primäre 
hämorrhagische Encephalitis beschriebenen Fälle vielleicht auf ähnliche Ursachen 
zurückzuführen sind. Jedenfalls lehrt unser Fall, dass primärer Venenverschluss 
ein ganz ähnliches anatomisches Bild hervorbringen kann, wie jene. Das Fehlen 
von Fieber und der Befund von Venenthrombosen wird stets an eine solche 
Möglichkeit denken lassen. Sichere Entscheidung ist aber nur durch mikro¬ 
skopische Untersuchung möglich. 


[Aus dem Laboratorium von Prof. Dr. Mendel.] 

* 2, Ein Fall von Worttaubheit nach Basisfractur. 1 

Von Dr. M. Blooh und Dr. M. Bielsohowsky 
in Berlin in Berlin. 

Der 45jähr. Kutscher K., mässiger Potator, früher im Wesentlichen ge¬ 
sund, verunglückte am 17. Mai 1896 in Folge eines Fehltrittes beim Absteigen 
vom Kutscherbock. Er stürzte zu Boden und schlug mit der linken Seite des 
Schädels auf das Strassenpflaster auf. Es trat sofort vollkommene Bewusstlosig¬ 
keit ein, Pat blutete aus Nase, Mund und Ohren. Nach etwa einer Viertel¬ 
stunde kehrte das Bewusstsein zurück, Pat. erbrach, erholte sich aber in kurzer 
Zeit soweit, dass er zu Fuss erst einen etwa viertelstündigen Weg zum Arzt 
und von da noch etwa 20 Minuten Weges nach seiner Behausung zurücklegen 
konnte. Zu Haus angelangt, nahm er mit den Seinigen bei scheinbar völligem 
Wohlbefinden das Abendbrot ein, las die Zeitung, unterhielt sich über deren 
Inhalt, ohne dass irgend welche Störungen auffielen und verbrachte die Nacht 
ruhig schlafend. 

Im Laufe des nächsten Tages fiel den Angehörigen, ohne dass Pat irgend 
welche Klagen äusserte, auf, dass Pat anscheinend schwer hörte. Diese ver- 

1 Nach einer Demonstration in der Berliner Gesellschaft f&r Psychiatrie and Nerven' 
krankheiten in der Sitzung vom 11. Joli 1898. 

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meintliche Schwerhörigkeit nahm im Laufe des 18. und 19. mehr und mehr za, 
gleichzeitig wurde bemerkt, dass Fat weniger spontan sprach und bisweilen 
Worte verstümmelt oder entstellt herausbrachte. Am Abend des 19. sah der 
eine von uns (Bloch) den Pat und erhob folgenden Status: Kräftiger, sehr 
muskulöser Mann. Gesicht lebhaft geröthet Organe der Brust- und Bauch¬ 
höhle ohne pathologischen Befund. Kein Fieber. Deutliche Arteriosklerose der 
peripherischen Arterien. Puls constant verlangsamt, 54—60 in der Minute, 
regelmässig, stark gespannt Respiration normal. An den Himnerven keinerlei 
Störung, ebensowenig in der Motilität und Sensibilität des Kumpfes und der 
Extremitäten. Sehnen- und Hautreflexe ohne pathologische Merkmale. Augen¬ 
hintergrund normal, die otoskopische Untersuchung ergiebt beiderseits eine an¬ 
nähernd horizontal verlaufende Ruptur des Trommelfells; der äussere Gehörgang 
enthält beiderseits spärliche Blutgerinnsel und etwas serös-sanguinolente Flüssig¬ 
keit Hemianopsie ist, soweit die gleich zu erörternde Schwierigkeit, sich mit 
dem Pat zu verständigen, die diesbezügliche Untersuchung znlässt, nicht zu 
constatiren. 

Bei der Untersuchung der Hörfähigkeit des Kranken wurde es sofort klar, 
dass dieselbe so gut wie vollkommen, auch für feinere Geräusche erhalten war; 
dagegen verstand Patient auch nicht ein einziges zu ihm gesprochenes Wort; 
selbst ganz banale Fragen: „Wie heissen Sie?“ „Wie geht es Ihnen?“ werden 
entweder garnicht beantwortet, oder der Pat sagt irgend etwas mit der gestellten 
Frage in keinerlei Beziehung stehendes. Dabei ist die spontane Sprache, ab¬ 
gesehen davon, dass Pat. spontan überhaupt sehr wenig spricht, zum Theil ganz 
gut erhalten, zum Theil aber auch durch deutliche paraphatische Erscheinungen 
verbaler und literaler Art gestört Von einer Prüfung der Lese- und Schreib¬ 
fähigkeit wurde mit Rücksicht auf die Schwere der Affection — konnte es sich 
nach Entstehung und Verlauf der Erkrankung doch nur um die Folgezustände 
einer Basisfractur handeln — Abstand genommen. 

Im Laufe der nächsten 2 Tage trat eine wesentliche Aenderung des Zu¬ 
standes nicht ein, insofern als neue Lähmungs- bezw. Ausfallserscheinungen nicht 
beobachtet wurden; nur die Sprachstörung nahm mehr und mehr zu; Pat sprach 
spontan fast garnicht mehr; that er es, so traten die paraphatischen Störungen 
mehr und mehr in den Vordergrund, so dass er schliesslich fast völlig unver¬ 
ständlich war. Dieser Befand wurde am 21. erhoben, neue Erscheinungen ver¬ 
mehrten Himdrucks konnten nicht constatirt werden, Pat war bei klarem 
Bewusstsein, vollkommen orientirt, schien, da er sich öfter an die Stirn fasste, 
Kopfschmerzen zu haben; er reagirte, was nochmals hervorgehoben werden mag, 
auf alle Geräusche. 

Mit Rücksicht auf das langsame Entstehen der Affection, den progredienten 
Verlauf und die constant nachweisbare Pulsverlangsamung wurde an ein durch 
das Trauma verursachtes subdurales Hämatom über dem linken Schläfelappen 
gedacht und die Eventualität eines operativen Eingriffs erwogen. In der Nacht 
vom 21. zum 22. Mai traten indess ohne irgend welche Vorboten plötzlich oortical- 
epileptische Anfälle auf. Unter brüsker Drehung des Kopfes nach links ge- 

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riethen die rechtsseitigen Extremitäten und die rechte Gesichtshälfte in heftige 
clonische Zuckungen. Pat verlor das Bewusstsein, es trat stertoröses Athmen 
ein. Die ersten 3 Anfälle dauerten einige Minuten und Pat. erholte sich jedes 
Mal'danach. Während des 4. Anfalles, der von längerer Dauer als die voran¬ 
gegangenen war, trat plötzlich der Exitus ein. 

Die 30 Stunden p. m. von uns gemeinsam ausgeführte Section musste sich 
auf die Herausnahme des Gehirns beschränken und ergab folgenden Befund: 

Uebennittelgrosser, sehr kräftiger, männlicher Leichnam. Todtenstarre. 
Beim Umdrehen der Leiche fliesst aus dem rechten Ohr etwas sanguinolente 
Flüssigkeit Nach Ablösung der Haut vom Schädeldach zeigt sich über dem 
linken Proc. mastoideus eine seichte Impression. 

Vom rechten Proc. mastoideus senkrecht nach aufwärts rieht ein leicht 
gebogener Bruch von etwa 3 cm Länge, der sich nach hinten bogenförmig fort¬ 
setzt, so dass an der Schuppe des Os temporale ein etwa dreiseitiges Knochen¬ 
stück nach dem Schädelinneren imprimirt ist Die Fissur markirt sich durch 
Blutgerinnsel, über ihr ist der Knochen mit der Dura verwachsen. Sie setzt 
sich, wie nach Lösung der Dura von der mittleren Schädelgrube zu sehen ist, 
in eine Fissur fort, die über die vordere obere Fläche der Pyramide des Os 
petrosum hinweg bis zur Spitze desselben führt; letztere ist in eine Anzahl von 
Splittern zertrümmert und in Folge dessen ist eine Impression der Pyramide 
entstanden, in die man die Zeigefingerkuppe hineinlegen kann. 

Links befindet sich in der Mitte der mittleren Schädelgrube an der Grenze 
des kleinen Keilbeinflügels und der Pyramide des Os petrosum eine etwa mandel¬ 
grosse Hervorwölbung der Dura von prall elastischer Consistenz, die fluctuirt 
und von einem Coagulum gefüllt ist. Nach Lösung der Dura wird auch hier 
eine Fissur des Knochens constatirt, die von der Impression des Ganglion 
Gasseri über vordere und obere Fläche der Felsenbeinpyramide hinwegzieht. 
Auch hier handelt es sich um einen Splitterbruch. 

Der Porus acusticus ist beiderseits frei, desgleichen vordere und hintere 
Schädelgrube. 

Die Gefässe an der Basis des Gehirns sind deutlich atheromatös. Starke 
venöse Hyperämie. Pia leicht abzulösen. 

Ueber dem linken Schläfelappenpol erscheint die Pia schwarz gefärbt und 
die unter ihr liegende Gehirnsubstanz (L Schläfenwindung) in eine weiche, gleich- 
mässig schwarze Masse verwandelt 

Das Gehirn wurde nun in toto in Formol gelegt und gehärtet. 

Nach der Härtung erweist sich die eben genannte schwarze Masse als etwa 
kirschgross. Sie reicht etwa 2 cm weit nach hinten und ist zunächst scharf auf 
den Bereich der TI begrenzt Bei der Anlegung von Frontalschnitten durch den 
linken Schläfelappen in einer Entfernung von etwa 1 cm voneinander sieht man, 
wie dieser Herd den Bindensaum der oberen Schläfenwindung bald verlässt und 
auf das Marklager derselben hinüberzieht und dass er in seinem weiteren Ver¬ 
lauf nach hinten die Neigung, sich etwas basalwärts zu senken, hat 4 cm vom 
linken Schläfepol nach hinten gemessen hat er auch das Marklager des Gyrus 

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temporalis medius in seinen Bereich gezogen. Noch 1 cm caudalwärts hat der 
Herd seine grösste Ausdehnung erreicht; er nimmt hier den lateralen Bezirk 
im Mark des Schläfelappens ein, so dass er im Wesentlichen auf den Gyros temp. 
sup. und medius zu beziehen ist; das Marklager des Gyrus occipito-temporalis, 
welcher hier auf den Frontalschnitten mitgetroffen ist, ist frei. Das Aussehen 
des Herdes ist hier ein anderes als vom an der Spitze des Schläfenlappens. Er 
hat jetzt nicht mehr die gleichmässig schwarze, sondern eine schiefergraue Farbe, 
nur in seinem basalen und lateralen Theile sind zahlreiche schwarze, von einander 
scharf getrennte Punkte sichtbar; unmittelbar an der Grenze der ersten Schläfe¬ 
windung, in einem Gebiet, das eigentlich nicht mehr dem Herde selbst angehört, 
sind derartige Punkte gleichfalls vorhanden. Im weiteren Verfolg nach hinten 



nimmt jetzt der Herd sehr rasch an Ausdehnung ab. Er zeigt immer noch die 
Neigung sich basalwärts zu senken, rückt dabei ganz in das Marklager der 
II. Schläfewindung und endet mit seinem letzten Ausläufer an der Grenze von 
Mark und Kinde der IU. Schläfewindung (vgl. Fig. 1). 

Die mikroskopische Untersuchung (Kernfärbungen Nissl) ergab folgenden 
Befund: 

An der Spitze des linken Schläfelappens sind entsprechend dem makrosko¬ 
pischen Aussehen keine Spuren von Gehirngewebe mehr zu entdecken; es liegen 
hier rothe Blutkörperchen dicht nebeneinander, die zum grössten Theil bereits 
zu einem schwarzbraunen, theils staubigen, theils bröckeligen Pigment (Haemar 
tosiderin) zerfallen sind. Zwischen den Blutkörperchen finden sich Beste der 
von diesem Pigment dicht durchsetzten Gefässwände, an denen die feinere Structur 
nicht mehr erkennbar ist. Auch die Pia ist von dem Pigment so stark erfüllt, 
dass ihre Gewebselemente von ihm verdeckt werden. Etwa 3 cm caudalwärts 
ist das mikroskopische Bild der Blutung ein anderes. An einem Schnitt aus 


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dieser Höhe sieht man schon bei Lnpenvergrösserung (vgl. Fig. 2), dass der Herd 
nicht mehr ein continuirliches Ganzes bildet, sondern sich aas einer grossen 
Zahl kleiner rundlicher Herde zusammensetzt, die stellenweise mit einander con- 
flniren. Die Blutkörperchen sind hier besser erhalten, wenngleich das schwarz¬ 
braune Pigment sich auch hier aus ihnen abzuscheiden anfängt In den meisten 
der kleinen Herde liegt central ein quergetroffenes Gefäss, das mit Blutkörperchen 
strotzend gefüllt ist Die Gelässwände lassen, obgleich von Pigment durchsetzt, 
die normale Structur erkennen; Continuitätstrennungen werden nirgends an ihnen 
gesehen. Einzelne dieser Gefasse enthalten ausschliesslich Leukocyten, die zum 
Theil auch in die Wand selbst eingedrungen und stellenweise auch in dem 
Gewebe der Nachbarschaft in kleinen Haufen sichtbar sind. Dieses Aussehen 
behält der Herd bis in seine letzten Ausläufer bei. 


Herd der 
Blatang. 

Fig. 2. Frontalschnitt nach einer Photographie. 



Die Nervenzellen in der Rindenzone der I. und n. Schläfenwindung, welche 
in den Bereich der Blutung gehören, zeigen nach Nissl sämmtlich eine sehr 
geringe Färbbarkeit; die feinere Differenzirung der protoplasmatischen Substanzen 
ist verwischt; der Zellleib hat ein gleichmässig blasses Aussehen. Ebenso ist 
die äussere Form der Zellen zumeist unscharf. An vielen Stellen sind nur noch 
Reste von ihnen vorhanden in Form kleiner mit gelblichem Pigment erfüllter 
Kügelchen. In dem mittleren und hinteren Theile der I. und II. Schläfenwindung, 
welcher von der Blutung nicht betroffen ist, sind auch Zellveränderungen in der 
Rinde nicht nachweisbar. Ebensowenig Hessen sich Veränderungen an den Zellen 
des linken Corpus geniculatum internum nach der NissL’schen Methode nach- 
weisen. 

Es handelte sich somit in dem mitgetheilten Falle klinisch um das Bild 
einer uncomplicirten Worttaubheit (sensorische Aphasie), uncomplicirt insofern, 
als trotz des sehr erheblichen Traumas anderweitige Lähmungssymptome völlig 
fehlten. 


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Einige Aufmerksamkeit verdient das allmähliche und erst einige Zeit nach 
dem Unfall das anscheinende Wohlbefinden des Pat störende Einsetzen der 
Symptome. Indessen handelt es sich wohl nicht um eine sogenannte Spätapo¬ 
plexie, vielmehr spricht das mikroskopische Bild der Blutung dafür, dass unter 
dem directen Einfluss des Traumas und der durch dasselbe gesetzten schweren 
Knochenverletzungen eine Zerreissung einiger kleiner Aeste der Arteria fossae 
Sylvii sin. stattgefunden und zunächst eine kleine Hämorrhagie in die Spitze 
des Schläfenlappens zur Folge gehabt hat. Prädisponirend für diese Zerreissung 
hat möglicher Weise die allgemeine Arteriosklerose gewirkt. Da, wo die Blutung 
sich im Marklager der L und IL Schläfenwindung aus den kleinen punktförmigen 
Herden zusammensetzt, entspricht sie in ihrem Aussehen einem hämorrhagischen 
Infarct. Hier ist ihre Entstehung wohl erst secundär durch die Thrombose der 
ursprünglich lädirten Gefasse bedingt worden. Dass sich diese Infarcirung auf 
das Versorgungsgebiet dieser Arterien innerhalb der weissen Substanz beschränkt, 
ist darauf zurückzuführen, dass sie hier in Endäste auslaufen, während sie in 
der grauen Binde zahlreiche Anastomosen mit benachbarten Arterien eingehen. 

Für die Localisation des Symptomenbildes der sensorischen Aphasie ist unser 
Fall insofern von Interesse, als er beweist, dass auch eine Läsion der vorderen 
Abschnitte der I. und IL Schläfenwindung das Bild der Worttaubheit hervor- 
rufen kann und eine Erkrankung der hinteren Partieen dieser Windungen zum 
Zustandekommen dieses Symptomes nicht unerlässliche Bedingung ist. 


3. Nachtrag zu dem Aufsatz: 

Nervenendigung in den Centralorganen. 1 

Von Dr. med. Leopold Auerbach. 

Im weiteren Fortgang meiner Untersuchungen, die in etlichen von den 
Herren Dr. Alzheimeb und Dr. Sandes mit liebenswürdigster Bereitwilligkeit 
aufgenommenen Photogrammen 1 meiner Präparate eine werthvolle und sehr 
dankenswerthe Förderung fanden, ist meine früher ausgesprochene Ansicht zum 
weit überwiegenden Theil gefestigt, in einem untergeordneten Punkte ein wenig 
modificirt worden. Ich darf heute mit einer jeden Zweifel ausschliessenden 
Sicherheit behaupten, dass jene mir seit Langem bekannten Nervengespiunste, 
welche Zellkörper wie Dendriten aller Orten einhüllen, in der That echte 
Netze darstellen. 


1 Neorolog. Centralbl. 1898. Nr. 10. 

* Wie za erwarten, geben diese vorzüglich gelungenen Photogramme ein ganz anders 
naturwahres Bild als die immerhin schematische Zeichnung, die bloss vom Ansatz der End- 
knöpfchen einen Begriff vermitteln sollte, in der aber der Charakter des Netzwerks nicht 
genügend znm Ausdruck gelangt. 

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Hierfür hatte ich schon in der bemerkenswerthen, auch von Held nach 
etlichenSUberimprägnationen hervorgehobenen Regelmässigkeit der Maschen, 
auf das Unzweideutigste aber in dem Typus ihrer Knotenpunkte den 
Beleg erblickt 1 

Diese pflegen nämlich, von der Fläche gesehen, von (nach aussen) concaven 
Seitenlinien begrenzte Körper zu bilden und vor Allem erscheinen sie in höchst 
charakteristischer Form als viereckige, von ausgeschweiften Seiten umrandete 
Plättchen, die untereinander durch die von ihren Ecken ausgehenden Fäserchen 
in Verbindung stehen. 1 

Abgesehen hiervon nun sind auch in den Photogrammen löckenlos 
geschlossene Maschen mit voller Schärfe reproducirt 

Zwischen den verschiedenen Gebieten besteht meinen nunmehrigen Er¬ 
fahrungen und Photogrammen zu Folge kein Unterschied, es handelt sich bei 
der Netzbildung um ein allgemeingültiges Gesetz, meine fröhere An¬ 
gabe, wonach den motorischen Zellen neben dem terminalen Nervennetz noch 
isolirt bleibende Endbäumchen zukommen, erscheint mir demgemäss nicht länger 
stichhaltig. 

Das Netzwerk der Axencylinderendigungen macht da, wo gedrängte Massen 
von Zellen und Dendriten lagern (Hinterhörner, Molecularschicht des Kleinhirns), 
einen ganz diffusen Eindruck, aber auch in Regionen, deren Zellen minder 
gehäuft sind, glaubt man einen Zusammenhang zwischen den Maschen be¬ 
nachbarter Zellen zu schauen. Es verbleibt jedenfalls die Aufgabe, volle Klar¬ 
heit darüber zu gewinnen, ob, bezw. in welchem Umfang innerhalb der grauen 
Substanz eine Scheidung in einzelne geschlossene Endnetze statthat 

Die Knötchen lagern in den Knotenpunkten der Maschen, sind überall 
vorhanden, wie gesagt, von überraschend einheitlicher Gestaltung, in der Grösse 
ein wenig wechselnd. Dort, wo ihre innere Structur deutlicher zu Tage tritt, 
lassen sie, wie mich insbesondere meine neuesten Studien über die Substantia 
gelatinosa Rolando und die Moosfasem 3 lehren, ein der homogenen Grund¬ 
substanz eingebettetes Netzwerk erkennen, in welchem sehr feine Fibrillen 
in rundlich verdickten Knotenpunkten Zusammentreffen. 

Wenngleich ich vorerst nicht in der Lage bin, den zwingenden Beweis zu 
erbringen, dass ein jedes Knötchen zugleich mit der Oberfläche eines Zellkörpers 
oder protoplasmatischen Fortsatzes in Contact steht, also ein „Endknöpfchen“ ist, 


1 Monatsschr. f. Psych. u. Neurolog. 1898. Bd. IV. 8. 35. 

* Dem entspricht ee, dass in den Knötchen, welche am Bande eines Zellqnerschnitts 
hervortreten, gar nicht selten zwei divergirende Fäserchen wurzeln, oder, falls diese durch- 
trennt sind, die Knötchen nach aussen in zwei sich verschmächtigende Zacken auslanfen. 

* Nachdem ich darauf aufmerksam geworden, dass auch in den Anschwellungen der 
Moosfasern die oben geschilderte typisohe Configuration hervortritt, muss ich sie als locale 
Anhänfnngen von „Endknöpfohen“ ansprechen, die, wie ich mit Hbld nnd S. Mbybb an¬ 
nehme, den Contact mit den kurzästigen Endböscheln der Körnerzelldendriten hersteilen. 
Es will mir aber scheinen, als ob dieses Arencylinderendnetz nicht frei lagere, sondern einer 
Masse, von der ich auch anderwärts Andeutungen zu finden glaube nnd die möglicherweise 
einen der Isolirnng dienenden Kitt bildet, eingebettet sei. 

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so neige ich doch sehr zu dieser Annahme. Denn auch an Stellen, an welchen 
die zugehörigen Dendriten nicht klar zu erkennen sind, gleichen die Knötchen 
in allen Stücken den sonstigen, mit Endknöpfchen offenbar identischen Knoten¬ 
punkten. 

Was endlich die von Held supponirte Concrescenz anbelangt, so lehrt das 
photographische Bild nicht weniger überzeugend als die directe Betrachtung der 
Präparate, wie eine scharfe Grenzlinie die Endknöpfchen von der Zelloberflache 
scheidet. 


II. Referate. 


Anatomie. 

1) Die seound&re Aoustieuabahn der Taube, von Adolf Wallenberg in 
Danzig. (Anat Anz. 1898. Bd. XIV. Nr. 14.) 

Der Verf. berichtet über UntersuchnngBergebnisse (nach der Marchi’schen 
Methode) am Gehirn einer -Taube, bei welcher durch Stichl&sion ausser anderen Ge¬ 
bieten der grösste Theil des grosszeiligen Cochleariskernes zerstört worden war. Von 
diesem Kerne waren degenerirte Fasern nach zwei Richtungen verfolgbar. Ein Theil 
wendet sich medialwärts und endet in der Umgebung des kleinzelligen Kernes der 
entgegengesetzten Seite. Ein anderer Theil, und zwar der grössere, wendet sich 
ventralwärts, giebt Collateralen zu einem der Oliva superior der Säuger entsprechenden 
Ganglion ab, überschreitet in der Höhe des VI. Austrittes die Baphe, gelangt zu 
einem dem Nucl. lemn. lateral, analogen Zellcomplex und endet schliesslich im Gang¬ 
lion mesencephali laterale. Bezüglich des genaueren Verlaufs dieser Fasern und der 
interessanten Degenerationsbefunde, welche durch die gleichzeitige Verletzung des 
Cerebellums, des Acusticusfeldes und der Nervenzellen des Hinterstrangfeldes bedingt 
waren, muss auf das Original verwiesen werden. 

Max Bielschowsky (Berlin). 


2) Lehrbuch der Histologie des Menschen einschliesslich der mikro¬ 
skopischen Technik, von A. A. Böhm und M. v. Davidoff. (2. Aufl. 1898. 
Wiesbaden.) 

Das vorliegende Lehrbuch hat 3 Jahre nach seinem ersten Erscheinen die 
2. Auflage erlebt. Dieser Erfolg ist durch seine vortrefflichen Eigenschaften wohl 
begründet. Die Verff. haben es verstanden, auf einem relativ kleinen Baum ein um¬ 
fassendes Gesammtbild der Histologie in formvollendeter, klarer Darstellung zu geben. 
Die Ergebnisse der jüngsten Forschung haben dabei weitgehende Berücksichtigung 
gefunden. Als ein grosser Vorzug des Werkes muss es bezeichnet werden, dass es 
zugleich ein guter Leitfaden der mikroskopischen Technik ist Im Anfang desselben 
wird die Mechanik des Mikroskopes und die im allgemeinen für die Herstellung 
mikroskopischer Dauerpräparate nothwendigen Proceduren geschildert (Fixirung, Ein¬ 
bettung, Mikrotomschneiden, Färben u. 8. w). 

Ausserdem werden die speciellen Untersuchungsmethoden der einzelnen Organe 
am Ende der entsprechenden histologischen Capitel erörtert. Aus der Histologie und 


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histologischen Technik der Sinnesorgane und des Centralnervensystems ist das für 
den Stndirenden wichtige anfgenommen worden. Das Buch enthält 261 gute Ab¬ 
bildungen und eine sorgfältige Zusammenstellung der einschlägigen Litteratur. 

Max Bielschowsky (Berlin). 


Experimentelle Physiologie. 

3) Ueber morphologische Veränderungen der Vorder hornsellen des Büoken- 
marks während der Thätigkelt. Vorläufiger Bericht von Jos. Luxenburg. 
Aus dem Laboratorium der Warschauer Aerzte - Gesellschaft. (Deutsche med. 
Wochenschr. 1898. Nr. 26.) 

Die Versuchsanordnung war folgende: In Narcose wurde der Wirbelcanal in der 
Dorsolumbalgegend von hinten geöffnet, die Bückenmarkshälften durch einen Schnitt 
getrennt und ein weiterer Schnitt quer angelegt, um den Einfluss obenliegender 
Centra auf das Bückenmarkssegment zu eüminiren, an dessen Function diejenige 
Motilität der hinteren Extremitäten geknüpft ist. Sodann wurde der Cruralnerv auf 
der einen Seite freigelegt und 1 Stunde faradisch gereizt unter Eintritt gut aus¬ 
gebildeter Zuckungen, das Thier dann sogleich getödtet, das hintere Bückenmarks¬ 
segment heransgenommen, fixirt und meist nach Nissl untersucht. Verf. constatirte 
in der gereizten Bückenmarkshälfte Veränderungen, und zwar besonders an den 
Chromatinschollen, die ihre gewöhnliche Form verlieren, so dass das Zellprotoplasma 
mit feinen Körnchen bedeckt erscheint: die gleiche Aenderung findet sich auch an 
dem Zellkern. Der Zerfall der chromatischen Substanz beginnt an der Zellperipherie, 
wie auch um den Kern; die morphologischen Aenderungen des letzteren und des 
Kernkörperchens sind wenig deutlich ausgesprochen. 

Die Mittheilung erfolgte aus Anlass der Pick’schen Arbeit (Deutsche med. 
Wochenschr. 1898. Nr. 22). Die Untersuchungen waren anfangs dieses Jahres 
vollendet, die ausführlichere Darstellung Ende März zur Veröffentlichung an anderer 
Stelle eingesandt B. Pfeiffer (Cassel). 


4) Beiträge nur Büekemnarksphysiologie der Amphibien und Beptilien, 
von Bickel. (Pflüger’s Archiv. 1898. Bd. LXXI. S. 44.) 

Bosenthal hat seiner Zeit auf experimentellem Wege gezeigt, dass beim Frosch 
die Beflexe von einem Hinterbein auf das andere durch Vermittlung des Halsmarks 
verlaufen und nicht etwa direct in der Höhe der in das Bückenmark eintretenden 
centripetalen Nerven durch die graue Substanz in die betreffenden centrifugalen 
Nerven übertreten. 

Verf. hat diese Angabe nachgeprüft und ist zu demselben Besultat gelangt. 
Durchschneidet man bei einem Frosch oder einer Eidechse das Bückenmark in der 
Höhe des 4.—5. Halswirbels, so dauert es viel länger ehe ein auf die Schwimmhaut, 
z. B. des rechten Beines, ausgeübter bestimmter Beiz eine reflectorische Bewegung 
des linken Beines auslöst, als wenn die Durchschneidung an der Grenze der Medulla 
spinalis und oblongata vorgenommen wird. Dies beweist, dass für den betreffenden 
Beflex der Weg durch das oberste Halsmark der wesentlich leichter „fahrbare“ ist, 
und zwar ist dies a fortiori bewiesen, da die Entfernung der gereizten Stelle vom 
Halsmark natürlich eine grössere ist, als z. B. vom Lendenmark; haben doch Bosen - 
thal’s ältere Versuche gelehrt, dass die Zeit des Beilexeintrittes abhängig ist von 
der Entfernung der gereizten Stelle von dem betreffenden Beflexcentrum. 

W. Cohnstein (Berlin). 


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5) Experimentelle Untersuchungen über den Einfluss von B&okenmarks- 

durchtrennungen auf den Kreislauf des Gehirns, von Prof. Dr. A. Spina. 

(Wiener klm. Wochenschr. 1897. Nr. 48.) 

An der Hand einer literarischen Uebersicht zeigt Verf. zunächst die Lücken¬ 
haftigkeit unserer Kenntnisse über die vasoconstrictorischen Nerven des Gehirns und 
die widerspruchsvollen Ergebnisse der hauptsächlich auf Durchschneidungs- und 
Reizungsversuchen an Nerven basirten Arbeiten. Seine Resultate sind auf Grund 
neuer Versuchsanordnungen gewonnen und in folgenden Schlussätzen zusammen¬ 
gefasst: 

Die cerebralen Gefässe stehen unter dem Einflüsse eines vasoconstrictorischen 
Centrums, das sich ungefähr vom 3. Halswirbel kopfwärts in der Weise ausbreitet, 
dass das verlängerte Mark in der Höhe der Membrana atlanto-occipitalis reichlich 
mit vasoconstrictorischen Bahnen für das Gehirn versehen ist. Auf diesem Wege 
kreuzen sich die Bahnen in einer unvollständigen Weise. 

Die Durchschneidung des verlängerten Markes hat, da dieselbe die cerebralen 
Vasoconstrictoren lähmt und gleichzeitig eine Blutdruckserhöhung bewirkt, eine starke 
Ueberf&llung des Gehirns mit Blut zur Folge, durch welche blossgelegte Himtheile 
sich röthen und ihr Volumen derart vergrössern, dass dieselben bei einer künstlich 
angebrachten Apertur im Schädeldache unter Beratung von Blutgefässen und von 
Gehirnventrikeln und Bildung zahlreicher apoplectischer Herde hervorquellen. Die 
eben angeführten Veränderungen treten an dem im Cranium verbliebenen oder min¬ 
destens mit der Dura bedecktem Gehirne nicht ein. Die Oblongatadurchtrennung 
hat, bei intactem Schädelgerüste ausgeführt, eine heftige Gehirnhyperämie zur Folge, 
denn die Menge des aus dem Gehirne fliessenden Blutes wird durch dieselbe um 
ein Vielfaches vermehrt und das ausfliessende Blut nimmt hierbei einen helleren 
Farbenton an. 

Vorausgesetzt, dass das Herausgedrängtwerden des Gehirnes aus dem Cranium 
darauf beruht, dass durch den erhöhten Blutdruck die durch die Oblongatadurch- 
schneidung dem Einflüsse der cerebralen Vasoconstrictoren entzogenen Blutgefässe 
mit Blut überfüllt werden, so müssen auch andere den Blutdruck erhöhende Eingriffe 
das Gehirn aus dem Schädel treiben können, nachdem zuvor die cerebralen Vaso¬ 
constrictoren ihre Functionsfähigkeit eingebüsst haben. Das ist auch thatsächlich 
' der Fall. Eine bei intactem Schädelgerüste ausgeführte Oblongatadurchschneidung 
treibt im Vereine mit der Erhöhung des Blutdrucks in Folge von Ligatur der Aorta 
descendens oder in Folge Reizung des peripheren Oblongatastumpfes das blossgelegte 
Gehirn gleichfalls nach aussen. 

Aus diesen Beobachtungen ergiebt sich dann die fernere Consequenz, dass, je 
grösser die Steigerung des Blutdrucks ausfällt, desto mehr Gehirn aus dem Schädel¬ 
raume nach aussen treten muss. Da nun Injectionen von Nebennierenextract den 
Blutdruck am stärksten erhöhen, so rufen dieselben, nachdem zuvor die cerebralen 
Vasoconstrictoren durch die Oblongatadurchtrennung zerstört worden sind, auch die 
stärksten Gehirnprolapse hervor. Bä intactem Rückenmarke bewirkt die Extract- 
injection im Gehirne — im Gegensätze zu den anderen Organen, welche anämisch 
werden — eine mässige Hyperämie ohne eine nennenswerthe Volums Vermehrung des- 
delben. 

Wird umgekehrt der Blutdruck vor der Oblongatadurchtrennung dadurch, dass 
die Splanchnici durchtrennt werden, erniedrigt, ist auch der Gehimprolaps eiu geringer. 

Daraus ergiebt sich des Weiteren, dass Eingriffe, welche den Blutdruck erhöhen 
und die Anschwellung des Gehirns vergrössern, dies nicht zu bewerkstelligen im Stande 
sind, wenn dieselben unter solchen Bedingungen ausgeführt werden, dass die Erhöhung 
des Blutdrucks ausbleibt. Hierher gehört das Strychnin, welches bei curarisirten 
Hunden mit durchschnittenem Halsmark keine Steigerung des Blutdrucks hervor- 


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zarufen vermag. Hierher gehört auch die Erfahrung, dass die Oblongatadurch- 
schneidung nach vorausgegangener Durchtrennung des Markes in der Höhe des dritten 
Halswirbels nur einen geringen Prolaps hervorruft, da sich eine ergiebige Blutdrucks¬ 
erhöhung in Folge des ersten Schnittes nicht einstellen kann. 

J. Sorgo (Wien). 


Pathologische Anatomie. 

6) Bin Fall von Spina bifida mit Doppeltheilung des Rückenmarks (Dia- 
stematomyelie), von Dr. F. Theodor. (Archiv für Kinderheilkunde. 1898. 
Bd. XXIV.) 

Verf. bereichert die spärliche Litteratur über diese Entwickelungsanomalie um 
einen sorgfältig studirten, neuen Fall. Klinisch bot derselbe nichts neues dar. Die 
histologische Untersuchung wird an der Hand von Bäckenmarksserienschnitten detaillirt 
durchgeführt. Wir ersehen aus derselben, dass.sich im unteren Lendenmark in das 
bis dahin normale Rückenmark ein Keil nervöser Substanz zwischen den Hinterstrang 
einschiebt, dieselbe seitwärts auseinander drängt und zu einer Zweitheilung des 
Centralcanals führt. Die anfangs regellos angeordnete Nervensubstanz dieses Keiles 
ordnet sich, je tiefer wir im Rückenmark abwärts steigen, in der Weise, dass ihre 
weissen Stränge mit den Vordersträngen des Rückenmarks sich vereinigen; zugleich 
bildet der Sulcus anterior eine immer tiefer einschneidende bindegewebige Scheide¬ 
wand, so dass das Rückenmark schliesslich in zwei mit den Vorderhörnern aneinander 
stossende quergestellte Hälften zerlegt ist. Nun beginnen die Hinterstränge dieser 
beiden Rückenmarke sich zu verschmelzen, das trennende Septum tritt zurück, die 
beiden Hälften nähern sich wieder der normalen Lage und vereinigen sich endlich 
zu einem einzigen Rückenmark, das allerdings in seinen untersten Partieen durch 
Ausbuchtungen und Verkrümmungen des Centralcanals recht unregelmässig erscheint. 
Der Centralcanal, welcher auf der Höhe der Zweitheilung ebenfalls verdoppelt war, 
kommt durch die Unregelmässigkeit seines Verlaufs auf manchen Querschnittsbildern 
in 3—5 Durchschnitten zur Ansicht. Dem Ueberblick, welchen Verf. über die 
Litteratur giebt, ist zu entnehmen, dass die Doppeltheilung des Rückenmarks fast 
nur bei Spina bifida beobachtet wurde, und dass dieselbe keine nervösen Störungen 
zur Folge haben muss; sie wurde sogar einmal an einem 76jähr. Manne als Neben¬ 
befund bei der Obduction entdeckt. Zapp erL 


7) La chromatolyse dans les cornes anterieores de la moelle apres dds- 
artioulation de la jambe et ses rapports aveo les localisationB motriees, 
par A. van Oehuchten et D. de Buck. (Journal de Neurologie. 1898. 
5. März.) 

Bei einem 70jähr. Manne musste in Folge einer thrombotischen Gangrän des 
rechten Unterschenkels die Exarticulation im Kniegelenk gemacht werden; 21 Tage 
später trat der Exitus ein. Das Rückenmark wurde 24 Stunden in 5°/ 0 Formalin, 
dann in 96°/ 0 Alkohol gehärtet und nach Paraffineinbettung der untere Theil des 
Lendenmarks und das ganze Sacralmark in Serienschnitte zerlegt und nach Nissl 
untersucht. Ein grosser Theil der im hinteren Theil des rechten Vorderhorns ge¬ 
legenen Zellen zeigt Chromatolyse mit excentrischer Lagerung des Kerns. Im unteren 
Theil des 4. Lumbalsegments ist keine Chromatolyse vorhanden; im 5. Lumbalsegment 
betrifft sie nur spärliche Zellen der dorsalen oder posterodorsalen Gruppe. Diese 
Zellgruppe nimmt nach dem 1. Sacralsegment hin an Umfang zu und enthält zahl¬ 
reiche Zellen mit Chromatolyse. Die schwach entwickelte andere Zellgruppe enthält 
auch im Sacralmark nur ganz vereinzelt Zellen mit Chromatolyse. Auch der bis zum 
4. Sacralsegment zu verfolgende anterolaterale oder ventrale Kern ist völlig intact» 

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ebenso der ventrale Kern, dessen Hanptentwickelnng im 2. Sacralsegment liegt, 
während er mit dem 3. verschwindet. Am Beginn des 2. Sacralsegments rückt die 
erkrankte dorsale Gruppe mehr nach vorn; hinter ihr erscheint eine neue dorsale 
Zellgruppe, die gleichfalls von Chromatolyse ergriffen ist und sich bis zur Mitte des 
4. Sacralsegments verfolgen lässt. Die Muskeln von Fuss und Unterschenkel besitzen 
also zwei grosse Innervationskerne, von denen der erste vom 5. Lumbalsegment bis 
znm unteren Theil des 3. Sacralsegments reicht, der zweite, hinter dem ersten ge* 
legen, vom 1.—4. Sacralsegment. Znm Schluss geben die Verff. eine schematische 
Zeichnung der verschiedenen Zellgruppen des Sacral* und unteren Lumbalmarks. 

M. Bothmann (Berlin). 


8) Ueber Eiseninfiltration der Gangliensellen, von Dr. L. W. Weber in 
Uechtspringe. (Monatsschr. f. Psych. u. Neurolog. 1898. Bd. III.) 

Der Verf. untersuchte das Gehirn eines Knaben, der im 5. Lebensjahr mit Fieber 
erkrankt war, Krämpfe mit nachfolgenden Lähmungserscheinungen durchgemacht hatte 
und dann geistesschwach geworden war. Der Tod war an eitriger Bronchitis and 
Bronchopneumonie im 6. Lebensjahr erfolgt. Das Gehirn zeigte makroskopisch sattel* 
förmige Einziehungen in einigen Windungen beider Occipitallappen. Die Pia war 
daselbst trüb und verwachsen. Im ganzen Gehirn, namentlich aber in den Occipital¬ 
lappen, fanden sich zahlreiche Hohlräume und Cysten, meist an der Grenze zwischen 
Binde und Mark; wo sehr viele Cysten nahe bei einander lagen, bot die Hirnsubstanz 
ein bienenwabiges Aussehen dar. In der ganzen Grosshimrinde, wiederum besonders 
in den Occipitallappen, wurden ferner schwefelgelb gefärbte, punkt- und 
strichfGrmige Herde entdeckt, die die erwähnten Hohlräume begrenzten. Mikro¬ 
skopisch wurde festgestellt, dass die Cysten keinerlei endo- oder epitheliale Aus¬ 
kleidung besassen, dass die gelblichen Herde um erkrankte Gefässe herum lagen. 
Die Gefässerkrankung bestand in Verengerung des Lumens durch Intimawucherung, 
in hyaliner Entartung der Gefässwand. In der Umgebung der Gefässe befanden sich 
Blutkörperchen, Hämoglobintropfen und braune Pigmentschollen. In der Umgebung 
einzelner Gefässe war ausgesprochene Neigung zu Narbenbildung vorhanden. 

Neben intacten Ganglienzellen lagen auch in den gelblichen Herden und in der 
Nachbarschicht der Cysten ganze Gruppen in besonderer Form degenerirter Ganglien¬ 
zellen. Dieselben hatten manchmal ein geschrumpftes Aussehen, waren aber in der 
Begel grösser als die übrigen Zellen. Ihre Ausläufer waren abgeschmolzen oder 
korkzieherartig gewunden. Der ZelUeib und die Ausläufer färbten sich mit Häma- 
toxylin schwarz, der Kern blieb hellblau. Ohne Anwendung eines Beagenz blieben 
die Zellen farblos. Mit Ferrocyankalium und Salzsäure behandelt färbten sie sich 
blau. Die Zellen enthalten also Eisen. Da sich diese eisenhaltigen Zellen immer 
um erkrankte und blutende Gefasschen herum gruppirten, wird das Eisen aus dem 
Blut stammen. Da der peripherste Theil des Protoplasmas zuerst erkrankt, wird es 
sich um eine Infiltration mit Eisen handeln, und zwar mit einem dem Hämoglobin 
nahestehenden Eisenalbuminat, einer Vorstufe des Hämosiderins. 

G. IIborg (Sonnenstein). 

Pathologie des Nervensystems. 

9) Handbuoh der Unfallerkrankungen auf Grund ftntlieher Erfahrungen 
(nebst einer Abhandlung über die Unfallerkrankungen auf dem Ge¬ 
biete der Augenheilkunde von Dr. Cramer), von Carl Thieme. (1898. 
Stuttgart. Ferdinand Enke.) 

Das vorliegende, mehr als 900 Seiten enthaltende Werk zerfällt in 24 Capitel 
und umfasst ausser den für den Arzt wissenswerthen gesetzlichen Vorschriften die 

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sämmtlichen nach Unfällen zur Beobachtung kommenden Krankheiten der Haut, die 
chirurgischen Erkrankungen, die inneren Erkrankungen mit besonderer Berücksichtigung 
der so häufig vernachlässigten Gefässerkrankungen, sowie schliesslich die Erkrankungen 
der Sinnesorgane und die Nervenkrankheiten. 

Wir müssen uns an dieser Stelle es versagen, auf den Inhalt des Buches, soweit 
er die chirurgischen und die inneren Krankheiten angeht, näher einzugehen. Hervor¬ 
heben wollen wir nur das grosse Capitel über die gynäkologischen Krankheiten. 
Hier verfügt der Verfasser, wie auch seine bisherigen diesbezüglichen Arbeiten be¬ 
wiesen haben, über eine reiche ausserordentlich wichtige und instructive Erfahrung. 

Den Nervenarzt werden in dem erschöpfenden Werke besonders interessiren die 
Capitel: Erkrankungen des Schädels und Gehirnes; Erkrankungen der Wirbelsäule; 
Erkrankungen des Rückenmarkes; Verrichtung und Untersuchung der Nerven im 
Allgemeinen; die functioneilen Neurosen; Erkrankungen der peripheren Nerven; 
Verletzungen und Erkrankungen der Muskeln und Muskelbündel; traumatische Ent¬ 
stehung der Geschwülste; Verletzungen und Erkrankungen des Gehörapparates; Unfall¬ 
folgen im Gebiete der Augenheilkunde. (Letzteres Capitel im gleichen, rein praktischen 
und durch Beibringung von reichlichem eigenen Material gestützten Sinne von Dr. Cr am er 
bearbeitet.) 

In dem Abschnitt über entferntere Folgen^ von Hirnverletzungen sind auch dem 
Diabetes sowie dem Sonnenstich einige Seiten gewidmet. 

Jedem Capitel gehen kurzgehaltene klare Auseinandersetzungen über die in 
Betracht kommenden anatomischen und physiologischen Daten voraus. So eröffnen 
die Auseinandersetzungen über die Rückenmarkskrankheiten ein übersichtliches Schema 
des Faserverlaufes mit entsprechenden, dem gegenwärtigen Standpunkt dieser Dinge 
Rechnung tragenden Bemerkungen. 

Der Nicht-Specialist wird es mit Freuden begrüssen, dass das Buch einen kurzen 
Abriss der Untersuchungsmethoden des Nervensystemes (dem Goldscheider’schen 
Plane folgend) enthält. Besondere Beachtung verdienen die kritischen Ausführungen 
über das Schmerzenskind aller Unfalluntersuchungen: die Sensibilitätsprüfungen. Auch 
der speciellen Muskelphysiologie, die so oft in chirurgischen Gutachten vernachlässigt 
ist, ist der gebührende Raum eingeräumt. Dabei ist jedoch der leitende Gesichts¬ 
punkt, „die Beziehung zum Trauma“, nie aus dem Auge gelassen. 

Seinen Standpunkt zur „traumatischen Neurose“ kennzeichnet Verf. in sehr 
scharfer Weise: „Wir wollen daher weder von einer „traumatischen Neurose", die 
es ganz bestimmt nicht giebt, noch von „traumatischen Neurosen“ oder „sogen, 
traumatischen Neurosen“ etwas wissen“. Verf. spricht lediglich von Neurasthenie 
oder Hysterie nach Unfällen. 

Bei der Hysterie übt Verf. das durchaus zu billigende Verfahren, nicht alle 
eventuell einzeln für sich auftretenden Symptomengruppen von der Hysterie loszu- 
reissen und als eigene Krankheiten aufzustellen. 

In allen Capiteln bringt Verf. neben einer Staunenswerthen, von überall her 
zusammengetragenen, Litteraturffllle auch seine eigenen vielseitigen persönlichen Er¬ 
fahrungen, die oft durch Beifügung des entsprechenden Gutachtens den Reiz der 
Individualität erhalten. 

Was den kritischen Standpunkt des Verf.’s, betreffs der jedesmaligen traumatischen 
Aetiologie, angeht, so ist derselbe kein radicaler, sondern ein durchaus vermittelnder, 
gemäss dem in der Vorrede aufgestellten Princip: Niemand zu Lieb’ und Niemand 
zu Leide. 

Die Ausstattung des Buches (108 Figuren im Text) ist tadellos; die Ueber* 
sichtlichkeit trotz des enormen Materiales gewahrt. 

Wir glauben, dass das Werk, welches dem Unfallarzt sowohl praktisch wie auch 

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wissenschaftlich unentbehrlich ist, auch abgesehen von seinem speciellen Zwecke and 
seinen besonderen Gesichtspunkten, sich bei allen übrigen Aerzten schnell Eingang 
verschaffen wird. Paul Schuster (Berlin). 


10) Ein Fall von traumatischer Apoplexie ohne nachweisbare Schädel¬ 
verletzung, von Dr. Hermann Schloffer. (Wiener klin. Wochenschr. 1898. 

Nr. 16.) 

Ein 26jähr. Hediciner erhielt im Juni 1894 einen Schlag gegen die rechte 
Scheitelgegend. Er ergriff die Flucht und bemerkte, dass die linke Hand eingeschlafen, 
schwach und ungeschickt sei. 

Nach mehreren 100 Schritten von den Verfolgern eingeholt, erhielt er noch 
mehrere Hiebe und Stösse. Er ging ohne Störung 5—7 Minuten weit in seine 
Wohnung im 2. Stock und entkleidete sich. Dann bekam er Kopfschmerzen and 
schlief um 1 / i 5 Uhr Morgens ein. Nach l ] / 2 Stunden erwachte er mit Kopfschmerz, 
Brechreiz, Schwindelgeffihl, erbrach sodann, fühlte den rechten Mundwinkel gegen 
das Ohr verzogen und konnte die linksseitigen Extremitäten nicht bewegen. Danach 
für kurze Zeit Somnolenz. 

Status praesens: Intacte Psyche, linke Pupille etwas weiter, beide prompt 
reagirend, complette linksseitige Facialislähmung, Parese des linken Hypoglossus, 
Hemiplegia sin. Sehnenreflexe links gesteigert, intacte Sprache. Etwas Ober dem 
rechten Tuber parietale zwei streifenförmige Convulsionen der Haut, keine Knochen¬ 
depression oder Fractur, starke Kopfschmerzen, Temperatur und Puls normal. 

Am 16. Juni unter Annahme eines Hämatoms der Dura mater Trepanation. 
Kein Hämatom, intacte Hirnrinde, geringfügige Blutgerinnsel in den weichen Hirn¬ 
häuten. 

Beactionsloser Verlauf der Operation. Besserung der Kopfschmerzen in einigen 
Tagen; nach etwa 14 Tagen allmähliche Wiederkehr der Motilität in den Extremi¬ 
täten und im Facialis. 

Ende August bei Entlassung: geringfügige Facialisparese, Bewegung im Schulter- 
und Ellbogengelenk zum Theil zurückgekehrt, Streckung der passiv flectirten Finger 
ist möglich, active Beugung derselben unmöglich; Nachschleifen des linken Beines 
beim Gehen. 

In der Folgezeit bekam Pat. etwa ö Mal im Laufe von Jahren Krampfanfälle, 
die mit Zuckungen im linken Vorderarm und den Fingern begannen und mit Be¬ 
wusstseinsverlust einhergingen. 

Status praesens im December 1897: Psychisch intact, normale Sinnesorgane. 
Classische Schulhemiplegia sin. Gehen ohne Stock leicht und ohne Mühe in der Art 
der Hemiplegiker, motorische Muskelkraft gegen rechts nicht wesentlich herabgesetzt; 
linker Arm schwer geschädigt, kann nichts mit den a Fingern fassen; ebenso Hebung 
des Armes zur Verticalen erschwert. Parese des linken Facialis. Steigerung der 
tiefen und Periostreflexe. Linker Cremaster- und Bauchdeckenreflex erhalten. Sen¬ 
sibilität, Nerven- und Muskelerregbarkeit, sowie die Sprache normal. 

Verf. erörtert noch die Frage, ob nicht vielleicht doch eine Meningealblutung 
auf der Seite des Traumas Vorgelegen mit collateraler Lähmung wegen Fehlen der 
Pyramidenkreuzung stattgefunden habe; dagegen spreche aber die fehlende Beein¬ 
trächtigung des Bewusstseins und der langsame und unvollkommene Rückgang der 
Lähmungen. Näher liege die Annahme einer kleinen Blutung innerhalb der Hirn¬ 
masse, und zwar im hinteren Schenkel der Capsula interna. Die später aufgetretene 
Epilepsie sei in Zusammenhang zu bringen mit einer geringfügigen Contusion an der 
Stelle des motorischen Rindengebietes für die obere Extremität an der rechten Hemi- 


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Sphäre oder als Fernwirkung auf die Binde von Seiten des in der weissen Substanz 
gelegenen Herdes aufzufassen. 

Pat. war ein schwerer Alkoholiker; es mögen also zur Blutung prädisponirende 
Gefässveränderungen Vorgelegen haben. J. Sorgo (Wien). 


11 u. 12) Klinische Mittheilungen, von Prof. H. Fischer in Berlin. (Deutsche 

med. Wochenschr. 1898. Nr. 22 u. 27.) 

Nicht operirte Gehirngeschwülste. 

a) Beitrag zum traumatischen Ursprung der Gehirngeschwülste. 

Der 37jährige, Inetisch nicht inficirte Maurer G., welcher durch einen Stein- 
wurf sein rechtes Auge verloren hatte, stürzte im Dec. 1893 durch eine Fallthür in 
einen 1,80 m tiefer gelegenen Keller. — Sofortige absolute Bewusstlosigkeit ca. 5 
bis 10 Minuten hindurch; keine Kopfwunde, kein Blutausfluss. Eine Viertelstunde 
nach dem Unfälle konnte er wieder arbeiten, hatte während des Tages noch Kopf¬ 
schmerzen und Schwindelanfälle, schlief gut und bemerkte am folgenden Tage nur 
eine geringe Beeinträchtigung seiner gewöhnlichen Beweglichkeit, zumal beim Leiter¬ 
und Treppensteigen. Beim Beginn des 3. Tages langdauernder Krampfanfall mit 
Bewusstlosigkeit ohne Aura und Zungenbiss, Parese der linken Extremitäten, beson¬ 
ders des Beines. Derartige Anfälle kehrten oft wieder und verschlimmerten stets 
die linke Parese, in der Zwischenzeit wurden die linken Glieder beweglicher, Pat. 
litt aber an heftigen Kopfschmerzen und Schwindelanfällen mit kurzer Bewusstseins¬ 
trübung. Die grossen Krampfanfälle liessen nach 3 Wochen nach, die Schwindel¬ 
anfälle dagegen nahmen an Dauer zu und gingen mit Zuckungen in den gelähmten 
Gliedern einher. Befund (Ende April 1894): Elend und schwerkrank aussehender 
Patient Parese der linken Extremitäten, besonders des Beines, mit Beweglichkeits* 
beschränkung, Verstrichensein der linken Nasolabialfalte, schwerfällige und langsame 
Sprache, Abnahme des Gedächtnisses, links Atrophie der Brust- und Schultermuskeln, 
der Lumbricales und des Thenars, linker Patellarreflex gesteigert. Klage über heftige 
Kopfschmerzen, welche stets von der rechten Kopfhälfte ausgingen und bald den 
ganzen Kopf einnahmen. — Am 8. Juni Eintritt in das Hospital. Sehr schlechtes 
Allgemeinbefinden, grosse Apathie. Beträchtliche Sehstörung auf dem linken Auge, 
ganz enges Gesichtsfeld, gröbere Gegenstände wurden nur bei stärkster Beleuchtung 
erkannt. Träge Beaction der erweiterten Pupille, hochgradige Stauungspapille. 
Enorme Gedächtnisschwäche, schwere Sprach- und Schreibstörungen: der Wortschatz 
war sehr beschränkt, Pat. konnte Gegenstände, welche er offenbar erkannte (s. o.), 
nicht benennen, längere Worte nicht richtig schreiben. — Serien von Anfällen 
Jackson’scher Epilepsie mit nur theilweiser Bewusstseinstrübung; heftiger Kopf¬ 
schmerz ging voraus, die Zuckungen setzten meist zuerst und stets am intensivsten 
im linken Bein ein, blieben öfters auf dasselbe beschränkt. Beträchtliche Besserung 
auf Jodkali, Entlassung auf Wunsch des Pat. am 9. Juni. Anfang Juli kehrte Pat 
zurück mit totaler Lähmung der linken Körper- und Gesichtshälfte, stumpfsinnig, 
theilnahmslos. Vorübergehende Besserungen, bedrohliche Verschlimmerung, Tod nach 
3tägigem Coma (19. Januar 1895). Section: Faustgrosser peripherer Tumor im 
rechten Grosshirn, der die vordere und hintere Centralwindung bis in die 3. Stirn¬ 
windung umfasste, etwas prominirte, und, keilförmig sich verjüngend, das ganze 
Grosshirn bis in den Sinus durchsetzte. Consistenz weich, Farbe grauröthlich, Peri¬ 
pherie sehr gefässreich, Centrum blutleerer, Demarcationslinie zum Theil scharf, 
stellenweise verschwommen; mikroskopischer Befund: Gliosarcom. Das Gehirn war 
blass, blutleer, ödematös, Knochen und Weichtheile des Schädels normal. 

Die Commotio cerebri entsteht wahrscheinlich vollkommen analog wie der plötz- 


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liehe Eintritt and das rasche Schwinden des Coma, welches Kussmaul and Tenner 
bei einer jähen Unterbrechung and schnellen Lösung einer mächtigen Circulations- 
störung im Gehirn beobachteten. Beträchtliche Gefässveränderungen nach schweren 
Hirncommotionen sind sicher beobachtet Die Contasio cerebri hat in dem mit- 
getheilten Falle sicher nicht die Commotion verursacht, ebensowenig eventuell vor¬ 
handene capilläre Apoplexieen. Die Schlösse von Duret und Kocher sind zu 
weitgehend, die Lehre vom hydraulischen Druck bei Contusionen der geschlossenen 
Schädelhöhle nach den Arbeiten Koehler’s revisionsbedürftig. Die Versuche von 
Koch und Fi lehne sind im Princip falsch, im Resultat nicht entscheidend; Kra- 
mer’s Hypothese ist nur theilweise richtig. Kramer führt die Commotio cerebri 
auf eine Anaemia cerebri zurück, diese — nach dem Verf. mit Unrecht — auf eine 
Comptession des Hirns in toto. 

Auffallend ist die schwere Gehirncontusion ohne Läsion der Weichtheile und 
Knochen des Schädels. Der klinische Verlauf der Contusion war zunächst typisch, 
allmählich aber entwickelte sich aus dem Contusionsherde ein Gliosarcom. Verf. 
hält mit Adeler ca. 8,8°/ 0 der Gehirngeschwülste für traumatisch bedingt. 

Von einer Operation wurde Abstand genommen, da die klinischen Erscheinungen 
und der Verlauf es nahezu sicher machten, dass der Tumor nicht abgekapselt und 
sehr blutreich war. 

b) Gliosarcom von enormer Grösse im linken Hinterhauptslappen, 
traumatischer Ursprung zweifelhaft. 

Der 14jährige rachitische und tuberculöse A. L. stiess im November 1876 mit 
dem Kopfe gegen einen Balken und war einige Zeit „dröhnig“. Im Juni 1877 trat 
beständig zunehmende Sehschwäche, besonders rechts, auf, Kopfschmerzen, welche die 
nächtliche Rnhe raubten, Morgens am stärksten waren, bisweilen ohne Grund wochen¬ 
lang aussetzten, dann um so heftiger wiederkehrten, ferner Schwindel, Zunahme des 
Kopfumfanges und Theilnahmlosigkeit. Die Untersuchung ergab im September 1878 
bei dem kleinen schwächlichen Burschen ungewöhnlichen Kopfumfang, besonders 
starkes Hervortreten der Tubera frontalia und parietalia, sehr weite und noch weiche 
Schädelnähte; keine Druckempfindlichkeit. Starker Exophthalmus, besonders rechts, 
rechte Pupille sehr träge reagirend, sehr erweitert, linke weniger dilatirt; Sehkraft 
rechts fast erloschen, links wurde alles wie durch einen Schleier gesehen. Die 
ophthalmoskopische Untersuchung ergab rechts sehr blassen Fundus, starke Excavation, 
kleine Arterien, geschlängelte, erweiterte, geknickte Venen, links nur Andeutung 
dieser Veränderungen. — Der Gang war, auch bei Unterstützung, sehr unsicher und 
taumelnd, Lidschluss verstärkt das Schwanken nicht; die Bewegungen im Bette waren 
vollkommen frei, Lagegefühl erhalten. Keine Lähmungen, keine Sensibilitätsstörungen. 
Pai machte einen schwachsinnigen Eindruck, zeigte nur vorübergehend Aufmerksam¬ 
keit, verfiel dann wieder in stumpfsinniges Brüten und klagte über Kopfschmerzen 
und Schwindel bei schnellem Aufrichten, längerem Stehen und raschem Niederlegen, 
über Uebelkeit und Erbrechen. Sprache intact. In der Folgezeit erblindete der 
Kranke völlig, die Somnolenz und der Verfall der geistigen Kräfte nahmen zu, epi¬ 
leptische Krämpfe ohne bestimmbaren Ausgangspunkt stellten sich ein, Gehen und 
Stehen wurden unmöglich. Im Februar 1879 rechtsseitige Fäcialislähmung, dann 
Paralyse des rechten Beines, später des rechten Armes. Taubheit. Schlucklähmung. 
Tod im tiefen Coma und allgemeiner Lähmung. 

Die Section ergab u. a. Folgendes: Die sehr dünne und blutleere Dura mater 
ist mit dem hinteren Pole des linken Hinterhauptslappens fest verwachsen, das Gehirn 
sehr gross, die Gyri vollkommen abgeflacht. Der ganze hintere Abschnitt der linken 
Hemisphäre ist derb und höckerig anzufühlen und erscheint auf dem Durchschnitt 
von einem colossalen Tumor eingenommen, der nach vom an die Fissura Silvii reicht; 


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nur der Vorderlappen, die Spitze des Unterlappens in einer Länge von 3*/ a cm und 
die zunächst der grossen Längsspalte gelegenen Partieen des Gehirns sind frei. 
Thalamus und Corpus striatum sind nach rechts verdrängt, die linke Kleinhirn¬ 
hemisphäre etwas abgeplattet, die stellenweise geschrumpften und verhärteten Gyri 
gehen direct in den Tumor Aber, welcher einen unregelmässig zerklüfteten, gallertig 
erweichten Kern und eine 1—3 cm breite, ziemlich compacte Binde aufweist, als 
„eine diffuse neoplasmatische Durchwachsung und Infiltrirung des betroffenen Hirn¬ 
abschnittes“ erscheint. Die hellgraue Hirnrinde zeigt einzelne, weisse Sprenkel und 
die Consistenz eines festen Gummiknotens, die übrige Hirusubstanz grosse Blässe 
und Weichheit. Die Ventrikel sind enorm erweitert, das Ependym nicht verdickt. 
Der Tumor war ein Gliosarcom. 

Der Tumor ist wohl die umfangreichste Hirngeschwulst, von der die Litteratur 
berichtet; die enormen und stetig zunehmenden Stauungssymptome sprachen trotz 
der Anwesenheit tuberculfiser Veränderungen im Körper gegen die Annahme von 
Hirntuberkeln. Ob das Trauma als Ursache des Tumors anzuseben ist, kann nicht 
entschieden werden. Die sehr starke und frühzeitige .intracranielle Drucksteigerung 
macht es unmöglich, den Fall für die Annahme von Bastian u. A. zu verwerthen, 
dass bei Erkrankung der weissen Marklager des Hinterhauptlappens psychische 
Störungen mit besonderer Prägnanz hervorzutreten pflegen, obwohl der psychische 
Verfall das hervorstechendste Symptom des mitgetheilten Falles war, sie sprach nach 
dem Verf. ferner gegen die Annahme eines Kleinhimtumors, da eine so beträchtliche 
Drucksteigerung bei Cerebellarerkrankungen so frühzeitig bisher nicht bedachtet ist. 
Nach des Ref. Ansicht ist diese Behauptung des Verf.’s irrthümlich, vielmehr zeichnen 
sich die Allgemeinsymptome bei Kleinhirntumoren gerade durch frühes Eintreten und 
grosse Heftigkeit aus, falsch ist ferner die Angabe, dass Tumoren, ausgehend vom 
weissen Marklager des linken Hinterhauptslappens, nach klinischer und experimenteller 
Erfahrung kein Herdsymptom machen, da gerade bei dieser Lage die Combination 
von Hemiopie, Alexie und optischer Aphasie unter Umständen eine sichere Local¬ 
diagnose gestattet. 

Der Verf. deutet mit Becht die lucoordination, den Schwindel, das Erbrechen 
und die Uebelkeit als Nachbarschafts- und Drucksymptome von Seiten des Kleinhirns 
und betont als auffallend das lange Intactsein der Sprache und die völlige Taubheit 
auf der Höhe der Affection. Die frühzeitig vorhandene unwillkürliche Entleerung von 
Urin und Stuhl fasst Verf. nicht als Ausdruck einer Lähmung der Blase und des 
Mastdarms auf, da diese noch niemals bei stationären Ausfallsherden festgestellt ist. 
Die Apathie und Somnolenz dürften zur Erklärung wohl ausreichen (Bef.). 

B. Pfeiffer (Cassel). 


13) ▲ study of the lesions in a oase of trauma ln the oervioal region 
of the spinal ohord simulating syringomyelia, by HendricLloyd. (Brain. 
1898. Spring.) 

Der Pat. des Verf. litt nach einer Wirbelverletzung an der Halswirbelsäule 
5 Jahre vor seinem Tode an einer Lähmung mit Contractur des linken Armes, 
Beines, Muskelatrophie an der linken Schulter und einer rechten Gefühlsstörung: 
Analgesie der ganzen rechten Seite mit Ausnahme des Kopfes; Thermanästhesie am 
rechten Bein und über der rechten Brust; Anästhesie am rechten Beine. Die Section 
ergab eine alte Verletzung der Halswirbelsäule. Im 7. Cervicalsegment war links 
die graue Substanz, die vordere und hintere Commissur, die weissen Vorder- und 
Seitenstränge fast total zerstört; in den Hintersträngen nur die vorderen Partieen, 
die auf- und absteigenden Degenerationen waren die gewöhnlichen. Es fand sich auf 
eine kurze Strecke auch eine retrograde Degeneration der Pyramidenbahnen links. 
Verf. glaubt, dass sein Fall dafür spräche, dass die Bahnen für das Tastgefühl auf 


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der gleichen Seite in den Hintersträngen im Bückenmarke verbleiben; die für Schmerz* 
und Temperatorsinn aber sieb kreuzten und durch die graue Substanz den gekreuzten 
Gowers’scben Strang erreichten. Auch spreche sein Fall für die Entstehung der 
Syringomyelie aus traumatischer Zertrümmerung, die hier ganz das Gebiet der syringo- 
myelitischen Höhlenbildung einnehme. (Die Erhaltung des Tastgefühls ist neuerdings 
in vielen Fällen von Halbseitenläsion beobachtet. Bef.) L. Bruns. 


14) General paralysis of the insane during adolescenee with notes of 

three cases, by P. Stewart. (Brain. 1898. Spring.) 

Verf. bringt 3 Fälle von Kinderparalyse. In allen 3 Fällen zeigten sich zu¬ 
nächst psychische Symptome zwischen 13.—15. Jahre; vorher waren die Kinder 
intelligent. Diese Symptome waren die einer progressiven Demenz; Grössenideeen 
traten nicht ein. Dazu Pupillenstörungen, spec. Starre, unsicherer Gang, Sprache und 
Schrift; erhöhte oder fehlende Patellarreflexe, Krämpfe. Zittern der Hände und des 
Gesichts. In 2 Fällen war Syphilis der Eltern nachweisbar. In einem Falle wurde 
die Autopsie gemacht; sie ergab die typischen Befunde der progressiven Paralyse. 
In einem Falle konnte Verf. während der Krämpfe laryngoskopiren; es zeigten sich 
fortwährende Ab- und Adductionsbewegungen der Stimmbänder. Verf. giebt dann 
noch eine Uebersicht über die Symptome und den Verlauf der Paralyse im Puber¬ 
tätsalter. L. Bruns. 


15) Zwei Fälle von Quersohnittserkrankung des Halsmarkes. Beitrag sur 
Kenntniss der Sehnenreflexe, der seonndären Degenerationen und der 
Körnchensellen im Bückenmark, von H. Senator. (Zeitschr. f. klin. Med. 
Bd. XXXV.) 

Verf. berichtet über 2 Fälle von Bückenmarkserkrankung im Halsmarke und 
knüpft daran sehr wichtige Bemerkungen vor Allem über das Verhalten der Sehnen¬ 
reflexe bei hochsitzenden totalen Querschnittsläsionen des Markes. Im ersten Falle 
handelte es sich um eine Frau, die, 13 Jahre vor ihrem Tode, im 33. Lebensjahre, 
mit reissenden Schmerzen im Nacken, Hinterhaupt und Schultern, sowie mit Par- 
ästhesieen in beiden Armen und Beinen erkrankte. Später, ganz allmählich, spastische 
Lähmung der Beine, zuerst in Streck-, dann in Beugecontractur mit erhöhten 
Sehnen- und Hautreflexen; schlaffe Lähmung der Hände und der Unterarme mit 
Atrophia muscularis, aber ohne fibrilläre Zuckungen und nur mit quantitativer 
Aenderung der elektrischen Erregbarkeit. Totale Anästhesie an den Beinen, am 
Bumpfe bis zum 4. Intercostalraume und in dem Ulnarisbezirke der Arme; totale 
Lähmung der Blase und des Mastdarmes mit partieller Betentio urinae und rein 
mechanische Entleernng der Stuhl- und Urinmassen. Decubitus. Tod im Maras¬ 
mus. Die Sehnenreflexe wurden 4—5 Monate vor dem Tode noch ge¬ 
steigert gefunden. Von einem Oedem der Beine wird nichts erwähnt. Auf 
etwaige Pupillen- und Lidspaltenanomalieen ist in den letzten Jahren nicht ge¬ 
achtet; überhaupt konnten die Untersuchungen in den letzten Krankheitsjahren aus 
äusseren Gründen nur oberflächlich sein. 

Es fand sich bei der Section ein theilweise verkalktes Sarcom (Psammosarcom), 
das wohl von der Durainnenfläche ausgegangen war und im unteren Halsmarke das Bücken¬ 
mark ganz zerstört und ersetzt hatte. Die Geschwulst war 7 cm lang und reichte vom 
5. Cervical- bis zum 2. Dorsalsegmente — rechts waren auch alle die zugehörigen 
Wurzeln von der Geschwulst zerstört, links nur die 7. Cervicalis.' Die Dura war fest 
mit der Geschwulst verwachsen; eine Pia nicht zu erkennen. Das Centrum der Ge¬ 
schwulst lag wohl in der Höhe des 7. Cervicalsegmentes. Hier fand sich auf dem 


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Querschnitte nur Geschwulstsubstanz, keine Spur nervöser Substanz; im 6. Segment 
erholten sich die Vorderhörner, im 5. die ganze graue Substanz. Im 4. Cervical- 
segment fanden sich nur noch aufsteigende Degenerationen. Im oberen Dorsaltheile 
unterhalb der Geschwulst fand sich Erweichung, aber keine Körnchenzellen, sondern 
nur Corpora amylacea. Im Dorsal* und Lendentheil sind die Ganglienzellen in 
Vorder*, Hinterhörnem und Clarke’schen Säulen atrophisch. Im Uebrigen fanden 
sich die gewöhnlichen secundären Degenerationen; absteigend in den Pyramiden* 
bahnen; eine kurze Strecke im ganzen Bande und im ovalen Felde (Flechsig) 
im Lendenmarke; auffallender Weise nicht im Schultze’schen Komma im Dorsal* 
marke; aufsteigend: kurze Zeit im ganzen Bande, auch in den Vorderstrangs* 
Pyramiden, später nur in der Kleinhirnseitenstrangsbahn, in dem Tractus Gowers und 
in den Goll’schen Strängen. Die untersuchten Muskeln der Arme geigten Atrophie, 
aber gut erhaltene Querstreifung. 

Der Fall bietet zunächst fflr die Localdiagnose der Bückenmarksaffection 
keine Besonderheiten; er zeigt das jetzt wohl classische Symptomenbild einer Läsion 
im unteren Cervicalmarke. Auch das Verhalten der Blase und des Mastdarmes ent* 
sprach ganz dem von Thorburn und dem Bef. entworfenen Bilde bei hochsitzenden 
totalen Querläsionen. Dagegen waren in diesem Falle, trotzdem sich bei 
der Section eine totale Querläsion mindestens im 7. Cervicalsegmente 
fand, die Sehnenreflexe 4—5 Monate vor dem Tode noch vorhanden, 
ebenso auch die Beugecontractur. Der Fall ist also nach Senator ein 
Beweis, dass jedenfalls nicht in allen Fällen einer totalen Querläsion im Halsmarke, 
bezw. im oberen Dorsalmarke die Sehnenreflexe fehlen mAssen. Dafür bringt S. 
auch noch als Beweise aus der Litteratur 2 Fälle, einen von Tooth, einen von 
F. Schnitze und schliesst, dass das, wie er sich ansdrückt, Bastian-Bruns’sche 
Gesetz von dem Schlaffbleiben der Lähmung und dem Fehlen der 
Sehnenreflexe bei totalen hochsitzenden Querläsionen nach diesen 
Fällen kein absolut gültiges Gesetz sein könne. 

Demgegenüber muss Bef. zunächst hervorheben, dass er — vielleicht abgesehen 
von seiner ersten Publication in dieser Sache — nicht behauptet hat, dass es ab* 
solut bewiesen sei, dass die Sehnenreflexe in den einschlägigen 
Fällen immer fehlen müssten. Er hat sogar in seinen Kritiken über die 
Arbeiten von Gerhardt, Egger und Bischoff (d. Centralblatt 1895 und 1897) 
mehrfach ausdrücklich betont, dass das nicht bewiesen sei, dass nur bewiesen 
sei, dass die Sehnenreflexe fehlen könnten. Er hat aber allerdings „kein 
Hehl daraus gemacht“, dass er selbst an ein gesetzmässiges Verhalten in dieser 
Beziehung glaubt und direct hervorgehoben, man könne vorläufig daran festhalten, 
dass bei totalen Querläsionen im Halsmarke die Sehnenreflexe an den Beinen immer 
fehlten, da beweisende Fälle gegen diese Annahme bisher nicht vorgebracht seien. 
(Nur in seinem Buche über die Geschwülste des Nervensystemes hat Bef. die That- 
sache als gesetzmässig hingestellt, da sie ihm jedenfalls nach den bisherigen Publi* 
cationen so gut wie bewiesen erschien und in diesem Buche kein Platz für zu weit¬ 
läufige Auseinandersetzungen war.) 

Wie steht es nun mit Senator's Fällen, die gegen Bastian’s Lehre sprechen 
sollen. Da ist zunächst der Fall von Tooth, den Bastian mittheilt. Bef. muss 
gegen Senator’s Widerspruch diesen Fall auch jetzt noch als unsicher bezeichnen. 
17 Tage vor dem Tode wurde der Patellarreflex rechts nachgewiesen, links wurde er 
nicht untersucht. Es handelte sich hier aber nicht etwa um einen langsam verlaufen¬ 
den Fall, sodass die beim Tode gefundene totale Querläsion sehr gut in den letzten 
17 Tagen erst eingetreten sein kann. Tooth selber bezeichnet übrigens auch die 
anatomische Untersuchung als nicht sehr genau. Der zweite von Senator angeführte 
Fall, der von F. Schultze, stammt aus dem Jahre 1882. Hier hatte ein Trauma 


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zur vollständigen Continuitätstrennung des Markes in der Höhe des 9. Brustwirbels 
geführt. Etwa 5 Monate nach dieser Läsion — 3 1 / 8 Monate vor dem Tode, waren 
die Hautreflexe erheblich gesteigert, „nicht aber die Sehnenreflexe*'; später trat 
noch Beugecontractur der Beine ein. Dieser Fall ist um so auffälliger, weil es sich 
ja um eine Läsion in nächster Nähe des Lendenmarkes gehandelt hat, wo Fehlen 
der Kniescheibensebnenreflexe nichts auffälliges gewesen wäre. Bef. kann hier-nur 
sagen, dass der Fall viele Jahre zurückliegt und dass die Angaben Aber die Sehnen¬ 
reflexe auch hier nur sehr kurze sind. Nun ist es aber eine allbekannte Tliatsache 
in der Medicin, dass gewisse Symptome und Symptomencomplexe erst bemerkt werden, 
wenn ganz bestimmt auf sie aufmerksam gemacht wird; namentlich trifft das für 
solche Symptome zu, die im Widerspruch mit anerkannten Lehrsätzen stehen; Bef. 
kann deshalb bei aller schuldigen Hochachtung vor der klinischen Sorgfalt 
F. Scbultze’s diesem und anderen älteren, der Bastian'schen Lehre wider¬ 
sprechenden Fällen keine unbedingte Beweiskraft beimessen. Sie wären sehr viel 
beweiskräftiger, wenn sie heute beobachtet würden. Schliesslich Se¬ 
nator^ Fall selbst. Man konnte hier zunächst sagen, dass bewiesen in diesem 
Falle nur ist, dass circa 5 Monate vor dem Tode die Sehnenreflexe noch vorhanden 
waren und dass ein unbedingter Beweis, dass zu dieser Zeit schon totale Querläsion 
bestand, natürlich nicht geliefert werden kann. Insofern ist also auch dieser 
Fall kein absolut einwandsfreier Beweis gegen die Allgemeingültig¬ 
keit von Bastian’s Lehre. Allein Bef. will gern zugeben, dass nach Verlauf 
und Sectionsbefund eine totale Querläsion 5 Monate vor dem Tode in diesem Falle 
doch sehr wahrscheinlich war. Bef. hat selbst auch im letzten Jahre einen Fall von 
Compression des Dorsalmarkes bei Wirbelcaries beobachtet, bei dem totale Lähmung 
der. Beine in Beugecontractur, totale Anästhesie bis zum Processus ensiformis, voll¬ 
ständige Blasen- und Mastdarmlähmung, Decubitus eine totale Querläsion sehr wahr¬ 
scheinlich machten; wo aber zunächst wenigstens auf einer Seite noch 
Patellar- und Achillesclonus bestand. Im späteren Verlauf trat starke 
Atrophie der Beinmuskeln auf — mit quantitativer Veränderung der elektrischen 
Beactionen — und nun schwanden die Sehnenreflexe ganz. Wieder einige Wochen 
darauf trat langsam am Bumpf und an der Vorderseite der Oberschenkel Schmerz¬ 
gefühl auf und nun war beiderseits weder Patellar- noch Achillesclonus vor¬ 
handen. Auch Oerhardt’s Fall gehört vielleicht mit in diese Kategorie, wenigstens 
bis einige Jahre vor dem Tode. 

Es scheint dem Bef. also, dass in Fällen von ganz langsam voll¬ 
ständig werdender Compression die Sehnenreflexe zum mindesten sehr 
lange erhalten bleiben können; ja sie können noch gesteigert sein zu 
einer Zeit, wo alle übrigen Symptome auf totale Querschnittsläsion 
hinweisen. Damit würden diese Fälle eine Sonderstellung einnehmen. Ob sich die 
Sehnenreflexe später auch in diesen Fällen doch noch verlieren, wie im Falle Ger¬ 
hardte, oder dauernd bestehen bleiben können, was im Falle Senator’s wenigstens 
wahrscheinlich ist, müssen weitere Untersuchungen lehren. Hervorheben möchte. Bef. 
noch, dass in dem Falle Senator’s, Gerhardt’s und auch in seinem oben citirten 
Oedem der Beine fehlte, was in den Fällen rasch eintretender Querläsion immer 
vorhanden zu sein scheint. Auch ist es dem Bef. gerade in dem letzteren Falle, 
wo noch die Hautreflexe sehr stark waren, aufgefallen, wie schwer es sein kann, zu 
entscheiden, ob ein Beflex ein Haut- oder ein echter Sehnenreflex ist; natürlich will 
Bef. eine solche Verwechslung Senator oder F. Schultze nicht etwa imputiren. 
Schliesslich möchte er darauf aufmerksam machen, dass sieb im Falle Senator’s 
deutliche Veränderungen der Ganglienzellen bis ins Lendenmark fanden und doch die 
Beflexe erhalten blieben; man kann also das Fehlen der ßeflexe in den mit 
Bastian’s Theorie stimmenden Fällen nicht, wie mehrfach geschehen, auf gering¬ 
fügige Veränderungen in der grauen Substanz beziehen wollen. 


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Im 2. Falle Senator’s bandelte es sich um einen 30 jährigen Arbeiter, der am 
3. Mai — gerade einen Monat vor seinem Tode — im Bausche eine Verletzung er* 
litten batte, deren genaue Natur nicht festzustellen war. Es bestand sofort totale 
Lähmung der Beine, der Rumpf*, Bauch- und Intercostalmuskulatur — die Athmung 
geschah nur mit dem Zwerchfelle. An den Armen waren noch die Finger* und Hand* 
bewegungen gelähmt, Ober- und Unterarm frei. Keine fibrillären Zuckungen an den 
Fingern. Beine und Bumpf bis zur 2. Bippe waren ganz gefühllos; ausserdem am 
rechten Arme die ulnare Hälfte der Finger, der ulnare Band der Hand und die 
Ulnarseite des Oberarmes; links war der Oberarm frei; Hand und Finger im selben 
Gebiete wie rechts und ein schmaler ulnarer Streifen des Unterarmes waren 
anästhetisch. Blase und Mastdarm waren total gelähmt; die Blase war ausdrflckbar. 
Keine Pupillen- und Lidspaltensymptome. Schwitzen nur im fühlenden Gebiete. 
Meteorismus. Priapismus. Polyurie. Die Lähmung der Beine war während 
des. ganzen Krankenlagers eine schlaffe, die Sehnenreflexe waren total 
verschwunden, der Plantarstichreflex im Anfang auch schwach, später 
ziemlich lebhaft Im Anfang ziemlich normale elektrische Erregbar¬ 
keit der Beinmuskeln; später, als Oedem und trockene Schuppung der 
Haut der Beine eingetreten war, war auch mit stärksten galvanischen 
und faradischen Strömen eine Zuckung nicht mehr zu erzielen, der 
elektrische Hautwiderstand an den Beinen erwies sich als enorm ge¬ 
steigert. 

Basch Decubitus, Cystitis, Fieber. Tod an Marasmus. 

Die Section ergab eine Verschiebung des 7. Hals- und 1. Dorsalwirbels und eine 
entsprechende Zertrümmerung des Bückenmarkes. Daneben hauptsächlich eine gan¬ 
gränöse Cystitis mit Geschwüren und Phlegmone des umgebenden Bindegewebes. 
An der Quetschungsstelle, die ihr Centrum im 7. Cervicalsegmente batte, war, wie 
sich bei der histologischen Untersuchung erwies, das Mark total zertrümmert; diese 
Zertrümmerung setzte sich nach oben bis ins 5. Cervical-, nach unten bis ins 
2. Dorsalsegment, besonders in den Hintersträngen fort. Nach oben befindet sich 
in diesen Strängen noch eine traumatische Höhlenbildung. Absteigende Degeneration 
findet sich in den Pyramidenseitensträngen, im Schultze’schen Komma, und im 
Lendenmarke noch in Flechsig’s ovalem Felde; aufsteigende in den Goll’scben, 
z. Th. in den Burdach’schen Strängen und in den Kleinhirnseitenstrangsbabnen. 
Die graue Substanz und speciell die Ganglienzellen unterhalb der Läsion waren 
normal. 

Klinisch bietet der Fall wieder in Bezug auf Segmentdiagnose das typische 
Bild. Hier fehlten, analog Bastian’s Angaben,- die Sehnenreflexe an¬ 
dauernd und bestand schlaffe Lähmung; die Hautrefiexe blieben theilweise 
bestehen, wie in vielen dieser Fälle. Blase und Mastdarm verhielten sich wie im 
1. Falle. Auffällig ist das Fehlen der Pupillen- und Lidspaltensymptome. 

Die elektrische Unerregbarkeit der Beinmuskulatur in der zweiten Hälfte der 
Beobachtungszeit will Senator nicht allein auf die von ihm nachgewiesene starke 
Erhöhung des Hautwiderstandes durch Oedem und Schuppung der Haut zurück¬ 
führen, sondern er nimmt auch eine directe Verminderung der elektrischen Erregbar¬ 
keit durch eine vielleicht nur functioneile Störung der Vorderhornganglien an. Bef. 
ist gerade durch einen neuerdings von ihm beobachteten Fall noch mehr in seiner 
Meinung bestärkt worden, dass das Fehlen elektrischer Beactionen in den einschlägigen 
Fällen nur auf dem enorm erhöhten Leitungswiderstand beruht. In einem Falle 
totaler -schlaffer Paraplegie mit Fehlen der Sehnenreflexe, starkem Oedem und 
Schuppung der Haut an den Beinen in Folge Carcinomes der oberen Brustwirbel- 
säule traten mit stärksten faradischen und galvanischen Strömen zuerst Zuckungen 
an den Beinmuskeln überhaupt nicht auf; als Bef. aber die Haut der Beine mit 


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warmen Salzwasser abgewaschen und die Schoppen abgerieben hatte and dann die 
Elektroden tief in das Oedem eindrückte, bekam er zunächst mit dem galvanischen 
Strome kräftige normale blitzartige Zuckungen sowohl an der Wade wie im 
Quadricep8gebiete; auch die Nadelausschläge am Galvanometer waren jetzt stark und 
wurden durch die Widerstand vermindernde Wirkung des galvanischen Stromes immer 
stärker. Als er dann die Elektroden mit dem faradischen Apparate verband, traten 
auch mit diesem Strome kräftige Zuckungen ein. Also war hier nur der Hsnt- 
widerstand am Ausbleiben der elektrischen Reaction Schuld; wenn im 
späteren Verlauf dieser Fälle allerdings, wie nicht so selten, noch anatomische 
Veränderungen in den Muskeln auftreten, werden auch diese natürlich die elektrische 
Erregbarkeit herabsetzen. 

Senator knüpft schliesslich an seine Mittheilungen noch einige Bemerkungen 
über die Genese der Körnchenzellen. Diese sollen nach ihm nicht aus den 
weissen Blutkörpern, sondern zum Theil aus den fixen Bindegewebszellen des Rücken* 
markes — den Zellen der Adventitia der Gefässe —, zum Theil durch Umwandlung 
von Gliazellen entstehen. Es giebt allerdings auch mit Fett beladene weisse Blut* 
körper — das sind aber keine echten Körnchenzellen. L. Bruns. 


16) Die ärztliche Untersuchung und Beurtheilung von Unfellfolgen, von 

Prof. Dr. Ledderhose. (1898. Wiesbaden. J. F. Bergmann.) 

Die vorliegende, 46 Seiten starke Broschüre ist vorwiegend vom chirurgischen 
Standpunkt aus von Interesse, sie enthält jedoch eine Menge Details, die auch für 
den Nicht*Chirurgen, sobald er sich mit Unfallverletzten zu beschäftigen hat, Wissens* 
werth sind. 

In der Einleitung betont der Verf. mit Recht, dass die Methodik der Unter¬ 
suchung einen der wichtigsten Bestandtheile der Unfallchirurgie bildet Der sprin¬ 
gende Punkt* ist eine möglichst genaue allgemeine und locale Untersuchung. Die 
gemachten Feststellungen sind womöglich durch Zahlenwerthe zu ergänzen. Auch 
Verf. glaubt, dass Simulation selten, Uebertreibung häufig sei. Am relativ häufigsten 
ist noch die Simulation des ursächlichen Zusammenhangs. 

Bei der „Untersuchung im Allgemeinen“ wird der Vergleich mit der gesunden 
Seite betont, das Maassnehmen mittelst Winkelmesser und Bandmaass besprochen; 
auf nervöse Krankheitserscheinungen, auf den Gefässapparat (Arteriosklerose) und den 
Urin ist stets zu achten, knarrende oder reibende Gelenkgeräusche sind oft an der 
gesunden Seite ebenso vorhanden wie auf der kranken und dergl. mehr. In einem 
zweiten — speciellen Theil — wird die Untersuchung des Kopfes, der Schulter¬ 
gegend, der Arme und ihrer Gelenke, des Beckens und der Beine und schliesslich 
des Rückens durchgesprochen. Ueberall stossen wir auf Details in der Beobachtung 
oder auf nützliche Winke, die ihre Wurzeln in der Praxis haben. Verf. giebt kleine 
Kunstgriffe und dergl. an, wie man Simulation erkennen kann (z. B. angebliche Be¬ 
wegungshemmungen im Schultergelenk), ohne dabei in das Extrem zu verfallen, 
überall Simulation zu sehen. Die Arbeit sei der Lectüre jedes Unfallarztes bestens 
empfohlen. Paul Schuster (Berlin). 


17) Ein Beitrag zur Pathologie und pathologischen Anatomie der trau¬ 
matischen Büokenmarkserkrankungen (sogen. Hämatomyelie, secun- 
däre Höhlenbildung), von Dr. Lax, prakt. Arzt in Zirndorf, und Dr. L. R. 
Müller, I. Assistenzarzt an der medicin. Klinik in Erlangen. (Deutsche Zeit¬ 
schrift für Nervenheilk. 1898. XD.) 

Ein 44jähriger, ganz gesunder, kräftiger Landarbeiter erlangt unmittelbar nach 


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einem Fall ana beträchtlicher Höhe auf harten Erdboden eine vollständige Paraplegie. 
Kein Verlust des Bewusstseins. Keine Fractur oder Luxation der Halswirbelsäule; 
Haut Aber derselben schmerzhaft und geschwollen. Ganzer Körper mit Ausnahme 
des Kopfes, Halses und Schultergürtels anästhetisch. Keine cerebralen oder bulbären 
Erscheinungen. Die Bewegungen in den Schulter* und Ellenbogengelenken besserten 
sich bald wieder, die der Handgelenke indessen nur wenig, die Finger bleiben un¬ 
beweglich und in Beugecontractur. Rumpf, untere Extremitäten und Blase bleiben 
dauernd, gelähmt. An der unteren Körperhälfte, den Händen und Vorderarmen tritt 
an Stelle der völligen Anästhesie allmählich Analgesie und Thermanästhesie auf. 
Ausserdem entwickelt sich deutliche Atrophie der Mm. interossei beider Hände und 
der Extensoren der Vorderarme. Muskulatur der unteren Extremitäten spastisch 
starr, Sehnenreflexe sehr lebhaft. Abgesehen von einer, sofort nach dem Trauma 
beobachteten beiderseitigen Myosis keine Störung von Seiten der Hirnnerven. 3 Jahre 
nach dem Unfälle in Folge von Cystitis und Pyelonephritis Exitus. Die klinische 
Diagnose lautete: Erweichungsherd in der Höhe des 5. Halssegments mit Zerstörung 
der grauen Substanz und Unterbrechung der abwärts leitenden Pyramidenbahnen und 
theilweiser Zerstörung der sensiblen Bahnen. 

Bei der Section fand sich eine leichte Einsenkung des Rackenmarks in der 
Höbe des 5. Cervicalsegments ünd dem entsprechend eine Höhlenbildung in der 
dorsalen Hälfte des Markes nebst Sklerosirung der Seitenstränge. Der Hohlraum 
enthielt eine bräunliche, schleimige Flüssigkeit. Die mikroskopische Untersuchung 
ergab eine secundäre Degeneration des Goll’sehen und Burdach’schen Strangs, 
der Kleinhimseitenstrangbahn und des Gowers’schen Anterolateraltracts, ausserdem 
der an das Gowers’sche Bündel angrenzenden lateralen Partieen des Seitenstrang* 
grundbündels und eine ganze Strecke weit nach oben der Pyramidenseitenstrangbahn, 
besonders in ihren äusseren nach dem Kleinhirnseitenstrang zu liegenden Theilen. Die 
absteigende Degeneration hatte nicht nur den Pyramidenseitenstrang, sondern auch 
die demselben zunächst liegenden Fasern, die Kleinhirnseitenstrangbahn und die des 
Seitenstranggrundbündels ergriffen. Von der Mitte des Brustmarks ab sind nur noch 
die Pyramidenseitenstränge degenerirt, deren Entartung bis in das unterste Lenden* 
mark zu verfolgen ist. Die absteigende Degeneration der Hinterstränge entspricht 
der zuerst von Schultze beschriebenen. Ausserdem waren die Ganglienzellen der 
Clarke’schen Säulen in ihrer Zahl vermindert und undeutlich in der Zeichnung. 

In einem 2. Falle von traumatischer Hämatomyelie, in welchem Paraplegie der 
beiden Beine und Lähmung des einen Arms aufgetreten war und der 2 Tage nach 
dem Unfall letal endete, fanden sich an der Stelle der stärksten Einwirkung des 
Traumas in beiden Hälften der grauen Substanz, in den Vorder* und Hinterhörnern 
und zwischen den Fasern des rechten Seitenstrangs ausgedehnte Hämorrhagieen. Im 
rechten Hinterhorn hatte ein Bluterguss auf weitere Strecken hin, und zwar 4 Seg¬ 
mente nach oben und 1 Segment nach unten, die Substantia gelatinosa zerstört. Die 
mikroskopische Untersuchung ergab, dass sich auch an Stellen, an welchen kein Blut¬ 
erguss nachzuweisen war, ein Zerfall von Markscheiden fand. Derartige Blutungen 
des Rückenmarks treffen mit Vorliebe das untere Halsmark, möglicherweise weil der 
untere Theil der Halswirbelsäule die beweglichste Partie der ganzen Wirbelsäule ist 
Doch bildet dieser Theil auch für andersartige Processe (Syringomyelie, spinale 
Muskelatropbie) einen Locus minoris resistentiae. Die Verff. glauben den ersten 
Fall dermaassen erklären zu können, dass es durch den Sturz zu einer übermässigen 
Nachvornbeugung oder Ueberstreckung der Halswirbelsäule kam und dass dadurch das 
im Wirbelcanal befindliche Mark an der Stelle der stärksten Biegung gedehnt und 
gezerrt wurde. Mit der Zeit wurden die zerfallenen Theile der Nervensubstanz und 
der Bluterguss resorbirt .Wo das Stützgewebe mit zerstört war, kam es später zu 
einer, mit zäher Flüssigkeit gefüllten, unregelmässigen Höhle. In den Seitensträngen, 


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deren Stützgewebe nicht betroffen war, bildete sieb weiterhin gliöses Narbengewebe 
ans. £. Asch (Frankfurt a./M.). 


18) Troubles du thorax dans la syringomyölie, par P. Marie. Ans der 

Societö mödicale des höpitaux. (Progrös mödical. 1897. Nr. 9. S. 136.) 

Verf. und Astie beobachteten bei der Syringomyelie eine neue trophische — 
thorax en bateau — benannte Thoraxbildung, die für diese Erkrankungsform charak¬ 
teristisch sein soll. 

Sie besteht in einer vorderen und medianen Aushöhlung des Brustkorbes, der 
dadurch einem Schiffe ähnlich sieht. Sein vorderes Ende befindet sich an der Basis 
des Halses — am Jugulum sterni, sein hinteres am unteren knöchern-knorpeligen 
Ende des Brustbeines. Die Missbildung ist nicht die Folge einer Deviation der 
Wirbelsäule. Adolf Passow (Strassburg i./E.). 


19) Syringomyelie mit totaler Hemianästhesie nach peripherem Trauma, 

von A. E. Stein. (Deutsches Archiv f. klin. Medicin. Bd. LX.) 

Ein früher stets gesunder, erblich nicht belasteter Mann erlitt einen Bruch der 
linken Ulna, welcher unter Bildung einer Pseudarthrose mit bedeutender Callus- 
wucherung zur Heilung gelangte. Bald darnach traten zunächst Parästhesieen im 
linken Arm auf, dann Schmerzen und Parese der Muskulatur. Dieselben Erscheinungen 
zeigten sich später im linken Bein. Trophische Störungen an der linken Hand, An¬ 
ästhesie der ganzen linken Körperhälfte, lallende Sprache, Schiefstellung des linken 
Bulbus, Anosmie auf der linken und Verlust des Geschmackssinnes auf beiden Seiten 
und Atrophie der linken Zungenhälfte waren die weiterhin auftretenden Symptome. 

Die Beseitigung des Gallus brachte keine Besserung, dagegen trat nach der 
Amputation des linken Armes in kurzer Zeit eine wesentliche Besserung ein. Der 
N. ulnaris des amputirten Armes, der in den Callus eingebettet war, fand sich hoch¬ 
gradig entzündet. 

Verf. glaubt, daraus und aus der Besserung der Erscheinungen nach der Ent¬ 
fernung dieses Nerven eine Stütze der schon früher von Eulenburg ausgesprochenen 
Behauptung ableiten zu dürfen, dass nämlich die Erkrankung des Rückenmarks die 
Folge einer aufsteigenden Neuritis sei. K. Grube (Neuenahr). 


20) Ueber einen Fall von Syringomyelie mit Spontanfiractor beider 

Humerusköpfe und Resorption derselben, von Dr. Adolf Kofend. 

(Wiener klin. Wochenschr. 1898. Nr. 13.) 

54jähr. Wäscherin. Die ersten Symptome der Syringomyelie machten sich in 
ihrem 20. Lebensjahre geltend: schmerzlose Panaritien und Verlust der Wärme¬ 
empfindung. 3 Jahre später, beim Wäscheauswinden Spontanfractur des rechten 
Humeruskopfes. Die Bewegungen des Oberarms blieben durch lange Zeit unaus¬ 
führbar; aber 2 Jahre später konnte sie den Arm wieder ziemlich frei bewegen, 
spürte dabei aber ein Krachen und Knarren in der Schulter. Das Knarren nahm 
dann wieder allmählich ab, der Schulterumfang wurde immer kleiner, bis Pat. eines 
* Tages gewahrte, dass sich in der rechten Achsel keine Kugel mehr befinde. Zn 

dieser Zeit ereignete sieb derselbe Unfall auf der linken Seite, wiederum beim 
Wäscheauswinden. Beides Mal waren nach der Fractur Parästhesieen mit bläulichen 
Anschwellungen des ganzen Armes aufgetreten, die dann wieder schwanden. Bei der 
Untersuchung zeigte sich die vollständige Abwesenheit beider Humerusköpfe bis zum 


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Ansätze des Pectoralis major und des Latissimus dorsi. Es findet sieh beiderseits 
ein 8chlottergelenk. 

Von den übrigen Symptomen der Syringomyelie sei nur hervorgehoben, dass die 
Diagnose durch das Vorhandensein von Muskelatrophieen, den typischen Sensibiiit&ts- 
störungen, trophischen Störungen und Hautveränderungen an den oberen Extremitäten, 
sowie von Scoliose gesichert war. Bulbäre Symptome waren nicht vorhanden. 

Ein beigegebenes Röntgen-Bild zeigt das vollständige Fehlen beider Humerus- 
köpfe bis zum Collum Chirurg. Eine besondere pathologische Veränderung an den 
Knochen lässt das Bild nicht erkennen. 

Ein 2. Röntgen-Bild stammt von einer 35jähr. Näherin, die vor 6 Wochen 
eines Morgens beim Aufstehen den linken Arm nicht mehr bewegen konnte. Der 
Arm schwoll an, und es traten da und dort violette Stellen in der Haut auf. Die 
Schwellung ging allmählich zurück, doch blieb die Haut infiltrirt. Bei der Unter¬ 
suchung fand sich eine Luxatio humeri sin. axillaris incompleta, active Beweglich¬ 
keit wegen grosser Schmerzen unmöglich, passive in grossen Grenzen vorhanden. 
Atrophie der Mm. deltoidei, supra- et infraspinat., Hautödeme, Atrophie der Muskeln 
des linken Armes, Kyphoscoliosis dorsalis, erhöhte Sehnenreflexe, keine Sensibilitäts¬ 
störung an den Extremitäten, aber Anästhesie des Rachens, Cranie, Spinalirritation, 
concentrische Gesichtsfeldeinschränkung mit Herabsetzung der Sehschärfe. 

Verf. glaubt, dass die Spontanluxation in einem hyBtero-epileptischen Anfalle 
erfolgt sei; die Muskelatrophie sei als Inactivitätsatrophie, die .Oedeme seien durch 
Druck des Humeruskopfes auf die Gefässe zu erklären. 

Die Einrichtung gelang in der Narcose leicht J. Sorgo (Wien). 


21) Form und Ausbreitung der Senaibilitfttsetörungen bei Syringomyelie, 

von Dr. F. Hahn. Aus der medicin. Klinik von Hofrath von Schrötter. 

(Jahrb. f. Psych. Bd. XVII.) 

Verf. giebt zunächst eine allgemeine Uebersicht der Sensibilitätsstörnngen, wie 
sie sich bei peripherem, spinalem, cerebralem Sitz der Läsion, sowie bei functioneilen 
Erkrankungen (cerebrale Anästhesieen) finden, und bespricht hierauf die Angaben 
von Lähr über die Ausbreitung der Anästhesiebezirke bei der Syringomyelie, die 
auch hier im Gegensatz zu früheren Angaben einen segmentalen Typus der Sensi- 
bilitätsstörungen ergaben. Verf.’s eigene Untersuchungen an 6 Fällen, deren Kranken¬ 
geschichten unter Reproduction der Anästhesieschemata wiedergegeben werden, ergeben 
eine Bestätigung der Angaben von Lähr. Hervorzuheben ist, dass in einzelnen 
seiner Fälle die gefundenen Anästhesiebezirke sich nicht immer streng in die Schemata 
von Thorburn und Kocher einreihen Hessen, indem sich Hautbezirke, die einem 
und demselben Rückenmarkssegment entsprechen sollten, verschieden verhielten. Verf. 
meint, dass die Abgrenzung der einzelnen Bezirke keine absolut feststehende sein 
dürfte, dass dieselben vielmehr bei verschiedenen Individuen innerhalb gewisser 
Grenzen einem Wechsel unterworfen sein dürften. 


Der segmentale Typus ergab sich für alle QuaUtäten des Tastsinns. Die Aus¬ 
fallsgebiete für die einzelnen Empfindungsqualitäten, besonders für Schmerz- und 
Temperaturempfindung, decken sich meistens, doch ist das Thermoanästhesiegebiet 
manchmal grösser. Manchmal, aber durchaus nicht immer, findet sich eine Zunahme 
der SensibUitätsstörungen gegen die Peripherie hin, jedoch hält sich auch dann die 
Ausbreitung der Anästhesie an den segmentalen Typus. 

Verf. bespricht dann jene Momente, die bei den früheren Autoren die Angabe, 
dass die Anästhesieen der Syringomyelieen einem anderen Typus entsprechen, und 
zwar dem centralen mit handschuhförmiger Abgrenzung, bedingt haben. Er scbliesst 
sich hier im wesentlichen Lähr an. Zum Theil beruhen diese Angaben auf dia- 


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gnostischen Irrthümern. Hier ist in erster Linie zu nennen die Hysterie, die an 
sich oder in Combination mit organischen Erkrankungen Syringomyelie Vortäuschen 
oder selbst mit Syringomyelie combinirt auftreten kann. Eine zweite Fehlerquelle 
stellt die Lepra dar. Die Lepra führt meist zu Anästhesieen, deren Ausbreitung 
dem peripheren Typus entspricht, doch kommt bei ihr auch ein centraler Typus 
(handschuhförmige Begrenzung) vor; übrigens ist auch ein segmentaler Typus möglich. 
Die Anästhesie an sich erscheint danach zur diagnostischen Verwerthung zwischen 
Lepra und Syringomyelie ungeeignet. 

Gegenüber den Angaben einzelner neuerer Autoren (Ballet tl A.), dass bei der 
Syringomyelie denn doch ein centraler Typus der Sensibilitätsstörungen vorkomme, 
weist Verf. darauf hin, dass er wohl auch in manchen Fällen Zunahme der Sensi¬ 
bilitätsstörungen gegen die Peripherie hin beobachtet, dass aber diese Art von 
Sensibilitätsstörungen gegenüber der spinalen in den Hintergrund tritt, und dass er 
sie nie allein, sondern stets im Bahmen jener vorgefunden habe. 

Redlich (Wien). 


22) Ein Beitrag zur Aetiologie und Symptomatologie der Syringomyelie, 
von Laese. Aus der inneren Abtheilung des städt. Krankenhauses in Charlotten¬ 
burg (Prof. Grawitz). (Deutsche med. Wochenschr. 1898. Nr. 18.) 

Der Fall zeigt neben typischen Syptomen folgende Eigenthümlichkeiten: Klinisch 
ist bemerkenswerth das Zurücktreten der Muskelatrophie (nur im M. pectoralis major 
deutlich), das Fehlen sichtbarer Atrophie an völlig functionsunfähigen, elektrisch nicht 
mehr erregbaren Muskeln (Jnterossei, Muskeln des Kleinfingerballens), ausgesprochene 
Volumenzunahme einzelner Muskeln, und zwar anscheinend Pseudohypertrophie 
in Anbetracht der gleichzeitigen hochgradigen Schwäche, von fibrillären Zuckungen 
und Abnahme der elektrischen Erregbarkeit. Stärkere Entwickelung des Unterbaut¬ 
fettgewebes, keine Verdickung der Haut, kein Oedem. Unförmige Schwellung des 
rechten Handgelenks, der Palpation nach fast nur auf Knochenauftreibungen beruhend: 
das Röntgen-Bild zeigt in den Handwurzelknoten und einzelnen Phalangen atro¬ 
phische Processe, ausgesprochene Hypertrophie der Epiphysen' von Radius und Ulna, 
hochgradige Ankylosen in einzelnen Gelenken, starke transparente Knochenauflagerungen 
und eine sehr beträchtliche yolumenzunahme der Weichtheile. Die streng 
rechtsseitig localisirten Symptome entwickelten sich anscheinend nach einem Trauma, 
doch folgt aus der Anamnese mit grosser Wahrscheinlichkeit, dass die Syringomyelie 
schon seit ca. 30 Jahren besteht, den Pat. aber in seiner Arbeit nicht behinderte; 
das Trauma führte eine hochgradige Verschlimmerung und schwere Beeinträchtigung 
der Erwerbsfähigkeit herbei. R. Pfeiffer (Cassel). 


23) Ein Fall von einseitiger Gliose im Cervloaltheile des Rückenmarks, 
die den aufe teigen den Theil der Trigeminuswurzel berührte, von Prof. 
Homän. (Finska läkaresällsk. handl. 1897. S. 1747. Sitzung vom 31. Oct.) 

Der 19 Jahre alte Pat. hatte im späten Kindesalter häufig Kopfschmerz, Beit 
einigen Jahren häufig Schwindel, namentlich, wenn er aufstand. Syphilis wurde 
entschieden geleugnet. Seit 1 1 / 2 Jahren hatte er, ohne vorhergehende besondere 
Veranlassung, Gefühl von Steifheit in den Fingern der rechten Hand, die 1. und 
2. Phalanx des 3. Fingers begann anzuschwellen, die Geschwulst zeigte knorpelige 
Consistenz, die Beweglichkeit nahm ab, auch die übrigen Finger schwellen etwas an, 
wie auch Hand- und Ellenbogengelenk in geringem Grade und später auch das 
Schultergelenk; die rechte Seite des Nackens wurde etwas empfindlich. Das Gefühl 
im Arme nahm von unten nach oben zu ab, wie Pat. angab, bei der Untersuchung 
zeigte sich aber das Tastgefühl ungestört, nur die Schmerzempfindung batte am 


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rechten Arme, an der rechten Seite des Nachens und der Brust abgenommen, in der 
Hand am meisten, nach oben zu immer weniger; in derselben Ausdehnung zeigte sich 
Abnahme der Temperaturempfindnng. An der linhen Seite, wie überhaupt im übrigen 
Körper fanden sich keine Störungen. Müdigkeit im rechten Arme gesellte sich hierzu 
und Schmerz, der manchmal bis in den Hinterstrang ausstrahlte. Die Sensibilitäts- 
Störung breitete sich auch über die rechte Seite des Körpers aus, nach vorn zu ab* 
nehmend. Anfangs war der 5. und 6. Halswirbel etwas empfindlich bei Druck, sp&ter 
nicht mehr. Weitere Störungen waren nicht vorhanden. Durch Anwendung des 
faradischen Pinsels wurde die Sensibilitätsstörung etwas gebessert, wahrscheinlich 
aber nur vorübergehend. 

Nach Verf. musste es sich um einen Process handeln, der mit geringen Breiten- 
dimensionen sich in der Längsrichtung stark ausdehnen kann, um Gliose im Hais¬ 
und oberen Brustmark, die aber das Vorderhom unberührt liess. Aus dem Umstande, 
dass auch im Trigeminusgebiet nur Störung der Schmerz* und Temperaturempfindung, 
nicht auch der Tastempfindung, vorhanden war, will Verf. den Schluss ziehen, dass 
die aufsteigende Trigeminuswurzel nur diese Gefühlsqualitäten vermittle. 

W. Berger (Leipzig). 


24) Dis8ooiazione a tdpo siringomielioo della sensibilitä in an caso di 

lsterismo masohile, per F. Burzio. (Bollettino del Polidin. gen. di Torino. 

1897. Nr. 17.) 

41 jähriger, an Schwindelanfällen leidender Privatsecretär. Anästhesie für Tem¬ 
peratur und Schmerz in der rechten oberen und unteren Extremität Berührungs¬ 
empfindlichkeit gut erhalten. Die anästhetische Zone setzte sich gegen das normale 
Gebiet mit scharfen Grenzen ab, kein hjpoästhetisches Uebergangsfeld. Die Behand¬ 
lung mit dem faradischen Pinsel liess die Sensibilitätsstörungen jedesmal auf un¬ 
gefähr 1 Stunde schwinden. 

Verf. glaubt, nach Entstehung, Wesen und Verlauf Syringomyelie ausschliessen 
und das Bestehen von Hysterie als gesichert annehmen zu können* 

Valentin. 


-25) Compression de la moelle cervioale. Syndromes de Brown-Sdquard aveo 
dissooiation de la sensibilitö, par Dejerine. (Progrös mödical. 1898. 
28. Juni.) 

Eine ungefähr 50 Jahre alte, sehr cachektische Kranke leidet an linksseitigen 
Motilitätsstörungen und Muskelatrophie der linken oberen Extremität, zumal der 
Hand, mit erheblicher Schmerzhaftigkeit der Nerven auf Druck. Bechterseits findet 
sich Anästhesie für Schmerz und Wärme, während der Tastsinn nicht gestört ist 
Verf. kommt nach eingehender Differentialdiagnose zur Annahme einer Compression 
des Bückenmarks in Folge eines einseitigen Malum Pottii (Spondylarthrokace). 

Adolf Passow (Strassburg i./E.). 


26) A oase of fraoture of the flfth oervioal vertebra, in which an Ope¬ 
ration was done. Death on the eighth day after the Operation, by 
W. H. Hudson, M. D. (Journal of nervous and mental disease. 1897. Jun. 
S. 359.) 

Ein 19jähriger kräftiger Jüngling war beim Kopfsprung ins Wasser auf den 
Grund gestossen und war, als er von seinen Freunden gerettet worden war, von 
unterhalb des Halses an völlig gelähmt; nur in den Schultern und Ellbogengelenken 
waren einige active Bewegungen möglich. 

Verf. sah ihn erst 3 Wochen später und fand totale Anästhesie vom Niveau 
der 2. Sippe, bezw. des 2. Brustwirbels abwärts und ausgedehnten Decubitus an 


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verschiedenen dem Körperdruck ansgesetzten Stellen, namentlich über dem Os sacrum. 
Auch die Muskulatur des Kumpfes und der Unterextremitäten war völlig gelähmt, 
während an den Oberextremitäten Deltoideus, Biceps, Brachialis internus und Supi¬ 
nator longus allein noch functionirten. Die Respiration geschah lediglich durch das 
Zwerchfell. Es bestand ferner Cystitis und Blasenlähmung, aber kein eigentlicher 
Priapismus. Der Sphincter ani war total gelähmt, ohne jede Spor von Contraction. 
Sämmtliche Reflexe waren völlig erloschen, auch die Pupillen reagirten nicht auf 
Lichteinfall. Pat. war im übrigen bei voller Besinnung, hatte guten Appetit und 
fieberte unregelmässig. 

5 Wochen nach dem Unfall wurde auf Wunsch der Angehörigen eine Operation 
versucht, doch erwies sie sich als zwecklos, da das Rückenmark innerhalb des 
5. Halswirbels auf die Länge von einem halben Zoll vollständig zerquetscht war. 
Der Körper war beiderseits von den Querfortsätzen losgesprengt und in das Innere 
des Wirbelcanals hineingezwängt. Am 4. Tage nach der Operation starb Pat. 

Sommer (Allenberg). 


27) Gliosarooma of the spinal oord, by H. Morley Fletcher. (Brit. med. 

Jonrn. 1898. 21. May. S. 1327.) 

Verf. berichtet über einen Pat, der im Leben verschiedene Rückenmarkserschei¬ 
nungen darbot und bei dem er die beziehentliche Diagnose eines Tumors in der Lnmbal- 
anschwellung annahm. Der Tod erfolgte bei einem plötzlich eingetretenen Bauch¬ 
schmerz, dessen Natur unaufgeklärt blieb. Es fand sich bei der Autopsie eine 
Geschwulst, die hintere Hälfte des Lumbaltheils einnehmend, welche bis zum Central¬ 
canal reichte nnd die Hinterhörner zerstörte. Geschwulst dieser Körpergegend, 
namentlich Sarcome, seien selten. Häufig sei Trauma als Ursache ähnlicher Fälle 
genannt worden. L. Lehmann I (Oeynhausen). 


28) Tumor of the spinal dura mater, by C. S. Potts. (Proceedings of the 

pathological society of Philadelphia. 1898. 15. January.) 

Einem 16jährigen Knaben war vor l*/ a Jahren das linke Bein wegen eines 
Sarconm am Kniegelenk amp.utirt worden. Ein Jahr darauf wurde das rechte Bein 
schwach, zeigte Parästhesieen und war innerhalb 2 Wochen völlig paretisch, ebenso 
der Stumpf des linken Beins. Es entwickelte sich Muskelatrophie bei normaler 
elektrischer Erregbarkeit; der Patellarreflex war gesteigert. Blase nnd Mastdarm 
fnnctionirten normal. Die Sensibilität der unteren Körperhälfte bis zum Nabel war 
erloschen, ebenso Schmerzempfindung und Temperatursinn. Im weiteren Verlauf ent¬ 
wickelte sich eine Blasenlähmung; die Anästhesie reichte bis über den Schwertfortsatz 
des Brustbeins. Es traten Schmerzen zwischen den Schulterblättern auf. Der Pat 
wurde immer schwächer, bekam Decubitns am rechten Trochanter. Die Muskel¬ 
atrophie des rechten Beins erreichte extreme Grade; das Bein stand in Flexions- 
contractur. Nach einem halben Jahre ging Pat. im Collaps zu Grunde. 

Die Section zeigte die Muskeln über dem unteren Theil der Dorsalwirbelsänle 
mit kalkhaltigen Massen infiltrirt, die sich in die Wirbelsubstanz verfolgen lassen, 
ln dem unteren Theil der Brustwirbelsäule sind die Knochen erweicht. Der Wirbel¬ 
canal ist durch das Wachsthum des hyperplastischen und erweichten Knochen in der 
mittleren Dorsalregion stark verengt und hat das Rückenmark comprimirt An der 
vorderen Aussenseite der Dura, von der 9.—11. Rippe, liegen Geschwulstmassen, in 
der oberen Dorsal region eine hämorrhagische Cyste auf dem hinteren Abschnitt der 
Dura. Die Pia ist normal. Im Halsmark sind die Go 11’sehen Stränge, im Lenden¬ 
mark die Pyramidenbahnen degeneriri Doch fehlt bis jetzt die mikroskopische 
Untersuchung. M. Rothmann (Berlin). 


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29) Tumor of the spinal pia, first oervioal segment, mistaken for hyper- 

trophie oervioal paohymeningitis, by Joseph Collins and George W. 

Blanchard. (Medical News. 1897. July 10.) 

Ein 36jähriger Mann, der vor 20 Jahren Syphilis acquirirt hatte, erkrankt mit 
Schmerzen im Nacken und der rechten Gesichtshälfte; zugleich wird die Bewegung 
des Kopfes erschwert. Nach einigen Monaten kommt es zur Abnahme der moto« 
rischen Kraft des linken Arms mit heftigen Schmerzen in demselben. Es wird jetzt 
eine Schwäche der ganzen linken Seite constatirt mit Erhöhung der linksseitigen 
Sehnenreflexe; die linke Hand kommt in Flexionsstellung. Im weiteren Verlauf 
nimmt die Rigidität des Nackens ab. Die Diagnose wird auf Pachymeningitis cer- 
vicalis hypertrophica gestellt. Unter Delirien kommt es zum Exitus. Die Section 
ergiebt einen Tumor der Pia an der hinteren Rflckenmarksfläche, vom unteren Ende 
der Medulla oblongata bis zum 2. Cervicalsegment reichend; er drückte auf das Hals« 
mark. Es handelt sich um ein Spindelzellensarcom mit sehr erweiterten Blutgefässen, 
einzelnen Hämorrhagieen und einigen Herden mit käsiger Degeneration. Im Rücken¬ 
mark besteht eine leichte absteigende Degeneration der Pyramidenseitenstrangbahnen 
und eine aufsteigende der Burdach’schen Stränge. M. Rothmann (Berlin). 


30) Ein weiterer Fall von solitärer Tuberculose des Rückenmarks, zu¬ 
gleich ein Beitrag zur Lehre von der Brown-Söquard’sohen Halb¬ 
seitenlähmung, von Dr. L. R. Müller, I. Assistent an der medicin. Klinik in 

Erlangen. (Deutsche Zeitschrift f, Nervenheilkunde. 1898. XU.) 

Verf. ist in der glücklichen Lage, innerhalb kurzer Zeit den zweiten Fall von 
Solitärtuberkel im Rückenmark, der in der Erlanger medicin. Klinik beobachtet werden 
konnte, zu veröffentlichen. Das Referat über die erste Mittheilung findet sich in 
diesem Centralbl. 1897. S. 902. 

Es handelt sich um einen 46 jährigen, mit schwerer Tuberculose behafteten 
Arbeiter. Ende April 1897 Klagen über Schwäche in den Beinen, Schmerzen in 
der Blasengegend und Retentio urinae. Das rechte Bein wird nachgeschleift, kann 
ohne Unterstützung nicht a,us der horizontalen Lage gehoben werden. Dorsalflexion 
des rechten Fusses fast unmöglich, Plantarflexion etwas besser. Patellarreflexe leb¬ 
haft, rechts stärker als links, Cremasterreflex beiderseits undeutlich, Achillessehnen¬ 
reflexe nicht vorhanden, Bauchreflex rechts nicht auszulösen. Schmerz- und Tem¬ 
peraturempfindung vom linken Rippenbogen an abwärts und an der ganzen linken 
unteren Extremität erloschen; auch auf der Rückseite werden vom II. Brustwirbel 
an abwärts Nadelstiche nicht mehr als Schmerz empfunden. Die tactile Sensibilität, 
abgesehen von einer kleinen Stelle an der rechten Brustwarze, ist im Gegensatz 
hierzu an sämmtlichen Stellen des Körpers eine gute. Wirbelsäule nirgends druck¬ 
empfindlich. Bei der Section fand sich ausser jauchiger Cystitis und Pyelonephritis 
ausgedehnte Innentuberculose; das obere Brustmark war in der Höhe des zweiten 
Dorsalsegmentes in seiner rechten Hälfte durch einen rundlichen tuberculösen Tumor 
eingenommen und dadurch das Gewebe zerstört; in der linken Hälfte des Markes 
bestanden ausser den Zeichen leichter Stauung keine Veränderungen. Die Trennung 
zwischen der erhaltenen linken und der zerstörten rechten Hälfte ist eine ganz 
scharfe. Die mikroskopische Untersuchung ergab, dass die typischen auf- und ab¬ 
steigenden Degenerationen entweder garnicht oder nur schwach vorhanden waren; 
in beiden Vorderseitensträngen liess sich nur eine geringe aufsteigende Degeneration 
nachweisen. Vielleicht sind diese verhältnissmässig geringen Veränderungen dadurch 
zu erklären, dass sich erst seit 6 Wochen klinische Erscheinungen bemerkbar 
machten. Ausserdem hatte der Tuberkel die Leitung in der einen Rückenmarks¬ 
hälfte nicht ganz unterbrochen; er wurde noch von Fasern durchsetzt, die allerdings 


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der Markscheiden beraubt als nackte Axencylinder der mikroskopischen Untersuchung 
entgingen. Der Faserausfall im rechten Vorderseitenstrang und zwar hauptsächlich 
im Seitenstranggrundbtlndel und in der Gegend des Gowers’schen Anterolateral- 
tractes localisirt, ist durch die Unterbrechung dieser aufsteigenden Bahn localisirt 
Fast anderthalb Segmente oberhalb des Tuberkels tritt auch in dem der Läsion 
gegenfiberliegenden linken Seitenstranggrundbflndel eine schwache Lichtung auf und 
ist bis ins oberste Halsmark zu verfolgen. Es ist dies dadurch zu erklären, dass 
die in dem rechten Hinterhirn entspringenden sensiblen Fasern nicht horizontal, 
sondern schräg aufwärts nach der contralateralen Seite ziehen. 

Verf. gelang es also nicht nur in seinem ersten Falle, sondern auch in den 
dieser Veröffentlichung zu Grande liegenden Präparaten eine lange, aufsteigende, 
augenscheinlich sensibe Eindrücke leitende Bahn in dem Seitenstranggrundbündel 
nachzuweisen. E. Asch (Frankfurt a./M.). 


31) Freaaure paraplegie treated by lamineotomy, by. J. Hutchinson jun. 

(Brit.med.Joum. 1898. March 5.) 

Verf. stellte ein 12 jähriges Mädchen vor mit Spinalerkrankung unter Curvatur 
der Gol. vertebr. Buhe, Elektricität u. s. w. hatten sich unwirksam erwiesen. Es 
bestand vollkommene Paraplegie, Fussclonus, Anästhesie der Beine und des Bauches, 
Steigerung der Reflexe, Incontinenz. Die vier oberen Dorsalwirbel wurden excidirt. 
Entlassung mit geringer Besserung zwei Wochen nach der Operation. — Hach 
acht Monaten zweite Aufnahme ins Hospital; keine Besserang nach der geschehenen 
Operation. Indessen trat neun Monate nachher eine wundervolle Besserung ein. 
Zuerst kehrte die Sensibilität, alsdann die Motilität zurück. Vollkommene Herstellung 
erfolgte. Die normale Kraft kehrte zurück. Es fühlt sich an, als ob an der Operations- 
Stelle neuer Knochen gewachsen sei. 

Ein zweiter Fall von Wirbelfortnahme gegen Paraplegie wird von F. C. Wallis 
an den vorstehend mitgetheilten angereiht Hach 10 Tagen hatten sich die 
Schmerzen verloren; nnd nach drei Wochen war die Locomotion normal 

L. Lehmann I (Oeynhausen). 


32) Ueber die anatomische Grundlage einer anscheinend falsohen Seg¬ 
mentdiagnose bei tuberonlöser Compressionsmyelitis, von Prof. Dr. 

M. Dinkler in'Aachen. (Deutsche Zeitschrift f. Nervenheilkunde. 1897. XI.) 

Es handelt sich um einen Fall, in welchem die klinische Diagnose einer Quer¬ 
schnittserkrankung des Bückenmarks in der Höhe des VIII.—X. Dorsalsegments 
gestellt war. Die anatomische Untersuchung ergab eine Myelitis transversa chron. 
in der Höhe des VI.—VIII. Dorsalnerven und ausserdem eine Compressionsmyelitis 
in der Höhe des II. und III. Dorsalsegments, letztere hervorgerufen durch Wirbel- 
caries mit consecutiver tuberculöser Pachymeningitis. An die beiden Segment¬ 
erkrankungen schliessen sich die entsprechenden secundären Degenerationserscheinungen 
an, von denen das Verhalten einer absteigenden Degeneration in den Burdach’schen 
Strängen in Gestalt des Schultze’schen Kommas hervorgehoben sei. Beide Er¬ 
krankungen des Bückenmarks entbehren eines anatomischen Zusammenhanges. Doch 
spricht sich Verf. für eine einheitliche Aetiologie insofern aus, als der Befund einer 
Lungentuberculose auch die erste Herderkrankung als eine Art metastatischen Proceaaes 
erscheinen lässt, wenn man die durch tuberculöse Erkrankungen erleichterte Misch- 
infection im Auge behält. Bietet der Fall, dem eine sehr eingehende mikroskopische 
Untersuchung zu Theil geworden, schon durch diese Combination zweier getrennter 
Segmenterkrankungen Interesse, so gewinnt er noch weiter an Bedeutung durch die 
Betrachtung vom Standpunkt der Diagnose und eventuell' chirurgischen Therapie. So 


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ist die tuberculöse Compressionserkrankung nicht diagnosticirt worden, wofür einmal 
äussere, der Untersuchung hinderliche Umstände verantwortlich zu machen sind, dann 
aber könnte diese, übrigens jüngere AfFection das wesentlich durch den tieferen Herd 
bedingte klinische Bild nicht viel modificiren. Anlässlich der Differenz in der Höhen* 
bestimmung des zweiten Herdes empfiehlt Verf. die Befunde Harrington’s bei der 
Diagnose zu beherzigen und hiernach sich für eine möglichst höbe Locaüsation zu 
entscheiden, entsprechend der Bildung der Intercostalnerven aus den einzelnen Seg¬ 
menten. E. Asch (Frankfurt a./M.). 


33) Ein Pall von acuter Infectionskrankheit mit Thrombosen in den 

pialen Gefässen des Rückenmarks, nebst Beobachtungen über das 

Verhalten und die Entstehung der Amyloidkörperohen in demselben 

Falle, von Earl Petrön. (Nordisk Medicinsk Arkiv. 1898. Nr. 7.) 

Eine 61jährige Frau erkrankt mit Fieber und Schmerzen im Bücken; es ent¬ 
wickelt sich starke Benommenheit mit leichter Parese der Beine, Steigerung der 
Patellarreflexe und Blasenlähmung. Nach 14 tägiger Erankheit kommt es zum 
Exitus. Die Section ergiebt einen Leberabscess mit Bacterium coli im Eiter. Die 
Untersuchung des in Formol gehärteten Bückenmarks zeigt zunächst eine Verdickung 
der Pia und der Gefässwandungen, sowie eine hyaline Umwandlung der letzteren, 
offenbar senile Veränderungen auf arterio-sklerotischer Grundlage. Im unteren Bücken* 
marksabschnitt sind die meningealen Gefässe stark vermehrt. Auch die grösseren, 
ziemlich dünnwandigen Venen zeigen eine hyaline Degeneration der Wände. Es 
finden sich nun Thrombosen der meningealen Gefässe, ausgegangen von den grösseren 
Venen der hinteren Bückenmarksabschnitte des Sacral- und Lumbalmarks. Der nach 
oben fortgeschrittene Process überschreitet nicht die Halsanschwellung, hat die 
kleineren pialen Venen und später auch die Arterien ergriffen. Die Ursache der 
Thrombenbildung ist die vom Leberabscess ausgehende schwere, allgemeine Intoxication. 
Der Thrombenbildung gehen Veränderungen der Intima der Gefässwandungen vorauf. 
Eine syphilitische Gefässerkrankung lässt sich bei dem Fehlen jeder Zell Wucherung 
mit Sicherheit ausschliessen. An den Thromben fehlt jede Spur von Organisation; 
im unteren Theil des Bückenmarks giebt es nur rothe Thromben, zum Theil im 
Stadium der Nekrose, im oberen Theil kommen auch gemischte Thromben mit groben 
Fibrinnetzen vor. Zahlreiche Pigmentkörner, die sich auch in nicht thrombosirten 
Gefässen finden, rühren offenbar von absterbenden Leberzellen her. 

Von den intramedullären Gefässen zeigen einige den Beginn der Thrombose; sie 
zeigen fast alle eine starke Verdickung und hyaline Umwandlung der Wandungen. 
Die weisse Substanz zeigt keine Sklerose; die periphere Bandzone weist schlechte 
Färbbarkeit der Markscheiden auf, die Axencylinder sind nicht sehr scharf abgegrenzt. 
Die Neurogliazellen sind stark geschwollen. Die Veränderungen entsprachen den von 
Mimick beschriebenen „cachektischen“. Die Zellen der grauen Substanz ober¬ 
halb der Halsanschwellung sind annähernd normal; in der Halsanschwellung zeigen 
viele Zellen Chromatolyse, andere abnorme Zunahme der Pigmenthäufchen. Die 
Protoplasmafortsätze der Ganglienzellen sind korkzieherartig geschlängelt, oft ab¬ 
gebrochen. Die Pericellularräume sind stark erweitert. Im Brust* und oberen 
Lendenmark dieselben Veränderungen; in der Lendenanschwellung sind die Verände¬ 
rungen der Ganglienzellen noch stärker, viele zeigen körnigen Zerfall. Die Ver¬ 
änderungen der Ganglienzellen sind die Folge der durch die Tbrombenbildung ver¬ 
ursachten ungenügenden Blutzufuhr. 

In demselben Bückenmark finden sich zahlreiche Amyloidkörperchen sowohl in 
den Hintersträngen besonders am Eintritt der hinteren Wurzeln, als auch in der 
grauen Substanz, vor allem in den Vorderhörnern der Lendenanschwellung. Es muss 
eine sehr acute Entwickelung derselben stattgefunden haben. Die Amyloidkörperchen 


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bestehen ans einer colloiden Substanz, einem Umwandlungsproduct des Eiweiss, und 
sind nicht mit der Stärke verwandt. Es gelingt dem Verf., eine vollständige Seihe 
von sicheren Uebergangsformen von Leukocyten zu völlig entwickelten Amyloidkörperchen 
festzostellen.. Die letzteren gehen ans Kernen und Zellleibern der Leukocyten und 
vermuthlich auch aus den fixen Gewebszellen durch Anschwellung der Zellen und 
chemische Umwandlung ihrer Substanz hervor. Da von Ströbe die Entstehung der 
Amyloidkörperchen aus Axencylindem bei experimenteller Bflckenmarksdurchschnei- 
düng sicher beobachtet ist, so muss die Möglichkeit eines verschiedenen Ursprungs 
der Amyloidkörperchen festgehalten werden. M. Bothmann (Berlin). 


UL Aus den Gesellschaften. 

Aerstlioher Verein in Hamburg. 

Sitzung vom 17. Mai 1898. 

Boettiger: Ueber Hypochondrie. 

Yortr. nimmt in dem Streite, ob die Hypochondrie nur eine Theilerscheinung 
der Neurasthenie oder eine selbständige psychische Erkrankung sei, den letzteren 
Standpunkt ein. Er betont die Nothwendigkeit, bei dem Versuche, dem Wesen 
psychischer Krankheiten auf den Grund zu kommen, nicht nur klinisch, anschauend 
zu beobachten, sondern vor Allem auch physiologisch, pathologisch-physiologisch. Er 
schickt einige kurze orientirende Bemerkungen Ober die normale Psychophysiologie 
im Sinne der Associationspsychologie voraus. 

Bei der Besprechung der Hypochondrie geht er aus von der von Hitzig in der 
Monographie aber den QuärulantenWahnsinn gegebenen Definition: „Die Hypochondrie 
ist eine auf einer krankhaften Veränderung der Selbstempfindung beruhende Form 
der traurigen Verstimmung, in welcher die Aufmerksamkeit anhaltend oder vorwiegend 
auf die Zustände des eigenen Körpers oder Geistes gerichtet ist/ 4 Er theilt die 
Krankengeschichten mehrerer besonders reiner, uncomplicirter Fälle von Hypochondrie 
mit; in der einen Gruppe derselben betrifft die veränderte Selbstempfindung vor¬ 
wiegend den geistigen Antheil der Persönlichkeit: die Kranken klagen, dass sie sich 
wie leblos Vorkommen, wie aufgezogene Maschinen, wie Schatten, wie eine Figur aus 
dem Panopticum u. s. w., dass sie geistig nicht hören, sehen u. s. w. können, ob¬ 
wohl sie eigentlich sich ganz gut unterhalten könnten; aber wenn sie sprächen, sei 
es ihnen so, als ob sie selbst von dem nichts wfissten, was sie reden. Zugleich 
bestehen bei diesen Kranken häufig Symptome von veränderter Empfindung der 
Aussenwelt, es kommt ihnen alles, die Stimmen und Gesichter der Menschen, die 
Häuser, Bäume u. s. w. anders vor. Alle diese veränderten Empfindungen drängen 
sich den Kranken zwangsmässig auf (Zwangsempfindungsirresein) und zwängen 
sich in alle Ideeenassociationen hinein, so dass die Vorstellungen eine einseitige 
Bichtung annehmen. Ausserdem pflegt die Beproduction von Vorstellungen eine 
nebelhaft veränderte zu sein. 

Ein im Princip gleichartiges, in der Erscheinungsweise aber sehr differentes 
Krankheitsbild bieten diejenigen Hypochonder, bei denen die veränderte Selbst¬ 
empfindung vorwiegend den körperlichen Antheil der Persönlichkeit betrifft. Auch 
für diese Form führt Vortr. einige Beispiele an. 

Bei allen Hypochondern sind die veränderten Selbstempfindungen und dement¬ 
sprechenden Vorstellungen mehr oder weniger fest flxirte und wenig veränderliche. 


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Inhaltlich gehen sie nicht Aber das psychisch Mögliche hinaus. Ans ihren Empfin¬ 
dungen in erster Linie resnltirt ihr charakteristisches Benehmen. 

Was bei Neurasthenikern gewöhnlich als Hypochondrie bezeichnet wird, sind 
Erscheinungen von Nosophobie, doch kann sich gar nicht so selten zur Neurasthenie 
echte Hypochondrie hinzogesellen. Gleichwohl sind beide Krankheiten ihrem Wesen 
nach durchaus zu trennen. 

Vortr. bezeichnet als Hypochondrie eine Krankheit, „bei welcher die Empfindungen 
und Vorstellungen des eigenen Körpers und Geistes, sowie die der Aussenwelt illu¬ 
sionär transformirt sind und dabei in ihrer Intensität erhöht oder vermindert er¬ 
scheinen. Begleitet sind dieselben von negativen Gefühlstönen. Diese veränderte 
Selbstempfindung und Empfindung der Aussenwelt entsteht entweder primär durch 
krankhafte functionelle Vorgänge in cerebro, in der Hirnrinde, oder secundär ebenda 
nach irgend welchen abnormen peripheren Sensationen. Die veränderte Selbst¬ 
empfindung führt, in Folge ihrer dominirenden Stellung unter den Empfindungen des 
Kranken überhaupt, zu zwangBmässiger Richtung des Vorstellungsinhalts auf das 
eigene Ich und unter Vernachlässigung anderer, vorher geläufig gewesener Vorstellungs¬ 
reihen, zu abnormer Vorstellnngsarmuth. In Folge Einfügung dieser dominirenden 
Empfindungen und Vorstellungen in alle Ideeenassociationen des Kranken wird auch 
auf diese die negative Gefühlsbetonung übertragen und anch die nicht direct hypo¬ 
chondrischen Vorstellungen und Wahrnehmungen verbinden sich mit Unlustempfin¬ 
dungen." 

Vortr. bespricht sodann als besondere Varianten und schwerere Formen der Hypo¬ 
chondrie 1. die melancholische Hypochondrie, charakterisirt durch Hinzutreten 
des Kleinheitswahns, der Selbstanklagen von Selbstverschulden oder Verdienen der 
Krankheit, der Angst und Suicidgedanken. Und 2. die schwachsinnige Hypo¬ 
chondrie, charakterisirt dadurch, dass die hypochondrischen Vorstellungen ins Un¬ 
geheuerliche, physisch Unmögliche wachsen. Die Unterschiede gegenüber den ganz 
anderen Krankheitsgruppen angehörenden hypochondrischen Formen der Dementia 
paralytica und Paranoia werden kurz skizzirt. 

Vortr. schliesst mit einigen Bemerkungen zur Prognose und Therapie der 
Hypochondrie. 

Discussion: 

Saenger schliesst sich im grossen und ganzen der Ansicht des Vortr. an, 
indem auch er der Hypochondrie eine gesonderte Stellung einräumt. Jedoch neigt 
er mehr der Ansicht Binswanger’s zu, dass die Hypochondrie auf dem Boden der 
Neurasthenie erwachse und nur eine Weiterentwickelung des Nervenleidens nach 
der psychischen Seite hin darstelle. 

Eine so scharfe Trennung und so einfache Definition wie Vortr. sie bei den 
functionell nervösen Erkrankungen der Neurasthenie, Hysterie und Hypochondrie vor¬ 
nimmt, entspricht nach seiner Meinung nicht den klinischen Thatsachen. Ungemein 
häufig beobachtet man sowohl Neurasthenie, wie Hysterie combinirt mit echt hypo¬ 
chondrischen Vorstellungen. S. theilt als Beispiel einen derartigen Fall mit, und 
fügt hinzu, dass der vom Vortr. mitgetheilte Fall von Hypochondrie, in welchem die 
Patientin von der Vorstellung befallen ist, gravide zu sein, ein Vorkommniss enthält, 
das speciell bei Hysterischen sehr oft beobachtet wird. 

Was nun die Auffassung der Hysterie von Seiten des Vortr. betrifft, so habe 
8. des öfteren darauf hinzuweisen Gelegenheit gehabt, dass er mit ihm nicht über- 
einstimme, dass Alles in der Hysterie, speciell auch die Stigmata, auf Vorstellungen 
basirt sei. S. fragt den Vortr., ob er das Verhältniss der Hypochondrie zur Hysterie 
absichtlich kurz behandelt habe. Gäbe es doch anerkannte Psychiater, welche die 
meisten als hypochondrisch bezeichneten Beschwerden als hysterische bezeichnen. 
Weiterhin befragt S. den Vortr. nach seinen Erfahrungen über das Vorkommen hypo- 

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chondrischer Krämpfe und Lähmungen, speciell der Astasie und Abasie, nnd wie er 
dieselben von der hysterischen Form unterscheidet. (Autorreferat) 

Wollenberg tritt gleichfalls fflr die nosologische Selbständigkeit der Hypo¬ 
chondrie ein, pflichtet aber Herrn Saenger insofern bei, als auch er die Abgrenzung 
zwischen Hypochondrie einerseits, Hysterie und Neurasthenie andererseits nicht immer 
fflr so scharf hält, wie man es nach den Ausführungen des Vortr. annehmen könnte. 
Jedenfalls seien die Bestrebungen des Vortr., in dieser Hinsicht grössere Klarheit zu 
verschaffen, sehr dankenswerth. — Die motorischen Störungen der Hypochonder, auf 
die der Vortr. nicht eingegangen sei, lassen sich von ähnlichen Erscheinungen bei 
Hysterischen häufig dadurch unterscheiden, dass jene von den Kranken selbst aus 
ihren hypochondrischen Empfindungen erklärt, bewusst von diesen abgeleitet werden. 

(Autorreferat.) 

Boettiger (Schlusswort) scbliesst sich bezüglich des Unterschiedes zwischen 
hysterischen und hypochondrischen motorischen Störungen der Ansicht des Herrn 
Wollenberg an. Herrn Saenger gegenüber berichtigt er, dass er keineswegs je 
' behauptet habe, dass Alles, was durch Vorstellungen bedingt sei, hysterisch sei. Er 
verweist auf seine diesbezüglichen früheren Erörterungen. Allerdings steht er durchaus 
auf dem Standpunkte von Moebius und Bruns, dass alle wirklich ihrem Wesen 
nach hysterischen Symptome imitirbar seien. Den Standpunkt einzelner Psychiater 
(z. B. Sommer), welche die meisten als hypochondrisch bezeichneten Beschwerden als 
hysterisch bezeichnen, hält er für verkehrt und verwirrend. Die Schwierigkeit der 
Unterscheidung von Neurasthenie, Hysterie und Hypochondrie in vielen Fällen erkenne 
er ebenso wie Herr Saenger an; die Auswahl der heute citirten, besonders extremen, 
aber auch darum um so klareren Fällen sei aus didactischen Gründen erfolgt. 

Dr. Boettiger. 


Biologische Abtheilung des ftrstliohen Vereins zu Hamburg. 

Sitzung vom 7. Juni 1898. 

Nonne stellt ein fast 2 Jahre altes Kind vor, welches von der Geburt an 
die Zeichen einer rechtsseitigen Faoialislähmung bot; die Geburt war in 
normaler Schädellage, leicht und ohne Kunsthülfe verlaufen, die Schiefheit des Ge¬ 
sichts wurde gleich nach der Geburt beim ersten Schreien bemerkt. Syphilis und 
Potatorium der Eltern war auszuschliessen; in der rechten Parotisgegend war keine 
Anomalie zu fühlen; das Kind hörte — wie eine ein wöchentliche Beobachtung im 
Krankenhaus auf der Abtheilung des Vortr. ergab — offenbar beiderseits normal, 
der otoskopische Befund — Herr Thost — war beiderseits normal. Irgend eine 
sonstige Gehirnnerrenlähmung lag nicht vor, speciell war auch das Oculomotorius- 
gebiet absolut frei; geistig und körperlich war das Kind im Uebrigen normal, Zeichen 
von Hemmungsbildungen bot dasselbe nicht. 

Während im Stirn-, Augen- und Wangenantheil die elektrische Erregbarkeit für 
beide Stromesarten aufgehoben war, Hessen sich im M. quadratus menti und M. or- 
bicularis oris rechterseits noch schwache Contractionen bei starken Strömen erzielen; 
Contracturzustände in den gelähmten Muskeln fehlten. 

Vortr. reiht diesen Fall demjenigen von Fr. Schultze und von Bernhardt an; 
er spricht sich für eine Kemläsion im vorliegenden Falle aus und recurrirt auf die 
Moebius’schen Anschauungen über den infantilen Kemschwund. 

Auf eine Anfrage des Herrn Fraenkel bemerkt Vortr. noch, dass Moebius u.A. 
nncleare Processe, congenitale Defecte von Ganglienzellen annehmen. Der klinische 
Befund spricht dafür, weil nicht alle Fasern des Facialis ergriffen sind. Anatomisch 
ist dieses noch nicht bewiesen; auch ein Fall von Bernhardt, der zur anatomischen 

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Untersuchung — Kronthal — kam, wird von B. selbst in seiner letzten Bearbeitung 
dieses Themas — „Die Erkrankungen der peripherischen Nerven“ — als nicht be¬ 
weisend bezeichnet. 

Die Prognose, nach der Herr Fraenkel fragt, bezeichnet Vortr. als schlecht. 

Sitzung vom 21. Juni 1898. 

Saenger demonstrirt einen intramedullären Rückenmarkstumor (Gliom), 
der sich vom unteren Brustmark bis zum Conus medullaris erstreckt, das Rückenmark 
ganz durchwachsen und auf etwa das Doppelte verdickt hat. Im mittleren Brustmark 
befand sich ein etwa haselnussgrosser zweiter Oeschwulstknoteu. Die Wurzeln und 
Nerven8tämme im Bereich des Lendenmarks erschienen in Folge der hochgradigen 
Volumzunahme desselben ganz abgeplattet. 

Die 30jährige Frau kam am 7. November 1897 in die Sprechstunde und 
klagte über Schwäche im rechten Bein seit der Geburt ihres jüngsten Kindes 
(August 1896). In letzter Zeit hatte sie Nachts Schmerzen vom Rücken ausgehend 
bis zu den Knieen. Im rechten Fuss taubes Gefühl. Stehen und Gehen erschwert; 
Hie und da Blasen* und Mastdarmschwäche. 

Die Untersuchung ergab Abschwächung der Hüftheber, speciell rechts, ferner 
etwas in Beziehung auf die Streckung und Beugung des rechten Unterschenkels und 
endlich eine gewisse Schwäche in beiden Peronealgebieten. 

Die Patellarsehnen* und Achillesreflexe fehlten. Im Bereich des N. cutan. later., 
des Crnralis und Peron. superf. Sensibilitätsstörungen. Keine Dissociation der Ern* 
pfindungen. Tast-, Schmerz* und Temperaturempflndung in gleicher Weise afficirt 
Patientin ging unsicher, breitspurig und schleuderte etwas das rechte Bein, dessen 
Fussspitze manchmal den Boden berührte. Keine Spannungen. . 

Nach verordneter Ruhe und Seesalzbädern trat eine so auffallende Besserung 
ein, dass die anfängliche Diagnose eines myelitischen Processes unbekannter Natur 
aufgegeben wurde. 

* Das Gehen war viel besser geworden. Wasserlassen und Kothentleerung ohne 
Beschwerden. Patientin war ganz schmerzfrei. 

Da die elektrische Untersuchung im rechten Crnralis und Peroneus qualitative 
Veränderungen ergeben, so neigte Vortr. zur Annahme einer puerperalen Neuritis, 
welcher Diagnose sich ein competenter Berliner College anschloss. 

Patientin wurde im December 1897 wieder gravide. Die im Januar eintretende 
Verschlechterung (im Gehen, Urinentleerung; dagegen keine Schmerzen, wohl aber 
Parästhesieen in den Händen und Beinen) wurde auf die erneute Gravidität bezogen. 
Bis einige Wochen vor ihrem plötzlichen Ende ging Patientin mit einem Stock allein 
im Zimmer umher. Der Tod trat ganz unerwartet unter den Erscheinungen einer 
Herzparalyse ein (Brustsection wurde nicht gestattet). In der allerletzten Zeit konnte 
Patientin nicht mehr gehen; die unteren Extremitäten waren stark geschwollen. 
Patientin klagte etwas über Kreuzschmerzen und fühlte nicht mehr die Entleerung, 
dagegen konnte sie den Urin halten. 

Vortr. hebt hervor, dass in diesem Falle die lange andauernde Besserung, und 
die relative Geringfügigkeit der Symptome, und das Auftreten derselben im Puerperium 
die Stellung der richtigen Diagnose erschwert, ja beinahe unmöglich gemacht hat. 

Des weiteren berichtet Vortr. unter gleichzeitiger Demonstration des anatomischen 
Präparates über einen richtig diagnosticirten Hirnabscess im rechten Oooipital* 
lappen, der jedoch bei der Trepanation nicht eröffnet worden war. 

Ein 28 jähriger Arbeiter M., der früher wegen Alkoholismus und Delirium im 
Krankenhaus gewesen war, kam im Mai d. J. wegen heftiger Kopfschmerzen, Schwindels 
und Erbrechen auf die Abtheilung des Herrn Oberarzt Dr. Jollasse. 

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Im Mai 1897 Otitis media dupl. Im October Hammer-Ambossextraction rechts. 

Im December heftige, Tag und Nacht andauernde Kopfschmerzen rechts in der' Stirn¬ 
gegend. Auf Antipyrin, Eisblase, Ohrausspfllungen Besserung. 

Vortr. sah den Fat. am 12. Mai 1898. Derselbe war etwas benommen. 

Der linke Mundfacialis erschien etwas schwächer innervirt. Kraft des linken 
Armes und linken Beines etwas herabgesetzt. Bei Beklopfung des Vorderarmes zur 
Auslösung des Reflexes tritt rythmischer Tremor des Armes und der Hand auf. Am 
linken Ober- und Unterarm Herabsetzung der Sensibilität, besonders der Schmerz¬ 
empfindung. Keine Störung des stereognostischen und des Lagegefühls in der linken 
Hand. Der Qang ist schwankend. Bomberg’sches Phänomen. Beide Pupillen 
eng, gleich, reagiren direct und indirect gut auf Licht Beiderseits temporale Ab¬ 
blassung beider Papillen. 

Bei Beklopfen der rechten Stirn- und Schläfengegend äussert Pat. intensiven 
Schmerz; nicht über dem Hinterhaupt. Puls 48. Keine Temperatursteigerung. 

Trotz der Benommenheit gelang es dem Vortr. nun durch mehrfache Untersuchungen 
nachzuweisen, dass eine homonyme linksseitige Hemianopsie bestand und daher wurde 
der Hirnabscess in das Mark des Occipitallappens localisirt. Die klinischen Er¬ 
scheinungen wurden als indirecte Herdsymptome des hinteren Abschnitts der inneren 
Kapsel gedeutet. 

Vortr. schlug die Trepanation vor, die sofort ausgeführt wurde. Trotz viel¬ 
facher Punctionen wurde der Abscess nicht gefunden. Nach 7 Tagen Exitus. Die 
Autopsie ergab einen alten Abscess an der diagnosticirten Stelle. Der Abscess hatte 
eine so dicke, feste Wand, dass die Punctionsnadel wahrscheinlich abgeglitten war. 

Nonne berichtet, dass er 2 Tage später als Sänger ebenfalls — im Neuen 
allgemeinen Krankenhause — einen jener seltenen Fälle von myelogenem Tumor 
secirt habe. 

Der Fall betraf ein 16jähriges Mädchen, bei der Syphilis nach Anamnese und 
negativem objectivem Befund auszuschliessen war. Es bestand durchaus keine tuber- 
culöae Belastung und auch die oft wiederholte Untersuchung ergab an den Organen 
der Kranken keinen Anhalt für die Annahme eines tuberculösen Processes. Pat 
erkrankte ca. 3 Wochen vor ihrer Aufnahme in’s Krankenhaus in subacuter Weise 
an Paraplegie der unteren Extremitäten mit geringen ausstrahlenden 
Schmerzen in denselben; dann stellte sich bald eine Sphincterenschwäche sowie Ab¬ 
nahme der Sensibilität für alle Qualitäten ein. Die zunächst spastische Lähmung 
ging in eine schlaffe über, die Sensibilitätsstörung wurde eine complete, unter Zu¬ 
nahme der Sphincterenlähmung. Die obere Grenze der Gefühlsstörung, zuerst in der Höbe 
der Mamilla gelegen, ascendirte dann; es stellte sich dann eine motorische Schwäche 
der Finger, der Hände, der Ellbogen und der Schultern ein. Die Sensibilitätsstörung 
war eine Zeit lang auf das Ulnarisgebiet beiderseits beschränkt, dabei stellte sich 
eine Anisocorie und Trägheit der Lichtreaction der rechten Pupille ein. Mit Zu- \ 
nähme der motorischen Lähmung wurde auch die Sensibilitätsstörung an den oberen 
Extremitäten eine totale und complete; die Sehnenreflexe schwanden auch hier, ebenso 
wie sie an den unteren Extremitäten total aufgehoben waren. Muskel¬ 
atrophie und starke quantitative Herabsetzung der elektrischen Erregbarkeit trat ein. 

Nur hier und da hatte Pat. über mässig starke ausstrahlende Schmerzen im Nacken 
und in den Armen geklagt; hingegen stellte sich jetzt eine hochgradige Empfind¬ 
lichkeit der Nackenwirbelsänle ein, so dass Pat. ängstlich jede Bewegung des Kopfes 
vermied. 

Im weiteren Verlauf des — ganz oder fast ganz fieberlosen — Falles kam es 
dann zu bulbären Erscheinungen: Schluck- und Kaustörungen, Parästhesieen und 
Schmerzen im Gesicht mit objectiven Hypästhesieen, Facialisparesen, Parese des linken 
N. abducens. Den Schluss bildeten durch ca. 8 Tage hindurch protrahirte Respi- 

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rations- und Pulsstörungen von bulbärem Charakter. 3 Wochen ante mortem wurde 
noch eine doppelseitige Stauungspapille mit Hämorrhagieen constatirt 

Die Diagnose lautete als Wahrscheinlichkeitsdiagnose: Myelitis ascendens; man 
nahm an, dass es sich um ein — wahrscheinlich tuberculöses — Exsudat der Pia 
mater handele, welches das Bückenmark zunächst comprimirt und dann zerstört habe, 
und dass sich dann eine specifisch-tuberculöse Erkrankung des Markes hieran an¬ 
geschlossen habe. Die bulbären Erscheinungen, im Verein mit der Stauungspapille, 
wurden als der Ausdruck eines Tuberkels aufgefasst, der sich in der Medulla oblon- 
gata entwickelt habe, andererseits die Möglichkeit eines langsam sich entwickelnden 
basalen Exsudats offen gehalten. Eine Tumorbildung war für höchst unwahrscheinlich 
erklärt worden, weil der Process, entgegen dem gewöhnlichen Verlaufe der intra¬ 
medullären Tumoren, hier ascendirt war und weil der Verlauf ein fast schmerzloser 
gewesen war. Es wurde aber betont, dass zwei Momente, das Fehlen jeglicher nach¬ 
weisbaren Tuberculose am Körper und in der Familie der Kranken sowie die Stauungs¬ 
papille die „Tumornatur“ des ganzen Falles nicht ausschliessen lasse. 

Die Obduction ergab, dass es sich um einen nach der makroskopischen Beurthei- 
Jung vom obersten Halsmark bis in das 10. Dorsalsegment hineinreichenden intra¬ 
medullären Tumor handelte; das Halsmark war unförmlich anfgetrieben, der ganze 
Querschnitt zerstört — die mikroskopische Untersuchung konnte noch nicht vor¬ 
genommen werden —, in der Mitte des Tumors, dessen frische Untersuchung Spindel¬ 
zellen ergab, zeigte sich im Halsmark eine quergestellte Höhle, welche vom obersten 
Dorsalmark abwärts nicht mehr zu constatiren war. Das Lendenmark erschien 
makroskopisch intact. Die frische Untersuchung eines Muskelastes vom N. cruralis 
und eines Stückchens aus dem M. quadriceps (rechterseits) ergab keine integrirenden 
Anomalieen. 

Ueber das oberste Cervicalmark hinaus ragte der Tumor, sich conisch ab¬ 
stumpfend und gegen das erweichte Mark gut abgegrenzt, noch ca. 1 cm in die 
Medulla oblongata hinein. 

Vortr. betont den für einen myelogenen Tumor ungewöhnlichen Verlauf dieses 
Falles — wie oben bereits dargelegt —; ferner scheine, die mikroskopische Be¬ 
stätigung der totalen Querschnittsunterbrechung des Halsmarks vorausgesetzt, dieser 
Fall die Richtigkeit der Bastian-Bruns’schen Lehre von der Aufhebung der 
Sehnenreflexe der Extremitäten durch eine totale Querschnittsunterbrechung des 
Halsmarks zu bestätigen. 

Liebrecht fragt, wie das Qehirn sich in N.’s Fall verhalten habe. 

Nonne antwortet, dass am Gehirn ausser einer Erweiterung der Ventrikel keine 
Anomalie gefunden wurde, ebenso sei das Kleinhirn makroskopisch intact gewesen. 

Deutschmann fragt Sänger, ob in seinem Fall keine Stauungspapille be¬ 
standen habe. 

Sänger erwidert, dass keine Stauungspapille vorhanden war und fügt hinzu, 
dass er Gegner der Deutschmann’schen Theorie der Stauungspapille ist, und stützt 
seine Ansicht auf die Erfahrung der letzten Jahre, wo im alten Allgemeinen Kranken¬ 
hause bei einer ganzen Reihe von Hirntumoren eine Stauungspapille vermisst wurde. 
Nach seiner Ansicht ist die Theorie der Stauungspapille absolut noch nicht gelöst, 
wahrscheinlich spielen individuelle Verschiedenheiten im Canalis opticus eine grosse 
Rolle beim Zustandekommen der Stauungspapille. 

Zu dem zweiten Falle Sänger’s bemerkt Nonne, dass er sich eines analogen 
Falles aus dem Jahre 1888 entsinne; Eisenlohr habe bei einem Bronchiektatiker 
einen Abscess in’s Acmcentrum localisirt; Schede fand damals bei der Trepanation 
keinen Abscess, und die Obduction ergab, dass die Punktionsnadel sich vergebens 
bemüht hatte, die sehr dicke Membran des Abscesses zu durchdringen; in der Litte- 
ratur wird dies Vorkommniss auch von allen erfahrenen Autoren betont Nonne 


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hat in den letzten sechs Fällen von — durch die Obduction bestätigtem — Hirn* 
tumor niemals Pulsverlangsamung gesehen, so dass er nach seinen persönlichen Er¬ 
fahrungen — auch Oppenheim betone dies in seiner Monographie Ober Hirn¬ 
tumoren — das Fehlen von Pulsverlangsamung, entgegen der gewöhnlichen Dar¬ 
stellung der Schule, für etwas durchaus nicht Ungewöhnliches halten müsse. 

Hüter: Ueber Carcinom-Metastasen des peripheren Nervensystems. 

Bei einer Frau mit ausgedehnter Metastasirung eines Mammacardnoms fand 
Vortr. ausser Metastasen in der Leber das periportale Bindegewebe von Krebs dicht 
infiltrirt. Die hier zum Leberhilus führenden, dem Yagus und Sympathicus ent¬ 
stammenden Nerven waren in grosser Ausdehnung von dem Carcinom in Mitleiden¬ 
schaft gezogen. Die Invasion der Nerven durch das Carcinom geht in typischer 
Weise so vor sich, dass zuerst die in das Bindegewebe des Epineuriums eingedrungenen 
Krebszellen an einer Stelle das Perineurium durchbrechen. Ist dieser Durchbruch 
erfolgt, so drängen sie die Nervenfasern zur Seite und breiten sich zwischen Peri¬ 
neurium und Fasennasse in Form eines Halbmondes oder eines Ringes aus. Die 
Nerven erscheinen daher sowohl auf dem Querschnitt wie auf dem Längsschnitt von 
einem dicken Mantel von Geschwulstgewebe umgeben. Das Wachsthum der Krebs¬ 
zellen innerhalb des Perineuriums kann offenbar dem Verlaufe des Nerven folgend 
auf grössere Strecken hin stattfinden. Möglicherweise kann auch ein Durchbruch der 
Geschwulst von innen nach aussen, durch das Perineurium in umgekehrter Richtung 
erfolgen. Im weiteren Verlaufe dringen die Krebszellen weiter centralwärts vor, 
indem sie Anfangs die Bindegewebsfasern des Endoneuriums aus einander drängen, 
später aber auch in Form von Zapfen sich zwischen die einzelnen Fasern schieben. 
Hierbei können die Fasern in grosser Ausdehnung zerstört werden und durch Atrophie 
zu Grunde gehen. Specifische Färbungen der nackten Axencylinder, um die etwa 
eingetretenen Degenerationserscheinungen zu zeigen, gelangen nicht. Ob auch durch 
die Capillaren des Endoneuriums eine metastatische Verschleppung von Geschwulst- 
keimen stattfinden kann, konnte nicht unterschieden werden. 

Simmonds hat bei einem an Magenkrebs und Metastasen verstorbenen Indivi¬ 
duum ähnliche Beobachtungen gemacht wie Hüter. Im Gewebe vom Leberhilus 
fand er zahlreiche Querschnitte markloser Nerven, die kreis- und sichelförmig von 
einer schmalen Krebsschiebt umhüllt waren, so dass es vielfach den Eindruck machte, 
dass gerade die Nerven den Weg für die Fortwucherung der Neubildung gebahnt 
hätten. Auch mitten im Nerven fanden sich Krebsschläuche vereinzelt oder in 
grösseren Anhäufungen. An markhaltigen Nerven hat S. Aehnliches nicht gesehen 
und speciell bei Untersuchungen der Achsel- und Halsnerven bei Brustdrüsen-, Rachen- 
und Speiseröhrenkrebs fand er niemals Metastasen in Nerven, sondern nur eine Zer¬ 
störung derselben durch das umwuchernde Krebsgewebe. 

Nonne berichtet, dass er bei seinem Material nur zwei Mal wirklich metastatische 
maligne Tumoren im peripheren Nervensystem gesehen habe, und zwar handelte es 
sich ein Mal um multiple kleine Melanosarcome in der Cauda equina bei einem Fall 
von generalisirter Melanosarcomatose, deren primärer Sitz in der Chorioidea war, im 
anderen Fall wieder um multiple Sarcome in der Cauda equina bei primärem Sitz 
des Sarcoms im einen Hoden. 

N. hat im „Vereins-Hospital“ 1893 und. 1894 3 Fälle von ausgedehnten Becken- 
sarcomen gesehen, die alle drei unter dem Bilde einer schweren und hartnäckigen 
Ischias auftraten und die bis zuletzt keine eigentlich neuritischen Symptome geboten 
batten, trotzdem die Umwucherung der Nn. ischiadici sich bei der anatomischen 
Untersuchung als eine sehr innige erwies. Die mikroskopische Untersuchung dieser 
drei Fälle zeigte auch die Unversehrtheit der Nervenfasern selbst. Für die Sarcome 
der peripheren Nerven sah N. hierdurch also nur bestätigt, was überhaupt für die 


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Tumoren der peripheren Nerven als Erfahrungstatsache gilt, dass sie die Nerven¬ 
fasern selbst auffallend lange schonen; dieselbe Erfahrung wurde auch betreffs der 
hinteren Bückenmarkswurzeln bei den von der Pia mater ausgebenden Sarcömen — 
zuletzt von Nonne, A. Westphal, Schlesinger — gemacht. 

Sänger schliesst sich den Ausführungen von Nonne an, dass die Sarcome 
sehr selten in die Nerven hineinwüchsen. So habe er in dem Kümmell'schen Falle 
(siehe Bruns, „Die Geschwülste des Nervensystems“ S. 347), bei dem er den Sitz 
des Sarcoms der Wirbelsäule localisirt hatte, das sich zuerst durch Intercostal- 
Neuralgieen angezeigt hatte, die betreffenden durch die Sarcommassen durchtretenden 
Nerven untersucht und dieselben in der Substanz frei von Geschwulstmassen gefunden. 


Sitzung vom 28. Juni 1898. 

Jaffö und Saenger stellten zwei Zwillingsknaben im Alter von 
4 Jahren vor. 

Beide sind ohne Kunsthülfe rechtzeitig geboren und in keiner Weise belastet. 
Während nun der eine Knabe sich normal entwickelte, blieb der andere seit seinem 
6. Lebensmonat im Wachsthum und in seiner geistigen Entwickelung sehr zurück. 
Die Wachsthumsstörung wurde von verschiedenen Aerzten als Rhachitis angesehen 
und dementsprechend behandelt. 

Als S. dies Kind sah, stellte er die Diagnose auf infantiles Myxödem, und 
zwar auf Grund der hochgradigen Wachsthumsstörung, der äusserst mangelhaften 
geistigen Entwickelung und der Beschaffenheit der Haut Letztere war trocken, 
hart und verdickt. Die Lippen waren, wulstig, die Zunge gross, der Leib auf¬ 
getrieben. Es bestand eine Nabelhemie. S. schlug dem Hausarzte J. die Schild¬ 
drüsenbehandlung vor, die derselbe acceptirte. 

Der Erfolg war ein ganz eclatanter und schon nach 8 Tagen bemerkbar. 

Jetzt nach 3 Monaten ist der Knabe wie umgewandelt. Während er früher 
ganz stupide und apathisch war, ist er jetzt lebhaft und nimmt Theil an den Ver¬ 
gnügungen in seiner Umgebung. Er fängt jetzt an zu sprechen und allein zu gehen. 
Die Haut hat gegenwärtig eine normale Beschaffenheit. 

Während er zuerst zwei Tabletten (B. u. W. u. C.) bekommen hatte, erhält er 
jetzt nur eine pro die. 

Eine störende Einwirkung der Thyreoidinbehandlung war bis jetzt nicht zu 
constatiren. 

Grisson stellt im Verein mit Saenger ein junges Mädchen vor, welches lange 
Zeit an doppelseitiger Ohreiterung litt. 

Auf dem linken Ohr wurde im vorigen Jahre die Radicaloperation durch Auf- 
meisselung des Warzenfortsatzes und Entfernung der cariösen Stellen vorgenommen. 
Damals schon wurde von dem Operateur wegen heftiger Kopfschmerzen ein Hirn- 
abscess vermutheh Es wurden mehrere vergebliche Punctionen in den Schläfenlappen 
gemacht Die Kopfschmerzen steigerten sich, und es traten Zuckungen in der rechten 
Körperhälfte auf. • 

Die von S. vorgenommene Untersuchung ergab ausser einer grossen Schmerz¬ 
empfindlichkeit der linken Schädelhälfte, speciell des linken Scheitelbeins, das Be¬ 
stehen von clonischen Zuckungen im rechten Arm, Bein und rechten Mundwinkel; 
ferner eine Herabsetzung der Sensibilität in der rechten oberen Extremität ohne 
Störung des Lagegefühls und des stereognostischen Vermögens. Ganz. auffallend war 
eine ausgeprägte Sensibilitätsstörung im 2. und 3. Quintusast. Ausser einer gering¬ 
fügigen Parese im rechten Arm und einer leichten Ataxie der rechten oberen und 
unteren Extremität war nichts nachweisbar afücirt. 


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Wegen der Unerträglichkeit der Kopfschmenen rieth 8., da er einen Abeceea 
entweder in der hinteren Central Windung oder in der Tiefe des Schläfenlappens, and 
zwar gegen die Basis zn vermuthete, zur Trepanation, die Q. ans führte, and zwar 
so, dass die beiden Stellen von der Trepanationsöffnung aas zugänglich waren. 

In der hinteren Centralwindang, dicht unter der Binde, fand sich eine Cyste, 
ans der bei der Eröffnung etwa ein Esslöffel serohämorrhagische Flüssigkeit sich 
ergoss. 

Der Erfolg der Operation war zufriedenstellend. Die Zuckungen und die 
Schmerzen sind jetzt gänzlich geschwunden. Die Operationswnnde verheilte per 
primam. Nonne (Hamburg). 


IV. Vermischtes. 

Einladung zur Jahressitzung des Vereins der deutsohen Irrenärzte za Bonn 

am 16. und 17. September 1898. 

Tagesordnung: 

1. Geschäftliche Mittheilungen. 2. Antrag des Vorstandes: a) Die Jahressitming 
weiterhin regelmässig im Frühjahr abzuhalten and zwar in der Woche nach Ostern, b) Als 
Versammlungsort mehrere Städte zu bestimmen, in welchen in regelmässigem Turnus die 
JahresBitzungen abgehalten werden. Vorgescblagen werden zunächst Berlin, Frankfurt a./M. 
und München. 3. Die Anwendung der Hydrotherapie und Balneotherapie bei psychischen 
Krankheiten. Bef.: Prof. Dr. Thomson (Bonn). 4. Die Zurechnungsfähigkeit der Hyste¬ 
rischen. Bef.: Prof. Dr. Fürstner (Strassburg). 5. Ueber Markscheidenentwickelung des 
Gehirns und ihre Bedeutung für die Localisation. Bef. Prof. Dr. Siemerling (Tübingen). 

Angemeldete Vorträge: 

Geheimrath Dr. Oebecke (Bonn): Das rheinische Irrenwesen. — Dr. E. Trömmer 
(Berlin): Zur pathologischen Anatomie des Delirium tremens. — Docent Dr. Schnitze 
(Bonn): Beitrag zur Lehre von den pathologischen Bewusstseinsstörungen. — Docent Dr. 
NiBsl (Heidelberg): Die Verwerthung des anatomischen Materials in Irrenanstalten. — 
Director Dr. Sioli (Frankfurt a./M.): Die Fürsorge für Geisteskranke in den deutschen 
Grossstädten. — Dr. Lührmann (Dresden): Ueber Stadtasyle. — Dr. O. Vogt (Berlin): 
Zur Psychopathologie der Hysterie. 

16. September, Abends von 8 Uhr ab: Zusammenkunft im „Kaiser Friedrich" in der 
Friedrichstrasse. 

16. September, 9 1 /« Uhr, Sitzung in der Provinzial-Anstalt (Pferdebahn bis zur Heer- 
strasse.) 1—2 Uhr Frühstück, dargeboten von der Verwaltumr der Bheinprovinz. 2 Uhr 
Fortsetzung der Sitzung. 6 Uhr gemeinsames Mittagessen im Hötel Kley. 

17. September, 8—97, Uhr, Besichtigung des klinischen Instituts in der Provinzial- 
Anstalt. 9Uhr Sitzung. 12*/* Uhr Abfahrt mit Schiff naoh Königswinter, gemeinsames 
Mittagessen daselbst Darnach Auffahrt zum Drachenfels. 

Das Local-Comitö haben die Herren Pelman und Oebeke übernommen, für Damen 
die Damen Hertz und Thomson. 

Als Hotels werden empfohlen: Hötel fioyal, Kley, ßheineck am Rhein, in der. Stadt 
Goldener Stern, Bheinischer Hof, letzterer einfacher. 

Der Vorstand: 

Jolly (Berlin). Laehr (Zehlendorf). Pelman (Bonn). Schüle (Ulenau). 
Siemens (Lauenburg i./P.). Fürstner (Strassburg). 


Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten. 

Einsendungen für die ßedaction sind zu richten an Prof. Dr. E. Mendel, 
Berlin, NW. Schiffbauerdamm 20. 

Verlag von Vjut & Comp, in Leipzig. — Druck von Mnzeua & Wime in Leipzig. 

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Neurologisches Centralblatt. 

Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie 
und Therapie des Nervensystems einschliesslich der Geisteskrankheiten. 

Heraasgegeben von 

Professor Dr. E. Mendel 

Siebzehnter " • Jahrgang. 

Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 24 Mark. Zu beziehen durch 
alle Buchhandlungen des ln- und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie 

direct von der Verlagsbuchhandlung. 

1898. 1. September. Nr. 17. 


Inhalt: I. Originalmitthellungen. 1. Zwei Fälle von Hirntumor mit genauer Local- 
diagnose, von Dr. L. Bruns in Hannover. (Schloss folgt) 2. Ueber die elektrische Erregbarkeit 
des N. radialis, von Dr. Karl Gumpertz in Berlin. 3. Ueber die Structur der Spinalganglien¬ 
zellen. Eine Erwiderung, von Dr. Ernst Heimann. 

II. Referate. Anatomie. 1. Studios of the neuroglia, by Eurich. 2. A method of 
examining fresh nerv cells; with notes concerning their structure and the alterations caused 
in them by disease, by Turner. — Experimentelle Physiologie. 3. The cerebral capil- 
lary circulation, by Cappie. 4. Rieerche sperimentali sui processi di embolismo infettante nei 
centri-nervosi e sulla genesi degli ascessi cerebral!, per Fieschi. 5. Sur la Physiologie du 
corps calleux et sur les moyens de recherche pour Pötude de la fonction des ganglions de 
la base, par Monaco- — Pathologische Anatomie. 6. Ueber die Bedeutung des Balken¬ 
mangels im menschlichen Grosshim, von Zingerle. — Pathologie des Nervensystems. 
7. Ueber den Einfluss des Tropenklimas auf das Nervensystem, von Rasch. 8. Ueber Herd¬ 
erkrankungen des Gehirns, welche vom Patienten selbst nicht wahrgenommen werden, von 
Anton. 9. L’evolution du langage, considöree au point de vue Petude de l’aphasie, par Marie. 
10. A case of word — without letter — blindness, by Hlnshelwood. 11. Angeborene psychische 
Taubheit, von Liebmann. 12. 1. Stichverletzung der linken Hemisphäre von der rechten Orbita 
aus. Complete Hemiplegie und Aphasie. Heilung. — II. Intracranielle Blutung nach sub- 
cutaner Schädelfractur der linken Schläfengegend. Exspectative Behandlung. Heilung, von 
Martin. 13. Ein Beitrag zur Pathologie des corticalen Hörcentrums, von Alt. 14. Un cas 
de surdite verbale pure terminee par aphasie sensorielle suivi d’autopsie, par Dejerine et 
Sdrieux. 15. Obergutachten über die Zuverlässigkeit der Angaben eines Aphasischen über 
die Vorgänge bei der seiner Aphasie zu Grunde liegenden Schädelverletzung (Baubmord- 
versuch), von Ziehen. 16. Zur Casuistik der doppelseitigen homonymen Hemianopsie, von 
Manz. 17. Die Phänomene der Gehirncompression, von Adamkiewicz. 18. Ueber die bei 
Hirndruck im Rückenmarke auftretenden Veränderungen, von Hoche. 19. Haematoma sub- 
durale; trepanation, af Köster och Lindh. 20. Trephining for Symptoms of cerebral tumour, 
by Gould. 21. Gliorna of the right frontal lobe of the brain, by Krauss. 22. Un cas de 
gliome ceröbral. Oedöme de la papille. Hömiplegie ganche. Automatisme ambulatoire, 
acces de sommeil. Trepanation, par Devic et Courmont. 23. Zur Diagnose und Therapie 
des Gehirntumors, von Ziehen. 24. Om Röntgens strälar i hjärnkirurgiens tjänst, af Henschen 
och Lennander. 25. Casuistische Beiträge zur Hiruchirurgie und Hirnlocalisation. Erster 
Beitrag von Bonhoeffer. 26. Casuistische Beiträge zur Hirnchirurgie und Hirnlocalisation. 
Zweiter Beitrag von Liepmann. 27. Sul centro psico-motore dei muscoli superiori della faccia, 
per Pugliese. 28. Zur Pathologie der Erkrankungen des Streifenhügels und Linsenkerns, von 
Reichel. 29. A case of dysphagia and dysphasia resulting from a lesion in the internal 
capsule, by Daland. 30. Studio delle vie cerebro-bulbari e cerebro-cerebellari in un caso di 
lesione della calotta del pednncolo cerebrale, per Ceni. 31. Ein Fall von Erkrankung des 
Tractus opticus, Pedunculus cerebri und N. oculomotorius, von Rudnieur. 32. A case of 
tumour of the Pons Varolii, by Handford. 33. Ueber periodische Schwankungen der Pupillen¬ 
weite bei Chevne-Stokes’schem Athmen, von Thiemich. 34. Sur les paraplegies flasques par 
compression de la moelle, par Marinesco. 35. Beiträge zur Klinik der Bückenmarks- und 
Wirbeltumoren, von Schlesinger. — Psychiatrie. 36. Ueber Psychosen bei Carcinom- 

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kachexie, von Elzholz. 37. Augennnterenchongen bei Cretismus, Zwergwuchs und verwandten 
Zuständen, von Hitschmann. 88 . Ueber die urämischen Psychosen, von Blschoff. — Therapie. 
39. Ein Beitrag zur Quincke’schen Lumbalpunction bei hindern, von Cassel. 40. Ueber die 
Lumbalpunotion, von Peters. 

III. Aus den Gesellschaften. Gesellschaft der Neurologen und Irrenärzte zu Moskau. 


I. Originalmittheilungen. 


1. Zwei Fälle von Hirntumor mit genauer Localdiagnose. 

Von Dr. L. Bruns in Hannover. 

Pall I. 

Eundzellensarcom im linken Stimhirn. 

Zn der 40 Jahre alten Tapezierersfrau G. wurde ich am 29. November 1897 
zum ersten Haie gerufen. Es wurde mir erzählt, dass die früher immer gesunde 
Fran seit einiger Zeit an immer zunehmender Schwäche and Benommenheit litte, 
auch am Tage viel schlafe, ja in den letzten Tagen überhaupt nicht mehr vom 
Bette aufgestanden sei. Sie habe im übrigen kaum Klagen gehabt, nur ab und an 
über Kopfweh geklagt Erbrechen sei nie dagewesen, wohl aber Uebelkeit. Auf- 
gefallen war den Angehörigen noch eine Sprachstörung, die darin bestand, dass 
die Pat., bei vollem Wortverständniss, häufig Worte verwechselte; so soll sie 
einmal zu ihrem Schwager gesagt haben: „Du hast ja »Tapete« an der Hose*', 
während sie „Staub“ sagen wollte; nnd ferner eine Ungeschicklichkeit der 
rechten Hand, mit der sie an Gegenständen vorbeigriff. Das Schlucken soll in 
letzter Zeit sehr langsam gegangen sein. 

Ich fand die Pat. sehr benommen und schlafsüchtig. Wenn man sie 
aber energisch ans ihrer Schlafsucht aufrüttelte, fand man, dass sie über alles gut 
orientirt war; mau konnte zugleich feststellen, dass sie die Sprache gut verstand, 
dagegen selber nnr schwer und nur zu ganz kurzen sprachlichen Aeusserungen zu 
bewegen war. Sie ging auf ihr bei der Untersuchung gegebene Aufträge überhaupt 
nur schwer und missmutbig ein; sie behauptet zunächst, die Augen nicht öffnen zu 
können, thut das aber schliesslich doch; ebenso erhebt sie erst nach langem Zureden 
die Arme n. s. w. n. s. w. Es lässt sich feststellen, dass die ganze rechte Seite 
paretisch ist — besonders sind Finger und Hand rechts kaum zn bewegen; an 
Facialis und Zunge ist weniger zu sehen. Am rechten Fass besteht Achillesclonus. 
Pat. lässt unter sich gehen. 

Eine genauere Untersuchung nahm ich am 30./XI. vor. Die Pat. ist viel klarer 
als am Tage vorher, doch muss man sie auch heute immer sehr derb anfassen, 
wenn man von ihr etwas wissen will. Hat man sie aus der Schlafsucht heraus, so 
ist sie klar; versteht und spricht richtig: sie ist aber sehr widerspenstig, benutzt 
jede Gelegenheit am sich wieder umzudrehen und weiter za „schlafen“. Eine eigent¬ 
liche Störung der Intelligenz ist nicht zu constatiren. Eine Parese des rechten 
Facialis konnte ich heute nicht nachweisen, sie soll aber früher deutlich gewesen 
sein; die Zunge geht beim Herausstrecken eine Spur nach rechts. Den rechten 
Ober- und Unterarm kann die Pat. heute gut bewegen; ebenso bewegt sie die rechte 
Hand nnd Finger etwas besser wie gestern, aber ganz kraftlos. Das rechte Bein 
wird gut bewegt, Achillesclonus besteht heute hier nicht; der rechte Patellarreflex 

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ist eher geringer als der linke. Beim Qehen und Stehen besteht keine Ataxie; 
beim Qehen wird aber das rechte Bein etwas nachgeschleppt. Rumpfmuskelschwäche 
ist nicht vorhanden. Kopfschmerzen will sie nicht haben. Sie meldet heute ihre 
Bedürfnisse an. 

Die Pupillen sind eng, reagiren aber auf Licht. Der Augenhintergrund ist 
normal (Dr. Stöltino). 

Die Untersuchung des übrigen Körpers ergiebt nichts besonderes; der Harn ’ 
enthält Epithelien der Blase und der Scheide und in Folge dessen eine Spur von 
Eiweiss. 

Es wird Kali jod. 6,0:200,0 3 Mal täglich 1 Esslöffel verordnet. 

Am l./XII. ist die Pat. noch klarer als am Tage vorher, sie ist allein auf- 
gestanden und ohne Mühe vom Schlafzimmer ins Wohnzimmer gekommen. 
Sie versteht alle Fragen und antwortet meist richtig, passt auch auf das auf, 
was um sie her vorgeht, sie ist aber immer noch zerstreut, weicht gern den Fragen 
aus und wird bei längerem Ausfragen müde und missmuthig. Klar über ihren 
Zustand ist sie nicht. Im spontanen Gespräche — das sich bei ihr übrigens nur 
in allgemeinen Redensarten bewegt — spricht sie kein falsches Wort. Als 
ich ihr aber meine Uhr Vorhalte und frage, was das sei?, sagt sie: 
„Ein Dreimarkstück.“ Sie bleibt auch dabei, wenn ich sie die Uhr be¬ 
fühlen lasse oder wenn sie das Schlagwerk derselben hört; ebenso be¬ 
zeichnet sie weiterhin alle möglichen anderen ihr vorgezeigten Dinge 
mit „Dreimarkstück“. Sie sieht jedenfalls gut und bietet auch sonst keine 
Zeichen von Seelenblindheit; kennt z. B. den Hausarzt und auch seinen Namen. 

Der rechte Arm ist deutlich paretisch: besonders die rechte Hand, 
mit der sie auch unsicher und sehr ungeschickt greift. Die Sehnenreflexe an den 
rechten Extremitäten sind nicht erhöht. Nadelstiche werden empfunden. Das linke 
Stirnbein ist besonders nach der Schläfe zu beim Beklopfen deutlich 
empfindlich. 

Der Urin wird wieder gehalten. 

2. /XII. Heute wieder benommen. Die Lähmung der rechten Hand ist 
stärker, auch Clonus der rechten Achillessehne ist wieder vorhanden. 
Der rechte untere Facialis ist deutlich paretisch, die Zunge weicht 
stark nach rechts ab. Spontan spricht die Pat. kaum, versteht aber 
alles und liest einige Zeilen laut ganz glatt. Das Stirnbein ist bei Be¬ 
klopfen links entschieden empfindlich. Eine genaue Untersuchung der-Ohren 
ergiebt beiderseits normalen Befund. Kein Geräusch am Kopfe zu hören, ebensowenig 
am Herzen, ln der Nacht war sie unruhig, redete verwirrtes Zeug, delirirte auch 
heute Morgen noch. 

3. /XII. Wie gestern. Sehr benommen. Spricht kaum. Auf die Frage: was 
macht der Kopf, sagt sie nach mehrmaliger Wiederholung: „Ach so, der Kopf; ja 
dem geht es schlecht.“ An der rechten Hand ist besonders die Finger¬ 
streckung sehr schlecht, die Beugung besser. Klopfen am linken Stirn¬ 
bein sehr schmerzhaft. 

Am 4./XU. hatte die Benommenheit noch mehr zugenommen, die rechts¬ 
seitige Lähmung war stärker; besonders wich die Zunge enorm nach rechts ab. 
Sonst Status idem. 

6./XII. Heute wieder viel freier, aber immer noch sehr apathisch. Die 
Zunge weicht beim Herausstrecken stark nach rechts ab, der rechte untere Facialis 
functionirt bei echten Intentionsbewegungen — Zähnefletschen — gut; beim 
Lachen bleibt die rechte Gesichtshälfte zurück. Rechte Hand und rechter Fuss 
sind sehr paretisch, kein deutlicher Achillesclonus. Die Pat. versteht 
alles, was man zu ihr spricht; sie spricht auch alles richtig nach, aber 
spontan wenig. Einen vorgehaltenen Hausschlüssel bezeichnet sie richtig, 


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ebenso einen Regenschirm, dann aber nennt sie Löffel und Portemonnaie 
ebenfalls Hausschlüssel. 

9./XII. Wieder sehr viel benommener, enorm schlafsfichtig, gähnt 
immerfort. Lähmung der rechten Seite stärker, kann nicht gehen, hebt 
den rechten Arm nur sehr schwach. Lässt den Urin wieder unter sich. 

Am 13./XII. war auch rechts wieder deutlicher Achillesclonus aus¬ 
zulösen. 

Am 17./XII. war die Psyche wieder freier. Die Pat. macht die Augen 
auf, spricht spontan. Rechts Achillesclonus. Ich constatirte am linken Auge eine 
sehr stark gefüllte und geschlängelte, horizontal verlaufende Vene — 
rechter Augenhintergrund normal. 

Am 22./XII. untersuchte Augenarzt Dr. Stölttng die Pat. wieder. Er fand: 
links ausgesprochene Neuritis optica, Grenzen des Sehnerven ganz verwaschen, 
Schwellung mässig. Radiäre Blutungen um die Papille, auch einige Verfettungs¬ 
herde. Peripherie davon frei. Rechts beginnende Neuritis optica ohne irgend nam¬ 
hafte Schwellung; aber auch hier die Grenzen des Opticus verwaschen. Keine 
Blutungen. Am selben Tage percutorische Empfindlichkeit am linken 
Stirnbeine sehr deutlich; gestern zum ersten Male Erbrechen. Beim 
Gehen unsicher, fällt nach rechts; gebraucht das rechte Bein fast garnicht; 
die Unsicherheit ist vielleicht etwas grösser als es der Parese und Benommenheit 
entspricht. Eine deutliche Störung des Gleichgewichts ist aber nicht 
vorhanden. 

Am 29./XII. genaue Untersuchung. Die Benommenheit hat im ganzen zu¬ 
genommen. Die Patientin lässt alles unter sich gehen. Sprechen thut Patientin 
wenig, es scheint, sie findet die Worte nicht, oder sie hat keine Lust dazu; Sprach- 
verständniss vorhanden. Die Zunge weicht stark nach rechts ab, der rechte Facialis 
ist nicht zu prüfen. Sie braucht den rechten Arm fast garnicht; fordert 
man sie auf, denselben z. B. zu erheben, auf die Bettdecke zu lagern, so thut sie 
das mit Hülfe des linken Armes. Sie kann aber auch den rechten jedenfalls in 
Schulter- und Ellenbogengelenk noch gut bewegen. Bei Gehversuchen fällt die 
Patientin nach rechts, sie verlässt sich auf das rechte Bein garnicht, 
schleift es wie einen todten Körper nach. Das Gefühl ist an beiden Körperhälften 
für Schmerzreize sehr lebhaft, die Sehnenreflexe sind rechts nicht erhöht Heute 
werden zum ersten Male Störungen an den Hirnnerven bemerkt, die sich vor 
allem auf die Augenmuskeln beziehen. Ich bat Herrn Dr. Stölting nochmals 
zu untersuchen; er constatirte Folgendes: die Stauungspapille hatte rechts zu¬ 
genommen; auch hier fanden sich jetzt Blutungen. Die Sehschärfe war 
links jedenfalls stark herabgesetzt. Hemianopsie bestand nicht, auch 
keine hemianopische Pupillenstarre, wie ich am nächsten Tage con¬ 
statirte. Es bestand beiderseits Abducenslähmung, links Ptosis und 
eine Schwäche der hebenden und senkenden Kräfte des Auges. Genaueres 
war in dieser Beziehung bei der Benommenheit der Patientin nichts zu constatiren, 
doch gab sie Doppelbilder an; eine Blicklähmung war nicht zu constatiren. 
Exophthalmus bestand links nicht. Ich konnte noch hinzufügen, dass das Gefühl 
für Schmerzen auch in beiden Trigeminusgebieten, speciell im Gebiete des linken 
Supraorbitalis gut war; eine Prüfung des Geruches gelang nicht. 

Am 30./XII. war der rechte Facialis sehr schwach, Patientin am linken Auge 
so gut wie blind. 

Am 3./I. 1898 habe ich notirt: Wird immer benommener, bricht jetzt auch 
sehr viel. 

Am 7./I. war der rechte Arm contracturirt, in cerebraler Stellung, 
der rechte Tricepsreflex sehr verstärkt, die Sehnenreflexe am rechten Beine mässig. 

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Am 10./I. sab ich die Patientin zum letzten Male lebend: sie ist schwer be¬ 
nommen, lässt alles unter sich gehen. Beginnender Decubitus am Kreuzbein rechts; 
grosse Blase am rechten Handrücken, nachdem sie einige Zeit auf dieser Hand ge¬ 
legen hatte. Rechter Arm in cerebraler Contracturstellung, ganz gelähmt; rechtes 
Bein wird bewegt. Keine Erhöhung der Sehnenreflexe am rechten Beine. An den 
Augen nichts neues. Beklopfen des Kopfes wird am linken Stirnbein nicht mehr 
schmerzhaft empfunden; sehr lebhaft aber reagirt die Patientin bei Druck 
auf den linken Supraorbitalis. Sie spricht nur noch Ja und Nein, ver¬ 
steht aber alles, wenn sie aufgerüttelt wird. 

Der Tod trat am 16. Januar 1898 im Coma ein. 

Kurz zusammengefasst waren die Krankheitssymptome und ihre Aufein¬ 
anderfolge die nachstehenden: 

Vom October 1897 an allmählich zunehmende Benommenheit 
und Schlafsucht bei erhaltener Intelligenz. Im November 1897 
leichte rechtsseitige Hemiplegie — besonders Schwäche der rechten 
Hand —, nie Convulsionen; die Hemiplegie ist in ihrem Grade con- 
form dem Bewusstseinszustande — ist die Benommenheit schwer, 
so lässt sich rechts auch Achillesclonus auslösen. Dazu Störungen 
der Sprache — zuerst Paraphasie, zuletzt fast vollständige Sprach¬ 
losigkeit; Sprachverständniss voll erhalten, zuerst auch die Fähig¬ 
keit laut zu lesen und nachzusprechen. Deutliche percutorische 
Empfindlichkeit am linken Stirnbein. Allgemeinsymptome des 
Tumors gering, am deutlichsten die Apathie und Somnolenz; mässige 
Kopfschmerzen, Erbrechen selten und erst dicht vor dem Tode 
häufiger. Stauungspapille fehlt zuerst — ist erst am 21./X1I. links 
deutlich — rechts beginnend; am 30./XII. beiderseits stark — links 
Amblyopie. Am 30./XII. links Ptosis, Schwäche der Heber und Senker 
des linken Auges; beiderseits Abducenslähmung; Hyperästhesie 
des linken Nervus supraorbitalis, also jetzt eine Art alternirender 
Hemiplegie. Am Schlüsse, 10./I. 1898, volle Lähmung des rechten 
Armes in cerebraler Contracturstellung. Niemals deutliche Gleich¬ 
gewichtsstörungen, keine Rumpfmuskelschwäche. 

»Die Diagnose des Hirntumors war in diesem Falle leicht zu stellen. Was 
zunächst die Allgemeindiagnose anbetraf, so waren ja allerdings die Allgemein¬ 
symptome des Hirntumors Ende November, zur Zeit meiner ersten Untersuchung, 
nur sehr gering ausgebildet, wie das Kopfweh, oder sie fehlten vollständig, wie 
Erbrechen und Stauungspapille. Dennoch konnte man schon damals bei den 
langsam unter leichten Kopfschmerzen eintretenden und fortschreitenden son¬ 
stigen, auf das Hirn hindeutenden Krankheitssymptomen und besonders bei der 
ausführlich erörterten, gerade für die Hirngeschwülste so charakteristischen 
Benommenheit kaum an ein anderes Leiden als einen Hirntumor denken. 
Möglicherweise wurden ja die Kopfschmerzen auch nur durch die Benommenheit 
verdeckt. Von sonstigen — sogenannten localen — Symptomen waren im 
Anfang meiner Beobachtung vorhanden: rechtsseitige Hemiplegie, die in ihrer 
Intensität wie die Benommenheit sehr wechselte; im schlimmsten Falle die 

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ganze rechte Seite betraf, im leichtesten nur die rechte Hand; ferner Sprach¬ 
störungen — Paraphasie im spontanen Gespräch und beim Benennen vor¬ 
gehaltener Gegenstände, zuerst erhaltene Fähigkeit zu lesen und nachzusprechen, 
später Unlust oder Unfähigkeit (?) zu sprachlichen Aeusserungen — jedenfalls 
immer erhaltenes Wortverständniss — also im Ganzen trotz der Unbestimmtheit 
und Geringfügigkeit der Störungen — eine motorische Aphasie; schliesslich 
eine deutlich umschriebene percutorische Empfindlichkeit über dem 
linken Stirnbeine. Damit war sicher, dass der Tumor in der linken 
Hemisphäre sitzen musste. Bei dem Mangel sensibel-sensorischer Störungen 
kam nur die vordere Hälfte der linken Hemisphäre in Betracht, schon das 
Parietalhim und die hinteren Theile der Schläfenwindungen waren auszu- 
schliessen; — bei dem Vorhandensein einer motorischen Aphasie, einer leichten 
und in der Intensität erheblich wechselnden rechtsseitigen Hemiplegie — bezw. 
Monoplegia brachialis — und vor Allem bei der deutlich nachweisbaren percu- 
torischen Empfindlichkeit über dem linken Stirnbein war mir die Diagnose 
Stirnhirntumor am wahrscheinlichsten. 

Es blieb nur noch übrig einen Sitz des Tumors in der Nachbarschaft des 
linken Stirnhirns, also im Centralhim oder in den vorderen Theilen des Schläfen¬ 
lappens auszuschliessen, da bei diesen Sitzen ja die Symptome jedenfalls den 
vorhandenen sehr ähnlich sein konnten. Ein Sitz des Tumors in den Central¬ 
windungen war nun schon wegen des Fehlens von Convulsionen unwahrschein¬ 
lich; noch mehr sprach gegen ihn der Wechsel in der Intensität und Extensität 
der rechtsseitigen Hemiplegie, die, da sie in beiden Richtungen gleichen Schritt 
mit dem Grade der Benommenheit hielt, am ersten durch wechselnden Druck 
auf die Centralwindungen, bezw. ihren Stabkranz von der Nachbarschaft 
her zu erklären war; jedenfalls konnte bei einer Zerstörung der Central¬ 
windungen selbst ein sölcher Wechsel kaum in gleichem Maasse eintreten. 
Dagegen wagte ich es zu dieser Zeit noch nicht, mit Sicherheit gegenüber der 
Diagnose Stimhirntumor einen Sitz der Geschwulst in den vordersten Partieen 
des linken Schläfenlappens auszuschliessen; denn ein dort sitzender Tumor konnte 
durch Druck auf die benachbarte dritte Stirnwindung eine motorische Aphasie, 
durch Druck auf die Centralwindungen eine an Intensität wechselnde rechtsseitige 
Hemiplegie mit geringster Betheiligung des Beines, wie es hier der Fall war, 
auslösen; und auch die umschriebene percutorische Empfindlichkeit in der linken 
Stimschläfengegend war wohl mit diesem Sitze vereinbar. 1 Ich diagnosticirte des¬ 
halb zunächst: Tumor der linken Grosshirnhemisphäre — am wahr¬ 
scheinlichsten im linken Stirnhirn — vielleicht in den vordersten Theilen 
des linken Schläfenlappens. Zu einem Vorschläge zur Operation konnte ich 
mich damals noch nicht entschliessen. Der weitere Verlauf sollte nun die 
Diagnose: Stirnhirntumor links vollkommen befestigen. Zunächst 


1 Dass diese Vorsicht angebracht war, beweist ein Fall von Allen Stabe and Wbib, 
der genaa dieselben Symptome bot, wo der Tnmor vergeblich im Stirnhirn gesucht wurde 
und sohlieBslicb an der Spitze des linken Schläfenlappens sass. Medio. News. 1897. Aug. 7. 

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wurde die AUgemeindiagnose ganz sicher, als sich, zwar spät, wie so häufig bei 
Stirnhirntumoren, dann aber rasch erst links, dann rechts Stauungspapille 
einstellte und noch etwas später auch Erbrechen eintrat Als dann Ende 
December 1897 zu diesen Symptomen noch die Zeichen einer Hirnnerven¬ 
erkrankung hinzutraten, die in ihrer Gruppirung: linksseitige Abducens- und 
Oculomotoriuslähmung zugleich mit Hyperästhesie im linken Supraorbitalis — 
rechts Abducensläbmung — ganz direct auf eine Läsion der betreffenden Hirn¬ 
nerven an der Basis der mittleren Schädelgrube unterhalb des linken Stirnhimes 
hindeuteten, da schien mir, zumal da auch die Entwickelung der Stauungs¬ 
papille, die zuerst nur links vorhanden war, und hier rasch zur Amblyopie 
führte, auf einen directen Druck auf den linken Opticus bezw. seine Gefässe 
an der Basis hinwies, die Diagnose: Tumor im linken Stirnhirn ganz 
sicher und ich stellte dieselbe jetzt noch bestimmter dahin, dass ich sagte: es 
handelt sich um einen Tumor des linken Stirnhirnes, der besonders 
nach der Basis zu gewachsen ist und hier die zwischen Stirnhirn 
und Basis cranii in der Augenhöhle verlaufenden Nerven com- 
primirt hat. Jetzt erst wagte ich es auch, bei der Sicherheit der Localdiagnose 
dem Manne der Patientin den Rath zu einer Operation zu geben; auch hier, wie 
ich das immer gethan habe, mit aller Offenheit in Bezug auf das mit der Operation 
möglicherweise zu erreichende oder nicht zu erreichende; ich hob noch bestimmt 
hervor, dass bei der Schwere der linksseitigen Hirnnervenlähmungen der Tumor 
wahrscheinlich tief im Stirn himmarke sässe und wenigstens nahe an die Basis 
reiche, und dass er unter diesen Umständen schwer zu exstirpiren sein werde. 
Der Gatte lehnte dann nach einigem Ueberlegen die Operation ab, wie ich jetzt 
sagen kann, glücklicherweise. Ueber den weiteren Verlauf ist dann weiter 
nichts zu sagen, als dass er bis zum Tode nichts ergab, was mich in meiner 
Diagnose: „Tumor im linken Stirnhirn“ hätte erschüttern können. 

Die Section der am 16. Januar gestorbenen Patientin — wir mussten uns 
mit der des Kopfes begnügen — fand am 17. Januar Abends 67 8 Uhr statt. 
Sie ergab Folgendes: 

« Schädeldach ziemlich dünn, mit der Dura nicht verwachsen. Dura überall 
intact Hirnwindungen verstrichen. Nach der Herausnahme des Gehirnes 
macht die linke Hemisphäre einen massigeren Eindruck als die rechte; die 
vorderen Theile des linken Sohläfenlappens sind nach unten, die ganze linke 
Hemisphäre ist nach hinten verschoben, so dass die Spitze des linken Occipital- 
lappens die des rechten um 2 cm nach unten und hinten überragt. Eine Ver¬ 
schiebung der Massen der linken Hemisphäre über die Mittellinie nach rechts 
hat nicht stattgefunden. 

Es wird ein Frontalschnitt durch beide Hemisphären etwa in der Mitte 
des Stirnhirnes gemacht: genauer liegt derselbe etwa 45 cm hinter dem Stirn¬ 
pole; er beginnt an der Medianlinie etwa 27t cm vor der Präcentralfurche und 
trifft unten aussen an der Fossa Sylvii gerade noch die vordere Centralwindung 
(die Schnittfläche entspricht ungefähr der Fig. 242 in Dejbbine’s Anatomie des 
centres nerveux). Auf dem Schnitte zeigt sich sofort der gesuchte Tumor: er 

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ist hier, wie die weitere Untersuchung ergab, in seiner grössten Ausdehnung 
getroffen und nimmt einen grossen Theil von der gesammten Schnittfläche ein. 
Durch seine Einlagerung ist der Durchschnitt der gesammten linken Hemi¬ 
sphäre gegenüber dem der rechten erheblich vergrössert: vor allem im verticalen 
Durchmesser; dieser beträgt links 10,3, rechts nur 8,8 cm, und zwar hat 
diese Vergrösserung mehr nach unten als nach oben stattgefunden; die linke 
Hemisphäre überragt die rechte nach unten um einen ganzen, nach oben um 
einen halben Centimeter. Der transversale Durchmesser beträgt links 6, 
rechts nur 5 cm. Der Tumor selbst ist hier 6 cm hoch, 3 cm breit und hat 
ungefähr eine ovale Figur. Der Tumor, der ganz in der Hemisphäre darin 
liegt und die Rinde nirgends direct in Mitleidenschaft zieht, nimmt nicht den 
ganzen hier getroffenen Frontalschnitt ein, sondern kurz ausgedrückt, nur seine 
unteren und äusseren Antheile. So lässt er den über dem Balken befindlichen 
Antheil des Gyrus fomicatus, die erste (Gyrus frontalis I und Gyrus margi- 
nalis an der Medianfurche), die zweite und den dem convexen Theil der Hemi¬ 
sphäre ungehörigen Theil der dritten Stirnwindung frei und zwar sowohl in ihrer 
Rinde wie in ihrer Markfaserung, jedenfalls was die Hauptmassen der letzteren 
anbetrifft; er bleibt von der Rinde der ersten Stirnwindung 3*/ 4 cm entfernt, 
von der der zweiten 2 1 / t cm und von der der dritten noch l 1 /* cm. Dagegen 
reicht er soweit nach unten und unten aussen, dass vom orbitalen Theile der 
dritten Stirnwindung nur ein etwa 3 mm breiter Saum zwischen ihm und Pia 
übrig bleibt, welcher Saum ausserdem stark nach unten und aussen gedrängt 
ist; ebenso erreicht er die Rinde des orbitalen Theiles der ersten Stimwindung 
(Gyrus rectus) und des unter dem Balken liegenden Antheils des Gyrus fomi¬ 
catus bis auf 1—V 2 cm. Unterhalb des Seitenventrikels erreicht er also ziemlich 
auch die Medianfurche. Seine mediane und theilweise auch seine obere Grenze 
auf diesem Querschnitte bildet der Boden des Seitenventrikels (Vorderhom), dessen 
Ependym er knollig hervordrängt, aber nicht durchbricht; oberhalb und nach 
aussen vom Seitenventrikel ragt er auch in die untersten Theile des Centrum 
semiovale hinein. Der Balken und die Laminae ventriculi septipellucidi sind 
nicht nach rechts verschoben; der Raum des linken Seiten Ventrikels ist zu¬ 
sammengedrückt Direct unter dem vom Tumor am meisten eingenommenen 
orbitalen Theile des Stimhiraes verlaufen der linke Olfactorius und der linke 
Opticus. 

Vom Tumor zerstört auf diesem Querschnitte sind also: der Nucleus cau- 
datus, die vordersten Theile der inneren Kapsel und das Putamen des Linsen- 
kemes — alles dreies wird hier auch noch unter der Bezeichnung Streifenkörper 
zusammengefasst; ferner die äussere Kapsel, die Vormauer und die nach unten 
und aussen von diesen Theilen liegenden Markmassen der orbitalen Theile der 
dritten und ersten Stimwindung, des Gyrus rectus und der unteren Theile des 
Gyrus fomicatus; schliesslich der unterste innere Antheil des Centrum semiovale. 

Der Tumor ist an seinen Rändern nicht sehr scharf abgegrenzt, seine 
äussersten Antheile und eine nicht sehr bedeutende ihn umgebende Erweichungs¬ 
zone gehen ineinander über. Immerhin kann mau seine Grenzen gut erkennen, 

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frei herauszulösen ist der Tumor aus der Hirnmasse aber nicht Er ist auf 
dem Durschnitt theils röthlich grau und dann speckig glänzend, theils verkäst, 
offenbar auch recht blutreich, seine Consistenz ist mässig weich; mikroskopisch 
besteht er aus meist stark verfetteten Bundzellen (Rundzellensarcom mit 
theilweiser Nekrose). 

Das Hirn wird nun erst in Formol gehärtet. Dann wird, um zu sehen, 
wie weit nach vom von dem oben beschriebenen Frontalschnitte der Tumor 
noch reicht, auf die Hinterfläche des vor diesem Schnitt liegenden vordersten 
Hintertheiles, und zwar in der Mitte des Tumors, ein sagittaler Schnitt 
gesetzt, der also diesen Stirnhimantheil in eine mediane und laterale Hälfte 
spaltet. Man sieht dann, dass der Tumor vom vorher beschriebenen Frontal¬ 
schnitte noch 1,7 cm weiter nach vom reicht, vom Stimpol bleibt er noch 
2,3 cm entfernt; Tumor und Erweichungszone sind auch hier makroskopisch 
nicht scharf voneinander zu trennen. Der Tumor verjüngt sich nach vom vom 
vorher beschriebenen Schnitte sowohl im senkrechten, wie im transversalen 
Durchmesser, aber nicht sehr stark; sein vorderer Anblick würde etwa einer 
Halbkugel entsprechen. 

Dann wird ein zweiter Frontalschnitt V/ a cm hinter dem vorigen durch 
beide Hemisphären gelegt, also etwa 60 cm vom Stimpol entfernt. (Dejebine, 
1. c. Fig. 245). Der Schnitt bleibt an der Medianfurche etwa 1 cm vor der 
Präcentralfurche; schneidet dann die vordere Central Windung etwa in der Mitte 
und berührt an der SYnvischen Grube auch die hintere Centralwindung. Auch 
auf diesem Schnitte ist die linke Hemisphäre noch ausgedehnter als die rechte; 
ihre Höhe beträgt mit dem Schläfenlappen 10,5 cm gegen 9,2 cm rechts, 
ihre Breite 6,1 cm gegen 6 cm rechts; der Schläfenlappen ist stark nach unten 
gedrängt. 

Der Tumor selbst ist hier sehr veijüngt, er ist etwa 3 cm breit und 2 cm 
hoch, käsige Stellen finden sich in ihm hier nicht mehr. Er nimmt das Gebiet 
unmittelbar unter dem Boden des Seitenventrikels ein, dessen Ependym er vor¬ 
gewölbt, aber nicht durchbrochen hat, und den er ganz zugedrückt hat 

Der Balken ist hier etwas nach oben, der linke Fornixschenkel nach rechts 
verschoben. 

Direct zerstört sind vom Tumor hier nur der Nucleus caudatus, obere und 
äussere Theile des vorderen Antheiles der Capsula interna und angrenzende 
Theile des Markes der zweiten Stirawindung, schliesslich oberste vorderste Theile 
des Thalamus opticus. Dagegen sind zwar nicht direct vom Tumor durchsetzt, 
aber erweicht und wie geschwollen, so dass das rechts deutliche Bild des Quer¬ 
schnittes verwaschen ist, das ganze Gebiet, das vom Tumor nach unten bis zum 
Ansätze des Schläfenlappens und in transversaler Richtung von der Vormauer bis 
zur Medianfurche reicht ln diesem Gebiete liegen Theile des Thalamus opticus, 
die Substantia grisea centralis und die Substantia perforata anterior, der Globus 
pallidus des Linsenkernes, das Pu tarnen, auch Theile der inneren Kapsel. Ganz 
frei sind also auf diesem Querschnitte nur der Gyrus fornicatus und die erste 
Stimwindung mit ihrem Marke, der grösste Theil des Markes der zweiten Stirn- 

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Windung, das Mark and die Binde des hier getroffenen mittleren und unteren 
Antheiles der vorderen Central Windung, Vormauer, äussere Kapsel, Inselrinde 
und Schläfenlappen. 

Ein dritter Frontalschnitt wird 1 cm hinter dem vorigen, also etwa 70 cm 
vom Stimpol entfernt, angelegt. (Dejebine, etwa Fig. 248.) An der Median¬ 
linie trifft er gerade den vorderen Band der vorderen Centralwindung, diese 
selbst im oberen Drittel, die hintere etwa in der Mitte; an der Fossa Sylvii 
auch noch den Gyrus supramarginalis. Hier findet sich nur noch ein etwa 
haselnussgrosser Tumor unterhalb des Bodens vom linken Seitenventrikel. 
Er hat diesen Ventrikel auch hier ganz zugedrückt, aber sein Ependym ge¬ 
schont. Zerstört hat er den Nucleus caudatus, der hier schon sehr klein ist, 
die nächstgelegenen Theile der inneren Kapsel, aber nur in sehr geringem 
Maasse, und ebensolche Theile des Thalamus opticus. Alles andere ist frei, 
vor allem auch hier der Gyrus fornicatus, die erste Stirnwindung, die vordere 
und hintere Centralwindung mit ihrem respectivem Marke. Die nicht vom 
Tumor ergriffenen Theile des Thalamus opticus, der inneren Kapsel und des 
Linsenkemes sind auch hier noch etwas geschwollen, so dass auch hier noch die 
linke Hemisphäre massiger ist als die rechte; aber ihre Zeichnung ist deutlich 
zu erkennen. 

Von diesem Schnitte an läuft noch ein spitzes Ende des Tumors immer im 
Gebiete des Nucleus caudatus unter dem Ventrikel-Ependym bis dahin, wo das 
Hinterhorn in das Unterhorn einbiegt. Hier liegt es unter dem Schenkel des 
linken Fomix. 

Fassen wir den anatomischen Befund noch einmal kurz zusammen, so kann 
man wohl sagen, dass es sich um einen ziemlich rein das Gebiet des 
linken Stirnhirns afficirenden Tumor handelt. Vom Tumor selbst sind 
nach hinten vom Stirnhirn nur der Nucleus caudatus und ganz geringe Theile 
der inneren Kapsel und des Thalamus opticus ergriffen; von der Erweichung in 
seiner Umgebung etwas grössere Theile der Centralganglien und der inneren 
Kapsel. Die grösste Ausdehnung hat der Tumor jedenfalls unter 
der Mitte der Stirnhirnrinde, er betheiligt hier speciell das Mark 
der orbitalen Stirnhirnantheile, speciell auch den orbitalen Theil 
der dritten Stirnwindung, ferner das Corpus striatum und an¬ 
grenzende Theile des Centrum semiovale. Die medianen (Gyrus margi- 
nalis) oberen und oberen äusseren Theile des Stimhimes lässt er hier frei, dringt 
auch nicht in den Ventrikel ein. Von hier aus reicht er nach vorn, sich langsam 
verjüngend, bis 2,3 cm hinter den Stimpol. Nach hinten verschmälert er sich 
rasch, so dass in den hinteren Theilen des Stirnhirns vom Tumor selbst 
nur die Gebilde direct unterhalb des Bodens des Seitenventrikels 
ergriffen sind, von der Erweichung in seiner Umgebung aber auch 
noch das ganze Gebiet der Centralganglien und die innere Kapsel. 
Frei vom Tumor und grösstentheils auch von der Erweichung sind jedenfalls 
auch die Centralwindungen und ihr Mark, am nächsten kommt der Tumor noch 
an die unteren Theile der Central Windungen heran, von den oberen bleibt er 

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weit entfernt. Oer Tumor ist offenbar besonders nach unten und aussen zu 
gewachsen und hat die orbitalen Theile des Stirnhirns stark nach unten gedrüokt; 
hier hat er auch wohl die unter diesem Theile liegenden Nerven und Gefasse 
comprimirt. Ueberall bleibt er in der Hirnmasse, erreioht nirgends 
die graue Rinde. Vielleicht ist er zuerst im Corpus caudatum entstanden, 
das er fast in seiner ganzen Länge durchsetzt 

Wie man sieht, bestätigte der anatomische Befund vollkommen die im Leben 
gestellte Diagnose: Tumor des linken Stirnhirns, ja sogar die Annahme, 
dass der Tumor in den basalen Theilen dieses Hirnantheiles in der Hauptsache 
sitzen müsse. Mein Fall bietet also einen Beweis, dass bei einigermaassen aus¬ 
geprägten Symptomen und vor allem auch bei einiger Kenntniss des Verlaufes 
der Erkrankung auch die Localdiagnose eines Stirnhirntumors, wenigstens 
auf der linken Seite, mit grosser Sicherheit zu stellen ist, ja, dass wir sogar 
unter günstigen Umständen sagen können, in welchem Theile des Stirnhirns der 
Tumor in der Hauptsache seinen Sitz haben muss. Ich selbst habe mehrmals 1 , 
zuletzt in einem Vortrage auf dem internationalen Aerztecongress in Moskau, 
alle die Symptome zusammengestellt, die bei einem Tumor des Stimhims Vor¬ 
kommen können und localdiagnostisch zu verwerthen sind. Es sind neben 
einer der cerebellaren ganz gleichenden Ataxie beim Stehen und Gehen, auf 
die ich in diesem Vortrage besonderes Gewicht legte, nach der dort mitgetheilten 
Tabelle die folgenden: 

1. Monoparesen oder Hemiparesen, eventuell motorische Aphasie ; im Beginn 
der letzteren vielleicht dysarthrische Störungen. Rumpfmuskel¬ 
schwäche? 

2. jACKSON’sche oder mehr allgemeine epileptische Convulsionen; manchmal 
auch tonische Krämpfe der Rumpfmuskulatur, oder tonische Verbiegung des 
Kopfes nach einer Seite. 

3. Eventuell krampfhafte Ablenkung der Augen vom Tumor weg. Bei 
einseitigem Tumor keine Blioklähmung. 

4. Bei Durchbruch nach, oder Druck auf (jetzt hinzugefügt) die Basis Läsion 
eines Opticus oder Tractus mit einseitiger Erblindung oder gekreuzter Hemi¬ 
anopsie, einseitiger Anosmie, Abducens-, seltener Oculomotoriuslähmung. In diesen 
Fällen auch manchmal alternirende Hemiplegie durch gleichzeitige Lähmung der 
wechselständigen Extremitäten. Ebenso unter diesen Umständen manchmal 
zunächst (jetzt hinzugefügt) einseitige schwere Stauungspapille, die sonst bei 
Stirnhirntumoren ein Spätsymptom ist. 

5. Im Anfänge geringer Kopfschmerz. Später Kopfschmerz meist im Vorder¬ 
kopfe, aber auch im Hinterkopfe, sogar mit Nackenstarre. 

6. Witzelsucht. Im Terminalstadium starke Benommenheit. 

7. Eventuell umschriebene percutorische Empfindlichkeit und Tympanie. 

Vergleicht man die Symptome meines vorliegenden Falles mit dieser Tabelle, 
so wird man wohl zugesteben, dass mein Fall ein neuer Beweis für die Rich- 


Die Geschwülste des Nervensystems. 1897. Berlin. Karger. 


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tigkeit und Vollständigkeit derselben ist; abgesehen von den im Absatz 2 und 8 
angegebenen Symptomen waren bei ihm die übrigen hier aufgeführten in seltener 
Vollständigkeit vorhanden; ganz besonders die in Absatz 4 angeführten, die für 
eine Annäherung des Stirnhirntumors an die Basis sprechen. 

Nur ein Localsymptom des Tumors des Stirnhirns, auf das gerade 
ich die Aufmerksamkeit gelenkt habe, und das ich als ein sehr wichtiges für 
diese Localdiagnose früher geradezu an die Spitze gestellt habe, fehlte in diesem 
Falle von Stirnhirntumor ganz oder war nur sehr schwach ausgebildet: die 
Gleichgewichtsstörung beim Stehen und Gehen, die frontale Ataxie. 
Das Vorkommen einer der cerebellaren klinisch ganz gleichenden 
Ataxie bei Tumoren des Stirnhirns ist jetzt wohl ziemlich allgemein 
anerkannt. Ueber die Deutung dieses Symptoms herrscht allerdings noch 
Meinungsverschiedenheit Ich selber bin heute der Ansicht, dass die Störungen 
des Gleichgewichts bei Tumoren des Stirnhirnes auf einer Rumpfmuskelschwäche 
beruhen, einer Schwäche, die in unserem Falle nicht nachzuweisen war. Die 
Rumpfmuskulatur ist nach den verlässlichsten Angaben der Hirnphysiologen cor- 
tical im medialen Antheile des Stimhimes — dem Gyrus marginalis — localisirt; 
die betreffenden Centren versorgen beide Körperhälften, aber etwas mehr die 
gekreuzte. Ein Tumor, der so sitzt, dass er eines dieser beiden Centren lädiren 
kann, wird natürlich leicht auch über die Mittellinie hinaus das andersseitige 
comprimiren; auf diese Weise würde es sich erklären, dass die frontale Ataxie 
bisher hauptsächlich bei Tumoren gesehen ist Nun lag unser Tumor in den 
unteren und äusseren Theilen des linken Stirnhirns, von dem Gyrus marginalis 
und seinem Marke am weitesten entfernt; es liegt also sehr nahe, anzunehmen, 
dass die frontale Ataxie in diesem Falle von Stirnhirntumor deshalb gefehlt hat, 
weil die für ihre Entstehung in Betracht kommenden Himtheile verschont ge¬ 
blieben sind. Erkennt man das an, dann würde der vorliegende Fall auch ein 
Beweis für die Richtigkeit meiner Anschauungen über die Physiologie der fron¬ 
talen Ataxie sein. Ob man soweit gehen darf, bei sonst sicherer Diagnose eines 
Stirnhirntumors, aber mit Fehlen der Ataxie, einen Sitz des Tumors in 
Aussentheilen des Stimhirns, fern von der Medianlinie, zu diagnostioiren, das 
möchte ich nach diesem einen Falle nicht entscheiden, sondern diese Frage weiteren 
darauf gerichteten Forschungen überlassen. 

Auch über einige andere Symptome des vorliegenden Falles möchte ich 
mir noch ein paar kurze Bemerkungen erlauben. Zunächst über die Sprach¬ 
störung. Wir haben gesehen, dass dieselbe, kurz ausgedrückt, eine motorische 
Aphasie war; das Verständniss für die Sprache war bis zum Ende erhalten. 
Aber auch auf dem motorischen Sprachgebiete waren die Störungen im Ganzen 
nur unvollkommen, obgleich der Tumor die orbitalen Theile der dritten hinteren 
Stirnwindung gerade am meisten lädirt hatte und am convexen Theile des Stirn- 
hiras ebenfalls der Rinde der dritten Stirnwindung noch am nächsten gerückt 
war. Die Störungen der Sprache bestanden zunächst in leichter Paraphasie beim 
spontanen Sprechen und beim Benennen vorgehaltener Gegenstände; dabei war 
das laute Lesen und Nachsprechen erhalten, das Schreiben konnte nicht geprüft 

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werden; später wurden die sprachlichen Aeusserungen immer geringer, be¬ 
schränkten sich auf Ja und Nein. Es machte dann sehr den Eindruck, als wenu 
es sich mehr um eine „Unlust“, als um eine Unfähigkeit zum Sprechen handelte; 
auf diese Unlust zum Sprechen bei der Tumoraphasie hat besonders Oppenheim 
hingewiesen. Jedenfalls zeigt der Fall wieder, wie ich das auch an anderer 
Stelle hervorgehoben habe, dass wir bei der Tumoraphasie nicht immer so 
scharf umschriebene Krankheitsbilder erwarten dürfen, wie wir sie bei der apo- 
plectischen Aphasie kennen; unter Umständen — speciell bei langsamem Wachs¬ 
thum der Tumoren — erhalten wir hier nur sehr rudimentäre Bilder. 

Die Stauungspapille liess, wie das bei den Tumoren des Stirnhirns 
häufig ist, auch im vorliegenden Falle lange auf sich warten. Im Beginn meiner 
Beobachtung (Ende November 1897) war der Augenhintergrund beiderseits normal. 
Am 9./XII. konnte ich die ersten Anfänge einer Schwellung des Sehnerven 
links constatiren; am 23./XII. fand Dr. Stölting links erhebliche Neuritis optica 
mit Blutungen, rechts beginnende; am 30./XII. beiderseits sehr ausgeprägtes 
Oedem; links starke Amblyopie. Es entwickelte sich also zunächst eine rein 
einseitige Stauungspapille mit Blutungen in der Netzhaut und rasch ein¬ 
tretender Sehschwäche auf der Seite des Tumors, erst später kam es auch zu 
Neuritis optica der anderen Seite, und zwar bei einem Tumor, dessen Wachs¬ 
thumsrichtung offenbar nach der Basis zuging, und der dadurch auch andere 
basale Gebilde — Augenmuskelnerven, Trigeminus — direct in Mitleidenschaft ge¬ 
zogen hatte. Eine solche Entwickelung der Stauungserscheinungen an den 
Sehnerven bei einem wie hier gelagerten Tumor legt doch wohl den Gedanken 
sehr nahe, dass hier die Stauungspapille im Sinne der älteren Lehre von Gbäfe’s 
direct durch Druck des Tumors auf den ihm besonders naheliegenden Sinus 
cavernosus der gleichen Seite oder auf die in ihn einmündenden Venae ophtal- 
micae und ciliares hervorgerufen sei; dass also für solche Fälle die alte Lehre 
Gbäfe’s über die Entstehung der Stauungspapille zu Recht bestehen bleibt, oder 
mit anderen Worten, dass die an ihre Stelle getretene ScmiiDT-MANz’sche 
Theorie, nach der das Oedem der Papille durch Stauung der Hirnflüssigkeit im 
Subvaginalraum des Opticus hervorgerufen wird, doch nicht für alle Fälle passt. 
Der hauptsächlichste Einwand gegen die Theorie v. Gbäfe’s, der vou Sesemann 
herrührt und der sich darauf begründet, dass eine Stauung des Blutes im Bulbus 
durch Druck auf den Sinus cavernosus garnicht eintreten könne, weil die Vena 
ophthalmica ihr Blut zur Facialvene führe, ist ja auch schon von anderer Seite 
erschüttert worden; jedenfalls scheint dieser von Sesemann für die Regel ge¬ 
haltene Lauf des Venenblutes des Bulbus eher eine Ausnahme zu sein. Ein 
solcher directer Druck auf den betreffenden Sinus cavernosus, bezw. auf die in 
ihm einmündenden Venen des Bulbus und damit die Entwickelung einer erst 
einseitigen Stauungspapille auf der Seite des Tumors, die erst doppelseitig wird, 
wenn die Stauung durch den Sinus intercavemosus sich auch auf die andere Seite 
fortpflanzt, wird natürlich besonders leicht bei Hirntumoren stattfinden können, 
die entweder direct an den betreffenden Stellen der mittleren Schädelgrube, nahe 
der Orbita, entstehen oder in nahe dieser Basis gelegenen Hirntheilen — Stirnhirn, 

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vorderer Theil des Schläfenlappens—sitzen. Darauf hat v. Bramann 1 vor einigen 
Jahren besonders hingewiesen und dieser Autor würde also, wie ich jetzt zu¬ 
gebe, insoweit jedenfalls Recht haben, dass bei Tumoren dieses Sitzes durch 
directe venöse Stauung des Blutes im Augapfel der Tumorseite am ersten 
eine zunächst einseitige Stauungspapille entstehen kann. Dagegen muss ich 
mich immer noch dagegen erklären, wenn v. Bramann auf Grund dieser That- 
sachen nun umgekehrt aus einer zunächst einseitigen Stauungspapille allein 
die Diagnose eines Tumors in einer der erwähnten Regionen machen will Ein¬ 
seitige beginnende Stauungspapille kommt bei jedem Sitze des Hirntumors unter 
Umständen vor und kann sogar auf der dem Sitze des Tumors entgegengesetzten 
Seite anftreten — aus ihr allein ist also eine Localdiagnose nicht zu machen — 
dagegen kann dieser Befund eine solche sicher stützen und mehr präcisiren, wenn 
die einseitige Neuritis optica, wie in meinem Falle, zu verwerthbaren anderen 
Localsymptomen hinzukommt Im Ganzen ist überhaupt der einseitige Beginn 
einer Stauungspapille selten. Dass die Angabe v. Bramann’s, dass Blutungen 
in der Retina nur bei Tumoren vorkämen, die einen direoten Druck auf den 
Sinus cavernosus ausübten, also ebenfalls bei Tumoren der erwähnten Theile des 
Stirn- und Schläfenhims und der Basis, nicht aber z. B. bei Kleinhimtumoren, der 
Erfahrung vollständig widerspricht, habe ich früher schon zur Genüge hervor¬ 
gehoben. 

Läsionen der an der Basis der vorderen und mittleren Schädelgrube zwischen 
Knochen und Stimhirn verlaufenden Hirnnerven sind bei Stirnhimgeschwülsten 
häufig beobachtet und ihre Beeinträchtigung auf der Seite des Tumors ist ja 
auch bei Geschwülsten dieses Sitzes, die nach unten zu wachsen, leicht zu er¬ 
klären. In meinem Falle, wie in vielen anderen, bandelte es sich um die Nerven, 
die von der mittleren Schädelgrube in die Orbita verlaufen; auf der Seite des 
Tumors waren Oculomotorius, Abducens, erster Ast des Trigeminus und viel¬ 
leicht auoh der Opticus afficirt — auf der anderen Seite noch der Abducens. 
In anderen Fällen war besonders der Olfactorius in der vorderen Schädelgrube 
betroffen. Die Lähmung der betreffenden Nerven kann durch directen Druck 
des Tumors auf dieselben erfolgen, in anderen Fällen, und speciell für die Nerven 
der mittleren Schädelgrube, wäre es aber auch möglich, dass der Tumor zunächst 
Stauungen im Sinus cavernosus seiner Seite hervorriefe, und dass dann die ge¬ 
schwellten Sinus die ihnen direct angelagerten betreffenden Nerven comprimirten. 
Bei diesem Mechanismus ist es dann auch leicht erklärlich, dass, wie in meinen 
und ein pajp* anderen bei L adame und Bernhardt citirten Fällen, die Augen¬ 
muskellähmungen und die Trigeminusneuralgie nicht nur auf der Seite des 
Tumors sassen, sondern auoh auf der anderen; die Schwellung der Sinus caver¬ 
nosus kann sich ja leicht von einer Seite auf die andere fortpflanzen und dann 
auch dort zur Nervencompression führen. 

Wie wichtig das Eintreten basaler Hirnnervenlähmungen für die Local¬ 
diagnose des Stirnhirntumors ist, habe ich oben zur Genüge hervorgehoben. Ich 
will hier nochmals darauf hin weisen, dass durch sie bei gleichzeitiger contra- 

1 Verhandlung der deutschen Gesellschaft für Chirurgie. XXI. S. 519. 

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lateraler Hemiplegie auch eine altemirende Hemiplegie erzeugt werden kann. 
Beschränkt sich dann die Hirnnervenlähmung in solchem Falle vielleicht auf 
den Ocolomotorius und weiss man nichts vom Verlaufe des Falles, so wird man 
sehr geneigt sein, einen Tumor im Grosshimschenkel anzunehmen. Da kann nur 
die genaue Henniniss vom Verlaufe des Falles und der Aufeinanderfolge der 
Symptome eventuell richtig leiten. Hat man aber wie in meinem Falle eine 
gleichzeitige Läsion des Abducens, Oculomotorius und des N. supraorbitalis 
gekreuzt mit einer Hemiplegie, so wird man auch ohne Anamnese auf die 
richtige Diagnose kommen können, da diese Nerven nur in der mittleren 
Schädelgrube direct hinter der Orbita nahe zusammengelagert sind und ge¬ 
meinsam comprimirt werden können. Noch klarer wird die Sache, wenn man 
aus rasch eintretender Amblyopie oder Amaurose auf der Seite des Tumors noch 
einen gleichzeitigen Druck auf den N. opticus annehmen muss (wie in meinem 
Falle) oder wenn der Stimhirntumor die Gebilde der Orbita nach vom treibt 
und Exophthalmus erzeugt 

Von psychischen Störungen fand sich in meinem Falle nur die für Hirn¬ 
tumoren so höchst charakteristische eigenthümliche Apathie und Schlafsucht 
Eine eigentliche Intelligenzstörung konnte in keiner Weise nach¬ 
gewiesen werden; im Gegentheil, bis fast zum Tode war die Patientin, wenn 
man sie aus ihrem Sopor aufweckte, über Alles überraschend gut orientirt, und 
nicht so selten erkannte man, dass sie überhaupt auf Vorgänge in ihrer Um¬ 
gebung mehr achtete, als es für den oberflächlichen Beobachter den Anschein 
hatte. Ich hebe das hervor, weil man, nach meiner Ansicht von irrthümlichen 
Voraussetzungen ausgehend, dem Stirahiro immer wieder besondere psychische 
Functionen zuerkennen möchte, und weil man für diese Ansicht auch Fälle 
von Stirnhirntumoren immer wieder ins Feld führt Die Intelligenz im All¬ 
gemeinen ist nicht an bestimmte Hirotheile gebunden, sondern hängt vom Zu¬ 
sammenwirken aller ab. Theilweise wird sie deshalb natürlich auch bei Stira- 
hirntumoren beeinträchtigt sein, aber hier nicht mehr, wie bei dem Sitz des 
Tumors in anderen Hirntheilen, nur vielleicht in anderer Art Dass die Somnolenz 
bei Tumoren des Stirnhims besonders gross werden kann, habe ich schon 
früher dadurch zu erklären gesucht, dass gerade Tumoren dieser Gegend be¬ 
sonders gross werden können, ehe sie durch Druck auf die Medulla oblongata, 
z. B. zum Tode führen. 

Der Verlauf des Leidens war in diesem Falle ein sehr rascher; nicht ganz 
4 Monate nach dem Einsetzen der ersten Symptome trat der Tod ein. Das ist 
jedenfalls eine erheblich unter dem Durchschnitt stehende Dauer. Schwankungen 
in der Intensität der Symptome waren auch hier sehr deutlich, besonders 
wechselte die Somnolenz sehr an Stärke und mit ihr gleichzeitig die rechtsseitige 
Hemiplegie. 


Fall II. 

Fungus durae matris mit Zerstörung der linken oberen Scheitelwindung. 

Den Eisenbahnbetriebssecretär Herrn Sch., 55 Jahre alt, untersuchte ich zum 
ersten Male am 3. August 1897 in meiner Sprechstunde. Er gab an, etwa seit dem 

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October 1896 krank zn sein, er habe seitdem seine Arbeiten — er war besonders 
mit BecbnnngsreVisionen beschäftigt — nicht mehr gut aasfahren können, häufig 
habe er auch an Schwindelanfällen gelitten. Im November 1896 fiel er — im 
Schwindelanfall? — von der Treppe und verletzte sich die Gegend des rechten Auges 
und der rechten Hand. Seitdem ward ihm das Lesen schwer und der Hausarzt 
schickte ihn deshalb am 6. Februar 1897 zuerst zum Augenarzt Dr. Stölting. 
Dieser erhob (nach eigenem Berichte) folgenden Befund: Beiderseits dringender 
Verdacht auf beginnende Stauungspapille, namentlich rechts, wo die Papille 
einen pilzförmigen Eindruck macht, während sie links mehr verschleiert ist. Blutungen 
fehlen; rechts auf der Papille einige verfettete Stellen. Visus rechts 6 / e , links ®/ 9 . 
Urin frei. Diagnose: wahrscheinlich Hirntumor. In der nun folgenden Zeit 
traten namentlich psychische Erscheinungen deutlich hervor; der Patient war aber 
seinen Zustand aufs höchste erregt, und vermehrte mit dieser Erregung die vor¬ 
handenen Functionsstörungen, die wesentlich das Lesen betrafen, noch sehr erheblich. 
Er klagte über Gedächtnissschwäche, schlief sehr schlecht, hatte aber niemals 
Kopfschmerzen und litt auch nicht an Erbrechen. Den Juli 1897 brachte 
er in Lauterberg a./H. zu: ohne jeden Erfolg. Die psychische Erregung steigerte 
sich hier noch mehr, besonders erschwert war das Lesen, beim Schreiben werden 
Buchstaben ausgelassen. Nach seiner RQckkehr nach Hannover wurde der Patient 
dann an mich verwiesen. Meine erste Untersuchung, die, wie erwähnt, am 3. August 
1897 stattfand, und die am 4. desselben Monats von Dr. Stölttng ergänzt wurde, 
ergab Folgendes: 

Kräftig gebauter und gesund aussehender Mann. Beiderseits Stauungs¬ 
papille. Visus rechts 6 /, 2 , links 6 / 10 . Deutliche, aber nur rudimentäre rechts¬ 
seitige Hemianopsie; wie mir scheint, ist der Patient in den ausgefallenen 
Gesichtsfeldtheilen nicht ganz blind, sondern nur stark amblyopisch. Die Qbrigen 
Hirnnerven sind frei. Deutlich gestört ist die Sprache; zwar ist die spontane 
Sprache intact, es besteht auch keine Paraphasie, aber das Sprachverständniss 
ist entschieden erschwert, namentlich fQr etwas längere Aufträge und Sätze. 
Das Lesen ist massig gestört; vor allem fallen beim Lautlesen Silben und ganze 
Worte aus; sehr schwer wird es dem Patienten auch, richtig von einer Reihe in die 
andere zu kommen; was er liest versteht er aber. Schlechter als das Lesen 
ist das Schreiben: seinen Namen bringt er eben noch fertig, aber mit sehr zittriger 
Schrift; als man ihm dann aufträgt „Constantinopel“ zu schreiben, bringt er es nnr 
bis „Con8t‘‘. An den Extremitäten — speciell an den rechten — besteht keine 
deutliche Lähmung, die Sebnenrefiexe sind beiderseits gleich, dagegen konnte eine 
deutliche Störung des Lagegefühls im rechten Arme nachgewiesen 
werden; Patient griff, wenn er die Augen schloss, mit der linken Hand an ihm 
angegebenen Stellen des rechten Armes weit vorbei und traf auch mit der rechten 
Hand Stellen an der linken Körperhälfte nicht immer. Im rechten Arme und 
Beine bestehen auch lebhafte neuralgische Schmerzen. 

Es fehlen, ausser der Stauungspapille, alle Allgemeinsymptome des Tumors. 
Ueber Kopfschmerzen hat Patient nicht im geringsten zu klagen, auch 
percutorisch ist der Schädel nirgends empfindlich. Erbrechen fehlt, 
ebenso Benommenheit. Im Gegentheil ist der Patient sehr erregt und ängstlich und 
die Erregung steigert sich bei der Prüfung seiner Functionsstörungen — Lesen, 
Schreiben u. s. w. — so erheblich, dass theilweise auch dadurch die Mängel noch 
mehr hervortreten. Auch beim An- und Ausziehen benimmt sich der Patient sehr 
ungeschickt; manchmal hat man den Eindruck, als litte er an Seelenblindheit 
Sehr erschwert ist auch das Rechnen — auch bei diesen Prüfungen wird er sehr 
erregt. 

Im Uebrigen ergiebt die körperliche Untersuchung keinen Befund. Im Urin 
nichts. Herz gesund. 

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Bei einigen Untersuchungen in den nächstfolgenden Tagen habe ich namentlich 
die rechtsseitigen Gefühlsstörungen festgestellt: die Tast- und Schmerz* 
empfindnng war am ganzen Körper rechts und links intact, auch localisirt 
Patient richtig. Dagegen erkennt er ihm in die rechte Hand gegebene Gegen* 
stände schwer, links erkennt und benennt er sie gleich (Störung des stereo* 
gnostischen Sinnes). Bei geschlossenen Augen fiindet er mit der linken Hand 
aufgegebene Stellen am rechten Arm nicht, ebenso gelingt das umgekehrt nur schwer; 
doch ist die Unsicherheit, wenn die linke die active Hand ist, grösser (Störung 
des Lagegefühls). Das Lesen ging zn dieser Zeit etwas besser, wie bei der 
ersten Prüfung, ist aber immerhin gestört Das Sprachverständniss ist ent* 
schieden gestört, namentlich für complicirtere Aufträge, und dadurch sind auch 
genaue Prüfungen auf das Muskelgefühl und den stereognostischen Sinn sehr er* 
schwort. Manchmal wurde es dem Patienten auch schwer sich auf Worte 
zu besinnen. Alle Prüfungen regen ihn sehr auf. 

Ich stellte die Wahrscheinlichkeitsdiagnose eines Tumors, obgleich mir das 
Fehlen von Kopfschmerzen und Erbrechen sehr auffällig war. Was seinen Sitz an¬ 
betraf, so konnte ich nur sagen, dass beim Vorhandensein rechtsseitiger Gefühls* 
Störungen, einer im allgemeinen sensorischen Störung der Sprache und schliesslich 
rechtsseitiger Hemianopsie der Tumor in den hinteren Theilen der linken Hemi¬ 
sphäre sitzen musste — genauer präcisiren liess sich sein Sitz noch nicht. Ich 
verordnete Kali jodat. 6,0:200 3 Mal täglich 1 Esslöffel. 

Von da an sah ich zunächst den Patienten etwa alle 4 Wochen in meiner 
Sprechstunde. 

Am 27./IX. 1897 habe ich notirt: Deutliche rechtsseitige Hemianopsie, 
ziemlich vollständig für roth, rudimentär für weiss; stösst beim Gehen an Gegen¬ 
stände rechts und rennt auf der rechten Seite an ihm vorbeigehende Leute an. Seh¬ 
schärfe rechts = fl / 18 , links = 6 / 10 . Die Stauungspapille ist deutlich, rechts stärker 
als links (Dr. Stölting). Lesen wie früher. Schreiben etwas besser; jedenfalls 
werden Abschriften, die er zu Hause anfertigt und bei denen er sich Zeit lässt, 
ziemlich fehlerfrei ausgeführt. Das Sprachverständniss ist sehr erschwert; 
er versteht auch einfache Aufträge nicht, z. B. dass er sich auf dem Untersuchungs- 
sopha auf die andere Seite drehen soll, wird dann sehr erregt und bringt garnichts 
mehr zu Stande. Nachsprechen einzelner Worte gelingt gut. Vorgezeigte Gegen¬ 
stände vermag er nicht immer zu benennen; auch im spontanen Gespräche fehlen 
ihm manchmal Objectbezeichnungen (optische Aphasie). Sonst ist die spontane 
Sprache gut. Heute wird das rechte Bein beim Gehen etwas nachgezogen; 
die Gefühlsstörungen rechts wie früher. Wenig Kopfschmerz, keine percutorische 
Empfindlichkeit, kein Erbrechen. 

25./X. Bechter Arm zu allen Verrichtungen ungeschickt, aber in keiner 
Weise gelähmt, doch zeigt sich bei passiven Bewegungsversuchen eine eigentüm¬ 
liche Neigung zu Spasmen in demselben. Das Tastgefühl und die Localisation sind 
am rechten Arme gut erhalten, ebenso auch das Schmerzgefühl. In die rechte 
Hand gegebene Gegenstände erkennt Patient durch Betasten nicht; links 
erkennt er sie, vermag sie aber, ohne sie zu sehen, nicht immer gleich zu benennen. 
Mit der linken Hand findet er bei geschlossenen Angen Stellen am rechten Arme 
nicht; umgekehrt geht das besser. Doch sind alle diese Proben sehr erschwert, da 
bei dem mangelhaften Sprachverständniss und der grossen Erregbarkeit des Patienten 
ihm ausserordentlich schwer klar zu machen ist, was er thun soll. Hat er einen 
Auftrag einmal begriffen, so klebt er an demselben; so fasst er sich z. B. immerfort 
wieder mit der rechten Hand an die Nase und an das Ohr, auch wenn man ihm 
schon längst andere Aufträge gegeben bat. Sein rechter Arm kommt dem Patienten 
offenbar selbst sonderbar vor; er betrachtet ihn oft verwundert, sagt: „Ich weiss 
nicht, was mit dem Arme ist, es ist schrecklich“ u. s. w. Oft scheint es auch, als 


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ob der Patient Aufträg« in Beug auf den rechten Arm besonders schwer versteht, 
nicht nur schwer ansfahrt; befiehlt man ihm, den Unken Arm za erbeben, so ge¬ 
schieht das prompt, während er bei gleichem Auftrag für den rechten Arm den Arzt 
verwundert anschaut, dann seinen Arm betrachtet und nun nochmal nachfragt, was 
er thun soll. Durch alle diese Umstände wird, trotzdem eine mnscnläre Lähmung 
in keiner Weise besteht, doch die Gebrauchsfähigkeit des rechten Armes sehr beein¬ 
trächtigt; der Kranke hat offenbar oft keinen rechten Begriff davon, wie er den 
Arm gebrauchen solL Es besteht eine Art 8eelenlähmnng. Theilweise 
wird natürlich auch durch diese Dinge das Schreiben gestört. Linker Arm in jeder 
Beziehung intact. 

Das rechte Bein ist etwas schwächer als das linke, beim Gehen schleudert 
er dasselbe etwas; der rechte Patellarreflex ist etwas lebhafter als der 
linke. Tast- und Schmerzempfindung, sowie Localisation beiderseits gut. Der Knie¬ 
hackenversuch gelingt beiderseits prompt Untersuchungen anf Lagegefühlsstörungen 
im rechten und Unken Bein schlugen fehl, da Patient nicht versteht was er thun 
soll und dann sehr erregt wird. 

Beiderseits Stauungspapille; deutUche rechtsseitige Hemianopsie anch 
bei grober Prüfung nachweisbar, setzt sich rechts am Stuhl vorbei. Sonst sind 
die Hirnnerven frei Sonstige Allgemeinsymptome des Tumors fehlen immer noch. 
Das Sprachverständniss, wie angegeben, erschwert. In der spontanen Sprache 
kanm etwas zu bemerken, findet heute auch alle Bezeichnungen für vor¬ 
gehaltene Gegenstände. Das Lesen geht ziemlich, aber er findet schwer von 
einer Beihe in die andere; das Schreiben — s. o. die Bemerkungen über den rechten 
Arm — ist dagegen ganz erheblich gestört; er bringt nicht einmal den 
Anfangsbuchstaben seines Namens fertig. 

Manchmal zeigen sich Vorgänge, die an Seelenblindheit erinnern; so zieht 
er den Stiefel an den verkehrten Fuss, weiss nicht wie er in die Hose kommen 
soll u. s. w. u. s. w. 

Mitte November war die Schwäche des rechten Beines deutUcher, die Sehnen¬ 
reflexe aber beiderseits gleich. Im übrigen körperUc'n Status idem. Psychisch war 
Patient viel ruhiger, fühlte sich nach seiner Angabe sehr viel wohler, war weniger 
erregt. Er hatte bis dahin regelmässig Jodkali eingenommen. 

Am 23./XL war alles das wieder schlechter. Nach dem Befunde von Dr. Stöl- 
ting war die Sehschärfe annähernd dieselbe wie früher. Die Neuritis optica ist 
beiderseits sehr viel ausgesprochener als früher. Die Grenzen des Opticus sind 
beiderseits nicht mehr zu sehen. Die Venen sind gestaut, aber die PapUle nicht 
pilzförmig vorgetrieben. Pupillenreaction auf Licht gut Die rechte Hemianopsie 
ist jetzt ziemlich complet; hemianopische Pupillenstarre besteht nicht Das 
Schreiben geht sehr schlecht, das Lesen bei kurzen Worten gut, bei langen 
schlecht. Vorgehaltene Gegenstände werden richtig bezeichnet im spontanen Gespräche 
fehlen Hauptwörter häufiger. Paraphasie besteht nicht Klagen über Kopf¬ 
schmerzen gering; keine percutorische Empfindlichkeit, kein Erbrechen. 

Im December wurde folgendes constatirt: Das Sprachverständniss ist im 
allgemeinen besser als früher, aber jedenfalls nicht vollkommen, namentlich nicht für 
einigermaassen complicirtere Aufträge; man muss ihn diese erst vormachen ehe er 
sie versteht. Die spontane Sprache ist ziemlich gut, nur manchmal findet er 
Worte nicht. Nachsprechen intact. Vorgehaltene Gegenstände werden 
fast alle richtig bezeichnet; nur die Bezeichnung für „Sessel“ findet er nicht. 
Das Lesen ist gut, soweit es die rechte Hemianopsie erlaubt; lange Worte kann 
der Patient nicht auf einmal übersehen; er kommt auch leicht in eine falsche Zeile; 
eigentliche Alexie aber besteht nicht mehr; auch das ist besser als früher. Von 
Schreibeproben gelingt noch am besten das Abschreiben, er schreibt richtig ans der 
Zeitung ab: „der Cultnsminister“. Dictirt: „Abendausgabe“ gelingt in der Weise: 

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„Abend Ausga“. Bei spontaner Schrift (er soll eine Eingabe an die Eisenbahndirection 
machen) schreibt er statt: An die Königl. n. s. w. „In die Königl. n. s. w.“; er findet 
das grosse A trotz mehrfacher Versuche nicht. 

In die rechte Hand gegebene Gegenstände werden absolut nicht 
erkannt, links erkennt er sie gleich und bezeichnet sie richtig. Die Bewegungen 
des rechten Armes sind auch unsicher, namentlich kann der Patient mit ge¬ 
schlossenen Augen Gegenstände hier nicht länger festhalten; sehr un¬ 
geschickt benimmt er sich auch, wenn er die Gegenstände von der rechten ln die 
linke Hand legen soll. Im Liegen beim Kniehackenversuch an den Beinen keine 
deutliche Ataxie. 

Mitte Januar 1898 Anfall von Unbesinnlichkeit mit Uebelkeit, da¬ 
nach heftiger Schmerz im Nacken. Die Schmerzen dauern nur kurze Zeit an. 
Dr. Stömtng fand zu dieser Zeit: rechts eine charakteristische Schwellung 
der Papille um etwa l*/ 3 mm, links war die Schwellung etwas geringer. 
Visus rechts e / 12 , links 8 /so- Complete rechte Hemianopsie. Von dieser Zeit 
an habe ich den Patienten nur noch in seiner Wohnung Untersucht. 

Am 2./U. habe ich folgendes notirt: Allgemeinbefinden viel schlechter, 
wird apathischer, ist leicht verwirrt. Er findet jetzt die Worte schwer, ver¬ 
spricht sich auch häufig; irgendwie complicirtere Aufträge versteht er 
garnicht mehr. Lesen und Schreiben nicht zu prüfen. Am rechten 
Arme besteht jetzt auch leichte Parese, die Fingerbewegungen sind 
zum ersten Male steif. Deutlich ist jetzt am rechten Arme auch das 
Berührnngs- und das Schmerzgefühl verringert. Prüfungen auf das Locali- 
sationsgefübl gelingen nicht, da Patient nicht versteht, was man von ihm will. Bei 
Prüfungen auf Lage- und Bewegungsgefühl benimmt sich Patient sehr ungeschickt, 
bezw. macht falsche Angaben, vielleicht auch hier, weil er nicht versteht, was er 
soll. Das Gehen geht schlecht, das rechte Bein wird nachgeschleppt; heute 
zum ersten Male rechts Achillesclonus. Die rechte Hemianopsie soll 
sich manchmal zu vorübergehender Erblindung steigern. Kopfschmerzen 
jetzt häufiger, auch manchmal noch Schmerzen in den Gliedern rechts. 

17./II. Seit einiger Zeit sehr viel mehr Kopfweh — im Hinterkopfe. 
Kein Erbrechen. Häufig Schwindel. Von Zeit zu Zeit ohnmachtsähnliche 
Anfälle, die Beine, knicken ein; Patient taumelt und fällt, immer nach 
hinten. Auch ausserhalb dieser Anfälle ist das Gehen taumlich. Rechte 
Hemiopie deutlich mit grober Prüfung nachzuweisen. Es scheint rechts totale 
Apraxie zu bestehen; er versteht überhaupt nichts, was er mit den rechten 
Extremitäten machen soll. Die rechte Hand ist steif; er fühlt Nadelstiche 
hier kaum. Prüfuugen auf das Lagegefühl sind nicht auszuführen. Das rechte 
Bein wird sehr deulich nachgezogen, es besteht kein Achillesclonus, 
der Patellarreflex ist rechts stärker als links. Im Gespräch fehlen 
dem Patienten sehr viele Worte, das Verständniss der Sprache ist 
heute ziemlich gut. Wenn der Patient Nachts aufsteht, um Wasser zu lassen, ist 
er ganz disorientirt. 

Am 20./II. Anfall totaler Erblindung. Nachher sehr heftige Kopfschmerzen 
und auf der Höhe derselben zum ersten Male Erbrechen. 

5./III. Taumelt beim Gehen sehr viel mehr, besonders nach hinten; das 
rechte Bein wird nachgeschleift. Kopfschmerzen ziemlich andauerd, beson¬ 
ders im Hinterkopfe und beim Niederlegen. Kein Erbrechen wieder. 

22./III. Das Gehen ist sehr viel schlechter geworden. Patient schleift das 
rechte Bein deutlich nach, torkelt stark, besonders nach hinten und rechts. 
Die Sehnenreflexe sind rechts nicht erhöht. Die Ungeschicklichkeit im rechten 
Arme und Beine wie früher, doch kommt in dieser Beziehung sehr in Betracht» 
dass Patient complicirtere Aufträge nicht versteht, vor allem nicht, wenn sie sich 


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auf den rechten Arm beziehen. Einfache Dinge versteht er. Die spontane 
Sprache ist sehr viel schlechter geworden, erfindet oft die Worte nicht 
und verwechselt sie häufig (Paraphasie). Lesen und Schreiben nicht zu prüfen. 
Kopfschmerz mässig, kein Erbrechen. Rechte Hemianopsie wie früher. 

Am Morgen des 6./IV. plötzliche heftige Zunahme der Kopfschmerzen. 
Erbrechen. Benommenheit. Beohtsseitige totale Ptosis. Gegen 12 Uhr 
Ptosis rechts noch deutlich, aber geringer. Augenmuskeln sonst gut; nach rechts 
hin werden die Augen wegen der Hemianopsie nicht gewendet Keine rechtsseitige 
Lähmung der Extremitäten, aber rechts Achillesclonus. Schlafsucht in 
letzter Zeit überhaupt stärker; heute auch starker Singultus. 

Am 7./IV. war die Ptosis rechts ganz wieder verschwunden, auch 
sonst bestanden keine Hirnnervenlähmungen. Psychisch freier. Sprache lallend, 
bulbär, kaum verständlich. Sprachverständniss sicher sehr erschwert. 
Ich konnte aber heute noch constatiren, dass das Lagegefühl am rechten 
Arme jedenfalls sehr mangelhaft ist Patient greift mit der linken 
Hand weit an ihm angegebenen Stellen vorbei; er braucht wegen der 
rechten Hemianopie bei dieser Prüfung die Augen nicht zu schliessen. Er 
weise überhaupt mit dem rechten Arme nichts anzufangen; betrachtet 
ihn verwundert (Seelenlähmung). Das Schmerzgefühl ist rechts deutlich 
verringert. Eine deutlichere Lähmung besteht auch heute nicht an den rechten 
Extremitäten. Das Gehör ist beiderseits gut. 

9./IV. Pat giebt immer nur die linke Hand; nur schwer und mit langer 
Mühe bringt man ihn dahin die rechte zu geben, obwohl er den rechten Arm fast 
ganz gut bewegen kann. Doch sollen auch mehr reflectorische Bewegungen, 
z. B. Kratzen des Kopfes, mit der rechten Hand sehr unsicher sein. Er 
isst mit der linken Hand. Schreiben unmöglich, Lesen sehr schlecht, mehr wohl 
als es der Hemianopsie entspricht, doch bekommt Patient kurze Worte heraus. Beim 
lauten Lesen stärkere Paraphasie als beim spontanen Sprechen, doch auch hier 
sehr bedeutend. 

25./IV. Wird immer apathischer — nicht mehr genau zu untersuchen. 
Rechte Pupille weiter als die linke. 

4./V. Tod an Lungenödem; zuletzt Schlucken sehr erschwert. 

(Schluss folgt.) 


2. Ueber die elektrische Erregbarkeit des N. radialis. 1 

Von Dr. Karl Gnmpertz in Berlin. 

Vor 5 Jahren habe ich 2 über die Resultate einiger elektrischer Unter¬ 
suchungen des N. radialis bei nicht gelähmten Bleikranken berichtet und die 
in diesen Fällen fehlende Reaction für den positiven Pol des Oeffnungsinductions- 
stromes, sowie das Ausbleiben der galvanischen ASZ als Vorboten einer Nerven¬ 
degeneration angesprochen. 

Diese Annahme ist nun lebhaft bekämpft worden durch Herrn Prof. Bern- 
habdt 3 , welcher die Anomalie durch die tiefe Lage des Nerven zu erklären sucht 

1 Nach einem in der Gesellschaft für Psychiatrie and Nervenkrankheiten am 12. Jnli 
1897 gehaltenen Vortrage. 

* Ueber Anomalien der indirecten elektrischen Erregbarkeit nnd ihre Beziehungen zur 
chronischen Bleivergiftung. Deutsche med. Wochen sehr. 1892. 

' Ueber die GuHFBBTz’schen Anomalien u.s.w. Berliner klin. Wochensohr. 1894. Nr.12. 

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und sie auch bei Gesunden nachgewiesen haben will. Da ich bereits eine Kritik 
der Bebnhabdt ’ sehen Argumente veröffentlicht habe 1 , so darf ich wohl auf 
dieselbe verweisen. 

Ausserdem haben sich noch zwei Amerikaner, Putnah und Lesczynsky, 
mit dieser Frage beschäftigt Putnam* giebt an, meine Reaction bei allen Blei¬ 
kranken, aber auch bei der überwiegenden Mehrheit Nervengesunder gefunden 
zu haben, Lesczynsky 9 gleichfalls in einer unverhältnissmässig grossen Zahl 
von Fällen; letzterer untersuchte allerdings ausschliesslich mit dem faradischen 
Strom. Yersuchsprotocolle sind von den beiden Autoren nicht veröffentlicht 
worden. 

Da in den letzten Jahren nicht mehr das geeignete Material durch meine 
Hände ging, bis ich durch eine auffallende Beobachtung veranlasst wurde, dem 
Verhalten des N. radialis hei Gesunden und Kranken meine Aufmerksamkeit 
wieder zuzuwenden. 

1. Ein 30jähr. Buchdrucker (Schenk) leidet an schwerer Tabes mit Crises gas- 
triques, Anästhesie des Ulnarisstammes und Hypalgesie im Ulnarisbautgebiet. Ein 
von dort excidirtes Hautstückchen ergab normalen Nervenbefund, weshalb ich hier 
nicht eine periphere Störung für das BmtNACKi’sche Phänomen supponirt habe. 4 

Nach längerer Pause kommt Pat. am 13./X. 1896 zu mir mit einer angeblich 
seit 4 Wochen bestehenden Lähmung der rechten Hand. Dieselbe hängt der Schwere 
nach herunter. Extension der Hand und der Finger, auch Abduction des kleinen 
Fingers ist unmöglich. Sensibilität gnt. 

Der rechte N. radialis giebt faradisch und galvanisch keine Beaction, dagegen 
ist die directe Muskelerregbarkeit für beide Ströme erhalten, die Zuckungen kurz und 
blitzartig. 

Ich sah den Pat. erst im Febraar 1897 wieder; er konnte jetzt die Hand in 
normaler Weise gebrauchen. Die Lähmung soll 2 Monate gedauert und sich inner¬ 
halb zweier Tage zurückgebildet haben. 

Da die Radialisparalyse plötzlich entstanden war und sich anscheinend 
ziemlich acut zurückgebildet hatte, so glaubte ich sie auf eine Fernwirkung (im 
Sinne Kahleb’s 6 ) zurückführen zu sollen, zumal da trotz 4 wöchentlicher Dauer 
die directe Erregbarkeit sich normal verhielt Sehr auffallend ist allerdings das 
Fehlen jeglicher indirecter Reaction. 

Auf die gleiche spinale oder menin geale Ursache glaubte ich, die bei späteren 
Untersuchungen hervortretende Herabsetzung der Radialiserregbarkeit beziehen 
zu sollen, welche sich hier mit einer an die von mir früher beschriebene Ano¬ 
malie erinnernde Erscheinung combinirt 

1 Berliner klin. Wochen sehr. 1894. Nr. 15. 

* On certain peculiarities in the reaction of the muscalospiral nerve to electrical cur¬ 
rente; and their practical significance. Boston med. and sarg, joarn. 1893. March. 

* The value of electricity in diagnosis and prognosis of affections of the peripheral 
nerves. New York Med. Record. 1894. 18. Ang. 

4 Vergl. Hautnervenbefunde bei Tabes. Zeitschr. f. klin. Med. 1898. Bd. XXXV. H.ln.2. 

4 Die in der Discassion dieses Vortrages geäosserte Vermuthang, dass vielmehr die 
Lähmung eine peripherisch-traumatische gewesen and der Nerv an oder oberhalb der Druck¬ 
stelle mit negativem Erfolge gereizt worden sei, hat allerdings viel für sich, wenn auch 
die Art der Rückbildung dafür ungewöhnlich. 

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Es ergab nämlich, die elektrisohe Untersuchung: 

6./IV. 1897. Nn. radialis beiderseits spät erregbar. 

Faradiscbe Ka 1 80—60 mm B.-A., faradiscbe An noch später. 

Galvanische KSZ 4,0—5,0 M.-A. ASZ und AOZ mit erträglichen Strömen nicht 
zu erzielen. 

21./VI. 1898. 

N. radialis reohts links 


Faradisohe Ka 85 mm R.-A. 


„ An 
Galvanische KSZ 


ASZ ( 
AOZ \ 


76 „ „ 

8,0 M.-A. 

160—200 M.-A 


N. ulnaris KSZ 3,0 M.-A. 


85 mm R.-A. 

70 ,, ,, 

8,0 M.A. 

16,0—20,0 M.-A. sehr undeutlich. 


rch habe nun auch bei anderen Individuen die entsprechende Untersuchung 
angestellt und es liegen mir jetzt eindeutige Resultate von 50 Versuchs¬ 


personen vor. 

Mt Ausnahme der obigen Beobachtung habe ich nur noch in 2 Fällen einen 
Befund erhoben, welcher als pathologisch aufzufassen ist 

Beide Personen waren aber weit entfernt davon nervengesund zu sein. 


II. Lehmann, 45jähr., Rohrleger. Mach einer unbedeutenden Verletzung Klagen 
über Vertotung des linken Armes; will mit der Hand nicht mehr zufassen können. 
Objectiv nur geringe Herabsetzung der Kraft daselbst Pat. ist sehr fett und mus- 
culös, wiegt etwa 240 Pfund. Sehr starker Trinker. Zähne des Oberkiefers schwarz. 
M. radialis rechts links 


Faradische Ka 80 mm B.-A. 

„ An 60 „ (?) 

Galvanische KSZ 4,5 M.-A. 

„ AOZ 10,0 „ 

„ ASZ — 

M. extensor digg. KSZ 5,0 M.-A. 


80 mm B.-A. 

(keine Fingerextension). 
5,0 M.-A. 

12,0 „ 


Neben der unklaren faradischen und der fehlenden galvanischen ASZ fällt hier 
auch die hohe Beizschwelle für KSZ auf. Dass allgemeine Herabsetzung der Nerven¬ 
erregbarkeit besteht dürfte auch daraus hervorgehen, dass der N. ulnaris rechts bei 
3,0 M.-A., links erst bei 5,0 M.A. anspricht ein N. facialis erst bei 4,0—5,0 M.-A. 


UI. Casper, 58 Jahre. Vorgeschrittene Tabes. Grosse Schwäche und Mager¬ 
keit. Von den Oberextremitäten wird besonders über den linken Arm geklagt 
Elektrische Exploration: 


N. radialis rechts 

Faradische Ka 90 mm B.-A. 

,, An 80 ,, ,, 

Galvanische KSZ 2,5 M.-A. 

„ AOZ 5,0 „ 

„ ASZ 12,0 „ 

N. ulnaris KSZ 2,0 „ 


links 

80 mm B.-A. 
35 ,, „ 

3,5—4,0 M.-A. 
10,4 „ 

unklar 


1 Faradische Ka und An werden nur der Kürze wegen für negativen und positiven 
Pol des Oefihungsinductionsstromes gebraucht Eine Radialisreaction wird immer ent dann 
als solohe bezeichnet wenn der M. extensor digitorum oder Extensor pollicis zuckt. — Diffe¬ 
rente Elektrode 3,0 qcm, indifferente 100 qcm. 


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Original frum 

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7«1 


Auch hier liegt es wohl nahe, die einseitig gefundene — bei zwei Unter¬ 
suchungen constant aufgetretene — Anomalie auf Erregbarkeitsabnahme zu be¬ 
ziehen, welche ja bei der Tabes nichts seltenes ist. 

Alle übrigen Versuchspersonen — 48 — zeigen eine im ganzen normale 
Radialisreaction. Ich habe nach den Beziehungen zum N. radialis und zur 
Möglichkeit einer organischen Nervenschädigung die Falle in 6 Gruppen getheilt, 
nämlich: 

L Gesunde Personen mit lediglich localen Affectionen, welche mit dem 
Badialis nichts zu thun haben. 

In dieser Gruppe waren stets alle Reaetianen mit der grössten Leichtigkeit 
zu erzielen, auch bei sehr musculösen Individuen. 13 Fälle, davon 3 Kinder. 
Alter der Untersuchten 13—63 Jahre. Höchster Werth der ASZ und AOZ: 
10,0 M.-A. Fast keine Differenz beider faradischen Pole. 

II. Functionelle Neurosen und Verwandtes. 18 Personen. Aich gute 
Reactionen. AOZ trat spätestens bei 10 M.-A., ASZ bei 12 M.-A. ein. Durch¬ 
schnittliche Differenz beider faradischen Pole 20—25 mm. 

IIL Chronische Intoxicationen, besonders Alkoholismus. 6 Fälle; ganz gute 
Reactionen, etwa wie bei Gruppe II. 

IV. Epilepsie. 4 Fälle. Desgleichen. Nur einmal Distanz beider fara¬ 
dischen Pole 20—25 mm. 

V. Apoplexie. 2 Fälle. Gute Reactionen. 

VI. Tabes und Lues spinalis. 5 Fälle. Die in Fall 5 einseitig spät auf¬ 
tretende ASZ 14,0 M.-A. (gleichmässig bei zwei Untersuchungen gefunden) ist 
vielleicht schon pathologisch, was bei solchen gleichfalls gelegentlich mit herab¬ 
gesetzter Reaction einhergehenden Fällen nicht verwunderlieh wäre. 

I. Gruppe: Locale Affectionen, die auch subjectiv nichts mit dem N. radialis 
zu thun haben, bei sonst gesunden Personen. 

13 Fälle: 10 männL, 3 weibh 

1. Frau Paprosch. Tic convulsif (leichtere Form). Ziemhch starke Frau. 

Von den Nn. radialis alle Reactionen zu erhaben. AOZ > ASZ. 

2. Frau Diese, 57 Jahre alt. Rheumatische Lähmung des linken N. facialis. 
Keine EaR. Guter Ernährungszustand. 

N. radialis rechts links 

Faradische Ka 90 mm R.-A. 80 mm R.-A. 

,, An 90 ,, „ 80 „ „ 

Galvanische KSZ 2,5 M.-A. 2,0 M.-A. 

„ AOZ 10,0 „ 10,0 „ 

„ ASZ 10,0 „ 10,0 „ 

Beiderseits ASZ deutlicher als AOZ. 

Rechter N. ulnaris KSZ 1,5 M.-A. 

AOZ 7,5 „ 

ASZ 2,0 „ 

N. hypoglossus (Stamm) giebt deutliche Reaction für faradische Ka bei 70 mm, 
faradische An bei 60 M.-A. 

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792 


3. Schubert, 34 Jahre alt. Bierbrauer. Rheumatismus. Trinkt keinen Schnaps, 
Bier 6—7 Flaschen p. d. 

N. radialis ganz normal. ASZ < AOZ. 

4. Kegler, 25 Jahre alt. Bureauarbeiter. Lumbago. 

N. radialis galvanisch und faradisch leicht zu erregen. AOZ > ASZ. Faradische 
Ka und An fast gleich. 

5. Wappler, 54 Jahre alt. Schuhmacher. Omarthritis rheum. 

N. radialis gut zu erregen. AOZ > ASZ. 

6. Welak, 26 Jahre alt. Feuerwehrmann. Ganz gesund, nur frühzeitiges Er¬ 
grauen der Haare. 

N. radialis faradisch. Ka und An fast gleich. AOZ etwas > ASZ. 

7. Lehmann, Fritz, 36 Jahre alt. Steinmetz. Keine nervösen Beschwerden. 
Von Dr. Maschke wegen Abducensparese geschickt. Potus und Lues geleugnet. 
Patellarreflexe ungleich. Radialis ganz normal. 


8. Reinke, 23 Jahre alt. 
Arbeiter. 

N. radialis 
Faradische Ka 
,» An 
Galvanische KSZ 
„ AOZ 

„ ASZ 

N. ulnaris dexter. 


Coxalgie rechts nach Verletzung. Sehr musculöser 


rechts 

100 mm R.-A. 
90 „ „ 

1,8 M.-A 
6,0 „ 

6,0—7,0 M.-A. 
KSZ 1,0 M.-A., 


links 

105 mm R.-A. 

95 >» »> 

2,0 M.-A. 

5,0 „ 

7,0 „ 

AOZ 3,0, ASZ 4,0—50 M.-A. 


9. Frau Eicke, 54 Jahre alt. Schmerzen in der linken Schulter. Sehr stark. 


N. radialis 
Faradische Ka 


rechts 

80 mm R.-A. 

„ 70—80 mm R.-A 

Galvanische KSZ 2,5 M.-A. 

„ AOZ 4,0 „ 

„ ASZ 10,0 „ 

10. Hanke, 28 Jahre alt. Arbeiter: 
N. radialis rechts 

Faradische Ka 95 mm R.-A. 

„ An 85 „ ,, 

Galvanische KSZ 2,0 M.-A. 

„ ASZ 8,0—10,0 M.-A 
„ AOZ 10,0 M.-A. 


11. Müller, Franz, 36 Jahre alt. 
kräftig. 

N. radialis 
Faradische Ka 
,, An 
Galvanische KSZ 
„ AOZ 

„ ASZ 

12. Heyder, 13 Jahre alt. 

Leichte Periostitis ulnae. 

N. radialis beiderseits ganz normal. 


links 

85 mm R.-A. 

75 „ ,, 

3.5 M.-A. 

12,0 „ 

8,0 „ 

Lumbago. Sehr musculös. 
links 

95 mm R.-A. 

85 ,, „ 

2,0 M.-A. 

7.5 „ 

10,0 „ 

Graveur. Ischias sin. Sonst gesund und 


rechts 

95 mm R.-A. 

85 „ ,, 

1,5 M.-A. 

5,0 „ 

6,0 „ 

Quintaner. 


links 

95 mm R.-A. 

85 „ „ 

1,8 M.-A. 

6,0 „ 

6,0 „ 

Schmerzen im linken. Ellbogengelenk. 


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AOZ > ASZ. Ulnaris: ASZ > AOZ. 

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793 


13. Trebbin, 43 Jahre alt Steinmetz. Neuritis n. ulnaris dextri ex pro* 
fessione (?). 

Binne zwischen Caudyl. int. and Oleocranon fast nicht za fohlen. Darch fibri¬ 
nöse Massen ausgefüllt. Hyperästhesie im Ulnarishautgebiet. Händedruck r. > 1. 
N. ulnaris rechts links 


Faradische Ka 

ii 

Galvanische ESZ 
„ ASZ 
„ AOZ 
N. radialis: 
Faradische Ea 
„ An 
Galvanische ESZ 
„ ASZ 
„ AOZ 


95 mm B.-A. 
95 » >, 

3,0 M.-A. 
5,0 „ 

7.5 „ 

100 mm B.-A. 
100 „ „ 

1.6 M.-A. 
7,5 „ 

4,0 „ 


110 mm B.-A. 
HO „ „ 

2,0 M.-A. 
4,0 „ 

4,0 „ 

100 mm B.-A. 
100 „ „ 

1,6 M.-A. 
7,5 „ 

4,0 „ 


Faradische Ea giebt überall kräftigere Zuckung als An. 


II. Gruppe: Functionelle Neurosen und Verwandtes. 

18 Fälle: 1 männl., 17 weibl. 

1. Frl. Böhm, sehr dick, nervöse Beschwerden. 

Badialis ganz normal. 

2. Frl. Schultz. Hysterie. Sehr fett. Badialis beim Eindrücken gut erregbar 
ASZ ^ AOZ. 

3. Frl. Ehrhardt. Adipositas, Schwindel. AOZ > ASZ. 

4. Frl. Salomon. Hysterie. Intercostalneuralgie normal. 

5. Frl. Baab, 28 Jahre alt. Hysterie. Erblich belastet. Mutismus. Diverse 
hysterische Augenstörungen. Seit 4 Jahren anhaltende Zuckungen in den Armen. 

Trotz der Zuckungen sind alle ßeactionen von den Nn. radialis zu erhalten, 
nur ist numerische Bestimmung unmöglich. 

Anscheinend AOZ = ASZ. 


6. Frau Lehmann, 35 Jahre alt. Neurasthenie. 


N. radialis 
Faradische Ea 
„ An 
Galvanische ESZ 
„ AOZ 

„ ASZ 

N. ulnaris ASZ > AOZ. 


rechts 

90 mm B.-A. 
80 „ „ 
3,0 M.-A 
5,0 „ 
12,0 „ 


links 

90 mm B.-A. 
80 „ „ 
2,0 M.-A. 
5,0 „ 

10,0 „ 


7. Gliemaann, 50 Jahre alt. Hysterie. 

Nn. radialis: Alle Beactionen gut auszulösen. 

8. Frau Hanne. Anämie. Alte Coxitis tubercul. 


N. radialis rechts 

Faradische Ea 100 mm B.-A. 

„ An 85 „ ,, 

Galvanische ESZ 1,5 M.-A. 

: AOZ ! 8>°“ M.-A. 


links 

90 mm B.-A. 
90 „ ,, 

2,0 M.-A. 
10,0 „ 

5,0 ,, 


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Gck igle 


Original from 

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794 


9. FrL Babbach. Kopfschmerzen. Blass. Gute Muskeln. 

Badialis rechts: ESZ 1,4 M.-A. ASZ und AOZ 5,0 M.-A. Faradisch auch 
nomal. 

10. Fr. Eilenfeld, 57 Jahre alt. Klimakterische Beschwerden. Sehr stark. 


Kniereflex schwach, L < r., 

nur bei Jendrassik. 


N. radialis 

rechts 

links 

Galvanische ESZ 

2,5 M.-A. 

1,5 M.-A. 

„ ASZ 

5,0 „ 

10,0 „ 

„ AOZ 

undeutlich 

10,0 „ 

Faradisch normal. 




11. Frau Hanschke, 35 Jahre alt. Neurasthenie. 

Badialis normal. AOZ > ASZ. 

12. Fran Casper, 40 Jahre alt. Neurasthenie. 

N. radialis AOZ ^ ASZ. 

13. FrL Jensel, 30 Jahre alt. Hysterie. Sehr mager und blass. 
N. radialis beiderseits normal. 

Bechts faradische An < Ea, links fast = Ea. 

Galvanische AOZ etwas > ASZ. 


14. Bandow, Ella, 15 Jahre alt. Anämie. 
Badialis in Ordnung. ASZ = AOZ. 

15. Frl. Brumkow, 35 Jahre alt Neurasthenie. 


N. radialis 
Faradische Ea 
i, An 
Galvanische ESZ 
AOZ 
ASZ 


ff 

ff 


N. ulnaris ESZ 1,5 M.-A. 


rechts 

80 mm B.-A. 
70 „ „ 

2,5 M.-A. 
5,0 „ 
12,0 „ 


links 

90 mm B.-A. 
80 „ „ 

2,2 M.-A. 
7,5—8,0 M.-A. 

ff 


16. Frau Bieleke, 36 Jahre alt. Anämie, Hysterie. 


N. radialis 
Faradische Ea 
„ An 
Galvanische ESZ 
AOZ 
ASZ 


ff 

ff 


rechts 

95 mm B.-A. 
90 ,, ,, 

1,6 M.-A. 
6,0 ,, 

6,0 „ 


links 

100 mm B.-A. 
100 „ „ 

1,2 M.-A. 
3,5—4,0 M.-A. 
6,0 M.-A. 


17. Frl. Schaaf, 30 Jahre alt 
Narkose). 

N. radialis 
Faradische Ea 
„ An 
Galvanische ESZ 
AOZ 
ASZ 


Hysterie (nach mehrfachen Operationen in 


ff 

ff 


rechts 

110 mm B.-A 
100 „ ,, 

1.5 M.-A. 

2,0 „ 

7.5 „ 


links 

110 mm B.-A. 
100 ,, ,, 
1,3 M.-A. 

2,0 „ 

7,0 „ 


18. Frau Grau, 36 Jahre alt. 
deutlichen Wahnideeen. 

N. radialis ausserordentlich leicht zu erregen, galvanisch AOZ ^ ASZ 
N. ulnaris. Faradisch An fast = Ea. 


Anämie, Maries, Gesichtshallucinationen; keine 

Ebenso 


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Original fro-m 

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795 


111. Gruppe: Chronische Intoxicationen. 

5 männl. Individuen. 

1. Jacobsen, 31 Jahre alt, Tischler. Polyneuritis alcoholica (Schmerzen, Leber- 
vergrösserung, WZ Bömberg, retardirte Schmerzempfindung, Nystagmus, Doppelt* 
sehen u. s. w.). 

rechts links 

100 mm B.-A. 100 mm B.-A. 

90 „ „ 90 „ „ 

1,5 M.-A. 1,5 M.-A. 

{ 7,5 ” 7,5 » 

2. Paetzold, 45 Jahre alt, Böttcher. Trank 8 Glas Bier. Januar 1897 Un¬ 
fall. Parästhesieen, psychische Depression, rechts Taubheit, träge Lichtreaction der 
PupUlen, rechts Internusparese. Sehr stark. 


N. radialis 
Faradische Ka 
,1 An 
Galvanische KSZ 
„ ASZ 

„ AOZ 


rechts 

90 mm B.-A. 
75 ,, „ 

3,0 M.-A. 
5,0 ,, 
12,0 „ 


links 

80 mm B.-A. 
6b „ ,, 

3,0 M.-A. 
12,0 „ 
12,0 „ 


N. radialis 

Faradische Ka 
,, An 
Galvanische KSZ 
„ ASZ 

„ AOZ 

Scliliessungszuckungen deutlicher. 

N. ulnaris KSZ 1,5 M.-A. 

3. Menzel, 28 Jahre alt. Alkoholismus chron. 

Patellarrefleze erhöht. Bechts Dorsaldonus. 

Abducensparese. Sensibilität gut Elektrisch normal. 

N. radialis sin. KSZ 0,75 M.-A. 

AOZ > ASZ. 

Alle Beactionen sehr prompt. 

4. Kettmann, 37 Jahre alt, Arbeiter. Neurasthenia alcoloholica. 

N. radialis beiderseits ganz normal. AOZ etwas > ASZ. 

5. Pfendt, 21 Jahre alt, Schriftgiesser. Alkoholismus. Neurasthenia cordis. 
Die Leber überragt die Bippeawand um ca. 2 Querfinger. Sehr musculös. 


Bechtes Bein spastisch. Links 


Sehr musculös. 


N. radialis 
Faradische Ka 
,, An 
Galvanische KSZ 
„ AOZ 

„ ASZ 


rechts 

95 mm B.-A. 
99 ,, „ 

1,0 M.-A. 
3,5 „ 

4,0 „ 


links 

105 mm B.-A. 
105—90 mm B.-A. 
1,9 M.-A. 

3,5 ,, 

4,0 „ 


N. hypoglossus: faradische Ka 70mm B.-A., galvanische nur Schliessungszuckungen. 
,, An 60 ,, „ 

6. Gesske, 37 Jahre. Phthisis pulm. progress. Ischias sin. Gang paretisch, 
etwas spastisch. Keine Bigidität Patellarreflexe fehlen. Sensibilität normal. Grosse 
Maedes. 

Elektrisch überall normal, auch die Nn. radialis geben alle Beactionen. 


1. Beisser, 26 Jahre alt. 
und musculös. 


IY. Gruppe: Epilepsie. 

4 männl. Individuen. 
Hereditarier. Potator. 


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Epileptiker. Sehr gross 


Original fro-m 

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796 


N. radialis 


rechts 

links 

Faradische 

Ka 

90 mm R.-A. 

95 mm R.-A. 

ff 

An 

70 „ „ 

75—70 mm R.-A. 

Galvanische KSZ 

3,5 M.-A. 

3,0 M.-A. 

ff 

AOZ 

7,5 „ 

7,6 „ 

ff 

ASZ 

10,0 „ 

12,0 „ 


2. Mamsch, 45 Jahre. Oefters Anfälle, meist Petit mal. 

Degenerative Lähmung des rechten M. cucullaris nach Trauma, jetzt fast geheilt. 


N. radialis 


rechts 

links 

Faradische 

Ka 

110 mm R.-A. 

100 mm R.-A. 

ff 

An 

100 ,, ,, 

90 „ „ 

Galvanische 

KSZ 

1,5 M.-A. 

2,0 M.-A. 

ff 

ASZ 

7,5 „ 

5,0 ,, 

ff 

AOZ 

7,5 „ 

7,6 „ 


3. Schley, Max, 16 Jahre alt. Ein epileptischer Anfall. Hasenscharte, etwas 
imbecill. Vater an Dem. paral. gestorben. 

Sehr magerer Mensch. N. radial is ganz normal, alle Beactio'ien zn erhalten. 

4. Richter, Wilhelm, 12 Jahr. Rachitis. Krampfanfälle. Sehr klein, blass, 
schwächlich. 

N. radialis in Ordnung. ASZ und AOZ zu erzielen. 

V. Gruppe: Apoplexie. 

2. Fälle: 1 männl., 1 weibl. 

1. Hermann, 64 Jahre alt, Bierbrauer. Hemiplegia sin. 

Nn. radialis gegen alle Reactionen. AOZ > ASZ. 

2. Frau Krfiger, 52. Jahre alt. Parese des linken Armes nach Schlaganfall. 
Radialis normal. AOZ > ASZ. 

Faradi8che An und Ka fast gleich. 


VI. Gruppe: Tabes und Lues spinalis. 

Ausser den beiden Fällen mit veränderter Reaction (Schenk und Casper) 
kamen zur Beobachtung: 

1. Schräder, 52 Jahre alt, mager. Arbeiter. 

Nn. radiales normal. ASZ > AOZ. 

2. Kalies, 40 Jahre alt, mager. Buchhalter. Tabes incipiens. 

Radiales sehr leicht erregbar. 

3. Hoffmann, 31 Jahre alt, Reisender. Paralysis spinalis syphil. (Erb). 

Gleichfalls ganz normale Reactionen. 

4. Frau Seiffert, 52 Jahre alt Tabes incipiens. 

Normale Reactionen. 

5. Frau Schultz, 38 Jahre alt Lues spinalis. Mann 1892 an Dem. paral. 
gestorben. 

Gefühl von Nadelstechen in Finger- und Zehenspitzen. Patellarreflexe nicht 
auszulösen. Beine schwach, hypotonisch. 

Nach .Todkaligebrauch kehren einige Wochen später die Kniephänomene wieder, 
die Parästhesieen sind geschwunden. 


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797 


N. radialis rechts links 

Faradische Ka 80 mm R.-A. 90 mm R.-A. 

» An 70 ,, ,. 80 „ ,, 

Galvanische KSZ 2,2 M.-A. 1,75 M.-A. 

AOZ 5,0 „ 3,0 „ 

„ ASZ(!) 14,0 „ 8,0 „ 

N. ulnaris sin. faradische Ka 110 mm R.-A. 

„ An 100 „ i, 

galvanische KSZ 1,0 M.-A. ASZ = AOZ 4,0 M.-A. 

Da ich somit unter 51 Fällen nur 3 Mal abnorme Radialisreactionen er¬ 
hielt, welche nach der Eigenart der Fälle nicht besonders überraschen können, 
so dürfte wohl die tiefe Lage dieses Nerven nicht oder wenigstens nicht aus¬ 
schliesslich für die Anomalien verantwortlich zu machen sein. 

Es giebt nun einen Nerven, der zweifelsohne viel schwerer zu erregen ist 
als der Radialis, nämlich der Stamm des Hypoglossus, von welchem wenigstens 
nach meinen Erfahrungen nur in einer kleinen Zahl von Untersuchungen eine 
sichere Reaction zu erhalten ist; die faradische Exploration wird hier gestört 
durch die lebhafte Contraction des Platysma, die galvanische noch ausserdem 
durch die lästigen Schluckreflexe. 

Einige Male gelang es mir, eine deutliche Zungenbewegung auf der ge¬ 
reizten Seite zu erhalten, gewöhnlich nur für den Inductionsstrom; dann konnte 
ich stets beobachten, dass die faradische Anode nur eine unwesentlich schwächere 
Wirkung entfaltete als die Kathode; einmal habe ich auch sogar galvanische 
ASZ erzielen können, während AOZ nicht darzustellen war. 

Also für diesen viel ungünstiger gelegenen Nerven hat die BEBNHABDx’sche 
Annahme keine Bestätigung gefunden. 

Ich komme demnach zu folgenden Schlüssen: 

1. Normalerweise ist der N. radialis an der Umschlagsstelle zu erregen 
für beide Pole des Oeffnungsinductionsstromes und ist bei galvanischer Unter¬ 
suchung die Vereinzelung der Anodenöffnungs* und -Schliessungszuckung möglich. 

2. Stellt sich bei wiederholter Prüfung heraus, dass der Nerv auf gal¬ 
vanische ASZ nicht anspricht und dass für die faradische Anode gar nicht oder 
erst bei sehr geringem Rollenabstande eine Reaction erzielt wird, so ist diese 
Erscheinung zwar nicht für eine bestimmte Affection pathognomonisch, hat aber 
den Werth einer quantitativen Erregbarkeitsherabsetzung überhaupt. In erster 
Linie wird dann an eine Beeinflussung des Nerven bzw. seines Kern- oder Wurzel¬ 
gebietes zu denken sein. 

3. Ueber die Structur der Spinalganglienzellen. 

[Eine Erwiderung.] 

Von Dr. Ernst Heimann. 

In Nr. 13 d. Centralbl. 1 unterzieht von Lenhoss&k meine Arbeit: „Bei¬ 
träge zur Kenntniss der feineren Structur der Spinalganglienzellen“ 1 einer ein- 

» Bd. XVIL 8. 677. * Virchow'u Arch. 1898. Bd. CL1I. S. 298. 

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798 


gehenden Kritik. Obgleich ich mir nun der Ehre, von einem so hervorragenden 
Forscher, wie es von Lenhossäk ist, einer Erwiderung gewürdigt zu werden, 
voll und ganz bewusst bin, so kann ich es doch im Interesse der Sache nicht 
unterlassen, meinen Standpunkt mit einigen Worten zu präcisiren. 

Was die Frage der Dauer der Sublimatfixation anbelangt, so kann ich mich 
trotz der grossen Zahl von Autoren, die von Lenhossük gegen mich ins Treffen 
fuhrt, doch nicht dazu entschliessen, das Spinalganglion eines Kaninchens länger 
als 2 Stunden in der Fixationsflüssigkeit liegen zu lassen. Das ist auch für ein 
so kleines Object gar nicht zu wenig, wenn man bedenkt, dass ich, wie dies 
auf S. 301 meiner Arbeit ausdrücklich bemerkt ist, die Fixation bei Körper¬ 
temperatur vor sich gehen lasse. 

Wenn von LenhossAk behauptet, meine Zellen seien, soweit er dies nach 
den Abbildungen beurtheilen könnte, ungenügend fixirt, so möchte ich ihn doch 
fragen, was ist denn eigentlich eine unterfixirte, eine normalfixirte und eine 
überfixirte Zelle. Diese Ausdrücke sind doch mindestens recht relativ zu nehmen, 
. da es hier zum grössten Theil auf persönliche Anschauungen ankommt, die 
durch Beweise wohl kaum zu stützen sind. Die 8 Kriterien von LenhossEk’s 
sind doch recht willkürlich aufgestellt. Ganz abgesehen davon trifft aber sein 
2. und 3. Postulat für eine normalfixirte Zelle, der geradlinige Verlauf des wirk¬ 
lichen Zellcontour und dessen Zusammenfallen mit der inneren Grenze des 
Kapselepithels, auf meine angeblich „vollkommen vernichtete“ Zelle (Fig. 17) 
schon aus dem Grunde nicht zu, weil erstens die Zellkapsel gar nicht mit ab¬ 
gebildet ist und zweitens bei richtiger Ausführung der Nisai/schen Färbung, 
d. h. bei entsprechender Differenzirung, die den Zellcontour bildende Grund¬ 
substanz ungefärbt i. e. unsichtbar bleibt Wären im übrigen meine Spinal¬ 
ganglien wirklich ungenügend fixirt, dann müsste ein wesentlicher Unterschied 
zwischen den an der Peripherie und den im Centrum des Ganglions liegenden 
Zellen vorhanden sein. Dies ist aber nun an keinem einzigen meiner Präparate 
der Fall. Wenn von LenhossAk ferner bei Fig. 25 die undeutliche Begrenzung 
des Kerns als einen Beweis für mangelhafte Fixation erachtet, so kann ich nur 
annehmen, dass er dasselbe gethan hat, was er mir vorwirft, nämlich, dass er 
ungenau gelesen hat. In der Erklärung der Abbildungen steht bei Fig. 25: 
„Diese Zelle stammt von einem mit Arsenik vergifteten Thiere.“ Und dass 
sich hierbei zugleich mit der Chromatolyse beim Fortschreiten der Zellalteration 
die Grenzen des Kerns verwischen, dürfte allgemein bekannt sein. 

Zu der Frage der Toluidinblaufarbung will ich nur ganz kurz bemerken, 
dass, wenn sich das Tigroid mit vielen anderen Farben auch noch, und sogar 
recht schön färbt, das Toluidinblau eben kein „Specificum“, kein „elektives 
Färbemittel“ für dasselbe ist Wenn mir von LenhossAk supponirt, ich ur- 
theilte über die Toluidinblaufarbung und zöge Vergleiche zwischen ihr und 
anderen Tinctionen ohne die erstere ausgeführt zu haben, so enthalte ich mich 
darüber jeden Urtheils, wenn ich auch annehmen muss, dass er vielleicht in 
der Nichterwähnung meiner Versuche mit diesem Farbstoff eine Veranlassung 
zu dem Vorwurf gefunden hat Ich will deshalb ergänzend bemerken, dass 

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ich nicht nur Thhmin, Toloklinblau und Methylenblau zur Färbung angewandt 
habe, sondern von dem letzteren noch verschiedene Handelsmarken; doch wäre 
es natürlich eine Zumuthung für den Leser gewesen, hätte ich, anstatt das mir 
als das Beste erscheinende anzuführen, die Effecte aller dieser chemisch und 
hier zugleich tinctoriell gleichwertigen Farbstoffe neben einander aufgeführt 
Ebensowenig habe ich auch die mit Magentaroth, Fuchsin und Rubin, bezw. 
die mit Vesuvin und Chrysoidin erhaltenen Bilder einzeln beschrieben. 

Ich komme zum Punkte „Chromophilie.“ Trotz meiner „ziemlich umstand* 
liehen“ Beschreibung der physiologischen Zellzustände scheint die Sache immerhin 
noch nicht so klar zu sein, wenigstens behauptet dies von Lenhossük; und 
doch geht aus meiner Darstellung, die er zum Theil abgedruckt hat, klar hervor, 
dass der Zustand der dunkleren Färbung der Nervenzellen als Pycnomorphie- 
Nissl (bezw. Chromophilie-FLESCH) bezeichnet wird, während die helleren Zellen 
a pycnomorph-N issl (bezw. ehromophob-FLEscH) zu nennen sind. Dass ich mich 
da auf den Standpunkt Flesoh’s gestellt haben soll, leuchtet mir nicht ein. 
Im Gegentheil, da ich die Nomenclatur Flesoh’s in Parenthese habe drucken 
lassen, dürfte es ziemlich klar sein, dass ich die Nomenclatur Nissl’s benutzte. 
Wenn ich also weiter von Chromophilie rede, so weiss Jedermann — besonders 
da auf eine frühere Stelle hingewiesen ist, in der dies ausdrücklich hervorgehoben 
wurde —, dass es sich um die Chromophilie im Sinne Nissl’s handelt, jenen 
Zustand, in dem die Zelle, tintenartig diffus gefärbt, Structureinzelheiten nicht 
erkennen lässt. Nachdem von Lenhossük jetzt, wie er es selbst in einer Fuss- 
note angiebt, die Arbeiten Flesch’s und seiner Schülerinnen einer „erneuerten 
Durchsicht“ unterzogen hat, werden wohl alle „Zweifel“ und Missverständnisse 
bezüglich dieses Punktes endgültig beseitigt sein. 

Das Kerngerüst ist, trotz aller Versuche von Lenhossek’s, dies zu be¬ 
weisen, doch nicht acidophil, denn es färbt sich mit basischen Farben, auch 
ohne dass ihm durch starke Tingirung ein „Hauch von Färbung aufgezwungen“ 
wäre. Wäre letzteres der Fall, d. h. wäre der Schnitt überfärbt oder nicht 
hinreichend differenzirt, so würde sich sicherlich die sonst ungefärbt bleibende, 
zwischen den Maschen des Kerngerüsts liegende Kernsubstanz (Kemsaft) mit¬ 
färben. In meinen sämmtlichen nach Nissl gefärbten Präparaten hat sich nun 
das Kerngerüst, besonders deutlich die Areola perinucleolaris, schwach gefärbt, 
der Kernsaft aber nicht; da man nun einen Zellenbestandtheil, der sich auch 
mit basischen Farben färben lässt, nicht als acidophil bezeichnen kann, so dürfte 
es mithin mit der specifischen Affinität des Kerngerüsts zu sauren Farben 
schlecht bestellt sein. Wirklich acidophil ist nur die Kernmembran, denn die 
färbt sich unter keiner Bedingung mit basischen Farben. 

Zum Schlüsse kommt nun doch von LbnhobsEk zu einem ähnlichen Re¬ 
sultat bezüglich der Frage des fibrillären Baues der Nervenzelle, wie ich in 
meiner rein „technischen Mittheilung“. Luoabo hat also endlich das Postulat 
„überzeugende Bilder im Sinne des Fibrillenbaues“ zu erhalten, mit seinen von 
Arsenik-vergifteten Thieren stammenden Präparaten erfüllt. Wenn von Len- 
hoss&k meint, ich hätte diesen LuGAno’schen Versuch nur deshalb an den 

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Schloss meines Aufsatzes gesetzt, weil ich selbst meiner Sache noch nicht ganz 
sicher gewesen wäre, so irrt er doch. Dies sollte nicht dazu dienen, meine An¬ 
sicht zu stützen, sondern war ausschliesslich berechnet für die kleine Schaar der 
in diesem Punkte Ungläubigen, um ihnen zu zeigen, dass man, auch ohne von 
FiiKMMiNG „suggestiv“ beeinflusst zu sein, die fibrilläre Structur als bestehend 
anerkennen muss. 

Soweit die sachliche Richtigstellung der von ton Lenhoss&k angegriffenen 
Punkte meiner Arbeit. Auf den zum Theil persönlichen Ton desselben ein¬ 
zugehen, trage ich kein Verlangen. 


II. Referate. 


Anatomie. 

1) Studios of the neuroglia, by F. W. Eurich. (Brain. 1897. Winter.) 

Allgemeine Betrachtungen über die Neuroglia, besonders gestützt anf Unter¬ 
suchungen mit Weigert’scher Färbung. Verf. kommt zu folgenden Schlüssen: 

1. Die Trennung der Neurogliazelle in Zellkörper und freie Fasern ist ein 
letztes Stadium in ihrer Entwickelung, und diese Entwickelung findet an verschiedenen 
Stellen in verschiedener Ausdehnung statt 

2. Nicht alle Zellen erreichen dies Stadium, sondern einige bleiben echte Astro- 
cyten mit Protoplasmafortsätzen. 

3. Jeder „heilende“ sklerosirende Process im Centralnervensystem ist das Werk 
der Neuroglia. 

4. Die Principien dieses immer gleichen Processes sind: a) die Zelle kehrt zu 
ihrem früheren Typus zurück, b) die neugebildeten Fasern folgen den Bahnen der 
präexistirenden, c) die neugebildeten Gliazellen wandern nicht, d) die Fasern wachsen 
besonders nach der Richtung in der bei Zerfall der Nervensubstanz am wenigsten 
Hülfe durch Schrumpfung und Annäherung der Oberfläche der nervösen Theile an¬ 
einander geleistet wird, e) beide Astrocytentypen können eine Sklerose hervorrufen. 

ö. Die Neuroglia ist rein epiblastischer Natur; enthält keine mesoblas tischen 
Elemente. 

6. Die Lagerung der Gliaelemente wird beim gesunden Erwachsenen durch das 
Wachsthum der Nervenelemente selbst bedingt. 

7. Mesoblastisches Bindegewebe nimmt an der Sklerose nicht Theil. 

8. Bei der Sklerose hat jede Gliafaser ihr eigenes Gebiet Dieses Gebiet wird 

von der Zelle versorgt, in der die Faser entspringt, und jede Faser beschränkt sich 
auf ihr eigenes Gebiet. Mit anderen Worten: es giebt Gliafasersysteme sowohl bei 
Gesunden wie bei Kranken. L. Br ans. 


2) A method of examining fresh nerv oells; with notes oonoeming their 
struoture and the alterations oaused in them by disease, by J. Turner. 
(Brain. 1897. Winter.) 

Verf. legt dünne Stücke der Hirnrinde direct in eine 0,5 °/ 0 wässrige Methylen¬ 
blaulösung etwa 3—12 Stunden. Dann nimmt er mit dem Messer ein möglichst 

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dünnes Stück davon, legt es auf einen Objectträger, tropft etwas Wasser darüber, 
legt ein Deckglas darauf und presst langsam das Stück, bis es durchsichtig wird. 
Die Präparate halten sich etwa 10 Tage. Sie zeigen, dass die Anordnung der 
chromatophilen Substanz, wie sie sich auch bei Nissl’s Verfahren zeigt, in der 
todten Zelle auch ohne alle künstliche Härtung, speciell durch Alkohol, vorhanden 
ist. Auch sonstige Veränderungen, z. B. mangelnde Elasticität der Zellen, Ver¬ 
änderungen in der Form, in der Anordnung der chromatophilen Substanz bei Krank¬ 
heiten u. 8. w. kann man leicht erkennen.' L. Bruns. 


Experimentelle Physiologie. 

3) The oerebral oapillary oiroulation, by C. Cappie. (Brain. 1898. Spring.) 

Auseinandersetzungen darüber, dass die Circulation im Gehirn nicht allein vom 
Druck des Herzens abhängt, und von ihm regulirt werden kann, sondern dass dabei 
— bei dem wechselnden Bedürfniss der Hirnsubstanz nach Blutzufuhr, von Buhe 
und Thätigkeit — auch von der Hirnmasse selbst ausgehende Kräfte mitspielen 
müssen. L. Brnns. 


4) Bi oerohe sperlmentali sui prooessi di embolismo infettante nei oentri- 
nervosi e solla genesi degll asoessi oerebral!, per D. Fieschi. (Bivist 
di Patolog. nerv, e ment. 1898. Nr. 1.) 

Verf. brachte Embolie mit Staphylokokken in die Carotis. Es gelang ihm bei 
40 Thieren, Hirnabscesse zu erzeugen. Die Thiere starben wenige Tage nach dem 
Eingriff. Die Dura fand sich verdickt, die Hirnoberfläche hämorrhagisch oder anä¬ 
misch, die Ventrikelflüssigkeit vermehrt die Abscesse regellos über das ganze Hirn 
mit Ausnahme des Cerebellums verstreut, von Hanfkorngrösse bis zu solchen von 
mikroskopischen Dimensionen. Am häufigsten waren die graue Substanz und die 
Basalganglien betroffen. 

An Golgi-Präparaten erschien eine structurlose amorphe Substanz im Abscess, 
dann folgte eine Zone frei von Ganglienzellen, weiterhin die Zellen vacuolisirt und 
deformirt mit varicösen Fortsätzen. Die inmitten den Leukocyten gelegenen Nerven¬ 
zellen zeigten Chromatolyse und Läsionen der achromatischen Substanz. 

In Folge der Kürze der Zeit, die zwischen dem Eingriff und dem Tode der 
Thiere lag, fehlen an den dem Abscess benachbarten Gewebe Vorgänge reparativer 
Art. Valentin. 


5) Bor la Physiologie da oorps oalleux et sur les moyens de recherohe 
pour l’dtrude de la fonotion des ganglions de la base, par D. Lo Monaco. 
(Arch. Ital. de Biologie. Tome XXVII.) 

Verf. hat nach der doppelten Unterbindung des Sinus longitudinalis superior 
und nach der Durchschneidung der Falx cerebri keine Störungen auftreten sehen. 
Bei der nunmehr vorgenommenen elektrischen Beizung des Corpus callosum zeigte 
sich kein motorischer Effect; ebensowenig wurde nach Längsdnrchschneidung des 
Balkens irgend welche Störung der Motilität oder Sensibilität bemerkt. Verf. erwähnt 
dann, dass man sich auf diesem Wege — Unterbindung des Sin. longitud. sup., 
Durchschneidung der Falx, Spaltung des Balkens — die Basalganglien, und zwar 
zunächst den Thalamus opticus, in zweckmässiger Weise zugänglich machen könne. 

Kaplan (Herzberge). 


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Pathologische Anatomie. 

6) Ueber die Bedeutung des Balkenmangels im mensohliehen Grosshira, 
von Dr. H. Zingerle, Assistent der Klinik fOr Nerven- nnd Geisteskranke in 
Graz. (Archiv f. Psych. u. Nervenkrankh. Bd. XXX. 1898.) 

Ein SVijähriger Knabe, der geistig zurückgeblieben war, an englischer Krank¬ 
heit und epileptischen Anfällen litt, kam wegen Zunahme der Kräfte ins Spital und 
verstarb an demselben Tage im Coma. Bei der Section fand sich ein durch Ver¬ 
knöcherung geheilter Knochensprung im linken Scheitelbein. Unter der Dura lag 
ein Exsudat, welches die linke Hemisphäre comprimirte. Der linke Stimlappen war 
grösser als der rechte, der linke Schläfenlappen verschmälert, der linke Occipital- 
lappen abgestutzt. Der Balken reichte in diesem Gehirn nur bis in die Gegend des 
Fusses der Stirnwindung, war auch dort dünn und schmal, im fibrigen Bereich der 
Balkenstelle lagen die Kammerhöhlen offen zu Tage. Die Kammern waren mächtig 
erweitert, links mehr als rechts. Das Ependym war granulirt, neben allgemein 
diffuser Verdickung war dasselbe von erhabenen Knötchen besetzt, im linken Hinter- 
hom bildeten verflechtende Narben zöge eine netzförmige Zeichnung. Von der medialen 
Seite gesehen lag das linke Seitenhorn und der grösste Theil des linken Hinterhorns 
in Form einer langgestreckten seichten Grube völlig geöffnet zu Tage. Am Grund 
dieser Grube sprangen Thalamus opticus und Nudeus caudatus unbedeckt hervor. 
Die pedisle Wand des mächtig nach oben und hinten erweiterten Hinterhorns fehlte 
nahezu vollkommen, seine hintere Begrenzung bildete ein breiter Bandwulst, der von 
unten her unmittelbar aus dem Gyrus hippocampi sich fortsetzend nach aufwärts und 
vorwärts umbog und dabei die obere Begrenzung des Seitenventrikels darstellte. Das 
linke Balkenknie war sehr dünn, das Septum pellucidum fehlte, der linke auf- 
steigende Fornixschenkel war unausgebildet. An Stelle der linken Fimbria fand sich 
eine bindewebige Membran. Der Fornixkörper fehlte vollständig, die vordere Com- 
missur war wohl entwickelt, die mittlere dflnn, die hintere erhalten. Rechts war 
das Balkenknie mit seinem dflnnen absteigenden Theile vorhanden, setzte sich nach 
rückwärts fort in eine dflnne nach aufwärts geschlagene Faserplatte, die sich dann 
verlor, das Splenium corporis callosi fehlte vollständig. Der rechte Fornix war ent¬ 
wickelt, die Zirbeldrflse war nicht aufzufinden. An beiden Hemisphären wurden 
allerlei Windungsanomalieen, auch radiärer Furchungstypus constatirt, links im 
höheren Grade als rechts. Auf allen Durchschnitten machte sich endlich ein auf¬ 
fallendes Missverhältniss zwischen der weissen Markmasse und dem Bindengrau za 
Gunsten des letzteren bemerkbar. 

Verf. hat das Gehirn, namentlich die hintere Hemisphäre, eingehend mikro¬ 
skopisch untersucht und dabei allerlei anatomische Details aufgefunden, die der Arbeit 
besonderen Werth verleihen. 

Er erklärt sich den partiellen Balkendefect im vorliegenden Falle so, dass ein 
Trauma auf der linken Seite des Schädels eine Fractnr und eine meningeale Blutung 
hervorgerufen habe. Hierdurch ist es zu stärkeren eutzflndlichen Erscheinungen und 
zu stärkerem Hydrocephalus internus in der linken Hemisphäre gekommen. Der 
acute Hydrocephalus hat Erweichungen und Druckatrophie in den umgebenden Gehirn¬ 
fasermassen bewirkt und hat den Balken und den Fornix theilweiso zerstört. Die 
Schädigung setzte in einem Zeitpunkt ein, in dem der Ausbau des Balkens in seien 
Hauptzflgen bereits beendet und auch die hinteren Balkentheile schon gebildet 
waren. In Folge der Continuitätsunterbrechung sind die Fasern des Balkens in 
beide Hemisphären hineindegeneriri Der radiäre Furchungstypus spricht dafür, dass 
das Trauma noch während des intrauterinen Wachsthums stattgefunden hat. 

G. Ilberg (Sonnenstein). 


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Pathologie des Nervensystems. 

7) Ueber den Einfluss des Tropenklimas auf das Nervensystem, von 

Chr. Basch (Sorau). (Allgem. Zeitschr. f. Psych. Bd. LIV. S. 745.) 

Der Verf. hatte Gelegenheit in Siam den Einfluss des Tropenklimas auf das 
Nervensystem zu studiren; das augenfälligste Symptom ist die mehr oder minder 
hartnäckige und andauernde Schlaflosigkeit (die „tropische Agrypnie“ Dä übler ’s). 
Daran schliesst sich Erschlaffung, geistige Indifferenz, Abnahme der Widerstands¬ 
fähigkeit gegen Krankheiten, Unlust zu körperlicher und geistiger Anstrengung, Ver¬ 
lust an geistiger Elasticität, Einbusse an Energie, Empfindlichkeit gegen kleine 
Leiden, fortschreitende Abstumpfung der geistigen Fähigkeiten, Gedächtnissabnahme, 
Aufregung und Depression, Steigerung der gemüthlichen Erregbarkeit» Reizbarkeit 
bis zu der brutalsten Explosivität. Bei den zur Illustration beigeffigten 10 Kranken¬ 
geschichten ist leider die Krankheit oft nicht bis zum Ende beobachtet oder die 
Anamnese lückenhaft, was übrigens nicht dem Verf. zur Last fällt, und so eine 
definitive Entscheidung der Frage, ob es sich nicht in einzelnen Fällen um Paralysen 
handelt, nicht möglich. Bei einigen Psychosen spielt der Alkoholconsum ein wichtige 
Rolle. Wenn aber auch nicht für alle Fälle der Causalzusammenhang zwischen 
Psychose und Tropenklima ein ganz sicherer ist, scheint doch des Verf.’s Warnung 
berechtigt: Personen, die zu Nervenkrankheiten disponirt sind, oder an einer solchen, 
besonders auch an Epilepsie leiden, sollten nicht in die Tropen gehen. 

Unter den sonstigen Tropenkrankheiten ist die häufigste und verderblichste die 
Malaria, die kaum einer ohne dauernde Schädigung überstehe. Erwähnenswerth ist 
auch der Cinchonismus- oder Chininrausch, der bei acuter Chininvergiftung vorkommt. 

G. Aschäffenburg (Heidelberg). 


8) Ueber Herderkrankungen des Gehirns, welohe vom Patienten selbst 
nioht wahrgenommen werden, von Prof. Dr. G. Anton. Nach einem Vor¬ 
trage, gehalten im Verein der Aerzte in Steiermark am 20. December 1897. 
(Wiener klin. Wochenschr. 1898. Nr. 10.) 

Verf. spricht von solchen Herderkrankungen, welche zwar der ärztlichen Unter¬ 
suchung nachweisbar sind, dem Pat. aber latent bleiben oder von ihm wenig beachtet 
werden. 

Hierher gehört der halbseitige Verlust der Muskelempfindnngen mit oder 
ohne Lähmung. Solche Kranke nehmen wenig Notiz von der Lähmung, versuchen 
zu gehen und stürzen zusammen und wiederholen in kurzer Zeit denselben Versuch. 
Häufig sind sie auch halbseitig blind und taub und empfangen dann von dieser 
Körperseite keine Empfindungen, können daher auch die Vorstellungen verlieren, die 
sich auf dieselbe beziehen. Im Verlaufe der Hy st er io können ähnliche Gefflhls- 
störnngen Vorkommen. 

In obigem Vereine hat Verf. (1896, Nr. 3 der Mittheilungen) eine Kranke vor¬ 
gestellt, bei der die optische Wahrnehmung der Aussenwelt aufgehoben war, 
ohne dass sich die Pat. ihrer vollständigen Erblindung bewusst war; sie „war ge- 
wissermaassen seelenblind für ihre Blindheit.“ Bei der Obduction fanden sich beider¬ 
seits Erweichungsherde an der Couvexität des Occipitallappens bis in die centralen 
Sehstrahlungen hinein. Die Fissura calcarina, das Sehcentrum, war intact» aber auch 
hier waren die centralen Sehbabnen secundär degeneriri 

Aebnlicbes kommt in dem acustischen Systeme vor. Es giebt Aphasieen, 
welche von dem Kranken nicht empfunden werden und nicht richtig beurtheilt werden 
können. 

Zwei solche Fälle von unbewusster Taubheit theilt Verf. mit: 


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I. 64jähr. Mann; vor 10 Jahren schwere Kopfverletzung. Seither vollkommen 
taub fQr äussere Schallreize, ohne davon eine Selbstwahrnehmung zu haben. Fragen 
lässt er unberücksichtigt und erwartet selbst nie eine Antwort Auf Geberdensprache 
reagirt er lebhaft Er leidet an Gehörshallucinationen. Sein sprachliches Ausdrucks¬ 
vermögen ist etwas primitiv (fasst einscbliesslicher Gebrauch von Infinitiven); aber 
er wählt für seine Gedanken und Wahnideeen die richtigen Worte und benennt vor¬ 
gezeigte Gegenstände richtig. Negativer Ohrbefund. Es dürfte sich damals um eine 
beiderseitige Verletzung des Schläfelappens gehandelt haben, mit theilweiser Heilung 
der Gehimstörung in den letzten 10 Jahren, da zum Unterschiede von allen bisher 
mitgetheilten Fällen Worttaubheit und Wortverwechslung (sensorische Aphasie) fehlte. 
Solche Sprachstörungen sind eben nicht stationär, sondern einer bedeutenden Besse¬ 
rung fähig. 

II. 69jährige Sennerin; zeigt nicht die mindeste Beaction auf acustische Beize. 
Auch durch Knochenleitung keine Schallempfindung auszulösen. Wortverwechselung, 
grammatikalisch unrichtige Wortfügung; für Gesichts-, Tast- und Körperempfindungen 
hatte sie meist die richtige Bezeichnung. Gegen ihren Defect blieb sie psychisch 
indifferent. Tod an Bronchitis. Section: Erweichungsherd in der ersten und zum 
Theil der zweiten Schläfenwindung bis zur unteren Occipitalwindung beiderseits fast 
symmetrisch. Die Leitungsbahnen zu diesen beiden Schläfewindungen und besonders 
die Faserstrahlen vom Scbläfelappen zum Hirnschenkel (centrale Hörstrahlen) sind 
degenerirt, ebenso die Bahnen zum Thalamus opticus. Fascicul. long. inf. ver¬ 
schmälert, das Tapetum zum Theil entartet, das Corp. genic. int beiderseits atrophirt. 

Es war also die Verbindung des Schläfehirns mit den Acusticuskernen, mit 
anderen Theilen des Grosshirns und die der beiden Schläfelappen untereinander auf¬ 
gehoben. 

Damit ist die Taubheit und die Aphasie erklärt. Der Mangel des Bewusstseins 
für diese schweren Functionsstörungen, ohne dass ein genügender Grad von Blödsinn 
vorhanden wäre, hat noch keine befriedigende Erklärung gefunden. 

J. Sorgo (Wien). 

9) L’dvolution du langage, oonsideree au point de vue de l’dtude de 
l’aphasie, par P. Marie. (La presse mddicale. 1897. 29. Dec.) 

Verf. giebt in seinem geistreichen Aufsatze zunächst einen kurzen Ueberblick 
Über die Entwickelung der Sprache und der Schrift. Die erstere habe sich aus 
einer „natürlichen“ Sprache (welche auch den Thieren zu eigen sei), deren Ursprung 
wahrscheinlich die Onomatopoetica darstellen, langsam zu ihrer jetzigen Differenzirt- 
heit entwickelt Die Schrift — Verf. weist ausführlich auf die Hieroglyphen hin — 
hat sich aus einer erst rein symbolischen Bilderschrift („Ideogramme“) auf eigen¬ 
tümlichem Wege zu einer phonetischen, alphabetischen entwickelt. 

Während der Gebrauch der Sprache uralt sei, jedem Individuum in der Anlage 
zu eigen sei, sei der der Schrift relativ jungen Datums. Bis vor relativ wenigen 
Generationen sei an sich die Schrift vielfach fast ausschliesslich Eigenthum einer um¬ 
schriebenen Kaste Gebildeter (Geistlichkeit, Adel) gewesen. Es sei nicht wahrscheinlich 
anzunehmen, dass in den wenigen Generationen, seit denen die Schrift mehr All¬ 
gemeingut geworden sei, sich ein besonderes Centrum für sie im Gehirn ausgebildet 
habe. Während es also ein jedem Individuum angeborenes „präformirtes“ Sprach- 
centrum gebe, handele es sich bei der Schrift nicht um ein specielles Centrum für 
dieselbe, sondern nur um „adaptirte“ Centren, die ihre sonstigen Functionen (Sehen, 
Bewegung der Glieder u. s. w.) zu derjenigen des Schreibens Zusammentragen. 

Beim Schreiben macht man 2 Acte durch: 

1. Vorstellung der die Worte zusammensetzenden Laute und Umsetzung der¬ 
selben in bestimmte graphische Zeichen; 

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2. Niederschrift dieser graphischen Zeichen; 

Der erste dieser Acte steht mit unter der Abhängigkeit des Sprachcentrums, der 
zweite vollzieht sich unter Mitwirkung psychomotorischer Centren. Die Agraphie bei 
der motorischen Aphasie wird Störungen des phonetischen Elements der inneren 
Sprache zuzuschreiben sein, während diejenige bei der sensorischen Aphasie vom 
Verlust der optischen Buchstabenvorstellungen herrflhren wird. 

Wieso existire nun aber eine sensorische Aphasie mit mehr oder weniger voll¬ 
ständiger Wortblindbeit ohne Agraphie? („subcorticale Alexie“, „reine Wortblindheit“ 
Dejerine). 

Verf. hält für die einfachste Erklärung die folgende: 

Es gäbe Leute, die wenig, und solche, die viel schreiben. 

Bei ungebildeten Leuten, welche selten und nur mühsam schreiben, geschehe 
das Schreiben stets nur unter vorheriger Vermittelung optischer Buchstabenvorstellungen; 
sie „buchstabiren mit den Augen“. Beim Verlust des optischen Erinnerungsbildes 
der Buchstaben werden sie daher unfähig zu schreiben. 

Bei Gebildeten, welche häufig und viel geschrieben haben, geschieht der ganze 
Vorgang des Schreibens viel mechanischer: In Folge der langen Uebung ist der 
Umweg über die Buchstabenbilder langsam gänzlich überflüssig geworden, fällt weg; 
die Verbindung zwischen Wortklangbild und motorischem Acte ist eine directe: „die 
Hand übersetzt die durch die innere Sprache gelieferten Laute direct in graphische 
Zeichen.“ (Verf. beruft sich auf vielfache Analogieen im täglichen Leben, bei 
welchen die Einübung einer Handlung das anfangs nothwendige Dazwischentreten 
optischer Vorstellungen langsam überflüssig mache.) 

Damit stimme es völlig überein, dass von zwei sensorischen Aphatikern mit Alexie 
durch Wortblindheit der eine, welcher ein eiufacher Feldarbeiter war, agraphiscb 
war, während der andere, ein professioneller Notarsschreiber, die Fähigkeit des 
Schreibens trotz des Verlustes seiner optischen Erinnerungsbilder nicht ein- 
gebüsst hatte. 

Verf. betont nochmals die Ueberflüssigkeit eines besonderen Schreibcentrums und 
wendet sich energisch gegen die übermässige Localisationssucht, welche in der 
Aphasiefrage Usus sei. Paul Cohn (Berlin). 


10) A oase of word — without letter — blindness, by James Hinshel- 

wood. (Lancet. 1898. Feb. 12.) 

Ein 53jähr. Mann zeigte 5 Wochen nach einem apoplectischen Insult (mit Con- 
vulsionen) folgendes Bild: Sehschärfe ®/s* Augenhintergrund normal. Buchstaben 
werden fliessend gelesen, hingegen vermag Pat. Worte nur dann zu lesen, wenn er 
mühsam und langsam Buchstaben für Buchstaben laut ausspricht. Nur ganz kurze 
und gewöhnliche Worte (wie z. B. of, to, the) vermochte er ohne solches Buch¬ 
stabiren zu lesen. Die Grösse der Lettern war einflusslos: die kleinsten Lettern 
wurden einzeln richtig gelesen, Worte auch in grossem Druck nicht. Geschriebene 
Worte wurden ebensowenig gelesen wie gedruckte. Zahlen wurden rasch und fliessend 
gelesen, und zwar auch vielstellige Zahlen und Brüche. Dictatschreiben und Ab¬ 
schreiben war normal, obwohl Pat. die von ihm selbst geschriebenen Worte nicht 
lesen konnte. Sprachfähigkeit im Uebrigen intact, nur soll das Gedächniss für 
Personennamen seit dem Anfalle abgenommen haben. Gesichtsfeld für Weiss und 
Farben normal. Aetiologisch kam namentlich Atheromatose in Betracht. Später 
entwickelte sich eine rechtsseitige Hemiplegie und motorische Aphasie. Ein Sections- 
befund liegt nicht vor. Verf. nimmt eine thrombotische Erweichung an, welche sich 
anfangs auf das Centrum der optischen Wortbilder beschränkte. 

Die Litteratur enthält nur zwei ebenso reine Fälle von Wortblindheit ohne 
Buchstabenblindheit (Burnett, Arch. of Ophthalmol. 1890 und Mierzejewski, 


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September-Sitzung der Petersburger psycbiatr. Gesellschaft. 1890). Einen analogen 
Fall bat Schweigger schon 1876 mitgetheilt (Gräfe’s Arch. Bd. XXII.) 

Verf. schliesst ans seinem and diesen Fällen, dass die Centren der optischen 
Wortbilder, der optischen Buchstabenbilder and der optischen Zahlenbilder sich nicht 
decken, sondern in der Binde nebeneinander liegen. Th. Ziehen. 


11) Angeborene psychische Taubheit, von Alb. Liebmann. (AUgem. med. 

Centralzeitung. 1898. Nr. 31.) 

Die angeborene psychische Taubheit gehört zu den Sprachstörungen, welche 
man unter dem Namen „Hörstummheit“ zusammenfasst. Es besteht trotz aus¬ 
reichenden Gehörs und genügender Intelligenz ein Mangel der Sprache. Verf. unter¬ 
scheidet: 

1. rein motorische Fälle, bei denen die Sprachorgane zu ungeschickt sind, am 
die richtig gehörten Worte nachzubilden. Die Prognose dieser Fälle ist eine gute. 
Nur besteht stets die Gefahr des geistigen Zurückbleibens, sowie des Stotterns und 
Stammelns; 

2. die motorisch-sensorischen Fälle, bei denen das Sprach verständniss nur für 
einzelne Worte, nicht für ganze Sätze ausreicht; 

3. die sensorischen Fälle, bei denen ein Verständnis auch für die einzelnen 
gehörten Worte völlig fehlt. Solche Kinder lallen die Worte in verstümmelter Form 
nach, ohne sie zu verstehen. 

Verf. berichtet über einen zu der letzten Gruppe gehörigen Fall, bei welchem 
der Hauptdefect in der acustischen Sphäre liegt, während . optische, tactile and 
motorische Fähigkeiten verhältnismässig gut entwickelt sind. Pat reagirt auf leise 
Geräusche, kann aber völlig differente Geräusche nicht unterscheiden. Es handelt 
sich aio nicht um Herabsetzung des Gehörs, sondern um eine rein psychische Taub¬ 
heit, deren Grund Verf. in der hochgradigen Unaufmerksamkeit und dem mangel¬ 
haften Gedächtnis des Patienten sieht. Die Behandlung beruhte auf Uebungen, 
welche eine Ausbildung der acustichen, motorischen und optichen Sphäre bezweckten 
und brachte den Knaben so weit, dass er mit Erfolg das Gymnasium besuchen 
konnte. Kurt MendeL 


12) I. Stiohverletzung der linken Hemisphäre von der rechten Orbita aus. 
Complete Hemiplegie und Aphasie. Heilung. — II. Intraoranielle 
Blutung nach suboutaner Schädelfractur der linken Sohläfengegend. 
Exspectative Behandlung. Heilung, von E. Martin. (Allgemeiner ärzt¬ 
licher Verein in Köln. Sitzung vom 24. Mai 1897.) (Deutsche med. Wochen¬ 
schrift. 1897. Nr. 31.) 

I. Ein lOjähr. Knabe wurde bewusst- und bewegungslos in das Spital gebracht: 
der Ueberbringer fand den Jungen auf der Strasse liegend und hatte ihm einen 
„tief im Kopf steckenden“ Eisenstab aus der rechten Orbita gezogen, in welchen der 
Knabe beim Spielen hineingefallen war. Kleine Stichwunde am rechten oberen Lid, 
starker Shok, kleiner und unregelmässiger Puls, mehrfaches Erbrechen. Rechtsseitige 
Hemiplegie. 4 Stunden nach dem Trauma temporäre Schädelresection an der rechten 
Stirn dicht über dem Orbitalrand, Hautperiostknochenlappen mit äusserer Basis; In- 
cision der stark gespannten Dura, kein Bluterguss sichtbar, Naht der Dura. Nach 
Ablösung des Periosts von der oberen Orbitalwand finden sich oben innen in der 
Tiefe Knochensplitter und Hirnmasse; Extraction, Jodoformgazetampon, Reposition 
des Schädellappens. Da die schweren Allgemeinsymptome anhalten, die Temperatur 
steigt, Eiter an dem Orbitaltampon sichtbar ist, wird 2 Tage später die Fracturstelle 
von der Orbita aus unter Opferung des Auges breit freigelegt. Tamponade. Die 


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Allgemeinsymptome schwinden, die rechtsseitige Hemiplegie und Aphasie bleiben zn- 
nächst bestehen nnd bessern sich erst ganz allmählich. 1 / a Jahr nach der Verletzung 
ist die Sprache fast normal, die Gesichtsmuskalator functionirt annähernd gut, da¬ 
gegen besteht noch totale Paralyse der rechten Vorderarmmuskulatur and Parese der 
rechten Unterschenkelmaskein mit Contractur und Eoflexsteigerung. Verf. glaubt, 
dass der Stab zunächst das rechte Stimhirn getroffen hat, dann qaer in das linke 
Orosshirn gedrungen ist und hier die innere Kapsel verletzt hat. 

II. Pat. wurde nach der Verletzung für kurze Zeit bewusstlos, legte dann 
einen grossen Weg zu Fuss zurück, will aber sogleich nicht gut haben sprechen 
können. Am 2. Tage Zunahme der Drucksymptome, am 3. Puls 42, Schläfrigkeit, 
vorübergehend complete Aphasie, Parese des rechten Facialis und Hypoglossus, ein¬ 
mal leichte Zuckungen im rechten Arme. — Die Pulsverlangsamung blieb noch 
einige Tage bestehen, die anderen Symptome schwanden bald, Pat. wurde in der 
4. Woche geheilt entlassen. Anfangsdiagnose: Blutung aus der Meningea media, 
spätere: intradurale Blutung, event. mit leichter Bindenläsion. In derartigen Fällen 
darf man bei genauer klinischer Beobachtung exspectativ verfahren. 

In der Discussion betont Leichtenstern die Schwierigkeit einer sicheren Dia¬ 
gnose dor Hirnsinusthrombosen. Die Cavernosustbrombose ist noch am ehesten dia- 
gnosticirbar, meist folgt sie einer primären Transversusthrombose. Diese letztere ist 
die häufigste Hirnsinusthrombose und nur selten sicher zu erkennen, da die ver¬ 
schiedenen directen Zeichen leider nur selten ausgeprägt sind. 

B. Pfeiffer (Cassel). 


13) Ein Beitrag nur Pathologie des oorticalen Höroentrums, von Dr. Fer¬ 
dinand Alt. (Monatsschr. f. Ohrenheilk. XXXIII. Nr. 1.) 

Für die Lehre vom corticalen Hörcentrum sind klinisch beobachtete und patho¬ 
logisch-anatomisch untersuchte Fälle um so mehr von grosser Bedeutung, als die 
Zahl letzterer, welche einwandsfrei sind, nur gering ist Namentlich mangelt es an 
einer genauen Gehörsprüfung. Die meisten Autoren verlegen die Hörsphäre in den 
hinteren Theil der ersten Schläfenwindung oder in die hinteren */ 3 der ersten und 
zweiten Schläfenwindung, das vorliegende Material für diese Folgerung theil Verf. 
mit. Berechtigt ist die Annahme, dass die erste Schläfenwindung einer jeden Seite 
zu dem Gehörorgan der anderen Seite in Beziehung steht, und dass jeder Gehörnerv 
mit beiden Schläfenlappen in Verbindung steht. Während die Stellung von Local¬ 
diagnosen des rechten Schläfenlappens kaum möglich ist, ist bei dem linken Schläfen¬ 
lappen durch dessen Beziehungen zum Sprachcentrum eine solche erleichtert. 

Verf. theilt folgenden Fall mit: 

S3jähriger Mann, Alkoholiker, vor 3 Jahren Ulcus durum, erwacht eines Tages 
mit rechtsseitiger Körperlähmung, Sprach Verlust, rechtsseitiger Taubheit, Schwindel, 
Sausen im rechten Ohr, Ausfall des Gedächtnisses, allmähliche Besserung, doch be¬ 
stand nach 3 Jahren folgendes: Psyche insofern alterirt, als er sehr leicht in heitere 
Stimmung gerätb. Sprache motorisch intact, ebenso Nachsprechen; ausgesprochene 
amnestische Aphasie. Erhebliche Gedächtnissschwäche. Schreibprüfung wegen Läh¬ 
mung unausführbar. Gehörsnerven intact, nur Parese des rechten unteren Facialis. 
Totale Taubheit des rechten Ohres. Motorische Parese der rechten Seite mit geringer 
Herabsetzung für tactile Sensibilität. Das Zusammentreffen von amnestischer Aphasie, 
rechtsseitiger Hemiplegie und rechtsseitiger (also gekreuzter) Taubheit lässt sich 
leicht durch einen Krankheitsherd, im vorliegenden Falle wohl eine auf luetischer 
Endarteriitis beruhende Erweichung, dee linken Schläfenlappens erklären, wobei der 
Herd gegen die Binde, als auch gegen die Tiefe vorgedrungen ist. 

Samuel (Stettin). 


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14) Un oas de surditö verbale pure terminöe par aphasie sensorielle 

suivi d’autopsie, par J. Dejerine et Paal Sörieux. (Eevue de Psychiatrie. 

1898. Janvier.) 

Unter obiger Bezeichnung verstehen die Yerff. eine Sprachstörung mit folgenden 
Symptomen: Verlast des Verständnisses der gesprochenen Worte, Unmöglichkeit, 
Worte za wiederholen and nach Dictat za schreiben, die Sprachstörung ist dieselbe, 
welche nach Lichtheim als surditö verbale sous-corticale bezeichnet wird. Bedingung 
für die reinen Fälle ist, dass das periphere and centrale (Labyrinth) Gehörorgan in* 
tact sind, deshalb sind nur sehr wenige (4) Fälle beobachtet, von welchen nur einer 
(Pick) zur Section kam. 

Der Fall betrifft eine Fraa, welche 5 Jahre lang folgende Symptome zeigte: 
Taubheit für Sprache and Musik, Spontansprechen intact, Verlast der Fähigkeit» 
nachzusprechen. Spontanschreiben und Abschreiben normal, Dictatschreiben fehlt, 
Verständnis für Gelesenes und Lautlesen normal, innere Sprache erhalten, dann er¬ 
folgte der Uebergang in sensorische Aphasie, rechts seit langer Zeit in Folge von 
Otitis media taub, verlor die Patientin auch links das Gehör. Die Intelligenz schwand. 
Nach 3 Jahren starb die Kranke im 55. Jahre. Die Autopsie ergab: Beide Temporal¬ 
lappen en masse atrophisch. Die Atrophie ist symmetrisch und verkleinert jeden 
Lappen um die Hälfte, sie zeigen ausgesprochene Mikrogyrie, die Insel liegt frei. 
Die Temporalwindangen haben ihre Form erhalten, sind aber am die Hälfte ver¬ 
kleinert. Die Binde der atrophischen Theile fühlt sich härter an, die Pia ist etwas 
adhärent. Alle übrigen Gehirntheile sind intact. Härtung in Müller’scher Flüssig¬ 
keit. Stücke der Temporalrinde wurden nach Pal und mit Carmin gefärbt. Die 
erkrankten Windungen zeigen ausschliesslich eine Läsion der Zellen, der Process 
nimmt von der Peripherie zu den centralen Theilen der Binde ab. Die Tangential¬ 
fasern sind verschwunden. Nervenzellen fehlen, während die Neurogliazellen und 
Kerne an Zahl vermehrt sind. Die kleinen Pyramidenzellen sind fast verschwunden, 
die grossen Pyramidenzellen sind zwar weniger betroffen, aber spärlicher als normal. 
Die Gefässwände sind verdickt, ebenso die Pia. Die radiären Fasern sind weniger 
zahlreich, ebenso die kurzen Associationsfasern. 

Herderscheinungen fehlten, die Projectionsfasern des Temporallappens waren an 
Zahl bemerkenswerth vermindert. Das Türk’sche Bündel enthielt viel weniger Fasern 
als normal. 

Vorbehaltlich einer ausführlicheren Veröffentlichung, glauben die Verflf. zu fol¬ 
genden Schlüssen berechtigt zu sein. 

Die reine Worttaubheit ist eine ausschliesslich coiücale Affection, in vorliegendem 
Falle eine Zellenerkrankung (Polioencephalitis chronica). Der Fall zeigt, wie der 
von Pick, dass der Worttaubheit eine doppelseitige Läsion der Temporalregion zu 
Grunde liegt, in dem corticalen Gehörcentrum. Dabei handelt es sich um eine func¬ 
tioneile Schwäche des Gehörcentrums im Ganzen, nicht um eine Trennung des letzteren 
vom Hörcentrum der Worte. Diese Ansicht wird gestärkt durch die Thatsache, dass 
das Gehör bei der Patientin lange Zeit intact war und erst dann sich allmählich 
verschlechterte. Eine bemerkenswerthe Eigentümlichkeit des Falles ist, dass lange 
Zeit reine Worttaubheit bestand und ganz allmählich diese in sensorische Aphasie 
überging. 

Da erwiesen ist, dass die Intensität des corticalen Krankheitsprocesses im Tem¬ 
porallappen von vorn nach hinten abnahm, ist es leicht zu verstehen, dass das sen¬ 
sorische Sprachcentrum, welches im hinteren Theil des linken Sprachcentrums gelegen 
ist, später beschädigt wurde, als das Hörcentrum, welches weiter nach vorn gelegen 
ist. Samuel (Stettin). 


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15) Obergatachten über die Zuverlässigkeit der Angaben eines Aphasisohen 
über die Vorgänge bei der seiner Aphasie su Grunde liegenden Schädel- 
Verletzung (Baubmordversuoh), von Th. Ziehen. (Vierteljahrsschr. f. ge- 
richtl. Med. n. Öffentl. Sanitätsw. XIV.) 

Nach Kopfverletzung kommen 3 Formen der Gedächtnisstörung vor: 

1. allgemeine Gedächtnisschwäche (Intelligenzdefect), 

2. Amnesie (auf sogen. Hemmungsvorgängen beruhend), 

3. Verlust einzelner Gruppen von Erinnerungsbildern („Seelenblindheit“ u. s. w., 
auf der örtlichen Zerstörung an der Hirnoberfläche beruhend) 

In dem vom Verf. begutachteten Falle handelt es sich um Amnesie. Dieselbe 
hat sich zwar allmählich zurflckgebildet, it jedoch zur Zeit der Begutachtung* noch 
nicht völlig geschwunden. In Folge dessen sind Verwechselungen in Bezug auf 
Reihenfolge, Zeit und Ort der Begebenheiten, sowie auf Personen und Sachen der 
Erlebnisse sehr wohl möglich. Diejenigen Aussagen aber, welche dank der schon 
stattgehabten Rückbildung der Amnesie über den Unfall selbst gemacht werden, sind 
bis auf eine Einschränkung völlig zuverlässig. Mit dem durch die Oberflächen¬ 
verletzung des Gehirns bedingten Sprachverlust hängt nämlich eine deutliche Schädigung 
der Zahlenvorstellungen zusammen, so dass auf sämmtliche Zahlenangaben des Be¬ 
gutachteten nichts zu geben ist. Kurt Mendel. 


16) Zur Casuistik der doppelseitigen homonymen Hemianopsie, von Prof. 

Dr. W. Manz, Geh. Med.-Rath, Freiburg. (Archiv f. Augenheilk. Bd. XXYVI.) 

Bei den Fällen von doppelseitiger Hemianopsie sind zwei Erscheinungen auf¬ 
gefallen, nämlich das bei vollständiger Erblindung beider seitlichen Regionen des 
Gesichtsfeldes erhaltene kleine centrale Gesichtsfeld und der Verlust der Orientirung 
im Raum. Letzteren Ausfall bat man geglaubt, von ersterem abhängig machen zu 
müssen, allerdings nicht ohne dass man auch auf dem widersprechende Thatsachen 
gestossen ist. Auch das erhaltene kleine Gesichtsfeld hat verschiedene Erklärungen 
gefunden, von welchen zwei Anerkennung gefunden haben: 1. die Doppelversorgung 
der Macula lutea durch Sehnervenfasem, welche aus beiden Hemisphären stammen 
(Wilbrand) und 2. eine besondere und besonders günstige Gefässversorgung des 
jener Netzhautpartie entsprechenden Bezirks des corticalen Sehcentrums im Hinter¬ 
hauptslappen. 

Verf. vermehrt die Casuistik um folgenden Fall: 

65jähr. Mann, sonst gesund, etwas Potator, bemerkte vor 3 Jahren, dass er 
auf der rechten Seite nichts mehr sah, vor 1 Jahr konnte er auch nach links und 
unten nichts mehr sehen, hat zugleich hin und wieder kurz dauernde Schwäche¬ 
anfälle in der rechten Hand, wurde sehr vergesslich. Die Augenuntersuchung ergab 
bei sonst normalem Befunde hochgradige Einengung des Gesichtsfeldes, rechts und 
links fast gleich in Grösse, Form und topographischer Lagerung. In beiden Gesichts¬ 
feldern ist der Fixirpunkt erhalten, das erhaltene Gesichtsfeld gehört grösstentheils 
dem rechten oberen Quadranten an. 

An der Herzspitze leises systolisches Geräusch. Nervensystem im übrigen intact. 

Kurz nach seiner Entlassung aus der Klinik trat eine auffallende Besserung 
des Sehvermögens ein, die 2 Tage anhielt, mehrere Wochen zunehmende körperliche 
und geistige Schwäche, Lähmung des rechten Armes, später des rechten Beines, un¬ 
willkürliche Zuckungen der linken Extremitäten. 

Autopsie nicht gestattet. 

Da dieser Fall bereits 1 Jahr vorher wissenschaftlich bearbeitet war, lässt sich 
der Zustand des Pat. durch längere Zeit verfolgen. Derselbe blieb sich lange Zeit 
gleich, ein Verlust des Orientirungsvermögens oder die sogen. Seelenblindheit war 
nicht nachzuweisen. Das Gesichtsfeld aber hatte sich etwas vergrössert, was schon 

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anderweitig beobachtet wurde. Störungen des Farbensinns bestanden nicht Verf. 
fDhrt aas, warum der vorliegende Fall als doppelseitige homonyme Hemianopsie auf- 
zufassen ist. und als Ursache eines Krankheitsherdes im Sehcentrum des Hinterhaupts* 
lappens anzunehmen ist. Die Zerstörung musste nicht gerade beiderseits dieselbe 
Stelle getroffen haben, jedenfalls muss wenigstens auf einer Seite die der Macula 
lutea in den Netzhäuten entsprechende Partie von der Zerstörung frei geblieben sein. 
Vielleicht wenn auch nicht wahrscheinlich, war dies auf beiden Seiten der Fall. 

Auffallend bleibt das weitere Herderscheinungen, die gewöhnlich mit Hemianopsie 
verbunden sind, gefehlt haben. Die Schwäche der rechten Hand, welcher sich später 
eine solche des rechten Fasses zugesellte, lassen annehmen, dass die Degeneration 
nach'der Capsula interna zu sich ausbreitet 

Pathologisch lagen wohl Gefassthrombosen vor. Samuel (Stettin). 


17) Die Phänomene der Gehimeompresnion, von Prof. Dr. Adamkiewicz in 
Wien. (Wier med. Wochenschr. 1897. Nr. 48—51.) 

Uebersichtliche Zusammenstellung der am Bewegungsapparate des Körpers und 
der Augen nach experimenteller Gehirncompression (Einführung von Laminarien) zu 
beobachtenden Phänomene nach den vom Verf. bisher veröffentlichten Arbeiten aber 
Gehirncompression. J. Sorgo (Wien). 


18) UebeT die bei Hirndruck im Rückenmarke auftretenden Veränderungen, 
von Dr. A. Hoche, Priv.-Doc. und I. Assistent der psychiatr. Klinik in Strass* 
barg i./E. (Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. 1897. XI.) 

In 2 Fällen von Gehirntumor liessen sich Veränderungen in den Hintersträngen 
und hinteren Wurzeln nachweisen, und zwar setzt die Degeneration meist an der 
Stelle ein, wo die Wurzeln in mehr oder weniger schräger Sichtung in das Rücken¬ 
mark eintritt. Es zeigte sich dabei, dass Sitz und histologischer Charakter des 
Tumors für das Zustandekommen der Rückenmarksveränderungen nicht von bestimmen¬ 
dem Einfluss ist Sie entwickeln sich nur dann, wenn Erscheinungen von gesteigertem 
Druck in der Cerebrospinalflüssigkeit vorhanden waren. Am seltensten scheinen die 
Wurzeln des mittleren und unteren Dorsalmarks betroffen zu werden, und hat der 
pathologische Process nicht die Tendenz mit wachsender Entfernung vom Schädel¬ 
inhalt geringer zu werden. In beiden Fällen bestand auch Stauungspapille. In 
einem 3. Falle, in welchem sich eine derartige Affection nicht feststellen liess, waren 
auch Hinterstränge und hintere Wurzeln normal geblieben. Vielleicht bietet dieser 
Parallelismus in den Befunden am Sehnerven und den hinteren Rückenmarkswurzeln 
einen wichtigen Gesichtspunkt für die Pathogenese dieser Veränderungen. 

In klinischer Beziehung werden diese Wurzeldegenerationen vor allem sensible 
Ausfallserscheinungen, sowie allmähliches Schwinden der Patellarrefiexe und Ataxie 
erzeugen.' E. Asch (Frankfurt a./M.). 


19) Haematoma subdurale; trepanation, af H. Köster och A. Lindh. (Araber. 

fr&n allm. och Sahlgrenska sjnkhus i Göteborg för &r 1896. Göteborg 1897. 

Med. afd. S. 28.) 

Bei einem Säufer bildete sich nach heftigem Kopfschmerz, der in der Nacht am 
schlimmsten war nnd hauptsächlich im Nacken seinen Sitz hatte, Parese der rechten 
Gesichtshälfte und der rechten Extremitäten mit immer mehr zunehmender Somnolenz 
und Koma aus. Zugleich trat Schmerz bei der Percussion der linken Stirnhälfte 
auf, Neigung nach hinten über zu fallen, wenn Pat sass, und Unvermögen zu gehen. 
Der Augenhintergrund zeigte keine Veränderungen. Da der Zustand hoffnungslos 

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war uud nur von einer Operation vielleicht einige Besserung erhofft werden konnte, 
wurde Aber dem linken Ohr trepanirt, wobei nach Durchschneidung der Dora eine 
Menge blutig gefärbter Flüssigkeit abging; eine Sonde konnte bis 9 cm unter die 
Dura eingeführt werden. Der Zustand zeigte keine Besserung nach der Operation; 
der Fat. starb in der Nacht daranf. Bei der Section ergab sich, dass es sich um 
ein subdurales Hämatom in der Gegend über dem linken Frontallappen und den 
Centralgyri gehandelt hatte, das darunter liegende Windungen abgeplattet hatte. 
Der Ausgangspunkt der Blutung liess sich nicht nachweisen. 

Walter Berger (Leipzig). 


20) Trephining for Symptoms of oerebral tumour, by Pearce Gould. (Brit. 

med. Journ. 1898. Jan. 22. S. 215.) 

Verf. berichtet vor der Londoner klin. Gesellsch. über einen bis dahin sehr ge* 
sunden, robusten Grobschmied, der an schwerem Kopfschmerz, Aphasie, Zuckungen, 
Facialisparalyse und rechter Zungenhemiplegie erkrankte. Die Augenuntersuchung 
ergab keine Anomalie. Es wurde ein Tumor im Lob. frontalis diagnoscirt; Trepa¬ 
nation. Es wurde normale Gehirnsubstanz .und keine Uebermenge von Cerebrospinal¬ 
flüssigkeit gefunden. — Trotz der gänzlich negativ ausgefallenen localen Einwirkungen 
der Operation trat dennoch Heilung ein; Pat. wurde wieder arbeitsfähig. 

In Anschluss hieran berichtet dann Sidney Phillips ebenfalls über einen Fall 
mit negativ ausgefallenem Hirnbefunde, nur war der Schädelknochen etwas über normal 
dick. — Auch hier trat nach der Operation völlige Genesung ein. 

L. Lehmann I (Oeynhausen). 


21) Olioma of the right frontal lobe of the brain, by W. C. Krause, M. D. 

(Journal of nervous and mental disease. XXV. 1898. Febr. S. 109.) 

Interessanter Fall von Hirntumor bei einem 31jährigen Manne mit Schwindel¬ 
anfällen, Vomitus, heftigen Kopfschmerzen und Stauungspapille, aber bis zuletzt ohne 
jede sensorische oder motorische Lähmung, überhaupt ohne jedes Herdsymptom. Aus 
dem letzteren Umstande wurde per exclusionem der Sitz des Tumors in den rechten 
Frontallappen verlegt. 

Bei der Section fand man im rechten Stimlappen ein grosses Gliom, das die 
hinteren zwei Drittel der drei Stirnwindungen bis an die vordere Centralwindung 
heran zerstört batte, und dessen cystöses Centrum mit dem Seitenventrikel communi- 
cirte. Bei der Härtung (in Formalin) wurde später noch eine kleinere Cyste unter 
dem linken Gyrus angularis entdeckt. Sommer (Allenberg). 


22) Un oas de gliome oöröbral. Oedeme de la papille. HAmipldgie 
gauche. Automatisme ambulatoire, accAs de sommeil. Trepanation, 
par MM. Devic et Courmont (Lyon). (Bevue de Medeoine. 1897. Avril. 
S. 269.) 

Ausführliche Beschreibung eines Falles von Gliom im rechten Frontal- 
lappen bei einer 46jährigen Frau. Die Krankheit begann im December 1894 mit 
Kopfweh in der rechten Stimhälfte, Gedächtnisstörungen, Apathie, Anfällen von 
Schlafsucht, Selbstmordgedanken. Juni 1895 traten Anfälle von automatischen Gehen 
bis zu 3 Stunden Dauer auf. Im October 1895 steigerten sich alle Symptome, dazu 
gesellte sich eine linksseitige Hemiplegie und beiderseitige Stauungspapille. 

Am 13. October wurde das rechte Stirnbein eröffnet und ein ca. wallnussgrosses 
Gliom aus dem rechten Stirnlappen entfernt. Normale Heilung der Wunde. Die 
Hemiplegie und insbesondere die Stauungspapille verschwanden vollständig! 
Auch die psychischen Functionen wurden wieder vollständig normal. 

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Die Patientin konnte ihre frohere Beschäftigung wieder aufnehmen und blieb 
4 Monate lang völlig gesund. Dann traten fieberhafte schwere Gehirnerscheinnngen 
anf, welche in kurzer Zeit zum Tode führten. Die Autopsie ergab einen Thrombus 
in der rechten A. fossae Sylvii und frische Encephalitis, kein Becidiv des Glioms. 

Obwohl vorübergehend, berechtigt der Erfolg doch zu weiteren operativen Ver¬ 
suchen. Von therapeutischem Interesse ist das Verschwinden der Hemiplegie und 
namentlich der Stauungspapille durch die Abnahme des intracraniellen Druckes nach 
der Operation. Strümpell (Erlangen). 


23) Zur Diagnose und Therapie des Gehirntumors, von Th. Ziehen. (Zeit¬ 
schrift f. prakt. Aerzte. 1898. Nr. 5.) 

Verf. bespricht einen Fall von Parese des rechten Armes und Beines. Hirn- 
nervou intact Während des langsamen Fortschreitend der Lähmungserscheinungen 
typische Anfälle von Jackson’scher Epilepsie. Leichte Störung des Muskelsinns. 
Trotz völligen Fehlens der Allgemeinsymptome: Kopfschmerz, Erbrechen, Bradycardie 
und Stauungspapille, ist eine langsam wachsende über, in oder unter dem linken 
Fuss- und Zehencentrum entstandene Hirngeschwulst anzunehmen. Die Operation 
bestätigte vollauf die Diagnose. Mikroskopisch erwies sich der Tumor als ein Fibro- 
sarcoin. Pat. starb 8 Tage nach der Operation an eitriger Meningitis. 

Kurt Mendel. 


24) Om Höntgens strälar i hjärnkirurgiens tjänst, af Prof. S. E. Henschen 

och Prof. K. G. Lennander. (Nord. med. ark. 1897. VIII. 2. Nr. 30.) 

Ein 33 Jahre alter Mann bekam am 11. August 1895 aus der Entfernung von 
einigen Metern einen Revolverschuss in das linke Auge, empfand heftigem Schmerz 
in dem getroffenen Auge und stürzte sofort bewusstlos zusammen. Im Hospital von 
Oerebro wurde das zerschossene Auge exstirpirt und man sah nun die Einschuss¬ 
öffnung an der inneren Orbitalwand einige Centimeter hinter der Caruncula lacrymalis. 
Pat. lag 3 Wochen bewusstlos, Harn und Koth gingen unfreiwillig ab, Pat. musste 
gefüttert werden, konnte aber schlucken; man bemerkte, dass die linken Glieder ge¬ 
lähmt waren. Als Pat. wieder zu Bewusstsein kam, sah und hörte er, begriff aber 
nichts, die ganze linke Körperhälfte war gelähmt und gefühllos; die Speisen liefen 
aus dem linken Mundwinkel ab. Pat. kam immer mehr zu Bewusstsein, begann bald 
zu sprechen, aber sein Wortvorrath war so unzureichend, dass er sich meist durch 
Zeichen zu verständigen suchen musste; theils konnte er keine Worte finden, theils 
konnte er sie nicht aussprechen. Das Erinnerungsvermögen, das zuerst ganz gefehlt 
hatte, kohrte allmählich wieder und der Zustand des Pat. besserte sich soweit, dass 
er um Weihnachten, auf der linken Seite gelähmt, mit partieller Aphasie, entlassen 
werden konnte. 

Im August 1896 stellte sich Kopfschmerz im rechten Hinterkopf ein, weshalb 
Pat am 2. September im academischen Krankenhaus zu Upsala aufgenommen wurde. 
Die psychischen Fähigkeiten waren gut, auch das Gedächtniss, aber Pat. litt an 
partieller motorischer Aphasie und partieller Agraphie und Alexie, schnell Gesprochenes 
konnte Pat. nicht verstehen. Der Geruch fehlte vollständig. Im unteren nasalen 
Quadranten des Sehfeldes im noch vorhandenen rechten Auge war die Sehschärfe 
herabgesetzt. Auf der linken Seite bestand noch Hemiplegie, am stärksten im Arme, 
und Anästhesie. Pat. wurde nach kurzer Zeit entlassen und am 15. Januar 1897 
behufs der Operation, die er dringend wünschte, wieder aufgenommen. Die Aphasie 
hatte sich etwas gebessert, war aber noch nicht ganz verschwunden, die Lähmung 
war nur wenig gebessert, die Anästhesie aber war geringer. Im unteren nasalen 
Quadrantjn sah Pat die Gegenstände nicht mit so scharfen Umrissen im übrigen 


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Sehfeld. Eine genaue Erwägung der Symptome (Anosmie, Hemiplegie und Heini* 
anästhesie, Sehstörung, Aphasie) führte H. zu dem Schlüsse, dass das Projectil auf 
seinem Laufe die Striae olfactoria getroffen haben, in der Nähe des hinteren Theils 
der Capsula interna vorbeigegangen sein und an der Grenze zwischen Parietal* und 
Occipitallappen liegen musste, nahe an der Binde und etwas dorsal von der Seh* 
bahn, die das Corpus geniculatum extemum und die Fissura calcarina verbindet; das 
Symptomenbild entsprach einer geringen Störung der occipitalen Sehbahn. Die 
Aphasie liess sich nur durch die Blutung erklären, die bei der Verletzung das Be* 
wusstsein geraubt hatte. Mit Hülfe der von verschiedenen Seiten aus vorgeuommenen 
Untersuchung mit Bö nt gen'Strahlen wurde berechnet, dass das Projectil oberhalb 
des Tentorium cerebelli, ungefähr 4 cm von der Mittellinie und ungefähr 1—2 cm 
unter dem Schädeldach liegen musste. 

Dieser Lage entsprechend wurde am 2. Februar 1897 von L. an der linkeu 
Seite des Hinterkopfs die temporäre Besection mittels eines Hautperiostknochenlappens 
nach Wagner’s Methode ausgeführt. Mitten in der Oeffnung entdeckte man, un¬ 
gefähr 1 cm unter der Binde, das Projectil, um das sich deutlich eine Kapsel zu 
bilden begonnen hatte. Nach Beendigung der Operation ging die Heilung gut von 
Statten. Der Kopfschmerz, der den Pat. seit einem halben Jahre gequält hatte, war 
nach Entfernung des Projectils verschwunden. 

In physiologischer Beziehung bietet dieser Fall Interesse dadurch, dass er die 
Bichtigkeit der Theorie Henschen’s über die Lage der Sehbahn und der Verlauf 
der Fasern in derselben bestätigt, und zugleich auch die praktische Bedeutung dieser 
Theorie, mit deren Hülfe es gelang, die Lage des Projectils mit ziemlicher Genauig* 
keit zu bestimmen. Walter Berger (Leipzig). 


25) Casoistisohe Beiträge zur Hirnohirurgie und Hirnlooalisation. Erster 

Beitrag von Priv.-Doc. Dr. Karl Bonboeffer in Breslau. (Monatsschr. für 

Psych. u. Neurolog. 1898. Bd. HI.) 

I. Bei einem 28jährigen Manne stellten sich immer häufiger Krampfanfälle ein, 
zu denen sich linksseitige, hemiplegische Erscheinungen, namentlich Lähmung des 
linken Beines gesellten. Kopfschmerzen und beiderseitige Stauungspapille kamen 
dazu. Nachdem Jodkali erfolglos blieb, wurde durch Mikulicz die Trepanation 
ausgeführt, bei der sich vor dem oberen Drittel der rechten Centralwindung ein 
kinderfaustgrosses, weiches, graubraunes Gliom fand. Dasselbe liess sich hinten gut 
ablösen, war jedoch nach vorn und unten nicht scharf abzugrenzen. Ein grosser 
Theil des Stirnhirns wurde mit entfernt. Nach der Operation nahm die Lähmung 
in der oberen Extremität zunächst zu und war mit Tastlähmung und Störungen der 
Lageempfindung verbunden. Auch an anderen Theilen des Körpers waren Sensibilitäts¬ 
störungen nachweisbar. Die Athmung war in der Weise gestört, dass sich die linke 
Thoraxhälfte nur wenig betheiligte, dass die Inspirationen vermehrt und tief waren, 
während die Exstirpation langsam vor sich ging. Ein paar Tage lang waren die 
Augen nach rechts deviirt, beim Sehen nach links blieb der rechte Internus mehr 
zurück, als der linke Abducens. Der Krankheitszustand besserte sich in der Folge¬ 
zeit Die Sensibilitätsstörungen bildeten sich bis auf einen unbedeutenden Best 
zurück. 14 Tage nach der Operation konnte der Pat. das Bett verlassen. Weder 
vor, noch nach der Operation waren pathologische Erscheinungen hinsichtlich der 
Intelligenz, des Gedächtnisses oder der Merkfäbigkeit zu constatiren. 3 Monate später 
kam es jedoch in Folge zunehmender Stauungspapille zu Amaurose, der bald Oph¬ 
thalmoplegie folgte. Bald darauf starb der Pat. Bei der Section zeigt sich, dass 
der Tumor namentlich nach unten weiter gewachsen war, den rechten Linsenkem, 
den Streifenhügel und Sehhügel ergriffen hatte, auf den Balken und die linke Hemi¬ 
sphäre übergegangen war. Die Ventrikel waren erweitert, die Hirnwindungen ab- 

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geplattet In den Pyramidenbahnen fand sich Degeneration, auch die lateralen 
Partieen der Hinterstränge dee Halsmarks waren erkrankt 

II. Ein 52jähriger, dem Tranke ergebener Arbeiter, war mit Kopfweb, Schwindel¬ 
anfällen and Schwäche der linken Hand erkrankt Er bekam dann Krampfanfälle, 
die von der linken Hand ihren Ausgang nahmen. Später kam es nach den Anfällen 
zu Lähmung der linken Hand mit Sensibilitätsstörungen, namentlich vollständiger 
Tastlähmung in derselben, zu Lähmung des linken Mundfacialis und Parese des 
linken Beins mit Steigerung der Sehnenreflexe. Die Anfälle nahmen rasch zu, in 
der Stunde wurden bis zu 20 clonische Anfälle beobachtet die in der linken Hand 
begannen, links den Arm, den Facialis, das Bein ergriffen, häufig auf die rechte 
Seite übergingen und sich auf demselben Wege zurückbildeten. -Nach den Anfällen 
bestand Deviation des Kopfes und der Augen nach rechts, die Linksbewegung der 
Augen war deutlich erschwert, der rechte Internus war paretisch. Am Augenhinter¬ 
grund fand sich nichts abnormes. Erbrechen wurde nicht beobachtet. Delirante 
Symptome fehlten. Der Kranke bekam Fieber, das linke ' Kniephänome schwand. 
Der Zustand wurde hoffnungslos. Kolaczek führte die Trepanation aus und fand 
unter der Dura, namentlich oberhalb des mittleren Drittels der vorderen und der 
hinteren Centralwindung rechts reichliche Massen dickflüssigen Eiters, die die darunter 
liegende Hirnsubstanz stark drückten. Obwohl bedeutende Mengen des Eiters be¬ 
seitigt * wurden, stellten sich die Anfälle bald nach der Operation in ungeheurer 
Häufigkeit wieder ein, und der Pat., der schon vorher starken Bronchialcatarrh ge¬ 
habt hatte, ging an Lungenerscheinungen zu Grunde. An den Stellen, an welchen 
die stärkste Bindencompression bestanden hatte, fand sich mit der Marchi-Methode 
degenerative Veränderung in den Badiärfasem und in den intercorticalen Fasern. 
Die Pyramidenbahn war oberhalb ihrer Kreuzung namentlich rechts, aber auch links 
erkrankt. G. Ilberg (Sonnenstein). 


26) Casuistisohe Beiträge zur Hirnchirurgie und Hiralocalis&tion. Zweiter 

Beitrag von Dr. H. Liepmann in Breslau. (Monatsscbr. f. Psych. u. Neurolog. 

1898. Bd. III.) 

Eine 32jährige Arbeiterin hatte seit ihrem 13. Jahre Krämpfe mit Bewusstseins¬ 
verlust, die stets im linken Beine begannen, und seit ihrem 22. Jahre ausserdem 
tonisch-clonische Krämpfe im linken Bein ohne Bewusstseinsstörung. In den letzten 
Jahren hatte sich eine allmählich zunehmende Schwäche des linken Beins ausgebildet 
Die Sensibilität war normal. Die Beflexe waren gesteigert. Erscheinungen von 
Hirndruck bestanden nicht Nachdem Jodkalium keinen Vortheil gebracht hatte, 
wurde die Patientin trepanirt Ueber der Dura fand sich nichts Positives. Da die 
Krämpfe vom linken Bein ausgingen und da dieses ohnehin gelähmt war, beschloss 
man die vom Paracentrallappen nach unten aussen ziehende Beinfaserung zu durch¬ 
trennen. Zu diesem Zwecke wurde die Hirnsubstanz 3 Finger breit von der Mittel¬ 
linie einen Zoll tief in einer zur Sagittalebene etwa um 45° geneigten Ebene durch¬ 
schnitten. Die Krämpfe blieben nach der Operation weg und kehrten erst 5 Monate 
später wieder, wiederholten sich auch in der Folgezeit viel seltener als vor dem 
chirurgischen Eingriff. Unmittelbar nach der Operation trat aber eine totale links¬ 
seitige Hemiplegie auf; die Lähmung des Facialis und Hypoglossus ging zwar vor¬ 
über, Arm und Hand behielten jedoch motorische und sensible Lähmungserscheinungen. 
Der Verf. bat die Patientin äusserst genau untersucht, theilt hierüber interessante 
Details mit und hat sehr Becht daran geth&n, auch einen solchen Fall, der Ent¬ 
täuschungen bereitet hat, zu veröffentlichen. Ob die Wahrscheinlichkeitsdiagnose, 
dass die Patientin einen Tumor, und zwar ein Angiom, hat, in Zukunft Bestätigung 
findet, wird hoffentlich s. Z. festgestellt und publicirt werden. 

G. Ilberg (Sonnenstein). 


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27) Sul oentro psioo-motore dei musooli superiori della faooia, per 

V. Pugliese. (Rivista di Patolog. nerv, e ment 1898. Nr. 2.) 

70jähriger Alkoholist, schon wiederholt von apoplectischen Insulten befallen, 
erkrankte durch einen neuen Schlaganfall mit Rigidität der linksseitigen Extremitäten, 
Höherstehen des linken Mundwinkels und der linken Augenbraue, während gleichzeitig 
die linke Stirnseite gerunzelt war. Bald darauf clonische Krämpfe der linken Seite, 
die Tags darauf aufhörten, so dass nur noch Zuckungen im linken Orbicularis oculi 
und Corrugator supercilii, sowie in den Stirnmuskeln bestanden. Im rechten 
M. frontalis gleiche, wenn auch schwächere Zuckungen. 

Bei der Section fand Verf. Atherom der Hirnarterien, besonders der Arteria 
fossae Sylvii, und daselbst, namentlich rechts, zahlreiche wandständige Thromben, die 
in den Endverästelungen das Lumen verschlossen. In den Ganglien der Hirnbasis 
ältere apoplectische Cysten. Die Hirnrinde war intact; nach des Yerf.’s Ansicht 
deshalb, weil die Arterien der Binde keine Endarterien sind, sondern mit anderen 
durch das Gefässnetz der Pia communiciren. Auch waren während des Lebens des 
Pat. die klinischen Symptome irritativer Natur, so dass man auch aus ihnen zwar 
auf eine Ischämie, nicht aber auf eine Anämie der Binde schliessen musste. 

Aus der Theilnahme des rechten M. frontalis und dem Krampfe des linken 
oberen Facialis zieht Yerf. den Schluss, dass die Rindencentren dieses Muskels eine 
bilaterale Function haben, während dies bei den vom unteren Facialis versorgten 
Muskeln, sowie beim Orbicularis oculi nicht der Fall ist; die letzteren kann man ja 
auch willkürlich einseitig innerviren, nicht aber den Frontalis. Yalentin. 


28) Zur Pathologie der Erkrankungen des Streifenhügels und Idnsenkerns, 

von Dr. Oskar Beichel. (Wiener med. Presse. 1898. Nr. 19.) 

I. Lues — ausgedehnte Erweichungsherde beiderseits in den grossen Ganglien. 
Kurz andauernde motorische Erscheinungen. — Tod 1 Jahr nach der Infection. 

22jähr. Postbeamter; luetische Infection am 16. April 1896. Nach 10 Injec* 
tionen mit 01. einer, musste wegen heftiger Kopfschmerzen mit der Therapie aus« 
gesetzt werden. Die Kopfschmerzen (am ganzen Kopf ziemlich gleichmässig localisirt) 
dauerten an; dazu Schmerzhaftigkeit der Nackenmuskulatur bei Druck und bei Be« 
wegungen, leichte Somnolenz, Parese des linken Facialis in seinen unteren Aesten, 
an der rechten Wange Hypästhesie für tactile Beize, rechtsseitige Hypoglossusparese, 
Steigerung der linken Patellarreflexe, Trousseau’sches Phänomen, spastische Parese 
der linksseitigen Extremitäten. Alles dies 5 Monate nach dem Primäraffecte. Unter 
antiluetischer Behandlung nach 2 Wochen Rückgang dieser Erscheinungen bis auf 
geringe Schwäche der linken Körperhälfte ohne Berufsstörung. April 1897 plötz« 
liehe Erkrankung unter Aphasie, zunehmender Somnolenz, rechtsseitiger Lähmung, 
während links Krämpfe ausgelöst werden. Tod 1 Jahr nach dem Primäraffect. 

Obduction: Endarteriitis syph. der Art. foss. Sylv. und des Anfangsstückes der 
Art. corp. callos. beiderseits. Wandständige Thrombose der rechten und obturirende 
der linken Art. foss. Sylv. Aeltere Erweichungen der grosseu Ganglien, der Insel 
und des Operculum rechterseits, eine frischere Erweichung dieser Gebiete linkerseits. 
Die mikroskopische Untersuchung ergab eine geringe Degeneration der motorischen 
Bahnen links. Demgemäss bestand vom September 1896 bis April 1897 trotz aus¬ 
gedehnter Zerstörung der grossen Ganglien, der Insel und des Operculum rechterseits 
nur eine geringgradige linksseitige Schwäche. 

II. Herde in beiden Linsenkernen, der ältere symptomenlos, der frischere mit 
rasch verschwindenden motorischen Erscheinungen. — Tod an Pneumonie. 

70jähr., vorher immer gesunder Dienstmann, stürzte am 12. Februar 1898 
plötzlich unter Schwindel zusammen, ohne das Bewusstsein zu verlieren. Danach 


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linksseitige Hemiplegie, Sprachstörung, Kopfschmerzen. Anch der linke Facialis war 
paretisch. An den folgenden Tagen wird der Kranke unruhig und benommen, 
während die Facialisparese und die Schwäche der linken oberen Extremität zurück¬ 
geht. Tod an Pneumonie. 

Autopsie: Links ältere, rechts frischere Erweichung des Linsenkerns in Folge 
Atherom der Art. foss. Sylv. mit Verschluss des Lumens der rechten Art. cerebr. aut. 

Hemianästhesie, choreatische Bewegungen, vasomotorische Störungen fehlten. 

J. Sorgo (Wien). 


29) A oase of dysphagia and dysphasia resulting from a lesion in fhe 
internal oapsnle, by Judson Daland, M. D. (Journal of nervous and 
mental disease. 1897. Oct XXIV. S. 614.) 

Pat., der die in der Ueberschrift angegebenen Symptome dargeboten hatte, war 
ein 56jähr. Mann mit allgemeiner hochgradiger Atheromatose, mit Leber- und Milz¬ 
schwellung und mit Nierenschrumpfung. Fast & Monate hindurch zeigte er mit ge¬ 
wissen Remissionen das Cheyne-Stokes’sche Athmungsphänomen und starb dann 
plötzlich an Herzschwäche. 

Es dürfte aber zweifelhaft bleiben, ob die im Leben beobachteten Schluck- und 
Articulationsstörungen auf eine kleine hämorrhagische Cyste in der inneren Kapsel 
am rechten Nucleus dentatus oder nicht vielmehr auf ein spindelförmiges Aneurysma 
der rechten Art. vertebralis und der Basilaris, das auf den Glossopharyngeus und 
Hypoglossus zu drücken vermochte, zurückzuführen sind. Sommer (Allenberg). 


30) Studio delle vie oerebro-bulbari e cerebro-oerebellari in un oaso di 
lesione della oalotta del pedunoolo oerebrale, per C. Cent (Rivist 
sperim. di Freniatria. XXIV.) 

Eine 56jährige Frau, die wegen alkoholischen Irreseins in die Irrenanstalt auf¬ 
genommen wurde und daselbst starb, hatte 40 Jahre früher nach einer croupösen 
Pneumonie an epileptischen Anfällen gelitten, nach denen Atrophie und Flexions- 
contractur bei vollständiger Unfähigkeit zu activen Bewegungen in der rechten oberen 
Extremität und leichte Atrophie und Schwäche des rechten Beines zurückgeblieben 
waren. Ferner bestand leichte Contractur der rechten Gesichtshälfte, starke Herab¬ 
setzung der Sensibilität und choreiforme Zuckungen auf der ganzen rechten Kötper- 
hälfte. Bei der Section fand Verf. in der Haube des linken Hirnschenkels einen 
alten hämorrhagischen Herd, welcher den rothen Kern vollkommen, die laterale 
Schleife theilweise und die mediale Schleife fast gänzlich zerstört und den rechten 
oberen Kleinhirnarm unterbrochen hatte. Secundär waren eingetreten leichte Atrophie 
der gesammten linken Hemisphäre, besonders der Gegend der hinteren Centralwindung, 
Atrophie des Thalamus opticus und leichte Atrophie des Linsenkerns. In der Brücke 
links: Atrophie der Schleife und des hinteren LängsbQndels, rechts: eine solche des 
oberen und mittleren Kleinhirnschenkels. Atrophie der rechten Kleinhimhemisphäre, 
die Rinde und das Corpus dentatum betreffend. Im verlängerten Mark, rechts: 
Atrophie des unteren Kleinhirnschenkels, besonders seines Olivenantheils, in der unteren 
Olive dorsal und nach innen eine kleine Degenerationszone, Atrophie der Nuclei gra- 
cilia und cuneatus, der Fibrae arciform. extern, poster. und der Fibrae arciform. int; 
links: fast vollständiger Schwund der Olive mit Ausnahme eineB kleinen dorsalen 
und inneren Feldes, Atrophie der Fibrae arciform. extern, anter., der Olivenzwischen¬ 
schicht und des hinteren Längsbündels. 

Verf. schliesst an seinen Fall einige anatomische Betrachtungen an. Den Ver¬ 
lauf und das proximale Ende der Schleife betreffend, so spricht die durch nichts 
anderes erklärbare Atrophie des medialen Thalamuskernes dafür, dass in ihm Schleifen- 

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fasern endigen, wie dies ja auch Monakow, Dejerine and Andere annehmen. 
Seine Fortsetzung znr Binde findet dieser Faserzag, vielleicht anter Zwischenschaltung 
eines karzen Neurons, in BQndeln des Stabkranzes, die zur hinteren Centralwindang 
ziehen. Die letztere war auch im Falle des Verf.’s atrophisch. Die Schleife bildet 
also eine Verbindung der Kerne der Hinterstränge mit der hinteren Centralwindung 
der entgegengesetzten Seite unter Einschaltung des Thalamus opticus. 

Der Schwund des Corpus dentatum des rechten Kleinhirns steht in directer 
Beziehung zu der fast vollkommenen Atrophie des gleichseitigen oberen Kleinhirn« 
Schenkels in Folge der Zerstörung des rothen Uaubenkerns, und bat in zweiter Linie 
zur Atrophie der Kleinhirnrinde geführt. Von der Binde aus hat sich der Dege- 
neratiousprocess dann weiter auf den mittleren Kleinbiruschenkel fortgesetzt, welcher 
direct aus der Binde seinen Ursprung nimmt. Ebenso muss die Degeneration der 
Kleinhirnolivenfasern von der Atrophie der Kleinhirnrinde oder des Corpus dentatum 
abhängig sein. Es hat also die Zerstörung des linken Nucleus ruber tegmenti zum 
Schwuude des gekreuzten Antbeils des rechten oberen Kleinhirnschenkels nnd in 
zweiter oder dritter Linie des Oliventlieils des rechten Peduncul. cerebelli infer. ge¬ 
führt. Es muss also ein anatomisch-physiologischer Zusammenhang zwischen rothem 
Haubenkern, oberem Kleinhirnschenkel und dem Kleinhirnolivenbündel des unteren 
Kleinhirnstiels bestehen. 

Nach den angetroffenen Degenerationen schliesst Verf. ferner auf das Vorhanden¬ 
sein einer doppelten Verbindung zwischen Nucleus ruber segment. einer Seite und 
der unteren Olive und dem Nucleus acciformis derselben, sowie in der grauen peri¬ 
pyramidalen Brückensubstanz der anderen Seite, beide Male unter Einschaltung der 
Kleinhirnrinde und des Corpus dentatum der entgegengesetzten Seite. 

Valentin. 


31) Ein Fall von Erkrankung des Traotus optious, Pedunoulus oerebri 
und N. oculomotorius, von Dr. Budnieur. (Journal der Nerven und 
psychiatr. Medicin. 1897. Bd. II. [Bussisch.]) 

Der Fall betrifft einen 30 jährigen Mann, bei welchem man eine rechtsseitige 
Hemiparese, linksseitige Ptosis und rechtsseitige Hemiopie constatiren konnte. In 
der Anamnese: Lues. Facialis beiderseits normal. Im rechten Auge hemianopische 
Pupillenreaction. Die rechte Pupille reagirt gut auf Accommodation. Die linke 
Pupille ist stark erweitert und reagirt weder auf Licht, noch auf Accommodation. 
Sämmtliche Muskeln, welche vom linken N. oculomotorius versorgt werden, sind ge¬ 
lähmt. Die rechtsseitige Hemiparese mit linksseitiger Oculomotoriuslähmung (Weber’* 
Bebes Phänomen) und die rechtsseitige Hemianopsie zeigen, dass es sich hier um 
eine Erkrankung (syphilitische Geschwulst oder Pachymeningitis) im Gebiete des 
linken Pedunculus handelt. Da die consensuelle Beaction im rechten Auge vorhanden 
war, so muss man annehmen, dass die entsprechenden pupillären Fasern (welche auf 
einer gewissen Strecke im Tractus opticus verlaufen) erhalten geblieben sind. 

Edward Flatau (Berlin). 


32) A oase of tumour of the Pons Varolii, by Henry Handford. (Brit. 
med. Journ. 1898. June 18. S. 1685.) 


lOjähriger Knabe, bis dahin gesund, seit einem Jahre benommenen Kopf und 
schwerfällig beim Sprechen. Bechts Schielen und rechts Facialisparalyse. Seit 
frühesten Jahren Otorrhoe beiderseits. M. tympan. rechts durchlöchert, Ausfluss sehr 
spärlich. — Vor 7 Wochen wurde das Gehen unvollkommen, Schmerz oberhalb der 
Augen, Erbrechen. Beim Gehen ist Neigung, nach vorn und links zu fallen. Beider¬ 
seits gesteigerte Patellarreflexe, Paralyse des rechten 6. und 7. Nerven, Neuritis 


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optica mit Exsudat und Hämorrhagie in beiden Retinae; die Erscheinungen besserten 
sich sämmtlich, nnd nach 10 Tagen schien der Knabe genesen. 

Nach weniger Zeit traten aber alle Krankbeitserscheinungen aufs Neue ein: 
Erbrechen, Schwäche des linken Armes, ungleiche Pupillen. Pat. bekam Jod nnd 
Brom, wurde abermals besser, aber nur für kurze Zeit Tod. — Es fand sioh ein 
wallnussgrosses Myxosarcom in der unteren Hälfte des Pons rechterseits. Der 
Flocculus wurde dadurch beinahe bis zur Liniendicke zusammengepresst Der 6. 
und 7. Nerven waren in der Geschwulst eingeschlossen. 

L. Lehmann I (Oeynhausen). 


33) Ueber periodische Schwankungen der Pupillenweite bei Cheyne- 
Stokee’sohem Athmen, von Dr. Martin Thiemich. (Jahrbuch f. Kinder* 
heilk. Bd. XLVII.) 

Ein öjähriges Kind, das an Meningitis tuberculosa erkrankt war, bot am vor¬ 
letzten Lebenstage folgenden auffallenden Befund: Es besteht ausgesprochenes Cheyne* 
8tokes’8ches Athmen; während der Athempause sind die Pupillen mittelweit, bei 
Beginn der Respiration erweitern sie sich langsam und stark, um nach Aufhören der 
Athmung rascher, als die Erweiterung erfolgte, zu ihrer vorigen Weite zurückzukehren. 
Die Pupillen sind in der Athempause noch mässig auf Licht empfindlich, starke 
Hautreize bewirken keine Erweiterung. Verf. weist darauf hin, dass dieses Pupillen* 
Phänomen bei Kindern bisher nur ein einziges Mal beschrieben wurde und scliliesst 
sich dem Erklärungsversuche von Leube und Filehne an, welche eine Herabsetzung 
in der Erregbarkeit des „Gentrum oculopupillare“ bezw. der Vasoconstrictoren an¬ 
nehmen, so dass es erst eine stärke Kohlensäureanhäufung im Blute bedarf, um die 
medullären Centren zu erregen. Im Nachtrag veröffentlichte der Verf. einen ähn¬ 
lichen Fall bei einem 2 jährigen Knaben. Zapp ert 


34) Sur les paraplegies flasques par compression de la moelle , par 

G. Marinesco. (La semaine mddicale. XVIII. Nr. 20. S. 153.) 

Verf. theilt folgende 2 Fälle mit: 

Im 1. Falle handelte es sich um einen Mann, der 2 Jahre vor seinem Tode vom 
Pferde gefallen war. Im Anschluss daran hatte sich eine Caries der Wirbelsäule 
mit Gibbusbildung vom 5.—8. Dorsal Wirbel und eine Compression des Markes ans* 
gebildet. Es fand sich eine schlaffe Lähmung beider Beine mit Muskel¬ 
atrophie und Oedem; eine totale Anästhesie beider Beine und des Rumpfes, rechts 
bis an die unteren Rippen, links bis 2 cm Ober den Nabel (nachher sagt Verf. aller¬ 
dings, dass Stiche in den Fass nur eine wenig intensive Schmerzempfindung hervor- 
gerufen hätten); ferner totaler Verlust des Muskelgef&hls. Die Sehnenreflexe 
waren erloschen, auch der Cremaster und Bauchreflex; der Plantarreflex war 
erhalten. Blase und Mastdarm waren total gelähmt Es bestand Decubitus. Die 
Section ergab an der Stelle der Wirbelcaries eine totale transversale 
Zerstörung des Markes. Unterhalb der Zerstörung zeigten sowohl die Wurzel- 
wie die Strangzellen der Vorderhömer namentlich mit Nissl’s Färbung deutliche-Ver¬ 
änderungen. Die Muskeln der Beine waren schwer erkrankt; es fand sich vor allen 
Dingen Erkrankung der Muskelfasern selbst, ferner Fett- und Kernwucherung da¬ 
zwischen, dann Oedem und erhebliche Myophagenbildung; manchmal, bis auf diese, 
leere Sarcolemenschläuche; die intramusculären Nerven waren auch erkrankt, die 
grossen Nervenstämme nur etwas ödematös. 

Im 2. Falle handelt es sich um eine partielle Erkrankung des Markes in Folge 
einer Kugelverletzung in der Höhe des Angulus Scapulae, 2 Monate vor der Auf¬ 
nahme. Es bestand totale Lähmung der Beine mit Oedem, die Muskeln des Ab- 

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domens waren frei. Ferner an beiden Beinen nnd am Bumpfe bis zom Schwert¬ 
fortsatze des Brustbeines eine Anästhesie für thermische und Schmerzreize bei er¬ 
haltenem Tastgefühl und dem subjectivem Gefühle von Eingeschlafensein; später 
waren die Unterschenkel hinten und vorn ganz gefühllos, von da an nach oben be¬ 
stand partielle Empfindungslähmung wie früher, nur am Penis und Scrotum war die 
Anästhesie total. Die Patellarreflexe fehlten, bei Beklopfen der Patellarsehne 
rechts trat aber eine Adductionsbewegung der linken Hüfte auf. Die Section ergab 
hier eine starke Abplattung des Markes in der Höbe des 5. und 6. Dorsalwirbels; 
histologisch erschien an der Stelle der stärksten Compression das Mark fast normal, 
etwas darunter aber waren die grauen Säulen und die angrenzende weisse Substanz 
auch in den Hintersträngen zerstört Die Muskeln der unteren Extremitäten zeigten 
dieselben Veränderungen wie im Fall 1, nur in geringerem Grade. Die secundären 
Degenerationen im Marke waren die gewöhnlichen, wie auch im Falle 1. 

Verf. macht für die Muskeldegenerationen an den Beinen das Oedem verant¬ 
wortlich. Er erklärt das Fehlen der Reflexe in diesen Fällen im Sinne von Bastian 
und van Gehuchten. In den Fällen, wo die Sensibilität erhalten und das Mark 
nur partiell zerstört sei und wo dennoch die Sehnenreflexe fehlten (Babinski), 
müsse es sich um den Ausfall tonisirender, vom Gehirn (bezw. Kleinhirn) kommender 
Fasern handeln. 


In den Fällen totaler Compression und Anästhesie, wie sie Bastian zuerst 
mitgetheilt. falle nicht nur dieser Factor fort, sondern auch die tonisirende Wirkung, 
die von den hinteren Wurzeln auf die Vorderhoruzellen ausgebe. (Warum das 
letztere nothwendigerweise der Fall sein muss, vermag Bef. nicht einzusehen. Beize 
von den unteren Extremitäten werden nicht gefühlt, weil der Weg zum Gehirn 
unterbrochen ist, aber bis zu den entsprechenden Vorderhornzellen können sie doch 
gelangen.) Später könne dann auch die Muskelatrophie mit zum Aus¬ 
bleiben der Reflexe beitragen, aber die eigentliche Ursache dafür 
könne sie nicht darstellen, da sie viel zu spät einträte. Darin hat der 
Verf. jedenfalls Recht. 

Bef. muss noch auf einige irrige Angaben in Verf.'s Aufsatze hinweisen. Der 
Fall des Ref. und die meisten von Thor bum beziehen sich auf Verletzungen der 
Wirbelsäule, nicht auf Caries. Ref. hat ferner nie die Theorie Bastian’s unbedingt 
anerkannt, sondern schon in seiner ersten Arbeit auf Umstände hingewiesen, die ihre 
Anerkennung erschweren; er hat sehr bald auch erkannt, dass die Hautreflexe, speciell 
die Plantarstichreflexe erhalten bleiben können. Auf die Erkrankung der Mus¬ 
keln an den Beinen bat Bef. ebenfalls schon vor Egger, dem Verf. dies 
Verdienst zuerkennt, hingewiesen; er hat zuerst in diesen Fällen diese Muskeln 
histologisch untersucht, aber zugleich schon hervorgehoben, dass man in diesen Muskel¬ 
veränderungen nicht die Ursache für das Fehlen der Reflexe finden könnte. Ferner 
hat er auch schon auf die Veränderung von Ganglienzellen, nämlich in den Clarke’- 
schen Säulen, tief unterhalb der Läsion hingewiesen; Egger will in seinen Fällen 
sogar schwere derartige Veränderungen gefunden haben, er hat also keinesfalls er¬ 
klärt, dass das Lumbalmark intact sei. Schliesslich möchte Bef. doch noch bemerken, 
dass zwar das Verdienst des Nachweises des Fehlens der Sehnenreflexe in den Beinen 
bei totalen transversalen Läsionen im Hals- und Dorsalmarke ganz allein Bastian 
zukommt, dass er aber für sich das Verdienst beansprucht, nachgewiesen zu haben, 
dass dieses Fehlen auch bei, in allen seinen Theilen normalen, bezw. unwesentlich 
verändertem Beflexbogen vorkommt. Dieser Nachweis war für die Lehre Bastian’s 
doch unbedingt nothwendig und von Bastian selbst nicht erbracht; nach des Bef. 
Fall sind die vom Verf. die ersten, in denen der ganze Reflexbogen untersucht ist. 
Dass der Verf. nicht als erster in Fällen von sogen, traumatischer Myelitis oder 
Compression des Markes partielle Empfindungslähmung nachgewiesen hat, wie er 


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glaubt, haben schon Minor and Pick her vorgehoben; auch Bet hat partielle Em- 
pfindongslähmnng in einem Falle von Tumor der Meningen am Lendenmarke be¬ 
schrieben. (Archiv f. Psych. Bd. XXVIII. 8.106.) L. Bruns. 


36) Beiträge sur Klinik des Rückenmarks- und Wirbeltumoren, von Privat- 

docenten Dr. Hermann Schlesinger. (1898. Jena. Gustav Fischer.) 

Das vor Kurzem erschienene Buch von Bruns Ober die Geschwülste des Nerven¬ 
systems, das auch eine ganz ausgezeichnete Bearbeitung der Klinik der Rückenmarks¬ 
tumoren enthält, bereitet naturgemäss einer neuerlichen monographischen Bearbeitung 
des gleichen Gegenstandes gewisse Schwierigkeiten. Schlesinger hat daher das 
Schwergewicht seiner Arbeit auf den anatomisch-statistischen Theil der Frage ver¬ 
legt und bringt in dieser Beziehung sehr werthvolle Beiträge für die Kenntniss der 
Bückenmarkstumoren bei. Die Grundlage seiner Ausführungen bildet ein so reiches 
Material, wie es noch keinem der früheren Bearbeiter des Gegenstandes zu Gebote 
stand. Dasselbe setzt sich zusammen aus den in der Litteratur beschriebenen Fällen, 
weiter aus einem eigenem, erstaunlich grossen Material, und endlich konnte Schle¬ 
singer die Obductionsprotokolle des Wiener allgemeinen Krankenhauses bezw. die 
vorhandenen Präparate von Bückenmarks- und Wirbeltumoren aus den letzten 18 Jahren 
verwerthen. Es sind dies 85,000 Obductionen' bei denen sich in 151 Fällen Tu¬ 
moren des Rückenmarks und seinen Hüllen und der Wirbelsäule fanden, das ist in 
0,43 °/ 0 < ln 104 Fällen war das Bückenmark direct oder indirect in Mitleiden¬ 
schaft gezogen. Dabei ergab sieb, dass Wirbeltumoren mit consecutiver Betheiligung 
des Bückenmarks erheblich häufiger sind als meningeale und medulläre Neubildungen 
zusammengenommen. Von letzteren sind die extra- und intramedullären gleich häufig. 
In der Litteratur sind 400 Fälle intervertebraler Neubildungen beschrieben. 30°/ 0 
beschränkten sich auf das Bückenmark allein, in 40°/ o ist das Bückenmark direct 
in Mitleidenschaft gezogen. Es ergiebt sich in weiterer Conseqnenz, dass von diesen 
400 Fällen bloss in 150 die Möglichkeit eines erfolgreichen chirurgischen Eingriffes 
gegeben war. In Schlesinger’s eigenen Statistik sind 45°/ 0 unter den intra- 
vertebralen Neubildungen Tumoren der Bückenmarkssubstanz. Die Gegenüberstellung 
der rein meningealen, der intraduralen und extradularen, nicht von den Wirbeln aus¬ 
gehenden Neubildungen zeigt ein mässiges Ueberwiegen der ersteren. Nach dem 
Höhensitze der Tumoren berechnet ergiebt sich, dass die intramedullären Neubildungen 
am häufigsten im Bereiche der Hals- und Leudenanschwellung sich finden, während 
im Brustmark die extramedullären Tumoren überwiegen. 

Schlesinger giebt nach diesen rein statistischen Ausführungen eine sehr ein¬ 
gehende, ausgezeichnete Darstellung der anatomischen Verhältnisse der einzelnen 
Tumorformen. Als besonders werthvoll seien die zahlreichen, sehr instructiven Ab¬ 
bildungen hervorgehoben. In unserem ßeferate sollen nur die häufiger vorkommenden 
Tumoren berücksichtigt werden, während von den selteneren abgesehen sei 

Die häufigste Geschwulstbildung des Rückenmarks wird durch den Tuberkel 
dargestellt, wobei man eine sogenannte Tuberculose medullaire und den Solitärtuberkel 
unterscheiden kann. Die Propagation der Tuberculose auf das Bückenmark erfolgt 
entweder auf dem Wege der Blutbahn oder von den Meningen her. Ersterer Um¬ 
stand erklärt den relativ häufigen Beginn in der grauen Substanz (centraler Tuberkel), 
sowie das nicht allzu seltene multiple Auftreten. Die Bückenmarkstuberculose ist 
nie primär, ihr häufigster Sitz ist das Lendenmark. 

Syphilome sind im Allgemeinen selten, dann meist multipel und mit syphi¬ 
litischen Veränderungen der Meningen combinirt. Die verschiedenen Abschnitte des 
Bückenmarks werden gleich häufig befallen. 

Anlässlich der Besprechung der Gliome betont Schlesinger die Schwierig¬ 
keiten der Abgrenzung gegenüber der Gliose; er spricht von Gliom nur in jenen 

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Fällen, wo schon makroskopisch der geschwnlstartige Charakter hervortritt. Die 
Gliome sind langgestreckte Tumoren, in deren Centrnm sich öfters Erweichung findet, 
sie sind ohne scharfe Grenzen, meist sehr blutreich. Sarcome treten theils als 
solitäre Tumoren in der Bfickenmarkssubstanz (sehr selten) oder von den Meningen 
ausgehend oder als multiple Geschwülste auf. Letzteres wiederum entweder in Form 
von mehreren isolirten Knoten oder in Form der sogenannten diffusen Sarcomatose. 
Diese kann von den Meningen auf das Bückenmark übergreifen, insbesondere auf die 
Hinterstränge oder es kommt zur Compression des Bückenmarks. In anderen Fällen 
wiederum ist das Bückenmark auffällig wenig in Mitleidenschaft gezogen. Bei der 
multiplen Sarcomatose erkranken bei Mitbetheiligung des Gehirns oder seiner Häute 
fast stets die Gebilde der hinteren Schädelgrube, speciell das Kleinhirn. Die primären 
solitären Sarcome der Meningen stellen anscheinend die häufigsten der von den 
Meningen ausgehenden Tumoren dar; sie greifen meist trotz längeren Bestandes nicht 
auf das Bückenmark über und zeigen keine Tendenz zur Metastasirung. Ausserdem 
kommen metastatische oder von der Nachbarschaft übergreifende Sarcome zur Beob- 
achtung. Bezüglich der Häufigkeit der einzelnen Sarcomformen ergiebt sich, dass 
die primär von den Meningen, den Nebenwurzeln oder der Innenseite der Dura aus¬ 
gehenden Sarcome 3 Mal so häufig sind wie die primären extramedural entstehenden 
Sarcome (mit Ausschluss der Wirbelsarcome). 

Von den weiteren Geschwulstformen, die eine eingehendere Darstellung erfahren, 
seien genannt die Endotheliome (von der Dura ausgehend öfters multipel), Psammome, 
multiple Fibrome (relativ am häufigsten in den Wurzeln der Cauda equina); meta¬ 
statische Carcinome, die nahezu nie die Dura überschreiten. Im Anschluss daran 
bespricht Schlesinger die verschiedenen Formen der tuberculösen und syphilitischen 
Erkrankungen der Bückenmarkshäute. 

Die cystischen Neubildungen gehen häufiger von der Wirbelsäule und den 
Meningen als vom Bückenmark selbst aus. Echinokokken sind 6 Mal so häufig wie 
Cysticerken. Die Echinokokken sind am häufigsten extravertebral und brechen erst 
secundär in den Wirbelcanal ein, manchmal unter ausgedehnter cariöser Zerstörung 
der Wirbelsäule; am häufigsten sitzen sie in der Brustwirbelsäule. Die Cysticerken, 
theils in Form der gewöhnlichen Cysten, theils als Cystic. racemosus sind häufiger 
intradural. 

Ein weiteres Capitol behandelt die Wirbelsäuletumoren, insofern sie auf das 
Bückenmark einwirken. Es sind dies primäre und secundäre Sarcome der Wirbel¬ 
säule, wobei es zu einem Zusammensinken der Wirbelsäule und Compression des 
Bückenmarks kommen kann, weiter multiple Myelome, nahezu stets das Bückenmark 
in Mitleidenschaft ziehend. Das Carcinom der Wirbelsäule ist stets secundär, ent¬ 
weder von der Nachbarschaft her oder metastatisch. Mitunter kommt es zu einer 
diffusen Infiltration der ganzen Wirbelsäule und zu einer allmählichen Verkleinerung 
derselben (Bruns). Carcinose der Wirbelsäule ist kein seltenes Vorkommniss; re¬ 
lativ am häufigsten sitzt der primäre Tumor in der Mamma, Prostata. 

Bezüglich der Veränderungen des Bückenmarks und seiner Wurzeln in Folge 
von extramedullären Tumoren hat sich ergeben, dass das Bückenmark auf Druck 
von aussen leicht Formveränderungen erleidet und daher compressibel ist. Die histo¬ 
logischen Veränderungen entsprechen dann meist der gewöhnlichen Compressions- 
Myelitis. Bei Luxationsfracturen der Wirbelsäule kommt es zu eigentümlichen 
nekrotischen Herden von mitunter beträchtlichem Umfange. 

Die Nervenwurzeln bleiben auch bei extramedullären Tumoren in ihrer histo¬ 
logischen Structur oft auffällig verschont. 

Aus einer zusammenfassenden Statistik seien hier bloss einige praktisch wich¬ 
tige Sätze wiedergegeben: Bückenmarkstumoren sind im Allgemeinen seltene Ge¬ 
schwülste; bloss in 1 */ a °/ 0 aller Tumoren ist das Bückenmark betheiligt. Metasta¬ 
tische Tumoren des Bückenmarks sind besonders selten. Das Gehirn weist etwa 

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6 Mal so häufig Tumoren auf als das Rückenmark. Carcinommetastasen erfolgen 
ungemein selten in das Rückenmark, das gleiche gilt von den Sarcomen; man hat 
daher bei Erscheinungen von Seite des Rückenmarks fast ausnahmslos an extra¬ 
medulläre Metastasenbildung zu denken, wenn ein primärer Tumor an irgend einer 
Stelle nachweisbar ist. Von den in chirugischer Beziehung besonders wichtigen Tu¬ 
moren sind die Meningen doppelt so häufig primär als metastatisch afficirt Unter 
den Wirbeltumoren sind die malignen 30 Mal so häufig als die benignen; die tuber- 
culösen Wirbelerkrankungen 4 Mal so häufig als alle anderen Wirbeltumoren zu¬ 
sammen. Besteht eine Geschwulst länger als 3 Jahre, so ist ein intramedullärer 
Sitz wahrscheinlicher als der extramedulläre. 

Aus den allgemeinen ätiologischen Erörterungen ergeben sich gleichfalls einige 
praktisch wichtige Schlussfolgerungen. Unter 10 Jahren sind bei supponirtem intra- 
medullären Sitz Tuberkel, bei extramedullärem Lipome oder Sarcome am häufigsten. 
Im zweiten Decennium sind von den intramedullären Geschwülsten Solitärtuberkel 
und Gliom, von den extramedullären multiple und metastatische Sarcome und Echino¬ 
kokken am häufigsten. Im Alter von 20—40 Jahren kommen intramedulläre Tuberkel 
und Gliome, extramedulläre Sarcome und Echinokokken am häufigsten zur Beobach¬ 
tung. Von 40—60 Jahren sind intramedullär Gummen und Tuberkel am häufigsten, 
extramedullär die operativ günstigen solitären Sarcome, Psammome u. s. w. 

Bei nahezu allen wichtigeren Tnmorarten des Rückenmarks und seiner Hülle 
scheinen Traumen mindestens in einem Bruchtheil der Fälle einen bedeutungsvollen 
ätiologischen Factor darzustellen, wobei das Trauma die Geschwulstbildung selbst 
auslöst oder mindestens das Wachsthum eines Tumors beschleunigt. Ein ätiologischer 
Einfluss soll auch schweren Infectionskrankheiten, Krankheitsprocesseu im weiblichen 
Genitaltracte zukommen. 

In klinischer Beziehung erfahren die Wirbeltumoren eine eingehendere Dar¬ 
stellung. Auch hier seien bloss einige Bemerkungen hervorgehoben. Bei Wirbel- 
carcinomen können Veränderungen der Wirbelsäule fehlen oder es kommt ein Zu¬ 
sammensinken der Wirbelsäule, endlich nach Schlesinger durch Destruction der 
Bänder eine seitliche Verschiebung der Wirbel zu Stande. Er beschreibt auch als 
vorkommendes Symptom locales Oedem über dem afficirten Wirbel. Schmerzen 
können fehlen, meist sind sie sehr heftig. Druckempfindlichkeit der Wirbelsäule 
kann selbst bei spontanen Schmerzen fehlen. Schlesinger hält eine Druckempfind¬ 
lichkeit neben der Wirbelsäule für besonders charakteristisch. Erwähnenswerth ist, 
dass Carcinome der Lenden- und Halswirbelsäule seltener symptomlos verlaufen als 
solche der Brustwirbelsäule. Die gesammte Dauer des Processes ist manchmal viel 
länger als man von vornherein erwarten sollte. Bei den Sarcomen sind öfters mäch¬ 
tige Tumormassen neben der Wirbelsäule zu fühlen. Bezüglich der Differentialdiagnose 
der einzelnen Tumorarten untereinander und gegenüber anderen Erkrankungen sei 
bemerkt, dass Schlesinger mit Recht die Differentialdiagnose gegenüber tuberculösen 
Erkrankungen der Wirbelsäule mitunter für sehr schwierig hält; auch bei letzterer 
finden sich manchmal neben der Wirbelsäule Tumoren (fungöse Massen), die später 
erst durch Vereiterung erweichen. 

Schlesinger erörtert dann noch die Therapie der Wirbeltumoren, speciell die 
Chancen eines chirurgischen Eingriffes. Ein solcher erscheint bei Sarcomen nur in- 
dicirt, falls die Erscheinungen für einen primären solitären Tumor sprechen; die 
günstigsten Chancen bieten natürlich Exostosen, Chondrome, Echinokokken. 

In der Klinik der Rückenmarkstumoren beschränkt sich Schlesinger mit Rück¬ 
sicht auf das Buch von Bruns auf die Bearbeitung einzelner Capitel So findet er 
bei Gummen, dass mitunter durch längere Zeit eine Incongruenz zwischen der Grösse 
des Tumors und den gesetzton Erscheinungen von Seite des Rückenmarks besteht. 
Weitere Bemerkungen beziehen sich auf das Auftreten von vasomotorischen Er- 

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scheinungen bei Rückenmarkstumoren; als solche seien genannt vasomotorische Paresen, 
Baymond'scher Symptomencomplex, Erythrometalgie, transitorische Oedeme. 

Fflr die Segmentdiagnose macht er darauf aufmerksam, dass auch oberhalb der 
eigentlichen Compression des ßfickenmarks Veränderungen Platz gegriffen haben 
können, wodurch unter Umständen der Sitz des Tumors zu hoch localisirt wird. 
Hit Bruns hält S. es fflr möglich, dass an der Innervation eines bestimmten Ge¬ 
bietes nicht wie gewöhnlich 3, sondern selbst 6 Wurzeln sich betheiligen können, 
auch sind individuelle Varianten möglich. Es ergiebt sich daraus, dass, wenn bei 
einer Operation der Tumor nicht gefunden wird, man stets höher hinauf denselben 
suchen muss. Zu Fehldiagnosen bezfiglich des Sitzes können auch Schmerzen fahren. 
Partielle Empfindungslähmung kommt zwar auch bei extramedullären Sitz vor, dann . 
aber nur fflr kurze Zeit und meist nur einseitig. Schlesinger hält diesen Um¬ 
stand fflr verwendbar bei der Differentialdiagnose zwischen Affectionen des Conns nnd 
der Cauda eqnina. Da fQr einen operativen Eingriff der centrale Sitz des Tumors 
eine Contraindication darstellt, giebt Schlesinger eine Zusammenstellung jener 
Symptome, die fflr den intramedullären Sitz sprechen. Als solche seien genannt: 
bilaterale, segmental angeordnete, durch längere Zeit andauernde partielle Empfindungs- 
lähmung, besonders des Temperatursinnes, bei rapid fortschreitender bilateraler Muskel¬ 
atrophie und Entartungsreaction, gleich ausgebildete Parese beider Beine bei Affection 
der oberen Extremitäten. Besteht oder bestand anderweitig ein Tumor, dann sind 
bei halbseitigen Erscheinungen ein extramedullärer Sitz der Geschwulst wahrschein¬ 
licher, weil die metastatischen Geschwülste meist nicht auf das Rflckenmark flbergreifen. 

Den Schluss des Buches bildet die Wiedergabe von 56 neuen, bisher nicht 
publicirten Fällen von Rückenmarks- und Wirbeltumoren, sowie ein Litteraturver- 
«eichniss (589 Nummern), das an Vollständigkeit nichts zu wflnschen flbrig lässt. 

Redlich (Wien). 


Psychiatrie. 

36) Heber Psychosen bei Caroinomk&ohexie, von Dr. A. Elzholz. Ans der 

psychiatr. Klinik von Prof. v. Wagner. (Jahrb. f. Psych. 1898. Bd. XVII.) 

Verf. berichtet Aber 3 Fälle von Carcinom, bei denen sich sub finem vitae 
Psychosen entwickelt hatten. Zunächst weist er nach, dass die Litteratur nur spär¬ 
liche Mittheilungen Aber ein ähnliches Vorkommniss enthält; auch in der Litteratur 
des Delirium acutum fehlen Hinweise auf das Carcinom als ätiologisches Moment. 
Verf.’s eigene Fälle sind Folgende: 

I. Ein 58jähriger Mann erkrankte plötzlich unter den Erscheinungen eines 
hallucinatonischen Delirs, das in mehreren Nächten wiederkehrte. Darauf während 
zweier Tage Verwirrtheit. Nach weiteren 4 Tagen besteht Apathie, intellectuelle 
Abschwächung, aber Klarheit und Krankheitseinsicht. In der folgenden Zeit treten 
Nachts wieder Hallucinationen und Delirien auf, bei Tag ist Pah klar. Endlich 
geht der Unterschied im psychischen Verhalten zwischen Tag und Nacht verloren, 
es treten mussitirende Delirien auf, die bis zn dem 2 Monate nach Auftreten der 
Psychose erfolgten Tode anhielten. 

Die Obduction ergab ein epidermoidales Bronchialcarcinom auf der Basis einer 
alten tuberculösen Caverne, mit Krebsmetastasen in den bronchialen und mediastinalen 
LymphdrQsen, Compression des rechten Vagus, Metastasen in der Wirbelsäule. Das 
Hirn bot keine auffälligen Veränderungen dar. 

II. Eine 49jährige Frau erkrankte plötzlich unter den Erscheinungen der hallu- 
cinatorischen Verworrenheit, die durch eine Woche etwa anhielt. Später wurde die 
Kranke wieder klar, geordnet, jedoch bestand erhöhte Reizbarkeit. Nach wenigen 


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Tagen trat depressive Verstimmung auf, die vorübergehend einem tobsüchtigen Anfalle 
wich. Nach 2 Tagen neuerliche Beruhigung und Klärung, Krankheitseinsicht; für 
den Aufregungszustand besteht Amnesie. Es treten dann neuerdings schwere Ver¬ 
wirrtheitszustände abwechselnd mit Phasen relativer Klarheit auf, Hallucinationen 
sind dabei nicht nachweisbar. Sub finem vitae ist die Kranke dauernd verwirrt» 
unbesinnlich, lärmend. Somatisch finden sich Zeichen eines Lebercarcinoms mit all¬ 
gemeinem Icterus. 

Die Obduction ergab ein exulcerirendes Carcinom im Pylorus mit Compression 
des Ductus choledochus und Dilatation der grossen Qallengänge. Das Gehirn ohne 
auffälligen Befund. 

III. Bei einem 60jährigen Hann, der seit längerer Zeit ein Carcinoma recti 
hatte, dessentwegen ein Anus praeternaturalis angelegt worden war, traten wenige 
Tage nach dieser Operation psychische Störungen auf. Die Geistesstörung dauerte 
bis zum 2 Monate später erfolgenden Tode an. Auch hier hatte die Psychose einen 
intermittirenden Charakter. Neben Zeiten relativer Klarheit, in denen der Kranke 
über die Entwickelung seines Leidens Auskünfte geben konnte, für einzelne Momente 
der geistigen Störung volle Krankheitseinsicht hatte, jedoch eine gewisse geistige 
Erschöpfbarkeit aufwies, fanden sich, insbesondere Nachts Zustände schwerer Ver¬ 
wirrtheit mit Unruhe, Ideeenflucht, flüchtigen Wahnideeen. Erst sub finem vitae 
dauernde Verworrenheit. Während der klinischen Beobachtung hatte anfänglich 
remittirendes Fieber mit geringen Temperatursteigerungen, später continuirliches 
Fieber bestanden. 

Die Obduction ergab: Chronisches Oedem der Hirnhäute, einen kleinen circnm- 
scripten, ganz oberflächlichen Erweichungsherd, entsprechend dem untersten Antheil 
des rechten Gyrus occipito-temporaiis med. und later; verjauchendes Carcinom des 
Bectums mit jauchiger Periproctitis und Phlegmone in den beiderseitigen Leisten¬ 
gegenden, Emphysem der Lunge, Atherose der Coronararterien, fettige Degeneration 
des Herzens mit excentrischer Hypertrophie des rechten Herzventrikels, parenchy¬ 
matöse Nephritis. 

Der zweite und dritte Fall zeigen in somatischer Hinsicht Complicationen. Im 
zweiten Falle bestand ausser dem Carcinom Icterus. Gegen den Icterus als ätio¬ 
logisches Moment der Psychose verwerthet Verf. den Umstand, dass die bei letzterem 
vorkommenden Psychosen ein anderes symptomatologisches Gepräge haben, als in dem 
beschriebenen Falle. 

Int dritten Falle fand sich als Complication parenchymatöse Nephritis und ein 
Eiterungsprocess. Erstere dürfte Folge der Eiterung sein. Die Psychose und die 
Eiterung zeigen jedoch in ihrem Verlaufe und in ihrer Intensität Incongruenzen, so 
dass Verf. auch hier das Carcinom als die wahrscheinliche Ursache der Psychose 
ansieht. * 

Als weitere Stütze für die Annahme, dass ancb in diesen beiden Fällen das 
Carcinom die Störung im Centralnervensystem verursachte, zieht Verf. den Umstand 
herbei, dass er bei denselben im Bückenmark mittels der Marchimethode Veränderungen 
nach weisen konnte, die den von Lubarsch bei Carcinom beschriebenen Alterationen 
entsprächen. Es fanden sich nämlich Degenerationen in einzelnen Fasern der hinteren 
Wurzeln, desgleichen Degenerationen einzelner Fasern der Hinterstränge und der 
Seitenstränge, in letzterem insbesondere in deren dorsalen Antheilen. Also ent¬ 
sprechend den Angaben von Lubarsch, Mitbetheiligung der hinteren Wurzeln und 
zweitens eine diffuse Verbreitung des Processes. Von pyämischen oder septischen 
Processen ist es bisher nicht erwiesen, dass sie ähnliche Degenerationen bewirken. 

Es liegt also nahe anzunebmen, dass die im Blute Carcinomatöser kreisenden 
Schädlichkeiten in ähnlicher Weise wie sie im Bückenmark zu anatomischen Läsionen 
führen, im Grosshirn vor Allem in seiner Binde functioneile Störungen setzen, die 
die Ursache der Psychose wurden. 


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Endlich sieht Verf. die ziemlich weitgehende Uebereinstimmung der Krankheits¬ 
bilder in allen 3 Fällen als einen Hinweis ffir eine gemeinsame ätiologische Basis 
derselben an. Als charakteristisch bezeichnet er zunächst das eigenthQmliche Ver¬ 
halten des Bewusstseins. Es wechseln Zeiten relativer Klarheit mit solchen schwerer 
Verworrenheit ab. Während der Remissionen der psychischen Störung macht sich 
eine grosse psychische Erschöpfbarkeit geltend. In der affectiven Sphäre beherrscht, 
namentlich während der Zeiten der Verworrenheit, depressive ängstliche Stimmung 
das Bild. Der Ausbruch der psychischen Erkrankung war ein plötzlicher; im Beginne 
bestanden üallucinationen des Gesichtes und Gehörs, die zu Delirien verarbeitet 
wurden. Sie bildeten die Quelle f&r die während der Exacerbationen der psychischen 
Störung geäusserten flüchtigen Wahnideeen depressiven Inhaltes. In den Zeiten der 
Verworrenheit zeigten die Kranken auch ein ihrem Bewusstseinsinhalt entsprechendes 
motorisches Verhalten. Somatisch bestanden die Erscheinungen schwerer Cachexie. 
Die Dauer der Psychosen betrug 3 Wochen bis 2 Monate. 

Bezüglich des Zusammenhanges zwischen Carcinom nnd Psychose lassen sich 
nur Vermuthungen aufstellen. Für die im Intestinaltracte localisirten Carcinome 
wäre Autointoxication durch den gestörten Chemismus denkbar, wie dies schon 
Lubarsch für die spinalen Veränderungen angenommen hatte. Für anderwärts 
vorkommende Carcinome wäre eine durch Grawitz’sche Experimente nahegelegte 
Möglichkeit denkbar. Nach diesem Autor käme es durch Aufsaugen von Krebs- 
zerfallsproducten zu einem vermehrten Abströmen der Lymphe aus dem Gewebe in 
die Blutbahn, was auf das Gehirn übertragen, einer Entziehung des für den Ersatz 
erforderlichen Ernäbrungsmateriales der psychisch-functionirenden Gehirnparthieen 
gleichkäme. Auch die Möglichkeit, dass die bei Carcinom beobachtete Psychose 
Wirkungen eines im Blute circnlirenden eigenen Krebsgiftes sei, eine Erklärung, die 
von Klemperer für das Coma carcinomatosum gegeben wurde, wäre heranzuziehen. 

Redlich (Wien). 


37) Augenuntersuohungen bei Cretlnismus, Zwergwuchs und verwandten 

Zuständen, von Dr. Richard Hitschmann. (Wiener klin. Wochenschr. 

1898. Nr. 27.) 

Verf. stellte seine Gntersuchungen an Cretins der Steiermark an im Sommer 
1897. Einleitend giebt er die Beschreibung zweier typischer weiblicher Cretins im 
Alter von 46 bezw. 47 Jahren. 

Die Zahl der untersuchten Fälle beträgt 58. 

Epicanthus war 12 Mal vorhanden und dürfte auf die Deformation der Nasen¬ 
wurzel und die Hautverdickung zurückzufübren sein. 

Auf letzterer beruht auch eine auffallende Entstellung der Lider, nament¬ 
lich der Oberlider, bestehend in Schwellung und Verdickung der Lidhaut und wulst¬ 
artigem Herabhängen derselben wegen lockerer Anheftung an den Tarsus und die 
Fascienbündel des Levator palpebrae, was ein der Ptosis adiposa ähnliches Bild giebt 
Diese Veränderung fehlte nur bei 2 Individuen. 

Nicht selten findet sich chronischer Catarrh der Lidconjunctiva, Ekzeme 
der Lidränder und Augenwinkel, vielleicht als Folge von Störungen in den 
Thränenableitungswegen, wozu Personen mit Sattelnasen im Allgemeinen disponirt 
sind; wenigstens fand Verf. nicht selten Thränenfluss. In einigen Fällen war die 
Conjunct. palpebr. ausserordentlich blass. 

Strabismus divergens fand sich ein Mal, und ein Mal Ectopia pupillae 
ohne sonstige Bildungsfehler des Auges. 

Der Augenhintergrund war in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle normal. 
Als congenitale Anomalie fanden sich bei 5 Fällen nach unten gerichtete Sicheln 
und daneben zwei Mal die von Fuchs beschriebene verkehrte Gefässvertheilung. 
In einem Falle bestand das Bild einer Pseudoneuritis. 

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Als wahrscheinlich nicht congenitale Befunde fand Verf. ein Mal verschwommene 
Grenzen der blassen, nicht excavirten linken Papille, ein Mal war diese excavirt, 
ihre Farbe weisslich, die Tfipfel der Lamina cribrosa sichtbar, die Venen etwas 
weiter, ein Mal zarte Pigmentveränderungen in der rechten und drei grössere rund¬ 
liche Pigmentklumpen, von schmalen gelblich-weissen Höfen umgeben in der linken 
Macula lutea; in einem Falle circumpapilläre Chorioidealatrophieen mit Pigment¬ 
wocherung im linken Auge. 

In einem in der Klinik Fuchs beobachteten Falle fand sich eine Combination 
angeborener und erworbener Anomalieen: Astigmatismus gegen die Begel, Excavation 
der Papille und Sichel nach unten, verkehrte Gefässvertheilung, diffuse Chorioiditis, 
Glaskörpertrübungen und Cataracta corticalis post. 

Nach Besprechung der von anderen Autoren an Cretins erhobenen Augenbefunde 
kommt Verf. zu dem Schlüsse, dass Sehstörungen bei Cretins, basirt auf Läsionen 
der Nervi oder Tractus optici recht selten sind und sich zu mindestens nicht als durch 
Hypophysisgeschwulst entstanden nachweisen lassen. 

Augenuntersnchungen bei Zwergwuchs: 

Bei einem 35jährigen, 118 cm hohen Zwerg waren die äusseren Theile des 
Auges normal. Visus rechts: e / 3e + 4,0D.sph. 6 / 18 ?; kein Astigmatismus; links: 
9 / 6 ? + 0,5D.sph.V; rechts normaler Fundus, links physiologische Excavation, 
Andeutung von verkehrter Gefässvertheilung. Beiderseits normales Gesichtsfeld. 
Schilddrüse normal. 

Bei einer 227 2 jährigen, 125 cm hohen Zwergin kein pathologischer Befund. 
Sehstörungen bei Ausfall der Schilddrüsenfunction sind gewiss nicht immer Folge 
einer consecutiven Chiasma oder Tractus lädirenden Hypophysisvergrösserung (Uht- 
hoff), da diese Vergrösserung in der Begel nicht hochgradig genug ist, bei Cretins 
die Hypophysis oft gerade durch ihre Kleinheit auffallt; speciell für den echten 
Zwergwuchs sei die Annahme einer Hypopbisisgeschwulst hinfällig. 

J. Sorgo (Wien). 


38) Ueber die urämischen Psychosen, von Dr. Ernst Bischoff. (Wiener 
klin. Wochenschr. 1898. Nr. 25.) 

29 Jahre alter Beamter; im 15. Lebensjahre acute Nephritis. Vor 4 Monaten 
plötzlich Sehstörung und Mattigkeitsgefühl. Er hatte eine Retinitis albuminurica 
und Eiweiss im Urin. Vor 3 Wochen urämischer Anfall, nachdem 3 Tage vorher 
blutiger Harn aufgetreten war und mehrere Tage Urinretention bestanden hatte. Zu¬ 
gleich totale Amaurose. Weiterhin bestand Somnolenz und Amnesie für das Vor¬ 
gefallene. Dabei lachte er, es bestand motorische Unruhe, Geschwätzigkeit. Darauf 
folgte ein Excitationsstadium. Tags darauf ruhig, orientirt, Besserung der Amaurose; 
das kindische Wesen blieb bestehen. 6 Tage später wieder Stauungswechsel, grosse 
Heiterkeit, 2 Tage darauf Tobsuchtsanfall. Bei der Aufnahme am selben Tage 
ist Pat. motorisch sehr erregt, schmiert, abstinirt. Am folgenden Tage somnolent, 
Miosis, Pupillenstarrheit, Steigerung der Reflexe. Urin alkalisch, 1010, klar, Ei¬ 
weiss 3°/^,, kein Zucker. Amblyopie, kann auf 1 m Finger zählen, Herzdämpfüng 
nach rechts und links verbreitert. In den folgenden Tagen ist Pat motorisch un¬ 
ruhig, ängstlich verstimmt; Abstinent, ab und zu Echolalie, dabei grosse Hinfällig¬ 
keit. Vom 9. Tage seines Aufenthalts im Trrenhause an Anurie, Somnolenz, urämi9che 
Zuckungen, Kräfte verfall. Tod am 12 Tage. Keine Obduction. 

ln der Epikrise bespricht Verf. die Pathogenese, Aetiologie. Symptomatologie 
und Therapie der Krankheit und fasst 6eine Erörterungen in folgenden Schlusssätzen 
zusammen: 

Die Urämie, und zwar sowohl die acute, als die chronisch entstandene, führt 
mitunter zu acuter Geistesstörung. Zumeist ist die Ursache dieser Geistesstörung 

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die urämische Intoxication, in seltenen Fällen dtlrfte die Psychose aber als Folge 
urämischer Krampfanfälle, ähnlich einem epileptischen Dämmerzustände anftreten, 
endlich besteht die Möglichkeit, dass eine vorhandene urämische Amaurose die 
Psychose verursachen könnte. 

Die urämische Psychose verläuft fast immer unter den Erscheinungen der acuten 
Verwirrtheit und ist gegenüber den anderen Formen dieser Erkrankung häufig durch 
das Vorhandensein von Störungen von Seite des centralen und peripheren Nerven* 
Systems ausgezeichnet. Diese Störungen ähneln mitunter den paralytischen Lähmungs- 
erscheinungen, und da in manchen Fällen urämischer Psychosen auch auf psychischen 
Gebiete eine allgemeine Herabsetzung der Functionsfähigkeit vorherrschend ist, welche 
als Intelligenzschwäche und Gedächtnissdefect imponiren kann, wird die Unterscheidung 
dieser Fälle von der progressiven Paralyse vorübergehend auf Schwierigkeiten stossen. 

Wenn die urämische Psychose erheblich psychopathisch Belastete betrifft, scheinen 
sich dem Symptomenbilde der acuten Verwirrtheit häufig catatonische Zöge beizu¬ 
gesellen. * J. Sorgo (Wien). 


Therapie. 

39) Ein Beitrag zur Qinoke’sohen Lumbalpunction bei Kindern, von Dr. 

Cassel. (Jahrbuch f. Kinderheilk. XLVII. 1898.) 

Die Erfahrungeb, welche der Verf. an 15 Fällen von Lumbalpunction bei Kindern 
gemacht, gleichen den zahlreichen Befunden, die man in letzter Zeit bei Erwachsenen 
gesammelt. Die Technik bot keine Schwierigkeiten; es genügte zur Vornahme der 
PunctioD eine gewöhnliche Pr avaz’sehe Nadel, ln 9 Fällen von tuberculöser Meningitis 
bildeten sich in der entleerten Flüssigkeit Fibringerinnsel; nur 3 Mal gelang das 
Auffinden von Tuberkelbacillen; bei einem Kinde mit cerebrospinaler Meningitis fand 
sich eine trübe Lumbarflüssigkeit mit dem Meningococcus intracellularis, in einem 
Falle anscheinend traumatischer Meningitis entleerte sich eine bakterienfreie, blut¬ 
haltige Flüssigkeit; zwei Kinder mit chronischem Hydrocepbalus wiesen völlig klare 
PunctionsflÜs8igkeit auf. Zwei Mal war der Versuch einer Punction erfolglos. Thera¬ 
peutisch hatte die Behandlung höchstens nur einen vorübergehenden Erfolg. Das 
jüngste punctirte Kind war erst 4 Wochen alt. Zappert. 


40) Heber die Lumbalpunotion, von Rein hold Peters. (Inaug.-Dissert. 1897. 

Berlin.) 

Nach einer sorgfältigen Uebersicht über die bisher vorliegenden Erfahrungen 
über die Lumbalpunction berichtet Verf. über 35 bei 23 Kranken ausgeführten Punc- 
tionen aus Gold scheider’s Abtheilung in Moabit. 

In 9 Fällen von Meningitis tuberculosa wurde 11 Mal punctirt Der Druck war 
stets gering, in 2 Fällen stark vermehrter Albumengehalt der entleerten Flüssigkeit, 
8puren Zucker nur in 2 Fällen. Tuberkelbacillen wurden 4 Mal nachgewiesen. Thera¬ 
peutischer Erfolg gleich Null. 

In 1 Falle von eitriger Meningitis ergab die zweimalige Punction stark eiweiss- 
und zuckerhaltige Flüssigkeit unter geringem Druck mit reichlichem, vorwiegend aus 
poly- und mononucleären Leukocyten bestehenden Sediment. Nach der ersten Punc¬ 
tion Schwinden der Kopfschmerzen. 

In 1 Falle von Meningitis sero-purulenta chronica wurde 5 Mal punctirt Nach 
jeder Punction vorübergehende Besserung der subjectiven wie der objectiven Symptome. 
Gebessert entlassen. 

In 1 Falle von Meningitis serosa schnelle Besserung nach der Pnnction. Pat 
wurde geheilt entlassen. 


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In 2 Fällen von Tumor cerebri wurde je 3 Mal pnnctirt. Der Druck der 
Flüssigkeit war ziemlich hoch. Nach jeder Punction Besserung der subjectiven und 
gewisser objectiver Symptome. In dem einen Falle ging jedes Mal die Stauungs¬ 
papille etwas zurfick. 

Auch in 3 Eällen von schwerer Anämie mit Hirndruck- und Beizerscheinungen 
trat nach der Punction erhebliche Besserung der cerebralen Symptome ein. 

Bei Urämie trat ein Mal vorfibergehende, ein Mal gar keine Besserung ein. 

Die anderen noch mitgetheilten Fälle sind ohne Interesse. 

Ueble Folgen der Punction zeigten sich nie, nur in 1 Falle von Hirntumor 
musste wegen heftiger Kopfschmerzen die Punction abgebrochen werden. 

Martin Bloch (Berlin). 


III. Aus den Gesellschaften. 

Gesellschaft der Neurologen und Irrenärzte zu Moskau. 

Sitzung vom 8. Mai 1898. 

Dr. N. Th. Schataloff: 3 Fälle von sog. ankylosirender Entzündung der 
Wirbelsäule. 

Vortr. stellt 3 Fälle von ankylosirender Entzündung der Wirbelsäule vor: 

I. Fabrikarbeiter, 29 Jahre alt. Nach einer Erkältung vor 8 Jahren stellten 
sich wiederkehrende Schmerzen in der rechten Steissbeingegend, seit 5 Jahren, 
Schmerzen in den Seiten und in dem Blicken ein. Seit 2 Jahren haben sich die 
Schmerzen nach Hebung einer schweren Last verschärft und zu derselben Zeit ent¬ 
wickelte sich progressiv eine Verkrümmung der Wirbelsäule. Gegenwärtig ergab die 
in der Nervenklinik des Prof. Koshewnikoff ausgeführte Untersuchung eine bogen¬ 
förmige Kyphose und vollkommene Unbeweglichkeit der Brustwirbelsäule; im Lumbal- 
theil ist die Beweglichkeit ganz gering, im Halstheil gut. Gürtelgeffihl. Haut¬ 
sensibilität normal. Patellarreflexe gesteigert. 

II. Schlosser, 46 Jahre alt. Vor 8 Jahren Fall mit dem Bücken auf das Eis. 
Von dieser Zeit an Schmerzen im Bficken, Schwäche in den Beinen und eine all¬ 
mählich zunehmende Verkrümmung der Wirbelsäule. Die Untersuchung stellt eine 
scharfe bogenförmige Kyphose im ganzen Brusttheil und oberen Lumbaltheil der 
Wirbelsäule bei gleichzeitiger Unbeweglichkeit derselben fest. Bewegungsmöglichkeit 
im Halstheil eingeschränkt. Bei Bewegung des Körpers Schmerzen im Kreuz, in 
den Leisten und den vorderen Seiten der Schenkel. In den Händen Tremor und 
morgens Vertaubungsgeföhl. Hautsensibilität normal. Patellarreflexe erhöht. Im¬ 
potenz. 

III. Lehrer, 50 Jahre alt. Seit 1879 Schmerzen in den Gelenken der unteren 
Extremitäten und der Wirbelsäule hauptsächlich bei Bewegung. Schon seit 9 Jahren 
hat der Kranke Bewegungseinschränkung des BQckens und seit & Jahren des Halses 
beobachtet. Es stellte sich ein Gefühl des Zusammenziehens in den Beinen und im 
letzten Monat starke Schmerzen bei Bewegung der Hfiften und Schenkel ein. Die 
Untersuchung ergab bogenförmige Kyphose des Hals- und oberen Brusttheils der 
Wirbelsäule. Weiter unten ist die Wirbelsäule gestreckt und unbeweglich. Die 
Bewegung im Hüftgelenk beschränkt. Bewegungen im linken Kniegelenk sind mit 
Knirschen begleitet. Atrophie im linken Ober- und Unterschenkel mit Herabsetzung 
der elektrischen Erregbarkeit in den Muskeln. Geringfügige tactile und Thermo- 
anästhesie der äusseren Fläche des rechten Unterschenkels; hierselbst auch gesteigerte 
Schmerzempfindung. Fusssohlenreflex fehlt. Patellarreflex kaum angedeutet Bauch- 
und Cremasterreflex fehlt 

Als hauptsächlichstes Symptom der beschriebenen Krankheit stellt sich die Be¬ 
wegungseinschränkung oder die völlige Bewegungslosigkeit in mehr oder weniger 

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grosser Ausdehnung dar, zuweilen mit Begleiterscheinungen vou Seiten anderer Ge- 
lenke. Nicht selten beobachtet man dabei Schmerzempfindungen in der Wirbelsäule 
und den Extremitäten mit Parästhesieen von verschiedenem Charakter, zuweilen auch 
Anästhesieen (Fall III). 

Das Verhalten der Haut- und Sehnenreflexe kann im doppelten Sinne beein¬ 
flusst sein. 

Hinsichtlich der Aetiologie des Leidens spricht der Vortr. die Meinung aus, 
dass sie vielleicht abhängig sein könnte „von der frühzeitigen Erschlaffung gewisser 
bindegewebiger und knöcherner Theile des Skeletts auf dem Boden hereditärer mangel¬ 
hafter Entwickelung.“ Das Trauma, Erkältung u. s. w. ist der Vortr. geneigt, als 
die Entwickelung der Krankheit begünstigende Momente anzusehen. 

Discussion: 

Prof. Koshewnikoff und Dr. W. Mnratoff glauben, dass die Ankylose der 
Wirbelsäule aus ganz verschiedenen Ursachen eintreten kann. 

Dr. A. Korniloff spricht die Muthmaassung aus, dass die Muskelatrophie (in 
einem der Fälle) in Abhängigkeit von der Arthropathie zu stellen sei. 

Dr. L. Minor berichtet über einen von ihm untersuchten Kranken, bei dem 
neben Unbeweglichkeit der Wirbelsäule Miosis eiuer Pupille und Coxitis beobachtet 
wurde; die Wirbelsäule war gestreckt. 

Prof. Bothe glaubt, dass Ankylose der Wirbelgelenke auch ohne Arthritis be¬ 
stehen kann. 

Dr. A. N. Bernstein: Zwangssuoht aur Einführung von Fremdkörpern 
in den Organismus. 

Vortr. demonstrirt eine Patientin von 43 Jahren ohne hereditäre Belastung, 
welche an Melancholie mit Widerwillen zur Nahrungsaufnahme erkrankte. Ein zu¬ 
fällig zerkautes Stückchen Umschlagpapier übte auf sie eine eigenthümliche beruhigende 
Wirkung aus, und die Patientin nahm von nun an ihre Zuflucht zu diesem Mittel, 
um ihre Gemüthsstimmung zu betäuben. Eine Nichtbefriedigung des Hanges zum 
Papieressen rief eine tiefe traurige Verstimmung und Niedergeschlagenheit hervor. 
Einen Monat nachher wurde das Papier durch Lehm verdrängt und noch zwei Monate 
später durch Sand, von dem sie bald einen Eimer täglich vertilgte. Die Nahrungs¬ 
aufnahme ging dabei auf ein Minimum herab. Die Patientin kam sehr herunter, es 
stellten sich gastroenteritische Beschwerden ein. In der Moskauer psychiatrischen 
Klinik wurde eine Entwöhnung vom Sande durchgeführt, wobei die gewöhnlichen 
Erscheinungen der Entwöhnungskuren beobachtet wurden: unruhige Schwermuth, Ge¬ 
fühl von Brennen in der Magengrube und im Halse, unwillkürliche Thränenabsonderung, 
allgemeine Schwäche und Verlangsamung des Pulses: eine Dosis Sand brachte alle 
diese Erscheinungen momentan zum Schwinden. Indem der Vortr. auf diese Analogie 
hinweist, theilt er die Zwangshandlungen in 3 Gruppen: 

1. Zwangsacte: die Zwangsidee strebt sich im gewohnten Acte zu verwirklichen, 
ohne dass die Verwirklichung desselben mit der Befriedigung des Selbstgefühls zu¬ 
sammenfällt. 

2. Zwangstrieb: das Selbstgefühl, welches durch die Erwartung eines unlieb¬ 
samen Ereignisses gestört ist, strebt einen iudifferenten Act zu verwirklichen, welcher, 
die Gefahr beseitigend, das seelische Gleichgewicht wieder herstellt. 

3. Das primär gestörte Selbstgefühl strebt eine ersehnte Handlung zu ver¬ 
wirklichen, welche unmittelbar das seelische Gleichgewicht wieder herstellt. 

/;;] ;jZu dieser letzten Gruppe gehören die Toxomanieen und jene nicht selten bei 
den Melancholikern beobachtete Zwangssucht, deren Verwirklichung zeitweilig die 
schmerzliche Verstimmung aufhebt. 

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Discnsshra: 

Dr. A. Tokarsky hält die vorgeschlagene Classification der Zwangshandlungen 
für nicht gen&gend. 

Ferner betheiligten sich ausserdem Dr. Jakowenko, Prof. Korsakoff und 
Prof. Koshewnikoff. 

Dr. N. Solowzoff: Treber angeborene Missbildung dee centralen Nerven¬ 
systems. 

Die häufigste Ursache der angeborenen Missbildung des Centralnervensystems 
ist der HydrocephaL congen. internus. Bei hohem Entwickelungsgrade dieses Processes 
sind die Seitenventrikel in dem Maasse ausgezogen, dass sie die ganze Schädelhöhle 
einnehmen. Das Septum pellucidum und das Corp. callos. verschwinden, die Hirn¬ 
rinde bildet unter dem Einflüsse des hohen Druckes bloss noch eine dünne Lamelle, 
an der Hirnbasis bleiben nur der Thalam. opt. und der Nucleus lenticul. bestehen; 
das Kleinhirn dagegen bleibt unter dem Schutze des Tentor. cerebelli unversehrt 
Mit dem Fehlen der Binde fehlen ebenfalls die Corpora geniculata und das Pulvinar, 
die Vierhügelarme aber unentwickelt An Präparaten nach Pal lässt sich nach- 
weisen: Fehlen der Pyramidenbahnen, der Bahnen, welche durch den Pes pedune. 
verlaufen und ein fast völliger Schwund der zerstreuten Bündel der Schleifenschicht 
Bei einer derartigen Entwickelungshemmung lebte in einem Falle das Kind 2 Jahre. 
Wenn der Hydrocephalus in einer früheren Periode des intrauterinen Lebens begann, 
so bleibt das Schädeldach, in Folge von starker Erweiterung der primären Hirnblase, 
in seiner Entwickelung stehen, und es bleibt nur die Schädelbasis allein, welche mit 
einem Häutchen bedeckt ist, welches in das Bückenmark zieht, über, in dem wir die 
Hinterstränge und die Grundbündel der Vorder- und Seitenstrangbahnen finden. 

Wenn sich aber der Hydrops auch auf den Centralcanal des Bückenmarks er¬ 
streckt, so beobachtet man mit dem Fehlen des Schädeldachs auch der hinteren 
Wirbelbögen in der ganzen Ausdehnung des Bückenmarks oder nur im oberen 
Theil. An der Stelle, wo der Bückenmarkscanal geschlossen bleibt, erreicht die 
Breite des Bückenmarks nicht mehr als 1 mm. Die Zellen der Vorderhörner erweisen 
sich, nach der Nissl’sehen Methode untersucht, in den Fällen der Missbildung mit 
Fehlen der Pyramidenbahnen im Zustande embryonaler Entwickelung, die Zellen der 
Intervertebralganglien dagegen sind nicht verändert. 

Discussion: 

Prof. Koshewnikoff äusserte sich mit einigen anerkennenden Worten. 

\ 

G. Bossolimo. W. Murawieff. 

Sitzung vom 15. Mai 1898. 

Dr. G. J. Pribytkoff und Dr. N. S. Jwanoff: Zur pathologischen Ana¬ 
tomie der öliamatose. 

Patient, 43 Jahre alt, Ulcus induratum vor 20 Jahren. Im October 1895 in 
das Moskauer Golizyn'sche Krankenhaus aufgenommen. Schiessende Schmerzen in 
den unteren Extremitäten, Störung der Sensibilität aller Qualitäten in den unteren 
Extremitäten, im Kumpf und in den Armen, ausgesprochene Ataxie in den Beinen, 
weniger in deu Armen, Patellarreflexe fehlen, Pupillenstarre, Obstipation und Beten! 
urinae. Anfang der Krankheit 5—6 Jahren vor Eintritt ins Krankenhaus. Anfang 
Januar 1896 Fieber, im Harn Eiweiss und Eiter. 14. Februar Exitus. 

Diagnose: Tabes dorsalis. 

Autopsie. Todesursache: Pyämie in Folge von Pyelonephritis suppurativa et 
urocystitis gangraenosa; ausserdem findet sich: Sklerose der Hinterstränge längs der 

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ganzen Aasdehnnng des B&ckenmarks, gliomatöse Neubildung im Halstheil, Hydro* 
eephalus intern. 

Mikroskopische Untersuchung: Im Lendenmark und Brustmark das gewöhnliche 
Bild der Tabes; Pia mater verdickt, die hinteren Wurzeln atrophisch. Im Halstheil 
ist dieses Bild mit Gliomatose combinirt. Die gliomatöse Neubildung beginnt in der 
Mitte des I. und endigt mit dem IV. HalssegmenL Die peripheren Theile der Neu* 
bildung seien an zelligen Elementen und verdickten und hyalindegenerirten Wan* 
düngen. In den centralen Theilen finden sich häufig Stellen mit homogen hyalin* 
degenerirten Gliafasern. Zu Ende des I. Segments beginnt im Centrum der Neu¬ 
bildung eine Höhle, welche bis zur Mitte des III. Segments reicht, wo sie verschwindet; 
zu Ende des III. Segments aber erscheint sie wiederum, um jetzt ununterbrochen bis 
zu Ende des VI. Segments zu ziehen. 

Sowohl die untere wie die obere Höhle confluiren stellenweise mit dem Central¬ 
canal und an diesen Stellen ist die vordere Wand der gemeinsamen Höhle mit Epi¬ 
thel ausgekleidet. Dort, wo der Centralcanal getrennt liegt, ist er etwas verbreitert 
ond mit Epithel umsäumt, welches in mehreren unregelmässigen Schichten angeordnet 
ist. Auf dem Querschnitt des Bückenmarks nimmt die Neubildung fast die ganze 
graue Commissur und das vordere Drittel der Hinterstränge ein. Stellenweise ist 
die die Wandung der Höhle constituirende Neubildung in von oben nach unten ver¬ 
laufende Längsfalten zusammengelegt, welche auf dem Querschnitt des BQckenmarks 
papillenförmigo Figuren bilden, die in das Lumen der Höhle hineinragen. Im 
Brust- und Lumbalmark ist der Centralcanal etwas erweitert, stellenweise doppelt 
und von Anhäufungen epithelialer Zellen umgeben. Unmittelbar über der Neubildung 
fängt der Centralcanal an sich rasch zu vergrössern und nimmt bald */ 3 der grauen 
Commissur ein. Wie in den unterhalb gelegenen Theilen, so ist auch hier eine 
ebensolche Anhäufung von Zellen. In der Med. obl. finden sich an Stelle des Central* 
canals mehrere Canäle und Spalten, welche mit Epithel ausgekleidet sind und in¬ 
mitten von wuchernder Glia liegen. Solche Canäle und Spalten finden sich auch 
unter dem Epeudym des III. und IV. Segments und der Seitenventrikel und auch im 
Aquaed. Sylv. Ausserdem Ependymititis granulosa. 

Die Anwesenheit einer ganzen Beihe von Anomalien von Seiten des Central¬ 
canals geben den Vortrr. Veranlassung, anzunehmen, dass diese Anomalien im ge¬ 
gebenen Falle den Boden zur Entwickelung der Gliomatose abgegeben haben. Die 
auf einer ganzen Schnittserie zu verfolgende Bildung von Höhlen und die diesen 
vorangegangene Veränderung des gliomatösen Gewebes, lässt die Vortrr. denken, dass 
die Höhle in Folge von regressiver Metamorphose des Gewebes im Centrum der 
Neubildung sich gebildet hat. Die Tabes dors. ist hier bloss eine zufällige Com- 
bination. 

Discussion: 

Dr. Muratoff ist, auf Grund von eigenen Beobachtungen, der Meinung, dass 
die Syringomyelie und Hydroc. inter. chron., welche sich häufig combiniren, eine 
einheitliche Krankheit vorstellen. 

Prof. Roth lässt einen Zusammenhang zwischen Syringo- und Hydromyelie zu. 

Prof. Koshewnikoff weisst auf das Demonstrative der Präparate hin. 

G. J. Rossolimo: Das Gowers’sohe Bündel, sein Verlauf und Endigung 
im Qrosshirn. (Der Vortrag erscheint in extenso in d. Centralbl.) 

An der Discussion betbeiligten sich die Dnr. G. Pribytkoff, A. Korniloff 
und Prof. Koshewnikoff. 

Dr. G. J. Pribytkoff und Dr. Maloljetkoff: R&okenmarksabsoess. 

Frau N. N., 60 Jahre alt Im Laufe des März 1898 leichtes Unwohlsein. Am 
6. April entwickelte sich rasch Paralyse des rechten Beins, am Morgen des 7. April 

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Paralyse des Unken Beins, Retentio urinae. Am 8. konnte Fehlen der PateUarreflexe 
und complete Anästhesie der unteren Extremitäten and des Rumpfes bis 2 Finger breit 
unterhalb des Kabels constatirt werden. Am 11. April wurde Patientin in das 
Moskauer Golizyn’sche Hospital aufgenommen. Hier wurde, ausser den angeführten 
Erscheinungen, die obere Grenze der Anästhesie bis zum Nabel bestimmt; Schmerzen 
in dem Halse und den Armen. In den folgenden Tagen erreichte die obere Grenze 
der Anästhesie die Höhe der 3. Rippe, es stellte sich Paralyse der Rücken*, Bauch* 
und der Intercostalmuskeln ein; die Athmung und das Herausbefördern des Sputums 
ist erschwert, Patientin athmet hauptsächlich mit Hülfe des Diaphragma; am Kreuz 
Decubitus, Retentio urinae et alvi. Bewusstsein erhalten, Fieber von unregelmässigem 
Typus 37,5—38,1; Pulsus celer 120—125, schwach. Athemnotb, Cyanose. 

In der Nacht vom 16. zum 17. April Exitus. 

Diagnose zu Lebzeiten: Myelitis acuta ascendens. 

Section: Im Rückenmark vom Conus medull. bis zur Höhe des II. Brust¬ 
segments inclusive ein Eiterherd, welcher längs dieser ganzen Ausdehnung die cen¬ 
tralen Theile des Rückenmarks einnimmt. Die Anhäufung des Eiters ist stellen¬ 
weise mehr oder geringer und dementsprechend stellt der Brusttheil des Rückenmarks 
eine Reihe (5—6) von spindelförmig aufgetriebenen Segmenten dar, welche durch 
Einschnürungen von einander getrennt sind. Der Lumbaltheil und der Conus medulL 
sind gleichmässig verdickt. 

Bei der mikroskopischen Untersuchung erweist sich der Eiterherd im Centrum 
des Rückenmarks, dorsal von der Commissura grisea, in der vorderen Hälfte der 
Hinterstränge, sein Querdurchmesser ist bald grösser, bald kleiner, die Gestalt eben¬ 
falls mannigfaltig. Die hinteren Hörner der grauen Substanz sind stellenweise stark 
comprimirt und ausgezogen; die Commissur und die Hinterhörner sind stark com- 
primirt und nach vorn gedrängt (nur in einem Segment hat ein einzelner kleiner 
Eiterherd das Vorderhorn zerstört). Der Centralcanal liegt überall oberhalb des 
Eiterherdes. Geringe Ansammlung von Eiter im Lumbaltheil und Conus medull 
Die Nervenelemente haben stark gelitten: sie sind stellenweise zerstört, stellenweise 
comprimirt, aber entzündliche Erscheinungen lassen sich nicht constatiren. Im 
Brusttheil ausgesprochene diffuse Myelitis. Dura mater überall normal; in der Pia 
mater entzündliche Erscheinungen und eitrige Infiltration, verhältnissmässig gering 
im Lumbaltheil und noch geringer im unteren Brusttheil. An der Pia mater des 
Grosshirns, an der Basis, am Tuber einer, und den Corpor. mamill. geringe Mengen 
von Eiter. Grosshirn und Eleinhimsubstanz bieten nichts besonderes. Die inneren 
Organe sind frei von Eiter. 

Die bakteriologische Untersuchung ergab hinsichtlich eitererregender Mikro- 
kokken negative Resultate; aber an mit Tionin gefärbten Rückenmarksschnitten wurden 
im Eiterherde geringe Mengen von kleinen Aktinomycesdrüsen gefunden (nach Be¬ 
stimmung von Prof. M. N. Nikifaroff). 

Discussion: 

Prof. Koshewnikoff weist auf das Interesse dies Falles hin, hält aber zum 
Nachweise des Vorhandenseins von Aktinomycespilzen im Rückenmark bewegendere 
Präparate für nöthig. 

Ausserdem beteiligten sich noch Dr. G. J. Rossolimo und Prof. Roth. 

A. Bernstein. W. Murawieff. 


Um Einsendung von Sep&r&tabdrücken an den Herausgeber wird gebeten. 

Einsendungen für die Redaction sind zu richten an Prof. Dr. E. Mendel, 
Berlin, NW. Schiffb&uerdamm 20. 

Verlag von Veit & Comp, in Leipzig. — Druck von Mbtzgkr & Wittio in Leipzig. 

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Neurologisches Centralbutt. 

Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie 
und Therapie des Nervensystems einschliesslich der Geisteskrankheiten. 

Henuugegeben von 

Professor Dr. E. Mendel 

Siebzehnter " B * rä “' Jahrgang. 


Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 24 Mark. Zu beziehen durch 
alle Buchhandlungen des ln- und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Beichs, sowie 

direct von der Verlagsbuchhandlung. 

1898. 15. September. Nr. 18. 


Inhalt: I. Originalmittheilungen. 1. Ueber eine eigenartige psychopathische Form 
der Betentio urinae, von Prof. Dr. W. v. Bechterew in St Petersburg. 2. Meningitis ventri- 
cularis chronica adultorum. Plötzlicher Tod bei derselben, von Oberarzt Dr. Bresler (Frei¬ 
burg L/Schl.). 3. Zwei Fälle von Hirntumor mit genauer Localdiagnose, von Dr. L. Bruns 
in Hannover. (Schluss.) 

II. Referate. Anatomie. 1. The origin and destination of oertain afferent and effe¬ 
rent tracts in the medulla oblongata, by Rüssel. — Experimentelle Physiologie. 
2. La contracture tetanique n’est pas fonction d’une lesion appröciable des cellules nerveuses 
mödullaires, par Courmont, Doyon et Paviot. 3. L’ötat des yeux pendant le sommeil et la 
thöorie du sommeil, par Berger et Loewv. — Pathologische Anatomie, 4. The neuro- 
muscular bundles (Muskelknospen, Muskelspindeln, Faisceaux neuromusculaires), by Spüler. 
5. Etat du faisceau pyramidal (bulbe et moelle äpiniöre) dans quatre cas de contracture 
spasmodique infantile (syndrome de Little), par Philippe et Cestan. — Pathologie des 
Nervensystems. 6. Contribution ä l’etude de la pseudo-möningocöle traumatique, par 
Josias et Roux. 7. Die pathologische Schwere, von Adamkiewicz. 8 . Encephalopathies con- 
sequent on influenza, by Gordon. 9. A study of a case of acute haemorrhagic (non 
suppurative) encephalitis, by Wiener. 10. A case of cerebellar haemorrhage. 11. Hae¬ 
morrhage into pons, secondary lesions of lemniscus, posterior longitudinal fasciculi, and 
flocculus cerebelli, by Gee and Tooth. 12. Observations on brain surgery suggested by a 
case of multiple cerebral hemorrhage, by Walton and Brooks. 13. Unilateral retinal changes 
in cerebral haemorrhage, embulism and thrombosis, by Williamson. 14. Ueber einen durch 
Cerebrospinalmeningitis complicirten Fall von Apoplexie im linken Sehhügel, von Tantzen. 
16. Haemiplegia during typhoid fever, by Rolleston. 16. An unusual case of hemiplegia, 
by Spiller. 17. Du phönomene des orteils et de sa valeur semiologique, par Babinski. 
18. Belachement des muscles dans l’hömiplögie organique, par Babinski. 19. De quelques 
mouvements associes du membre inferieur paralysö dans Fhämiplägie organique, par Babinski. 

20. Ueber das Wesen und die Entstehung aer hemiplegischen Contractur, von Mann. 

21. Klinischer Beitrag zur Lehre von der Hemianaesthesia alternans, von Bernhardt. 22. Zur 
Athetosis bilateralis, von v. Krafft Ebing. 23. Sur latrophie des os du cötd paralysä dans 
Phömiplegie de Tadulte, par Dejerine et Theohari. 24. Ueber Fortbestehen von Tic convulsif 
bei gleichseitiger Hemiplegie, von Habel. 25. Central entstandene Schmerzen. Ein neuer 
Fall mit Sectionsbefund, von Reichenberg. 26. Zur Pathologie der Hemiplegieen im Gefolge 
des Keuchhustens, von Luce. 27. Ein Fall von infantiler Hemiplegie nach Diphtherie, von 
Wohlgemuth. 28. Case of spastic hemipligia of gradual onset, following a severe attack of 
enteric fever, and terminating in insanity, by Steven. 29. Cerebral haemorrhage in a child, 
by Lea. 30. Hemiplegia (possiblv hysteria) with ankle clonus, by Burr. 31. Ueber die 
therapeutische Anwendung der Elektricitat bei Hemiplegie, von Sieletzkij. 32. Ueber cere¬ 
brale Diplegieen im Kindesalter (Little’sche Krankheit), von Massalongo. 33. Ueber cerebral 
bedingte Complicationen, welche der cerebralen Kinderlähmung, wie der einfachen Idiotie 
gemeinsam sind, sowie über die abortiven Formeu der ersteren, von Koenig. 34. Ueber die 
Westpbal’sche Pseudosklerose und über diffuse Hirnsklerose, insbesondere bei Kindern, von 
Strümpell. 35. Ueber diffuse Hirnsklerose, von Heubner. 36. Sclerose cerebrale hemisphörique: 
Idiotie, hämiplegie droite et Epilepsie consecutives, par Bourneville. 37. Paraplegie spasmo- 
dique infantile, par Virsiola. 38. Zur Therapie der Kinderlähmungen. Sehnenüberpflanzung 
in einem Falle spastischer cerebraler Paraplegie (sogen. Little’scher Krankheit), von Eulen¬ 
burg. 39. Transplantation of tendon for infantile paralysis, by Eve. 


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III. libliograpMe. Physiologie der Hantsinnesnervcn. Gesammelte Abhandlongen ron 

A. Soldscbeider. 

IV. Berichtignng. _ 


L Originalmittheilungen. 


1. Ueber eine eigenartige psychopathische Form der 

Retentio urinae. 


Von Prof. Dr. W. v. Beohterew in St Petersburg. 


Schon vor mehr als einem Jahrzehnt hin ich auf eine eigentümliche 
Störung der Blasenthätigkeit aufmerksam geworden, die, soviel mir bekannt, 
von der Fresse, besonders der französischen, erst in letzterer Zeit besprochen zu 
werden beginnt Die Affection kommt im Wesentlichen darin zum Ausdruck, dass 
bei Mangel aller Erscheinungen von Parese oder Paralyse der Blasenmuskulatur 
die Urinentleerung ausserordentlich erschwert, ja völlig vereitelt wird, sobald 
dies in Gegenwart dritter Personen geschehen soll. Der Kranke hat das quälende 
Gefühl der Blasenüberfüllung und auch das ausgesprochene Bedürfhiss zur Harn¬ 
entleerung, allein er ist beim besten Willen und trotz grösstmöglicher Inanspruch¬ 
nahme der Bauchpresse nicht im Stande, auch nur wenige Tropfen von sich zu 
geben. In anderen Fällen gelingt es ihm nach minutenlangen unglaublichen 
Anstrengungen, eine winzige Urinmenge hervorzupressen, doch hat es damit 
zunächst sein Bewenden, wiewohl die Bauchpresse fortarbeitet und jener peinigende 
Zustand der Blasenfülle und des Harndranges unverändert andauert Nach 
Ablauf einiger Zeit kann dann ein ähnlicher foroirter Harnabgang erfolgen. Oft 
erst nach dem zweiten oder dritten Versuch vermag der Kranke bei abgelenkter 
Aufmerksamkeit und unter unbeschreiblichen Willensanstrengungen zum Ziele 
zu kommen. Tritt dies nicht ein, so wiederholt sich das frühere Spiel so lange, 
bis alle weiteren Versuche ungeachtet des Fortbestehens der anfänglichen Er¬ 
scheinungen als fruchtlos von dem Eiranken aufgegeben werden. Dass in diesen 
Fällen ein wirklicher Harndrang vorliegt, kann nicht zweifelhaft sein, da er sich 
einige Zeit später oft von Neuem einstellt in einem Grade, dass schliesslich die 
Entleerung doch in mehr oder weniger vollständiger Weise vor sich geht 
Manchmal lässt das Drängen erst nach mehrfach wiederholten, in der angegebenen 
Art durch Pausen unterbrochenen Urinentleerungen gänzlich nach. Sehr viel 
schneller gestaltet sich der ganze Vorgang coram publico, wenn — was höchst 
merkwürdig ist — der Kranke sich von seiner Umgebung unbeobachtet glaubt 
oder wei8S. Aber die Wahrnehmung oder auch nur die Vorstellung, Gegenstand 
fremder Aufmerksamkeit zu sein, löst sofort die anfänglichen Beschwerden aus. 
In öffentlichen Pissoirs zeigen solche Kranke, um leichter zum Ziele zu gelangen, 
das Bestreben sich ängstlich vor den übrigen Besuchern zu verbergen. Beson¬ 
ders schwer fallt es ihnen, in Anwesenheit wenig bekannter Personen zu uriniren; 
V» — Vs Stunde vergehen unter qualvollen, aber vergeblichen Anstrengungen, 
und schliesslich muss die Befriedigung des bis zur Unerträglichkeit gesteigerten 


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Bedürfnisses dennoch hinansgeschoben werden. Seelische Erregung verstärkt die 
schon bestehende Urinbehinderung noch mehr. Dagegen schwindet diese sofort 
mehr und mehr, sowie die Anwesenden sich entfernt haben und bei dem Kran¬ 
ken das Gefühl des Alleinseins erwacht Wird der Kranke während der Urin¬ 
entleerung durch Hinzutritt Fremder überrascht, so kommt jene, wenigstens in 
ausgeprägten Krankheitsfällen alsbald unmittelbar zum Stillstand; er hat das 
unangenehme Gefühl der halbgefüllten Blase, muss aber gleichwohl innehalten 
oder einen anderen Ort aufsuchen, um das Begonnene ungesehen zu Ende zu 
bringen. Keine oder nur unmerkliche solche Störungen bedingt meist das Zu¬ 
gegensein Näherstehender, denen gegenüber das Schamgefühl weniger zur 
Geltung kommt 

In typischen Fällen können aber auch andere Momente maassgebend sein. 
So vor allem psychische Affecte, wodurch immer sie bedingt sein mögen. Auch 
die Vorstellung, es sehr eilig zu haben, schont in vielen Fällen eine ähnliche 
Wirkung auf die Harnentleerung auszuüben; letztere wird, je mehr sich jene 
Vorstellung steigert, um so schwieriger, ja sie kann schliesslich trotz vorhandener 
Müsse ganz unmöglich werden. 

Es mag nun die Behinderung noch so stark sein, so braucht zu geeigneter 
Zeit nur die Aufmerksamkeit des Kranken durch ein Gespräch oder den Vor¬ 
trag irgend einer Melodie abgelenkt zu werden, damit alle Beschwerden sofort 
weichen und der Urin spontan entleert werde. 

Bei Abwesenheit fremder Personen und in ruhiger Gemüthsverfassung geht 
die Harnentleerung bei derartigen Kranken in völlig regelrechter Weise vor sich; 
allenfalls zeigen sich Tenesmen, insbesondere nach Aufnahme reichlicher Flüssig¬ 
keitsmengen und vorwiegend während der kälteren Jahreszeiten. Im Uebrigen 
sind für gewöhnlich keinerlei Zeichen von Paresen an der Harnblase eruirbar. 

Die Störung an und für sich ist nichts weniger als constant Vielmehr 
lassen sich zu gewissen Zeiten stärkere Exacerbationen, zu anderen hinwiederum 
entsprechende Remissionen nachweisen. Bezüglich der Ursachen ist es nicht 
immer leicht Gewissheit zu erlangen. 


Kurz zusammengefasst bandelt es sich um eine eigentümliche Störung der 
Harnentleerung, die nur unter ganz bestimmten Verhältnissen auftritt und 
namentlich in einer vorzeitigen oder übertriebenen Contraction der Sphinoter- 
muskulatur sich äussert Allem zufolge scheint hier viel eher eine Störung der 
associativen Muskelthätigkeit, denn eine Parese des M. detrusor vorzuliegen. 

Bei der eingehenden Untersuchung dieser Fälle werden Erscheinung«*, die 
auf organische Veränderungen in der Urethra, in der Harnblase oder im Central¬ 
nervensystem hindeuten würden, völlig vermisst Die Sehnen- und Hautreflexe, 
die Sensibilität und Motilität weichen nirgends merklich vom Normalen ab. 
Dagegen habe ich in der Mehrzahl der Fälle einen Zusammenhang mit neuro- 
pathischer Veranlagung nachweisen können. Dies im Vereine mit dem zeit¬ 
weiligen, an bestimmte Bedingungen geknüpften Auftreten der Symptome und 
dem Fehlen einer organischen Erkrankung des Centralnervensystems fuhrt 

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unmittelbar za der Annahme eines nervösen oder richtiger psychopathologischen 
Ursprunges der Affeotion. 

Die Häufigkeit der Störung ist nach meinen Erfahrungen keine sehr geringe, 
besonders im jugendlichen Alter und in der Pubertätszeit 

Was die Aetiologie betrifft, so sind weitere Beobachtungen abzuwarten. 
Soviel ist aber unzweifelhaft, dass in der Anamnese dieser Fälle ausser neuro- 
pathischer Beanlagung nicht selten Masturbation angetroffen wird. Von einer 
gewissen Bedeutung sind hier vielleicht gewisse psychische Momente, wie Schreck 
und Aehnliches, sofern, sie zu einer plötzlichen Unterbrechung der begonnenen 
Harnentleerung Anlass geben können. 

Vorstehendes Krankheitsbild ist von mir vor etwa 10 Jahren, noch während 
meiner Lehrthätigkeit an der Universität Kasan, entworfen worden, doch brauche 
ich heute an dem bisher zurückgelegten Manuskript nichts zu ändern, da die 
darin mitgetheilten älteren Befunde von mir mit meinen späteren Beobachtungen 
sich vollständig deoken und die daselbst dargelegten Anschauungen in allen 
wesentlichen Punkten die nämlichen geblieben sind. Die Veröffentlichung des 
Manuskriptes — das möchte ich noch bemerken — musste hinausgeschoben 
werden, weil mir anfänglich, in Kasan nämlich, eine Reihe von Schriften, die 
nicht unberücksichtigt bleiben durften, im Original nicht erreichbar war, später 
aber traten andere Thätigkeiten hindernd dazwischen. 

Gegenwärtig sind nun ähnliche Störungen von James Paget in seinen 
Clinical lectures and essays unter der Bezeichnung Harnstottern, und von 
M. Guyon (Cliniques 1885. Sur les voies urinaires de la miction) als Harnscheu 
(timiditö urinaire) beschrieben worden. Mittheilungen hierüber machte ferner 
Jules Janet in seiner Schrift „Troubles psychopathiques de la miction, essai 
de psycho-physiologie normale et pathologique“ 1890. In allerletzter Zeit endlich 
unterwirft Raymond (Clinique des maladies du syst nerveux. Paris 1897) einen 
analogen Fall von Harnretention einer ziemlich eingehenden Betrachtung mit 
der Ueberschrift „Troubles psychopathiques de la miction“ (U. Sörie S. 741 ff.). 
Der Vorgang der Harnentleerung, bemerkt er, ist ein ausserordentlich compli- 
cirter und unterliegt als solcher dem Einfluss der Psyche in ähnlicher Weise, 
wie die Sprache, die Schrift und jede andere Thätigkeit; er kann hierbei unwill¬ 
kürlich gesteigert, aber auch völlig vereitelt werden. In letzterer Beziehung 
wird folgender Fall näher beschrieben: 

Dz., Soldat, 24 Jahre alt, ist völlig unfähig, seinen Ham in normaler 
Weise zu entleeren. Es liegt nach dieser Richtung hin systematische Willens¬ 
schwäche bei ihm vor. Grössenwahn bei dem Vater und Nervosität bei der 
Schwester deuten auf hereditäre Belastung; die Mutter ist während eines Partus 
gestorben. Im 9. Lebensjahre stellte sich nächtliche Incontinentia urinae ein, 
doch verschwand diese nach einiger Zeit Bald darauf begann der Patient zu 
masturbiren. Im Alter von 12 Jahren fiel es ihm, während er, wohl in Folge 
der Masturbation, dauernd über den Zustand seiner Uro-genitalorgaue in Sorgen 
war, von vornherein auf, dass er nur unter ganz besonderen Verhältnissen 
regelrecht zu uriniren im Stande war. Insbesondere war ihm dies in Gegen- 

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wart einer dritten Person nicht möglich. Die Erscheinung der „Harnscheu“ 
(timiditö urinaire), wie Guyon das Symptom nennt, war bei dem Patienten 
schon frühzeitig aufgetreten, denn er sagt aus, er könne sich nicht entsinnen, 
jemals ohne Mühe in Gesellschaft Anderer Urin gelassen zu haben; sie steht 
wahrscheinlich in einem Zusammenhang mit dem Onanismus und dem Aufhören 
des nächtlichen Bettnässens. 

Die Beschwerden dauerten bis zum 15. Jahre unverändert fort. In der 
Schule befand er sich stets in Gesellschaft anderer Kinder, konnte daher seine 
Blase nur unvollständig entleeren und hielt bis zur nächstfolgenden Unterrichts¬ 
pause oft mit grösster Ueberwindung an sioh. 

Im Alter von 20 Jahren ward eine ausgesprochene Blasenentzündung be¬ 
merkt, wahrscheinlich als Folge der bestehenden Retention, da über eine sonstige 
Infection nichts Sicheres zu eruiren war. Der anfänglich schmerzhafte Urin¬ 
abgang wurde in der Folge immer seltener und schliesslich ganz unmöglich. 
So kam Patient in das Hospital, wo Blasenerweiterung festgestellt und syste¬ 
matische Katheterisation angeordnet wurde. Nach zwei Jahren schien das ent¬ 
zündliche Blasenleiden geheilt, allein der Patient musste, dauernd unfähig zu 
spontaner Urinentleerung, sich selbst mit dem Gebrauch der Blasensonde ver¬ 
traut machen. 

Die mit aller Sorgfalt ausgeführte Untersuchung der Urethra und Blase 
auf organische Affectionen hin blieb in diesem Fall gänzlich resultatlos. Die 
Blase besass ihre volle Contractionsfähigkeit, wie durch Eingiessen von Borsäure¬ 
lösungen in dieselbe bestimmt eruirt werden konnte. Das Wesen der Affection 
muss daher in einer functionellen Dissociation des Detrusor und Sphincter ge¬ 
sucht werden. In dem Moment, wo der Sphincter nachlässt, hört die Blase auf, 
sich zu contrahiren. Auch Zeichen einer Spinalaffection waren trotz aufmerk¬ 
samster Beobachtung bei dem Kranken nicht wahrnehmbar. Eine Morphium- 
injection gab dem Kranken für mehrere Stunden die Fähigkeit spontanen 
Urinlassens wieder. Der Coitus und die damit zusammenhängende Erregung 
hatte den gleichen Erfolg. Es muss also, da insbesondere ein spinaler Ursprung 
ausgeschlossen war, das Leiden höher oben, in der psychischen Sphäre localisirt 
werden. Je mehr er, giebt der Kranke selbst unter Hinweis auf seine lang¬ 
jährigen Erfahrungen an, die Vorstellung des Harnlassens festhalte, auf desto 
grössere Schwierigkeiten stosse er dabei. Gelingt es ihm, jene Vorstellung von 
sich abzuweisen, vergisst er, dass er urinire, so kann die Blase entleert werden; 
im anderen Fall, wenn er fortfährt sein Vorhaben in Gedanken zu verfolgen, 
so wird dieses anstatt spontan vor sich zu gehen, völlig unausführbar. Kurz, 
es besteht ein wahrer Willcnsdefect, wie er zuweilen auch bezüglich der Sprache, 
der Gehfähigkeit und anderer Verrichtungen zur Beobachtung gelangt 

Da aber ähnliche Affectionen sich nicht selten durch materielle Factoren 
bedingt erweisen, so bat man bei der Diagnose derselben nach Ansicht Raymond’s 
vor allem den Zustand der Harnwege genau zu prüfen. Es muss darauf ge¬ 
achtet werden, ob der Harn klar und Drei von Eiter ist; ob die Blase gesund 
oder ob Steine, papillomatöse Excrescenzeu u. 8. w. sich vorfinden; die Muskulatur 

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der Blase ist auf ihren Dehnungszustand, ihre Stärke und sonstige Beschaffenheit 
zu untersuchen. Ebenso muss die Harnröhre explorirt und nachgesehen werden, 
ob eine eingeführte Sonde normale Contractionen auslöst; von letzteren sind 
pathologische Spasmen, die bei dieser Art von Kranken in der Urethra ausser¬ 
ordentlich stark zu sein pflegen, wohl zu unterscheiden und die Sonde schnell 
und in einem Zuge unter Ablenkung der Aufmerksamkeit zu appliciren. Ferner 
wird man auf etwaige materielle Veränderungen des Rückenmarkes fahnden, 
die für solche Störungen eine Erklärung abgeben könnten. Wenn alles dies 
nicht zum Ziele führt, so bleibt nur die Annahme einer psychischen Alteration 
übrig. Raymond betont den innigen Zusammenhang der Blaseufunctionen mit 
der psychischen Sphäre und erörtert im Anschlüsse hieran meine auf Unter¬ 
suchungen von Meyeb gestützten Mittheilungen über die corticalen Centra des 
Sphincter ani et vesicae. 1 Ferner giebt er Hinweise bezüglich des Einflusses 
des Willens, der Denkthätigkeit und des Bewusstseins im allgemeinen auf die 
normale Blasenthätigkeit und ihre pathologischen Störungen. „Jeder Tastein¬ 
druck“, äussern sich hierüber Mosso und Pellacani *, auf die sich Raymond 
beruft, „jedes isolirte Geräusch, jede Schmerzempfindung, jede Erregung oder 
geistige Anstrengung, kurz jeder psychische Vorgang wird stets von Blasen- 
contractionen begleitet“ 

In Beziehung auf den Mechanismus der im Obigen betrachteten Störung 
geben James Janet und Raymond folgende Erläuterungen: Der Vorgang der 
Blasenentleerung wird eingeleitet durch Contraction der Blasenwände und durch 
Freiwerden des Sphincter. Damit Letzteres geschehe, muss die Aufmerksamkeit 
von dem Muskel abgelenkt werden. Es muss also eine gewisse psychologische 
Leistung hinzutreten; eine Art Vergessen des Schliessmuskels der Pars mem- 
branacea ist am Ende erforderlich, damit die letzten Urintropfen entleert werden. 
Die ganze Erscheinung wird coup de piston genannt 

Man könnte sagen: eine regelrechte Blasenentleerung setzt einen Zustand 
der Zerstreutheit voraus. Der Vorgang selbst spielt sich so sehr automatisch 
ab, dass eine Betheiligung unserer Aufmerksamkeit nur schaden kann, wie dies 
auch im geschlechtlichen Verkehr, beim Coitus, der Fall ist Leute, die fort¬ 
während um ihre Blase besorgt sind und in der Entleerung derselben etwas 
für sie sehr Bedeutsames erblicken, wollen in der Regel zugleich in aller Eile 
uriniren, aus Furcht gesehen zu werden; hierzu tritt dann die ängstliche Vor¬ 
stellung, es könnte trotz des Verlangens dennoch kein Urin zum Vorschein 
kommen. Sorge oder die geringste Aufregung hat bei diesen Leuten häufiges 
Harndrängen zur Folge; in dem Kampfe mit ihrem Verlangen machen sie 
ausserordentliche Anstrengungen, als deren Frucht jedesmal eine Zusammen¬ 
ziehung der Schliessmuskulatur auftritt Kurz der Hinzutritt der Aufmerksam¬ 
keit, die einerseits das erforderliche Vergessen des Sphincters vereitelt, andererseits 
bei der geringsten Erregung zu schnellen Contractionen desselben geneigt macht, 


1 W. ▼. Bbchtkbbw, Neurolog. Centralbl. 1898. Nr. 3. 

* Sur les fonctions de la vessie. Arch. ital. de Biologie. Bd. I. 1882. 

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bedingt es, dass der im Grande einfache Vorgang der Blasenentleerung zu einem 
ausserordentlich complicirten wird. 

Wenn alle diese Erscheinungen sich steigern, bemerkt hierzu Güyon, so 
haben die Kranken währeud des Urinirens oder auch schon in den Pausen ein 
Gefühl von Schwere oder dumpfem Schmerz in der Dammgegend. Dies Ge¬ 
fühl erhält die Aufmerksamkeit ununterbrochen wach und so wird das Uriniren 
immer mehr erschwert, ja schliesslich ganz unmöglich. 

In therapeutischer Hinsicht betont Raymond insbesondere die Nothwendig- 
keit, duroh moralische Beeinflussung und andere geeignete Maassnahmen die 
Aufmerksamkeit der Kranken von ihrer Harnröhre abzulenken. Man suche die 
Häufigkeit des Hamens herabzusetzen, damit der Einzelact um so vollständiger 
ausgeführt werde. Um den Reiz des durchtretenden Urins auf die Schleimhaut 
zu vermindern, empfehlen sich Einspritzungen 5 — 10°/ 0 Cocalnlösungen in die 
Urethra. Allein ein Erfolg ist hierbei nur selten zu beobachten. Am öftesten 
knüpfen sich schliesslich hypochondrische Ideen an, das Wohlbefinden der 
Kranken wird durch krankhafte Empfindungen in der Dammgegend dauernd 
gestört und das Grübeln über den Zustand ihrer Harnblase wird zum alleinigen 
oder wesentlichen Gegenstand ihrer Fürsorge. 

Die Beobachtungen Raymond’s uud seiner Vorgänger stimmen also in allen 
Punkten mit meinen eigenen Befunden überein. Der Fall Raymond’s zeigt 
allerdings die Besonderheit, dass schliesslich die Blase nur mittelst Katheter 
entleert werden konnte, was für gewöhnlich nicht eintritt; doch kommt hier in 
Betracht, dass das Leiden mit Blasencatarrh complicirt wurde, der eine syste¬ 
matische Katheterisation nothwendig machte, und bekanntlich tritt in derartigen 
Fällen gar nicht selten eine Gewöhnung an den Gebrauch des Instrumentes ein. 

Mit der infausten Prognose, die Raymond der psychopathischen Hara- 
retention stellt, kann ich mich nicht ohne Weiteres einverstanden erklären. 
Solche Fälle mit absoluter Retention, wie der vorhin mitgetheilte Raymond’s, 
haben freilich wenig Aussicht auf Heilung. Aber in weniger schweren Fällen 
sah ich von der Anwendung geeigneter Mittel zur allgemeinen Beruhigung des 
Nervensystems (Bromsalze, Bäder u. s. w.) wesentliche Besserung, ja mit der 
Zeit völliges Schwinden der Krankheitserscheinungen. 

Was die Pathogenese des Leidens betrifft, so war ich von vornherein geneigt, 
dasselbe auf übermässige Erregbarkeit des Sphincters und auf eine damit zu¬ 
sammenhängende functioneile Dissociation dieses und des Detrusors .zurückzu¬ 
führen. Auch der Detrusor scheint bei Kranken dieser Art abnorme Reizbarkeit 
darzubieten, wenigstens wird von ihnen nicht selten über lästiges und häufiges 
Harndrängen geklagt. Beide Muskeln haben, wie ich nach weisen konnte, ihre 
Centren in der Grosshirnrinde. Die Oentren für den M. detrusor finden sich 
beim Hunde an dem medialen Rande des Gyrus sigmoideus, insbesondere des 
vorderen Abschnittes desselben 1 ; die Centren des M. sphincter entsprechen dem 

’ W. v. Bechterew and N. Mlsslawski , Die motorischen Centra der Harnblase im 
Gehirn. Areh. psich. Bd. XII. 1886. Nr. 2. — W. v. Bechterew , Ueber die Centra der 
Harnblase. Obosren. psich. 1896. S, 586. (Rassisch.) 

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hinteren Theil der nämlichen Windung und sind dem Centrum für die Bewe¬ 
gungen des Schwanzes benachbart 1 

Diese centralen Stätten sind es nun augenscheinlich, durch deren Vermitte¬ 
lung die Thätigkeit der Blase von der psychischen Sphäre aus eine Beeinflussung 
erfährt Bei den hier geschilderten Krankheitsformen finden sie sich höchst¬ 
wahrscheinlich in einem analogen Zustand erhöhter Erregbarkeit, wie die gesammte 
übrige psychomotorische Zone, so zwar, dass der Sphincter nicht einmal dann 
nachgiebt, wenn der Detrusor sich bereits contrahirt hat, und es einer vorher¬ 
gehenden Ablenkung der Aufmerksamkeit bedarf, damit der Zugang zu der 
Urethra frei wird und eine Entleerung der Blase erfolgen kann. 


2. Meningitis ventricularis chronica adultorum. 
Plötzlicher Tod bei derselben. 

Von Oberarzt Dr. Bresler (Freiburg i./Schl.). 

Vor 5 Jahren veröffentlichte Quincke eine kleine Monographie über die 
Meningitis serosa ventriculorum, unter welcher Bezeichnung er den Hydro- 
cephalus internus acutus und chronicus der Erwachsenen eingehend behandelt 
Da diese Arbeit mir zur Grundlage bei dem epikritischen Studium des im Nach¬ 
stehenden zu beschreibenden Falles diente, so möge das Wichtigste aus derselben 
zur Orientirung vorausgeschickt werden. 

Nach Quincke kommt die acute Form der Meningitis serosa häufiger im 
jugendlichen Alter vor, die chronische beim Erwachsenen. Als Ursachen führt 
er auf: Trauma des Kopfes, anhaltende geistige Anstrengung, acute und 
chronische Alkoholwirknng, acute fieberhafte Krankheiten (Typhus, Pneumonie); 
als Veranlassung zu Exacerbationen Schwangerschaft Die durch Mikroorganismen 
herbeigeführte Entzündung der Pia will er davon scharf getrennt wissen. Ferner 
betont er auch den Unterschied der entzündlichen Vermehrung der Cerebro¬ 
spinalflüssigkeit in den Subarachnoidalmaschen und in den Ventrikeln, die 
Meningitis corticalis und ventricularis. Bei letzterer sind die Ergüsse vorwiegend 
klar und enthalten nur ausserordentlich spärliche Lymphkörper und Endothelien, 
bei ersterer mehr oder weniger zellenreich, daher getrübt oder gar eitrig; dies 
deute auf eine genetische Verschiedenheit der Entzündung an beiden Orten. 
„Die corticale Meningitis ist vorwiegend parasitär und die parasitäre vorwiegend 
cortical.“ Die entzündlichen Exsudationen nicht parasitären Ursprungs finden 
sich gelegentlich auch an der Hirnoberfläche, z. B. nach Traumen, nach Ver¬ 
giftungen, in Folge von Hirngeschwülsten, vorzugsweise aber geschehen sie in 


1 Meyzr, Ueber die corticalen Centre des Sphincter vesioae et ani (aas meinem Labo¬ 
ratorium). Newrolog. Wjestn. Bd. I. 1893. H. 1. (Rassisch.) 

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die Himventrikel, wo schon normalerweise die stärkste Sekretion stattfindet. Er 
vergleicht die ventriculären Exsudationen mit den nicht parasitären entzündlichen 
Ergüssen, wie sie heim intermittirenden Hydrops der Gelenkhöhlen, bei der 
Urticaria und beim angioneurotischen acuten Oedem der Haut Vorkommen, 
welch letzterem die acuten Formen der Meningitis ventricularis serosa durch 
die Schnelligkeit ihrer Entstehung und durch den Wechsel ihrer Spannung 
entsprechen. 

Nach Quincke unterscheidet sich das Exsudat (durch Lumbalpunction ge¬ 
wonnen). nicht wesentlich von der normalen Cerebrospinalflüssigkeit: spec. Ge¬ 
wicht 1008, Eiweissgehalt 1 / a — 3 / 4 °/oo> selten 1— 1,5 °/ 00 , während letztere bei 
tuberculöser Meningitis, und namentlich bei Hydrocephalus durch Blutstauung 
1—6°/oo beträgt Die bei der Lumbalpunction ahfliessende Flüssigkeit stand 
unter einem Druck von 150—700 mm Wasser; besonders hoch war der Druck 
hei chronischen Fällen, wo die Hirnsubstanz derber und weniger nachgiebig 
geworden sei. Plexus chorioidei und vielleicht auch die übrige Pia seien in 
acuten Stadium der serösen Meningitis hyperämisch, später brauchten an der 
letzteren keine Veränderungen bemerkbar zu sein. — Quincke meint ferner, 
dass viele Fälle von acuter Meningitis serosa, wie es schiene, geheilt würden 
durch Nachlass der Exsudation, oder compensirt — vollkommen oder unvoll¬ 
kommen — durch Erweiterung der Abflusswege; bei einer solchen unvoll¬ 
kommenen Compensation könne mässige Druckerhöhung ganz latent oder mit 
geringfügigigen Symptomen fortbestehen; geringe Transsudation (z. B. bei chro¬ 
nischen Herz- und Nierenleiden, Diabetes u. s. w.) seien in solchen Fällen schon 
sehr gefährlich und führten in der That manchmal unerwartet zum Tode. 

Was die einzelnen Züge des Krankheitsbildes der Meningitis serosa anlangt, 
■ so heben wir aus Quinckb’s Schilderung Folgendes hervor: Fieber, Kopfschmerz 
und Nackenstarre, Hyperästhesieen, Paresen (Abducensparese bei Hirndruck), 
seltener Krämpfe, meist in ausgedehnteren Muskelgebieten verlaufend und ge¬ 
wöhnlich in dieser oder jener Einzelheit von dem typischen Bilde des wahren 
epileptischen Anfalls unterschieden, Erbrechen, Verlangsamung und Unregel¬ 
mässigkeit des Pulses, Trägheit und Ungleichheit der Pupillen, zuweilen extreme 
Grade der Verengerung oder Erweiterung derselben. — Trübung des Bewusst¬ 
seins, die sich in schweren Fällen zu tiefer, dauernder Benommenheit steigert, 
in anderen schwankt unc| mit Delirien, Unruhe und Schläfrigkeit vergesellschaftet 
ist. Alle diese Symptome sind weder immer zusammen in dem Krankheitsbilde 
anzutreffen, noch bieten sie in ihrer Aufeinanderfolge eine bestimmte Regel¬ 
mässigkeit. Dagegen ist die Stauungsneuritis des Optious ein sehr 
gewöhnliches Symptom. Die Krankheit setzt entweder acut ein oder be¬ 
ginnt schleichend und verläuft chronisch mit Intermissionen und Exacerbationen. 
Verwechslung mit Hirntumoren ist sehr leicht möglich; nur wenn sich das 
Leiden durch Jahre hinschleppt (ohne dass andere Herdsymptome als Stauungs¬ 
papille auftreten, wie ich hinzusetzen möchte), ist Hirntumor auszuschliessen. 

Für die Beurtheilung des nachstehenden Falles scheint mir von besonderem 
Interesse, was Quincke bezüglich der leichteren chronischen Fälle cou- 

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statirt: Kopfschmerz, Schwindelgeffihl, Stimmungsanomalien wechseln, sind oft 
geringfügig oder fehlen lange Zeit gänzlich und sind von neurasthenischen 
Beschwerden nicht zu unterscheiden. Solche Symptome bleiben oft auch 
nach günstig verlaufenen acuten Fällen zurück. Ferner, dass statt des Wechsels 
der leichten Symptome diese chronischen Fälle auch ausgesprochene Exacerbationen 
zeigen können, die bald in milderer Form und wiederholt auftreten, bald acut 
und heftig einsetzen und tödtlich enden können. Bei der Section findet man 
dann sehr voluminöse Wasserergüsse in die Ventrikel, Veränderung ihrer Ge¬ 
stalt, Verdickung und Körnung des Ependyms, Erscheinungen, die zu ihrer 
Entwickelung längere Zeit brauchen. 

Ein besonderes Capitel widmet auch Oppenheim dem erworbenen Hydro- 
cephalus. Er hält auf Grund eigener Beobachtung an der Möglichkeit des 
Vorkommens eines idiopathischen primären Hydrocephalus der Erwachsenen fest, 
betont die Aehnlichkeit zwischen diesem, wenn er acut auftritt, und der iufec- 
tiösen Meningitis, sowie zwischen dem chronischen und dem Hirntumor, in 
welch letzterer Beziehung ein sicheres Unterscheidungsmerkmal überhaupt nicht 
angeführt werden kann. Anhaltungspunkte sieht er hur in der abnormen 
Grösse und Gestalt des Schädels als Fingerzeig, dass in der Kindheit schon 
einmal ein hydrocephalischer Process stattgefunden und in der Verlaufsart, die 
Remissionen und Intermissionen von Jahre langer Dauer aufweist In einem 
seiner Fälle erstreckte sich das Leiden über 9 Jahre. 

Während die Meningitis serosa acuta erst neuerdings wieder von Boenning- 
haus eingehendem Studium unterzogen worden, ist die Frage nach der chronischen 
B'orm derselben bei Erwachsenen in den letzten Jahren selten zur Discussiou 
gelangt. Vereinzelte casuistische Mittheilungen beweisen vielmehr, dass man 
sich derselben gegenüber immer in einer gewissen Verlegenheit befindet, nicht 
allein bezüglich der Diagnose, von der auch ein Neurologe wie Gowebs be¬ 
hauptet, dass sie nicht möglich sei, als besonders wenn der Fall plötzlich letal 
endet, wie der unsere. Weil unser Fall nun in jedweder nosologischer Be¬ 
ziehung lehrreich, und um dadurch den - Gegenstand wieder zur Debatte zu 
bringen, sei er im Folgenden mitgetheilt 


Krankengeschichte: 

48jähriger Mann, landwirthschaftlicher Aufseher, ohne Belastung, ohne luetische 
Infection, soll nicht übermässig getrunken haben, nach späterer eigener Angabe aber . 
täglich bis 1 Liter Schnaps; von ernsteren Erkrankungen ist nichts bekannt geworden. 

Mit 40 Jahren erlitt er durch ein herabfalleudes Stück Holz einen Schlag auf den 
Kopf; etwa 3 Wochen nach dem Unfall soll er 5 Mal Krampfanfälle gehabt haben; j 
unter ärztlicher Behandlung blieben dieselben fort. Im Monat Juli 18&£ bemerkte 
seine Frau eine geistige Veränderung an ihm; er wurde zerstreut, vergeblich und 
klagte viel über Kopfschmerzen. Im Monat Januar 1895 kehrten die Anfall(xwied® 1, 
und wiederholten sich später 3—4 Mal täglich; während derselben behauptet er 
ganz im Finstern zu sein. Darauf wurde er einem Krankenhaus Überwiesen, '"8 
diesem am 12. März 1895 seiner geistigen Störung wegen der Irrenklinik zu B. zu 
geführt; in ersterem hatte er Anfälle, in letzterer wurden keine beobachtet- Das- I 
Krankenjournal derselben führt Mitte Mai 1895 auf: Zunge etwas nach links ab- 


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V 


weichend, sehr unsicher. Pupillen eng, aber noch etwas reagireud. Links deutlicher 
als rechts. Keine Hemiopie. Facialis beiderseits sehr unsicher, ohne Differenz. 
Rechte Gesichtshälfte etwas schlaffer als die linke. Händedruck beiderseits kraftlos. 
Feinere Bewegungen der Finger beiderseits sehr ungeschickt. Armbewegung beider¬ 
seits sehr kräftig, keine Tastlähmung. Gang mit steifen Beinen, das linke Bein 
schleift stärker als das rechte. Patellarreflexe beiderseits gesteigert. Passive Be¬ 
weglichkeit herabgesetzt. Kein Fussclonus. Schmerzempfindlichkeit erhalten. Leicht 
benommen, ganz hülflos, kann nur unterstützt gehen; ist unsauber. Erholt sich 
körperlich nach wenigen Tagen. Dauernd delirant, sucht Gewehre, Handwerkzeug 
u. s. w., will sich anziehen, ruft Angehörige. Dabei sehr lenksam, geht auf blosses 
Zurufen ruhig zu Bette. Hochgradige Euphorie. Gedächtnissdefecte leicht nach¬ 
weisbar, weiss kaum die einfachsten Personalien anzugeben. Schrift typisch para¬ 
lytisch gestört. Sprache weniger beeinträchtigt, aber die Störung nachweisbar. An¬ 
deutung linksseitiger Symptome. — Am Tage meist ruhig oder schlafend; gegen 
Abend unruhig herumsuchend. Auf Hyoscin-Morphium guter Schlaf. 

Später wird notirt, dass Patient Schlangen zu sehen glaubt, auch darnach greift. 
Glaubt, sich auf einem Vorwerk zu befinden, hält seine Mitkranken für Schäfer¬ 
knechte u. s. w. — Anfang April ist er klar, nur der Schlaf noch ab und zu durch 
leichte Verwirrtheitszustände unterbrochen. Am 19. Mai wurde er entlassen. Dia¬ 
gnose: Dementia paral^ica. 

Ein Attest vom 19. Juni 1895 sagt über ihn aus, er sei körperlich sehr 
schwach, geistig sehr zerstreut, unklar, verwirrt, oft gereizt und brutal. „Sprache 
sehr matt, Sehen sehr schlecht,“ Gang und Haltung unsicher. Die eigentlichen 
Krampfanfälle sind immer mehr in den Hintergrund getreten. Es wird darin auch 
mitgetheilt, dass er Mitte 1894 wegen einer Beleidigung mit dem Strafgesetz in 
Conflict gekommen und mit Gefängnis» bestraft worden sei. Er habe aber damals 
von der ganzen Sache nichts gewusst und schon zu jener Zeit auf den Arzt einen 
höchst confusen Eindruck gemacht. 

ln die hiesige Anstalt wurde er am 3. Juli 1895 aufgenommen. In den ersten 
Tagen klagte er über heftige Kopfschmerzen an der Stirn; auf Bettruhe und ver¬ 
einzelte Antipyrindosen wurde es besser. Auch litt er an Obstipation. — Er war 
im Stande über seine Personalien richtige Angaben zu machen, nur für die Dauer 
seiner Erkrankung, das heisst überhaupt für die letzten Jahre, ist das Gedächtniss 
geschwächt, die Erinnerung weist sogar erhebliche Lücken auf. Ueber seine gegen¬ 
wärtige Lage, Ort und Zeit ist er orientirt. Von jenem Schlag will er nicht be¬ 
wusstlos geworden sein, nur die Krämpfe nachher bekommen haben. — Schnaps will 
er ab und zu getrunken haben. — In elementaren Dingen sind sein Wissen und 
seine Fertigkeiten ebenfalls defect, ist z. B. nicht im Stande, Geld zusammenzuzählen. 
In seinen Briefen lässt er in typischer Weise sowohl Worte als auch Silben aus. 
Ruhiges, zufriedenes, dabei euphorisches Verhalten. Anfangs war er mit Urih un¬ 
rein. — Gang schwerfällig, mit krummen Knieen. Schlaffe Haltung. Grösse 1,71 m; 
starkes Fettpolster; rothe Gesichtsfarbe, ziemlich gute Muskulatur. Fingereindrücke 
bleiben namentlich am Rücken längere Zeit als weisse Flecke sichtbar. Puls ziemlich 
klein, regelmässig. Schädel ziemlich rund. Umfang 57 cm, symmetrisch, keine 
Narben. Ohren gut ausgebildet, gleichgroBS. Augen: am rechten äusseren Orbital¬ 
rand eine kleine Narbe (ist als Kind einmal aus dem Bett gefallen). Geringe In- 
sufficienz der beiderseitigen Interni. Pupillen ungleich. Rechts > links; beide mehr 
als mittelweit, reagiren refiectorisch, consensuell, bei Accommodation und Convergenz, 
aber träge. Beiderseits Cataracta incipiens. Links oben innen ein schwarzer Fleck 
in der Chorioidea, über den die Retinalgefässe ziehen. Grösse desselben ungefähr 
gleich der Pupille. Hypermetropie ca. 2 D. beiderseits. Sehschärfe 9 j v Gesichts¬ 
feld beiderseits nicht eingeschränkt (für Weiss). (Die Augenuntersuchung wurde 
von einem Ophthalmologen vom Fach ausgeführt.) Die Zunge wird geradeausgesteckt, 


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zittert etwas. — An den inneren Organen nichts besonderes. Leib stark aufgetrieben; 
Urin ohne besonderen Befand. Patellarrefleze erhalten, etwas gesteigert, rechts an* 
scheinend etwas stärker als links. Mit geschlossenen Angen schwankt er ganz un¬ 
bedeutend, beim Umwenden mit geschlossenen Augen taumelt er etwas. Die Augen¬ 
lider zittern, wenn die Augen geschlossen gehalten werden. 

Aus der späteren Beobachtung ist nur zu berichten, dass er häufig Aber Kopf¬ 
schmerzen klagte, die wie früher durch Antipyrin gelindert worden. Im Allgemeinen 
blieb der Zustand unverändert, nur wurde beobachtet, dass sich seine Schriftzflge 
besserten und weniger Charakteristisches für Paralyse als früher boten. Im Juni 1896 
war er von Beschwerden ziemlich frei und vermochte sich mit Feldarbeit zu be¬ 
schäftigen. 

Dann traten wieder die Kopfschmerzen zu Tage, die er bald an Hinterkopf, 
bald an die Stirn und Schläfengegend localisirte; von Zeit zu Zeit bestand Ohren¬ 
sausen, namentlich links. Am 21. Juli stiegen die Beschwerden so, dass er bett¬ 
lägerig wurde; er war dabei vorübergehend leicht benommen und verwirrt. Er erhielt 
eine Zeit lang Jodkali mit Bromkali. 

29./X. In dem Befinden des Patienten ist keine wesentliche Veränderung ein¬ 
getreten. Er klagt nach wie vor über Kopfschmerzen, welche er sowohl an der 
Stirn, den Schläfen, wie auch im Hinterkopf verspüren will. Daneben soll vielfach 
lebhaftes Schwindelgefühl besteben. Auch giebt er an, dass es ihm besonders des 
Morgens fast regelmässig etwas vormache; er will, wenn die Gasflammen angezündet 
werden, um die Flammen herum, feurige Punkte, Kreise u. s. w. sehen; ausserdem 
sehe er auch vielfach Blumen in allen möglichen Farben. Dass dieses krankhaft ist, 
dass das alles auf Täuschung beruht, weiss Patient. Wenn die Kopfschmerzen 
und das Schwindelgefühl einen besonderen Grad erreichen, tritt vielfach Er¬ 
brechen ein. 

17./1X. Dieselben Klagen: Kopfschmerzen an der Stirn, den Schläfen und am 
Hinterkopf; dabei macht es dem Patienten angeblich wieder viel vor; er sieht feurige 
Punkte, Strahlen und Blumen in allen möglichen Farben. Diese Täuschungen werden 
nach wie vor stets als solche erkannt. Auf Antipyrin sollen die Beschwerden regel¬ 
mässig etwas geringer werden. Schlaf und Appetit sind nicht gestört Keine 
Stauungspapille. 

15./XII. Patient bietet in seinem ganzen Verhalten und Benehmen das alte 
Bild. Die Klagen sind dieselben geblieben; Augenspiegelbefund negativ. 

15./I. 1897. Keine wesentliche Veränderung. Patient erzählt jetzt, er habe 
das Gefühl, wie wenn er einen festen Bing um den Kopf habe, wie wenn er vor 
der Stirn ein Brett habe, dabei die alten Klagen Über die Täuschungen, welche jetzt 
allerdings nur mehr des Morgens beim Aufstehen vorhanden sein sollten. Schlaf 
und Appetit nicht gestört. 

20./II. Bunte Blumen, feurige Punkte will Patient jetzt nicht mehr sehen, 
dabei mache es ihm jetzt aber „schwarze Punkte“, auch wieder besonders Morgens 
nach dem Aufstehen vor. 

15./I1I. Will sich im Ganzen viel wohler fühlen, klagt jetzt weniger über 
Kopfschmerzen als über Schwindelgefühl. 

15./IV. Arbeitet jetzt mit im Garten, was ihm gut bekommt. 

15./VII. Die Beschwerden des Patienten beschränkten sich in der letzten Zeit 
auf hin und wieder auftretenden Kopfschmerz, der seltener mit etwas SchwindelgefÜltl 
verbunden ist. Irgendwelche Zeichen geistiger Erkrankung bietet Patient zur Zeit 
nicht. Seine Gemüthsstimmung ist seiner Lage angemessen ziemlich ernst. Er ist 
vollständig orientirt über seine Verhältnisse und seine Lage. Sein Urtheil ist in 
keine Weise geschwächt. Seine Willensenergie ist nicht etwa herabgesetzt, sondern 
er verlangt energisch nach Arbeit. Auch hier hat er sich seit Anfang Mai immer 
fleissig mit Feldarbeit beschäftigt, ohne besondere Beschwerden dabei gehabt zu 

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haben. Sein Verhalten gegen die Aerzte, Wärter und Kranken war stets ein sehr 
geordnetes. 

Am 30./VII. 1897 beurlaubt. 

Am 26./1I1. 1898 kommt Patient vom Urlaub allein zurück; psychisch ge¬ 
ordnet, ohne Bewusstseinstrübung, giebt zur Krankheitsgeschichte an, er habe erst 
im November und December Arbeit als Wirthschaftsaufseher gefunden, sei aber 
leistungsunfähig geworden, da er täglich zwischen 10 und 11 Uhr Morgens Anfälle 
von Kopfschmerz und Schwindel gehabt habe und gleichzeitig körperlich schwach 
gewesen sei. Die Schmerzen seien vom Nacken heraufgestiegen und haben sich dann 
hauptsächlich in der Gegend der grossen Fontanelle localisirt. Krämpfe, Ohnmächten, 
Potos, Schlaflosigkeit, Erregungszustände negirt. Angaben der Frau über die Zeit 
des Urlaubs: Schwindel- und Ohnmachtsanfalle sehr häufig, besonders wenn er eine 
Arbeit probiren wollte. Kopf- und Genickschmerzen beständig. Oefters leichte Ver¬ 
wirrtheitszustände, in welchen er „nicht bewusst war, wohin er wollte oder was er 
machte“. Neigung zum Trinken wären wohl vorhanden, aber die Mittel reichten 
nicht aus, „um seinen regen Appetit zu befriedigen“. Verdienen konnte er nichts, 
war völlig arbeitsunfähig. Gegen die Kinder leicht aufgeregt, gegen Fremde wort¬ 
karg. Pupillen gleichweit, reagiren prompt. Die Zunge wird gerade herausgestreckt, 
ist ohne Tremor, Finger desgleichen; kein Bomberg’sches Phänomen, keine 
Lähmung8erscheinungen, kein Tremor, keine Ataxie; Sprache und Schrift, Reflex¬ 
erregbarkeit nicht gestört. Verhalten psychischerseits geordnet, ruhig. 

April 1898. Wegen zeitweiliger heftiger Kopfschmerzen Jodkali. Im Mai 
wurde auch Jodkalisalbe (anf den rasirten Kopf) versucht Bettruhe. 

9./V. Heute Morgen plötzlich ein Schwindelanfall. Patient fällt zu Boden, 
blickt starr und liegt regungslos, athmet stossweise („wie in Erstickung“), hat keine 
Krämpfe. Nachher giebt er an, er habe nicht gewusst, wo er sei. Der Zustand 
sei aus heftigem Kopfschmerz hervorgegangen. Pnpillendifferenz massig. Reaction 
gut; keine Sprach- oder motorische Störung. Nachmittags 2 1 / a : Wie Patient im 
Voraus angekündigt (nach Analogie einer früheren Anfallsfolge) tritt unter Congestion 
des Gesichts und starkem Schweissausbruch ein kurzer Schwindelanfall (Dauer 
ca. 2 Minuten) mit unbestimmten Vorboten bei lucidem Bewusstsein ein. Dann 
kurze rhythmische Zuckungen mit den Armen, stossartige Athmung, Pulsverlangsamung 
und plötzlicher Exitus letalis. 

Krämpfe waren während seines ganzen Aufenthalts in unserer Anstalt nicht 
beobachtet worden. 

Die Section ergab: Starke Verfettung des Herzbeutels und allseitige Verwachsung 
desselben mit dem Herzen. Starker Fettbeleg des letzteren. Hypertrophie des 
Herzens. Klappenapparat gehörig. Lungen mit der Brustwand verwachsen. Gewebe 
allenthalben lufthaltig, nicht infiltrirt. Bronchialschleimhaut zum Theil etwas injicirt. 
ln der rechten Lunge ziemlich reichlicher Blutgehalt. Milzsubstanz blutreich, etwas 
schmierig: Zeichnung gut erhalten, unregelmässig vergrössert und gelappt. Nieren: 
fibröser Ueberzug ohne Sabstanzverlust abziehbar. Die Oberfläche hat unregelmässige 
Einziehungen. Substanz stellenweise verhärtet, Mark und Rinde verschmälert. Ge¬ 
webe sehr blutreich, cyanotisch, schneidet sich derb. Leber gross, Ueberzug glatt, 
glänzend, Substanz brüchig, Zeichnung sehr verwaschen. Gefässe reichlich bluthaltig, 
reichlicher Fettgehalt. In der Blase etwa eine Kaffeetasse hellen, klaren Urins. 
Unter der Galle eine beträchtliche Menge flüssiges Blut. Schädeldach symmetrisch, 
Diploe überall vorhanden, ziemlich blutreich; an den Knochentafeln nichts besonderes 
(namentlich nichts, was auf eine frühere Kopfverletzung hindeutet); Dura mit dem 
Schädeldach nicht verwachsen, an der Innenfläche glänzend, ohne Einlagerungen. 
Gewicht des Gehirns mit Pia 1595 g. Basis cranii sehr blutreich, der Längsblut¬ 
leiter und der Querblutleiter enthalten zum Theil noch flüssiges Blut An der Brücke 
und dem verlängerten Mark ist die Pia stark getrübt, zeigt aber keine Eiterbildung. 

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Pia au der Convex ität sehr blutreich. Windungen zusammengedrückt. Furchen 
verstrichen. Substanz leidlich fest und blutreich. Binde stellenweise blass und be¬ 
sonders im Stirnhirn schlecht abgegrenzt. Ventrikel von wasserklarer Flüssigkeit, 
stark ausgedehnt. Ependym durchgängig körnig granulirt. Die Querschnitte zeigen 
weder in den Hemisphären, noch im Stammhirn irgendwelche Besonderheiten. 

Zunächst ist die Diagnose des vorliegenden Falles auf mancherlei Schwierig¬ 
keiten gestossen und manche Vermutbung, die angesichts so weniger specieller 
Gehirnsymptome gehegt wurde, hat sich nach der Section als trügerisch er¬ 
wiesen. 

1. Die Epilepsie konnte auf der durch eine leichte Gehirnerschütterung und 
durch Alkoholismus geschaffenen Grundlage erwachsen sein; die Schwindel- 
anfalle, welche später statt der Krämpfe auftraten, konnten Aequivalente dar¬ 
stellen. 

2. Die Epilepsie konnte auch durch einen Splitter der Lamina vitrea be¬ 
dingt sein, der in seiner Umgebung eine mehr oder weniger umschriebene Ent¬ 
zündung der Hirnhäute und Affection der Hirnrinde selbst hervorgerufen haben 
würde. 

Der Zustand acuter geistiger Störung, welcher im März und April 189.» 
beobachtet und als Dementia paralytica bedeutet wurde, müsste dann als epi¬ 
leptischer Dämmerzustand aufgefasst werden. 

3. Diese Störung konnte wirklich eine paralytische gewesen sein, die iu 
Folge Trunks auf epileptischer Basis entstanden, und zwar eine pseudoparalytiche 
oder eine regressive Paralyse (Mabandon de Monttel), welche zur Remission 
führte. 

4. Konnte sich ein Tumor etablirt haben. 

Anders lässt sich die Betrachtung an, wenn man den Sectionsbefund in 
Rechnung zieht. Die Diagnose Dementia paralytica können wir danach ganz 
fallen lassen, nach so langem Bestände des Leidens hätte man schon einen 
deutlichen Grad von Atrophie, Verdickung der Meningen, Hydrocephalus externus 
vorfinden müssen. Tumor und Knochensplitter kommen ebenfalls ausser Be¬ 
tracht. Es bleibt pathologisch-anatomisch der hochgradige Hydro¬ 
cephalus internus, die Ependymgranulationen, die leichte Trübung 
der Pia an der Basis; klinisch: epileptische Krampfanfälle mit 
Amaurose, die später in Schwindelzustände und Schwindelanfälle 
übergehen, epileptischer Dämmerzustand paralytischer Natur. Um 
die Basalmeningitis mit der acuten Seelenstörung in Zusammenhang zu bringen, 
dazu war erstere von zu geringer Ausdehnung, abgesehen davon, dass die 
Symptome derselben nicht entsprachen. Bei Epileptikern kommen ja gar nicht 
so selten Verwirrtheitszustände mit dem vorwiegenden Charakter der geistigen 
und körperlichen Lähmung vor, die solchen bei Dementia paralytica zum Ver¬ 
wechseln ähnlich sind, namentlich bieten dann Sprache und Schrift fast die¬ 
selben Charakteristica. 

Trübung der Meningen und Ependymgranulationen sind die gewöhnlichen 
Befunde bei chronischem Alkoholismus. Sie bedingen den Hydrocephalus internus; 

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der Epithelüberzug der Plexus chorioidei, wie auch das Ependymepithel erfährt 
durch den Reiz des Alkohols ausser ihrer Hyperplasie eine grössere Durchlässig¬ 
keit für die Lymphflüssigkeit, die sich in höherem Grade ansammelt, als durch 
Abfluss beseitigt wird. Es entstehen so die Erscheinungen des Hirndrucks, 
wie sie sich bei unserem Kranken beständig äusserten. Die Krämpfe selbst 
scheinen nur unter dem directen Einfluss des Alkohols entstanden zu sein, 
während die übrigen Erscheinungen die Folge der durch den Alkoholismus ge¬ 
setzten Gewebsveränderungen waren. Der Abfluss der Gehirnflüssigkeit wird bei 
Hydrocephalus internus in der Weise gehindert, dass durch den Druck von den 
Ventrikeln her die Hirnsubstanz gegen die Schädelwände gedrückt und die 
Venen und PAOCHioNi’schen Granulationen comprimirt werden. Quincke glaubt 
durch das Experiment nachgewiesen zu haben, dass schon normaler Weise 
innerhalb der Ventrikel mehr Cerebrospinalflüssigkeit abgesondert wird als in 
den Subarachnoidalräumen in die Ventrikel. Auch die Tbatsache spricht dafür, 
dass bei infectiösen Entzündungen der weichen Hirnhäute der Process meist auf 
die Oberfläche des Gehirns beschränkt, die Ventrikel frei von Eiter bleiben. 

Wichtig ist noch, dass in unserem Falle trotz so langem Bestände keine 
Stauungspapille auftrat Die angegebenen subjectivenStörungen des Gesichts¬ 
sinns sind centraler Natur und auf eine Druckreizung der Sehrinde zu beziehen; 
ähnlich den isolirten Sehstörungen bei Tumoren im Bereich des Occipitallappen. 

Auch darauf ist aufmerksam zu machen, dass die hydrocephalische Flüssig¬ 
keit keineswegs in ihrer Eigenschaft als pathologisches Secret auf die Hirn¬ 
substanz gewirkt bat, etwa durch ödematöse Durchtränkung von den Ventrikeln 
aus, sondern als Fremdkörper, der von innen her gleichmässig auf das Gehirn 
einen Druck ausübt Die Thatsache ist so leicht nicht zu erklären; denn wenn 
man auch annimmt, dass, wie oben gesagt, die Abflusswege comprimirt werden, 
werden nicht gleichzeitig, wenn auch, wie ja selbstverständlich, nicht völlig, so 
doch bis zu einem erheblichen Grade die Zuflusswege verschlossen? Die Pia 
ist in der That in solchen Fällen wie dem unseren ausserordentlich comprimirt 
und blutarm. Die Oberfläche eines solchen unter so ausserordentlichem Druck 
von Innen an die Schädelwand gedrückten Gehirns hat ein Aussehen, das den 
Vergleich mit der Oberfläche einer Marmorkugel Jedem aufdrängt Der Verlauf 
der plattgepressten Windungen ist fast nur noch an den die verstrichenen 
Furchen markirenden Piagefässen zu erkennen. Es muss, soviel ist a priori 
anzunehmen, eine Grenze geben, bis zu der das Gehirn fähig ist Zu- und Ab¬ 
fluss der Cerebrospinalflüssigkeit selbst zu reguliren. An der Grenze solcher 
Compensationsbreite hat sich offenbar unser Kranker immer, so oft er Schwindel¬ 
zustände, hervorgerufen durch Transsudatexacerbationen, hatte, befunden, bis 
schliesslich einmal diese Fähigkeit versagte. 

Wir möchten noch hinzufügen, dass von Seiten der Nieren bei Lebzeiten, 
das heisst, so lange er in ärztlicher Beobachtung gestanden, keine Erscheinungen 
aufgetreten waren, obgleich sich bei der Section die Spuren einer ehemaligen 
Nephritis (Narben) fanden. Auch bei der Section fehlte das Hirnödem, wie 
schon bemerkt Die Nephritis muss also vor sehr langer Zeit stattgefunden 

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haben und gänzlich verheilt gewesen sein. Das Krankheitsbild hat sie nicht 
mehr complicirt 

Der Fall trägt ferner dazu bei, meine Ansicht zu stützen, welche ich beim 
Studium des Gegenstandes gewonnen, dass es keinen idiopathischen Hydro- 
cephälus internus der Erwachsenen giebt. Einzelne Fälle, welche beobachtet 
sein sollen (z. B. von Oppenheim), beweisen noch nichts; ihnen gegenüber steht 
die grosse Mehrzahl, bei denen sich bei der Section eine anatomisch greifbare 
Ursache fand oder die Aetiologie schon bei Lebzeiten sicher bekannt war, wie 
Infectionskrankheiten, Traumen und Alkoholismus oder zweier solcher gleichzeitig. 
Meningitis, Ependymitis, Entzündung der Plexus u. A. werden sich wohl immer 
als Correlat des schädlichen Agens finden. Der Name idiopathischer Hydro- 
cephalus internus ist überdies ebensowenig als Bezeichnung für eine Krankheit 
zutreffend, wie etwa Hydropericad. Der schon von Steffen gebrauchte Aus¬ 
druck Meningitis ventricularis (acuta, chronica) dürfte der allein richtige sein, 
und zwar für unseren Fall mit dem Zusatze alcoholica, um beiden Gesichts¬ 
punkten, dem ätiologischen und anatomischen, gerecht zu werden. 


3. Zwei Fälle von Hirntumor mit genauer Localdiagnose. 

Von Dr. L. Bruns in Hannover. 

(Schloss.) 

Fassen wir die Krankheitssymptome noch einmal kurz zusammen: Beginn 
der Erkrankung im October 1896 mit psychischer Abgeschlagenheit 
und leichten Schwindelanfällen; im November 1896 Fall von der 
Treppe auf die rechte Seite. Im Februar 1897 beginnende Neuritis 
optica und rudimentäre rechtsseitige Hemianopsie, grosse psychische 
Erregbarkeit. Dann allmähliche Ausbildung folgender Krankheitserscheinungen: 

1. Störungen der Sensibilität der rechten Körperhälfte, beson¬ 
ders des rechten Armes, die zunächst nur den stereognostischen 
Sinn und das Lagegefühl, erst zuletzt auch Tast- und Schmerzgefühl 
betrafen. Dadurch Ungeschicklichkeit der Bewegungen, speciell in 
der rechten Hand; Unsicherheit beim Festhalten von Gegenständen 
mit der rechten Hand bei geschlossenen Augen; nicht selten über¬ 
haupt Unfähigkeit den rechten Arm zu gebrauchen, wobei es oft 
den Eindruck macht, als ob der Patient sich überhaupt gar keine 
richtige Vorstellung von den zu Willensacten des rechten Armes 
nöthigen Muskelbewegungen machen könnte. Aus diesem Grunde 
wird zuletzt auch nur mit der linken Hand gegessen und nur die 
linke Hand zum Grusse gereicht Eigentliche Lähmungserschei¬ 
nungen im rechten Arme kommen nur zuletzt und ganz rudimentär 

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zustande — die Fingerbewegungen werden etwas steifer und es be¬ 
steht leichte Contractur. Das rechte Bein zeigt weniger Ungeschick¬ 
lichkeit, zuletzt ist auch hier das Schmerzgefühl herabgesetzt; etwas 
eher wie am Arme zeigt sich hier Parese; das Bein wird nachgeschleift» 
ab und an besteht rechts auch Achillesclonus. Zuletzt cerebellares 
Schwanken beim Gehen. Den Gefühlslähmungen im rechten Arme 
gingen heftige neuralgische Schmerzen vorher. 

2. Hechts Hemianopsie; im November 1897 complet. 

8. Sprachstörungen etwas wechselnder und meist nicht sehr in¬ 
tensiver Art. Zunächst Erschwerung des Wortverständnisses, be¬ 
sonders für complicirtere Aufträge bei freier spontaner Sprache und 
erhaltenem Nachsprechen; optische Aphasie nur selten und gering 
ausgebildet; später erschwertes Wortfinden und Paraphasie bei ver- 
mebrterErschwerung des Sprachverständnisses. Lesen undSchreiben 
sehr wechselnd. Ersteres hauptsächlich durch die Hemianopsie be¬ 
einträchtigt; bis zum Schluss keine eigentliche Alexie, zuletzt wird 
paraphatisch gelesen. Schreiben von Anfang an sehr erschwert, zu~ 
letzt unmöglich. Also im ganzen eine sensorische Aphasie. 

4. Von Allgemeinerscheinungen zuerst nur Schwindel und 
Stauungspapille, die langsam zunehmenden Kopfschmerzen erst von 
Januar 1898 an deutlich, dann besonders im Hinterkopfe. Letztere 
manchmal anfallsweise sehr verstärkt mit Benommenheit, ganz zu¬ 
letzt dabei auch ein paar Mal Erbrechen. Oefters in diesen Anfällen 
Steigerung der Hemianopsie zu vollständiger, aber rasch vorüber¬ 
gehender Erblindung. Einmal (6./DL 1897) schliesst sich an einen 
solchen Anfall auch eine rechtsseitige Ptosis an, die nach 12 Stunden 
wieder verschwunden ist. Niemals percutorische Empfindlichkeit 
am Schädel nachgewiesen, doch ist darauf in der letzten Woche nicht 
geprüft Ab und zu auch apoplectiforme Anfälle mit Einknioken 
der Beine; nie Krämpfe. Zuletzt Benommenheit Tod an Lungen¬ 
ödem. Krankheitsdauer 19 Monate. 

Die Diagnose eines Hirntumors war auch in diesem Falle keine schwere. 
Zwar fehlten im Anfang und lange Zeit hindurch ausser der Stauungspapille und 
etwa Schwindelanfällen alle Allgemeinsymptome des Tumors; das Vorhandensein 
von Kopfschmerzen vor allem leugnete der Pat stets auf das entschiedenste, 
ebenso fehlte Erbrechen; dennoch konnte schon bei meiner ersten Untersuchung, 
im August 1897, bei dem langsamen Fortschreiten der auf eine linksseitige 
Grosshirnerkrankung hindeutenden Symptome und beim Vorhandensein der 
Stauungspapille an der Art des Leidens — Tumor — kein Zweifel sein. Später, 
Anfang 1898, traten dann auch die Allgemeinerscheinungen des Tumors sogar 
in grosser Vollzähligkeit auf: Kopfschmerz sehr heftig und besonders im Hinter¬ 
kopfe, nicht selten anfallsweise stärker werdend; auf der Höhe der Kopfschmerzen 
auch Erbrechen, dieses allerdings höchst selten; ferner apoplectiforme Anfalle 
mit Schwäche in den Beinen und zuletzt Apathie. 

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Schwieriger als die Allgemeindiagnose war in diesem Falle die Local¬ 
diagnose des Tumors. Es kamen für sie zunächst in Betracht: 1. die rechts¬ 
seitigen Gefühlsstörungen, die im Anfang wesentlich in Störungen des Muskel¬ 
sinnes und des stereognoetischen Sinnes, später auch in Herabsetzung des 
Schmerzgefühles rechts bestanden; 2. die rechte Hemianopsie; 3. die Sprach¬ 
störung, die man im Allgemeinen wohl als eine sensorische bezeichnen konnte. 
Danach musste der Tumor in den hinteren Partieen der linken Hemisphäre 
sitzen. Da alle drei Symptomengruppen aber ziemlich zu gleicher Zeit einge¬ 
treten waren, war es zunächst nicht zu entscheiden, ob der Sitz des Tumors 
genauer im linken Scheitel- oder im linken Hinterhaupts- oder der linken 
Schläfenlappen zu bestimmen war. Bei jedem dieser Sitze konnte der Tumor 
eines der drei Symptome als Local-, die beiden anderen als Nachbarschafts- 
Symptome bedingen, natürlich je nach dem Sitze des Tumors in wechselnder 
Art Nun waren zunächst die S>ymptome der Worttaubheit sehr wechselnder 
Art, im ganzen wenig intensiv, so dass ein Sitz des Tumors direct in den 
hinteren Theilen des linken Schläfenlappens wohl auszuschliessen und die Sprach¬ 
störung wohl als ein Nachbarschaftssymptom zu betrachten war. Es blieben 
also als möglicher Sitz des Tumors linker Occipitallappen und linker Scheitel¬ 
lappen übrig, im ersteren Falle wäre die rechte Hemianopsie Herd-, die rechten 
Gefühlsstörungen Nachbarschaftssymptome gewesen, im zweiten Falle musste es 
umgekehrt sein. Entscheidend nun zwischen diesen beiden Möglich¬ 
keiten für die Diagnose: Tumor im linken Scheitellappen und nioht 
im Occipitallappen waren für mich unter diesen Umständen fol¬ 
gende Momente: 1. waren, wenn auch nur gering und im späten Stadium 
der Erkrankung, doch auch Paresen und Sehnenreflexerhöhungen rechts vorhanden, 
was eher zu einem Sitz des Tumors in den Parietal- als in den Occipitalwindungen 
passte. 2. trat im April 1898 eine rechtsseitige, also mit dem Tumor gekreuzte, 
vorübergehende Ptosis auf, die seit Lamdouzy häufig wieder bei Pärietalhirn- 
affectionen und auch bei Tumoren dieser Gegend gefunden ist. 3. war es bei 
der Gesammtheit der dauernden Symptome: rechte Gefühlsstörungen, rechte 
Hemianopsie, sensorische Aphasie, ganz leichte rechtsseitige Paresen, überhaupt 
am natürlichsten, den Tumor in der Mitte aller dieser Gebiete, also im linken 
Parietalhirn, anzunehmen, einen Tumor, dessen Nachbarschaftswirkungen sich 
dann allerdings am stärksten nach hinten (rechte Hemianopsie), weniger nach 
aussen (sensorische Aphasie) und am wenigsten nach vorn (rechte Hemiparese) 
erstrecken mussten. Bei dem Fehlen eigentlicher Alexie musste schliesslich 
auch vermuthet werden, dass wesentlich der obere linke Parietallappen von 
Tumor zerstört war, weniger die Theile des unteren, vor allem des Gyrus angu¬ 
laris. Meine Diagnose war denn auch, besonders sicher nach Eintreten der 
rechten Ptosis: Tumor im linken Scheitellappen, vor allem im linken 
Gyrus parietalis superior. 

Ich vermuthete diesen Tumor im Marke des linken Scheitellappens, nicht 
in der Rinde. Dafür war mir entscheidend, dass Kopfschmerzen während des 
längsten Theiles der Krankheit überhaupt gefehlt hatten und ebenso lange sicher 

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auch eine percutorische Empfindlichkeit der Schädelknochen. Leider wurde 
auf diese letztere zuletzt nicht mehr untersucht. Ferner bestanden zuerst 
zwar nur Störungen im Muskel- und stereognostischen Sinne rechts, die ja auch, 
und sogar speciell bei Rindenaffectionen im Parietalhim Vorkommen, später aber 
auch eine rechte Hemianalgesie, die man selten bei Rindenaffectionen, meist 
nur bei Läsionen der inneren Kapsel findet. Ich nahm, da Hemianopsie und 
rechte Gefühlsstörungen ziemlich gleichzeitig eingetreten waren, einen Sitz des 
Tumors in der Gegend des hinteren Theiles der inneren Kapsel mit gleichzeitiger 
Läsion der dicht daranliegenden Sehstrahlungen oder des Corpus geniculatum 
externum an. Meine endgiltige Diagnose war also: Tumor im Marke des 
linken Scheitelhirnes, besonders im oberen Scheitelläppen. An eine 
Operation dachte ich bei dieser Diagnose nicht. 


Die Section wurde am 5. Mai 1898 Morgens 7 1 /* Uhr von mir ansgeführt. 
Bei der Ablösung der Kopfhaut hat man Schwierigkeiten am hinteren Ende des 
linken Scheitelbeines; hier ist die Galea mit dem Periost verwachsen, die untersten 
Schichten der Kopfhaut sind von kleinen Blutungen durchsetzt; der Knochen 
selber an dieser Stelle in der Ausdehnung eines Zweimarkstückes flach höckerig 
vorgetrieben. Die Schädeldecke lässt sich leicht ablösen. Die Dura ist sehr 
gespannt. Entsprechend der vorher erwähnten höckerigen Stelle des Knochens, 
aussen an der hinteren abschüssigen Partie des linken Scheitelbeines, dicht vor 
der Lambdanaht, ist sie von einer 4 cm im Durchmesser haltenden halbkugeligen 
Wucherung durchbrochen. Diese ist hier in den Knochen hineingewuchert, 
hat die innere Knochenplatte und auch die Diploö zerstört und hat erst an der 
äusseren Knochenplatte Halt gemacht Beim Versuche die Dura abzulösen, 
hebt man entsprechend dem extraduralen Tumor und mit ihm offenbar durch 
eine Duralücke zusammenhängend, einen sehr grossen, derben, von einer Kapsel 
umgebenen und vom Gehirn vollständig scharf abgegrenzten Tumor aus seinem 
Lager in der entsprechende Partie der linken Hemisphäre. Der Tumor hat die 
Grösse und auch ungefähr die Form eines grossen Hühnereies, das spitze Ende 
liegt nach vorn, das stumpfe Ende nach hinten; die Längsaxe ziemlich genau 
sagittal; etwas von vom mediau, nach hinten lateral. Er ist 6 cm lang, 4,5 cm 
breit und 4 cm hoch; der Durchbrach durch die Dura entspricht dem hinteren 
Drittel seiner Oberfläche. Auf dem Durchschnitt seiner vorderen Theile hat er 
ein gleichmässige8, ziemlich weisses, derb fibröses Aussehen, mehr hinten und 
oben, wo er die Dura durchbricht, ist er mehr pigmentirt, unregelmässig gefärbt, 
enthält auch viel Blutgefässe. Mikroskopisch handelt es sich um ein Sarcom. 
Der Tumor liegt mit seiner ganzen oberen und auch seiner ganzen inneren, 
direct an der Medianfurche gelegenen Seite der Dura mater, bezw. der Falx 
oerebri, sehr nahe. Direct mit ihr verbunden ist er aber nur da, wo er die 
Dura durchbrochen hat, sonst liegt zwischen ihm und der Dura der Convexität 
und auch der Falx cerebri, überall noch eine mehr oder weniger dicke Schicht 
eines lockeren stark von Blutfarbstoff durchsetzten Bindegewebes, das offenbar 
mit der Innenfläche der Dura fester zusammenhängt, als mit der Oberfläche 
des Tumors. An der convexen und theflweise auch an der medianen Fläche 


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der linken Hemisphäre zeigt sich nun nach Herausnahme des Tumors eine tiefe 
Grube, deren Form und Ausdehnung natürlich nach jeder Richtung der des 
Tumors entspricht. Sie ist also 6'/, cm lang, 4 cm breit, hinteu etwas breiter 
als vorn und 2 l j t cm tief, ihre Längsaxe läuft ziemlich genau der Medianfurche 
parallel. Die Ränder der Grube sind überall scharfe, zum Theil etwas über¬ 
hängende und die an den Tumor angrenzenden Hirntheile fallen steil in die 
Grube ab. Beim Herauslösen des Tumors sind besonders hintere und laterale 
Theile dieser Ränder abgerissen und hängen am Tumor, so dass die Grube 
etwas grösser erscheint, als sie in vivo war. Am Rande der Grube hört 
der Piaüberzug auf, die Seitenwände und der Boden der Grube sind also 
frei von weicher Hirnhaut. Auf dem Durchschnitt zeigt sich später, dass im 
eigentlichen Boden der Grube auch von grauer Hirnrinde makroskopisch 
nichts mehr zu sehen ist, an den Seitenwänden kann man theilweise noch einen 
schmalen grauen Streifen als Rest derselben erkennen. Ebenso zeigt es sich, 
dass die direct an den Tumor angrenzenden Hirnpartieen, also die Seitenwände 
und der Boden der Grube, auf eine Strecke von etwa 1 1 j 3 cm sich im Zustande 
gelber Erweichung befinden. Die vom Tumor grubig vertieften und zum 
Theil zum Druckschwund gebrachten, zum Theil erweichten Hirn¬ 
partieen entsprechen nun dem grössten Theile der Rinde des oberen 
linken Scheitellappens und seines oberflächlichen Markes. Nur ganz 
geringe Theile dieses an die Medianfurche angrenzenden Hirntheiles liegen ausser¬ 
halb des Gebietes der Grube, dicht an ihrem Rande vou Pia überzogen, und 
sind verschont geblieben; so ist der vorderste Theil des oberen Scheitelläppchens 
hinter der hinteren Centralwindung in einer Breite von 1 1 j i cm und der ent¬ 
sprechende Theil des Präcuneus hinter dem Sulcus callosomarginalis in der¬ 
selben Breite erhalten; ferner ein 1,3 cm breiter Streifen der Rinde über dem 
horizontalen Theil des Sulcus interparietalis, der also den untersten und seit¬ 
lichsten Theilen des oberen Parietallappens entspricht; schliesslich ein schmaler 
Streifen des Präcuneus an der Medianfläche der linken Hemisphäre, dicht über 
dem Gyrus hippocampi. An den Sulcus parietooccipitalis reicht der Tumor 
direct heran, kleine Reste des direct vor dieser Furche liegenden hintersten 
Tb eiles des oberen Parietallappens sind roth erweicht 

Der Tumor hat, besonders iD seiner Nachbarschaft, auch zu sehr erheblichen 
Compressionen und Verschiebungen der Hirntheile geführt Auffälligerweise 
haben aber diese Verschiebungen nicht nach allen Seiten gleich- 
mässig stattgefunden, sondern fast nur nach aussen und hinten 
vom Tumor,, weniger, wenigstens in der directen Nachbarschaft, 
nach vorn und medianwärts. So liegt der vor dem Tumor liegende auf¬ 
steigende Ast des Sulcus callosomarginalis rechts und links symmetrisch; dagegen 
die linke Fissura parietooccipitalis 3 cm weiter nach hinten als die rechte. Die 
Spitze des linken Occipitallappens liegt links 2 cm weiter hinten und 5 cm weiter 
unten als die des rechten; auch die linke Kleinhirnhemisphäre ist nach unten 
verschoben. Das ganze Gebiet der oberen Parietallappen, das links also vom 
Tumor und den Resten dieses Lappens eingenommen ist, ist an der Median- 


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furche links 7 cm, rechts 4 1 /, cm lang. Nach aussen und vom hin hat der 
Gyrus supramarginalis keine erhebliche Verschiebung erlitten; er liegt links 
ungefähr mit rechts symmetrisch, nur der horizontale Antheil der linken Inter¬ 
parietalfurche ist in eine mehr senkrechte Richtung gedrängt, von vom oben, 
nach hinten unten. Dagegen ist der linke Gyrus angularis stark nach unten 
gedrückt und namentlich ist auch sein oberer Bogen stark comprimirt Median- 
wärts hat an der Stelle des Tumors natürlich auch ein Hinüberdrängen der 
Fall cerebri nach rechts stattgefunden. Ganz unbeeinflusst vom Tumor sind 
also von der Rinde aus betrachtet in der linken Hemisphäre: das Stirn-, Schläfen- 
und Centralhirn; und auch das linke Occipitalhim und die unteren Scheitel¬ 
windungen, Gyrus supramarginalis und angularis, sind nur verdrängt und theil- 
weise comprimirt 

Da wo der Tumor am weitesten an die Medianlinie reicht — an seinem 
vordersten Ende —, also direct hinter dem Paracentrallappen, hat er seine 
Wirkungen auch noch auf die rechte Hemisphäre erstreckt und die entsprechende 
rechte Hirapartie zur blutigen Erweichung gebracht Da wie gesagt der Tumor 
Verschiebungen von Hiratheilen nach vom nicht gemacht hat, so entspricht diese 
rechte erweichte Hirnpartie den hinteren zwei Dritteln der rechten oberen Parietal¬ 
windung dicht an der Medianlinie und des Präcuneus. Letzterer ist bis an den 
Gyrus hippocampi zerstört, auf der convexen Fläche des oberen Parietallappens 
ist die Zerstörung etwa 2 cm breit Der durch dieselbe gesetzte Defect ist etwa 
wallnussgross. Theile der erweichten Partie sind an der Dura sitzengeblieben; 
diese ist hier nach rechts verschoben, aber voll erhalten. 

Frontalschnitte durch beide Hemisphären zeigen zunächst, dass ausser dem « 
erwähnten, ein weiterer gröberer Krankheitsherd nicht mehr besteht Ferner, 
dass doch noch ausgedehntere Verschiebungen der Hirntheile bestehen als die 
Betrachtung von der Rinde aus vermuthen liess. So hat z. B. noch vor den 
Centralwindungen der linke Gyrus fomicatus eine Grobe in den rechten gedrückt 
Auch der Hirnstamm und besonders die Vierhügel sind nach rechts verschoben. 

Im Uebrigen sind beide Hemisphären vor den Centralwindungen auf dem 
Frontalschnitte wohl von gleicher Grösse, weiter hinten aber nimmt sich immer 
mehr die rechte Hemisphäre wie ein verkleinertes Anhängsel der linken aus. 

So ist direct hinter der hinteren Centralwindung die linke Hemisphäre auf dem 
Durchschnitte 11 cm hoch und 8 l j 2 cm breit; die linke 9 cm hoch und 5 1 j i cm 
breit. Es handelt sich hier ausser der Vergrösserung durch den Tumor selbst 
wohl um eine ödematöse Schwellung der linken Hemisphäre und zugleich um 
Compression der rechten, vielleicht aber sind durch die Härtung in Formol die 
Unterschiede noch stärker hervorgetreten. Die Zeichnung der Frontalschnitte 
ist auch in der linken Hemisphäre, speciell was die grossen Ganglien anbet riflt, 
eine gut zu erkennende. Vom Unterhorn des linken Seitenventrikels liegt der 
Tumor weit entfernt 

Kurz zusammengefasst handelt es sich also um einen mit der 
Dura im Zusammenhang stehenden Tumor, der fast die ganze linke 
obere Parietalwindung in erheblicher Weise grubig vertieft, ihre Pia 

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und den grössten Theil ihrer Rinde zum Druckschwund und ihre 
oberflächlichen Markmassen zur Erweichung gebracht hat Eine 
Compression und Verschiebung der benachbarten Theile hat haupt¬ 
sächlich nach hinten und nach hinten aussen vom Tumor statt¬ 
gefunden. Oedematös geschwollen ist fast die ganze hintere Hälfte 
der linken Hemisphäre. Der rechte obere Parietallappen zeigt dicht 
an der Mittellinie einen Herd rother Erweichung. Da wo der Tumor 
mit der Dura direct verbunden ist — etwa auf der Grenze zwischen 
mittleren und hinteren Drittel seiner Oberfläche — hat er diese 
durchbrochen und den hinteren Theil des linken Parietalbeines, 
direct an der Mittellinie und direct vor der Lambdanaht, so stark 
arrodirt, dass nur noch die äussere Knochenplatte erhalten ist. 

Der Tumor ist ein typischer sogen. Fungus durae matris. Er ist aller 
Wahrscheinlichkeit nach, da wo er mit der Dura zusammenhängt, von ihr selbst 
und zwar von ihrer Innenfläche, zunächst als kleiner zapfenförmiger Tumor 
entsprungen, ist nach Innen gewachsen und hat wahrscheinlich die innersten 
Lamellen der Dura selbst zur Bildung seiner glatten Kapsel benutzt. Nach 
und nach hat er dann unter grubiger Vertiefung und theil weiser Zerstörung 
der direct in seinem Bereiche liegenden Hirntheile eine immer grössere Aus¬ 
dehnung in sagittaler, transversaler und verticaler Richtung erreicht; doch so, 
dass nun der grösste Theil der Oberfläche des Tumors nicht mehr direct mit 
der Dura zusammenhing, sondern nur durch den schmalen kurzen Stiel an 
dem Orte seiner ersten Entwickelung; der kleine in der Dura liegende Theil 
des Tumors entspricht also dem Stiele, der grosse unter der Dura liegende 
Theil dem Hut eines Pilzes. Da wo der Tumor das Hirn verdrängt hat, hat 
er auch die Pia zerstört; die Rinde theils comprimirt, theils zum Druckschwund 
gebracht, das Mark erweicht. Schliesslich bat er an der Stelle des Zusammen¬ 
hanges mit der Dura diese auch nach aussen durchbohrt und den über dieser 
Stelle liegenden Knochen so stark arrodirt, dass ein Durchbruch nahe bevorstand. 

Die hier gegebene Anschauung von dem Entstehungsorte und der weiteren 
Entwickelung des vorliegenden Tumors scheint mir nach dem ganzen vorliegenden 
Materiale jedenfalls die wahrscheinlichste. Nach dem anatomischen Befund ist 
es ja natürlich nicht mit Sicherheit auszuschliessen, dass der Fungus, wie das 
oft der Fall ist, zuerst extradural gesessen hat und nun nach der einen Seite 
die Dura nach Innen durchbohrt und ins Hirn hineingewachseu ist, nach der 
anderen den Knochen arrodirt hat. Wir werden aber sehen, dass klinische 
Gründe zum mindesten sehr stark gegen diese Ansicht sprechen 
und für die erste Annahme ins Gewicht fallen: also für die An¬ 
nahme einer primären Entwickelung des Tumors an der Innenfläche 
der Dura. 

Die Diagnose: „Tumor im linken oberen Parietallappen“ war also 
auch in diesem Falle eine vollständig richtige gewesen und der Fall ist jedenfalls 
ein Beweis, dass auch die Localdiagnose der Tumoren dieses Sitzes unter 
günstigen Beobachtungschancen und bei prägnanten Symptomen eine sehr sichere 

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sein kann. Nur in einer Beziehung war die Diagnose irrig gewesen. Ich hatte 
einen Tumor tief im Marke vermuthet und deshalb sogar auf eine Operation 
verzichtet, die Section ergab einen Tumor, der von der Dura, ausgegangen war 
(Fungus durae matris) und allmählich die Rinde des linken oberen Parietal* 
lappens vertieft und theilweise zerstört hatte. Tumoren, die an die Dura reichen 
oder gar in ihr entstehen, pflegen von Anfang an sehr erhebliche Kopfschmerzen 
und auch locale percutorische Empfindlichkeit hervorzurufen und das Fehlen 
beider Symptome im vorliegenden Falle, wenigstens durch die längste Zeit des 
Kranfeheitsverlaufes, war für mich gerade der Hauptgrund, den Tumor nicht in 
der Rinde, sondern im Marke zu vermuthen. Ich glaube freilich nach dem 
Sectionsbefunde, dass, wenn ich in den letzten Wochen vor dem Tode noch 
genau auf percutorische Schmerzempfindlichkeit untersucht hätte, ich diese an 
der Stelle, wo der Tumor den Knochen fast durchbrochen hatte, sicher hätte 
finden müssen, leider ist das von mir versäumt. Während des grössten Theiles 
des Verlaufes der Krankheit war sie aber sicher nicht vorhanden. Worauf das 
lange Fehlen spontaner und percutorischer Schmerzen, in diesem Falle von 
Fungus durae matris, zurückzuführen ist, bin ich ausser Stande zu sagen. Doch 
glaube ich aus diesem Verhalten wenigstens das eine schliessen zu können, dass 
der Tumor an der inneren Seite der Dura seinen Ursprung hatte und von da 
erst zuletzt die Dura nach aussen durchbohrte und den Knochen arrodirte, eine 
Annahme, die sich ja aus dem anatomischen Befunde, wie erwähnt, nicht ohne 
weiteres ergab. Denn wollte man umgekehrt annehmen, der Tumor sei primär 
extradural entstanden oder gar im Schädelknochen und habe die Dura nach 
innen durchbohrt, so wäre das Fehlen von Kopfschmerzen und percutorischer 
Empfindlichkeit ganz unverständlich. Jedenfalls beweist der Fall aber, dass 
das Fehlen dieser Symptome nicht unbedingt dafür spricht, dass ein Tumor 
nicht an die Dura heranreicht, ein Umstand, der für die bestimmte Diagnose 
des Tumorsitzes und dadurch für die Therapie bedauerlich ist, und in diesem 
Falle mich an einer Operation Vorbeigehen liess, deren Chancen so günstig wie 
möglich waren, viel günstiger als in allen den von mir bisher mit Localdiagnose 
zur Operation gebrachten 7 Fällen von Hirntumor. Erwähnen will ich noch, 
dass in meiner ersten Beobachtung die percutorische Empfindlichkeit des Stirn¬ 
beines sehr deutlich war, obgleich der Tumor im Marke sass, die Rinde nirgends 
zerstört hatte und die Patientin schwer benommen war. 

Noch ein paar Worte über einige sonstige Localsymptome des 
Falles. Die Sprachstörung war auch in diesem Falle sehr wechselnd an Intensität, 
in ihren Symptomen verwaschen, wenngleich man sie wohl als sensorische er¬ 
kennen konnte. Das ist leicht erklärlich, da es sich um ein Nachbarschafts¬ 
symptom handelte, das vom wechselnden Drucke des Tumors abhängig war. 

Anfallsweise eintretende, mehr oder weniger rasch vorüber¬ 
gehende totale Erblindungen, wie sie im vorliegenden Falle beobaohtet 
wurden, sind mehrfach bei Hirntumoren beschrieben, ganz besonders hat auf ihr 
Vorkommen Hibscbbebo hingewiesen. Sie entstehen in den meisten Fällen 
wohl durch einen rasch zunehmenden Hirndnick, vielleicht ganz direct durch 

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acute Zunahme des Hydrocephalus internus, durch den dann eine vermehrte 
Compression des Chiasma bedingt wird. Dann sind sie ein Allgemein¬ 
symptom des Tumors. Ich habe aber schon früher, gestützt auf eine Beob¬ 
achtung von Gowebs und eine eigene, die Ansicht ausgesprochen, dass vielleicht 
bei Tumoren in den oder in der Nähe der Occipitallappen diese vorübergehenden 
Amaurosen besonders leicht Vorkommen konnten und sich dann jedesmal ans 
dauernden Hemianopsieen entwickelten. Der vorliegende Fall scheint mir eine 
neue Stütze für diese Ansicht zu sein, die sich ja auch physiologisch leicht 
begründen lässt, da ein Tumor, der so gelagert ist, dass er einen Hinterbaupts- 
lappen dauernd lädirt, leicht bei vorübergehend verstärktem Druck, auch den 
anderen angreifen kann. Bei dieser Entstehungsart der vorüber¬ 
gehenden Amaurosen würde dies Symptom dann also eine Mittel¬ 
stellung zwischen den Local- und Allgemeinsymptomen einnehmen. 

Die für die Localdiagnose, Tumor des linken Parietallappens, wichtigsten 
Symptome waren in diesem Falle Störungen des Gefühles auf der gegenüber¬ 
liegenden Körperseite, besonders im rechten Arme, die auch zu einer Unsicherheit 
der Bewegungen dieser Extremität führten, die man wohl als Ataxie bezeichnen 
konnte. Es handelte sich im wesentlichen zunächst um eine Störung des 
stereognostischen Sinnes und des Lage- bezw. Muskelgefühles; die 
später hinzutretende Hypalgesie war wohl durch eine Fernwirkung auf die 
hinteren Partieen der linken inneren Kapsel bedingt. Eigentliche Motilitäts¬ 
störungen der Extremitäten, besonders des rechten Armes, waren dabei nur in 
sehr rudimentärer ‘Weise ganz zuletzt vorhanden. Mein Fall scheint mir 
also eine neue Stütze für die seit Nothnagel oft geäusserte Ansicht 
zu sein, dass der Scheitellappen besondere Beziehungen zum Gefühl 
und ganz besonders zum Muskelgefühl der gekreuzten Körperhälfte 
hat; auch das, was man stereognostischen Sinn nennt und was sicher ein com- 
plicirter psychischer Vorgang ist, hängt jedenfalls zum guten Theil vom Muskel¬ 
gefühl mit ab. Ich muss nach meinen jetzigen Erfahrungen, ebenso wie Oppen¬ 
heim, annehmen, dass die Rindenzonen wenigstens für die Empfindung der 
Berührungen, für den stereognostischen Sinn und wohl auch für das Muskel¬ 
gefühl sich über grössere Theile der Hemisphäre erstrecken, jedenfalls über 
die Centralwindungen und den oberen Theil des Parietallappens und ihre 
an die Mittellinie angrenzenden Theile, Lobus paracentralis, Präcuneus. Denn 
wenigstens Störungen des stereognostischen Sinnes beobachtet man sehr oft 
auch bei Affectionen der Central Windungen allein, solche des Muskelgefühles 
und daraus resultirende Ataxie allerdings wohl mehr bei solchen des Scheitel¬ 
hirnes. Es scheint mir, wenn man nur nach klinischen Beobachtungen sich 
richten will, so zu sein, dass die motorischen Functionen in diesem ganzen 
Gebiete von vom nach hinten ab, die sensorischen in gleicher Richtung zu¬ 
nehmen, so dass vielleicht die vordere Centralwindung ziemlich rein motorische, 
die obere Scheitel windung ziemlich rein sensorische, die hintere Central Windung 
gemischte Functionen hat. Das würde auch mit den Ansichten von Webnickb 
stimmen und vor allem mit der vorliegenden Beobachtung, bei der die Störungen 

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der gekreuzten Körperhälfte fast rein sensorische waren und der Tumor die 
hintere Centralwindung nach vom nicht erreichte. Von Interesse ist, dass auch 
in diesem Falle den rechtsseitigen Anästhesieen rechtsseitige Neuralgieen voran* 
gingen; die central entstehenden Schmerzen gewinnen nach meiner Ansicht eine 
immer grössere klinische Bedeutung. 

Mehrfach habe ich in der Krankengeschichte auch hervorgehoben, dass die 
Functionsstörungen des Patienten im Gebrauche speciell des rechten Armes, 
wohl nicht nur bedingt waren durch die Sensibilitätsstörungen desselben, sondern 
zum Theil auch darauf, dass der Patient in Folge seiner sensorischen Aphasie 
nicht verstand, was man von ihm verlangte. Ich habe aber erwähnt, dass 
dieses mangelhafte Yerständniss besonders hervortrat, wenn man dem Patienten 
Aufträge für seinen rechten Arm gab, kaum, wenn sich dieselben auf den 
linken Arm bezogen. Ich will das hier nur nochmals hervorheben, ohne auf 
eine Erklärung dieser Erscheinung mich einzulassen, es handelt sich da jedenfalls 
um ganz complexe psychische Vorgänge. Der Patient wusste überhaupt oft 
nicht, was er von seinem linken Arme halten sollte, er betrachtete ihn oft 
verwundert, sagte: „Ich weiss nicht, was mit dem Arme ist — Es ist schrecklich“. 
Zuletzt brauchte er zu Willkürbewegungen nur noch den linken 
Arm, obgleich der rechte nicht gelähmt war und z. B. mehr reflectorische 
oder automatische Bewegungen noch ausführte. Ich habe diese letztere Art der 
Bewegungsstörung (Nichtgebrauoh eines Gliedes bei vorhandener Möglichkeit des 
Gebrauches), die ich mehrfach bei ausgedehnten Herden in den hinteren Theilen 
der Hemisphären beobachtet habe, früher als „Seelenlähmung“ bezeichnet und 
sie darauf zurücbgeführt, dass in diesen Fällen der grösste Theil der sensorischen 
Centren der betelfenden Hemisphäre zerstört war und dadurch die auf höheren 
Reflexbahnen verlaufenden Anregungen dieser Centren auf die motorischen Hirn- 
theile, wie sie zu den sogen. Willkürbewegungen nöthig sind, fehlten. Das 
scheint mir auch für den vorliegenden Fall zu stimmen. 

Von hohem Interesse war mir im vorliegenden Falle das apoplectiforme 
Eintreten einer mit dem Tumor gekreuzten, rasch vorübergehenden, 
rechten Ptosis am 6. April 1898. Landouzy hat zuerst aut die contra¬ 
laterale Ptosis bei Herden im Scheitellappen hingewiesen; Webnicke verlegt 
ins untere Scheitelläppchen ein Centrum für die Seitwärtsbewegung der Bulbi 
nach der gekreuzten Seite. Jedenfalls ist eine contralaterale Ptosis auch bei 
Scheitellappentumoren mehrfach beobachtet So war dann auch mir dies 
Symptom eine wesentliche Stütze für meine Localdiagnose „Tumor 
im linken Scheitellappen“. Ich war mir dabei allerdings wohl bewusst, 
dass die ganze Lehre von der Localisation von Centren für die Augenbewegungen 
im Scheitellappen noch auf recht schwachen Füssen steht, immerhin kann man 
gegen die klinische Thatsache nicht an. Oppenheim meint dass bei Tumoren 
für die contralaterale Ptosis auch ein Druck auf den gekreuzten Oculomotorius 
an der Basis cranii in Betracht käme; davon lag mein Tumor doch zu weit 
entfernt, eher wäre hier ein Druck auf den gleichseitigen Vierhügel möglich. 
Der bei der Section gefundenen rothen Erweichung im rechten oberen Scheitellappen 

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die rechte Ptosis in die Schuhe zu schieben, wofür sprechen würde, dass die¬ 
selbe apoplectiform eintrat — nach meiner Ansicht sind für die apoplectiformen 
Anfalle bei Tumoren häufig Erweichungen und Blutungen in der Nachbarschaft 
der Tumoren verantwortlich zu machen —, will mir auch nicht recht in den 
Sinn; denn erstens werden die angeblichen Centren für die Augenbewegungen 
allgemein in den unteren Scheitellappen verlegt; zweitens versorgen diese 
Centren doch wenigstens in der Hauptsache das gekreuzte Auge. 

Das bei meinem Kranken in der letzten Zeit beobachtete Schwanken beim 
Gehen muss man wohl durch Druck des Tumors auf das Kleinhirn erklären; 
die linke Kleinhirnhemisphäre war nach unten verschoben. 

Mein Fall zeigt sehr hübsch, dass ein Tumor bei seinem Wachsthum Druck¬ 
wirkungen nicht immer nach allen Seiten gleichmässig auszuüben braucht, 
sondern dass die Wachsthumsrichtung und damit die Compression hauptsächlich 
nach einer bestimmten Richtung gehen und die übrigen freilassen kann. Der 
Tumor lag den Centralwindungen fast ebenso nahe als dem Occipitallappen, 
er bat aber die ersteren Windungen garnicht, den Hinterhauptslappen sehr stark 
nach unten und hinten verschoben. Auch in dem unteren Scheitellappen traf 
die Verschiebung wesentlich den Gyrus angularis, weniger den davor liegenden 
Gyrus supramarginalis. Deshalb war klinisch eine ausgesprochene rechte Hemi¬ 
anopsie, aber nur ganz geringe rechtsseitige Parese vorhanden. Für eine Local¬ 
diagnose wäre es erwünschter, wenn die Druckwirkungen eines Tumors imm er 
von einem Centrum aus gleichmässig nach allen Seiten gingen; dass die haupt¬ 
sächliche Schädigung bestimmter Theile der Umgebung durch die Wachsthums¬ 
richtung der Geschwulst bedingt ist, kann man in vivo nicht erkennen; die 
durch diesen Umstand bedingte Hervorhebung von Symptomen nur einzelner 
Gebiete in der Nachbarschaft des Tumors kann aber leicht zu diagnostischen 
Fehlschlüssen führen. 


II. Referate. 


Anatomie. 

1) The origin and destination of eertain afferent and efferent traots in 
the medulla oblongata, by Risien Russell. (Bram. 1897. Winter.) 

Verf. hat folgende Experimente an Affen und Hunden gemacht: 

1. Zerstörung der lateralen Region der Medulla oblongata zwischen aufsteigender 
Trigeminuswurzel und unterer Olive. 

2. Zerschneidung des Corpus restiforme. 

3. Durchscbneidung des directen sensorischen Kleinhirnbflndels von Edinger. 

4. Trennung des Deiters’schen Kernes von seiner Verbindung mit der Medulla 
oblongata. 

5. Durchschneidung der Hintersäulen und ihrer Kerne in der Medulla oblongata. 

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Verf. bat dann histologisch an Marchi-Präparaten die secundären Degenerationen 
verfolgt. Bef. kann die Befände hier nur in groben Umrissen anführen und muss 
wegen feinerer Einzelheiten auf das Original verweisen. Nach Operation Nr. 1 dege* 
nerirten centrifugal im Bückenmarke zwei Bündel: eins dreieckig, direct vor den 
lateralen Pyramiden; ein zweites schmal, am vordersten ventralen Theile des Bandes 
des Bückenmarks und nur im Lendenmark auch den Band entsprechend der vorderen 
Längsspalte besetzend. Im Hals* und oberen Dorsalmarke waren beide Bündel durch 
ein schmales Band an der Peripherie verbunden. Centripetal degenerirte die be¬ 
kannte Eieinhirnseitenstrangs- nnd die Gowers’scho Bahn. Ausserdem wurden 
Fibrae arciformes zerstört und die Folge davon war Degeneration in der gekreuzten 
Olivenzwischenschicht und Schleife. 

Nach Operation Nr. 2 erfolgte, wenn die Operation nur das eigentliche Corpus 
restiforme betraf und das directe sensorische Kleinhirnbündel Ed in g er’s, das 
eigentlich einen 4. Kleinhirnschenkel darstellt, freiliess, im Bückenmark überhaupt 
keine Degeneration; die Degeneration in diesem Falle betraf nur die gleichseitige 
und gekreuzte untere Olive und die gleichseitige Formatio reticularis. 

Bei Operation Nr. 3 wurde immer der Deiters'sehe Kern mit affleirt. Deut¬ 
liche, nur mit der Durchschneidung der directen sensorischen KleinhirnbahnEdinger’s 
zusammenhängende centrifugale Läsionen konnten nicht gefunden werden; centripetal 
trat eine Degeneration nicht auf. 

Nach Operation Nr. 4 erfolgt eine directe durch die Formatio reticularis 
gehende absteigende Degeneration, die im Rückenmark den Band des Vorderseiten¬ 
stranges besetzt hält, und identisch ist mit der gleichen, die bei Operation Nr. 1 in 
der Formatio reticularis selbst erfolgt, und eine zweite, die vom Deiters’schen 
Kerne in das gleiche nnd gekreuzte hintere Längsbündel geht und da auf- und ab¬ 
steigend verläuft Die absteigenden Fasern liegen im Kückenmark mehr am Bande 
des vorderen Sulcus. 

Nach Operation Nr. 5 erfolgte Degeneration der gekreuzten Schleife und 
einiger Fasern, die in das gleichseitige Corpus restiforme gehen. 

Im Vorderseitenstrange liegen also drei centrifugale Bahnen: 1. die directe 
Pyramiden bahn; 2. Fasern in der Nähe dieser Bahnen, die zum Theil nach Boyce 
aus der Gegend der Vierhügel, zum Theil nach dem Verf. aus dem Deiters’schen 
Kerne stammen, und die beide das Bückenmark durch das hintere Längsbündel er¬ 
reichen. Sie sind von den direct aus dem Deiters’scben Kern durch die Formatio 
reticularis zum vorderen Bückenmarksrande gehenden scharf zu trennen; 3. diese 
letzteren Fasern aus dem Deiters'schen Kerne. Die in Experiment 1 in der Nähe 
der Seitenstrangspyramiden degenerirt gefundenen Bahnen entsprechen theils Fasern, 
die Boyce nach Läsionen der Vierhügel degenerirt gefunden hat, theils müssen sie 
wohl nach dem Verf. aus tieferen Regionen stammen, trotzdem können sie functionell 
zusammengehören. 

Das wichtigste Resultat von des Verf.’s Experimenten ist, dass keine directen 
centrifugalen Bahnen vom Kleinhirn durch das Corpus restiforme ins 
Rückenmark gehen, dass die von Marchi bei Läsionen des Kleinhirns, 
von Biedl bei solchen des Corp. restiforme gefundenen und als solche directen 
Bahnen angesprochenen secundären Degenerationen im Bückenmarke, zum Theil durch 
Mitverletzung des Deiters’schen Kernes, zum Theil der Formatio reticularis sich 
erklären lassen; sie nehmen im Bückenmarke ganz genau die Gebiete ein, die bei 
Läsionen dieser Stellen vom Verf. degenerirt gefunden sind (Vorderseitenstrangsrand 
und Gebiet vor der Seitenstrangspyramide). Indirect besteht aber eine Ver¬ 
bindung der gleichen Kleinhirn- (Nucleus globosus) uBd Rückenmarks¬ 
hälfte durch Edinger’s directe sensorische Kleinhirnbahn und den 
Deiters’schen Kern. L. Bruns. 


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Experimentelle Physiologie. 

2) La contracture tetanlque n’est pas fonction d'une lesion appreoiable 
des cellales nerveuses m^dall&ires, par Courmont, Doyon et Paviot 
(Arch. de PhysioL 1898. Nr. 1.) 

Gegenüber Marinesco und Claude, welche bei experimentell erzeugtem Tetanus 
mit Hülfe der Nissl’schen Methode Zellveränderungen und weiterhin auch Vor* 
Änderungen der weissen Substanz nachgewiesen haben, haben die Verff. bei tetani- 
sirten Meerschweinchen (Toxininjection) nur Zellveränderungen mit Hülfe der Nissl- 
schen Methode gefunden, welche man auch bei dem gesunden Meerschweinchen findet 
Ebenso negativ fielen 3 Versuche an Hunden aus, welche in Folge von Tetanustoxin* 
einspritzung am 5., 7. bezw. 14. Tage starben. In einer sich anschliessenden Kritik 
der Nissl’schen Methode gelangt Paviot zu dem Ergebniss, dass die Nissl'sche 
Methode keinen Vorzug vor anderen Methoden hat und sehr leicht zu voreiligen 
Schlüssen führt Die specielle Empfänglichkeit der chromatophilen Elemente für 
Methylenblau wird zugegeben. Speciell wird andererseits auch ein Fall von Chorea 
hereditaria angeführt, in welchem die Nissl’sche Methode eine homogene Blaufärbung 
der Vorderhornzellen ergab, die Safraninfärbung jedoch die normalen chromophilen 
Elemente zeigte. Th. Ziehen. 


3) L’etat des yeux pendant le sommeil et la theorie du sommeil, par 
, E. Berger et R. Loewy. (Journal de l’anat. et de phys. 1898. Nr. 3.) 

Unter den zahlreichen Einzelbeobachtungep der Autoren sind folgende bemerkens* 
werth: Die Empfindungen in der Conjunctiva vor dem Einschlafen haben mit dem 
Versagen des Thränensekretes nichts zu thun. Dem Einschlafen geht eine Gesichts¬ 
feldeinengung voraus. Der Lidschluss im natürlichen Schlaf ist durchaus schlaff (im 
Gegensatz zur Hypnose). Im tiefen Schlaf reagiren die verengten Pupillen nicht auf 
Licht Alle sensorischen Reize, nicht nur Hautreize, bedingen eine Pupillenerweiterung; 
die Verff. fassen dieselbe als ein Symptom des halben Erwachens auf. Die Schlaf* 
miosis selbst beruht nicht auf einem Spasmus des Sphincter iridis (Plotke), sondern 
auf einer Lähmung der gefässverengenden Nervenfasern der Iris. Diese Lähmung 
soll central sein (Medulla oblongata) und auch die während des Schlafes angeblich 
bestehende Himhyperämie veranlassen. In der Hypnose findet man bald eine para¬ 
lytische, bald eine spastische Miosis, bald eine auf sympathischer Contraction der 
Irisgefässe beruhende Mydriasis, bald endlich eine normale Pupillenweite. Der Augen¬ 
hintergrund zeigt während der Hypnose keine Veränderung. Die Bulbi sind im 
natürlichen Schlaf des Erwachsenen und auch in der Hypnose nach oben und aussen 
gerichtet; bei Kindern bis zum 2. Lebensjahre sind sie nur nach aussen gewendet 

Zur Erklärung des Schlafes halten die Verff. es für nothwendig, die chemische 
Theorie (Autointoxication) mit der Neurasthenie (Aufhebung der Contiguität der 
Neurone, Duval) zu verbinden. Uebrigens lässt sowohl bei diesen theoretischen 
Erörterungen wie bei der Besprechung der Beobachtungsthatsachen die Argumentation 
oft viel zu wünschen übrig. Th. Ziehen. 


Pathologische Anatomie. 

4) The neuromuBoular bundles (Muskelknospen, Muskelspindeln, Faisoeaux 
neuromusoulaires), by William G. Spiller. (Journal of nervous and mental 
disease. 1897. October.) 

Bei der anatomischen Untersuchung eines Falles von intensiver allgemeiner 
Muskelatrophie (Dystrophie) aus Dejerine’s Klinik im Bicötre fand Verf. die 

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Muskelspindeln ebenso wie die intramusculären Nervenfasern vollkommen erbalten. 
Er bespricht die in der Litteratur zahlreich niedergelegten Beschreibungen dieser 
Gebilde, die Theorieen über ihre Bedeutung, und betont die jedenfalls interessante 
Thatsache, dass dieselben trotz fast völligen Untergangs des Muskelgewebes vollkommen 
intact bleiben können. Martin Bloch (Berlin). 


5) Etat du faisoeau pyramidal (bulbe et moelle epiniere) dans quatre 
oas de oontracture spaamodique infantile (syndrome de Little), par 
CI. Philippe et B. Cestan. (Comptes rendus de la socidtd de biolog. 1897. 
4. Ddc.) 

Die Verff. haben in 4 Fällen von ausgebildetem Little’schem Symptomencomplex 
die Rfickenmarke der betr. Kinder mikroskopisch untersucht und die Angaben von 
Binswanger, Ganghofner u. A. durchaus bestätigt gefunden, dass die Pyramiden* 
stränge bei dieser Erkrankung durchaus intact sind. — Die Verff. schliessen sich 
der C h ar cot -Raymond’ sehen Anschauung an, dass der eigentliche Sitz der eigen- 
tbümlichen Erkrankung in den Ganglienzellen der grauen Vorderhörner zu suchen sei. 

W. Cobnstein (Berlin). 


Pathologie des Nervensystems. 

6) (Kontribution ä l’etude de la pseudo - mdningooäle traumatique, par 
A. Josias et J. C. Roux. (Revue de Mödecine. 1897. Avril. S. 233.) 

Als traumatische Pseudo-Meningocele bezeichnen die Verff. diejenigen Fälle von 
Meningocele, welche nicht angeboren, sondern nach einem traumatischen Knochen- 
defect bei Kindern entstanden sind. Sie selbst haben einen derartigen sehr charak¬ 
teristischen Fall bei einem 5 jährigen Mädchen beobachtet. Das Kind war im Alter 
von 6 Wochen aus dem Bett gefallen. Gleich danach schwere, aber vorübergehende 
Gehirnerscheinungen und etwas später Auftreten eines weichen Tumors am linken 
Scheitelbein. Als die Verff. das Kind untersuchten hatte der flache Tumor einen 
Durchmesser von fast 10 cm. Seine Oberfläche war weich und eindrückbar. Deut¬ 
liche Pulsation, starke exspiratorische Vorwölbung beim Husten. Rechtsseitige Hemi¬ 
plegie, besonders stark ausgeprägt im Arm. Intelligenz des Kindes sehr herabgesetzt. 
Sonst keine besonderen Störungen. 

Derartige traumatische Meningocelen traten fast nur bei Kindern auf. Da 
die Dura mater noch fest am Schädel haftet, reiset sie gewöhnlich gleichzeitig mit 
der Schädelfractur mit ein. Die anfängliche Fissur des Schädels erweitert sich beim 
Wachsthum des Gehirns zu einer immer breiteren Spalte. Darum tritt auch keine 
Heilung der Fissur ein, ebenso wie dies Gudden experimentell bei jungen Kaninchen 
gezeigt hat. Ausserdem tritt an den Rändern der Spalte eine Knochenresorption 
ein. Durch den Spalt drängt sich sofort nach dem Trauma der Liquor cerebrospinalis 
nach aussen unter die Haut. Manchmal wird er wieder resorbirt, in anderen Fällen 
bildet sich eine dauernde, langsam wachsende Meningocele. Das Gehirn selbst ist 
häufig mitbetheiligt, sei es durch das Trauma direct, sei es durch secundäre Er¬ 
weichung. Da der Sitz der Affection fast immer am Scheitelbein gelegen ist, so 
sind Hemiplegieen sehr häufig. Auch secundäre Epilepsie, Störungen der Intelligenz 
und andere sind oft beobachtet. Die Therapie ist in verschiedener Weise versucht 
worden: Punction mit nachfolgender Injection von Jod, dauernde Compression, aber 
noch besser Incision mit nachfolgender Knochentransplantation. 

Die Arbeit enthält ein sorgfältiges Litteraturverzeichniss und kurze Auszüge 
über 31 ähnliche Fälle. Strümpell (Erlangen). 


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7) Die pathologische Schwere, von Prof. Adamkiewicz in Wien. (Wiener 
med. Presse. 1898. Nr. 23.) 

Die natürliche Schwere der Körperbestandtheile kommt dem Menschen nicht 
zum Bewusstsein und ist am lebenden Menschen in den Grenzen ihrer physiologischen 
Arbeit thats&chlich aufgehoben. Diese Compensation wird durch die Thätigkeit von 
Nerven bewirkt, die den peripherischen Stämmen beigemischt, aber weder mit den 
motorischen, noch mit den sensiblen Nerven identisch sind. Ihre Thätigkeit ist eine 
vom Willen unabhängige, wird aber unter normalen Verhältnissen durch die arbei¬ 
tenden Muskeln, also durch den Willen überwunden. Es muss demnach zwischen 
ihnen und den Pyramidenbahnen ein Antagonismus und ihre Wirkung in einer Art 
Zog bestehen, der gegen das Gewicht der Muskeln, also immer in der Richtung zum 
Gehirn wirksam ist. Dies legt den Gedanken nahe, dass jene gewichtscompeDsato- 
rischen Fasern wahrscheinlich mit den Tonusfasem der Muskeln identisch sind. 
Man muss sich dann vorstellen, dass bei Unterbrechung der Pyramidenbahnen der 
frei gewordene Tonus die nicht mehr compensirte Schwere ebenso überwindet, wie 
bei Zerstörung der Tonusfasem die frei gewordene Schwere wieder durch die nicht 
mehr equilibirten Pyramidenbahnen überwunden wird; woraus sich erklären würde, 
weshalb der Tabiker trotz zerstörter Tonusfasem und gelösten Gewichtes die Schwere 
seiner Glieder durch die frei gewordenen Pyramidenbahnen Überwindet, und der 
Spastische trotz der gebundenen Schwere die vom überstarken Tonus gefesselten 
Extremitäten nicht frei bewegen kann. 

Wenn die gewichtsbindenden Fasern mit den Tonusfasem identisch sind, so 
müssen sie wie diese aus dem Kleinhirn entspringen und automatisch, d. h. vom 
Wollen unabhängig und dazu beständig erregt werden. 

Verf. nimmt an, dass die Kraft dieser automatischen Erregung eine mechanisch 
wirksame sei, und dass die gewichtsbindenden Fasern jedes Muskels eine mechanische 
Kraft ihrer centralen Erregungen fortleiten, welche dem Gewicht der zu bewegenden 
Muskeln gerade entspricht J. Sorgo (Wien). 


8) Encephalopathies consequent on influenae, by A. Gordon. (New York 
Medical Journal. 1898. Vol. LXVII. Nr. 9.) 

Verf. giebt einen kurzen, nicht vollständigen Ueberblick über die bisher nach 
Influenza beobachteten Störungen des Nervensystems. Charakteristisch für die Ence- 
phalopathien nach Influenza ist u. a. das Bestehen einer Influenzepidemie, plötzlicher 
Beginn, Steigerung der Pulsfrequenz, im Zweifelfall der Ausfall der bakteriologischen 
Untersuchung. Zur Erklärung der verschiedenen nervösen Symptome sind zu ver¬ 
werten: der Verlauf der Grundkrankheit, rapide oder mehr prolongirte Toxinwirkung, 
event. auch der Einfluss der meist gestörten Urinsekretion auf das Nervensystem. 
Der Sectionsbefund variirt: in besonders stürmischen Fällen findet man Congestion, 
Hämorrhagieen und geringe Erweichung an der Binde, Hydrocephalus, Exsudate an 
der Convexität und Basis. Im Gegensatz zu der tuberculösen Meningitis bevorzugen 
die Influenzaläsionen die Convexität. Kurze Mittheilung zweier eigener in Genesung 
übergehender Fälle schliesst den Aufsatz. B. Pfeiffer (Cassel). 


9) A study of a oase of acute haemorrhagio (non suppurativa) enoephalitis, 
by A. Wiener. (Brain. 1897. Winter.) 

3jähriges Kind. Fall von der Kellertreppe. Am Tage darauf schlechtes Be¬ 
finden, nach 8 Tagen epileptischer Anfall, Verlust der Sprache und der Fähigkeit zu 
gehen; psychische Unruhe, Anfälle von Schreien abwechselnd mit Stupor; unregel¬ 
mässige Temperatur und bald schneller, bald langsamer Puls. Mehr Ungeschicklich¬ 
keit als Schwäche in den Gliedern. Greift sich häufig mit der Hand nach dem 

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Kopfe. Die Zunge wird immerfort vorgestreckt und zurackgezogen. Auf Hör- and 
Sehreize wird nicht reagirt. Keine Hirnnervenlähmung. Urin frei von Eiweiss und 
Zucker. Haut- und Sehnenreflexe erhöht. Allmählich Besserung, dann 3 Jahre ge¬ 
sund, mit Ausnahme von Scharlach und Diphtherie im letzten Jahre. Plötzlich Ein¬ 
setzen ganz der nämlichen Symptome wie 3 Jahre vorher und Tod. Histologisch: 
Zeichen der Eucephalitis. ln grossen Hirngebieten die Gefässe stark gefallt und 
in ihren Wandungen inflltrirt. Kleine Hämorrhagieen und Erweichungen. Oedem. 
Die Ganglienzellen verändert. Die Pia ist stark betheiligt und mit einem fibrinösen 
Exsudat bedeckt. 

Für den 1. Anfall ist wohl das Trauma verantwortlich zu machen, wie in mehreren 
anderen Fällen von Encephalitis. Für den 2. Anfall kommt vielleicht Influenza in 
Betracht. Auch war das Kind durch den 1. Anfall prädisponiri L. Bruns. 


10) A case of oerebellar haemorrhage. (Brit. med. Journ. 1898. June 11. 

S. 1518.) 

36jähriges Dienstmädchen in Halb-Coma, contrahirte Pupillen, gleich gross, auf 
Licht reagirend; Conjnnclivalreflex rechts nicht vorhanden, ebenso Patellarreflex rechts; 
rechts Hemiparese. Schlucken erschwert; Gesicht ausdruckslos; linkes Augenlid mehr 
gelähmt, als rechtes, welches rechte Auge auch fester geschlossen werden kann. 
Die Gefässe am oberon Rande des Discus rechts weniger sichtbar. Sprache un¬ 
verständlich. 58 Pulse; am Herzen systolisches Blasen an der rechten Bicuspidalis. 
Urin zeigt Zucker und Albumen; Zucker am folgenden Tage nicht mehl vorhanden; 
kein Aceton. — Lungenödem, Tod. 

Die Autopsie ergiebt ausser Lungenödem und Bronchitis an der Gehirnbasis viel 
Flüssigkeit; Meningen adhärent; in den Seitenventrikeln 2 Drachmen Flüssigkeit. 
Die rechte Kleinhirnhemisphäre war durch Blutung in eine obere und untere Schicht 
geschieden. Die Blutung ging durch deu ganzen Lobus und war in den 4. Ventrikel 
eingedrungen, batte aber die Mittellinie nicht überschritten, das Corp. restifurme 
rechts zerrissen, Pedunculus inferior quer getrennt. 

Die Diagnose im Leben hatte zwischen Coma diabeticum und Blutung sich 
gestützt auf die Absenz des Conjunctivalreflexes an einer Seite, auf Hemiparese, auf 
die Gefässverändernng im Fundus und die fehlende Acetonurie. — Die Schluck¬ 
beschwerden, die Pupillencontraction und Zucker iui Urin wiesen auf die Medulla 
und den 4. Ventrikel. L. Lehmann I (Oeynhausen). 


11) Haemorrhage into pons, secondary lesions of lemnisous, posterior 

longitudinal fbscioull, and flooeulus cerebelli, by S. Gee and H. Tooth. 

(Brain. 1898. Spring.) 

Die Verff. beobachteten ein 21 jähriges Mädchen, das an Schrumpfniere litt und 
16 Tage vor ihrem Tode apoplectisch erkrankte. Klinisch bestand von hauptsäch¬ 
lichsten Symptomen: Eine Lähmung der Augenbewegungen nach bei deu Seiten und 
der Convergenz bei erhaltener Möglichkeit nach oben und unten zu sehen, eine Läh¬ 
mung der Kaumuskulatur rechts, des Facialis rechts mit elektrischen Störungen, eine 
Störung der Articulation, und vorübergehend auch Parese der linken Extremitäten, 
Anästhesie an beiden Gesichtshälften, besonders in den oberen Partieen, aber rechts 
mehr — später auch Keratitis neuroparalytica rechts — links an Hacken, Rumpf, Arm 
und Bein. Atactische Bewegungen im rechten Arme. Erhöhte Sehnenreflexe an den 
Beinen. Urinretention. 

Bei der Section fand sich eine etwa kirschkerngrosse Blutung, die rechts den 
Boden des 4. Ventrikels vorbauchte. Die grösste Ausdehnung hatte sie an der 
Grenze zwischen mittlerem und unterem Drittel des Pons. Hach der ventralen Seite 


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erreichte sie gerade die Pyramiden. Nach vorn und hinten spitzte sich der Blntherd 
zu; er folgte nach unten dem Abducenskerne und endigte hier dicht vor seinem 
distalsten Ende. Nach oben beschränkte er sich auf die Schleife und reichte etwa 
bis zum distalen Ende des Trocbleariskernes. Er griff etwas nach links Über die 
Mittellinie hinaus. 

Direct zerstört wareu der ganze rechte Abducenskern, die aufsteigende 
Schleife des rechten Facialiskerues, das rechte und theilweise auch 
das linke hintere Längsbündel, die ganze rechte Schleife, die trans- 
versalen Fasern der Formatio reticularis rechts, der motorische und 
sensible rechte Trigeminuskern. Von wichtigen secundären Degenerationen 
fand sich erstens eine auf- und absteigende des hinteren Längsbfindels beiderseits. 
Nach unten erstreckte sich dieselbe in das Vorderstrangsgrundbflndel des Rücken¬ 
marks, nach oben zeigte es sich, dasq das hintere Längsbündel die einzelnen Nerven¬ 
kerne mit einander verband und znm Theil in die betreffenden Wurzeln direct Fasern 
ohne Unterbrechung durch Kerne abgiebt. Ganz besonders interessant ist 
der Nachweis einer gekreuzten Verbindung des Abducens- mit dem 
Oculomotoriuskerne (associirte Blicklähmung bei Herden im inneren 
Abducenskerne). Die Degeneration des hinteren LängsbQndels endigt nach oben 
im Corpus mammillare und Thalamus opticus. Eine Degeneration der Schleife hatte 
nur nach oben stattgefunden; hier lässt sich die laterale Schleife bis in die 
Vierhügel, die mediale bis in den Thalamus opticos verfolgen; vielleicht geht ein 
Tleil auch direct zur Rinde. Schliesslich waren beide Flocculi degenerirt, das war 
wohl abhängig von der Erkrankung der transversalen Fasern des Formatio reti¬ 
cularis. 

Die klinischen Erscheinungen standen im allgemeinen im Einklang mit dem 
anatomischen Befunde. Dass auch das linke Auge nicht nach aussen bewegt wurde, 
bei normalem Abducenskerne, muss wohl auf die Erkrankung der centralen Verbin¬ 
dungen dieses Kernes im hinteren Längsbfindel geschoben werden. L. Bruns. 


12) Observ&tions on brain surgery suggested by a oaae of multiple cere¬ 
bral hemorrhage, by G. L. Walton and W. A. Brooks jr. (Boston Medic. 
and Surgical Journ. 1897. 1. April.) 

Ein junges Mädchen bekommt nach einem heftigen Fall auf die rechte Kopf¬ 
seite linksseitige Lähmung des Gesichts und der Extremitäten, mit Steifigkeit; Be¬ 
wusstlosigkeit, die auch am nächsten Tage noch anhält; Incontinentia urinae, vorüber¬ 
gehende Temperatursteigerung. Ueber der rechten Mastoidealgegend ein grosses 
Hämatom, bei dessen Druck die rechten Extremitäten, am 2. Tage auch der linke 
Arm, heftig bewegt werden. Leichte Besserung der Lähmung am 2. Tage. Eine 
an diesem Tage vorgenommene Trepanation in der rechten Schädelseite entleert 
CerebrospinalflQssigkeit, ergiebt aber sonst ein negatives Resultat. In den nächsten 
Tagen bessert sich die Lähmung und die Bewusstlosigkeit. Vom 10. Tage an tritt 
wieder stärkere Bewusstseinstrübung ein, am 1&. plötzliche Temperatursteigerung 
und am 16. Exitus. 

Die Section ergiebt Blutungen und Erweichungsherde von geringer Grösse in 
der linken (also der Seite der Lähmung entsprechenden) Hemisphäre: die grössten 
sasson im Mark der ersten Frontalwindung, im Marklager nahe dem Nucleus cau- 
datus; am Boden des rechten Seitenventrikels fand sich ebenfalls ein kleiner Herd. 

Vielleicht, meinen die Verff., handelt es sich um ein locales rechtsseitiges Hirn¬ 
ödem, das durch den „Gegendruck“ hervorgerufen wurde. Dafür spricht die Besserung 
der Lähmungssymptome nach der Operation. — Die andauernde Bewusstseinsstörung 

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and die Todesursache bleiben unerklärt. — Schliesslich besprechen die Verff. in 
vorsichtiger Weise die Indicationen einer Operation in solchen diagnostisch anklaren 
Fällen. Toby Cohn (Berlin). 


13) Unilateral retinal ohanges in cerebral haemorrhage, embolism and 

thrombosis, by R. T. Williamson. (Brit. med. Joum. 1898. Jane 11. 

S. 1515.) 

13 schwere Fälle von Blutung, Embolie oder Thrombose des Gehirns wurden 
kurz vor dem Tode ophthalmoskopisch untersucht; in einem Falle trat der Tod erst 
nach einiger Zeit ein. Die Fälle werden als Auszüge aus den Beobachtungsnotizen 
ausführlich mitgetheilt, hier nur beziehentlich zu dem Endresultat wiedergegeben: 

1. In Fällen von Hemiplegie in Folge von Gehirnblutung, mit tödtlichem Aus¬ 
gang, finden sich nicht selten reichliche Blutungen in der Retina derselben Seite, 

wie die Gehirnläsion, während die Retina der entgegengesetzten Seite frei bleibt. 

% 

2. Bei Embolie der Gehiragefässe findet sich gelegentlich dieses selbe Ver- 
halten, und die Retinalgefässe auf der Seite der Läsion erweitert. 

3. Bei Thrombose der mittleren Cerebralarterien sind, wenn der Thrombus in 

die Carotis int. hineinreicht, die Retinalgefässe anf Seite der Gehimläsion deutlich 
erweitert und gewunden, während die Gefässe der Retina anf der anderen Seite 
normal bleiben. L. Lehmann I (Oeynhausen). 


14) Ueber einen durch Cerebrospinalmeningitis oomplioirten Fall von 

Apoplexie im linken Sehhügel, von Tantzen. Aus dem Stadtkranken¬ 
hause III in Hannover. (Deutsche med. Wochenschr. 1898. Nr. 17.) 

Bei einer 47jährigen Patientin apoplectischer Insult ohne Bewusstlosigkeit. 
Befund bei der Aufnahme: Rechtsseitiger Spitzencatarrh. Refiectorische Pupillen¬ 
starre und Nystagmus beiderseits, Strabismns convergens des rechten, Miosis des 
linken Auges, Parese der rechten unteren Gesichtshälfte, krampfhafte Drehung des 
Kopfes nach rechts, sehr schwankender Gang ohne Extremitätenlähmung, Somnolenz 
und Apathie. — Kein Fieber, Patellarreflexe vorhanden. — Massenhaftes Ausfliessen 
eitrig-schleimigen Speichels aus dem Munde. 4 Tage später Fieber, Beschleunigung 
von Puls und Athmung, massenhafte Herpeseruptionen auf beiden Wangen und am 
linken Ohr, Paralyse des rechten Beines und Verlust des Patellarreflexes, Parese 
des rechten Armes, Rigidität der Halsmuskulatur, allgemeine Hyperästhesie. In dem 
eitrigen Auswurf förmliche Reinculturen von zum Theil mit Kapseln versehenen 
Diplokokken, welche häufig in Tetradenform lagen, kleiner und plumper als die 
Pnenmoniekokken Fraenkel’s waren, sich nach Gram nicht entfärbten. Die gleichen 
Kokken in der leicht getrübten, etwas hämorrhagischen Lumbalpunctionsflüssigkeit. 
Keine bakteriologische Untersuchung. — Exitus. Diagnose: Epidemische Cerebro¬ 
spinalmeningitis. 


Die Section ergab sehnig-verdickte, an der Schädelkapsel adhärente Dura mater, 
etwas vermehrte Gefassfüllnng, atheromatöse Herde an den Basalarterien, spindel¬ 
förmige Erweiterung der rechten Art vertebralis kurz vor der Vereinigungsstelle, 
getrübtes Exsudat in den Maschen der Arachnoides, Zerstörung des medialen vorderen 
Theiles des linken Sehhügels durch Blutung. Die Dura mater spinalis war, nament¬ 
lich im Halstheil, rauh und zeigte vermehrte Blutfüllung; Rückenmark makroskopisch 
intaci — Die primäre Apoplexie setzte die Widerstandsfähigkeit des Gehirns herab 
and begünstigte die Ansiedelung der vorher in Lunge oder Nase vorhandenen Diplo¬ 
kokken — wahrscheinlich handelte es sich um den intracellulären Diplokokkus 
(Jaeger-Heubner). Die früheren nervösen Symptome sind nicht directe Folge des 


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Thalamusberdes, vielmehr indirect veranlasst, sog. Nachbarschaftssymptome; die 
späteren Erscheinungen erklären sich durch die Meningitis. 

B. Pfeiffer (Cassel). 


15) Haemiplegia during typhoid fever, by Bolleston. (Brit. med. Jonm. 

1898. May 7. 8. 1201.) 

Verf. stellt der Londoner klin. Gesellschaft einen 30jährigen Mann vor, der am 
42. Tage eines Typhus linksseitig hemiplegisch wurde, auch aphasisch, da Pat Links¬ 
händer war. Beim Anfall keine Convulsionen. Der Typhus verlief normal, die 
Hemiplegie besserte sich langsam. — Hawkins habe 17 ähnliche Fälle gesammelt 
und bei Autopsieen Embolismus und Thrombose als Ursache gefunden. — Da aber 
in dem hier mitgetheilten Falle keine Convulsionen aufgetreten waren, so stritte 
dieser negative Befund gegen Annahme venöser Thrombose; es dürfte wohl die 
mittlere Gehirnarterie Sitz der Läsion gewesen sein. 

An der Discussion betheiligten sich Herringham, Hawkins unter Bestätigung 
der vorgetragenen Ansicht. L. Lehmann 1 (Oeynhausen). 


16) An unnsual oase of hemiplegia, by W. S. Spiller, M. D. (Journal of 
nervous and mental disease. 1897. Jul. XXIV. S. 391.) 

Seit mehreren Jahren bestehende Hemiplegie der rechten Seite mit Steigerung 
der Beflexe rechts. Sie eutstand im Anschluss an eine schwere Lebensgefahr und 
Ueberanstrongung beim Betten zweier Personen aus dem Wasser, und zwar ent¬ 
wickelte sich zunächst — etwa 12 Stunden nach dem Unfall — eine kurze Bewusst¬ 
losigkeit und dann eine complete Lähmung aller 4 Extremitäten und absolute Un¬ 
möglichkeit zu sprechen. Nach etwa 4 Wochen schwand die Anästhesie, während 
rechtsseitige Hemiplegie mit Betheiligung des Facialis zurückblieb. 

Patient war ein ungewöhnlich sprachkundiger Mann, der seine Heimath, Däne¬ 
mark, bereits im 15. Jahre verlassen hatte. Als wenige Tage nach dem Unfall die 
Aphonie schwand, vermochte er jedes Wort, das auf Englisch, Deutsch und Fran¬ 
zösisch zu ihm gesagt wurde, völlig zu verstehen, antworten konnte er aber nur 
Dänisch. Es waren jenes die einzigen Sprachen, die er während seines 3 monatlichen 
Aufenthalts im Krankenhause gehört hatte. Als er dann einmal Schwedisch an¬ 
gesprochen wurde, verstand er zunächst kein Wort, dann kam ihm aber plötzlich die 
Erinnerung, und er verstand von nun an auch wieder Schwedisch, konnte aber auch 
jetzt nur auf Dänisch antworten. Als er das Krankenhaus verliess, war er im Stande, 
wenigstens etwas auf Deutsch und Englisch zu sagen. Nach anderthalb Jahren 
konnte er wieder Englisch (mit der linken Hand) ganz richtig schreiben, etwas 
später auch Dänisch, aber keine andere Sprache, obschon er früher noch Holländisch, 
Französisch und etwas Italienisch und Spanisch gesprochen hatte u. s. w. Erst nach 
einem ganz kurzen Besuche, den er nach 2 Jahren von Amerika aus in Schweden 
machte, lernte er auch plötzlich wieder Schwedisch sprechen. 

Trotzdem die jetzt noch bestehende Hemiplegie den Eindruck einer organisch 
begründeten macht, und trotz der Betbeiligung des Facialis, trotz der Steigerung 
der Beflexe u. s. w. glaubt Verf. eine rein hysterische Lähmung annehmen zu dürfen. 

Sommer (Allenberg). 


17) Du phönomöne des orteils et de sa valeur sdmiologique, par M. Ba- 
binski. (La semaine mödicale. 1898. 27. Juillet. Nr. 40.) 

Beim normalen Erwachsenen ruft Beizung der Plantarfläche des Fusses eine 
Beugung der Zehen gegen den Metatarsus hervor. Das „Zehenphänomen“, welches 


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man bei gewissen krankhaften Zuständen beobachten kann, besteht nun darin, dass 
die Zehen bei Beizung der Planta pedis nicht in Beugung, sondern vielmehr in 
Streckung Qbergehen, und zwar besonders die grosse Zehe. Nach Besprechung der 
Technik, welche man zur Erlangung des Zehenreflexes anwenden muss, berichtet 
Verf. Aber einige Kranke, bei denen er das „Zehenphänomen" beobachtet hat: 8 Fälle 
von organischer Hemiplegie, 3 Fälle von spastischer Paraplegie, 1 Fall von spinaler 
Hemiparaplegie, 1 Fall von Tabes mit Meningoencephalitis. Bei frischen, wie auch 
alten organischen Hemiplegieen kann man bei Beizung der Fusssohle auf der ge¬ 
sunden Seite Beugung, auf der kranken Seite Streckung der Zehen constatiren. Das 
Zehenphänomen fehlte stets bei Hysterie, ferner bei peripherer Neuritis, Poliomyelitis 
anterior und reiner Tabes. 

Das Phänomen deutet auf eine Functionsstörung im Pyramidensystem, ohne je¬ 
doch deren Schwere zu bestimmen, da es sowohl bei leichten als bei schweren Fällen 
beobachtet wird. Auch scheint eine gewisse Beziehung zwischen diesem Phänomen 
einerseits und der Beflexsteigerung und spinalen Epilepsie andererseits zu bestehen. 
Differentialdiagnostischen Werth hat das Zehenphänomen besonders bei der Frage, 
ob es sich um organische oder hysterische Hemiplegie bandelt, indem es bei ersterer 
vorhanden ist, bei letzterer fehlt. 

Bei Neugeborenen — bei welchen ja das Pyramidensystem noch nicht entwickelt 
ist — hat das Kitzeln an der Fusssohle Streckung der Zehen zur Folge. 

Kurt Mendel. 


18) Belachement des musoles dans l’hemiplögie organique, par M. Babinsk i. 

(Comptes rendus des sdances de la Socidtd de Biologie. Sdance du 9 Mai 1896.) 

In mehreren Fällen von Hemi- und Monoplegie hat Verf. eine Erschlaffung der 
Muskulatur beobachtet, welche ausgiebigere passive Bewegungen auf der gelähmten 
als auf der gesunden Seite gestattete. So war z. B. die Beugung des Vorderarms 
gegen den Oberarm auf der gelähmten Seite in stärkerem Grade möglich als an 
dem gesunden Arme. Die Ursache dieser Erscheinung liegt wahrscheinlich in einer 
Schwächung des Muskeltonus. Bei hysterischer Hemiplegie fehlt das erwähnte Phä¬ 
nomen stets; dasselbe hat daher vielleicht differentialdiagnostischen Werth bei or¬ 
ganischen und hysterischen Hemi- oder Monoplegieen. Kurt Mendel. 


10) De quelques mouvemeuts associös du membre införieur paralyse 
dans 1’hdmipldgie organique, par M. Babinski. (Bulletins et Mdmoires 
de la Socidtd mddicale des Höpitaux de Paris. Sdance du 30 Juillet 1897.) 

Verf. berichtet Aber Associationsbewegungen bei organischer Hemiplegie, welche 
nur in dem gelähmten Beine auftreten, während das gesunde unbeweglich bleibt und 
setzt den Mechanismus dieser Associationsbewegungen aus einander. Bei rein hyste¬ 
rischen Hemiplegieen hat Verf. dieses Symptom nicht beobachtet; es spricht daher 
seine Anwesenheit mit Wahrscheinlichkeit fflr eine organische Läsion. 

Kurt Mendel. 


20) Ueber das Wesen und die Entstehung der hemlplegisohen Contraotur. 
Eine klinische Studie, verbunden mit Untersuchungen Aber den Muskeltonus, 
sowie die antagonistische und synergistische Innervation, von Ludwig Mann. 
(Berlin. 1898. S. Karger.) 


Verf. konnte feststellen, dass bei der Hemiplegie sowohl die Lähmung, wie auch 
der Contracturzustand auf bestimmte Muskelgruppen beschränkt sei, und zwar so, 
dass die gelähmten Muskeln keinen Contracturzustand zeigen, ihre Antagonisten sich 


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hingegen in Hypertonie befinden. Diese Beobachtung brachte Verf. auf die Ver- 
muthung, dass die erregenden Fasern für eine Muskelgruppe mit den hemmenden 
Fasern ihrer Antagonisten zusammen verlaufen, ja vielleicht sogar mit ihnen identisch 
seien. Es würde alsdann der Wegfall dieser Fasern Lähmung einer Muskelgruppe 
und gleichzeitig Contractur ihrer Antagonisten zur Folge haben. Diese Anschauung 
zu begrfinden, ist der Zweck der Arbeit. 

Zunächst widerlegt Verf. die Anschauung van Gehuchten’s, nach welcher 
die von der Lähmung nicht betroffenen Muskeln in Folge ihrer überwiegenden Inner¬ 
vation contracturirt seien. Er zeigt, dass die Voraussetzung zu dieser Auffassung, 
dass nämlich periphere Contractur sich von hemiplegischer nicht unterscheide, un¬ 
richtig ist. 

Bei jeder normalen Bewegung ist Agonistencontraction und Antagonistenerschlaffung 
vergesellschaftet; doch können wir auch Agonisten und Antagonisten gleichzeitig 
innerviren und so z. B. sowohl Beuger wie Strecker gleichzeitig energisch contra- 
hiren. Letzteres geschieht bei Fixirung eines Gliedes in einer bestimmten Stellung; 
dieses ist aber auch der einzige Vorgang, bei welchem eine antagonistische Inner¬ 
vation stattfindet. 

Da nun einerseits mit jeder Contraction eines Muskels gleichzeitig die Erschlaffung 
seines Antagonisten verbunden ist, andererseits aber — wie klinische Beobachtungen 
lehren — die synergischen Bewegungsmechanismen in der Hirnrinde als Centrum 
bereits präformirt sind, so muss diese centrale Stätte nicht nur die Erregungscentren 
für die zu den betreffenden Synergismus gehörigen Muskeln, sondern auch die 
Hemmungscentren für ihre Antagonisten enthalten. Daher besteht also bei Abschnei¬ 
dung der Impulse von der Hirnrinde, wie es bei der Hemiplegie geschieht, eine 
Lähmung der zu dem betreffenden Synergismus gehörigen Muskeln und gleichzeitig 
eine Hemmungsaufbebung, d. h. ein Contractionszustand der Antagonisten. 

Wenn man, vom normalen Muskeltonus ausgehend, das klinische Verhalten der 
hemiplegischen Contractur betrachtet, so erweist sich auch von diesem Gesichtspunkt 
aus die Theorie von dem Zusammenverlaufen der Erregungs- und Hemmungsfasern 
als stichhaltig. 

Die völlige Schlaffheit der Lähmung bei totaler Unterbrechung der Pyramiden¬ 
bahn und der nachgewiesene Parallelismus zwischen Wiederkehr der willkürlichen 
Beweglichkeit und Auftreten des Contracturzustandes bei Hemiplegieen führen zu dem 
Schluss, dass die Vorbedingung für das Zustandekommen einer Hypertonie die lntact- 
heit der willkürlichen Bewegungs- oder Pyramidenbahn ist. 

Verf. kommt zu dem Schlüsse, dass wir 2 Faserarten in der Pyramidenbahn 
verlaufend annehmen müssen: 

1. erregende Fasern, welche die willkürliche Bewegung vermitteln und gleich¬ 
zeitig den spinalen Zellen diejenigen Erregungen zuführen, welche zum Zustande¬ 
kommen des Reflextonus unerlässlich sind, 

2. Hemmungsfasern, welche die Muskeloontraction hemmen. 

Anhangsweise hebt Verf. noch hervor, dass, wenn auch nicht in allen, so doch 
in den meisten Fällen von Hemiplegie neben der Hypertonie eine Steigerung der 
Sehnenreflexe besteht, und zwar hauptsächlich in denjenigen Muskeln, die sich in 
Hypertonie befinden. Es scheinen somit Sehnenreflexe und Muskeltonus in naher 
Beziehung zu einander zu stehen. Kurt Mendel. 


21) Klinisoher Beitrag zur Lehre von der Hemianaesthesia altemans , von 
Prof. M. Bernhardt. Vortrag und Krankenvorstellung im Verein für innere 
Medicin in Berlin am 31. Januar 1898. (Deutsche med. Wochenschr. 1898. 
Nr. 10.) 

Die 64jährige, früher gesunde Patienten erkrankte etwa Ende August 1897 
plötzlich apoplectiform ohne Bewussseinsverlust mit starkem Schwindel und Erbrechen. 


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Der Zastand besserte sich nach 2 Tagen, es restirten Schwindel besonders beim 
Blick nach oben, Kältegefühl in der linken Gesichtshälfte, anch sei es mit dem 
rechten Bein nicht ganz richtig. Lähmongserscheinungen fehlten dauernd. Die 
Untersuchung ergab eigentümlich vertheilte Empfindungsstörungen. Im Bereiche 
der linken Gesichts* und Kopfbälfte — ausgenommen die Ohrmuschel und eine 
2—3 Fingerbreite Begion längs und vor dem linken äusseren Ohre — ist die 
Sensibilität herabgesetzt oder im Gebiete des II. und III. Trigeminusastes erloschen, 
die Anästhesie betrifft auch die Schleimhäute. Die Cornea ist trotz Unempfindlich¬ 
keit vollkommen klar. Kein anderer (motorischer) Hirnnerv, auch nicht der moto¬ 
rische Qnintusast ist betheiligt. Am rechten Beine, und zwar besonders intensiv 
am Fuss, Unterschenkel, Knie und unterem Drittel des Oberschenkels eine absolute 
Thermoanästhesie und Analgesie, während die Berührungsempfindung, das Gefühl für 
die Lage der Glieder und deren Veränderung erhalten ist Diese dissociirte Em- 
pfindungsstörung reicht nach oben, allmählich abnehmend, bis zur Inguinalfalte. — 
Sonst vollkommen normaler Befund, keine deutliche Geschmacksanomalie auf der 
linken Zungenhälfte. Verf. nimmt einen Herd (Blutung, Erweichung?) in der Brücken¬ 
haube an, und zwar weist die Betheiligung des linken Quintus auf die Gegend der 
Ursprungs- und Durchgangsstellen der sensiblen Trigeminuswurzeln im linksseitigen 
Haubengebiet hin. Die Sensibilitätsstörungen am rechten Beine erklären sich durch 
die Annahme, dass der Brückenherd nur diejenigen ihn durchziehenden sensiblen 
Bahnen schädigte, welche die Empfindungen von dem gegenüberliegenden rechten 
Bein durch die Hanbenbahn der Brücke zum Centrum leiten. 

B. Pfeiffer (Cassel). 


22) Zur Athetosis bilateralis, von B. v. Krafft-Ebing. Arbeiten aus dem 

Gesammtgebiet der Psychiatrie und Neuropathologie. (1897. Leipzig. J. A. 

Barth.) 

Verf. theilt einen Fall von Athetosis idiopathica bilateralis mit, welche bei 
einem vorher psychisch und physisch gesunden Individuum nach einer starken Er¬ 
kältung auftrat. Neben der Athetose bietet der Fall aber noch folgende interessante 
Functionsstörungen: ein wesentlich auf das Gebiet der Athetose beschränktes Kälte¬ 
gefühl und einen Sensibilitätsausfall, eine Steigerung der tiefen Beflexe, fibrilläres 
Muskelzittern im Krampfgebiet und Herabsetzung der groben Muskelkraft. Verf. 
sieht die idiopathische Erkrankung als corticale Neurose an. Die angewandte Therapie 
(Brom, Galvanisation) zeigte einen deutlichen temporären Erfolg. 

Verf. schliesst noch zwei von ihm beobachtete Fälle von doppelseitiger Athetose 
an, in welchen aber die Athetose wahrscheinlich ein Besiduum einer infantilen 
Gehirnkrankheit war. Kurt Mendel. 


23) Sur r&trophie des os du oötd paralyse dans l’hömipldgie de l’adulte, 

par G. Dejerine et A. Theohari. (Comptes rendus de la soc. de biolog. 

1898. 19 Fävr.) 

Während bei der Hemiplegia centralis infantum die Atrophie oder vielmehr die 
mangelnde Fortentwickelung der Knochen auf der gelähmten Seite regelmässig zu 
beobachten ist, ist ein derartiges Vorkommniss bei der Hemiplegie der Erwachsenen 
bisher noch nicht beschrieben. 

In dem von den Verff. mitgetheilten Falle handelt es sich um eine 49jährige 
Patientin, welche vor 19 Jahren einen apoplectischen Insult erlitt, welcher eine Läh¬ 
mung der rechten Körperhälfte und Aphasie zur Folge hatte. Die Aphasie und die 
Lähmung des rechten Beines nahm allmählich ab, der rechte Arm aber blieb functions¬ 
unfähig und magerte erheblich ab. Zugleich traten sehr erhebliche Schmerzen in 


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dem gelähmten Arm auf. — Bei der Untersuchung mittelst Röntgen-Strahlen wird 
klar bewiesen, dass die auffällige Atrophie der gelähmten Extremität keineswegs 
ausschliesslich die Muskulatur betrifft, sondern dass auch alle anderen Gewebe (Haut, 
Unterhautfettgewebe, Knochen) atrophisch sind. Die Knochen zeigen sich nicht nur 
verkürzt und verschmälert, sondern das Knochengewebe selbs ist auch rareficirt, so 
dass die Durchlässigkeit der Knochen gegen Röntgen-Strahlen erheblich ge* 
steigert ist. 

Ausser durch diese auffällige Atrophie unterscheidet sich der vorliegende Fall 
von einer typischen Hemiplegie auch durch das Vorhandensein der erwähnten anfalls¬ 
weise auftretenden heftigen Nervenschmerzen in dem gelähmten Arm. 

W. Cohn stein (Berlin). 


24) Ueber Fortbestehen von Tie oonvulsif bei gleichseitiger Hemiplegie, 
von A. Habel. Aus der medic. Klinik in Zürich (Prof. Eichhorst). (Deutsche 
med. Wochenschr. 1898. Nr. 12.) 

Eine seit 2 Jahren mit linksseitigem Tic convulsif behaftete Frau bekommt 
plötzlich eine linksseitige Hemiplegie mit Betheiligung des unteren Facialisastes: 
trotz dieser ausgesprochenen centralen Facialislähmung bleibt der Tic bestehen, eine 
bisher nicht beschriebene und interessante Thatsache. Als Ursache des Tic ist am 
wahrscheinlichsten ein reflectorischer Vorgang, ausgelöst von einer Nasenschleimhaut¬ 
entzündung, die zu gleicher Zeit wie das Gesichtszucken auftrat. Die Schleimhaut 
der Choanen ist beiderseits geschwollen und gerötbet. Vielleicht entstand durch 
diese Schwellung ein Reiz der peripheren Quintusfasem, welcher sich durch den 
Reflexbogen fortpflanzte und durch Muskelzuckungen im Facialisgebiete offenbarte 
(? Ref. Einseitiger Tic, doppelseitige Choanenschwellung). — Die Fortdauer 
des Tic in der gelähmten Gesichtshälfte trotz centraler Facialislähmung spricht für 
den peripheren Ursprung des Tic convulsif. R. Pfeiffer (Cassel). 


25) Central entstandene Schmerzen. Ein neuer Fall mit Seetionsbefund, 

von Alfred A. Reichenberg (f). (Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. 1897. 

Bd. XI.) 

Bei einer 72jährigen, mit Atherom behafteten Frau trat nach einer leichten 
Apoplexie Lähmung des linken Facialis und der linksseitigen Extremitäten, sowie 
leichte Sprachstörung auf, doch gingen diese Erscheinungen bald wieder zurück. Von 
dem 4. Tage nach dem Anfalle bis zum Exitus bestanden im linken Arm und linken 
Bein heftige Schmerzen, dabei war die linke Gesichtshälfte und der linke Oberarm 
hyperästhetisch, während das Gefühl im linken Bein herabgesetzt und im Vorderarm 
und Rumpf linkerseits fast ganz erloschen war. Wegen der bestehenden Demenz 
konnte keine genaue Gesichtsfeldbestimmung aufgenommen werden; bestimmte An¬ 
zeichen sprachen indessen für eine rechtsseitige Hemianopsie. Kurz vor dem Tode 
wurde Pat. von einem neuen apoplectischen Insult betroffen, nach welchem grosse 
Erregung und eine nochmalige, linksseitige Facialislähmung auftrat. Bei der Section 
fand sich am Gehirn ausser den gewöhnlichen Altersveränderungen ein Erweichungs¬ 
herd in der rechten Hemisphäre, welcher den grösseren Theil des unteren Scheitel¬ 
läppchens einnahm und nach vorn die sensible Bahn im hintersten Theil der inneren 
Kapsel nahezu erreichte oder gar traf. Die Sehstrahlung wurde nur in ihrem dor¬ 
salen Abschnitt von dem Herd erreicht, im hinteren Theil der inneren Kapsel blieb 
sie fast 1 cm vom Herde fern; ebenso waren die aus dem Hinterhauptsläppchen zum 
Schläfen- und Stimlappen verlaufenden Associationsbündel völlig intact Der Befund 
deckt sich vollkommen mit dem früher von Edinger gegebenen und zeigt auch, 
dass neben Hyperästhesie und Schmerzen in einzelnen Körperteilen, in anderen An¬ 
ästhesie bestehen kann. E. Asch (Frankfurt a./M.). 


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26) Zur Pathologie der Hemiplegieen im Gefolge des Keuchhustens, von 

Dr. Hans Luce, Assistent der medic. Poliklinik in Strassbnrg i./E., z. Zt. 

Assistent am Neuen Allgem. Krankenhause Hamburg. (Deutsche Zeitschr. f. 

Nervenheilk. 1898. Bd. XII.) 

Bei einem 5jährigen Kinde trat in einem typischen Fall von Pertussis links¬ 
seitige Arm- und Beinlähmung auf. Bei der anatomischen Untersuchung des Gehirns 
fand sich hochgradige Hyperämie und Dilatation der Venen und Capillaren. Nirgends 
liessen sich Veränderungen nachweisen, die auf eine Blutung in die innere Kapsel 
oder in die Meningen der Convexität hindeuteten. Verf. nimmt deshalb an, dass 
die im Anschluss an Keuchhusten acut einsetzenden Hemiplegieen nicht durch ana¬ 
tomische Veränderungen bedingt zu sein brauchen. Sie wären demnach den bei 
Tuberculose, Pneumonie, puerperaler Sepsis, chronischer Bleivergiftung, Carcinom- 
kachexie u. s. w. beobachteten Hemiplegieen gleichzustellen und wegen der Vergesell¬ 
schaftung mit corticalen Beizerscheinungen als Bindenlähmung aufzufassen. 

_ E. Asch (Frankfurt a./M.). 


27) Ein Fall von infantiler Hemiplegie nach Diphtherie, von J. Wohl- 

gemuth. (Inaug.-Dissert. 1898. Freiburg i./B..) 

Verf. berichtet über einen Fall von Hemiplegie nach Diphtherie, welcher in der 
Poliklinik von Prof. Mendel (Berlin) zur Beobachtung kam. 21 jähriges Mädchen 
ohne hereditäre Belastung. Zu 8 Jahren Diphtherie, im Krankenhaus Tracheotomie, 
4 Wochen später Exstirpation der rechtsseitigen Submaxillardrüsen; nach weiteren 
8 Tagen war Patientin, als sie eines Morgens erwachte, auf der rechten Seite völlig 
gelähmt; Bewusstsein erhalten, Sprechen unmöglich; später trat Besserung ein, jedoch 
blieb die Sprache dysarthritisch; Patientin will gelegentlich auch jetzt noch manchmal 
nicht das richtige Wort finden können. Seit dem 15. Lebensjahre doppelseitige 
Krämpfe mit Bewusstlosigkeit, Zungenbiss und Enurese. Objectiv: linke Pupille >r.; 
links Opticusatrophie. Parese des rechten VH. Nerven, Lähmung und Beugecontractur 
der rechten oberen und unteren Extremität, Steigerung der Sehnenreflexe rechts. 
Kein nachweisbarer Herzfehler, aber starker Eiweissgehalt des Urins. In Bezug auf 
die Entstehung der Hemiplegie nimmt Verf. an, dass es sich nicht um Embolie ge¬ 
handelt habe, da einerseits nur wenige Fälle von postdiphtheritischer Embolie in der 
Litteratur existiren, und da kein Anhaltspunkt für eine Herzerkrankung sich bei der 
Patintin fand, vielmehr neigt Verf. zu der Annahme einer Hämorrhagie, und zwar 
vor allem auf Grund dreier, von Mendel (Neurolog. Centralbl. 1885. S. 133) be¬ 
schriebener, hierhergehöriger Fälle, von welchen einer bei der Section makroskopisch 
einen kirschgrossen hämorrhagischen Herd im inneren Theil des Linsenkernes und 
den benachbarten Theilen der inneren Kapsel, mikroskopisch capilläre»Hämorrhagieen 
im ganzen Centrum zeigte, woraus die Betheiligung des Gefässapparats bei der 
Diphtherie hervorgeht. Als ein die Hämorrhagie begünstigendes Moment sieht Verf. 
die Nephritis an, die bekanntlich zu einer Steigerung des Blutdrucks führt, dass 
dieses Moment auch in seinem Falle mitgewirkt hat, folgert Verf. daraus, dass bei 
der Patientin einerseits objectiv Nephritis nachweisbar war, und sich andererseits 
anamnestisch ausser der Diphtherie keine anderen ätiologischen Momente für dieselbe 
finden liessen. Die einseitige Opticusatrophie deutet Verf. mit Wahrscheinlichkeit 
als eine Sklerose derselben und macht besonders auf ihr locales Beschränktbleiben 
aufmerksam. Die Epilepsie endlich sieht Verf. als eine Folge der durch die Apo¬ 
plexie entstandenen Gehirnläsion an. Kaplan (Herzberge). 


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28) Case of spaatio hemiplegia of gradual onset, following a severe attaok 

of enterio fever, and terminating ln insanity, by John Lindsay Steven, 

M. D. (Glasgow med. Journ. 1897. March.) 

22jähr. Soldat, war stets gesund gewesen bis Mai 1895. Damals Anfall von 
Enteritis mit zweimonatlichem Krankenlager. Drei Wochen sp&ter bemerkte er 
Schwierigkeiten beim Nähern der Finger der linken Hand gegen einander. Zunahme 
dieser Beschwerden and Schwierigkeit beim Strecken der Finger. Allmählich voll* 
kommene Steifstellung der Finger. Gleichzeitig bekam Pat. Schmerzen in der Spitze 
des linken Fasses beim Gehen. Lues negirt; mässiger Tabaksgenass; keine hereditäre 
Belastung; nie Beschwerden von Seiten des Herzens. Die Untersuchung ergiebt eine 
spastische Parese des Armes and des Beines mit Beugestellang im Ellenbogen and 
Strecksteilung im Knie. Starke Steigerung des Kniereflexes links; rechts ist derselbe 
normal. Sensibilität überall normal, ebenso die inneren Organe. Im Gesicht leichter 
Unterschied der beiden Hälften za Ungunsten der linken Seite. Geringe allgemeine 
Atrophie der befallenen Glieder. Der Pat. wurde im Anfang dieses Jahres von 
geistigen Störungen befallen and bot das Bild einer acuten Manie mit Grössenideeen. 
Der somatische Befund hatte sich so gat wie nicht geändert. Im Laufe der Be* 
handlang im Irrenhause stellte sich heraus, dass die Hemiplegie, welche zuerst für 
eine organische gehalten wurde, eine hysterische war. Die Intensität der Symptome 
war sehr veränderlich, besonders die Beugestellung des Armes schwankte in ihrer 
Intensität; ebenso wechselte der Zustand des Beines sehr. Ferner fehlten dauernd 
gröbere Atrophieen, die elektrische Erregbarkeit blieb erhalten, und schliesslich ver¬ 
schwanden alle Symptome in tiefer Chloroformnarkose, um sofort beim Erwachen des 
Pat. aus der Narkose wieder aufzutreten. Paul Schuster. 


29) Cerebral haemorrhage in a ohild, by Lea. (Brit med. Journ. Febr. 6. 

1897. S. 334.) 

Verf. legt der Manchester pathologischen Gesellschaft das Gehirn eines eben 
plötzlich verstorbenen 12 jährigen Mädchens vor. Das Mädchen war immer gesund 
gewesen, stammt aus gesunder Familie; frei von Syphilis. Wenige Stunden vor dem 
Tode heftiges Kopfweh, wiederholtes Erbrechen; keine Convulsionen. 

Autopsie zeigte Bauch- und Brustorgane gesund; nicht Endocarditis. Am Gehirn 
keine Meningitis. Der linke Seitenventrikel blutgefüllt. Septum lucidum ruptunirt. 
Etwas Blut war auch in den rechten Seitenventrikel und in den dritten ausgetreten. 
Keine Zerreissung der basalen Ganglien. Kein Tumor. Die kleinen Gehimarterien 
völlig normal. Möglicherweise war eine Vene des Plexus chorioideua zerrissen. Der 
Ursprung der Blutung konnte nicht nachgewiesen werden. 

• L. Lehmann I (Oeynhausen). 


30) Hemiplegia (posaibly hysteria) with ankle olonus, by Charles W. Barr. 

(Medicine. 1897. Vol. III. Nr. 10.) 

26jähr. Patient, mässiger Alkoholist, früher stets gesund, niemals syphilitisch 
inficirt, erleidet im September 1892 unter Schwindel und Bewusslosigkeit eine links¬ 
seitige Lähmung, liegt 6 Wochen ohne Besinnung und kommt zu sich mit völliger 
Sprachlosigkeit und Contractur der Kiefer, so dass er den Mund nicht öffnen kann 
und mühsam gefüttert werden muss. Nach 3 Monaten allmähliche Wiederkehr der 
Sprache. Zur Aufnahme kam Pat. im Jahre 1896, da er seit 2 ] / 2 Jahren an eigen¬ 
tümlichen Krampfanfällen leidet Dieselben werden im Krankenhaus als hystero- 
epileptische erkannt. Es besteht ferner ausser der spastischen linksseitigen Lähmung 
Aufhebung des Berührungsgefühls der ganzen linken Seite, das Gesicht ausgenommen, 
sowie Thermanästheaie am ganzen linken Bein und am linken Unterarm und der 


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Hand. Keine Analgesie. Sehr starke Reflexe, links Patellar- und Fussclonus. 
Während der Beobachtung trat einmal nach einem Krampfanfall eine 8 Tage lang 
anhaltende Sprachlosigkeit bei vollkommen normalem Bewusstsein und völlige Be¬ 
wegungslosigkeit auch der rechten Extremitäten, ohne dass eine Lähmung vorhanden 
war, nur spontan bewegte Pat. sich absolut nicht, auf. Beides verschwand nach 
8 Tage plötzlich. Gleichzeitig leichte psychische Alteration. Innere Organe völlig 
gesund. Die Sensibilitätsstörungen variiren ungemein. Leichte Einengung der 
(JeSichtsfelder. Verf. lässt die Frage offen, ob es sich um eine Complication einer 
organischen Erkrankung mit Hysterie handele, oder der gesammte Krankheitszustand 
als hysterisch aufzufassen sei. Martin Bloch (Berlin). 


31) Ueber die therapeutische Anwendung der Elektrioität bei Hemiplegie, 

von Dr. Sieletzkij. (Journal der Nerven- und psychiatr. Medicin. 1897. 

Bd. II. [Russisch.]) 

Yerf. bespricht die bei Hemiplegie angewandten Elektrisationsmethoden, nämlich: 

1. die locale Galvanisation des Kopfes, 

2. die Galvanisation des N. sympathicus auf der Seite des apoplectischen 
Herdes, 

3. die Galvanisation und die Faradisation der gelähmten Muskeln und Nerven 
(Strümpell), 

4. die cutane Faradisation (Erb). 

Auf Grund anatomisch-physiologischer Betrachtungen meint Verf., dass es sehr 
zweckmässig sei, bei Hemiplegieen die beiden Neurone der cortico-muskulären Bahn 
elektrisch zu reizen, damit diese Neurone im Stande wären, die Willensimpulse nach 
den gelähmten Muskeln fortzupflanzen, nachdem der apoplectische Herd theilweise 
resorbirt wird. Man wende zu diesem Zweck Galvanisation des Kopfes an, wobei 
die Kathode entsprechend der erkrankten Hemisphäre, die Anode an das Hinterhaupt 
gestellt werden soll. Ausserdem sollen auch einzelne Muskeln faradisch erregt 
werden, wobei der Strom so stark sein müsse, um deutliche Contractionen hervor¬ 
zurufen. Verf. konnte bei dieser Behandlungsweise günstige Resultate erzielen. 

Edward Flatau (Berlin). 

32) Ueber cerebrale Diplegieen im Kindesalter (Little’sohe Krankheit), 

von Dr. Roberto Massalongo. (Wiener med. Blätter. 1898. Nr. 7—12.) 

Verf. theilt alle bisher bekannten Formen von cerebralen Diplegieen der Kinder 

in folgende Gruppen: 

1. Allgemeine typische Muskelstarre, allgemeine Muskelstarre, leichte Form, bei 
welcher die Symptome weniger accentuirt sind. 

2. Allgemeine Muskelstarre, Forme fruste, bei welcher die Symptome noch 
weniger accentuirt sind, die Muskelstärre sozusagen in einem latenten Zustand sich 
befindet, da sie nur bei gewissen Bewegungen zum Vorschein kommt. 

3. Uebergangsform zwischen der allgemeinen Muskelstarre und der paraplegischen 
Muskelstarre. 

4. Keine paraplegische Muskelstarre. 

5. Paraplegische Muskelstarre mit Hemiparese. 

6. Allgemeine Muskelstarre mit Hemiparese. 

7. Allgemeine Muskelstarre und doppelseitige spastische Hemiplegie. 

8. Doppelseitige Athetose. 

9. Allgemeine spastische Chorea. 

10. Spastische Muskelstarre, mehr oder minder ausgedehnt, combinirt mit Chorea 
oder mit Athetose. 

11. Chorea und Athetose combinirt. 


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Fflr dies© ganze Gruppe schlägt Verf. den Namen Little’sche Krankheit an 
Stelle des von Freud vorgeschlagenen „Cerebrale Diplegieen des Kindesalters“ vor, 
da in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle die Muskelstarre prävalirt, während 
die Lähmung nur ganz ausnahmsweise vorkommt. 

Gegenüber der von Little gegebenen Aetiologie der Krankheit hebt Verf. anf 
Grund eigener und fremder Beobachtungen hervor: 

1. dass die cerebralen Diplegieen des Kindesalters sowohl angeboren als ac- 
quirirt seien; 

2. dass sie durch schwere Geburten und Asphyxie des Neugeborenen hervor¬ 
gerufen werden können, aber von febrilen Erkrankungen höchst wahrscheinlich infec- 
tiöser Natur verursacht werden; 

3. dass die unregelmässige, durch nervöse Affecte gestörte Gravidität auf die 
Entstehung von cerebralen Diplegieen prädisponirt einzuwirken scheint, auch wenn 
die Geburt regelmässig vor sich geht; 

4. dass zwischen dem ätiologischen Momente und der klinischen Form der Er¬ 
krankung kein Zusammenhang besteht. 

Der primäre Vorgang ist nach Verf. eine Meningoencephalitis, hervorgerufen 
durch eine extra- oder intrauterine Infection (Toxicämie). Die übrigen bei Sectionen 
erhobenen Befunde, Hämorrhagieen, Cysten, Sklerose und Atrophie des Gehirns, Por- 
encephalie, Pachymeningitis u. s. w. wären nur Evolutions- oder Degenerationsphssen 
des primären meningocerebralen Vorganges, sei es durch primäre Läsion der nervösen 
Elemente, sei es durch Gefässerkrankungen hervorgerufen, welche von derselben Ur¬ 
sache, der Infection oder Autointoxication abhängen würden. 

Die Läsion des Bückenmarks sei immer secundär, auch in jenen Fällen, bei 
welchen bedeutende Erscheinungen des Gehirns klinisch nicht nachweisbar seien. 
Dass diese secundären Entartungen der Pyramidenbahnen nicht bei allen Sectionen 
nachgewiesen wurden, hänge von der späten Entwickelung dieser Bahnen ab, die oft 
erst im 2. oder 3. Lebensjahre vollkommen entwickelt sind. Der Ansicht van Ge¬ 
buchten’s, dass die spastische Muskelstarre bei Kindern, welche Frühgeburten 
waren, von einer unvollkommenen Entwickelung des Rückenmarks und dem voll¬ 
ständigen Fehlen der Pyramidenbahnen abhängig, also primär spinalen Ursprungs 
sei, tritt Verf. mit der Behauptung entgegen, dass die unvollkommene Entwickelung 
der Pyramidenbahnen wohl die wichtigste Ursache cerebraler Diplegieen, aber nicht 
primärer Natur, sondern die Folge von anatomischen Veränderungen entzündlicher 
Natur, toxisch infectiösen Ursprungs, des Hirnmantels sei. 

Verf. theilt 7 Fälle eigener Beobachtung mit: 

1. Fall. Allgemeine spastische Starre. 

6 Jahre altes Kind. Normale Gravidität und Geburt. Vom 3. Monat Abmagerung, 
Vomitus, Diarrhöen. Einige Monate später bemerkte die Mutter schwere Beweglich¬ 
keit der starren Glieder, Rollen der Augen, geringe Intelligenz. Status 3 Jahre 
später: Normale Seelenbildung, voluminöser Schädel, Nystagmus horizontalis und 
Strabismus internus des linken Auges. Sprache besteht in unarticulirten Lauten. 
Ataxie der oberen Extremitäten, Spasmus der oberen und unteren Extremitäten. 
Beiderseitiger pes varo-equinus, atactisch-spastischer Gang, gesteigerte Reflexe der 
oberen und besonders unteren Extremitäten. Sensibilität und Sinnesorgane normal. 
Kaum merkliche Besserung während des Spitalaufenthaltes. 

2. Fall. Paraplegische Starre und spastische linksseitige Hemi¬ 
parese. 

17jährige Pat.; hysterische Mutter; normale Gravidität und Geburt. Bis zum 
13. Monate gesund. Dann plötzlich hohes Fieber durch einige Tage, epileptiforme 
Anfälle, die sich Jahrelang wiederholten, mit abnehmender Intensität und Häufigkeit 

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Seit 9 Jahren keine Anf&lle. Erst mit 5 Jahren lernte er gehen und sprechen; die 
unteren Extremitäten waren immer in Flexion und Abdnction, die Fasse in Varo- 
equinus-Stellung, der rechte Arm ebenfalls flectirt im Ellbogengelenke. Rechte 
Extremitäten waren am schwersten betroffen. Erregbares, zorniges Temperament 
Die Sprache besserte sich im Laufe der Jahre, war jedoch immer lallend. Gedächtniss 
gut, Schrift unleserlich. Status praesens: Schwach entwickelt, dolichocephaler Schädel, 
abstehende Ohren, halb geöffneter Mund, schwächere Entwickelung der rechten Ge¬ 
sichtshälfte. Hüpfender Gang, wobei die Beine aneinander streifen und der rechte 
Fuss nachschleift. Rechter Arm adducirt, Vorderarm und Hand in Flexionsstellung. 
Sprache schwer, buchstabirend, mit gutturalem Ton. Gute Intelligenz, leichte Myopie. 
Allgemeine Steigerung der Sehnenreflexe. 

3. Fall. Doppelseitige Athetose mit allgemeiner Muskelstarte. 

4 Jahre altes Kind. Vater Alkoholiker. Während der Schwangerschaft sah die 
Mutter einen jungen Athetotiker und nahm davon einen tiefen Eindruck mit. Schwere 
Aufregungen wegen der Trunksucht des Mannes. Schwierige Geburt, das Kind kam 
asphyktisch zur Welt Im Anfänge der 2. Woche bemerkte die Mutter einen Zu¬ 
stand von Muskelstarre am Halse, an den oberen und später auch an den unteren- 
Extremitäten, ferner langsame, aber heftige, im Schlafe sistirende Bewegungen der 
Extremitäten, namentlich der Finger und Zehen. Status praesens: Schädel in der 
linken Occipitalgegend etwas eingedrQckt, halboffener Mund, der häufig unter Mit¬ 
wirkung der Zunge Saugbowegungen macht. Pat. hat nie articulirte Laute hervor¬ 
gebracht. Schlingbeschwerden und daran sich anschliessend Hustenanfälle mit suffo- 
catorischen Erscheinungen. Arme adducirt, Vorderarme flectirt, Athetose der Finger; 
Beine adducirt und leicht extendirt, Varo-equinus, Athetose der Zehen. Im Affect 
erreichen die anormalen Stellungen, sowie die Athetose der Extremitäten bedeutende 
Steigerung, ebenso wie die fast immer andauernde Starre der Muskulatur der Glieder 
und des Halses. Im Schlafe sistiren alle Erscheinungen. Er kann ohne Hülfe nicht 
stehen. Gestützt geht er mit nach hinten gerichtetem Kopfe und Schultern, Gang 
spastisch. Prompter Fusssohlenreflex; die anderen Reflexe wegen der Starre nicht 
zu prüfen. 2 Monate nach der Aufnahme Tod an Bronchopneumonie. Sectionsbefund: 
Beiderseitige Bronchopneumonie, Hypertrophia cordis, Hyperämie und Hypertrophie 
der Leber, Hypertrophie der Milz. Hyperämie der Hirnhäute, Pia an einzelnen 
Stellen den Windungen adhärent, Windungen plattgedrückt, Stirn- und prärolando’sche 
Windungen weiss-grau verfärbt, von erhöhter Consistenz, gerunzelt, weisse Substanz 
daselbst grau verfärbt; leichte Hyperämie der Rückenmarkshäute mit ziemlich be¬ 
deutender Menge von Exsudat im Subarachnoidealraum. Mikroskopisch: Nervenfasern 
der Pyramidenbahnen sehr dünn, nur im Cervicaltheil deutlich degenerirt. 

4. Fall. Doppelseitige Athetose mit paraplegischer Muskelstarre. 

38jähriger Pat. Mutter alte Hemiplegikerin; Gravidität regelmässig, Geburt 

langwierig und schwer. Bis zum Alter von 10 Monaten war das Kind gesund. 
Dann hohes Fieber, Unruhe, Krampfanfalle im Körper und im Gesicht. Diese hörten 
bald auf, danach Paraplegie und Athetose der oberen, in geringem Grade auch der 
unteren Extremitäten. Normale Intelligenz, unarticulirte Sprache, erregbares, zorniges 
Temperament. Später Masturbation. Status praesens: Schleudernde Bewegungen der 
Gesichts-, Mund- und Zungenmuskeln; auch die Augen in fortwährender Bewegung. 
Kopf nach vorn oder seitlich oder nach hinten gebeugt. Athetose der oberen 
Extremitäten und der Zehen. Beine in Adductions- und Flexionsstellung. Gang un¬ 
möglich. Einzelne Muskeln der oberen Extremitäten hypertrophisch. Steigerung der 
Sehnenreflexe. 


6. Fall. Reine doppelseitige Athetose. 

6 Jahre altes Kind, hereditär nicht belastet. Normale Gravidität, langwierige 
Geburt, keine Asphyxie. Nach 10 Tagen Abmagerung, gelbliche Verfärbung der 


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Haut, unruhiger Schlaf, fortwährendes Weinen. Einige Tage später leichte schleu¬ 
dernde Bewegungen erst an Armen und Händen, dann an unteren Extremitäten, zu¬ 
gleich geringer Grad von Muskelstarre. Verschlimmerung im Laufe von Monaten, 
Ausbreitung auf Mund-, Augen-, Zungenmuskeln. Intelligenz gering, Sprache auf 
einige Worte beschränkt. Status praesens: Ausser den oben angeführten Symptomen 
Apathie, Opisthotonus, Arme adducirt, Vorderarme und Hände flectirt, Beine adducirt* 
Varo-equinus, Gang auch bei Unterstützung schwer, Intelligenz gut. 

1 6. Fall. Doppelseitige Chorea-Athetose. 

Mutter des Pat. litt während der Gravidität an hysterischen Anfällen, Vater 
Potator und mit Lues behaftet. Geburt regelmässig, Kind gesund bis zum 4. Lebens¬ 
jahre. Dann plötzlich Fieber, Delirien. Seither konnte er nicht mehr gehen. Die 
unteren Extremitäten flectirt und adducirt, Sprache lallend; Apathie; motorische 
Schwäche der oberen Extremitäten. Dann folgen athetotische und choreatische Be¬ 
wegungen in allen Extremitäten, am Stamme, am Halse und im Gesichte. Keine 
Besserung mit zunehmendem Alter. Bei Tag lag er am Boden und bewegte sich 
kriechend wie eine Schlange, die Extremitäten hin- und herschleudend, den Hals 
beugend oder streckend, die Augen rollend, den Mund verziehend. Nur Intelligenz 
und Sprachvermögen besserten sich etwas. Alle Muskeln spastisch contrahirt, aber 
in mässigem Grade. Steigerung der Sehnenreflexe. 

7. Fall. Angeborene spastische Chorea. 

Gesunde Mutter, Vater Arthritiker. Gravidität und Geburt normal. 7 Tage 
nach der Geburt Fieber mit Icterus. Zu gleicher Zeit choreatische Bewegungen des 
Kopfes und der Extremitäten, in der folgenden Zeit an Stärke und Häufigkeit zu¬ 
nehmend. Lernte erst sehr spät gehen und stehen. Normale Entwickelung der 
Intelligenz, rudimentäre Sprache. Die choreatischen Bewegungen sind in den oberen 
Extremitäten viel ausgeprägter als in den unteren, da hier starker Muskelspasmus 
besteht. Manchmal auch unwillkürliche Bewegungen der Augen und des Mundes. 
Steigerung der Sehnenreflexe. J. Sorgo (Wien). 

33) Ueber cerebral bedingte Oomplioationen, welche der cerebralen 

Kinderlähmung, wie der einfachen Idiotie gemeinsam sind, sowie 

über die abortiven Formen der ersteren, von Medicinalassessor Dr. W. 

Koenig, Oberarzt an der Irrenanstalt zu Dalldorf. (Deutsche Zeitschrift für 

Nervenheilk. 1897. Bd. XI.) 

Der Verf. findet in einer grösseren Anzahl von Fällen den klinischen Unter¬ 
grund für die Anschauung von der engen Zusammengehörigkeit der cerebralen Kinder¬ 
lähmung und der einfachen Idiotie derart, dass ein messender Uebergang stattfindet 
von dem so häufigen Schwachsinn bei der ersten Krankheit zur Idiotie ohne Lähmungs¬ 
erscheinungen (Freud). Bei letzterer kehrt vor allem eine Reihe von Erscheinungen 
wieder, welche sich so häufig der cerebralen Kinderlähmung zugesellen, dass sie als 
„complicatorische Symptome“ bezeichnet werden. Dieses Verhältniss zeigen 30 Fälle 
von Idiotie ohne Lähmungserscheinungen, und zwar treten auf: Epilepsie, choreatische, 
athetotische Bewegungen, Augenmuskellähmungen, Erkrankungen des Sehnerven, 
Strabismus. Andererseits existiren Fälle von „cerebraler Kinderlähmung ohne Läh¬ 
mung“ (Freud), und zwar findet Verf. an der Hand einer grossen Reihe von Beo¬ 
bachtungen anscheinend einfacher Idiotie den Stützpunkt für die Diagnose einer 
Abortivform cerebraler Kinderlähmung vor allem in spastischen Symptomen. Zu den 
Spasmen kommen in einigen Fällen noch Andeutungen von Parese, ferner „compli¬ 
catorische Symptome“, entsprechende anamnestische Daten, und schliesslich stehen 
mehrmals erhobene Sectionsbefunde der Diagnose nicht entgegen. Der Verf. bezeichnet 


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die hierher gehörigen spastischen Erscheinungen als „cerebrale Paraspasmen“, bezw. 
„Dispasinen“, und theilt 14 Fälle der ersteren und 3 der letzteren Art mit. 

E. Asch (Frankfurt a./M.). 


34) Ueber die Westphal’sohe Pseudosklerose und über diffuse Hirn¬ 
sklerose, insbesondere bei Kindern, von Prof. Dr. Strümpell in Erlangen. 

(Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilk. 1898. Bd. XII.) 

Zwei eigenartige Fälle chronisch verlaufender, cerebraler Erkrankungen, deren 
klinisches Bild und Sectionsergebnisso in ausführlicher Weise geschildert sind, werden 
mit zwei von Westphal als Pseudosklerose beschriebenen Beobachtungen verglichen 
und unter eben diese Bezeichnung rubricirt. Sie werden aber gleichzeitig der „diffusen 
Hirnsklerose“ gegenübergestellt, wobei sich wieder sehr enge Beziehungen zwischen 
beiden Krankheitsformen ergeben. Ohne auf die Krankengeschichten und die Sections- 
protocolle der einzelnen Fälle einzugehen, sollen die wesentlichsten Merkmale des 
bisher nur wenig bekannten Krankheitsbildes der Pseudosklerose beschrieben werden, 
wie dies vom Verf. selbst in anschaulichster Weise geschehen ist. 

Der klinische Symptomencomplex und der Gesammtverlauf entspricht im grossen 
und ganzen der multiplen Sklerose. Dieser letzteren einigermaassen fremd ist das 
Auftreten des Leidens im jugendlichen Alter, für das sich übrigens ätiologische 
Momente nicht aufstellen lassen (Lues?). Ferner ist von den Störungen in der 
motorischen Sphäre hervorzuheben die eventuell in Form oscillatorischen, gross- 
schlägigen Zitterns sich manifestirende Bewegungsstörung, sowie das Fehlen an¬ 
dauernder und völliger Lähmungen bei bestehenden spastischen Erscheinungen und 
ausgesprochener Verlangsamung der Bewegung besonders im Gebiet der Sprach- 
muskulatur: Scandirende Sprache. Eine ganze Reihe weiterer Symptome, welche auch 
der multiplen Sklerose zukommen, lässt sich namhaft machen. Verf. weist dann 
noch auf die eventuell zu beobachtende hochgradige Phosphaturie und Acneentwicke- 
lung, ferner auf die normalen Bauch- und Cremasterreflexe hin. Bei der weit¬ 
gehenden Uebereinstimmung des klinischen Bildes mit der multiplen Sklerose muss 
das Ergebniss der anatomischen Untersuchung des Centralnervensystem besonders 
auffallen. Denn hier lässt sich im grossen und ganzen sagen, dass keine Ver¬ 
änderungen bestehen, wenigstens sich nicht deutlich machen lassen. Immerhin ergab 
sich ein Mal eine ganz leichte, undeutliche Degeneration der Pyramidenseitenstränge 
und zwei Mal eine auffallende Consistenzvermehrung der weissen Gehirnsubstanz, 
der aber mikroskopisch nachweisbare Veränderungen nicht zu Grunde gelegt werden 
konnten. Eine ähnliche, nur viel weiter ausgedehnte, derbe, lederartige Beschaffen¬ 
heit des Grosshirns findet man bei der „diffusen Hirnsklerose“, die ferner in ihrem 
klinischen Verhalten und besonders auch in ihrem häufigen Auftreten im Kindesalter 
eine auffallende Uebereinstimmung mit der „Pseudosklerose“ erkennen lässt. 

E. Asch (Frankfurt a./M.). 


36) Ueber diffuse Hirnsklerose, von 0. Heubner. (Charitö-Annalen. 1897. XXII.) 

5jähriger Knabe, aus gesunder Familie stammend, war bis zum Alter von 
3 s / 4 Jahren körperlich und geistig gesund und normal entwickelt, nur dass er spät 
und nicht fliessend sprechen gelernt hat. Hach einem Falle auf den Hinterkopf 
leichte Aenderung seines Wesens, spielte nicht mehr gern, war öfter apathisch. 
*/ 4 Jahre später fiel eine auffallende Trägheit aller Bewegungen auf, der Gang wurde 
taumelnd. Zunehmende Abmagerung. Zunehmende spastische Lähmung der Beine mit 
Streckcontractur in Hüften und Knieen, beiderseits Pes equino-varus. In den Armen 
zuerst starker Intentionstremor, dann auch hier spastische Lähmung. Gleichzeitig 
Schluckstörungen, die derart Zunahmen, dass Pat. schliesslich nur flüssige Nahrung 

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zu sich nehmen konnte. Mit dem Krankheitsbeginn Undeutlicherwerden, spater völliges 
Verschwinden der Sprache, so dass in den letzten 5 Monaten nur noch unverständ¬ 
liches Lallen möglich war. Incontinentia urinae et alvi. Zunehmende Verblödung, 
indessen wird im Krankenhause constatirt, dass bei Annäherung bekannter Personen 
eine Reaction von seiten des Kindes erfolgt; es öffnet die Augen, dreht den Kopf, 
lächelt u. s. w. Kopf und obere Extremitäten fast in fortwährender Unruhe, ersterer 
wie automatisch bin und hergedreht, die Oberarme ebenso abwechselnd gehoben und 
gesenkt; diese Bewegungen sind besonders intensiv, wenn Pat. gewissen vegetativen 
Empfindungen (Hunger, Durst, Stuhldrang u. s. w.) Ausdruck geben zu wollen scheint. 

Das Gebiet des rechten unteren Facialis ein wenig schlaffer als das linke. 
Ophthalmoskopisch Stauungspapille. Gesicht, Gehör, Geruch, Geschmack und Haut¬ 
sensibilität überall intact, desgleichen die Hautreflexe. Patellarreflexe gesteigert. 
Urin ohne abnorme Bestandtheile. Elektrische Untersuchung ergiebt normalen Be¬ 
fund. Unter zunehmendem Verfall der psychischen Functionen und hochgradigster 
Abmagerung, Decubitus, geht Pat. an Bronchopneumonie zu Grunde. Kopfumfang 
war stets normal gewesen, der ophthalmoskopische Befund ergab schliesslich Unter¬ 
gang in Sehnervenatrophie. 

Die Section ergab ein geringeres Volumen des gesammten Grosshirns als normal. 
Klaffen und Verbreiterung zahlreicher Sulci; die so entstehenden Zwischenräume sind 
mit Flüssigkeiten gefüllt, so dass sie an einzelnen Stellen den Eindruck von Cysten 
machen, nirgends aber sind Substanzverluste zu constatiren, sondern nur gleichmässige 
Volumreduction. Beim Schneiden der Hirnsubstanz deutlich vermehrte Resistenz. Die 
gesammte weisse Substanz ungewöhnlich hart, giebt dem eindrückenden Finger nicht 
das Gefühl des Zurückweichens, Farbe ist mattgelb, ähnlich altem Elfenbein. Gcfäss- 
durchschnitte sind nur vereinzelt zu sehen. Auch die graue Substanz ist härter als 
normal, ihre Farbe blassgrau und blassgelblichgrau. Grenze zwischen grauer und 
weisser Substanz viel schärfer als gewöhnlich. Vermehrt ist auch die Consistenz des 
Cerebellums, der Hirnschenkel, des Pons und der Medulla oblong., wenn auch nicht 
in dem hohen Grade, wie es beim Grosshim der Fall ist. Die Verhärtung der Sub¬ 
stanz ist überall vollkommen gleichmässig. Arterien und Nerven der Basis völlig 
normal. Am Rückenmarke zeigt sich vermehrte Consistenz in der Cervicalgegend 
und besonders am Lendenmarke, Zeichnung des Querschnittes überall normal. 

Die histologischen Details sollen anderen Ortes ausführlich mitgetheilt werden. 

Verf. war in Folge der klinischen Beobachtung der Ansicht gewesen, dass es 
sich um einen Grosshirntumor mit consecutivem Hydrocephalus internus gehandelt 
habe, hält indess für möglich, dass er bei genauerer Kenntniss der einschlägigen 
Litteratur vielleicht schon intra vitam die Diagnose einer diffusen Hirnsklerose, wie 
sie von Schmauss, Busse u. A. geschildert worden ist, gestellt hätte. Mit Recht 
hält er seinen Fall für eine werthvolle Bereicherung unserer Kenntnisse über diese 
seltene und ätiologisch wie klinisch noch recht dunkle Krankheit. 

Martin Bloch (Berlin). 

36) Solörose cdrebrale hemispherique: Idiotie, hömiplögie droite et epi- 

lepsie oonsöcutives , par Bourneville. (Arch. de Neurol. 1897. VoL III. 

Nr. 15.) 

Der hereditär schwer belastete Patient war gesund bis zum 5. Lebensjahr, wo 
eines Tags, morgens, heftige Convulsionen von der Dauer von einigen Minuten auf¬ 
traten. Abends wiederholten sich die Convulsionen, betrafen aber nur die rechte 
Seite und dauerten 5 Stunden; von da ab während 3 Monaten täglich Convulsionen 
der rechten Seite, die 1 / 2 —1 Stunde anhielten. Darnach spastische Lähmung der 
rechten Seite, ferner die Zeichen der Idiotie. Vom 13. Lebensjahre an Auftreten 
von klassischer Epilepsie. Tod im 21. Lebensjahr im Status epilepticus. 


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Bei der Autopsie ergab sich Atrophie und Sklerose der ganzen linken Hemi- 
Sphäre, auf welche der Verf. die im 5. Lebensjahr aufgetretenen, lange anhaltenden 
Convulsionen, die Lähmung, die Idiotie und Epilepsie zurückführt. Der Traci opt. 
das Corp. mamillare, der Pedunculus cerebri, die Brücke und Bulbus der linken 
Seite zeigte secundäre Degeneration. — Vier photographische Abbildungen, die die 
Veränderungen des Gehirns gut zur Anschauung bringen, sind beigegeben. 

M. Weil (Stuttgart). 


37) Paraplegie spasmodique infantile, par Virsiola. (Arch. de Neurol. 1897. 
Vol. III. Nr. 18.) 

Die Mittheilung betrifft einen 6jähr. Jungen, der Idiotie, hochgradige Schädel- 
Verbildung und spastische Paraplegie aufwies. Der Vater des Pat. war Alkoholist. 
Der Verf. ist der Ansicht, dass das auf Entwickelungshemmung beruhende Leiden 
des Pat. nicht dem Alkoholismus des Vaters, sondern einem heftigen Schrecken zu¬ 
zuschreiben sei, welchen die Mutter im 5. Monat der Schwangerschaft erlitten hatte. 
Er schliesst dies daraus, dass die vor und nach dem Pat. geborenen Kinder alle 
gesund waren. M. Weil (Stuttgart). 


38) Zur Therapie der Kinderlähmungen. Sehnenüberpflanzung in einem 

Falle spastischer cerebraler Paraplegie (sogen. Little’soher Krankheit), 

von A. Eulenburg. (Deutsche med. Wochenschrift. 1898. Nr. 14.) 

Muskelrigidität, krampfhafte Muskelstarre, ist der am meisten charakteristische 
Zug der cerebralen, spastischen Kinderlähmung. Bei der Genese der Zwangsstellungen 
spielt die „durch die centrale (corticale) Erkrankung bewirkte krankhafte Veränderung 
der von der Rinde ausgehenden, regulirenden Innervationseinflüsse des physiologischen 
Muskelantagonismus“ eine Hauptrolle, und zwar befinden sich meist die Flexoren 
in dem Zustande der Hyperinnervation. Verf. suchte in einem typischen Falle von 
spastischer Gliederstarre die vorhandene spastische Pes varo-equinusstellung, welche 
durch Elektricität, passive Gymnastik nicht wesentlich beeinflusst war, durch Sehnen- 
überpflanzumg zu bessern. Prof. Sonnenburg operirte zunächst am rechten Fusse 
(2. December 1897). — Nach Freilegung der Achillessehne wurde die peroneale 
Hälfte derselben mit einem Stück des Sulcus herauspräparirt und von der ver¬ 
bleibenden Sehnenhälfte, die nachträglich durchschnitten wurde, abgelöst. Bei mög¬ 
lichst übercorrigirter Fussstellung wurde sodann in den vereinigten Sehnen des 
Peroneus longus und brevis eine schlitzförmige Oeffnung angelegt und in dieser das 
abgelöste Stück von Achillessehne und Soleus mit den darunter gelegenen Muskel¬ 
bündeln und den Rändern des Sehnenschlitzes vereint. Fixation des Fusses in 
stark dorsalflectirter und prouirter Stellung durch Gypsverband nach Anlegung der 
Hautnähte. Rasche Wundheilung, keine spastische Innervation, Fuss und Zehen in 
jeder Richtung gut beweglich: bei faradischer Reizung des N. tibialis in der Knie¬ 
kehle pronirende Fussbewegung mit Erhebung des äusseren Fussrandes. Am 18. Januar 
1898 die gleiche Operation am linken Fusse, jedoch ohne Tenotomie des Achilles¬ 
sehnenrestes; guter Erfolg. — Derselbe erklärt sich „durch einen auf centripetalem 
Wege angeregten intercentralen Auslösungsvorgang iu den die antagonistisch-tonische 
Innervation beherrschenden Grosshirnrindengebieten“. — Der Iudicationskreis für die 
Sehnenüberpflanzung umfasst neben den paralytischen Fussdeformitäten auch die 
spastischen, die Zwangsstellungen bei der cerebralen Kinderlähmung, vielleicht auch 
die partiellen Lähmungen nach Hemiplegieen, peripherische Partiallähmungen u. a. 

R. Pfeiffer (Cassel). 


30) Transplantation of tendon for infantile paralysis, by F. S. Eve. (Brit. 
med. Journ. 1898. May 7. S. 1200.) 

Verf. hält in der Londoner klinischen Gesellschaft einen Vortrag über Sehnen¬ 
verpflanzung, um Deformitäten bei infantiler Paralyse zu corrigiren. Die Sehne des 


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gelähmten Muskels wird durch einen Längsschnitt freigelegt, und ein Stück Sehne, 
von einem normalen Muskel genommen, hinein transpl&ntirt. — Bei einem 9jährigen 
Knaben war in Folge von Peroneustrennung (die Sutur der Nervenenden war, ohne 
die beabsichtigte Nervenvereinigung zu erreichen, verlaufen) die Waden- und Zehen¬ 
streckmuskulatur gelähmt. Vom Tibialis posticus wird ein Stück Fasern genommen 
und in die Sehne des Ext. digit. long. inserirt; ferner ein Streifen vom Tendo Achilles 
in die Sehne des Peroneus longus. 

In einem anderen Falle gewöhnlicher Kinderlähmung hatte sich ein hochgradiger 
Talipes equino varus und Pes cavus gebildet, mit vollkommener Lähmung des Peroneus 
long. und des Ext. digit. long., der Tendo Achillis wird verlängert, ferner ein Sehnen¬ 
stück des Tibialis und die Sehne des Ext. digit. long. transplantirt Der Erfolg war 
völliges Verschwinden des Pes equinus. L. Lehmann I (Oeynhausen). 

UI. Bibliographie. 

Physiologie der Hantsinnesnerven, Gesammelte Abhandlungen von A. Gold- 
scheider. (1898. Bd. I. 432 S. 6 Tafeln. [Leipzig. J. A. Barth.]) 

Auf Anregung des Berliner Psychologen, Prof. Stumpf, hat sich Verf. 
zu einer gesammelten Herausgabe seiner Arbeiten auf dem Gebiete der Physiologie 
der Hautsinnesnerven und des Muskelsinnes entschlossen. Der erste Band umfasst 
20 Abtheilangen aus den Jahren 1881 —1891, welche sich grösstentheils mit der 
Physiologie der Hautsinnesnerven beschäftigen; nur die erste Abhandlung vom 
Jahre 1881 beschäftigt sich mit der Lehre von der speciflschen Energie im All¬ 
gemeinen, und zwei kleinere Mittheilungen behandeln einen Fall von Riesenwuchs 
bezw. die Erregbarkeit der einzelnen Geschmackspapillen. Fast alle sind bereits in 
diesem Centralblatte zur Zeit ihres Erscheinens mehr oder weniger eingehend be¬ 
sprochen worden (vergl. namentlich Jahrg. 1886, 8. 173; Jahrg. 1887, S. 176; 
Jahrg. 1888, S. 16, 133 u. 134; Jahrg. 1?89, S. 73 u. 170; Jahrg. 1890, S. 172, 
327, 687; Jahrg. 1891, S. 15, 81, 124 u. s. f.). Heute würde sich nur die Frage 
erheben, wie weit gegenüber der fortgesetzten wissenschaftlichen Forschung diese 
Arbeiten noch werthvoll sind. Diese Frage ist für die meisten zu bejahen. Speciell 
haben die auch an Zahl überwiegenden Arbeiten über die Temperaturempfindungen 
auch heute noch eine fast actuelle Bedeutung, man darf speciell wohl sagen, dass 
die Neuropathologie die in diesen Arbeiten niedergelegten Ergebnisse auch heute 
noch nicht in dem verdienten Umfange ausgenutzt hat Dabei ist selbstverständlich, 
dA88 inzwischen auch einzelne Irrthümer aufgedeckt und berichtigt und manche An¬ 
gaben von anderen Forschern ergänzt und erweitert worden sind. Für die Heraus¬ 
gabe des zweiten Bandes, welcher die Abhandlungen aus dem Gebiete des Muskel¬ 
sinnes enthalten soll, möchte daher Ref. doch vorschlagen, dass Verf. wenigstens an 
den wichtigen Punkten in einer kurzen besonderen Anmerkung auf solche neuere 
berichtigende und ergänzende Arbeiten hinwiese; der Werth dieser Sammlung würde 
hierdurch noch wesentlich erhöht. Auch ohne solche Zufügung ist er nicht gering. 
Psychologen und Physiologen und Neuropathologen werden mit dem Ref. für die 
Herausgabe der gesammelten Abhandlungen dankbar sein. Th. Ziehen. 

IV. Beriohtigung. 

Neurolog. Centralb., Nr. 17, S. 791, Z. 16 von oben, liess: Durchschnittliche Differenz 
beider faradischen Pole 10 mm (statt 20—25 mm). 

Um Einsendung von Separatabdrucken an den Herausgeber wird gebeten. 

Einsendungen für die Redaction sind zu richten an Prof. Dr. E. Mendel, 

Berlin, NW. Schiffbauerdamm 20. 

Verlag von Veit & Comp, in Leipzig. — Diuck von Mbtzgeb & Wittig in Leipzig. 


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Neurologisches Centralblatt. 

Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie 
und Therapie des Nervensystems einschliesslich der Geisteskrankheiten. 


Heraasgegeben von 


Professor Dr. E. Mendel 

Siebzehnter " B * rl,n- Jahrgang. 

Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 24 Mark. Zn beziehen durch 
alle Buchhandlungen des In- und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie 
direct von der Verlagsbuchhandlung. 


1898. 1. October. Nr. 19. 


Inhalt: I. Originalmittheilungen. 1. Veränderungen der Nervencentren nach Aus- 
reissung der Nerven mit einigen Erwägungen betreffs ihrer Natur, von Q. Marinesco. 2. Zur 
Histotechnik ganz beginnender Strangdegenerationen, von Priv.-Doc. Dr. Karl Schaffer. 
3. Ueber einen Hypotkenarreflex, von Dr. F. Holzinger. 

II. Referate. Anatomie. 1. El Bistema nervioso del hombre y de los vertebrados, per 
S. Ramön y Cajal. 2. Sulla cariocinesi delle cellule nervöse, per Q. Levi. — Experimentelle 
Physiologie. 3. Ricercbe egograficke nella donna, per G. C. Ferrari. — Pathologische 
Anatomie. 4. Etüde d’un cas de spina bifida, par Joseph Baylac et Lucien Lag reffe. 5. Ein 
neuer Fall von partieller Verwachsung beider Grosshirnhemisphären, von R. Seeligmann. — 
Pathologie des Nervensystems. 6. Ueber die besondere Form von Hysterie, wie sie in 
allgemeinen Krankenhäusern zur Beobachtung kommt, von V. v. Holst. 7. Ein Fall von kindlicher 
Hysterie unter dem Bilde einer tubercul. Meningitis (Pseudomeningitis hyst.), von L. Blumenau. 
8. Hysterische Sehstörungen im Kindesalter, von IM. Weil. 9. Hysterie infantile en Vendde, 
par F. Ferrier. 10. Beiträge zur Kenntniss der hysterischen Affectionen bei Kindern, von 
Ferdin. Steiner. 11. Einige Worte über infantile Hysterie, von F. Steiner. 12. A case of 
hysterical dysphagia, by Llewellin Eliot. 13. Diagnosis and treatment of spasmodic stricture 
of the oesophagus, by J. C. Rüssel. 14. Trismus hystdrique, persistaut duraut plus de neuf 
roois, par Bidlot (pere) et Francotte. 15. Note sur ia retraction de Paponevrose paimaire, 
par F6r6. 16. Hysterische, systematisirte Contractur bei einer Ekstatischen, von Janet. 

17. Scoliose et torticolis hysteriques. par Mirallid et Chapus. 18. Nevrologia nel distretto 
del plcsso brachiale di natura istcnca; diatesi di contrattura, per Negro. 19. Ueber den 
Husten, speciell den nervösen, Yon Schech. 20. Ueber Pupillenstarre im hysterischen An¬ 
falle nebst weiteren Bemerkungen zur Symptomatologie und Differentialdiagnose hysterischer 
und epileptischer Anfälle, vou Karplus. 21. Hysterical paraplegia in a child, by Simpson. 
22. (Jasuistisohe Mittheilungen, von Glaeser. 23. Des paralysies post-anesthesiques, par 
Schwartz. 2 4. Des perversions de la motilite dans Physterie. Un cas de ckoree rhythmöe 
hysterique chez un komme, par Glorieux. 25. Hysterical double ptosis, by Kiernau. 26. De 
la difficulte du diagnostic de Pappendicite chez les hysteriques, par Rendu. 27. Ekzema 
paimaire chcz unc hysterique, par Montfort et Mirallie. 28. Un cas d’anurie hysterique avec 
elimination supplementaire de Püree, qui a dure pendant douze jours (le 6—18 du mois de 
mai) chez une femmc hysterique, guerie completemeut, par Guisy. 29. Deux observations 
de troubles vaso*moteurs d'origine hysterique, par Nauheimer. 30. Xerostomia (Mouth-Dryness), 
by Sharp. 31. Neuritis iscbiadica, Neuralgia ischiadica und Hysterie. Ein neues dittereutial- 
diagnostisches Symptom nebst einigen Bemerkungen, von Biro. 32. Contributo alla diagnosi 
e alla cura nelle artralgi isteriche, per Bianchi. 33. On cyclone — neuroses aud psyeboses, 
by Bremer. 34. Ueber einen eigenartigen hysterischen Dämmerzustand (Ganser). Casuistische 
Mittheilung von Binswanger. 35. Ueber eineu eigenartigen hysterischen Dämmerzustand, 
von Ganser. 36. Case of acute ataxy of ono lirnb, by Thomson. 37. Neurasthenie, von Ziehen. 
38. Ueber einige Beziehungen zwischen Neurosen und örtlichen Erkrankungen, vou Stern¬ 
bergt 39. Ueber ein Pulsphänoinen bei Neurasthenikern, von Erben. 40. Die moderne 
Ueberbürdung. von Wildermuth. 41. Importanza delf autointossicazioui nelle uevropatie, der 
Agostini. 42. Ncurastheuiseher Hunger, von Benda. 43. Le traiteiueut propbylactique de 
Physterie, par Verhoogen. 44. Ueber die Behandlung von Nervenkranken und Psychopathen 
durch nützliche Muskelbeschäftigung, von Monnier. 45. Die Nervenkrankheiten uud die 

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durch dieselben bedingte Mortalität in der russischen Armee, von Qorschkow. — Psy¬ 
chiatrie. 46. Certain physical signs in melancholia, by Stoddart. 47. Periodische Psy¬ 
chose und Exacerbation von Psoriasis zur Zeit der Erregungszustände, von Fries. 48. Das 
Irrenwesen in Ungarn, von Epstein. 49. Ueber acute Psychosen bei Koprostaste (Delirium 
acutum durch intestinale Autointoxicationen), von v. Sölder. 50. Beiträge zu den Puerperal¬ 
psychosen, von Slegenthaler. 

Hi. Aus den Gesellschaften. Pinska läkaresällskap. 


I. Originalmittheilungen. 

1. Veränderungen der Nervencentren 
nach Ausreissung der Nerven mit einigen Erwägungen 

betreffs ihrer Natur. 

Von G. Marineaeo,' 

Professor an der tnedicin. Facultät zu Bukarest, Chefarzt am Krankenhaus Pantelimon. 

Es ist heute erwiesen, dass die Durchschneidung eines motorischen oder 
sensitiven Nerven in seinem Ursprungscentrum eine Reihe Veränderungen herbei¬ 
führt, welche den von mir als „röaetion ä distance“ (Entfernungsreaction) be¬ 
nannten Process aasmachen. Für mich ist es sicher — und diese Ansicht ist 
seitdem von einer Anzahl Autoren angenommen worden —, dass es sich hierbei 
um Reactionserscheinungen handelt, welche das Zeichen sind für die jedem Neuron 
eigenthümliche Neigung, seine vom Trauma herrührenden Veränderungen zu 
repariren Es würde somit diese „Entfernungsreaction“ keine richtige Degeneration 
sein und die zuerst von mir vorgeschlagene Bezeichnung „NissL’sche Degeneration“ 
würde ihr nicht zukommen. Allerdings habe ich, indem ich mit dieser Be¬ 
zeichnung die Veränderungen benannte, welche die Nervenzelle nach Ausreissen 
eines ihrer Fortsätze erleidet, damit nicht regressive Erscheinungen bezeichnen 
-wollen — das beweist schon der von mir gleichzeitig gebrauchte Ausdruck 
„Reactionsphase“ —, sondern ich wollte einen Unterschied feststellen zwischen 
diesen Läsioneu und denjenigen, welche Forel, Hagen u. s. w. beschrieben 
haben, mit denen sie einige Autoren ungerechtfertigterweise verwechselt haben. 
Andererseits war der Name „NissL’sche Degeneration“, welchen ich durch 
„NiBSL’sche Reactiou“ ersetzen könnte, eine dem Schöpfer der feinen Nerven¬ 
zellenpathologie erwiesene Ehrenbezeugung. Uebrigeus nehme ich mir vor, in 
dieser Arbeit zu zeigen, dass in der Reihe der Veränderungen, welche in der 
Nervenzelle nach der Nervenresection auf einander folgen, ein Zeitpunkt, eine 
Periode auftritt, welche den Namen „Degeneration“ wohl verdient. 

Ich habe 1 die Erscheinungen, welche sich in der Nervenzelle nach Resection 
ihrer Fortsätze zeigen, in 3 Phasen eiugetheilt: 

a) Reactionsphase, 

b) Reparationsphase, 

c) Degeneratiousphase. 

1 Pathologie der Nervenzelle. Presse medicale. 1897. 27. Jan. 

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Die erste dieser Veränderungen ist dank den Untersuchungen von Nissl, 
Marinesco, Ballet u. Dudil, Lugaro, Flatau, van Gehuchten, Sano u. A. 


ti 



gut studirt worden. Sie charakterisirt sich — und dies haben die meisten der 
genannten Autoren bewiesen — durch die Auflösung der chromatophilen Ele¬ 
mente und durch die Verschiebung des Zellkerns, welcher das Centrum verlässt, 
um sich nach der Peripherie zu wenden. Mit Fortschreiten der Reparation 
dieser Veränderungen nimmt der Zellkörper an Volumen zu, der Zellkern nimmt 

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seine ursprüngliche Lage wieder ein, und die Zelle zeigt eine deutliche Pycno- 
morphie (Fig. 1). 

90 Tage nach Durchschneidung des Hypoglossus hat die Hypertrophie der 
Nervenzellen ihr Maximum erreicht. Einige derselben erreichen sogar beträcht¬ 
liche Dimensionen, welche den Namen „Riesenzellen“ rechtfertigen. Zu bemerken 
ist, dass diese letzteren Elemente sich von den Zellen des unversehrten Kerns 
nur durch die Volumsvermehrung unterscheiden; mau könnte von einer hyper¬ 
trophischen Zelle im Zustande deutlicher Pycnomorphie sprechen. 1 Die proto¬ 
plasmatischen Ausläufer dieser Zellen sind ebenso hypertrophiert. Nach 
100 Tagen —> ich spreche immer von den Zellen des Hypoglossuskerns — haben 
die Zellen Neigung auf ihr normales Volumen zurückzugehen. In der That ist 
bei einem Thier, welches 111 Tage nach der Resection getötet wurde, der Unter¬ 



schied zwischen den beiden Kernen nicht mehr so ausgesprochen, und — was 
wichtig ist — die Vereinigung beider durchschnittenen Enden war so voll¬ 
kommen, dass die Spur der Durchschneiduug vollständig verschwunden war. 
Man sieht also bei dem Reparationsprocess nach der Durchschneidung eines 
Nerven das merkwürdige Phänomen sich abspielen, dass die Nervenzelle, statt 
direct zur Norm zurückzukehren, vielmehr ein- hypertrophisches Stadium zeigt, 
welches Iris zum 100. Tage ansteigt, darauf nimmt die Zelle au Volumen ab. 
Herr van Gehuchten hat in seinem Bericht auf dem Moskauer Congress dies 
bestätigt. 

Einzelne Zellen können den Reparationskosteu ihres peripherischen Fort¬ 
satzes nicht genügen und atrophiren oder verschwinden, andere hingegen zeigen 
eine gewisse Menge Energie und überleben so die Durchschueidung ihres Axen- 
eylinders. 

1 Vergl. meinen Bericht auf dem internationalen Congress zu Moskau-, üeber die 
Pathologie der Nervenzelle. 


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Aus diesen Thatsachen zog ich den Schluss, dass die Regeneration der 
peripherischen Nerven der getreue Ausdruck der Reparationserscheinungen ist, 
welche sich in der Nervenzelle abspielen und umgekehrt. 

Wenn also die Nervenregeneration ihren normalen Lauf nimmt, so vollzieht 
sich die Reparation der Zellen in gleicher Weise. Wenn hingegen die Rege¬ 
neration gehemmt ist, so kann die Kraft der Reparation mehr - oder weniger 
vernichtet sein. Die Regeneration der peripherischen Nerven ist also die Function 
der Zellenreparation und letztere hängt von ersterer ab. Wie ist aber diese von 
mir vor mehr als einem Jahre ausgesprochene Meinung zu beweisen, wie kann 
man die Regeneration eines peripherischen Nerven nach seiner Durchschneidung 
hemmen? Dies ist auf sehr einfache Weise durch die Resection eines Nerven 
auf einer langen Strecke möglich oder noch besser, indem man ihn ausreisst. 



Fig. 3. 


Wenn man nun den Hypoglossus bei einem Kaninchen ausreisst, so constatirt 
man folgende Veränderungen: 

Zuerst geht die Reactionsphase sehr schnell vor sich, die Zellen sind 
sämmtlich stark verändert uud befinden sich nach Verlauf von 20 Tagen, statt 
Pycnomorphie mit Schwellung des Zellkörpers zu zeigen, vielmehr im Stadium 
fast völliger Apycnomorphie und alle ihre Theile zeigen Volumsabnahme. Diese 
Zellatrophie erreicht einen beträchtlichen Grad nach Verlauf eines Monats und 
in dieser Hinsicht kann man die oberen Gruppen der Zellen des Hypoglossus- 
kerns und die unteren unterscheiden, indem die Veränderungen weit vor¬ 
geschrittener in letzteren sind. In der That sieht man bei Prüfung eines 
Schnittes in der Höhe des unteren Drittels des Hypoglossus (Fig. 2 u. 3), dass 
die Zellen auf der Seite des ausgerissenen Nerven für die meiste Zeit unsichtbar 
gewordeu oder vollständig verschwunden sind; „unsichtbar*, weil man die 
Spuren nur mit starker Vergrösserung sieht. Hierbei zeigen sich die Zellen 
unter der Form der blassen, atrophirten Elemente (Figg. 4—7); ihr Protoplasma 


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ist einförmig, eher durchscheinend als undurchsichtig; der Kern mit seinem 
ganzen Inhalt ist stark atrophirt, die Ausläufer der Zelle sind vollständig ge¬ 
schwunden oder bis auf weniges reducirt. Zuweilen begleitet sogar diese Atrophie 
eine Aenderung der achromatischen Substanz, was im Inneren der Zelle Con- 



Fig. 4. 



Fig. 5. 



tinuitätstrennungen bedingt. Es ist dies eine schwere Schädigung, auf welche 
ich schon mehrmals die Aufmerksamkeit gelenkt habe. 

Neben diesen blassen Zellen, welche ihrer Blässe wegen mehr oder weniger 
unsichtbar scheinen, findet mau andere, welche sich nicht nur durch ihre 

Atrophie, sondern auch durch ihre dunklere Fär¬ 
bung auszeichnen (Fig. 8: A, U, C, D, E). Hier 
sind Körper und Ausläufer der Zelle stark atro¬ 
phirt und merkwürdigerweise ist der Kern nicht 
in gleichem Grade wie das Zellplasma atrophirt. 
Die dunkle Zellfärbung hängt, von 2 Factoreu 
ab, einmal von dem Zurückbleiben einer gewissen 
Menge chromatischer Substanz im Zellplasma, 
dauu aber auch von der Thatsache, dass sich 
die chromatische Substanz blau färben lässt. 
Gern hätte ich noch näher präcisirt und fest¬ 
gestellt, auf welchen Theil der achromatischen 
Substanz diese Färbbarkeit kommt. Man weissnun 
seit deu Untersuchungen von Cajal, van Gemischten und Makinesco, dass die, 
achromatische Substanz selbst sich aus zwei Theileu zusammensetzt, aus einem 
organisirten, fibrillären, reticulären Theile und einer amorphen Grundsubstanz. 
Die Färbbarkeit dieser letzteren in den verschiedenen pathologischen Zuständen 
steht ausser Zweifel nach den Forschungen aller derer, welche sich mit der 
feineren Pathologie der Nervenzelle beschäftigt haben, seitdem Nissl hierauf 
die Aufmerksamkeit gerichtet hat. 

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Fig. e. 


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Vielleicht verdankt nun, doch möchte ich diese Meinung nur mit grosser 
Reserve aussprechen, die achromatische Substanz ihre Färbung der Retraction 
des fibrillären Netzes der Nervenzelle. 



Fig. 9. 


Ich wäre umsomehr geneigt diese Ansicht zuzulasseu, als ich gezeigt habe, 
dass wenigstens für die Spiualganglieu — und hier trenne ich mich von meinem 



Fig. 10. Fig. 11. 


verehrten Collegen Dr. Nissl — der als „Chromophilie“ bezeichnete Zustand 
zum grossen Theil von der Dichtigkeit des Netzes des Zellplasma abhängt. 
Wäre die Retraction im pathologischen Zustaud 
bewiesen, so würde diese Erscheinung einiges 
Lieht auf die so lange bestritteneu amoeboiden 
Eigenschaften der Nervenzelle werfen. — Die 
Zellen, welche sich im oberen Theile des Kerns 
befinden, sind zwar deutlich atrophirt, haben 
aber ihre gewöhnliche Form bewahrt (Fig. 9). 

Es sind also die von den chromatischen Ele¬ 
menten entblössteu protoplasmatischen Aus¬ 
läufer verdünnt, kürzer als gewöhnlich (Figg. 10—12). Will mau sie zählen, 
so findet man ihre Zahl geringer als bei den Zellen des unversehrten Kerns. 
Das Centrum der Zelle ist blass und einförmig, die chromatische Substanz bietet 



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sich in Form von unregelmässigen Körperchen dar, die an der Peripherie der 
Zelle in Zügen oder um den Kern herum in Form eines unvollständigen Kreises 
oder eines Halbmondes vertheilt sind. Der Kern selbst ist atrophirt, seine Membran 
zuweilen gefaltet; er liegt excentrisch. Hier möchte ich noch erwähnen, dass 
die intranucleären Körperchen, welche Bab^s unter dem Namen „metachro¬ 
matische Körperchen“ beschrieben hat, atrophirt, verschwunden sind. 

Um die Unterschiede zwischen den Kernveränderungen nach Durchschneiden 
und nach Ausreissen des Hypoglossus besser zu erkennen, möge der Leser die 
Figuren 1, 2 und 9 miteinander vergleichen. Die erste stellt in R die Kern- 
zellen in Reparation dar; dieselben sind hypertrophisch, im Zustand der Pycuo- 
morphie. In Fig. 2, wo der Nerv links ausgerissen ist, sind die meisten Zellen 
verschwunden, der Rest besteht aber aus blassen, atrophirten Zellen. In Fig. 9 
endlich sind die Zellen des Kerns auf der lädirten Seite deutlich atrophirt, haben 
aber ihre gewöhnliche Form bewahrt. 

Diese Resultate der experimentellen Pathologie vermögen Licht zu werfen 
auf die Natur der Läsionen, welche man im Rückenmark bei Amputirten beo¬ 
bachtet. Die Forschungen von Hayem und Gelbeet, von Edingeb, von Kbause 
und Fbiedländeb und meine eigenen 1 haben die Thatsacbe sichergestellt, dass 
nach Amputation gewisse Zellgruppen vollständig verschwinden. Nach meinen 
Forschungen verhindert nun die Resection der Nerven oder vielmehr das Aus¬ 
reissen (denn die Vereinigung beider Enden ist nicht mehr vorhanden) die 
Reparation der Reactionsveränderungen der Nervenzelle und hat dann den Tod 
der Zelle zur Folge. Uebrigens bestätigen nicht nur diese erwähnten älteren 
Forschungen meine Ansicht, sondern auch ein neuerer, jetzt erst von mir beo¬ 
bachteter Fall. Im Lumbalmark eines an den Folgen einer Beinamputation 
Gestorbenen (der Tod erfolgte nach einem Monat), sah ich die Nervenzellen im 
Reactiousstadium ohne irgend eine Spur von Reparation; im Gegentheil, es 
zeigten sogar einige Zellen einen leichten Grad von Atrophie. Das Gleiche 
konnte ich an Präparaten constatiren, welche Herr Sano d’Anviees mir in 
liebenswürdiger Weise übersandt hat, und welche vom Rückenmark Amputirter 
stammen. 

Beim Amputirten — ebenso wie beim Thier, welchem man einen Nerven 
ausgerisseu hat — folgt auf die Reactionsphase nicht Reparation. All’ dieses 
beweist, dass die völlige Reparation der centralen Läsionen nur nach Wieder¬ 
herstellung der Continuität des Nerven statthat; dies ist aber bei Amputation 
und Aussreissen der Nerven nicht der Fall. Trotz der grossen Achtung für 
Xissl kann ich daher auch seinen Folgerungen nicht beipflicbten, dass es 
nämlich ganz gleichgültig sei, ob es sich um Durchschneiden, Resection oder 
Ausreissen eiues Nerven handle. 2 Doch muss ich hinzufügen, dass der Heidel- 

1 Ueber Veränderungen der Nerven und des Rückenmarks nach Amputation. Neurolog. 
Uentralbl. 1892, S. 463 und Lesions de la moölle epiniere dans un cas d’amputatinn con¬ 
genitale des doigts, par Soüques et Mabinesco. Presse medicale. 1897. 2. Juni. 

2 Ueber eine neue Untersucbungsmethodc des Centralorgans speciell zur Feststellung 
der Localisation der Nervenzellen. Centralbl. f. Nervenheilk. 1894. Juli-Heft. 

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berger Gelehrte die Kernatrophie nach Ausreissen einer Complication zuschreibt. 
So wenigstens erklärt er die FoitEL’schen Experimente, nach welchen die Durch¬ 
schneidung des Facialis an seinem Ursprung Kernatrophie bedingt, während die 
einfache Durchschneidung ausserhalb des Schädels nicht gleiche Veränderungen 
zur Folge hat. 

An der Hand dieser Resultate könnten wir gleichfalls die so bemerkens- 
werthen Resultate der GuDDEN’schen Methode deuten. Bekanntlich riss der 
grosse Gelehrte bei jungen Thieren Nerven aus und constatirte dann eine 
Atrophie des Ursprungskerns dieser Nerven. Um diese Thatsache, welche mit 
dem W alles’ sehen Gesetz scheinbar nicht in Einklang zu bringen war, zu er¬ 
klären, bezog er diese Veränderungen auf das Alter des Thieres, während bei 
dem ausgewachsenen Thiere das Centrum angeblich intact bleiben sollte. Letztere 
Behauptung ist nun aber — wie sich gezeigt hat — ungenau; die Forschungen 
von Nissl, meine eigenen, ferner diejenigen von Ballet und Dutil, von Lugowet 
haben in evidenter Weise bewiesen, dass auch beim ausgewachsenen Thiere die 
Nervencentren nach der Nervendurchschneidung reagiren. Es besteht demnach 
zwischen dem ausgewachsenen und dem jungen Thiere nur ein Gradunterschied, 
indem ersteres schneller als letzteres reagirt. Wir müssen also anerkennen, dass 
das Charakteristische für die durch die GüDDEN’sche Methode erhaltenen Resultate 
die Art und Weise ist, wie man auf den Nerv einwirkt; und zwar führt das 
Ausreissen des Nerven die von Gudden angegebenen Folgen herbei. 

Was das Historische bei dieser Frage anbetrifft, so muss ich einige inter¬ 
essante Daten anführen. Forel, welcher interessante Untersuchungen über die 
Läsionen nach Nervendurchschneidungen gemacht hat, behauptete, dass nach Aus¬ 
reissen des Facialis bei einem ausgewachsenen Thiere das Resultat das gleiche 
ist, wie beim neugeborenen Thiere: das Ursprungscentrum verschwindet. Aller¬ 
dings kommt nach diesem Autor dass Ausreissen eines Hirnnerven seiner 
Durchschneidung an der Schädelbasis gleich, da nach seiner Meinung das Aus¬ 
reissen dieses Nerven nicht das Ausreissen seiner Wurzeln zur Folge hat. 
Uebrigens ist vor diesem Autor Gudden selbst auf seine Ansicht zurückgekommen 
und hat zugegeben, dass bei seinen Experimenten nicht nur das Alter des 
Thieres, sondern auch die Stelle, wo der Nerv durchschnitten wird, eine Rolle 
spielt. 

Es ist vorläufig schwer zu sagen, ob das Ausreissen eines Nerven von dem 
Ausreissen seiner Wurzeln begleitet ist; jedenfalls aber würde diese Beschädigung 
nur den Axeucylinder betreffen, während die protoplasmatischen Ausläufer intact 
bleiben müssten; nun sind aber letztere in Wirklichkeit — wie wir gesehen 
haben — atrophirt. 

Man sieht also den Unterschied zwischen einem Nervencentrum, bei dem 
man den Nerv durchschnitten, und einem anderen, bei dem man denselben 
Nerv ausgerissen hat. Im ersten Falle bieten die Nervenzellen nach 30 Tagen 
einen Zustand von deutlicher Pycnomorphie oder Hyperchromatose mit Ver- 
grösserung des Zellleibes dar, im zweiten Falle ist die Zelle vielmehr atrophirt 
und die Chromatose auf Null reducirt. 


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Was also die Veränderungen der Nervencentren nach Ausreissen der Nerven 
charakterisirt, ist einerseits die vorzeitige Reaction, andererseits die Irreparabilität 
der Läsionen, was das Verschwinden der Nervenzellen nach einem Atrophirungs- 
und Degenerationsprocesse zur Folge hat; da die Nervenzelle hier viel mehr 
auszuhalten hat als nach der Nervendurchschneidung, so erfolgte der Tod des 
Neurons. 

Eine andere wichtige Folgerung aus diesen Experimenten ist die bedeutende 
Ungleichheit in der Reaction der Zellen. Diejenigen an dem unteren Theile 
des Hypoglossuskerns sind atrophirt oder sogar verschwunden, während diejenigen 
des oberen Theils weniger verändert sind. 


[Mittheilung aus dem histolog. Laboratorium des hauptstädt. Siechenbauses 

„Elisabeth“ in Budapest] 

2. Zur Histotechnik ganz beginnender Strangdegenerationen. 

Von Priv.-Doc. Dr. Earl Schaffer, 

Ordinarius des Sicchenh&uses. 

Im Processe der secundären Degeneration pflegen wir bekanntlich zwei 
Stadien zu unterscheiden. Die jüngere Phase besteht im floriden Markzerfall, 
d. h. in der Decomposition der Markscheiden, wodurch die Myelintropfen und 
Kugeln zu Stande kommen; das empfindlichste Reagens dieses Vorganges bildet 
Makohi’s Osmiobichromatgemisch, welches die Zerfallproducte intensiv schwarz 
färbt. Werden im späteren Verlaufe die Markschollen sowie die ebenfalls zer¬ 
fallenen Axencylinder aufgesaugt, so entsteht an der Stelle des secundär entarteten 
Stranges eine functioneil leere Bahn, welche nur durch Gliamaschen gebildet ist. 
Letztere hyperplasiren zumeist secundär und lassen somit eine Stelle im Central- 
uervensystem entstehen, welche ausschliesslich aus Stützsubstanz besteht. Dieses 
ältere Stadium der secundären Degeneration ist jenes der Gliahyperplasie und 
wird bekanntlich durch Weigebt’s Hämatoxylinfärbung zur Darstellung ge¬ 
bracht. Es sei jedoch nachträglich bemerkt, dass beide Entartungsstadien sich 
einfach am, in Müller’s Härtungsflüssigkeit eonservirten Präparate ebenfalls 
kenntlich machen. Am Querschnitte z. B. des Rückenmarks springt die secundär 
degenerirte Bahn durch ihre hellere Färbung sofort in die Augen; die sepia- 
braune normale Umgebung bildet eine auffallende Farbendifferenz gegen die 
licht-ockergelbe, degenerirte Stelle. 

Somit ist die secundäre Degeneration durch den zuerst auftretenden Mark¬ 
zerfall und den später einsetzenden Markschwund charakterisirt. Bekanntlich 
aber geht dem Markzerfall ein noch früheres Stadium der Entartung voran, 
welches in der Quellung und Aufblähung der Markhülle besteht. Zu dieser 
Zeit kommen die allbekannten Yaricositüten der markhaltigen Fasern zu Stande; 

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die Markhülle nimmt iu diesem Zustande die Hämatoxylinfarbung noch an, 
wenngleich nicht so exact wie das gesunde Mark. Am Querschnitt sehen wir 
dann neben dem regelmässigen runden, tiefblau oder schwarz tingirten, normalen 
Markringe noch aufgedunsene vergrösserte Scheiben, deren Peripherie einen sehr 
schwach gefärbten, also hellblauen dünnen Saum aufweist. Diese ganz beginnende 
Degeneration des Marks, welche durch die Markquellung unter dem Mikroskop 
so leicht erkenntlich ist, erweist sich gegen Mabchi’s Osmiobichromat voll¬ 
kommen indifferent. Die Frage, ob gequollenes Mark auf Osmium reagirt, Hess 
C. Mayer 1 offen; auf Grund meiner Erfahrung vermag ich diese Frage ent¬ 
schieden zu verneinen. Mayer sagt nämlich: „Ob zum Zustandekommen der 
MARCHi’schen Reaction die Quellung der Markscheiden allein genügt, oder ob 
einzig ihre Zerfallproducte es sind, die sich in der MARcm’schen Lösung 
schwärzen, vermag ich (an den Querschnitten) nicht zu entscheiden.“ Hingegen 
erscheint nach Härtung in Müller’s Flüssigkeit oder in 5 °/ 0 Kalium bichromi- 
cum eine solche ganz beginnend degenerirte Stelle des Centralnervensystems 
ockergelb, sticht somit von der braunen normalen Umgebung lebhaft ab. 

Eine ganz beginnend degenerirte Bahn verräth sich daher bereits nach 
vollzogener Härtung, also am Rückenmarke nach 6—8 Wochen bei Conservirung 
in Zimmertemperatur. Hervorzuheben ist, dass die Grenzen einer also ent¬ 
arteten Bahn am gehärteten Präparate mit auffallender Schärfe uns entgegen¬ 
treten, somit lässt sich bereits ohne Mikroskop, einfach mit dem unbewaffneten 
Auge, höchstens mit Lupe die Diagnose einer ganz beginnenden Strangdegeneration 
machen. Um so misslicher ist es aber, dass die Fixirung einer solchen ganz 
beginnend entarteten Bahn am Schnittpräparate bisher nicht gelang, da die 
üblichen Methoden, wie Marohi’s Osmiobichromat, welches wir bereits nach 
3—4 wöchentlichem Härten im Falle von floridem Markzerfall im positiven Sinne 
anwenden, ferner Weigert’s Kupferhämatoxylin, welches im Falle von be¬ 
endeten Markzerfall die entartete Bahn im negativen Sinne zur Darstellung 
bringt, resultatlos bleiben. Mit Mabchi’s Gemisch färbt sich die ganz be¬ 
ginnend degenerirte weisse Nerven Substanz gleichmässig gelblichbraun, mit 
Weigert’s Hämatoxylin eintönig tiefblau, ohne eine, sei es makroskopisch oder 
auch unter dem Mikroskope erkennbaren Differenzirung nach scharfen Grenzen 
von der normalen Nervensubstanz. 

Dieser Umstand machte sich im Verlaufe meiner Untersuchungen über die 
paralytische Hinterstrangserkraukung sehr unangenehm fühlbar. Mit letzteren 
beschäftigt, hatte ich mehrere Fälle zu Gebote, in welchen nach Bichromathärtung 
die ausgesprochenste Degeneration zum Vorschein trat, doch letztere nach Marchi 
oder Weigert zu lixiren, misslang total, da die Entartung eben im ganz be¬ 
ginnenden Stadium sich befand, in welchem, wie oben bemerkt, diese Methoden 
uns in Stich lassen. Den Mangel einer entsprechenden histologischen Technik 
empfand ich um so lebhafter, da der Hinterstrang einiger Paralytiker die ex- 


1 Zur patliolog. Anatomie der Riiekenmarkshinterstränge. Jahrbücher lür Psychiatrie. 
XIlf. S. TH. 


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quisitesteu Bilder der FLECHSio’schen fötalen Gliederung darbot; in Anbetracht 
der bekannten Divergenz der fötalen Gliederung von der topographischen oder 
degenerativen Wurzelgliederung, sowie Angesichts der noch strittigen Bedeutung 
der fötalen oder systematischen Gliederung der Hinterstränge unter pathologischen 
Verhältnissen hatte ich allen Grund die oben genannten Bilder der paralytischen 
Hinterstrangsdegeneration am Schnittpräparate zu fixiren. 

Bei diesen Bemühungen ging ich vor Allem von dem Bestreben aus, die 
ganz beginnend degenerirte Stelle des Hinterstrangs im positiven Sinne zur 
Darstellung zu bringen, d. h. ich wollte einer electiven Färbung des ganz be¬ 
ginnend entarteten Marks auf die Spur kommen. Meine Versuche mit Saffranin 
misslangen; es erschien mir daher viel mehr Erfolg versprechend, eine Tinction 
zu finden, welche allein das gesunde Mark färbend, die degenerirte Stelle un¬ 
berührt lässt. In dieser Beziehung erhielt ich einen deutlichen Fingerzeig durch 
die Härtung in MüLiiER’scher Flüssigkeit. Es ist wohl zweifellos, dass die 
braune Färbung der weissen Substanz auf einer Verbindung zwischen Nerven¬ 
mark und Bichromat beruht (s. besonders Weigert’s diesbezüglichen Aus¬ 
führungen); hebt sich daher bereits am einfach gehärteten Präparate mit Hülfe 
der Bichromatbeize das normale Mark vom degenerirenden ab, so musste ich 
mir nur die Aufgabe stellen, die Bichromatreaction des normalen Marks noch 
intensiver zu gestalten. In dieser Beziehung kam mir zur Hülfe die allbekannte 
histologische Thatsache, dass Makchi’s Gemisch an vollgehärteten Objecten 
die gröbere Markfaserung deutlich, etwa einem schwachen WEiGERT’schen Prä¬ 
parate äquivalent, zum Vorschein bringt, während andererseits gleichfalls bekannt 
ist, dass das Osmiobichromatgemisch an schwachgehärteten, aber für die 
typische Marchi- Reaction vollkommen ausreichende Objecte eine derartige 
Differenzirung nicht zu Stande bringt Man überzeugt sich dabei leicht davon, 
dass dieser Unterschied in der Keaction dadurch bedingt wird, dass das Osmium 
am vollgehärteten Objecte lauter Nervenfasern trifft, welche bereits die Ver¬ 
bindung des Nervenmarks mit Bichromat enthalten und gegen letztere besitzt 
das Osmium eine entschieden grössere^ Affinität als gegen ein solches Nerveu- 
mark, welches diese Verbindung noch nicht einging, wie dies im schwach¬ 
gehärteten Marke enthalten ist Das Osmium vertieft, gestaltet gesättigter die 
gelblichbraune Bichromatfarbung des Nervenmarks, so dass letzteres dunkel¬ 
braun, stellenweise schwärzlich erscheint. Eine Grundbedingung zu dieser 
Keaction ist aber die ganz beendete Härtung; je älter diese, um so 
besser gelingt die Reaction. Ueberhärtete Objecte geben die sicherste Reaction; 
doch da die brüchige Consistenz derselben das Osmium nur noch vermehrt, so 
empfiehlt es sich, die Durchtränkung mit Celloidin in vollkommenster Weise 
vorzunehmeu. 

Mein Vorgang besteht daher im Falle ganz beginnender Strangdegeneration 
darin, dass das 3 eventuell 4—6 Monate gehärtete Rückenmark in ganz dünne 
Scheiben geschnitten, in Makchi’s Gemisch auf 1 Woche gelegt wird; rathsam 
ist es, inzwischen die Flüssigkeit einmal zu wechseln. Nun kommen die Scheiben 
in täglich frisch erneuertes Wasser; auf diese Art wasche ich das überschüssige 

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Osmiobichromat in gründlichster Weise aus; die Haltbarkeit der Präparate 
hängt davon ab. Diese Auswaschung soll zumindest 1 Woche dauern; ge¬ 
schieht sie 2 Wochen hindurch, um so besser. Hiernach folgt die übliche Ein¬ 
bettung mit Celloidin, welche, um gute Schnitte zu erhalten, tadellos vor¬ 
genommen werden soll, Schuittdicke 40—50 fi. — Sollte trotz der ein wands¬ 
freien Celloidindurchtränkung der Schuitt brüchig sein, so wende man die 
DuvAi/sche Collodionage de surface an. Der Schnitt wird mit Weigert’s 
Colloidiumplatten weiter behandelt, welche die bei der Entwässerung und Auf¬ 
hellung möglichen Insulte fernhält. Da die angegebene Methode wesentlich auf 
einer Verstärkung der normalen Markbichromatverbinduug durch das Osmium 
beruht, so war es von Interesse, ob Azoclay’s Osmiumfärbuug nicht denselben 
Dienst leiste wie das MABGHi’sche Gemisch. Meine diesbezüglichen Coutroll- 
versuche au demselben Material lehrten aber, dass die erwünschte Reaction mit 
Azoulay nicht zu erzielen ist, da das ganz beginnend degenerirte Mark sich 
mit Osmium-Tannin ebenfalls wie mit Hämatoxylin färbt. 

An einem also behandelten Schnittpräparate hebt sich so makro- wie mikro¬ 
skopisch die gesunde Partie scharf von der ganz beginnend degeuerirten ab und 
zwar dadurch, dass letztere gleichmässig gelb 
erscheint, während die eng aneinander ge¬ 
reihten gesunden markhaltigen Nervenfasern 
ein Feld bilden, welches dunkelbraun gefärbt, 
lebhaft von der beginnend degenerirteu Partie 
absticht. Wie auffallend die Differenz ist, 
erlaube ich mir durch beigefügtes Photo¬ 
gramm 1 zu versinnlichen. Dasselbe stellt 
das obere Lendenmark aus einem Falle von 
vorgeschrittener Paralyse dar; der Vorderseiten¬ 
strang zeigt eine Rauddegeneratiou, ausser wel¬ 
chen aber im Hinterstrang genau jenes Feld ganz 
beginnend degenerirt zu sein scheint, welches zuerst Flechsig als hintere mediale 
Wurzelzone beschrieb. Vergleichen wir mein Bild mit Flechsig’s Abbildung 8 
in seiner Arbeit „Ist die Tabes dorsalis eine Systemerkrankung* 4 , 2 so fällt sofort 
die vollkommenste Uebereinstimmuug zwischen beiden auf. Ohne mich in deren 
Deutung eiuzulassen, da dies an anderem Orte geschehen soll, hebe ich nur 
hervor, dass eben die paralytische Hinterstrangserkrankung sehr oft in diesem 
frischesten Stadium zur Untersuchung kommt und da ist es von Belang, die¬ 
selbe au Schnittpräparaten fixirt zu haben. Wir sehen nämlich im paralytischen 
Hinterstrang Felder, welche aus lauter geblähten Markscheiden bestehen; Myelin¬ 
tropfen sind noch nirgends zu erblicken. Die also degenerirte Stelle befindet 
sich im Stadium der Markquellung und lässt sieh am Schnittpräparate auf oben 
angegebene Weise klar demonstriren. Für Makchi’s Methode ist dieses De- 

1 Dasselbe verdanke ich der geschickten Hand des Herrn Ferdinand Kern, Assistent 
am staatlichen bakteriolog. Institute des Herrn Prof. Hugo Preisz. 

* Neurolog. Cent albl. 1800. S. 78. 

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generationsstadium noch nicht reif. Die entartete Partie erscheint im hellgelben 
Tone fast homogen, während die benachbarte gesunde Marksubstanz aus bräunlich¬ 
schwarzen Ringen gebildet wird. 

Immerhin bekenne ich, dass das Ideal der technischen Darstellung der 
positive Nachweis der ganz beginnenden Degeneration wäre, d. h. wir sollen 
eine elective Färbung derselben anstreben. Mit meiner oben angeführten 
Anwendung des MABCHi’schen Gemisches gelangt die incipienteste Mark-r 
degeneration im negativen Sinne zur Demonstration, da letztere nur durch 
die elective Färbung des gesunden Marks sich abhebt. 

Meines Wissens wurde das Osmiobicbromat im obigen Sinne noch nicht 
angewendet, wenigstens finde ich z. B. in Pollack’s Färbetechnik des Nerven¬ 
systems (2. Auflage) davon keine Erwähuuug. 


[Aus der Klinik von Prof. v. Bechtebew.] 

3. Ueber einen Hypothenan*etiex. 

Von Dr. P. Holzlager. 

Mau wird sich leicht überzeugen können, dass ein Druck auf die Gegend 
des Erbsenbeins, besonders wenn er in distaler Richtung ausgeübt wird und 
die Finger der zu untersuchenden Hand etwas gebeugt sind, mit einer Falten- 
hildung in der Haut des ulnaren Handrandes beantwortet wird. Diese Er¬ 
scheinung ist bei verschiedenen Leuten dem Grade nach verschieden, aber immer 
handelt es sich um die Bildung einer geradlinigen oder bogenförmigen Furche, 
oder auch um mehrere furchenartig angeorduete Falten am Hypothenar. 

Es dürfte kaum zweifelhaft sein, dass es sich hierbei um eine Reflex¬ 
bewegung seitens des M. palmaris brevis handelt, welcher an der betreffenden 
Stelle der Haut inserirt. Die Contraction ist nicht eine kurzdauernde Zuckung, 
sondern dauert mehr oder weniger so lange, als der Druck anhält, ihre Intensität 
hängt von der Druckstärke ab und häufig wird sie von einer deutlichen, und 
sogar unangenehmen Empfindung begleitet. Hält der Druck läugere Zeit (einige 
Monate) an, so lässt sich in gut ausgesprochenen Fällen beobachten, dass im 
Gebiet der Furche einzelne Zuckungen auftreten, wobei die erwähnte unangenehme 
Empfindung zunimmt, und nach und nach beginnt die Furche zu verschwinden. 
Verstärkt man während dieser Zeit den Druck, so bildet sich die Furche von 
neuem, aber auf kürzere Zeit. 

In einigen Fällen gelingt es auch, den Reflex von der palmaren Carpal¬ 
gegend durch Druck auf die sehnigen Gebilde derselben auszulösen, ferner durch 
Zusammendrücken der Kuppe des kleinen Fingers in radio-ulnarer Richtung, 
und, wie eine Selbstbeobachtung zeigt, durch passive Adduetion sogar des ge¬ 
streckten kleinen Fingers. Es muss übrigens erwähnt werden, dass die an- 


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geführten reflexogenen Stellen sich bei verschiedenen Personen verschieden ver¬ 
halten, im allgemeinen scheint mir aber ein Druck auf das Erbsenbein am 
wirksamsten zu sein. 

Der beschriebene Ketlex wird auch in allen seinen Einzelheiten, aber be¬ 
deutend schwächer durch Nadelstiche in die Haut der Erbsenbeingegend hervor¬ 
gerufen, wobei der betreffende Hautbezirk ungefähr mit dem Verbreitungsgebiet 
des N. palmaris ulnaris zusammenfällt. Dagegen bleibt das Kneifen einer Haut¬ 
falte meistens wirkungslos, ebenso rufen tactile und thermische Reize, der Haut 
applicirt, keine Reaction von Seiten des M. palmaris brevis hervor. Was die 
Stichreize aulaugt, so muss übrigens erwähnt werden, dass etwas stumpfere 
Nadeln, welche beim Stich gleichzeitig einen Druck auf tiefere Gebilde ausüben, 
entschieden energischer wirken als sehr spitze Nadeln. 

Mit anderen Worten, Hautreize spielen hier entweder gar keine oder eine 
sehr untergeordnete Rolle, und offenbar sind die sehnigen Gebilde für das 
Zustandekommen des Reflexes verantwortlich zu machen. 



Der M. palmaris brevis entspringt bekanntlich von der Palmaraponeurose und 
iuserirt sich in die Haut des ulnaren Haudrandes; die Apoueurose ihrerseits ist 
unter anderem auch an das Erbsenbein befestigt. Somit würde eine Verschiebung 
des letzteren durch Druck auf dasselbe auf den Spaunuugszustand der Apo¬ 
ueurose uud des Muskels eiuwirken, und gerade eine gewisse Entspannung des 
Muskels scheint dem Zustandekommen des Reflexes förderlich zu sein. 

Wenigstens deutet darauf unter anderem der Umstand bin, dass bei ge¬ 
beugten Fingern der Reflex leichter und stärker zu erzielen ist. Das hat 
übrigens nur bedingte Bedeutung, wie aus der schon erwähnten Wirkung des 
Druckes auf die Kleinfingerkuppe und der passiven Adduction des gestreckten 
kleinen Fingers zu sehen ist. 

In jedem Falle scheint mir bemerkenswerth, dass im Gegensatz zu den 
anderen Sehnenreflexeu, deren Zustandekommen zum Theil von einer gewissen 
Spannung des betreffenden Muskels abhängt, im gegebenen Falle eher eine 
Entspannung erforderlich ist. Der Palmarreflex würde in dieser Beziehung eine 

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Mittelstellung zwischen den gewöhnlichen Sehnenreflexen und der paradoxen 
Cuntraction einnehmen. 

Ohne mich auf Betrachtungen über die praktische Bedeutung des beschriebenen 
Reflexes einzulassen, will ich nur erwähnen, dass nach meinen Beobachtungen 
der Palmarreflex relativ sehr beständig ist, obgleich nicht nur seine Intensität 
bei verschiedenen Personen stark schwankt, was bei dem verschiedenen Ent¬ 
wickelungsgrade des kleinen Handtellermuskels leicht verständlich erscheint, 
sondern derselbe in manchen, scheinbar normalen Fällen, entschieden fehlt. 


II. Referate. 


Anatomie. 

1) El sistema nervioso del hombre y de los vertebrados, per S. Ramön 
y Cajal. (1897. Madrid. Nicolas Moya.) 

Wenn ein Forscher wie Cajal, dem ein so bedeutender Antheil an dem Aufbau 
der modernen Nervenlehre gebührt, endlich die Müsse gefunden hat, uns die Summe 
des Geleisteten in einem zusammenhängenden Bilde, das Ganze in seinem organischen 
Zusammenhänge und in seinem Werden vor Augen zu führen, so wendet sich natur- 
gemäss das Interesse aller Neurologen mit grosser Spannung auf solch ein verdienst¬ 
volles Unternehmen. Dürfen wir doch erwarten, darin nicht bloss auf einen Ruhe¬ 
punkt geleitet zu werden, von welchem aus wir das weite Arbeitsfeld einmal überblicken 
können — für kurze Zeit ja nur, denn ein Jahrfünft oder Jahrzehnt weiterer Forschung 
und die Situation ist wieder verändert —, sondern auch die bisher zerstreut ver¬ 
öffentlichten, äusserst werthvollen Arbeiten, und damit den ganzen Geist Cajal’scher 
Forschung in einer Weise kennen zu lernen, wie es zuvor nicht möglich war. Was 
Cajal bisher erforscht, das konnten wir zumeist nur aus den Fachorganen der Ana¬ 
tomen erfahren; grössere Werke hat er bisher überhaupt nur wenige verfasst und 
von diesen ist meines Wissens ausser der vom Ref. übersetzten Studie über die 
Medulla oblongata, das Kleinhirn u. s. w. nur noch ein Buch über die Retina der 
Wirbelthiere von Greeff ins Deutsche übertragen worden. 

Von CajaPs neuem Werk, welches wir oben den Vorzug haben anzugeben — 
das Nervensystem des Menschen und der Wirbelthiere —, liegen gegen¬ 
wärtig die ersten beiden 464 Seiten umfassenden Hefte vor; das Ganze soll sich auf 
ca. 800 Seiten erstrecken und binnen Jahresfrist vollendet sein. Zahlreiche, sehr 
werthvolle Abbildungen sind in den Text gesetzt, auch das Litteraturverzeichniss 
sehr reichhaltig. Die Darstellung beginnt mit der „allgemeinen Idee des Nerven¬ 
systems“ und dem „Aufbau der Nervencentren in der Thierreihe“; es folgen capitel- 
weise die Methoden der Forschung, die Morphologie der Nervenzelle, physiologische 
Betrachtungen darüber, die Structur der Nervenzelle, die Neuroglia, dio Nervenfaser, 
das Rückenmark, die Endigungen der peripheren Nerven u. s. f. 

Es ist gewiss zu wünschen, dass das Werk den deutschen Neurologen durch 
eine Uebersetzung recht bald zugänglich gemacht würde. 

Bresler (Freiburg i. Schl.). 






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Pathologische Anatomie. 

4) Etüde d’un oas de spina bifida, par Joseph Baylac et Lucien Lagreffe. 
(Annales de Medöcine et Chirurgie infantile. 1898. Nr. 14. 15 Juillet.) 

Bei einem 12jähr. Mädchen mit völliger motorischer und sensibler Lähmung 
der Beine und Sphincterenlähmung wurde eine Spina bifida im Lendenantheil des 
Bückenmarks als Ursache des Leidens constatirt. Eine Operation wurde nicht vor* 
genommen. Zappert. 


5) Ein neuer Fall von partieller Verwachsung beider Grosshimbemi- 
sphären, von Dr. B. Seeligmann aus Karlsruhe. (Archiv f. Psych. u. Nerven* 
krankh. 1898. Bd. XXX.) 

Ein Kind mit Bachitis und tetanischen Krampferscheinungen war im 10. Monat 
an Brechdurchfall gestorben. Bei der Hirnsection fand man, dass der sagittale 
Längsspalt in den vorderen 4 cm fehlte, dass beide Stirnlappen zu einer einheitlichen, 
breiten Masse verschmolzen waren. Erst hinter den vereinigten Stirnlappen begann 
eine Trennung in 2 Hemisphären. Die Furchung des Gehirns war durch diese Ver¬ 
wachsung eine anormale geworden. Die Insel fehlte. Der Balken war in seinen 
vorderen Abschnitten abnorm entwickelt Auf der Strecke des normal entwickelten 
Hemisphärenspaltes war der Balken von einer breiten Rindenlage bedeckt. Das 
Septum pellucidum und das ganze Fornixsystem fehlten vollständig. In der Aus¬ 
dehnung der verschmolzenen Hemisphären waren auch beide Vormauern verwachsen. 
Commissura anterior, Ammonswindungen und Gyri dentati zeigten Atrophieen. Die 
Fimbriae waren nicht nachweisbar. Auch der frontale Theil der Thalami war in 
die Länge gezogen und verdünnt. Das Vorderhorn des rechten und des linken 
Seitenventrikels war verödet der Kopf des Nucleus caudatus war beiderseits abnorm 
ausgedehnt G. IIberg (Sonnenstein). 


Pathologie des Nervensystems. 

6) lieber die besondere Form von Hysterie, wie sie in allgemeinen 
Krankenhäusern zur Beobachtung kommt, von Dr. V. v. Holst. 

Verf. wendet sich zunächst gegen die Charcot’sche Auffassung der Hysterie 
als „Geisteskrankheit par excellence“, zumal es auch von Hause aus normal beanl&gte 
Menschen gebe, die hysterisch seien. Verf. theilt dann „den psychogenen Vorgang 
bei der Entstehung der Hysterie“ in 4 Typen ein: 1. könne das psychische Trauma 
als einzige directe Ursache der Hysterie „bei mehr oder weniger vorhandener An¬ 
lage — sei es hereditäre Belastung oder erworbene Disposition — unmittelbar als 
abnorme Beflexwirkung auf den Körper das rein somatische Krankheitsbild der 
Hysterie, ohne irgend welche psychische Störung hervorrufen“ (!Ref.); 2. derselbe 
Vorgang könne „ebenso unmittelbar“ auch eine „Störung in den niederen psychischen 
Functionen, d. h. in Gefühlen, Stimmungen und Trieben“ hervorrufen, welche zwar 
„den Grad einer wirklichen Psychose“ erreichen könne, aber meistens „nicht die 
Grenze der psychischen Abnormität überschreiten“ werde; 3. könne „das psychische 
Trauma“ („die krankhafte Vorstellung“) körperliche Folgen unmittelbar hervorrufen, 
während hysterischer Charakter u. s. w. sich erst allmählich bei dem nun einmal 
hysterisch gewordenen Individium herausbilde; die 4. Möglichkeit endlich sei, dass 
das hier meist „allmählich, anhaltend“ wirkende psychische Trauma keine unmittel¬ 
baren Folgen habe, aber einen Seelenzustand von „schwerem inneren Confiict“ hinter¬ 
lasse, der entweder zu einer „Umsetzung ins körperliche“, d. h. zum Ausbruch der 
Hysterie mit den eventuellen sub 3 angeführten Folgen für das psychische Leben 
führen könne, oder aber direct zu psychischen Störungen. Typus I soll sich „fast 

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ausschliesslich unter demjenigen Erankheitsmateriale finden, das in den allgemeinen 
Krankenhäusern angetroffen wird, also bei ungebildeten Kranken“, hingegen soll 
Typus IV bei „Ungebildeten“ gamicht Vorkommen; Typus II soll häufiger bei „Un¬ 
gebildeten", Typus III häufiger bei „Gebildeten“ sein. 

Zum Schluss warnt Verf. vor der „Aufstellung bestimmter Schablonen“ im all¬ 
gemeinen und bei functioneilen Neurosen im besonderen, was ihn aber nicht hindert, 
für die Hysterie je nach dem Bildungsgrad der Kranken die Existenz zweier „in 
ihrer Pathogenese, Symptomatologie, Prognose und Therapie wesentlich verschiedener 
(! Bef.) Gruppen" ffir erwiesen zu halten. Kaplan (Herzberge). 


7) Ein Fall von kindlicher Hysterie unter dem Bilde einer tuberoulösen 
Meningitis (Pseudomeningitis hysterica), von Priv.-Doc. Dr. L. Blumenau. 
(Wratsch. 1898. S. 121. [Bussisch.]) 

Der mitgetheilte Fall von kindlicher Hysterie betrifft einen 12jährigen, erblich 
nicht belasteten Knaben, der im Anschluss an eine Erkältung an einem Symptomen- 
complex erkrankte, der mit grösster Wahrscheinlichkeit auf das Vorhandensein einer 
tuberculösen Meningitis hinzuweisen schien. 

Der Pat. litt beständig an den heftigsten Kopfschmerzen, zeitweise traten 
Krampfanfälle auf, die von Bewusstlosigkeit gefolgt waren, ferner Erbrechen und 
hohes Fieber; es bestand ausserdem Blepharospasmus, Nystagmus und Herabsetzung 
des Sehvermögens, Appetitlosigkeit, Obstipation und Parese der Extremitäten. Erst 
nachdem es dem Verf. gelungen war einen Krampfanfall persönlich zu beobachten, 
der alle Anzeichen eines hysterischen Anfalls darbot, in besonderer Ausprägung der 
Periode der clonischen Bewegungen, wurde die Diagnose der Erkrankung auf Pseudo¬ 
meningitis hysterica gestellt. Das Interesse des Falles wird erhöht durch den 
glänzenden Heilerfolg, der mit der Suggestionstherapie erzielt wurde. Nach erfolgter 
Suggestion verschwanden sofort alle krankhaften Symptome ausser der Parese der 
Extremitäten, die, wenn auch bedeutend vermindert, noch eine Zeit lang fortbestand; 
doch auch diese verschwand bald vollständig bei Gelegenheit eines Familienfestes, 
bei dessen Feier der Pat. ganz gesund erscheinen wollte. 

Zu Ende der Arbeit fahrt Verf. folgende Schlussfolgerungen von praktischer 
Wichtigkeit an: 

1. Bei Krankheitssymptomen, die einige Aehnlicbkeit mit der tuberculösen Menin¬ 
gitis bei älteren Kindern zeigen, ist an die Möglichkeit des Vorhandenseins von 
Hysterie zu denken; 

2. die Hypnose erweist sich in diesen Fällen (wie natürlich in vielen anderen) 
als unersetzbares diagnostisches Mittel; 

3. Fälle von Heilung der tuberculösen Meningitis, in denen Hysterie nicht aus¬ 
geschlossen ist, entbehren jeglicher Beweiskraft. E. Giese (St Petersburg). 


8) Hysterisohe Sehstörungen im Eindesalter, von Dr. M. Weil. (Festschrift 
des Stuttgarter ärztlichen Vereins. 1897.) 


Verf. berichtet nach einer kurzen Einleitung aber Aetiologie und Symptomato¬ 
logie der infantilen Hysterie aber zwei selbstbeobachtete Fälle dieser Krankheit, 
welche durch die neben schweren Anästhesieen bestehenden Sehstörungen ein ein¬ 
gehenderes Interesse erfordern. 

Im ersten Falle handelt es sich um ein 11 jähriges Mädchen, bei welchem (im 
Anschluss an eine Züchtigung in der Schule) zunächst vorabergehende Störungen 
im geistigen Verhalten und späterhin allgemeine Krämpfe sich einstellten. Nach 
ca. Vi Jahre trat plötzlich eine Lähmung beider Beine auf, die nach weiteren 14 Tagen 
von einer Erblindung beider Augen gefolgt war. 


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V7* 

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Der Aufhahme8tatus vom 13./VIII. 1895 ergab beiderseits totale Amaurose, 
während der objective Befand an den Angen vollkommen negativ war. Es bestand 
ferner eine Unfähigkeit zu gehen und za stehen, während bei Rückenlage alle Be¬ 
wegungen der Unterextremitäten möglich waren. 

Eine genauere Untersuchung des Nervensystems am 15./VIIL ergab neben einer 
rechtsseitigen Gehörs*, Geruchs* und Geschmacksaufhebnng eine Aufhebung der 
Sensibilität der Haut an der rechten Kopfhälfte für Tast-, Temperatur- und Schmerz¬ 
empfindung. 

Die rechte Oberextremität zeigte gänzliche Anästhesie für alle Empfindungs¬ 
qualitäten — inclusive des Tast- und Muskelsinns — und konnte von der Pat. (der 
ja der Gesichtssinn fehlte) auf Geheiss absolut nicht bewegt werden („Lasöque’- 
scher Symptomencomplex“ — Janet). 

Pat. war über die Lage des rechten Arms absolut ununterrichtet. Die passive 
Beweglichkeit desselben war intact Dabei bestand ein cataleptisches Festhalten 
jeder passiv gegebenen Stellung des Arms. 

Die rechte Unterextremität zeigte eine ähnliche beträchtliche Sensibilitätsstörung, 
den Muskelsinn ausgeschlossen, doch nur an ihren oberen zwei Dritteln. 

Am Rumpf betraf der Sensibilitätsverlust ebenso die ganze rechte Hälfte mit 
scharf bei der Mittellinie abschneidender Grenze. 

Unter der Einwirkung starker faradischer Ströme verschwanden schon bei der 
ersten Sitzung die Astasie-Abasie und die Sensibilitätsstörungen. Ebenso stellte sich 
das Sehvermögen, doch nur auf dem linken Auge, nach einigen Tagen wieder ein, 
während die Pat. auf dem rechten Auge constant nichts sehen wollte. Die Prüfung 
ergab nunmehr eine rechtsseitige Hemianopsie (1). Eine weitere sachgemässe suggestive 
Behandlung brachte auch dieses Symptom zum Schwinden. Indessen gelang es trotz 
aller möglichen (stets nur im wachen, nie im hypnotischen Zustande vorgenommenen) 
Suggestionsversuche nicht, die rechtsseitige Taubheit zu beseitigen, und ebenso blieb 
die rechtsseitige Anosmie und Ageusie bestehen. 

Bemerkenswerth ist noch, dass Pat. — analog einem bekannten Strümpell’- 
sehen Falle —, wenn man ihr das hörende (linke) Obr verschloss, in einen schlaf¬ 
artigen Zustand verfiel (Nach dem Verf. handelt es sich dabei um hypnotischen 
Schlaf.) 

Im zweiten Falle, einem 13 jährigen, erblich belasteten Mädchen, handelte es 
sich um eine totale Amaurose nur eines, des linken, Auges (welcher schon längere 
Zeit vorher Sehstörungen vorangegangen waren), nebst einer typischen Hypalgesie 
der ganzen linken Körperhälfte. Strychnininjectionen mit gleichzeitiger weiterer 
Suggestionsbehandlung führten schnelle Besserung herbei. 

Bezüglich der Entstehung des auffälligsten Symptomens der beiden Fälle, nämlich 
der Störungen gerade am Sehapparat, hält es Verf. nicht für belanglos, dass im 
ersten Falle eine hochgradige Hypermetropie beiderseits, im zweiten ein linksseitiger 
Strabismus — also bei beiden Pah eine Störung nicht hysterischer Natur am 
Auge — bereits bestand. 

Auch Verf. hält die Prognose der infantilen Hysterie für viel günstiger als 
deijenigen der Erwachsenen; er plädirt dabei unbedingt für die Entfernung der Kinder 
aus den häuslichen Verhältnissen. Paul Cohn (Berlin). 


9) Hystörle infantile en Vendöe, par F. Ferrier. (Archives de neurologie. 

1897. October und November.) 

Eine reichhaltige Arbeit über die Hysterie, die manche neue Beobachtung in 
den 18 Krankengeschichten und in den Epikrisen bringt. Erstere bieten den werth¬ 
vollen Vorzug, dass Verf. die Kranken Jahre lang beobachten und genau controUiren 
konnte, weil eben die Bewohner der Vendde stets im eigenen Lande bleiben oder 

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doch oft nach harzer Abwesenheit dorthin zurückkehren, meistens aber nur an einen 
anderen Ort in gleichem Lande verziehen. Ausser anf die bekannten Wissenschaft* 
liehen Facta stützt sich dip Arbeit auf die These des Brnders des Antors, welche 
das gleiche Thema behandelte. Wegen der Länge der genauen Beobachtungen ist 
es leider nur gestattet auf die fleissige Abhandlung hinzuweisen. 

Die Hauptsätze sind folgende: 

1. Die Hysterie kommt beim Eindesalter in allen Lebensjahren vor (8 Fälle 
unter 4 Jahren bei beiden Geschlechtern). 

2. Sie ist gleich häufig und dieselbe bei Kindern wie bei Erwachsenen. 

3. Wie im Mannesalter kann sie auch beim Kinde alle möglichen Erkrankungen 
des Nervensystems Vortäuschen. 

Die anderen Punkte beziehen sich anf die Differentialdiagnose, Aetiologie, Be* 
handlung und Prophylaxe. Adolf Passow (Strassbarg i./E.). 


10) Beiträge nur Kenntnise der hysterisohen Affeotionen bei Kindern, 
von Ferdin. Steiner. (Jahrbuch für Kinderheilkunde und physische Erziehung. 
XLIV. Nr. 8.) 

Von den zahlreichen genauen casuistischen Angaben der citirten Arbeit seien 
hier kurz die bei ausgesprochener Hysterie der Kinder vom Verf. beobachteten Er* 
scheinungen von Seiten der Augen hervorgehoben. Dieselben sind geeignet, die noch 
umstrittene Frage, ob es echte hysterische Augenlähmung gäbe oder nicht, im be¬ 
jahenden Sinne zu entscheiden. Bekannt ist eine auf einem unvollständigen tonischen 
Blepharospasmus beruhende Ptosis — von Parinaud als Ptosis pseudoparalytica 
bezeichnet; dass es sich bei diesen nicht um echte Ptosis handelt, folgert Verf. ein 
Mal aus dem energischen Zurückfallen des Oberlides nach manueller Hebung des¬ 
selben, und zweitens aus den auftretenden convulsivischen Zuckungen derselben. Von 
Cbarcot wurde auf die differentialdiagnostische Tbatsache hingewiesen, dass bei 
Lähmungsptosis die Braue der erkrankten Seite hoher, bei Spasmas tiefer als die der 
anderen Seite steht. Verf. konnte nun eine echte Ptosis — Lähmungsptosis — con- 
statiren, deren hysterische Grundlage durch den Krankheitsverlauf besonders evident 
wurde; nachdem nämlich Nervina aller Art, Faradisation u. s. w. durchaus versagt 
hatten, kamen alle hysterischen Symptome, so auch die Ptosis, durch ausgiebige 
Ernährung und Landaufenthalt zum Verschwinden. 

Für den in seinem charakteristischsten Falle bestehenden Strabismus und 
Nystagmus nimmt Verf. ebenfalls die Hysterie als Ursache in Anspruch, indem er 
den Strabismus nicht so sehr auf einem Externuskrampf, als vielmehr auf eine 
hysterische Intemuslähmung zurückführt; dass Nystagmus hysterischen Ursprunges 
sein kann, wird auch von anderen Autoren anerkannt. Richter (Hamm). 


11) Einige Worte über infantile Hysterie, von Dr. F. Steiner in Wien. 

(Wiener med. Blätter. 1897. Nr. 50—52.) 

Das Verhältni88 der hysterischen Kinder zu hysterischen Erwachsenen beträgt 
1:6—7. Die Krankheit tritt im Kindesalter viel einfacher, meist nur einzelne 
Symptomengruppen umfassend auf. Allgemeine Convulsionen (hystero • epileptische 
Anfälle) sind ungewöhnlich. Der Anfall ist meist abortiv. „Unter einem Gefühl 
von Schwindel oder Angst tritt eine Art Ohnmacht ein, die Kinder sinken mit ge* 
schlossenen Augen aufs Bett, wo sie eine Zeit lang still verharren, dann lösen sich 
leichte Zuckungen in den Augenlidern, Augen und Fingern aus, die Athmung wird 
beschleunigt und nach einer kleinen Weile schliesst die Attaque mit einem deutlich 
vernehmbaren Seufzer/* Zum Unterschiede vom petit mal fehlen dem hysterischen 
Anfalle die Aura, die völlige Bewusstlosigkeit und Aufhebung der Empfindungs* 

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Fähigkeit, die weiten reactionslosen Papillen and das comatöse Stadiom nach dem 
Anfalle, sowie der initiale gellende Schrei; der hysterische Anfall wird viel öfter 
mit Lachen, Weinen, Stöhnen oder längerem Schreien einjjeleitet; die Krämpfe zeigen 
complicirtere, coordinirtere Bewegungserschein ungen. Die Auslösung derselben erfolgt 
meist im Affect. Auch Selbstauslösung von Krämpfen ist bei Kindern möglich. 

Als allgemeine Krämpfe auf grösstentheils hysterischer Basis sind auch die 
nervösen Schüttelfröste im Kindesalter anzusehen. Zum Unterschiede vom hectischen 
Fieber, womit eine Verwechselung bei schlecht genährten Kindern möglich wäre, 
treten sie meist nicht Abends auf. 

Die partiellen Krämpfe stehen bei der kindlichen Hysterie im Vordergründe. 
Hierher gehört auch die Chorea laryngis. 

Sensitiv-sensorielle Störungen kommen bei Kindern weniger scharf zum Aus¬ 
drucke. Im Gegensätze zu Erwachsenen ist Hyperästhesie häufiger als Anästhesie, 
und zwar am öftersten in Form der Bacbialgie. 

Der hypogastrische Druckschmerz (Ovarie, Coelialgie) ist viel seltener und auch 
meist höher im Hypochondrium localisirt. Hysterischer Kopfschmerz ist nicht selten 
und wird meist diffus angegeben. 

Viele von den Störungen, welche der Chlorose zugezählt werden, sind hysterischer 
Natur, so die Perversitäten des Geruchs, des Geschmacks und die der verschiedenen 
Idiosyncrasieen. 

Ein praktisch wichtiges Symptom ist das Erbrechen. Es kann mit normalem, 
über- oder unternormalen Appetit einhergehen. Danach ist auch der Ernährungs¬ 
zustand des Kindes. Es erfolgt entweder jeden Morgen oder unmittelbar nach jeder 
Mahlzeit und kann auch von Uebelkeiten und Schmerzen begleitet sein. Längere 
Zeit dauerndes Erbrechen bei Mädchen ist immer verdächtig für Hysterie. Es ist 
auch eines jener Symptome, die durch Imitation ansteckungsfähig sind. 

J. Sorgo (Wien). 


12) A oase of hysterioal dysphagia, by Llewellyn Eliot. (Medicine. 1898. 

February.) 

Verf. berichtet über einen höchst merkwürdigen Fall von hysterischem Oesophagus- 
krampf, complicirt mit Blutbrechen und Blutabgang aus dem Darm bei einer 36jähr. 
Patientin; die Krankheit dauerte 3 3 / 4 Jahre und endete tödtlich. Erstaunlich ist die 
Länge der Zeit, während deren Pat. Nahrung per os überhaupt nicht zu sich nahm, 
sondern nur mit Nährklystiren, die auch nicht immer beibehalten wurden, am Leben 
erhalten wurde; Verf. giebt diese Zeit auf 3 Jahre und 23 Tage an. Die Autopsie 
bei der in extremem Grade abgemagerten Patientin ergab völlig negativen Befund. 

Martin Bloch (Berlin). 


13) DiagnoBis and treatment of spasmodio strioture of the oesophagus, 
by J. C. Bussei. (Brit. med. Joum. 1898. June 4. S. 1450.) 

Verf. giebt eine Casuistik von 7 Fällen krampfhafter Strictur an oder nahe an 
der Cardia, die durch eigens dafür construirten Dilatator erweitert und dauernd ge¬ 
heilt worden. Der Dilatator besteht aus einer Hohlsonde, deren unteres Ende einen 
wurstförmigen Seidenbeutel ausmacht. Letzterer ist mit sehr dünnem Gummi aus¬ 
gefüttert, um luftdicht zu sein. Das Instrument, natürlich luftleer, wird durch die 
Strictur geführt und alsdann mittelst Luftballon bis zur Normalweite des Oesophagus 
an betreffender Stelle aufgeblasen. Diese Behandlung kann weder rasch, noch in 
einer Sitzung ausgeführt werden, bedarf der Instrumente in steigender Grösse und 
einer Anzahl Sitzungen. 

Von den 7 Fällen, welche ausführlich beschrieben worden, sei hier nur der 1. 
wiedergegeben. 

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Eine 40jährige Dame klagte seit 2 Jahren Ober Unmöglichkeit, feste Nahrung 
in den Magen einzufQhren; es erfolgte nach geschlucktem Bissen Regurgitation; auch 
die Flüssigkeiten werden grösstentheils wieder ausgestossen. — Erweiterung der 
Strictur durch gewöhnliche Bougies (bis Nr. 23 Jaques) blieb ohne wohlthätigen 
Einfluss. Das oben beschriebene Instrument wurde nun versucht und brachte nach 
weniger Zeit, und nach einer Anzahl Einführungen völlige und dauernde Heilung 
hervor. — Von dieser Art Krampfstrictur ist wenig bekannt und daher ist die Mit¬ 
theilung nicht ohne Werth. 

Für die übrigen 6 Fälle verweise ich auf das Original. 

L. Lehmann I (Oeynhausen). 


14) Trismus hystörique, persistent durant plus de neuf mois, par Dr. 

Bidlot(pöre) et Dr. U. Francotte. (Brüssel. 1897.) 

27jähr. Patient, ohne erbliche Belastung und früher nie von schweren Krank¬ 
heiten heimgesucht, aber schwächlich; seit dem Eintritt ins Kloster — mit 18 Jahren — 
Veränderung des Charakters: indolent, inconsequent und energielos; ausserdem meist 
leidend: einmal mehrmonatliches Erbrechen, gegen welches alle Mittel fruchtlos waren 
und das schliesslich von selbst schwand; seit mehr als 2 Jahren vollständige Aphonie, 
die nur einmal während 3 oder 4 Wochen sistirte. Seit 5 Jahren heftige Zahn¬ 
schmerzen; gelegentlich der Extraction eines Zahnes eine 2 ständige Synkope. Im 
Februar 1896 besonders heftige Zahnschmerzen, für welche der Zahnspecialist keine 
Ursache zu finden vermochte; trotz Entfernung zweier Zähne hörten daher auch die 
Schmerzen nicht auf. Mitte April 1896 Schmerzen in den Kiefergelenken und Hals¬ 
schmerzen. Pinselungen mit Eucalyptustinctur. Am 24. April 1896 Abends zorn- 
müthiger Auftritt gegen die Krankenschwester; am nächsten Morgen war sie nicht 
im Stande den Mund zu öffnen, der Trismus dauerte fast permanent bis zum 10./1I. 
1897. Die Unterkieferzähne ragen etwas über die Oberkieferzähne hervor und be¬ 
decken deren freien Rand; die Masseteren bilden zwei abgerundete, harte Massen. 
Die Nahrungsaufnahme geschieht durch eine Lücke der Schneidezähne, die Patientin 
genoss nur flüssige Speisen. Auch während des Schlafes blieben die Kiefer fest an¬ 
einandergeklemmt. In Folge des allmählich eintretenden Mundcatarrhs wurde der 
Appetit geringer. Sämmtliche Mittel blieben erfolglos. Chloroformnarcose anzuwenden, 
war bedenklich wegen etwaigen Erbrechens und Aspirirens der Erbrochenen aus der 
geschlossenen Mundhöhle. Neben dem Trismus und der Aphonie klagte die Patientin 
über Schmerzen an den verschiedensten Körperstellen, am Scheitel, Epigastrium, an 
der Wirbelsäule, an der linken Ovarialgegend; ferner traten von Zeit zu Zeit An¬ 
fälle auf, in denen die Patientin mit verstörtem Blick automatisch Handlungen be¬ 
geht, für die sie anamnestisch ist. Menses fehlen. Allmählich zunehmende Schwäche, 
so dass sie seit dem 25. November 1896 das Bett nicht mehr verlassen kann. Dann 
kamen dazu Anfälle mit Schluckkrämpfen, Brechkrämpfen und Athembeschwerden: 
dabei wurde die Athmung erst so schnell, dass die Züge nicht mehr gezählt werden 
konnten, verlangsamte sich hierauf und setzte schliesslich 25—35 Secunden aus, zu¬ 
weilen sogar länger als eine Minute. Puls 120—130. Diese Anfälle wiederholten 
sich 4—5 Mal täglich. Druck auf die Ovarialgegend beeinflussten sie nicht; Morphium- 
injectionen dagegen sehr prompt Die Glieder sind während derselben ohne Be¬ 
wegung, absolut schlaff, die Augen geschlossen und die Patientin hört alles, was um 
sie herum gesprochen wird, kann sich aber nicht bewegen. Vom 5. Januar 1897 
ab wurden die Anfälle schwächer und seltener; es entwickelte sich allmählich eine 
schlaffe Lähmung der Extremitäten und geringes Oedem derselben. Linker Arm 
unempfindlich für Berührung und Schmerz; am rechten Arm und beiden Beinen ist 
die Tastempfindlichkeit fast ganz aufgehoben, die Schmerzempfindlichkeit erhalten. 
Leib stark aufgetrieben, Obstipation. Urinentleerung nur mittelst Katheter. Häufiges 

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Erbrechen, bei dem aber nur geringe Mengen Flflssigkeit durch die erwähnte Zahn¬ 
lücke entfernt worden. Die Patientin verträgt nur noch etwas Wasser mit Wein 
und vermag nur mit Mühe noch einige Worte zu lispeln, so dass man ihr die 
Sterbesacramente reichen lässt. Der Puls war indessen nicht besorgnisserregend. 
Am 10. Februar 1897, ihrem Geburtstage und zugleich Gründungstage des Ordens, 
dem sie angehörte, öffnet sich der Mund und bewegen sich die Glieder wieder; auch 
die Stimme kehrt zurück. Spontane Entleerungen des Darms und der Blase. Die 
Patientin steht auf und nimmt am Gottesdienst Theil. Sie behält feste Speisen bei 
sich. Die Eaubewegungen unbehindert. — Am linken Vorderarm, hintere Fläche, 
eine 6 Frankstück grosse hyperalgetische Stelle. — 1 Monat lang blieb der Zustand 
günstig. Am 10. März häufiges Erbrechen, dann grosse hysterische Anfälle, die 
wieder durch Morphium gemildert wurden. Während der Anfälle ist der Mund halb 
geöffnet und die Zunge in lebhafter Bewegung. Einige Wochen später in Folge 
eines ihr unangenehmen Vorgangs in der Umgebung sehr reizbar; der Trismus kehrte 
für 24 Stunden wieder. Am 8. Mai im Anschluss an einen ihr ertheilten Verweis 
Anfall von Tobsucht mit Zähneknirschen. Um den Kopf gegen Selbstbeschädigung 
zu schützen, hatte man ihr ein Kissen untergelegt, das sie mit den Zähnen fasste 
und dessen freies Stück nun, nach Wiedereintritt des Trismus, abgeschnitten werden 
musste, das andere behielt sie 8 Tage — so lange dauerte der Trismus — im 
Munde. Am 15. Mai schwand letzterer im Anschluss an einen Brechkrampf. Seitdem 
blieben die Erscheinungen ganz aus und die Patientin erholte sich völlig. 

_ Bresler (Freiburg i./SchL). 


15) Note sur la retraotion de l’aponevrose palmaire, par Förd. (Revue de 

Chirurgie. 1897. Nr. 10.) 

Die Asymmetrie der Retraction der Palmarfascie, ihr Vorkommen bei Familien 
von Neuropathen und bei Hysterie, Epilepsie, Diabetes, Gicht, Ischias u. s. w., das 
gleichzeitige Vorkommen der fibrösen Haut Verdickung am Penis, zeigt, dass es sich 
um Prädisposition handelt und das Trauma nur secundär ist, zudem es an sich auch 
angeboren, familiär und erblich sein kann. Meist ist nur die Ulnarseite betroffen, 
sehr selten auch die Radialgegend, und dann ist jene stärker betheiligt, als diese. 
Verf. bringt dann mehrere Krankengeschichten mit Photographieen. Die Hypothese 
einer trophischen Störung ist die beste. Näcke (Hubertusburg). 


16) Hysterisohe, systematlsirte Contraotur bei einer Ekstatischen, von Dr. 

Pierre Janet. (Münchener med. Wochensohr. 1897. Nr. 31.) 

Die in der Ueberschrift genannten Erscheinungen bot eine 42 Jahre alte Frau 
dar, und zwar handelte es sich um eine sehr starke, beiderseitige Contractur fast 
sämmtlicher Muskeln der Beine, derart, dass die Unterschenkel in Extension, die 
Füsse in hochgradigster Flexionsstellung fixirt waren. Welche auffallenden Ver¬ 
änderungen unter diesen Umständen der Gang darbot, lässt sich errathen. Zwei 
Abbildungen im Original machen den Zustand besonders anschaulich. Die Contractur 
begann vor 3 Jahren mit heftigen Schmerzen, besonders in den Füssen, und bildete 
sich allmählich immer mehr aus. Die Diagnose Hysterie wurde theils wegen der 
Abwesenheit besonderer für multiple Sklerose und Neuritis charakteristischer Anhalts¬ 
punkte, dann aber auch auf Grund positiven Befundes gestellt. So ergab die Anam¬ 
nese periodisch auftretende Brechanfälle, welche seit dem 7. Jahre bestehen und mit 
einzelnen Intervalleu bis jetzt fortdauern, ausserdem konnten Sensibilitätsstörungen 
an den Beinen festgestellt werden. Von besonderer Bedeutung aber war der psychisch- 
intellectuelle Zustand, der sich bei der Patientin entpuppte und auf die psychogene 
Natur der Contractur hinwiess. Die Patientin verfiel zeitweise in eine religiöse 


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Ekstase, wobei die Vorstellung und der inbrünstige Wunsch der Himmelfahrt sie 
beseelte. Dabei nahm sie die Stellung ein, welche ihrer Sehnsucht und ihren 
Träumen, sich von der Erde zu erheben, entsprach. Diese Stellung charakterisirte 
auch einen Anfall, der sich vor S Jahren abspielte und war der Anfang der sich 
allmählich ausbildenden Contractur, die aber als der Ausdruck einer krankhaften 
Psyche anzusehen ist E. Asch (Frankfurt a./M.). 


17) Soollose et tortieolis hystöriques, par Mirallid et Ghapus. (Eev. d’or- 

thopddie. 1898.) 

Bei einer 45jährigen Patientin, die zu 25 Jahren eine Paraplegie der Beine 
durchgemacht und an hysterischem Erbrechen, hysterischen Contracturen u. s. w. ge* 
litten hatte, trat Blepharospasmus ein. Als von einem der Verf. versuchsweise in 
Gegenwart der Patientin davon gesprochen wurde, dass in Folge des Blepharospasmus 
sich häufig Skoliose einstellte und entsprechende Gesten an ihrem Körper, quasi zur 
Demonstration des Gesagten, gemacht wurden, zeigte sich thatsächlich wenige Tage 
später im Anschluss an einen, neuen Anfall von Blepharospasmus eine deutliche 
Skoliose: die Wirbelsäule beschrieb eine nach rechts convexe Curve; der Sumpf war 
in toto nach links gebeugt, so dass die untersten Sippen der linken Seite beinahe 
die Crista ossis ilei berührten; die rechte Schulter stand viel höher als die linke, 
die Bückenmuskeln waren druckschmerzhaft, der Kopf war nach links herabgezogen, 
das Gesicht nach rechts und oben gedreht. Am nächsten Tage erhebliche Ver¬ 
stärkung der Skoliose und der Torticollis, so dass die linke Wange nur 2 Querfinger 
von der linken Schulter entfernt war; nach einigen Tagen war alles spontan ver¬ 
schwunden, jedoch trat etwa l 1 /* Monate später — ohne neue suggestive Beeinflussung 
von anderer Seite — die Skoliose mit Torticollis, nunmehr spontan im Anschluss an 
Blepharospasmus wieder ein, um nach 8 Tagen zu verschwinden; endlich zeigte sich 
dann wieder eine Zeit lang später ein Anfall von Skoliose, der sogar ohne vorher¬ 
gegangenen Blepharospasmus eintrat. Kaplan (Herzberge). 


18) Nevrologia nel distretto del plesso brachiale di natura isteriea; diatesi 
di oontrattura, per C. Negro. (Eivist. iconograf. del Bolleti del Polidin. 
gen. di Torino. I.) 

Bei einer hysterischen Frau traten Schmerzanfälle an der Hinterfläche des 
rechten Humerus, die nach der Bückseite des Vorderarms und der Dorsalfläche der 
Hand adsstrahlten, auf. Zugleich mit den Anfällen Contractur der Muskeln der 
rechten oberen Extremität. Die vom N. radialis versorgten Hautpartieen hyper¬ 
ästhetisch und hyperalgetisch, ebenso die Herzgegend. Durch Druck auf die Schmerz- 
punkte des radialis liessen sich convulsivische Anfalle auslösen. Verf. erörtert die 
Differentialdiagnose zwischen Hysterie und Badialisneuralgie und entscheidet sich für 
erstere. Valentin. 


19) Ueber den Husten, speoiell den nervösen, von Prof. Dr. Schech. 
(Münchener med. Wochenschr. 1897. Nr. 26.) 

Auch ohne Affection des Bespirationsapparats kann Husten auf nervöser Basis 
auftreten, und zwar handelt es sich entweder um eine allgemeine Neurose oder um 
Auslösung des Hustens von einem bestimmten Organ aus (Beflexhusten). Es wird 
der besondere Charakter dieses Hustens erörtert und das Aufhören desselben im 
Schlaf, der Mangel von Secret und das Bestehen anderweitiger, nervöser Symptome 
hervorgehoben. Die Organe, von welchen aus reflectorisch Husten bewirkt werden 
kann, sind sehr zahlreich. Eine besondere Stellung nimmt in dieser Beziehung das 

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Centralnervensystem, insbesondere die Gegend des Nachhims (Kohts) ein. Laryn- 
geale Krisen bei Tabes, Hasten bei Chorea, Epilepsie und Trauma des Halsmarks 
gehören in die Gruppe des centralen Hustens. Mehr auf allgemein neuropathischer 
Grundlage steht der nervöse Husten im Pubertätsalter. Der ßamus auricularis vagi 
vermittelt via Laryngeus sup. einen den äusseren Gehörgang treffenden Beiz auf das 
Centrum — Ohrhusten. Zahlreiche Erkrankungen der inneren Organe und de6 
Nasenrachenraumes kommen ätiologisch in Betracht. Beizung peripherer Vaguszweige, 
sowie Druck auf den Vagusstamm löst begreiflicherweise reflectorisch Husten aus. 
Ueber das Vorkommen eines Magendarmhustens sind die Acten noch nicht geschlossen. 
Fälle aus der Litteratur, in denen von der Leber, Milz, den weiblichen und männ¬ 
lichen Geschlechtsorganen aus Husten erregt wird, werden vom Verf. herangezogen. 
Auch die Haut, ja die Sinnesorgane treffende Beize können unter Umständen Husten 
veranlassen. Die genaue und wiederholte Untersuchung des Bespirationsapparates 
führte unter Ausschluss einer „natürlichen“ Ursache zur Diagnose des nervösen 
Hustens, für welchen sich dann eventuell noch charakteristische Eigenschaften oder 
die veranlassende Erkrankung selbst auffinden lassen. Gelingt das letztere, so hat 
die Therapie natürlich der Indicatio causalis zu genügen. 

E. Asch (Frankfurt a./M.). 


20) Ueber Pupillenstarre im hysterischen Anteile nebst weiteren Be¬ 
merkungen zur Symptomatologie und Differentialdiagnose hysterischer 
und epileptischer Anteile, von Dr. J. P. Karplus. (Aus der psychiatrischen 
Klinik von Hofrath v. Krafft-Ebing.) (Jahrb. f. Psych. 1898. Bd. XVII.) 

Die vorliegende Arbeit enthält eine ausführliche Darstellung des vom Verf. be¬ 
reits publicirten wichtigen Nachweises von Pupillenstarre im hysterischen Anfall. 
Zunächst weist Verf. durch Citate aus der Litteratur nach, dass bisher das Vor¬ 
handensein oder Fehlen der Pupillenreaction in einem Aufalle als absolutes differential¬ 
diagnostisches Merkmal zwischen Hysterie und Epilepsie betrachtet wurde; nur Förd 
hatte angegeben, dass die Pupille im hysterischen Anfall durch Lichteinfall nur wenig 
beeinflusst werde, und Pausier hatte einen Fall von träger Pupillenreaction im 
hysterischen Anfall mitgetheilt Die Angaben des Verf.'s über das Vorkommen von 
Pupillenstarre im hysterischen Anfall (1896) sind seitdem durch Westpbal bestätigt 
worden. Derzeit hat der Verf. über 100 hysterische Kranke während des Anfalls 
untersucht, wobei er sich meist zur genauen Beobachtung der Pupillenphänomene des 
Mellinger’schen Lidhalters bediente. Seine fortgesetzten Untersuchungen führen ihn 
zum Schlüsse, dass jede Diagnosestellung auf Epilepsie, die sich im 
Wesentlichen darauf stützt, dass im Anfalle Beactionslosigkeit der 
Pupillen beobachtet wurde, unberechtigt ist. Papillenstarre ist vielmehr 
in grossen hysterischen Anfällen ein recht häufiges Symptom. 

Im folgenden giebt Verf. die genauen Krankengeschichten von 11 hysterischen 
Kranken, in denen er während des Anfalls Pupillenstarre nachweisen konnte. Es 
kann hier im Detail auf diese Fälle nicht eingegangen werden. (Erwähnt sei auch, 
dass es dem Verf. mehrfach gelang, während eines Anfalls den Augenhintergrund zu 
untersuchen, und dass hierbei eine wesentliche Veränderung der Blutfüllung des 
Fundus mit Sicherheit ausgeschlossen werden konnte.) 

Nach seinen ausgedehnten Untersuchungen giebt nun Verf. an, dass nicht in 
jedem hysterischen Anfalle Pupillenstarre vorkommt, dass es Hysterische giebt, die 
bei ihren Anfällen immer Pupillenstarre vermissen lassen, andererseits solche, bei 
denen sich dieselbe in manchen Anteilen findet, in anderen wieder nicht Im all¬ 
gemeinen tritt die Pupillenstarre während der beiden ersten Perioden des grossen 
hysterischen Anfalls auf, also während jener Periode, die mit Muskelkrämpfen einher¬ 
gehen. Manchmal geht die Pupillenstarre den Muskelkrämpfen voraus, manchmal 

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überdauert sie sogar dieselben. Die Reactionslosigkeit der Papillen gebt meist mit 
einer Erweiterung der Papille einher. In anderen Fällen sind die starren Papillen 
mittelweit oder eng. In einzelnen Fällen sah Yerf. auch in den anfallsfreien Zeiten 
träge Reaction. Wesentlich ist, dass nach des Verf.’s Untersuchungen die Pupillen 
in den Anfällen der grande Hysterie sich genau so verhalten können, wie in den 
Anfällen der Epilepsie, und dass in einem Krampfanfall aus dem Verhalten der 
Pupillen keine differential-diagnostischen Anhaltspunkte gewonnen werden können, ob 
es sich um Epilepsie oder um Hysterie handelt Von Interesse ist, dass das Be¬ 
wusstsein zur Zeit der Pupillenstarre in den grossen hysterischen Anfällen nicht 
immer tief gestört sein muss. 

Weitere in extenso mitgetheilte Beobachtungen zeigen, dass Pupillenstarre auch 
in hysterischen Anfällen mit Bewusstlosigkeit, jedoch ohne Gonvulsionen auftreten 
kann. Eine Beihe weiterer Fälle, die Yerf. mittheilt, zeigen, dass Pupillenstarre 
auch in sogenannten kleinen hysterischen Anfällen, die bloss mit Re- 
spirations- und Schluckkrämpfen ohne Bewusstseinsstörung einher¬ 
gehen, auftreten kann. Nebenbei erwähnt Yerf., dass es nach seinen Unter¬ 
suchungen keine Art von Anfällen, kein Symptom giebt, das an und für sich gestatten 
würde die Diagnose Epilepsie mit Sicherheit zu stellen. 

Seine Krankengeschichten zeigen, dass auch das Auftreten nächtlicher Anfälle, 
Urinabgang während des Anfalls oder Rothhalllucinationen durchaus nicht absolut 
charakteristisch für die Epilepsie sind, sondern auch bei Hysterie sich vorfinden 
können. 

Seine Untersuchungen gaben dem Yerf. Anlass, sich auch Über die Natur des 
hysterischen Anfalls und seine Auslösung auszusprechen, worauf noch kurz ein¬ 
gegangen sei. Die Pupillenstarre im hysterischen Anfall ist ein corticales Phänomen. 
Yerf. stellt sich vor, dass Pupillenerweiterung und Verengerung im Cortex vertreten 
sind, und dass ein tonischer Krampf der Pupillenmuskulatur, der die Ursache der 
Pupillenstarre sein dürfte, die Folge eines corticalen Erregungszustandes ist. Jeden¬ 
falls ist die Pupillenstarre kein idiogenes Phänomen, der hysterische Anfall kein 
rein psychischer Vorgang. Psychische Vorgänge, die unzweifelhaft von ursächlicher 
Bedeutung für den hysterischen Anfall sind, sollen einen präformirten Mechanismus 
auslösen, der an und für sich nichts mit psychischen Phänomenen zu thun hat. 

Redlich (Wien). 

21) Hysterioal paraplegia in a ohiid, by F. H. Simpson. (Brit. med. Journ. 

1898. 5. Feb. S. 347.) 

Yerf. stellte der Midland med. Gesellsch. ein 7 jähriges Mädchen vor. Das Kind 
hatte nasse Füsse bekommen und klagte, 1 Woche darauf, über Schmerzen in den 
Beinen. 1 Woche noch später war es ganz gelähmt. Muskeln des linken Beins 
schlaff des rechten hypertonisch. Kniephänomen links normal, rechts aufgehoben. 
Fussclonus besteht nicht. Beide Beine anästhetisch bis etwa 4 Zoll oberhalb des 
Kniees. Sensibilität für Tast- und Schmerzgefühl erloschen. Keine Atrophie. 
Mässige Einschränkung des rechten Gesichtsfeldes. — 3 Tage nach der Untersuchung 
bekam das Kind den Gebrauch* der Beine plötzlich und vollständig wieder. 

L. Lehmann I (Oeynhausen). 


22) Ca8ui8tisohe Mittheilungen, von Glaeser. Aus der I. Abtheilung des 
Neuen allgemeinen Krankenhauses in Hamburg. (Deutsche med. Wochenschr. 
1897. Nr. 51 u. 52.) 

I. Hemiplegia hysterica. 

Die 36jährige Patientin hatte am Abend des 14. November 1895 eine heftige 
Gemüthsbewegung, bemerkte am nächsten Morgen eine Lähmung des reehten Armes 

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and brach, beim Versuche ko arbeiten, bewusstlos zusammen. Status: Nicht abso¬ 
lute Bewusstlosigkeit. Schlaffe Lähmung der rechten Oliedmaassen ohne Facialis- 
parese. Kein Fieber. Patellarreflex links mässig stark, rechts schwach. Unmöglich¬ 
keit, die Zunge hervorzustrecken (bei sonst freier Beweglichkeit). Incontinentia 
urinae et alvi. Sonst normaler Befund. Am 18. November ist die Patientin geistig 
klarer, kann die Zunge nicht hervorstrecken, nur „ja“ sprechen; linker Patellarreflex 
fehlt Einige Tage später lässt Patientin nicht mehr unter sich, die feine Sensi¬ 
bilität ist rechts herabgesetzt, Patellarreflex fehlt rechts (! 26. November). — 4. De- 
cember: Die Zunge wird auf dringendes Auffordern schliesslich weit herausgestreckt 
es werden einige Worte, wenn auch m&hsam, gesprochen. — Am 19. December kann 
Patientin bereits ohne Unterstützung, ohne Andeutung einer pathologischen 
Gangart gehen. Sprache noch unvollkommen: Sensibilitätsprüfung dadurch erschwert. 
Kein Gaumenreflex. Normales Gesichtsfeld (10. Januar). — 3. Februar: Am rechten 
Bein werden warm und kalt nicht unterschieden, daselbst auch starke Herabsetzung 
des Schmerzgefühls. Berührungen mit dem Finger werden rechts garnicht oder nur 
langsam wahrgenommen. Geruch und Geschmack intact. Die Besserung schreitet 
fort; es besteht nur geringes Schwächegefühl in den rechten Extremitäten. Patientin 
erklärt, das richtige Wort fehle nie, sie könne es nur oft nicht gleich oder gar nicht 
herausbringen (24. März). — 21. März: Patellarreflex links schwer, rechts nicht 
auslösbar. Linker Plantarreflex fehlt Eine leichte Coutractur der Beugemuskulatur 
des rechten Armes wird durch Massage und passive Bewegungen beseitigt, Patientin 
am 13. April geheilt entlassen. — Verf. führt an was für und wider die hysterische 
Natur der Lähmung spricht die sich nur schlecht in den Bahmen der gewöhnlichen 
Hirnhämorrhagie einfügt. Ob das Fehlen der Facialislähmung bei der Hemiplegie 
stets als Zeichen ihres functionellen Charakters anzusehen ist, bezweifelt der Verf., 
da der Theorie nach unter Umständen Capseiherde die Extremitäten lähmen, den 
Facialis verschonen könnte. — Die Ansicht des Verf.’s, dass „die 8ehnenreflexe 
zwischen hysterischen und nicht hysterischen Lähmungen diagnostisch kaum verwendbar 
sind“, kann Bef. nicht theilen. 

IL Urämische Hemiplegie — Wirkung eines Aderlasses. 

70jährige Frau soll — Anamnese fehlt — seit einigen Tagen am rechten 

Arm, zuerst auch am rechten Bein, fast ganz gelähmt gewesen sein. Status: 
Mässige Arteriosklerose. Apathie. Schlaffe, totale Lähmung des rechten Armes, 
leichte Parese des rechten Beines, Facialisschwäche (Mundast). Völlige Taubheit, 
Trommelfell beiderseits zerstört, stinkenderOhrausfluss. Albumen im Urin bei nor¬ 
maler Harnmenge. Keine Herzhypertrophie, keine Betinitis albuminurica. Eine 

nach Catheterisation anstehende Cystitis geht rasch zurück, auch schwinden die 

Lähmungserscheinungen — es bleibt senile Demenz mit zeitweiligen Aufregungs¬ 
zuständen und wird rechts homonyme Hemiopie nachweisbar. Circa 6 Monate später 
wiederum plötzlich eintretende schlaffe Lähmung der rechten Extremitäten, keine 
Facialisparese, geringe spastische Widerstände. Diesen Symptomen folgten einige 
Stunden später clonische Krämpfe; dieselben beginnen im rechten Arm, ergreifen 
dann das rechte Bein, die Gesichtsmuskeln — Kopf und Augen sind nach rechts 
oben gedreht, Pupillen anscheinend reactionslos, mittelweit. Dauer des Anfalls 3 
bis 4 Minuten, dann Rückgang in umgekehrter Folge. Die Convulsionen kehren 
wieder, werden fast andauernd, sistiren aber nach Aderlass; auch die Lähmung 

schwindet noch an dem gleichen Tage. — Ein 3. Anfall von Lähmung der rechten 
Seite mit kurzer Dauer hat 2 Monate später stattgefunden. Patientin zeigt keine 
Veränderungen am Herzen, im Augenhintergrund; keine Oedeme, zeitweilig Spuren 
von Eiweiss, keine Formelemente (eine sichere Angabe über den mikroskopischen 
Befund findet sich allerdings nicht in der Krankengeschichte). — Verlegung in das 
Armenhaus. — In der Epikrise erörtert Verf. die diagnostischen Schwierigkeiten 


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und auch die Umstände, welche gegen die Annahme einer urämischen Hemiplegie 
sprechen. 

III. Eitrige Convexitätsmeningitis complicirt mit Hämatom der 
Dura mater. 

Der 60jährige Pah kommt mit Erysipelas croris zur Aufnahme. Die Röthe 
schwindet, trotzdem hält das Fieber an, erreicht allmählich höhere Grade (40°), 
gleichzeitig Pulsverlangsamung (76), Pat. wird apathisch. Status: Stirnfalte rechts 
verstrichen, rechts Ptosis und schlaffe Parese der rechten Extremitäten, starke Sensi- 
bilitätsherabsetzuug der ganzen rechten Seite. Zucken im linken Arm. Patellar- 
reflexe beiderseits lebhaft, links mit Clonus, Tricepsreflexe, besonders rechts, ge¬ 
steigert. Normaler Augenhintergrund, keine Veränderungen am Trommelfell. Leb¬ 
hafte clonische Zuckungen in allen Extremitäten, häufige Kaubewegungen. Exitus. 
Sectionsbefund: Dura stark gespannt, besonders links; beim Einschnitt in dieselbe 
entleeren sich mehrere Esslöffel blutig gefärbten Eiters. Der linke Scheitel- und 
Hinterhauptslappen muldenartig vertieft; daselbst ist die Dura an ihrer Innenfläche 
von einem dicken, durch Blutgerinnsel unterbrochenen Eiterfilz überzogen und zeigt 
auf dem Durchschnitt abwechselnde (bis 6 fache) Schichtung von grauweissen und 
graurothen Lagen. Pia links an der ganzen Convexität, rechts im Bereiche des 
oberen J /s der beiden Centralwindungen eitrig infiltrirt; Erweichungsherde links im 
oberen 1 / 3 der hinteren Centralwindung, in der 2. Frontal- und 2. Parietalwindung, 
ln der 1. Parietal Windung liegt dicht unter der Oberfläche eine kleine, eitrig infll- 
trirte Partie. Rechts keine Erweichungen. — Das übrige Gehirn ist makroskopisch 
intact. 

IV. Caries des Keilbeins aus unbekannter Ursache mit eitriger 
Thrombose des Sinus cavernosus. Meningitis purulenta. 

Der 44jähr. Kflper C. erkrankte im Januar 1896 mit starken Nacken-, Rücken- 
und Kopfschmerzen, sowie heftigen Schweissausbrüchen ohne Schüttelfröste; dazu 
traten beiderseits Ohrenschmerzen und hartnäckige Obstipation. Diese als Influenza 
gedeuteten Erscheinungen schwanden nach ca. 2 Monaten, Mitte März begannen 
wiederum heftige Kopfschmerzen. Befund (22. März): Fehlen des Gaumenreflexes, 
Steigerung der Muskel- und Sehnenrefiexe, Fussclonus. Träge Pupillenreaction, links 
lebhafter als rechts; das Gehör ist beiderseits herabgesetzt, besonders links. Eine 
druckempfindliche Stelle links neben der Mittellinie auf der Höhe des Kopfes. Sonst 
normale Verhältnisse. In der Folgezeit nehmen die Kopfschmerzen zu, die Tem¬ 
peratur steigt an, der Puls wird unregelmässig, das Sensorium benommen. Reflexe 
fehlen bald, bald sind sie gesteigert. Exitus (13. April). Der Durasack des Rücken¬ 
marks zeigt sich prall mit dünnem Eiter gefüllt, die Pia an der hinteren Fläche des 
Hals- und Brustmarks eitrig infiltrirt. In der Occipitalgrube dünnflüssiger Eiter; 
eitrig infiltrirte Flecken an symmetrischen, den Parietallappen entsprechenden Stellen 
längs der Gefässe. Gehirnbasis, Sylvi’sche Gruben und Kleinhirnoberfläche sind 
frei von Eiter. Im linken Sinus cavernosus, dessen obere Wand wie auch der Dura- 
Überzug des Türkensattels beträchtlich verdickt und getrübt ist, einige Tropfen 
Eiter. Caries des Keilbeins ohne auffindbare Ursache. 

V. Gliom der Medulla oblongata. 

Pah, 41 Jahre alt, nicht belastet, hatte vor 4 Jahren Gelenkrheumatismus mit 
Herzcomplicationen. Der Rheumatismus recidivirte 2 Monate vor der Aufnahme, 
gleichzeitig begann intensiver Schmerz im Hinterkopf, Neigung vorne über zu fallen 
nach längere Zeit vorhergehender Unsicherheit und in den letzten Tagen Erbrechen. 
Niemals Ohrenfluss. Status (21. Februar 1893): Gefühl für Stellung der Glieder 
entschieden gestört, Plantarreflex nicht anslösbar. Insufficienz des rechten Rectus 

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int., Parese des Levator veli palatini links. Beklopfen des Schädels, besonders am 
Hinterkopf, schmerzhaft, Wirbelsäule unempfindlich. Starkes Schwanken beim Stehen 
und Gehen. Doppelseitige Stauungspapille, rechts mit Blutungen, verticaler Nystagmus. 
Gehör: hört das Ticken der Uhr links auf 1 j 3 m, rechts auf 15 cm. In den folgenden 
Tagen heftigste Kopfschmerzen; starke Percussionsempfindlichkeit der rechten Hinter* 
hauptspartie, des rechten Proc. mastoideus. Auch links sind Retinalblutungen nach¬ 
zuweisen. Kein Fieber. Am 26. Februar dünner bräunlicher Ausfluss aus dem 
rechten Ohr; Perforation in der hinteren Trommelfellhälfte, umgeben von einem ge- 
rötheten Hof, mit pulsirendem Reflex. Uebelriechendes, eitriges Exsudat Starke 
Schmerzen im Kopfe und Nacken. Verdacht auf Gehirnabscess. Operation (28. Febr.); 
kein Abscess gefunden. Exitus 3 / i Stunden später. Die Section ergiebt neben 
Otitis media suppurativa einen Tumor am hinteren, unteren Theil des Bodens vom 
4. Ventrikel, der nach vorn bis zu den Striae acusticae reicht, nach hinten sich am 
Halsmark 6 cm abwärts erstreckt, dasselbe schalenartig umgreifend. Frisches streifiges 
Exsudat an der Uebergangsstelle des Lobus hemisphericus in den Lobus quadratus 
der rechten Kleinhirnhemisphäre. Der Tumor war ein sehr gefässreiches Gliom. — 
Verf. lässt es unentschieden, ob und welche Beziehungen zwischen dem bis an die 
Striae acusticae reichender Tumor und der X)titis media bestanden haben. Der 
Hauptwerth dieser Beobachtung liegt nach des Ref. Ansicht darin, dass auch hier 
nebeneinander Otitis media und Tumor cerebri bestanden, bestehende Hirnsymptome 
bei purulenter Otitis nicht allzu sicher für Abscess, gegen Tumor sprechen. 
Die sehr starke Stauungspapille in diesem Falle musste bei der Diagnose des Hirn- 
abscesses befremden. — Interessant ist die beobachtete Ataxie (?) in Rücksicht auf 
die Localisation des Tumors. R. Pfeiffer (Cassel). 


23) Des paralysies post - anesthdsiques, par E. Schwartz. (Gazette des 

höpitaux. 1897.) 

Bei einem 45jährigen Neurastheniker kam es während der Radicaloperation 
einer Leistenhernie zu vorübergehender Syncope, die künstliche Athmung erforderte; 
der Pat. blieb einen Tag lang leicht somnolent. Sobald er zu sich gekommen war, 
merkte er Ameisenlaufen in der rechten Hand, besonders im Daumen und Zeige¬ 
finger, zugleich war Lähmung des Flexor pollicis longus und des Index vorhanden; 
objectiv keine Sensibilitätsstörung. Bei den ersten Gehversuchen zeigte sich Lähmung 
des Triceps am rechten Bein. Nach 7 Monaten völlige Restitutio. Mit Rücksicht 
auf die kurze Dauer der künstlichen Athmung und die dabei angewendete Vorsicht 
hält Verf. es für ausgeschlossen, dass die Lähmung durch Zerrung des Plexus ent¬ 
standen sei, wie bei einer Reihe von „Narcoselähmungen". Er nimmt unter Zurück¬ 
weisung von Hysterie an, dass es sich um eine centrale Lähmung handelte. Verf. 
hat 16 ähnliche Beobachtungen gesammelt, von denen alle — bis auf seinen eben 
beschriebenen Fall — Weiber betrafen. Pathogenetisch sind die Fälle jedoch sehr 
verschieden; in einem secirten Falle wurden Erweichungsherde in der Rinde ge¬ 
funden, ein anderes Mal war Hysterie zweifellos. Verf. lässt auch die Büdinger’sche 
Vermuthung, dass es sich um toxische Paralysen handeln könne, für gewisse Fälle 
gelten, er selbst macht darauf aufmerksam, dass bei Arteriosklerotischen oder über¬ 
haupt bei Personen mit kranken Gefässen es im Excitationsstadium der Narcose 
unter dem Einflüsse des Schreiens, Brechens u. s. w. zu einer Gefäasruptur kommen 
könne. R. Hatschek (Wien). 


24) Des perversions de la motilitd dans l’hystörie. Un cas de ohoree 
rhythmöe hysterique chez un homme, par Glorieux. (Polidinique. 
1898. Nr. 6.) 


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Verf. beobachtete bei einem anscheinend religiös verschrobenen Menschen An¬ 
fälle von rhythmischen Zusammenziehungen der Lippen, regelmässigen, pendelartigen 

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Bewegungen des Kopfes and der Vorderarme. Die Dauer der Anfälle schwankte, 
selten währten sie länger als 1 j 2 Stande, in diesen Fällen waren sie gewissem) aassen 
aas einer Reihe von Miniaturanfällen zusammengesetzt. Die Zahl der Anfälle war 
ebenfalls verschieden, sie traten bei leichten Erregungen, bei Tabaksgeruch u. s. w. 
anf. Kein Bewasstseinsverlust. Nach einer heftigen Erregung blieben die Anfälle 
fast gänzlich aus. Im Qbrigen Kopfschmerzen, Gesichtshallucinationen im Halbschlaf, 
Herzklopfen, allerlei Schmerzen, Herabsetzung der Sensibilität an der rechten Körper« 
hälfte. Kaplan (Herzberge). 


26) Hysterloal double ptosis, by Kiernau. (Medicine. 1897. Vol. III. Nr. 10.) 

36 jähriger erblich schwer belastete Patientin leidet seit längerem an visceralen 
Neurosen, die zeitweise das Bild einer Peritonitis oder Gallensteinkolik Vortäuschen 
und mit merkwürdigen Temperaturschwankungen einhergehen (in wenigen Stunden 
Temperaturabfall von 109 °F. auf 90°); bei diesen Attacken können bei der Pat. 
leicht durch Suggestion Lähmungen und Anästhesieen, sowie Hautverfärbungen hervor* 
gerufen werden; in Folge der Aeusserung eines Angehörigen während einer solchen 
Attacke, ihre Augen sähen matt aus, trat unmittelbar leichte Amblyopie und doppel* 
seitige Ptosis auf, die nach einigen Wochen durch Suggestivbehandlung verschwanden, 
um nach einiger Zeit abermals in Folge autosuggestiver Vorgänge wieder aufzutreten. 
Heilung. Martin Bloch (Berlin). 


26) De la dif&oultö du diagnostio de l’appendiolte ohes les hystdriques, 

par M. Ren du. (Gazette des höpitaux. 1897.) 

Zwei lehrreiche Krankengeschichten zeigen, wie bei Hysterischen durch die 
reflectorisch entstehenden Symptome die initale geringfügige Appendicitis complicirt 
und schwer kenntlich gemacht werden kann. 

Ein 19jähriges Mädchen wurde mit den Erscheinungen einer allgemeinen Peri* 
tonitis in das Höpital Necker aufgenommen; daneben bestand Pharynxanästhesie und 
Hypästhesie an den unteren Extremitäten. Am nächsten Tag wird eine Schwellung 
in der F. il. dextr. fühlbar, die unter Verschlimmerung des Allgemeinbefindens, Er¬ 
brechen u. s. w. immer deutlicher wird, so dass zur Operation geschritten wird, ln 
der Narcose verschwindet jedoch die Schwellung, so dass man sich begnügt, wegen 
einer gleichzeitig bestehenden Endometritis den Uterus zu curettiren. Die heftige 
Wiederkehr aller früheren Erscheinungen veranlasste aber eine nochmalige Operation 
durch Routier. Der Appendix ist verdickt und etwas injicirt, um denselben finden 
sich einige recente, wenig resistente Adhärenzen; seine Schleimhaut ist geröthet und 
geschwellt. Nach der Operation gehen sämmtliche Beschwerden zurück, doch kommt 
es 2 Wochen später in Folge eines Gemüthsaffects zu Erbrechen, Tympanites, 
hysterischer Lähmung der Beine; letztere bessert sich langsam, während die abdo¬ 
minellen Erscheinungen rasch wieder geschwunden sind. 

Der zweite Fall betraf eine 22jährige, an Uebelkeit, Schmerzen, dyspeptischen 
Erscheinungen leidende Patientin, bei der Hämatemesis und Collaps eintrat; der Leib 
war dabei eingesunken und in der rechten Unterbauchgegend schmerzhaft. Nach 
neuerlicher Hämatemesis und Verschlimmerung des Allgemeinzustandes (Temp. 39 °, 
Puls 170) Laparotomie durch Routier. An Magen und Duodenum fand sich nichts, 
der Appendix war geschwellt, nach vorn vom Coecum gedreht, seine Serosafläche 
geröthet; keinerlei Adhaesionen, kein Exsudat. In dem resecirten Appendix, dessen 
Mucosa frei von Ulcerationen war, fanden sich zwei in Schleim gehüllte Phospbat- 
steine. Nach der Operation sofortiges Aufhören der abdominalen Beschwerden. Die 
durch die Congestion und Kolik des Appendix erzeugten Schmerzen und Erscheinungen 
sind bei der neuropathischen Patientin durch die nervösen Zustände vergrössert 
worden. 

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Im Gegensatz zur ersten Patientin schwanden hier nach der Operation auch 
die übrigen nervösen Symptome. In ähnlichen Fällen hält Verl einen operativen 
Eingriff für durchaus berechtigt. B. Hatschek (Wien). 


27) XSkaEma palmaire ches une hystErique, par Hontfort et MiralliE. 

(Bev. de Dermatologie. 1898.) 

Bei einer hereditär belasteten Person, welche Bchon lange an Krämpfen, anfall* 
weisem Weinen und Gähnen, Zittern, Globus n. s. w. gelitten hatte, und welche in 
Folge ihrer Beschäftigung besonders den inneren Band der rechten Händ stark zu 
benutzen gezwungen war, trat nach zwei früheren, ähnlichen Anfällen heftiger Schmerz 
an der Innenseite des rechten Vorderarms und der rechten Hand ein. Die Haut in 
der Gegend des Kleinfigerballens und der angrenzenden Seite der Hohlhand war 
trocken, runzelig, verdickt, von zahlreichen, sich regellos kreuzenden Furchen durch¬ 
zogen, deren Grund schmutzig-grau aussah und von feinen, leicht abkratzbaren 
Schuppen bedeckt war. An der linken Hand fand sich übrigens ebenfalls eine An¬ 
deutung des Ekzems; rechter Ulnaris in seinem ganzen Verlauf stark druckschmerz¬ 
haft; in seinem Verbreitungsbezirk hochgradige Herabsetzung der Sensibilität. Keine 
motorischen Störungen. Im übrigen Hypästhesie der ganzen rechten Körperhälfte 
mit Betheiligung des Geruchs und Gehörs. 2 Monate später ist keine Schmerzhaftig¬ 
keit des Ulnaris mehr nachzuweisen, und das Ekzem ist verschwunden. 

Kaplan (Herzberge). 


28) Un oas d'anurie hystErique aveo Elimination supplEmentaire de 
1’urEe, qui a durE pendant douse jottrs (le 6—18 du mois de mai) 
ohes une femme hystErique, guErie complEtement, par BarthElemy 
Guisy (AthEnes). (Progr. mEd. 1898. VI. S. 84.) 

Eine 39 jährige Hysterische litt seit dem Tode ihres Mannes an Anfällen, in 
denen sie hinfiel und Zuckungen hatte, welche sich zumal durch psychische Er¬ 
regungen häuften. Sie bemerkte nur, dass sie während den Anfällen häufig an 
Harnverhaltung litt 

Nach einem neuen psychischen Insulte erkrankte sie wiederum an letzterer 
und consultirte den Verf. Dieser fasste seine mehrtägige Beobachtung in folgende 
Punkte zusammen: 

Die Harnverhaltung dauerte bei der schwer Hysterischen 12 Tage, war von fast 
unstillbarem Erbrechen und von einer starken und andauernden Urinabsonderung 
durch Nase, Augen, Ohren und Vagina begleitet. Auffallenderweise befand sich die 
Kranke körperlich leidlich wohl. 

Verf. sucht das Vorkommen dieses wohl experimentell theilweise nachgewiesenen, 
aber beim Menschen noch nicht beobachteten Symptoms durch eine Zusammen¬ 
ziehung der kleinsten arteriellen Gefässe zu erklären, welche durch un¬ 
bekannte Function der sekretorischen oder anderer in ihrer Th&tigkeit noch nicht 
bekannter Nervenfasern bedingt ist und die Tubuli contorti unwegsam macht. 

Adolf Passow (Strassburg i./E.). 


29) Deux observations de troubles vaso - moteurs d’origine hystErique, 
par Nauheimer. (Arch. de NeuroL 1896. Vol. II. Nr. 9.) 

Die erste Beobachtung betrifft eine 27jähr. Frau, die neben charakteristischen 
hysterischen Symptomen als Hemianästhesie, Gesichtsfeldeinschränkung, Anfälle, die 
Erscheinungen des „OedEme bleu“ an der linken Hand darbot Das letztere war 
nun dadurch interessant dass sich die Farbe der ödematösen Theile mitunter änderte. 


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und dass das Oedem zeitweise sogar verschwand. Diese Veränderungen stellten sich 
theils spontan nach Anfällen, theils nach einfacher Verbalsnggestion ein. 

Im zweiten Falle handelt es sich nm einen 28jähr. hysterischen Journalisten, 
der folgende vasomotorische Störungen zeigte: 1. hochgradige Dermographie, 2. An¬ 
fälle eigentümlicher Art: es stellte sich zunächst ein Zittern des ganzen Körpers 
ein, nach einigen Secunden treten dann auf der Haut des Gesichts, des Thorax, des 
Abdomen und der Extremitäten eine Anzahl kleiner Erhebungen von etwa 1 mm 
Höhe auf, die alle in ihrem Centrum ein Haar erkennen Hessen. Die Störung hatte 
also ganz den Charakter einer „Gänsehaut". Diese Anfälle stellten sich sehr häufig 
ein, oft bis zu 20 in der Stunde. Die Dauer des einzelnen Anfalls betrug circa 
20 Secunden. Daneben bestand noch eine sekretorische Störung in Form einer 
Hyperhidrosis an beiden Händen. Das Auftreten der „Gänsehaut“ führt der Verf. 
auf plötzliche spasmodische Contraction der kleinen Hautarterien zurück. Der Verf. 
hält diese Störung für eine der verschiedenen Modahtäten, in denen sich die „vaso¬ 
motorische Diathese" der Hysterischen manifestiren kann. Irgend welche Anhalts¬ 
punkte, dass die Störung auf Intoxicationen beruhen könnte, Hessen sich nicht auf¬ 
finden. _ M. Weil (Stuttgart). 


30) Xerostomia (Mouth-Dryness), by J. Sharp. (Brit. med. Journ. 1898. 

7. May. S. 1205.) 

Verf. berichtet über einen FaU von absoluter Mundtrockenheit und partieller 
Nasentrockenheit bei einer 41jähr. alleinstehenden Frau. Der Zustand hatte vor 
l 1 /, Jahren plötzlich angefangen. Geruch und Geschmack waren nicht abnorm, ob¬ 
wohl über einen muffigen Geruch geklagt wurde, ohne dass örtfich ein Befund dafür 
bestand. Die Zähne waren in erträglichem Zustande. Wenn das künstliche Gebiss 
weggelassen wurde, wuchs das Trockengefühl. Die ganze Mundhöhle zeigte sich 
trocken und glasirt, bleich; nur die Zungenspitze war roth. Die PapiUen der Zunge 
prominent; Fauces und Pharynx mit Granulationen. Speicheldrüsen und Gänge ohne 
Sekretion. Spülwasser der Zunge zeigte alkalische Beaction. Lippen trocken, Haut 
nicht trocken; Patientin konnte schwitzen, Urin normal, nicht Parotitis. Patientin 
kühlte die Zunge mit einer Sodalösung. L. Lehmann I (Oeynhausen). 


31) Neuritis isohiadioa, Neuralgia isohiadioa und Hysterie. Bin neues 
dififerentialdiagnostisohes Symptom nebst einigen Bemerkungen, von 
Dr. Max Biro. (Aus der PoUklinik von Dr. Goldflam in Warschau.) (Deutsche 
Zeitschr. f. Nervenheilk. 1897. XI.) 


Verf. giebt den Status von 12 Fällen, welche sämmtlich den Symptomencomplex 
der Ischias darboten, aber gleichzeitig durch das Fehlen des AchiUessehnenreflexes 
an der leidenden Extremität die engere Diagnose „Neuritis" im Gegensatz zur 
„Neuralgie" ermöglichten. Einige Male handelte es sich nur um eine Abschwächung 
desselben. In den mitgetheilten Fällen konnte ausserdem sehr häufig eine merkliche 
Verringerrung des Umfangs des Unterschenkels, sowie verminderte, elektrische Er¬ 
regbarkeit an der ergriffenen Extremität nachgewiesen werden, ohne dass von einem 
ParaUelismus dieser beiden Symptome mit dem Fehlen des genannten Reflexes die 
Bede war. Um diese 3 Erscheinungen als ausschlaggebende Factoren heranziehen 
zu können, muss eben die Fragestellung auf die Differentialdiagnose zwischen Neuritis 
und Neuralgie reducirt, also eine Erkrankung des N. ischiadicus selbst erkannt sein 
im Gegensatz zu Affectionen des Hüftgelenks, des M. psoas, pathologischen Processen 
au der Wirbelsäule, den Bückenmarkshäuten, dem Rückenmark selbst (Tabes, Mye- 
Utis, PoliomyeHtis ant) gegenüber der Polyneuritis und der unter dem Bilde der 
Ischias sich manifestirenden Hysterie. Bei Erörterung der Frage, ob überhaupt 


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zwischen Neuralgie and Neuritis ischiadica eine strenge Unterscheidung thunlich ist, 
findet sich eine Beihe von Thatsachen, welche dem eher widersprechen. Denn wenn 
auch gewisse Symptome eine Neuritis annehmen lassen, so kann man bei deren 
Fehlen nicht in ebenso bestimmter Weise auf eine Neuralgie schliessen, da der vor« 
schiedene clonische, ja auch pathologisch-anatomische Befund der Ausdruck von nur 
quantitativ, nicht qualitativ verschiedenen Veränderungen sein kann. Unter diesem 
Gesichtspunkt betrachtet Verf. auch den verschiedenen Schmerzcharakter, der daher 
als differeutialdiagnostisches Moment an Bedeutung verliert. Obwohl sich hierdurch 
die Hypothese ergiebt, dass eine scharfe Grenze zwischen Neuritis und Neuralgie 
überhaupt nicht existirt, so zieht Verf. auf Grund von 156 Krankengeschichten den 
Schluss, dass die sogen. Ischias eher den Entzündungen als den Neuralgieen zuzu¬ 
zählen sei. In 14% der Fälle fanden sich charakteristische Entzündungserschei¬ 
nungen, in 78% konnte eine eine engere Diagnose mit Sicherheit nicht gestellt 
werden. Dazu kommen dann noch die Fälle von hysterischer Pseudo-Ischias. In 
9% fanden sich, und zwar meist gekreuzte, Skoliosen. Alle bisher üblichen An¬ 
gaben ätiologischer Momente finden zum Schluss eine sehr skeptische Beurtheilung, 
war es doch bei dem grossen Material nicht möglich, der Erkältung in dieser Hin¬ 
sicht eine besondere Bedeutung zuzuschreiben. E. Asch (Frankfurt a./M.). 


32) Contributo alla diagnosi e alla cura nelle artralgie isteriche, per 

L. Bianchi. (Annali di Nevrologia. XVI.) 

Verf. theilt 2 Fälle hysterischer Gelenkerkrankungen mit, die beide vorher 
chirurgisch ohne Erfolg behandelt, durch Suggestion geheilt wurden. Der erste be¬ 
traf ein junges Mädchen; diese hatte bisher keine Zeichen von Hysterie geboten, 
hatte aber eine Pensionsgenossin an einer Coxitis leiden sehen. Nach einem Sturz 
von der Treppe erkrankte sie mit Schmerzen in der Hüfte, Unbeweglichkeit der 
unteren Extremität und Contractur derselben. Gleichzeitig wurde das Mädchen 
reizbar, launisch und verfiel leicht in hysterische Krämpfe. 

Im zweiten Falle handelte es sich um ein vorher schon hysterisches Mädchen, 
bei der sich intensive Schmerzhaftigkeit des linken Schultergelenks und allmählich 
Unbeweglichkeit des linken Arms einstellte, so dass der Verdacht eines tuberculösen 
Gelenkleidens entstand. 

Zur Stellung der Diagnose half beide Male das Bestehen hysterischer Anfälle, 
das Vorhandensein von Schmerzpunkten in weiterer Entfernung vom befallenen Ge¬ 
lenk und von hysterogenen Zonen am kranken Glied; Anästhesieen, Einengung des 
Gesichtsfeldes, Contracturen, wie sie bei wirklichen Gelenkerkrankungen nicht Vor¬ 
kommen, wie z. B. der Bauchmuskeln bei der Coxalgie; die hysterische Cbarakt- 
Veränderung. Valentin. 

33) On oyolone — neuroses and psyohoees, by Ludwig Bremer, St. Louis, 

Mo. 

Die Cyklonkatastropbe, welche im Mai 1896 St. Louis heimsuchte, hat bei einer 
beträchtlichen Zahl von Bewohnern nicht unbedeutende nervöse Störungen hervor¬ 
gerufen und hinterlas8en, von denen Verf. eine interessante Schilderung giebt. Im 
Allgemeinen batte die Schädigung des Nervensystems den Charakter der trau¬ 
matischen Hysterie: bei schon vorhandener und durch die Katastrophe an sich 
gesteigerter oder durch diese erst erzeugter Disposition vermochten selbst geringe 
mechanische Läsionen schwere nervöse Erscheinungen zu Tage zu fördern. Verf. 
beobachtete z. B. zwei Frauen mit hysterischer Paraplegie; bei keiner waren Spuren 
einer physikalischen Einwirkung zu constatiren, obgleich beide behaupteten, durch 
einen vom Sturm geschleuderten Gegenstände einen Schlag auf den Bücken erlitten 

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za haben; beide genasen. Bei einem jungen Manne folgte auf eine leichte Quetschung 
an der Kopfhaut, entsprechend dem linken Armeentrnm, eine 2tägige Betäubung; 
als er von dieser erwachte, war er vollständig amnestisch, und als schliesslich am 
3. Tage auch der halbstuporöse Zustand geschwunden, entwickelte sich plötzlich eine 
unvollständige Hemiplegie des linken Arms mit Athetose der Finger und Ataxie des 
linken Beins. Die Athetose schwand bald, die Parese des Arms und Beins, sowie 
die Ataxie dauerten fort. Ausserdem bestanden vorübergehender Verlust des Seh-, 
Riech- und Geschmacksvermögens derselben Seite und ein leichter Grad von Anästhesie 
der befallenen Glieder. Die Gesichtsmuskeln waren verschont geblieben. Hysterische 
Aphasie und Aphonie traten öfter auf. Bei einem früher aphasisch gewesenen 
Mädchen, welches garnicht am Orte der Katastrophe wohnte, recidivirte aus blosser 
Furcht vor letzterer das Leiden, verlor sich aber nach einigen Wochen: in der Folge 
kehrte es bei jedem grösserem Unwetter anfallsweise wieder. Zwar wurde nicht 
beobachtet, dass eine bestehende Aphasie unter dem Einfluss der Katastrophe geheilt 
worden wäre, jedoch sind mehrere Fälle chronischer hysterischer Invalidität berichtet 
worden, in denen das Ereigniss auf die Nerven stimulirend wirkte, die Gelähmten 
von dem Krankenstuhl, den sie Jahre lang nicht verlassen, jagte nnd zu verschie¬ 
denen Hülfeleistungen fähig machte, aber nur vorübergehend. 

Ein junger Mann litt noch lange nach der Katastrophe an periodischen Schwindel¬ 
anfällen mit bis zu Anästhesie sich steigernder Gefühlsherabsetzung beider Hände. — 
Neurasthenie, oft mit Gewitter und Cyklonfurcht und Todesangst vergesellschaftet, 
war ebenfalls eine häufige Nachwirkung der Katastrophe. — Interessant war es, zu 
beobachten, wie auf der Rennbahn beim Hereinbrechen der Cyklons, der sogar die 
Tribünen wegraffte, Hunderte von Menschen auf die Kniee fielen und beteten, die 
sonst gewiss nie ans Beten zu denken pflegten, und auch später noch rief das 
Herannahen eines blossen Gewitters ähnliche Massenangstausbrüche hervor. — Diarrhoe 
und leichte Fieberzustände kamen auch vor, auch soll seit jener Zeit Malaria in 
St. Louis häufiger sein. — Manche wurden dnreh die Katastrophe in einen mehr¬ 
stündigen halbbetäubten Zustand versetzt, in dem sie wie im Traum automatisch 
umhergingen und aus dem sie keine Erinnerung hatten. Auch retrograde Amnesie 
wurde beobachtet. Alkoholisten wurden wochenlang nicht nüchtern. Geistesstörungen 
rief das Ereigniss nicht hervor, bereits vorhandene wurden aber verschlimmert. Eine 
allgemeine melancholische Verstimmung schien allerdings angesichts des vielen Un¬ 
heils auf allen Gemüthern zu lasten. Bresler (Freiburg i./Schl.). 


34) Ueber einen eigenartigen hysterischen Dämmerzustand (Ganser). Ca- 

suistische Mittheilung von Prof. Dr. Binswanger in Jena. (Monatsschrift f. 

Psych. u. Neurolog. 1898. Bd. III.) 

Verf. schildert einen mehrere Tage dauernden Anfall von Benommenheit und 
Desorientirtheit mit lebhaften Sinnestäuschungen bei einem 24jährigen, bisher ge¬ 
sunden Mann. Im Anfall, in dem der Kranke einen Strangulationsversuch unternahm, 
wurden Druckempfindlichkeit der Orbitaldruckpunkte, Fehlen des Gaumenreflexes, 
Hypalgesie am ganzen Körper nnd Analgesie an den Extremitäten festgestellt. Nach 
dem Anfall bestand für 4'/ 2 Tag totale Amnesie. Im Dämmerzustand hatte der Pat. 
auf einfache Fragen widersinnige Antworten gegeben, hatte nicht einmal Geldstücke 
als solche erkannt, war kataleptisch gewesen, hatte geglaubt, Matrosen hätten ihn 
geknebelt und wollten ihn auf ihrem Schiff entführen, sah Eisenbahnzüge an sich 
vorüberfahren und war davon überzeugt, dass Krieg ausgebrochen sei und er Befehl 
erhalten habe, einzurücken. G. Ilberg (Sonnenstein). 


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35) Ueber einen eigenartigen hyBterieohen Dämmerzustand, von Dr. Ganser 

in Dresden. (Archiv f. Nervenkrankb. 1898. Bd. XXX.) 

Der Aufsatz stellt eine ffir die Lehre von den Gefängnisspsychosen wie die von 
der Simulation gleichwichtige Bereicherung der Litteratur dar. Es handelte sich um 
acute hysterische Geistesstörung. 

Eine Anzahl von Untersuchungsgefangenen zeigten die auffällige Erscheinung, 
dass sie Fragen allereinfachster Art nicht richtig zu beantworten vermochten, obwohl 
sie — wie sie durch ihre Antworten kundgeben — den Sinn der Fragen ziemlich 
erfasst hatten. Ausser mit dieser überraschenden Unkenntniss waren die betreffenden 
mit pathologischem Affect und mit Hallucinationen des Gesichts und des Gehörs be¬ 
haftet. Ihr Bewusstsein war in verschieden starkem Grade getrübt Während der 
Dauer dieses acut entstandenen Zustandes konnten hysterische Stigmata, namentlich 
Analgesie, nachgewiesen werden. Nach wenigen Tagen wurde das Bewusstsein der 
Kranken völlig frei und klar; sie beantworteten alle Fragen in einer dem Stand ihrer 
Kenntnisse entsprechenden Weise völlig zutreffend, hatten für die Zeit ihres ver¬ 
änderten Seelenzustandes Amnesie und waren frei von den im Dämmerzustand con- 
statirten Sensibilitätsstörungen. G. Ilberg (Sonnenstein). 


36) Case of acute at&xy of one limb, by Campbell Thomson. (Lancet. 

1897. 18. Dec.) 

Beide Fälle, welche Verf. mittheilt, beanspruchen, obwohl ein Sectionsbefund 
fehlt, Interesse. Im ersten Falle trat bei einem 48jährigen Manne unterwegs ein 
Schwindelanfall ein. Dabei fühlte er eine Schwere im rechten Bein. Dazu kam 
weiterhin Versagen des Detrusor vesicae, Taubheitsgefühl in der linken Hand und — 
noch an demselben Tage — hochgradige Ataxie des linken Arms. Im Krankenhaus 
wurde ausserdem eine leichte Parese des linken Arms und rechten Beins und eine 
schwerere des linken Beins festgestellt. In der ganzen unteren Körperhälfte be¬ 
standen schwere Sensibilitätsstörungen, im linken Arm keine. Bauch-, Sehnenreflex 
und Kniephänomene fehlten beiderseits, ebenso die tiefen Reflexe des linken Arms. 
Die Sphinkteren waren völlig gelähmt. In wenigen Wochen trat völlige Heilung 
ein. Auch die Reflexe und Sehnenphänomene kehrten zurück. Infection oder In* 
toxication war nicht nachzuweisen. Ref. nimmt eine disseminirte entzündliche Er¬ 
krankung des Rückenmarks an. 

Im zweiten Falle handelte es sich um eine 58jährige Frau, bei welcher nach 
3 wöchentlichem Schleppen eines schweren Wassereimers (stets mit dem linken Arm 
und in unbequemer Haltung!) plötzlich Abends ein Prickeln im linken Arm auftrat; 
auch schien es ihr, dass sie den linken Fass etwas nachschleppte. Am folgenden 
Tage bestand eine schwere Ataxie des linken Arms. Die Sensibilität war intact, 
auch Gewichte wurden gut unterschieden, das Muskelgefühl war erhalten. Die grobe 
Kraft schien etwas herabgesetzt. Das linke Bein zeigte keinerlei objectiv nachweis¬ 
bare Symptome. Pat. klagte auch über ein Kältegefühl in der ganzen linken Körper¬ 
hälfte. Binnen einer Woche trat fast vollständige Heilung ein. Verf. nimmt an, 
dass es sich um eine durch Erschöpfung bedingte functionelle Störung gehandelt hat 

Th. Ziehen. 


37) Neurasthenie, von Th. Ziehen. (Eulenburg’s Real-Encyklopädie der gesammten 
Heilkunde. 3. Aufl.) 

Die Neurasthenie kann als allgemeine functionelle Neurose von chronischem 
Charakter bezeichnet werden. Pathologisch-anatomische Befunde sind somit nicht 
bekannt Die Hauptsymptome der Neurasthenie sind: 

1. eine Stin mungsanomalie, die sogen, krankhafte Reizbarkeit, 

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2. krankhafte Ermüdbarkeit der Ideeenassociation, 

3. krankhafte Ermüdbarkeit der motorischen Innervationen, 

4. Sensorische and sensible Hyperästhesieen and Hyperalgesieen, 

5. Schmerzen und Par&sthesieen, 

6. Agrypnie. 

Die Combination mehrerer dieser Haoptsymptome gestattet die sichere Diagnose 
auf Neurasthenie. Aetiologisch kommt besonders die Erblichkeit in Betracht, dann 
spielen aber auch Anämie, Intoxicationen, sexuelle Excesse, Ueberarbeitung, Sorge 
und Aerger, chronische und acute körperliche Krankheiten und schliesslich Unfälle 
eine Bolle. Der „traumatischen Neurose“ eine Sonderstellung einzuräumen ist nach 
Verf.’s Ansicht unrichtig. 

Im Verlaufe der Neurasthenie kann man oft ein erstes Stadium der vorwaltenden 
Localsymptome und ein zweites Stadium der vorwaltenden Allgemeinsymptome unter¬ 
scheiden. Häufig besteht neben der Neurasthenie noch eine andere Erkrankung des 
Nervensystems, wie Herderkrankung des Qehirns, Lues cerebri, Morb. Based. u. s. w.; 
oft auch kommen Uebergangsformen zu anderen Erkrankungen (Hysterie, Melancholie, 
Stupidität, Paranoia) vor. 

Differentialdiagnostisch kommen in Betracht: Dementia paralytica, Hirnsyphilis, 
multiple Neuritis, Neuralgie, Migraine, Hysterie, Melancholie, Stupidität, Paranoia, 
organische Magen- und Darmerkrankungen, Herzkrankheiten, Tuberculose. Die Fest¬ 
stellung der Simulation ist deshalb sehr schwierig, weil die Neurasthenie kein einziges 
nicht simulirbares Symptom hat 

Die Prognose ist quoad vitam sehr günstig, quoad sanationem completam nicht 
günstig, insofern nur 30°/ 0 völlig geheilt werden. 

Was die zahlreichen über die Neurasthenie aufgestellten Tbeorieen betrifft, so 
nimmt Verf. mit den meisten Autoren an, dass es sich um eine Ernährungsstörung 
der Ganglienzellen und Nervenfasern handelt, dass eine Störung des Gleichgewichts 
zwischen Degeneration und Regeneration der Nervenfasern besteht. Bezüglich der 
Prophylaxe ist Abhärtung des kindlichen Nervensystems (Waschungen, Gymnastik) 
obenan zu stellen, ferner ist eine Verbesserung der Arbeitsmethode in prophylactischer 
Hinsicht von hoher Wichtigkeit. Da in der Aetiologie der Neurasthenie die all¬ 
gemeine Ernährungsstörung einen Hauptfactor darstellt, so ist eine sogen. Mast- oder 
Playfairkur (Ueberernährung, Bettruhe, Massage) oft von therapeutischem Erfolge 
begleitet. Was die speciellen Indicationen betrifft, so sind gegen Reizbarkeit Brom¬ 
präparate zu verordnen; in neurasthenischen Angstanfällen hat Verf. passive Atem¬ 
gymnastik mit grossem Erfolge angewandt Bei hypochondrischen Vorstellungen ist 
wegen der Suicidgefahr eine ununterbrochene Ueberwachung des Kranken zu verlangen. 
Bei hypochondrischer Neurasthenie spielt ferner eine psychische Behandlung, sowie 
die Ablenkung durch Beschäftigung eine grosse Rolle. Die Hydrotherapie zeigt bei 
vielen Symptomen der Krankheit (besonders bei den sexuellen Symptomen und der 
Agrypnie) eine günstige Wirkung. Kurt Mendel. 


38) Ueber einige Beziehungen zwischen Neurosen und örtliohen Er¬ 
krankungen, von Dr. Maximilian Sternberg in Wien. (Wiener klin. 
Wochenschr. 1898. Nr. 20.) 

Die Combination der Neurose mit einer localen Erkrankung kann eine nur 
scheinbare sein oder wirklich bestehen. 

Im enteren Falle können die objectiv nachweisbaren localen Veränderungen 
dreierlei Ursprung haben: sie können einer bestimmten bestehenden Erkrankung zu¬ 
kommen, oder Residuen eines alten vollständig abgelaufenen Processes oder durch 
die angewendete locale Therapie erzeugt sein. 

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Als Beispiel einer weniger gekannten Beziehung zwischen acutem Gelenk¬ 
rheumatismus und Hysterie theilt Verf. folgenden Fall mit: 

Eine 30jährige Claviervirtuosin war vor 8 Tagen an Gelenkrheumatismus er¬ 
krankt, der sich nur im rechten Knie localisirt hatte. Dieses etwas geschwollen, in 
leichter Beugestellung. Das ganze Bein bis zur Hüfte enorm hyperalgetisch; Druck¬ 
punkte an der Wirbelsäule und am Scheitel. Die Schwellung schwand nach 3 Wochen, 
die Schmerzhaftigkeit nahm zu. Auch ein Gypsverband brachte keine Besserung, 
Pat. wurde nun völlig unbeweglich, liess Harn und Stuhl rücksichtslos unter sich, 
und verlangte schliesslich die Abnahme des Verbandes in Narkose. Nach einigen 
Tropfen Chloroform gelang es leicht sie zn hypnotisiren und ihr zu suggeriren, dass 
sie ohne Schmerz erwachen werde. Die Besserung hielt aber nur einige Tage an, 
dann kehrten die alten Schmerzen wieder. Schliesslich soll sie doch mit ziemlich 
guter Beweglichkeit des Beines genesen sein. 

Aehnliche Verhältnisse liegen in manchen Fällen von Morphinismus und 
Cocainismus vor. Da der Gebrauch von Morphin meist durch ein schmerzhaftes 
Leiden veranlasst wird, so ist die Entscheidung oft nicht leicht, ob die Schmerzen 
mit einer Intoxicationsneurose oder mit dem Fortbestand des primären Leidens Zu¬ 
sammenhängen. 

Als Beispiel bringt Verf. folgenden Fall: 

Eine 53jährige Frau erkrankte an rheumatischen Schmerzen im rechten Bein, 
welche so unerträglich wurden, dass der Arzt ihr Morphininjectionen gab. Bald er¬ 
hielt sie mehrmals täglich eine Einspritzung. Vor 4 Jahren war ihr die linke 
Mamma wegen Carcinom operirt worden. 

Sie klagte über eine Anzahl nervöser Beschwerden. Die Schmerzen im Bein 
hatten keinen bestimmten Sitz und wurden angeblich durch Bewegung gesteigert 
Keine Cachexie, nirgends vergrösserte Drüsen. Die Muskelmasse im rechten Quadri- 
oeps war etwas schlaffer, der Umfang in der Mitte des rechten Oberschenkels am 
1 cm geringer als links und der rechte Patellarreflex fehlte vollständig. Keine 
Sensibilitätsstörung. Es war also unzweifelhaft eine Affection des rechten Crural- 
nerven vorhanden. 

Man konnte an eine Carcinommetastase am Cruralis oder seinen Wurzeln in 
einer Lymplidrüse oder in einem der Gebilde des Wirbelcanals denken. Dafür waren 
aber keine Anhaltspunkte zu finden, ebensowenig für eine spinale Affection oder eine 
recente entzündliche Affection des Nerven. Verf. entschied sich für die Diagnose einer 
abgelaufenen Neuritis toxischen oder infectiösen Ursprungs, welche ursprünglich die 
Beschwerden verursacht habe, jetzt aber functionell bedeutungslos sei, während die 
gegenwärtigen Beschwerden dem Morphinismus angehören. Die Resultate der Ent¬ 
ziehungskur bestätigen die Diagnose; mit der Abgewöhnung schwanden auch die 
Schmerzen vollständig. 

Cocainismus kann auch durch locale Anwendung des Mittels entstehen und 
Verf. theilt als gewiss seltenes Vorkommniss einen Fall von Cocainismus von der 
Harnblase aus mit: 

Einem 45jährigen Manne wurde wegen heftiger Beschwerden von Seiten einer 
alten Cystitis eine Blasenausspülung mit Cocain gemacht (1,2:80). Pat. gebrauchte 
zu Hause die Ausspülungen weiter durch 3 Jahre. Im Ganzen verbrauchte er 
475 g Cocain. Der Fall wurde bei Revision der Krankenkassenrechnungen entdeckt. 
Verf. fand eine leichte chronische Cystitis und sistirte den Bezug des Cocains. 
Cystitis und nervöse Beschwerden besserten sich. 

Bei Besprechung der Fälle, in welchen eine unzweifelhaft locale Affection mit 
einer allgemeinen Neurose combinirt ist, erwähnt Verf. in besonderen den Zahnschmerz, 
den chronischen Rachencatarrh, die klimakterische Schlundneurose, die Verf. in 
mehreren Fällen mit Akroparästhesie vergesellschaftet fand, die Wanderniere, die 
sexuellen Erkrankungen und die Herzaffectionen mit Neurosen. Da auch bei or- 


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g&nischen Herzfehlern Störungen der Herzthätigkeit zweifellos nervöser Natur vor* 
kommen können, ist es prognostisch und therapeutisch wichtig beides zu unterscheiden. 
Hier kommt besonders die sexuelle Angstneurose Freud’s bei jungen Leuten 
oft in Betracht. Es folgen zwei einschlägige Fälle. 

1. 21 jähriger Beamter; seit Monaten Herzklopfen. Leichte Cyanose, normale 
Herzdämpfung, präsystolisches Qeränsch an der Spitze, Accentuation des 2. Pulmonal« 
tones. Herzklopfen unabhängig von Beschäftigungen, oft beim Einschlafen, nie 
Nachts. Im Ham Tripperfäden. Seit dem Tripper wegen Angst vor Infection 
Masturbation. Mit Unterlassen derselben schwand das Herzklopfen. 

2. 24jähriger Mann; vor 4 Jahren Gelenkrheumatismus; systolisches Geräusch 
am unteren Ende des Sternums. Bis vor kurzem Körperübungen ohne Herzklopfen 
möglich; seit einigen Monaten Brantigam, seither Herzklopfen, nervöse Diarrhoe, Angst 
in grösseren Gesellschaften plötzlich wegen Stuhldranges aus dem Zimmer gehen zu 
müssen. Traitement moral und Faradisation des Bauches beseitigten den ganzen 
Sy mptomencomplex. 

Therapeutisch kommt Verf. zu folgenden Schlussergebnissen: 

Hat man in einem gegebenen Falle Grund, eine Combination einer allgemeinen 
Neurose mit einer localen Affection anzunehmen, so stelle man durch sorgfältige 
Anamnese und genaue Untersuchung beides fest Während der Untersuchung ver¬ 
meide man es absolut, über den Befund, wie das üble Gewohnheit vieler Aerzte ist, 
irgend eine Bemerkung fallen zu lassen. 

Ist eine locale, insbesondere eine operative Behandlung unbedingt erforderlich, 
dann soll sie ungesäumt in Angriff genommen und womöglich durch einen einzigen 
Eingriff beendigt werden. 

Ist keine unbedingte Indication zur localen Behandlung vorhanden, so fragt es 
sich, ob die Beschwerden vorwiegend motorischer oder sensibler Natur sind. Im 
ersteren Falle bietet eine locale Behandlung mit suggestiver Nebenabsicht einige 
Aussicht auf Erfolg. 

Sind vorwiegend sensible Symptome bei allgemeiner Neurose vorhanden, dann 
ist es am besten, die locale Affection zu ignoriren, da eine längere locale Behand¬ 
lung in solchen Fällen meist nur den Erfolg bat, die Beschwerden durch Auto¬ 
suggestion zu fixiren. Sind Schmerzen vorhanden, dann behandle man diese durch 
Dehnungsgriffe. 

Weiss der Pat. nichts von seiner localen Affection, so ist es nicht nöthig, sie 
ihm mitzutheilen; man kann eine Menge zweckdienlicher Behandlungsmethoden durch¬ 
führen, ohne dass der Pat von seiner Localaffection zu wissen braucht. 

Schwieriger wird die Sache, wenn der Kranke schon von seiner localen Affection 
weiss, und diese schon erfolglos behandelt wurde. In vielen Fällen wirkt da eine 
harmlose Nothlüge, in dem man die Abnormität für angeboren, für eine interessante 
Rarität erklärt. Die Eitelkeit vieler Pat. bewirkt, dass sie alsdann auf ihren Befund 
stolz und völlig getröstet sind. J. Sorgo (Wien). 


39) Ueber ein Pulsphänomen bei Neurasthenikern, von Dr. Sigmund 

Erben in Wien. (Wiener klin. Wochenschr. 1898. Nr. 24.) 

Während das irritable Herz der Neurastheniker auf die verschiedensten Körper¬ 
bewegungen mit vermehrter Schlagfolge antwortet, fand Verf., dass diese ausblieb, 
wenn er die Pat. sich niederhocken oder ausgiebig nach vorn beugen liess. Der 
Puls erhielt sich anfangs in seinem Rhythmus, und nach 4—5 Schlägen setzte 
plötzlich eine Pulsverlangsamung ein. Diese trat ohne Einleitung auf und setzte 
sich der rare Puls scharf von dem vorhergehenden ab. Nach dem ersten derartigen 
Pulse folgen gewöhnlich noch 3—6 gleiche, darauf erhebt sich die Pulsfrequenz 
wieder und erreicht eine Höhe, welche die Pulszahl vor dem Versuche übersteigt, 


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ob nun der Kranke weiter gebfickt bleibt oder sich wieder anfgerichtet hat Nach 
dem Aufrichten war das Gesicht meist leicht cyanotisch. Subjective Beschwerden 
fühlten die Pat. dabei nie. Oft trat das Ph&nomen erst nach mehrmaligem Bficken 
ein, schwächte sich aber anderseits oft bei Wiederholungen des Versuchs immer 
mehr ab. 

Ortner machte Verf. darauf aufmerksam, dass dasselbe Phänomen auch durch 
starkes Bfickwärtsbeugen des Kopfes ausgelöst werden kfinne. 

Beim nervengesunden Menschen mit normaler Herzthätigkeit vermisste Verf. 
dieses Symptom, ebenso bei den durch Basedow, Tabes, fieberhafte Erkrankungen, 
organische Erkrankungen des Herzens, Circulationsstörungen in Folge von Erkran¬ 
kungen der Leber, Lungen oder Nieren hervorgerufenen Tachycardieen; ebenso bei 
Hysterie. 

Die Sphygmogramme erinnerten an die durch elektrische Vagusreizung erzeugten 
Vaguspulse. 

Verf. erklärt das Phänomen durch Beiz des Vaguscentrums in Folge venfiser 
Himhyperämia durch das Bficken oder Bfickwärtsneigen des Kopfes. Der Vaguspuls 
war auch jedes Mal von einer flfichtigen Cyanose begleitet. 

J. Sorgo (Wien). 


40) Die moderne Ueberbürdung, von Wildermuth. (Wfirtemberg. medic. 

Correspondenzblatt. 1897.) 

Seine höchst interessante Studie fasst Verf. in folgende Sätze zusammen: 

1. Eine zunehmende nervöse Entartung der Menschheit ist nicht bewiesen; 

2. angestrengte geistige Arbeit und die Einflüsse der höheren Cultur sind an 
sich keine Ursachen von Nervenkrankheiten; 

3. ein allgemein nachtheiliger Einfluss unseres gegenwärtigen Unterrichtssystems, 
insbesondere des Gymnasiums, auf das Allgemeinbefinden der Schüler ist nicht nach¬ 
gewiesen; 

4. der drohenden Gefahr der Ueberbürdung auf dem Gymnasium wird am besten 
dadurch begegnet, dass man an der humanistischen Grundlage des Unterrichts 
festhält. 

Mit Recht weist er nach, dass die Zunahme des Geisteskrankheiten in neuerer 
Zeit nur scheinbar, nicht merklich ist, mit Ausnahme der Paralyse und des Alkoho¬ 
lismus (was, meint Bef., auch hier noch nicht absolut sicher nachgewiesen ist). 
Sicher haben Epilepsie und Idiotie, die Hauptrepräsentanten nervöser Entartung, 
nicht zugenommen. Unter 206 eigenen Fällen von Neurasthenie war nur in 49°/ 0 
eine Ursache zu finden. Davon waren exogen nur 13,5°/ 0 (besonders Influenza); 
15°/o Onanie und übertriebener Coitus (Bef. möchte das Moment von Onanie u. s. w. 
nicht so sehr betonen, da Onanie meist Ausfluss einer nervösen Beanlagung ist, 
diese allerdings dann, wenn sie stark betrieben wird, noch steigern kann); Ueber- 
bfirdung in 8,2 °/ 0 , hier aber war neben dieser noch Aerger u. s. w. vorhanden. 
Der Kampf um’s Dasein ist kein schlimmerer als früher und wir haben nicht 
grössere politische und sociale Fragen zu lösen als frfiher. Damit hat Verf. ge¬ 
wiss mehr Becht als die Gegner, nur möchte Bef. die Ueberbfirdung als Ursache 
des Krankwerdens noch etwas mehr hervorheben, obgleich damit gewöhnlich noch 
andere Momente mit ins Spiel kommen. Näcke (Hubertusburg). 


41) Importanza dell’ autointossioazioni nelle nevropatie, per C. Agostini. 
(Atti e Rendic. della Accad. med.-chir. di Perugia. IX.) 

Gegenstand der vorliegenden Arbeit ist die Erörterung der Beziehungen zwischen 
Autointoxication besonders von Magen-Darmstörungen aus und Nervenkrankheiten. 


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Yerf. theilt die Krankengeschichte einer Hysterica schweren Grades mit, bei der nach 
Behandlung der Indigestion stets auf kurze Zeit die neuro-psychopathischen Er¬ 
scheinungen verschwanden. Die ersten Symptome waren nach Typhus aufgetreten, 
sie hatten sich in der Gravidität wiederholt in Folge der damit verbundenen Magen - 
Darmstörungen; also beide Male war das veranlassende Moment Autointoxication. 

Bei der Besprechung des Zusammenhangs zwischen Neurasthenie und Verdauungs¬ 
beschwerden giebt Yerf. auf die Frage, welches von beiden das Primäre, welches die 
Folge sei, die Antwort, dass bei manchen Kranken die Verdauungsstörungen den 
Anfang und die Ursache der nervösen Beschwerden bilden, bei anderen das Umgekehrte 
der Fall ist. Die nervöse Prädisposition muss jedoch immer vorhanden sein. Aus 
diesem Grunde kann man auch durch Behandlung der intestinalen Störungen zwar 
einzelne Symptome mit Erfolg bekämpfen, die Krankheit als solche aber nicht heilen. 
Anders bei weniger schweren, nicht constitutionellen Neurosen, wie der Eclampsie, 
bei der mit der schnellen Entfernung der toxischen Substanz auch das Leiden ge¬ 
hoben wird. 

Es folgt die Besprechung der propbylactischen und therapeutischen Indicationen 
bei den aus Autointoxication entstandenen Nervenleiden. Valentin. 


42) Neurasthenisoher Hjjager, von Th. Ben da. (Deutsche med. Wochenschr. 

1898. Nr. 13.) 

Bei Neurasthenikern traten zu den verschiedensten Tageszeiten — niemals je¬ 
doch sofort nach eingenommener Mahlzeit — in verschiedener, aber ziemlich gleich¬ 
bleibender Intensität Schwächezustände auf, ja ohnmachtähnliche Zustände, besonders 
bei Muskelanstrengungen oder geistiger Arbeit. Auch Schwindelanfalle kommen vor, 
treten aber nicht als charakteristisch hervor. Bei anderen Kranken sind die körper¬ 
lichen Erscheinungen wenig ausgebildet, dagegen eine grosse Reizbarkeit vorhanden. 
Die Thatsache, dass derartige Schwächezustände häufig mit lebhaftem Hungergefühl 
verknüpft sind, führte den Yerf. zu der Vermuthung, dass die Schwäche auch da 
auf Hunger basire, wo kein Hungergefühl vorhanden war: der Erfolg bestätigte die 
Annahme, Nahrungsaufnahme beseitigte mit einem Schlage die Symptome. Das 
Hungergefühl ist beim Neurastheniker krankhaft verändert, das Vorkommen von 
Hunger ohne Hungergefühl daher nicht wunderbar. Dass solche Zustände schon 
kurze Zeit nach der Mahlzeit auftreten können, erklärt sich durch verstärkte moto¬ 
rische Thätigkeit, eventuell auch durch die ja oft bestehende excessive Säurebildung. 
Diese gestörte Verdauungsthätigkeit des Neurasthenikers führt zu mannigfachen, un¬ 
angenehmen Consequenzen. Der Hunger, welcher ja schon physiologisch Stimmung 
und Befinden beeinflussen kann, bringt das überaus labile Nervensystem des Neur¬ 
asthenikers loicht ins Schwanken. Das asthenische Nervensystem regulirt nicht 
oder ungenügend den Körperhaushalt, der Organismus passt sich daher dem Hunger 
nicht an und wird schwach zu einer Zeit, wo der normale Organismus nur eine ' 
leise Verstimmung verräth. — Abnorme Reizbarkeit der Vagusfasern, secundäre 
Reizung des vasomotorischen Centrums in der Medulla oblongata, Gehirnanämie er¬ 
klären die geschilderten Erscheinungen. Die Therapie ist einfach: die Pat. müssen 
häufig kleinere Mahlzeiten zu sich nehmen, stets etwas Geniessbares, z. B. Cbokolade 
bei sich tragen. Die englische Tischzeit ist zu widerrathen, Analeptica wie Alkohol 
u. s. w. sind unzweckmässig, ebenso eino fast ausschliessliche Fleischnahrung. Der 
Genuss von nicht frischem Fleisch, wie Wild, Filet u. s. w., ist entschieden zu ver¬ 
meiden, „giebt dasselbe doch zu autointoxicatorischen Vorgängen, zu welchen der 
neurasthenische Organismus sowieso tendirt, doppelt leicht Veranlassung.“ 

R. Pfeiffer (Cassel). 


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43) Le traitement prophylaotique de Phystärie, par ß. Verhoogen. (Journ. 

möd. de Bruxelles. 1897. Nr. 44 u. 50.) 

Die prophylactische Behandlung der Hysterie hat ein doppeltes Ziel zu rer« 
folgen: 1. die nervöse Prädisposition zu bekämpfen, 2. den Einfluss der Gelegenheits- 
Ursachen zu vernichten. Die erste dieser Forderungen ist hauptsächlich Aufgabe 
der Erziehung. Man soll prädisponirte Kinder nicht im Hause der nervösen Eltern 
erziehen lassen, sondern sie in ein völlig anderes Milieu senden und sie dort von 
einem guten Pädagogen erziehen lassen. Wünschenswerth ist das Zusammenleben 
des Kindes mit anderen Zöglingen, doch darf deren Zahl nur so gross sein, dass der 
Lehrer sich auch wirklich jedem einzelnen widmen kann. Diese Isolation soll 
spätestens im 5. Lebensjahre beginnen, da dann das Gedächtniss sich zu entwickeln 
beginnt und sich somit von da ab die daheim empfangenen Eindröcke deutlich dem 
kindlichen Geiste einprägen. Die Erziehung selbst soll eine gewisse Strenge und 
Entschlossenheit erkennen lassen, der Erzieher soll dem Kinde ein Lehrer und zu¬ 
gleich ein Freund sein, er soll sein Hauptaugenmerk richten auf eine gesunde Ent¬ 
wickelung der Urteilsfähigkeit, der Aufmerksamkeit, des festen Willens und der 
Geduld des ihm Anvertrauten. Jede übertriebene Neigung ist möglichst zu unter¬ 
drücken, Aufregung und besonders erregende Bücher sind fernzuhalten, ebenso geistige 
Ueberanstrengung und zu starke Anregung der Phantasie zu vermeiden. Sehr wichtig 
zur Ausbildung des Urtheils ist die Uebung der Sinnesorgane, zur Ausbildung des 
festen Willens eine „psychische Gymnastik“ (früh aufstehen, schnell sich ankleiden, 
kalte Abreibungen u. s. w.). In dieser moralischen Erziehung kommt dann noch die 
körperliche hinzu, über welche Verf. später berichten will. Kurt Mendel. 


44) Ueber die Behandlung von Nervenkranken und Psyohopathen duroh 
nützliohe Muskelbeschäftigung , von Henri Monnier. (Inaug.-Dissert. 
Leipzig 1898.) 

Verf. berichtet über die im „Beschäftigungsinstitut für Nervenkranke“ von 
Grohmann in Zürich gemachten Erfahrungen, wobei er zunächst auseinandersetzt, 
dass Arbeit, die die Aufmerksamkeit dauernd erfordert, das Hauptmittel gegen „Hirn¬ 
grübeleien, Hysterie, psychopathische Zwangsimpulse und Ideeen aller Art, sogen. 
Neurasthenie“ ist; nor diejenigen Kranken seien übrigens heilbar, die „ihre Krank¬ 
heit erworben haben, sei es durch Suggestion in Folge medicinischer Lectüre, Un- 
thätigkeit, Einflüsse der Umgebung, als Autosuggestionen, Hirngrübeleien, Platzangst 
u. dergl“, weniger Erfolg glaubt Verf. bei Schwachsinnigen, Paranoikern u. s. w. 
gesehen zu haben. Am besten haben sich Tischlerei, Typographie, Modelliren, 
Zeichen, Tapeziren, bewährt; gegen „schlechte Gewohnheiten“, wie „spätes Aufstehen, 
unregelmässiges Leben, Ungehorsam, Trunksucht, Arbeitsunlust“ u. s. w. empfiehlt 
Verf. gleichzeitige hypnotische Kuren (! Ref.). Kaplan (Herzberge). 


45) Die Nervenkrankheiten und die durch dieselbe bedingte Mortalität 
in der russischen Armee, von Dr. Gorschkow. (Journal der Nerven- und 
psychiatrischen Medicin. Heransgeg. von Prof. Sikorskij. Russisch. 1897. Bd. IL) 

Auf Grund einer sorgfältigen Durchsicht der Statistik aus dem Jahre 1893 
konnte Yerf. zahlreiche Tabellen feststellen, welche die Zahl der an Nervenkrank¬ 
heiten leidenden russischen Soldaten und ebenfalls die entsprechende Mortalität 
zeigen. In der russischen Armee kamen im Jahre 1893 nur °/oo Nervenkrank¬ 
heiten vor (auf je 1000 Soldaten). Diese Krankheiten bildeten etwa 8 °/ 00 sämmt- 
licher Krankheitsfälle in der Armee. Die eigentlichen Nervenerkrankungen bildeten 
dabei 4 / 6 und die Geisteskrankheiten nur Vs der Erkrankungen des Nervensystems. 


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Was die Art der Nervenkrankheiten selbst betrifft, so finden am häufigsten functio¬ 
neile Erkrankungen statt (fast 1 / s sämmtlicher „Nervenfälle“). Besonders oft treten 
Neuralgien, speciell Ischias auf. Diesen folgt die Epilepsie und nicht selten tritt 
eine acute Entzündung des Gehirns und seiner Häute auf. Was die Vertheilung 
der Nervenfälle in der Infanterie, Artillerie u. s. w. betrifft, so sind keine diesbezüg¬ 
liche sichere Schlüsse festzustellen. In der Artillerie treten die Nervenkrankheiten 
verhältnissmässig häufiger auf und es überwiegen dabei die schweren Fälle mit der 
grössten Mortalität. Am häufigsten erkranken an Nerven- und Geisteskrankheiten 
kleine, unregelmässig gebaute Soldaten mit schwacher, nervöser Constitution oder mit 
degenerativen Erscheinungen. Eduard Flatau (Berlin). 


Psychiatrie. 

46) Certain physioal signs in melanoholia, by W. H. B. Stoddart. (Journ. 
of Mental Science. 1898. April.) 

Dem Verf. ist aufgefallen, dass bei Melancholischen die Rigidität der Muskeln 
von der Schulter bis zu den Fingern und vom Becken bis zu den Zehen abnimmt, 
an erstgenannten Stellen am stärksten, an den letztgenannten am schwächsten sei 
(bei der hemiplegischen Steifheit der Glieder sei das Verhältnis umgekehrt) und 
legt auf diese Erscheinung grossen Werth. Ferner hat Verf., davon ausgehend, dass 
vielleicht beim Melancholiker, wie man annimmt, die Bindenzelle mit Producten 
regressiver Stoffwechselanatamorphose überladen sei und dass die Secretion der ein¬ 
zelnen Drüsen damiederliegt, therapeutische Versuche mit Pilocarpin gemacht und 
dabei gefunden, dass Melancholische auf Pilocarpin selbst bei grossen Dosen auffallend 
wenig mit Schweiss reagiren; ein Erfolg war daher auch nicht zu verzeichnen. 

Bresler (Freiburg i. Schl.). 


47) Perlodisohe Psyohose und Exacerbation von Psoriasis zur Zeit der 
Erregungszustände, von Dr. S. Fries, Sanitätsrath, Director der Prov.-Irren- 
Anstalt Nietleben. (Festschrift anlässlich des fünfzigjährigen Bestehens der 
Provinzial-Irren-Anstalt zu Nietleben 1897. Verlag von F. C. W. Vogel.) 

Verf. berichtet über einen Fall von periodischer Manie mit zeitweisem „para¬ 
noischem Gepräge“, bei welchem eine meist mit den manischen Phasen zeitlich 
zusammenfallende Verschlimmerung und weitere Ausbreitung einer vorhandenen Pso¬ 
riasis beobachtet wurde. Die Ursache hierfür sieht er hauptsächlich in den viel¬ 
fachen Insulten der Haut (Unreinlichkeit, Traumen u. s. w.) während der Erregungs¬ 
zustände, doch könne man vielleicht auch Circulationsstörungen anschuldigen. Diese 
würden dann ihren Ursprung im Gefässnervensystem haben und zu einer Hyperämie 
so wohl des Gehirns als der Haut führen, welch erstere die Manie, letztere die 
Exacerbation der Psoriasis begünstigen müsste. Kurt Mendel. 


48) Das Irrenwesen in Ungarn, von Epstein. (Pester med. Chirurg. Presse. 

1897. Nr. 51 u. 52.) 

Das im Jahre 1850 gegründete „Ofener Privat-Narrenhaus“ war die erste 
moderne Irrenanstalt in Ungarn; aus ihr ging die erste Generation ungarischer Irren¬ 
ärzte hervor und sie wurde die Wiege der ungarischen Psychiatrie. Später wurden 
Geisteskranke auf der Beobachtungsabtheilung des ßochus-Spitales und in der neu 
eröffneten Irrenanstalt Leopoldifeld verpflegt, 1882 ein Lehrstuhl für Pathologie und 
Therapie der Geisteskrankheiten in Budapest eingerichtet. 1884 wurde die Landes- 


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pflegeanstalt za Engelsfeld mit 244 Betten eröffnet. Um den beständig steigenden 
Aufnahmen genügen zn können, wurde 1896 das Comitatshans zu Nagy-Källö zn 
einer Irrenanstalt adaptirt nnd den grösseren Comitats-Krankenhäusern kleine Ab* 
theilnngen für Geisteskranke angefügt. Die 1895 ermittelte Zahl von 25,071 geistig 
defecten Individuen ist offenbar zu klein, wahrscheinlich wird die Zahl mindestens 
40,000 betragen; kaum 10°/ 0 davon sind in Anstalten untergebracht. Als wünschens¬ 
wert für eine gedeihliche Entwickelung bezeichnet Verf. Einführung der colonialen 
und familialen Verpflegungsformen, Einrichtung von Trinkerheilanstalten, Reform des 
Wärterwesens u. s. w. Lewald. 


49) lieber aoute Psychosen bei Koprostase (Delirium aoutum durch in¬ 
testinale Autointoxioatlonen), von Dr. F. v. Sölder. (Aus der psychiatr. 

Klinik von Hofrath Prof. Krafft-Ebing.) (Jahrb. f. Psych. Bd. XVII.) 

Verf. berichtet über eine Reihe von Fällen, die klinisch als Delirium acutum 
oder unter einem, diesem ähnlichen Bilde verliefen, bei denen die Section neben 
schwankenden Hirnveränderungen (Hyperämie und • Oedem) und inconstanten Muskel- 
degenerationen, parenchymatöse Degenerationen an den Nieren und anderen Organen 
ergab, vor allem aber eine Dickdarmkoprostase, die Verf. als die Ursache der psy¬ 
chischen Störungen auffasst. 

I. 40jährige Frau, hereditär nicht belastet, bisher gesund. In letzter Zeit 
Erkrankungsprodrome in Form von Kopfschmerzen und Angstgefühlen durch 14 Tage, 
dann plötzlich Ausbruch der geistigen Störung, Verwirrtheit, Ideeenflucht, starke Be¬ 
wusstseinstrübung, grosser Bewegungstrieb mit primitiven Bewegungsformen. Tem¬ 
peratur nur vorübergehend erhöht, Herzschwäche. Tod nach 14 tägiger Krankheits¬ 
dauer. Bei der Obduction Obesitas, Oedem der zarten Meningen, Hyperämie des 
Gehirns, Lungen blutreich, schlaffes Fettherz, parenchymatöse Degeneration der Nieren. 
Koprostase mit secundären Veränderungen der Darmschleimhaut. 

II. 47jährige Frau im Klimacterium, habituell obstipirt. Durch 2 Tage Unwohl¬ 
sein und Schlaflosigkeit. Plötzlich Ausbruch einer Psychose mit Verwirrtheit, zorniger 
Gereiztheit, Ideeenflucht, später psychomotorische Reizsymptome. Temperatur nicht 
erhöht. Im Harn kein Aceton, Indican vermehrt, Schwefelsäure in normalen Ver¬ 
hältnissen. Herzschwäche. Tod nach 14 Tagen. Leptomeningen und Gehirn byper- 
ämisch und öderoatös; geringe gleichmässige Rindenatrophie, leichter Hydrocepbalus 
internus, spurweise Ependymgranulationen. Acutes Lungenödem. Alte Spitzen- 
tuberculose. Parenchymatöse Degeneration des Herzens und der Niere, hochgradige 
Dickdarmkoprostase mit Röthung und Schwellung der Schleimhaut 

III. 26jährige Frau, nicht belastet, habituell obstipirt. Residuen von Lues, 
Rachitis und Tuberculose. Entwickelung der Geistesstörung ohne äusseren Anlass 
im Laufe von 12 Tagen, dann nach 13 tägiger Dauer Verwirrtheit, tiefe Bewusstseins¬ 
trübung, Verbigeration, motorische Unruhe. Temperatur nicht erhöht. Im Harn 
kein Aceton, Indican nicht vermehrt Früh eintretende Herzschwäche. Tod durch 
Peumonie. Obduction: Hyperämie und Oedem am Gehirn und den Meningen. Pneu¬ 
monie. Parenchymatöse Degeneration des Herzens, Leber und Nieren. Dickdarm¬ 
koprostase mit stellenweiser Schleimhautnekrose. Bacteriologischer Culturversuch aus 
dem Gehirn mit negativem Resultat. 

IV. 24jähr. Mädchen mit psychopathischer Veranlagung, rachitischem Schädel. 
Plötzlich Ausbruch der Geisteskrankheit, anfangs ungefähr das Bild einer Manie mit 
hysterischen Zügen, dann Verwirrtheit, starker Bewegungstrieb, kein Fieber. Harn 
enthält kein Aceton, wenig Indican. Vom 10. Tag ab ruhig, dann Herzschwäche. 
Tod nach 12tägiger Krankheitsdauer durch Pneumonie. Obduction: Hydrocepbalus 
intern, chron., Hyperämie der Leptomeningen und der Hirnrinde, Lobulärpneumonie, 


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Herz, Leber and Nieren parenchymatös degenerirt. Dickdarmkoprostase mit Schleim- 
hautcatarrh. 

V. 23jähriges Mädchen, stark belastet, necropathisch veranlagt. Erkrankung 
mit Kopfschmerz, Angst, hypochondrischen Ideeen, Verwirrtheit, Erregtheit. Stflrmische 
Erscheinungen nach 8 Tagen, fieberfrei. Ham frei von Aceton, Indican nicht ver¬ 
mehrt. Vom 18. Tage an Herzschwäche, am 20. Tage Psychose wesentlich abgelaufen, 
Bild von Erschöpfung nach 21 Tagen, Tod durch Herzschwäche. Obduction: Dura 
mit dem Schädeldache verwachsen, Hirn hyperämiscb, etwas geschwellt, Lungen blut¬ 
reich, ödematös. Herz, Leber, Nieren parenchymatös degenerirt. Dickdarmkoprostase 
mit Schwellung der Schleimhaut. Hypoplasie der Arterien. 

VI. 40jährige Frau, nicht belastet, gesund. Nach 6 tägiger Obstipation plötzlich 
Auftreten von Kopfschmerzen, Aufstossen, Herzklopfen, Angst, Verwirrtheit. Erregung, 
Stimmungswechsel, Schlaflosigkeit. Rasches Ansteigen der psychischen Symptome, 
starke Bewusstseinstrübung und Bewegungsdrang. Am 7. Tage der Psychose nach 
ausgiebiger Darmentleerung plötzliches Schwinden aller stürmischen Erscheinungen, 
Eintreten von Schlaf/ üebergang in Genesung durch einen 5 tägigen ruhigen Er¬ 
schöpfungszustand hindurch. 

In einer zusammenfassenden Betrachtung kommt Verf. zum Schlosse, dass es 
Fälle von Koprostase giebt, in deren Verlauf als Folgeerscheinung eine acute Psychose 
auftritt, die dem Bilde eines Delirium acutum ähnlich oder identisch vorlänft und 
in kurzer Zeit (8—14 Tage) durch frühzeitige Herzschwäche zum Tode führen kann. 
Anatomisch findet sich Hyperämie und Oedem des Gehirns, grosser Blutreichthum 
der Lungen, parenchymatöse Degeneration in Nieren, Herz, Leber in Abhängigkeit 
von den Dickdarmkoprostasen mit secundären Schleimhautveränderungen. Wenn somit 
die Aetiologie dieser Fälle durch die Koprostase gegeben ist, so finden sich ausserdem 
bei den befallenen Individuen noch andere disponirende Momente. Verf. glaubt, dass 
auch die secundären Schleimhautveränderungen eine conditio sine qua non für das 
Aufteten der Psychosen bilden. 

Aus dem Krankheitsbilde hebt Verf. hervor, die tiefe Bewusstseinstrübung, eine 
erhöhte motorische und sprachliche Leistung in ganz einfachen Entäusserungen sich 
entladend. Bezüglich des somatischen Befundes hebt er das Fehlen irgendwelcher 
Zeichen von Verdauungsstörung hervor, im Harn fehlen die Zeichen gesteigerter 
Eiweissfäulniss. 

Dadurch hat die ätiologische Diagnose dieser Fälle grosse Schwierigkeiten. Aus 
dem psychischen Bilde sprechen nach dem Verf. für den intestinalen Ursprung ein¬ 
schlägige Fälle: das brüske Einsetzen der Verwirrtheit mit lebhafter motorischer Er¬ 
regung, Angst, Kopfschmerzen, die starke Bewusstseinstrübung, der continuirliche 
Verlauf ohne Remissionen, Auftreten primitiver Bewegungsformen, Neigung zur Wieder¬ 
holung einfacher motorischer Leistungen, früh eintretende Herzschwäche. Als negative 
Zeichen sind zu erwähnen, das Fehlen anderweitiger Krankheitsursachen, die vorher 
bestandene körperliche und geistige Gesundheit, Mangel an objectiven nervösen 
Symptomen, fieberloser Verlauf. Gegenüber dem Delirium acutum hebt er als Unter¬ 
schied hervor: Mangel einer Krankheitsursache, fieberloser Verlauf, Mangel an 
Remissionen, geringe Intensität der psychomotorischen Reizsymptome. 

Therapeutisch ergiebt sich natürlich als wichtigste Indication die Behandlung 
der Koprostase (innerlich Calomel und äusserlich Oelinfusionen). 

Bezüglich des Zusammenhangs zwischen Koprostase und Psychose weist Verf. 
auf die schon bekannten Thatsacben über das Vorkommen von Psychosen bei Darm¬ 
erkrankungen hin (Wagner, Hamilton) hin, die als Folge von Autointoxicatienen 
aufgefasst werden. 

Für das Delirium acutum, dem sich klinisch seine Fälle nähern, wurde vielfach 
angenommen, dass die Hyperämie des Gehirns die Ursache der Erscheinungen sei. 
Verf. weist eine solche Annahme zurück, schon weil in seinen Fällen eine Incongruenz 

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zwischen Hyperämie and Psychose sich findet Eine zweite Ansicht fasst das Delirium 
acutum als Folge einer bacteriellen Invasion des Gehirns auf. Auch diese Ansicht 
ist nicht begrQndet. Eine dritte Anschauung sieht im Delirium acutum den Aus¬ 
druck einer Giftwirkung (Infection oder Antointoxication). Diese dritte Annahme 
erscheint dem Yerf. für seine Fälle die plausibelste, obwohl in keinem der Fälle die 
klinischen Zeichen einer gastrointestinalen Antointoxication nachweisbar waren. Hin¬ 
gegen sprechen dafür ausser anderen Momenten vor allem die parenchymatösen De¬ 
generationen in den inneren Organen, die als Giftwirkung aufzufassen sind. 

_ Redlich (Wien). 


60) Beiträge zu den Puerperalpsyohosen, von Ernst Siegenthaler. (Aus der 

psychiatr. Klinik von Prof. Wille in Basel.) (Jahrb. f. Psych. Bd. XVII.) 

Unter die Puerperalpsychosen im weiteren Sinne werden meist auch die Gravi¬ 
dität«- und Lactationspsychosen, sowie die während des Geburtsaktes auftretenden 
transitorischen Psychosen gerechnet. Als Puerperalpsychosen im engeren Sinne werden 
alle innerhalb 6 Wochen nach einer Geburt, Frühgeburt oder Abortus, entstehenden 
Geistesstörungen bezeichnet. Yerf. giebt hierauf eine Uebersicht über die in der 
Litteratur ausgesprochenen Ansichten Über die Aetiologie und Pathogenese der Puer¬ 
peralpsychosen, die zeigt, dass diesbezüglich noch keineswegs volle Einigung erzielt 
wurde, insbesondere die Frage nach der Bedeutung der puerperalen Infection ist noch 
strittig. Yerf. ist im Allgemeinen geneigt, Infectionen eine grosse Bolle beim Zustande¬ 
kommen der puerperalen Psychosen zuzuschreiben. Er weist darauf bin, dass der 
Nachweis einer puerperalen septischen Erkrankung, insbesondere bei Geisteskranken, 
aus verschiedenen Ursachen Schwierigkeiten haben kann. Ueberhaupt sei die Puerperal¬ 
fieberfrage noch nicht endgiltig gelöst. 

Yerf. legt seinen weiteren Ausführungen 27 eigene Fälle von Puerperalpsychosen 
im engeren Sinne zu Grunde. Er giebt bezüglich derselben eine grosse Reihe stati¬ 
stischer Daten, auf die hier zum Theil eingegangen sei. 

Im 3. Decennium standen 11, im 4. Decennium 13 Kranke, 3 Kranke waren 
über 40 Jahre. Hereditär belastet waren 11 Kranke, erworbene Veranlagung fand 
sich ohne Heredität bei 10, mit Heredität bei 7. Schwangerschaftsstörungen kamen 
bei 10 Kranken vor; bei 11 Kranken war die der Psychose vorausgegangene Geburt 
eine schwere, 4 davon erliten erhebliche Blutverluste. Bei 6 Frauen kamen schon 
bei früheren Geburten Störungen vor. Erstgebärend waren 10 Frauen. Bei einer 
Kranken war ein ätiologischer Einfluss von Verdauungsstörungen nicht von der Hand 
zu weisen. Anämie und Inanition sind in ihrer Wirksamkeit nur schwer zu beur- 
theilen; sie scheinen jedoch keine besondere Rolle zu spielen. Bei 13 Kranken 
wirkten psychische Momente als Ursache mit. Alkoholismus, Osteomalacie, Eclampsie 
und Urämie waren bei keiner Kranken nachweisbar, nur in einem Falle bestanden 
Zeichen einer Nephritis. Bezüglich der Infectionen sind zunächst Fälle zu erwähnen, 
in denen eine nichtpuerperale Infection oder eine solche gleichzeitig mit Puerperal- 
infection bestand. Für Beides giebt er Beispiele (Tuberculose u. s. w.). Bei 10 Fällen 
bildete eine schwere Infectionskrankheit die Grundlage der Psychose, davon bei 2 
Tuberculose, bei 8 puerperale Affection (5 davon mit Obductionsbefund). Bei weiteren 
9 Fällen ist die Annahme einer leichten puerperalen Infection zulässig; im Ganzen 
also in 19 Fällen eine infectiöse Erkrankung, das ist bei 70,3 °/ 0 . Dazu kommen 
noch 4 Fälle, die in dieser Beziehung als zweifelhaft gelten können. Die Psychose 
entwickelt sich in der Mehrzahl der Fälle auf der Höhe des Puerperalfiebers. 

Bezüglich der psychischen Krankheitsformen, die zur Beobachtung kamen, erwähnt 
er zunächst 3 Fälle transitorischer Geistesstörung von einer Dauer von 5 Stunden 
bis zu 2 Tagen bei Kranken mit schwerem Puerperalfieber. Die Geistesstörung 
entwickelte sich am 4., 5. und 11. Tag p. p. Sie gingen einher mit schwerer 

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Trübung des Bewusstseins, Hallucinationen und psychomotorischer Erregung. Ein 
4. Fall ist direkt als Fieberdelirium zu bezeichnen. 

19 Fälle werden unter die Verwirrtheit eingereiht. Für die Form der Psychose 
ist der Umstand, ob puerperale Infection bestand oder nicht, nicht ausschlaggebend. 
Verf. erörtert dann noch die Bedeutung anderer Momente (Alter, Zahl der Ge¬ 
burten u. s. w.) auf die Form der Psychose, worauf hier nicht eingegangen sei. So 
will er z. B. gefunden haben, dass hohes Alter, zahlreiche Geburten für die Melancholie 
disponiren. 

Von den eigenen Fällen sind 17 geheilt, 2 ungeheilt, 8 gestorben (Folge der 
schweren puerperalen Infection). Jüngere Individuen genesen im Allgemeinen leichter 
als ältere. Besonders gefährdet sollen alte Erst- und Zweitgebärende sein. Unter 
den verschiedenen Formen der Verwirrtheit soll die mit Tobsucht beginnende und 
nachher Stupor oder wechselnde Zustände zwischen Erregung und Depression zeigende 
Form die beste Prognose haben. Günstige Zeichen sind Remissionen, anhaltende 
Gewichtszunahme und Wiederkehr der Menses. In den Fällen mit Infection hat 
natürlich die Schwere der Infection für die Prognose einen massgebenden Einfluss. 
Weiter ergiebt sich aus seinen Zahlen, dass der Beginn der Psychose in der ersten 
Woche des Puerperium ungünstig ist; am günstigsten verlaufen die postfebrilen 
Psychosen. Sehr hohes Fieber ist meist ein ungünstiges prognostisches Zeichen. 

Die Dauer der Psychose hängt in erster Linie von der Krankheitsform ab. 
Von grossem Einfluss ist auch das Alter der Kranken. Jurige Kranke genesen 
rascher als ältere; von weiteren Factoren erwähnt er hier Zahl der Geburten, Dis¬ 
position u. s. w. Redlich (Wien). 


III. Aus den Gesellschaften. 

Finska L&kares&llskap. 

In der Sitzung vom 6. März 1897 berichtete Prof. Homen (Finska läkares- 
ällsk. handl. 1897. XXXIX. 4. S. 599) über 7 Fälle von Epilepsie, die nach 
Flechsig’s Opiummethode behandelt wurden; in allen war vorher Bromkalium ohne 
Erfolg gegeben worden. In einem Falle musste die Opiumbehandlung nach 3 Woeben 
wegen schwerer gastrischer Störungen aufgegeben wurden. In den übrigen 6 Fällen 
dauerte die Behandlung 32—67 Tage; mit 10—30 Tropfen täglich wurde begonnen 
und bis zu 150—225 Tropfen täglich wurde gestiegen, worauf plötzlich zu Brom¬ 
kalium (5— 6 g täglich) übergegangen wurde, ohne dass andere Abstinenzerscheinungen 
zu bemerken waren als einige Tage Durchfall. Auch während der Opiumbehandlung 
kamen keine störenden Erscheinungen vor, ausser mitunter geringen gastrischen 
Störungen, und in einem Falle einige Tage lang unbedeutende Delirien. In 2 Fällen 
kehrten die beim Beginne der Brombehandlung etwas seltener gewordenen Krampf¬ 
anfälle mit der früheren Stärke wieder, in 4 Fällen minderten sich die Anfälle 
während der Opiumbehandlung nicht wesentlich, hörten aber sofort nach Beginn der 
Bromkaliambehandlung auf und kehrten bis zur Zeit der Mittheilung (allerdings nur 
einige Monate) nicht wieder. Der Allgemeinzustand hatte sich dabei gebessert und 
das Bromkalium wurde nach der Opiumbehandlung besser vertragen. 

Gleiche Erfahrungen hat Prof. Pipping (a. a. 0. 10. S. 1418) gemacht. Er 
theilt 4 Fälle mit, die alle Kinder betrafen. Bei allen wurde die Opiumbehandlung 
gut vertragen, die Pat. waren wohl, besonders zu Anfang der Kur, bisweilen etwas 
benommen mit contrahirten Pupillen, befanden sich aber sonst gut, hatten guten 
Appetit und gewöhnlich auch spontane Stuhlentleerungen; bei allen nahm während 
der Opiumbehandlung das Körpergewicht zu; die Anfälle blieben während der Opium- 
behandlung unverändert, hörten aber sofort auf, als das Opium durch Bromkalium 

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ersetzt wurde. In einem Falle blieben sie bis zur Zeit der Mittheilung (2 1 /, Jahre) 
aus, in den drei übrigen Fällen war die Besserang nur vorübergehend. 

In einem von Linden (a. a. 0. 5. S. 654) in der Sitzung vom 13. Marz 1897 
mitgetheilten Falle batte sich ein Soldat durch Sturz auf das Genick eine Halt- 
wirbelfraotur zugezogen. Pat konnte zwar Arme und Beine bewegen, doch waren 
die rechten Gliedmaassen bedeutend schwächer als die linken, selbst ein ganz schwacher 
Widerstand konnte mit diesen nicht überwunden werden. Die Bewegungen der Arme 
waren sehr eingeschränkt, die Finger der rechten Hand konnten gar nicht bewegt 
werden. Die Sensibilität war an allen Extremitäten bedeutend herabgesetzt, ent- 
schieden mehr auf der rechten Seite, die später auch Atrophie zeigte, ganz aufgehoben 
war sie an der Ulnarseite des rechten Arms. Die Respiration war erschwert und 
beschleunigt. Pah konnte die Blase nicht entleeren. Der Wirbelbruch wurde geheilt 
und Pat. genas. Von 13 Fällen von Wirbelbrüchen, die Vortr. in 7 Jahren im 
chirurgischen Krankenhause zu Helsingfors behandelt wurden, betrafen 7 Halswirbel 
und von diesen Kranken genas nur einer, der keine Lähmung hatte, alle 6, bei 
denen Lähmungen bestanden, starben. Die Todesursache war gewöhnlich Cystitis 
und Pyelitis und Lungencomplicationen. 

In der Sitzung vom 20. März 1897 theilte Prof. Homen (a. a. 0. 6. S. 734) 
einen Fall von äusserst stark entwickeltem Hydrooephalus bei einem Kinde mit, 
das seit dem Alter von drei Monaten die Zeichen der Krankheit trug, anfangs 
unruhig war, dann Krämpfe bekam und später apathisch und regungslos dalag und 
im Alter von 2 Jahren starb. Unter der zum grossen Theile mit dem Schädel ver¬ 
wachsenen Dura befand sich eine grosse Menge seröse Flüssigkeit. Der Himmantel 
fehlte zum grössten Theile und der innere Theil vom Boden des stark erweiterten 
Seitenventrikels, wie die dem 3. Ventrikel entsprechenden Theile lagen blos. Von 
der Hirnconvexität war auf beiden Seiten an der Falx cerebri nur je eine dünne 
Schicht übrig, die einen wallförmigen Bogen längst der Sutura sagittalis bildeten, 
dessen vorderen Theil die ebenso reducirten Frontallappen bildeten; der hintere Theil 
beider Orbitallappen und der vordere Theil beider Temporallapen waren erhalten, 
verschmälerten sich aber nach hinten zu zu strangförmigen Gebilden, die in ihrem 
vorderen Theile die Unterlage für die grossen Hirnganglien bildeten und diese be¬ 
grenzten, in ihrem hinteren Theile bildeten sie die Unterlage für die Gyri hippo- 
campi, die stark entwickelt waren; nach hinten zu gingen diese Stränge in die stark 
abgeplatteten Occipitallappen über, von denen nur deijenige Theil übrig war, der 
der hinteren inneren Wand des hinteren Horns entspricht; nach oben gingen diese 
Reste der Occipitallappen in den erwähnten bogenförmigen Wall über. Die Optici 
bildeten schmale dünne Stränge, die fast dünner waren als die OculomotoriL Die 
Pyramiden waren abgeplattet und graulich verfärbt. Das Kleinhirn war normal. 
Der spinale subdurale Raum war stark mit seröser Flüssigkeit gefüllt — Ein an¬ 
geborener Defect, wie man anfangs hätte glauben können, lag nicht vor, wie aus 
dem Umstande hervorging, dass die weichen Hirnhäute überall die innere Fläche der 
Dura bekleideten, auch an den Stellen, wo die Himmasse zu Grunde gegangen war. 

Walter Berger (Leipzig). 


Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten. 

Einsendungen für die Redaction sind zu richten an Prof. Dr. E. Mendel, 
Berlin, NW. Schiffbauerdamm 18 . 

Verlag von Väit & Comp, in Leipzig. — Druck von Metzger & Wittig in Leipzig. 


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Neurologisches Centralbutt. 


Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie 
und Therapie des Nervensystems einschliesslich der Geisteskrankheiten. 

Herausgegeben von 

Professor Dr. E. Mendel 

Siebzehnter “ B * r11 "' Jahrgang. 


Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 24 Mark. Zu beziehen duroh 
alle Buchhandlungen des In- und Auslandes, die PostanBtalten des Deutschen Reichs, sowie 

direct von der Verlagsbuchhandlung. 


1898. 


15. October. Nr. 20. 


Inhalt: I. Originalmitthellungen. 1. Zur Pathologie des Myxödems, Yen W. Muratow. 
2. Ueber den centralen Verlauf des Gowers*schen Bündels, von G. i. Rossolimo. 3. Ein Fall 
Yon doppelseitiger Ischias bei acuter parenchymatöser Nephritis, von Michael Lapinsky. 

II. Referate. Anatomie. 1. Ueber die Primitivfibrillen in den Ganglienzellen vom 
Menschen und anderen Wirbelthieren, von Bethe. — Experimentelle Physiologie. 
2. Mödication thyroidienne et arsenic, par Bidart et Mabille. 3. Die Verrichtungen der 
Hypophyse, von v. Cyon. — Pathologische Anatomie. 4. Des lesions mednllaires dans 
le tdtanos experimental, par Pdchoutre. 5 . Contribution ä l’ötude des encephaloc&les con¬ 
genitales, par Froslich. 6 . Beitrag zur pathologischen Anatomie des Nervensystems bei dem 
Tetanus des Menschen, von Goebal. — Pathologie des Nervensystems. 7. Sui disturbi 
psichici e suile alterazioni del sistema nervoso per insonnia assoluta, per Agostini. 8 . In¬ 
fluenza deir attenzione durante il sonno, per Vaschide. 9. An unusually succesful result of 
thyreoid treatment in a case of myxoedema, by Bonney. 10. Myxoedema, by Beadles. 
11. A case of acromegaly with diabetes, by Chadbourne. 12. Acromegaly, by Kauffmann. 
13. Case of acromegaly, by Hunter. 14. Une observation de manie aigue ohez une acro- 
mögalique, par Garnier et Santenoise. 15. Notes on a case of acromegaly, by Esteroc. 16. A 
case of the so-called hypertrophic pulmonary osteo-arthropathy of Marie, without pulmonary 
disease, by Steven. 17. Ostöo-arthropathies hypertrophiques du genou droit et des deux 
pieds d'origine nerveuse. Tabes ou Syringomyelie? Röle d’une tare nerveuse dans la röali- 
sation des modalites tabetiques, par Tournier. 18. Fall von Tetanie, in Schwangerschaft 
erstanden, nach Kropfoperation, von Meinert. 19. Zur Thyreoidinbehandlung der Tetanie, 
von Alexander. 20. Ueber die familiäre Form des acuten circumskripten Oedems, von 
Schlesinger. 21. Contribution ä Tötude de la paraplögie spasmodique familiale, par Lorrain. 

^ 22. Two cases of laryngeal spasm fatal in the first attack occurring in the same family. 
23. A boy, aged 14, who exhibited tabetic Symptoms, by Stanley. 24. Family lateral 
sclerosis, by Moore. 25. Een familiestamboom, door Borst. 26. Nya bidrag tili kännedomen 
om en säregen familjes jukdom under form a progressiv dementia, af Homdn. 27. Er¬ 
fahrungen über Trional als Schlafmittel mit besonderer Rücksicht auf die Beeinflussung des 
Blutdruckes, von Kornfeld. — Pychiatrie. 28. On cyclone-neuroses and psychoses, by 
Bremer. 29. Algunae consideraciones sobre el pronostico de la alienacion mental, per Borda. 
80. Le morti per pellagra, alcoolismo e suicidio in Italia, per Tornasari di Verce. 

III. Aus den Gesellschaften. Jahressitzung des Vereins deutscher Irrenärzte in Bonn 
am 16. und 17. September 1898. — Wiener medicinischer Klub. — K. k. Gesellschaft der 
Aerzte in Wien. 

IV. Vermischtes. IV. Versammlung mitteldeutscher Psychiater und Neurologen. 

V. Personalien. 

VI. Berichtigung. 


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I. Originalmittheilungen. 


1. Zur Pathologie des Myxödems. 

Von W. Muratow, 

Privat-Docenten an der Universität zu Moskau. 

Die Veränderungen des centralen Nervensystems bei Myxödem sind jetzt 
noch eine nicht ganz entschiedene Frage. 

Wir haben die Untersuchungen von Rogo witsch, Langhans, Ko pp, 
welche die durch experimentelle Entfernung der Schilddrüse entstandenen Ver¬ 
änderungen in Betracht ziehen. 

Die Untersuchungsergebnisse sind zum Theil unbestimmt, zum Theil negativ. 
Dafür erlaube ich mir einige Befunde, welche ich in einem Falle von angeborenem 
Myxödem maohen konnte, zu veröffentlichen. Ich habe die Kranke zusammen 
mit meinem Collegen Dr. Wladimibow beobachtet. 

W. B., ein 6jähriges Mädchen, stammt von gesunden und jungen Eltern (die 
Mutter ist 20 und der Vater 24 Jahre alt). In der Familie sind keine constitutio- 
nellen Krankheiten, keine Lues und Tuberculose zu constatiren. Bei der Geburt 
wog das Mädchen 9 Pfund. Die Kranke hat die Mutter selbst mit ihrer Brust 
genährt. Schon von den ersten Tagen bemerkte man einen krankhaften Zustand des 
Kindes. Eine abnorme „Fettleibigkeit“, eine mangelhafte Behaarung, eine kalte, 
trockene Haut. Im Jahre 1895 war eine Behandlung mit Kali jodatum angeordnet. 
Dadurch verminderte sich das Gewicht und der ödematöse Zustand der Kranken. 
Dieser therapeutische Erfolg dauerte nur kurze Zeit und bald kam die Kranke in 
denselben Zustand, in welchem sie früher gewesen war, zurück. In der Anamnese 
(Dr. Wladimibow) ist festgestellt, dass die Eltern der Kranken schon lange einen 
vorgeschrittenen Zustand der Idiotie bemerkt hatten. Die Kranke war in das Sophien- 
Asyl von Fürst Schbbbatow zu Moskau am 24. September 1896 aufgenommen. 

Bei der Untersuchung zusammen mit Dr. Wladimibow fand ich Folgendes: 

Beim ersten Anblick konnte man ein ausgeprägtes Geschwollensein des ganzen 
Körpers, ein kretinoides Aussehen, eine sehr blasse Farbe der Haut bemerken. Der 
Mund ist offen, zwischen dicken Lippen liegt eine dicke muskulöse Zunge. Die Arme 
sind flectirt und an die Brust gepresst. Die Bauchdecken sind festgespanut, der 
ödematöse angespannte Nabel steht hervor. Die Körperlänge beträgt 73 cm (wie bei 
einem Neugeborenen). Das Körpergewicht ist relativ sehr gross und beträgt = 20,700. 
Eine Dolichocephalie mit einer bedeutenden Verminderung der frontalen Dimensionen. 
Eine sehr kärgliche Behaarung. Die Haare sind derb, trocken, schwach pigmentirt. 
Die Lippen sehr dick, die untere Lippe sinkt herab. Der Gaumen und die Uvula 
sind ödematös. Der Gaumenreflex ist ausgeprägt. Eine sehr arme Mimik. Die 
Kranke lacht und weint nicht. Der Gesichtsausdruck ist völlig theilnabmslos, wie 
man es gewöhnlich bei Idioten beobachtet. Sie drückt durch nichts Zufriedenheit 
aus-, wird die Kranke gereizt, so krächzt sie. Die active Aufmerksamkeit fehlt 
völlig, die passive ist kaum ausgeprägt. Die Reizungen der Sinnesorgane — ein 
klares Licht oder ein lauter Ton — nimmt sie wahr. Die activen Bewegungen sind 
sehr träge, dabei ist die Kranke nicht gelähmt. Im Bett kann sie die Beine und 

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Hände bewegen, aber sie thut es mit Unwillen. Sie kann aber weder gehen noch 
stehen. Der Patellarreflex ist sehr lebhaft. Die Sphincteren ohne organische 
Störung, die Kranke bemerkt aber keine Noth zur Urin- und Kothentleerung. 

Die Sensibilität, welche nur durch reflective Abwehrbewegungen bestimmt werden 
kann, ist erhalten. k Den Zustand der Muskelernährung kann man eines diffusen Oedems 
wegen nicht bestimmen. Eine lebhafte mechanische Erregbarkeit. Faradisch erhalten 
wir folgende Daten: M. deldoid. 70, M. triceps 60, M. biceps 65, EitB'scher Punkt 70, 
M. tibialis ant. 55, M. gastrocn. 55, M. lingualis 75. Auf dem ZiEMMSK’schen Punkte 
giebt bei normalen Verhältnissen derselbe Apparat 85—90°. 

Das myxödematöse Geschwollensein ist in der Cervicalgegond am meisten aus¬ 
geprägt. Auf den beiden Schlüsselbeinen sind ödematöse Geschwülste bemerkbar. 



Die oberen und unteren Extremitäten, die Bauchdecken zeigen ein hochgradiges 
Oedem. Temperatur 34,5—35° (in axilla). Die Kranke ist der Kälte sehr zu¬ 
gänglich. Eine sehr abgeschwächte Herzthätigkeit. Im Urin kein Zucker und 
Albumingehalt. 


In unserem Falle ist das klinische Bild so einfach und klar, dass wir, ohne 
weitere differentielle Analyse, das Myxödem zu diagnosticiren im Stande waren. 
Es genügt, eiuen Blick auf die beigegebenen Photographieen zu werfen, um jeden 
Zweifel zu beseitigen. In diesem Zustande verblieb die Kranke unter unserer 
Beobachtung einige Wochen und starb endlich au catarrhaler Lungenentzündung. 

Bei der Obduction constatirte ich ein vollständiges Fehlen der Schilddrüse. 
In den inneren Organen fand ich ausser der catarrhalen Lungenentzündung 
nichts besonderes. Eine sehr ausgeprägte myxödematöse Schwellung der äusseren 
Hautdecken. Die quergestreifte Muskulatur hatte ein blasses Aussehen. Eine 

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myxödematöse Degeneration des Pericardiums. Das Gehirn war sehr gross und 
batte ein vermehrtes Gewicht. Makroskopisch constatirte ich eine gelbe Ver¬ 
färbung der weissen Substanz, welche stellenweise vorkam. Von der Glandula 
thymus war auch keine Spur zu bemerken. Die graue Substanz zeigte nichts 
besonderes. 

Eine vollständige anatomische Untersuchung der Leiche wurde nicht ge¬ 
stattet. Die Obduction war 48 Stunden nach dem Tode, nachdem die Erlaubniss 
der Eltern erreicht worden war, angestellt. 

Zur mikroskopischen Untersuchung konnte ich das Gehirn, die Trachea und 
die Zunge bekommen. 

Bei der mikroskopischen Untersuchung der Trachea konnte ich keine Spur 
von Glandula thyieoidea constatiren. Zwischen dem Perichondrium und M. crico- 
thyreoid. bemerkte ich nur bindegewebige Gebilde. 

Die Färbung nach van Giesson ergab nur einen negativen Befund. 

Das Gehirn wurde in einer starken Lösung von Formaldehyd (20°/ o ) ge¬ 
härtet und nachdem theils in Spiritus nach Nissl, theils in Kali bichromicum 
nach Weigebt, Iba van Giesson und Mabchi bearbeitet 

Bei der mikroskopischen Untersuchung des Kehlkopfs waren wir nicht im 
Stande das Vorhandensein der functionell entwickelten Elemente der Schilddrüse 
zu constatiren. Zwar fand ich im Gebiete des ersten ringförmigen Knorpels 
einige Gebilde, welche an Zapfen der Drüsen erinnern. Es war ein schmaler 
Streifen von weitmaschigem kernreichen Bindegewebe zwischen dem M. crico- 
thyreoideus anterior und dem Perichondrium. Inmitten dieser rudimentären 
Läppchen fehlen die epithelialen Decken völlig. Sie sind mit einer homogenen 
colloiden Masse gefüllt Vielleicht sind diese Gebilde als Rudimente der atro- 
phirten Schilddrüse anzusehen. 

Die Zellen der Hirnrinde, welche nach Nissl gefärbt wurden, zeigen einige 
sehr starke Veränderungen, welche Kyneto- und Trophoplasma betreffen. In 
den meisten Zellen ist die Grundsubstanz sehr intensiv blau gefärbt Die 
chromophilen NissL’schen Körnchen sind deformirt und nur undeutlich zu sehen; 
die Fortsätze sind geschwollen. 

Das Gesammtbild der Zelle erscheint dunkel, die differentiellen Theile sind 
undeutlich. In anderen Zellen dagegen ist die Grundsubstanz sehr blass ge¬ 
worden. Anstatt der normalen blass-blauen Farbe erscheint die Zelle homogen 
und ungefärbt: stellenweise kommen einige Reste von chromophiler Substanz in 
Form von deformirten NissL’schen Körnchen vor. Sie sind sehr verkleinert, 
vermindert und deformirt. In allen Zellen der letzten Kategorie sind die Kerne 
vergrössert und intensiv blau gefärbt; in einigen Zellen sind sie nur undeutlich 
zu sehen. Am Ende kommen Zellen mit völlig homogenen Protoplasma vor; 
nur der gequollene und vergrösserte Kern ist intensiv gefärbt In den Fasern 
der Gehirnrinde kann man deutliche parenchymatöse Veränderungen nach 
Weigebt und Mabchi constatiren. 

Die Tangentialfasern sind sehr schwach gefärbt Von den subcorticalen 
Fasern sind die Bogenfasern am meisten afficirt (die kurzen Associationsbahnen). 

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Sie sind dünner als normal und färben sieh schwach; dabei sind sie mit kleinen 
Fetttropfen besäet. Dieselben Fetttropfen kommen auch im Projectionssystem 
vor, doch sind die Leitungsbahnen besser entwickelt. Das Neuroglianetz ist sehr 
dicht und massiv. 

Bei der van GiESSON’schen Färbung konnte man keine colloide Degeneration 
und keine Einlagerung von colloiden Substanzen in Neuroglia beweisen. Nur 
die Gefässwände nehmen eine röthliche Farbe an. Die Neuroglia ist sehr kern* 
reich und dicht. In der quergestreiften Muskulatur v ist ein Geschwollensein der 
Fasern zu constatiren. 

Stellenweise ist die Streifung undeutlich. Colloide Degeneration des Proto¬ 
plasmas konnte ich nicht nach weisen. Die peripherischen Nerven konnte ich 
einer unvollständigen Obduction wegen nicht untersuchen. 

Unsere pathologisch-anatomischen Daten stehen den Befunden von Rogo- 
WTT8CH näher als den später von Langhans mitgetheilten Thatsachen. Dieser 
Autor fand im centralen Nervensystem „nichts beschreibungwerthes“. 

Diesen Unterschied kann man mit zwei Bedingungen erklären: 1. gehört 
unser Fall zu congenitalem Myxödem, 2. die von Langhans und mir an¬ 
gewandten Untersuchungsmethoden sind völlig verschieden. Langhans hat die 
Präparate in Kali bichromicum Jahre lang gehärtet, damit sind sie zur feineren 
Untersuchung der Nervenzellen untauglich geworden. 

Wir haben das Vorherrschen der parenchymatösen Veränderungen bewiesen. 
Zum Theil sind sie unmittelbar mit der chronischen Toxämie verbunden. 

Auf diese Weise sind die Veränderungen der Rindenzellen zu erklären. Wir 
haben das Geschwollensein der NissL’schen Körner und stellenweise eine dicht¬ 
blaue Färbung der Grundsubstanz (Pycnomorphie) bemerkt 

Eine schwere Verdunkelung des Trophoplasmas mit der Umgestaltung der 
chromophilen Körner kommen auch bei anderen toxisohen Processen, z. B. bei 
Tetanus vor. 

Die Chromatolyse, welche wir in einigen Zellen beobachteten, zeigt eine 
leichtere toxische Veränderung. Die weisse Substanz ist leichter als die Zellen 
afficirt Vielleicht hat die letzte Läsion auch einen toxischen Ursprung, es ist 
aber wahrscheinlicher, eine Entwickelungshemmung anzunehmen. 
Hauptsächlich sind die subcorticalen Associationsbahnen (die Bogenfasern) afficirt. 
Es ist durch die Untersuchungen von Monakow und meine eigenen Unter¬ 
suchungen bewiesen, dass die Zellen der Rinde die trophischen Centren für die 
Bogenfasern darstellen. Es ist leicht zu verstehen, dass eine im embryonalen 
Leben auftretende Läsion der trophischen Zellen eine Entwickelungshemmung 
der subordinirten Associationsbahnen zur Folge hat. 

Wollen wir unsere Untersuchungsergebnisse kurz recapituliren, so müssen 
wir folgende Thatsachen hervorheben: 

1. Eine toxische Affection der Zellen der Rinde. 

2. Eine secundäre Veränderung (Entwickelungshemmung) der Hirnsysteme 
und besonders der Bogenfasern. 

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3. Ein völliges Fehlen der functionell entwickelten Elemente der Schild¬ 
drüse. 

4. Klinisch ist das Angeborensein der Krankheit anzunehmen, weil die 

Kranke von Geburt an myxödematös erschien. , 

Diese anatomischen Thatsachen können zu einigen epikritischen Bemerkungen 
Anlass geben. 

1. die psychischen Ausfallserscheinungen, welche dem klinischen Bilde des 
Myxödems eigen sind, erklären die schweren anatomischen Läsionen der Rinde; 

2. dieselben stehen mit experimentellen Angaben Horslet’s in Zusammen¬ 
hang, welcher eine verminderte Erregbarkeit der Rinde bei thyroidectomirten 
Thieren beobachtete. 

Wollen wir weiter noch daran erinnern, dass der Beginn der functionellen 
Thätigkeit der Schilddrüse nach Horsley zum 6. — 8 . Monate des embryonalen 
Lebens gehört. Die höheren Nervencentren befinden sich zu dieser Zeit im 
Entwickelungsprocess. Das-Toxin wirkte hier auf die Centren, wenn die Ent¬ 
wickelungsvorgänge noch nicht abgeschlossen waren. Daher folgte der Toxin¬ 
wirkung nicht nur eine Störung der functionellen Thätigkeit, sondern auch eine 
Entwiokelungshemmung. Die gestörte Ernährung der Zellen übt eine schädliche 
Wirkung auf die subordinirten Fasern aus. 

Bei diesen Bedingungen sollen die höheren Assooiationsbahnen am meisten 
afficirt sein. Wir bemerkten wirklich eine vorherrschende Atrophie der Bogen¬ 
fasern, welche nur sehr spät sich entwickeln und ausschliesslich psychische 
Functionen besitzen. Die Leitungsbahnen und die Balkenfaserung sind leichter 
afficirt. 

Diese pathologisch - anatomischen Eigentümlichkeiten des kindlichen Myx¬ 
ödems stehen in Zusammenhang mit dem Unterschiede des klinischen Bildes 
zwischen dem Myxödem der Kinder und der Erwachsenen. 

Die psychische Sphäre leidet bei Kindern mehr als bei Erwachsenen und 
die psychischen Störungen sind nicht der Thyroidintherapie zugänglich. Anderer¬ 
seits zeigt die klinische Erfahrung, dass bei kindlichem Myxödem auch eine 
gewisse Entwickelung und functioneile Thätigkeit des Nervensystems möglich 
ist Man kann aber behaupten, dass im kindlichen Alter immermehr einige 
Defecte der intellectuellen Thätigkeit bleiben werden. Die Thyroidinbehandlung 
bei Erwachsenen beseitigt die chronische Toxämie und stellt die normale psy¬ 
chische Thätigkeit wieder her; im kindlichen Alter kann trotz der Beseitigung 
des toxischen Zustandes die psychische Thätigkeit sich nur in den Grenzen 
eines degenerativ veränderten Gehirns entwickeln. 


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2. Ueber den centralen Verlauf des Gowers’schen Bündels. 

Von O. J. Rossolimo, 

Priv.-Doc. an der Universität zu Moskau. 

In Anbetracht der Bedentnng des Studiums über den weiteren Verlauf der 
centripetalen Rückenmarksysteme im Grosshirn ist das Interesse vollkommen 
gerechtfertigt, welches die Untersuchungen von Hoohe, Patrik, v. Söldes, 
Mott, Tooth u. A. über den Verlauf des GowEss’schen Stranges, dessen 
Endigungen während vieler Jahre im verlängerten Marke in d<jr Höhe der 
Oliven angenommen wurden, hervorgerufen haben. 

Den angeführten Autoren gelang 69, den GowEBB’schen Strang weiter zu 
verfolgen, wobei einige zu dem Resultat kamen, dass derselbe, nach Erreichung 
des Gebiets der Vierhügel, im Kleinhirn endige, — mit anderen Worten, dass 
er eine schroffe Umbiegung nach rückwärts in der Richtung des Kleinhirns 
durch dessen vordere Schenkel ausfübre. Man könnte sich mit diesem Schema 
vollkommen einverstanden erklären, in dem Falle, wenn einerseits eine solche 
schroffe Umbiegung nicht etwas paradox erschiene, andererseits, wenn wir nicht 
über einer solchen Annahme widersprechende Facta verfügten, z. B. über einige 
von Mott und Klimovf (Kazan. 1897. Russisch) gefundene experimentelle 
Thatsachen (der letztere Autor konnte keine secundären Degenerationen m der 
Richtung zum Kleinhirn nach Durchtrennung seiner vorderen Schenkel con- 
statiren). 

Unsere Untersuchungen haben uns nun zu Resultaten geführt, welohe theils 
mit den bestehenden Meinungen im Einklang stehen, theils mit diesen schroff 
auseinandergehen. 

In Anbetracht dieses letzteren Umstandes und auch dessen, dass wir die 
Endigungen des GowERs’schen Stranges im Grosshirn fanden, wollen wir in 
Kürze unsere Beobachtung mittheilen: 

Es handelt sich um das centrale Nervensystem eines 12 jährigen Mädchens, 
welche vom ersten Beginn der spinalen Symptome, hervorgerufen durch Metastase 
einer sarcomatösen (kleinzelligen) Geschwulst aus dem im retroperitonealen Ge¬ 
webe gelegenen Herde, in unserer Klinik beobachtet wurde. 

Die Affection des Rückenmarks bestand ungefähr 3 Monate, begann mit 
Wurzelerscheinungen in der Höhe des unteren Brust- und oberen Lumbal¬ 
segment, und endigte, allmählich progressirend, mit dem Bilde einer oompletten 
Rückenmarkscompression im Niveau der unteren Wurzeln des Brustmarks. 
Totale Paraplegia inferior, Anästhesie beider unteren Extremitäteb, der Nates, 
des Perineums und des untersten Abschnitts des Bauches mit einer hyper- 
ästhetischen Zone, Incontinentia urinae et alvi, Fehlen des Fusssohlen- und des 
Analreflexes, ebenso des Patellar- und Achillessehnenreflexes, Oedem der unteren 
Extremitäten, Decubitus; die ganze Zeit über bestanden heftige Schmerzen im Ge¬ 
biete der ursprünglichen gereizten Wurzeln. 

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Oie Autopsie ergab, ausser sarcomatösen Herden im retroperitonealen Ge¬ 
webe, im Mediastinum poster., in den Lungen, noch Infiltration der linken 
Lumbalmuskeln, sarcomatöse Erweichung der linken Process. transvers. und der 
Bögen des L und H. Lumbalwirbels. Auf der äusseren Oberfläche der Dura 
mater befindet sich ebenfalls eine weiche saroomatöse Geschwulstmasse, welche 
entsprechend dem oberen s / 4 der Lumbalanschwellung hauptsächlich der hinteren, 
seitlichen und in geringerem Grade der vorderen Oberfläche der Dura spinalis 
anliegt, indem sie röhrenförmig den oben genannten Abschnitt des Bückenmarks 
umgreift Auf der inneren Oberfläche der Dura und auch den weissen Häuten 
des Bückenmarks fehlt die Geschwulst Ausserdem konnten bei der genaueren 
Untersuchung der Präparate zwei sarcomatöse Herde in der Bückenmarkssubstanz 
selbst nachgewiesen werden: der eine von ihnen, von spindelförmiger Gestalt, 
nimmt beide Hinterstränge ein und berührt an der Stelle seiner grössten Dicke, 
wobei er hier die Hinterhörner auseinanderdrängt und comprimirt, die hintere 
Commissur; er dehnt sich von der XI. Dorsalwurzel bis zur II. Lumbalwurzel 
aus; der zweite Herd ist von bedeutend geringerem Umfange, breitet sich im 
Kopfe des rechten Hinterhorns aus und erstreckt sich, ebenfalls spindelförmig, 
von der IX. Dorsal- bis zur I. Lumbalwurzel. Die Lumbalanschwellung zeigt 
das Bild einer nicht sehr hochgradigen parenchymatösen Veränderung (unter¬ 
sucht wurde nach unserer Formol-Methylenblau-Methode): zerstreut liegende 
Schollen, Körnchenzellen, geringe Infiltration in der Umgebung der Gefässe; in 
einigen Zellen lassen sowohl Kern, Ausläufer, als auch Granula keine Abweichung 
von der Norm erkennen, andere dagegen zeigen Vacuoflsation, Chromatolyse, 
Schwund des Kerns und vollständige Zerstörung der Zelle. Grobe Veränderungen 
der Structur mit Zerstörung der Configuration lassen sich nirgends nachweisen, 
ausser an der Stelle, wo sich die spinalen Metastasen des Sarcoms finden. 

Zur Untersuchung der secundären Degenerationen bedienten wir uns der 
Methode von Dr. Ch. Busch (aus unserem Laboratorium) 1 , welche vor der 
MABCHi’schen Methode die Vortheile hat, dass die schwarzen Markschollen sich 
von einem reineren und helleren Fond abheben, dass nicht ein einziger Schnitt 
bei der Untersuchung verloren geht — ein so wichtiger Umstand bei Anfertigung 
von Serienschnitten — und dass endlich die Zeit der Untersuchung bedeutend 
abgekürzt wird. 

Der nach dieser Methode untersuchte lumbale Theil ergab eine solche Menge 
von Körnchenzellen und Markschollen, dass nicht eine einzige gesunde Stelle 
nachzuweisen war; die Veränderungen betreffen sowohl die weisse, als aiPh 
graue Substanz, wobei von irgend einer Systematisirung keine Bede sein kanl* 
Gleichzeitig bieten die hinteren und die vorderen Wurzeln einen höheren oder 
geringeren Grad der Degeneration. Diese diffusen Veränderungen erstrecken 
sich nach oben und differenziren sich allmählich erst in der Höhe der VIII. Dorsal¬ 
wurzel. Hier localisiren sie sich hauptsächlich in den beiden Hintersträngen 
und an der Peripherie der Vorder- und Seitenstränge; eine geringe Anzahl von 

1 Neuroloj?. Centralbl. 1898. S. 476. 


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Markschollen lässt sich in den Winkeln der grauen Substanz und ebenfalls in 
der vorderen Commissur, von wo aus man ihre Fortsetzung in die Vorder- und 
Seitenstränge verfolgen kann. In der Höhe der mittleren Dorsalwurzeln nehmen 
die aufsteigenden Degenerationen folgende ^ vollkommen symmetrische, typische 
Gebiete ein: die GoLL’schen, Kleinhimseiten- und GowEBs’schen Stränge und 
die peripheren Theile des Grundbflndels der Vorderseitenstrangbahnen im Gebiete 
der vorderen Wurzeln. In den übrigen Abschnitten des Bückenmarks geht die 
Degeneration nicht aus den oben bezeichnten Gebieten heraus (Fig. 1,2). In An¬ 
betracht der vollkommenen Symmetrie der Veränderungen werden wir nur von den 
degenerirten Bahnen der einen Seite sprechen und jeden Strang einzeln nach 
oben verfolgen. Wir werden von dem anfangen, welcher in unserem Falle uns 


Fig. 1. Fig. 2. Fig. 3. Fig. 4. Fig. 5. 

hauptsächlich von Interesse ist, der übrigen aber werden wir nur in Kürze 
Erwähnung thun. 

Der GowEas’sche Strang: Im Gebiete beider Kreuzungen behält er die 
ganze Zeit über seinen Platz an der lateralen Oberfläche der Med. oblong, bei, 
in Form eines Dreiecks, dessen Spitze der Mittellinie zugekehrt ist, und liegt 
lateral von dem Vorderhorn. Einige seiner Fasern dieses Grenzgebiets zeigen 
die Tendenz mehr in das Territorium der Kleinhirnseitenstränge einzudringen. 



Fig. 6. Fig. 7. Fig. 8. Fig. 9. 


Aus den Kernen der GoLL’schen Stränge derselben Seite ziehen einzelne dege- 
nerirte Fasern bogenförmig zu dem GowEBs’scben Bündel. Längs dem ganzen 
Verbreitungsbezirk der unteren Oliven nimmt das GowEBs’sche Bündel das ihm 
eigene Territorium, ebenfalls an der Peripherie, ein, zwischen dem Corp. restif. 
und der aufsteigenden Trigeminuswurzel einerseits und der dorso-lateralen Ober¬ 
fläche der Olive andererseits; seine Form ist hier ebenfalls dreieckig und ebenso 
wie früher unten biegen auch hier von ihm Fasern nach dem Corp. restif. um. 
Die degenerirten Fasern aus den Kernen der GoLL’schen Stränge dagegen 
biegen hier, nachdem sie einen noch schrofferen Bogen beschreiben, schon in 
das degenerirte Feld der Kleinhirnseitenstrangbahn ein (Fig. 3, 4, 5, 6, 7). Mit 
dem Auftreten von Fasern des Corpus trapezoides rückt der GowEBs’sche Strang 
von der Peripherie ab und kommt jetzt auf der dorsalen Oberfläche dieses ersteren 
zu liegen in Form eines länglichen Bündels mit etwas schräg getroffenen Fasern; 

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von hier gehen, entsprechend der proximalen Verlaufsrichtung, einige wenige 
Fasern in das degenerirte Corp. restif. über (Fig. 8). Je höher, desto mehr ver¬ 
schiebt sich das Gebiet dieses letzteren zum Kleinhirn, während der GoWBns’sche 
Strang, gleichsam das Corp. restif.,einholend, immer mehr in dorso-lateraler 
Richtung vorrückt, indem er anfänglich den Winkel, welcher von der medialen 
Seite der Facialiswurzel und der dorsalen Seite des Corp. trapezoides gebildet 
wird, einnimmt, späterhin die laterale Seite der medialen Schleife berührt (Fig. 9). 
In der Höhe des Nucl. later, tegmenti führt der GowEBs’sche Strang eine noch 





schroffere Biegung aus, um mit seiner ganzen Masse in den Bestand der lateralen 
Schleife einzugehen, längs deren Territorium er, ohne sich zu zersplittern, immer 
näher zum Velum medulläre antic. und zum Gebiet der Trochleariskreuzung 
rückt (Fig. 10, 11, 12). Ein Theil seiner Fasern führt hier eine zerstreute und 
bündelformige Kreuzung aus, um sich mit dem entsprechenden GowEas’schen 





Strange der anderen Seite zu verbinden. Die Braoh. conjunct. bleiben 
die ganze Zeit über vollkommen normal. In der Vierhügelgegend hält 
das GowERs’sche Bündel, welches jetzt schon Fasern derselben und der oon- 
tralateralen Seite enthält, das Gebiet der lateralen Schleife ein, giebt ein an 
den hinteren Hügel tretendes und diesen von der ventralen Seite umfassendes 
Bündel ab, verläuft immer in demselben Rayon bis zur Höhe der vorderen 
Vierhügel, maoht hier eine scharfe Wendung in ventro-lateraler Richtung und 
tritt in den Fascicul. longitud. intermedius ein, um sich in dem die Subst nigra 
von der ventralen Seite umgebenden Netz und in der Snbstantia selbst auf- 
zusplittem (Fig. 13, 14, 15). In diesem Gebilde und in dem ihm anliegenden 
Netze finden sich eine grosse Menge Markschollen, deren Zahl in proximaler 
Richtung immer mehr sich der medialen Linie nähert, wo eine gewisse Anzahl 

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derselben auch im medialen Abschnitte des Hirnschenkels sich erweist; zu 
dieser Stelle gelangen auch einige degenerirte Fasern, indem sie den Hirn* 
Schenkel von der ventralen Seite bogenförmig umziehen, ohne den Fascic. lon- 
gitud. intermedius und die 8ubst nigra zu berühren (Fig. 16). Die weiteren con- 
secutiven Schnittreihen aus dem Gebiete der 
Ganglien und der Caps, int lassen mehrere 
degenerirte bogenförmige Bündel, welche 
das Gebiet des Genu caps. intern, kreuzen 
und eine grosse Ansammlung von Mark¬ 
schollen in den beiden Gliedern des Globus 
pallidus erkennen; in diesen liegen die Mark¬ 
schollen anfänglich in ihren occipitalen 
Theilen, höher aber mehr zu ihren frontalen 


Fig. 16. Fig. 17. 

Enden (Fig. 17). Auf diese Weise geben die Fasern des GowBEs’schen Stranges, 
welche ihren Ursprung im Lumbaltheil des Rückenmarks hatten und in den oben 
beschriebenen Gebieten ihren Verlauf nahmen, einige Fasern in die Kleinhirn¬ 
seitenstrangbahn längs der ganzen Ausdehnung des Corp. restif. ab, nehmen 
einige wenige Fasern aus dem GoWschen Strang derselben Seite auf, voll¬ 
führen eine partielle Kreuzung im Vel. med. anter. und endigen in 3 Gebilden: 

1. in den hinteren Vierhügeln; 

2. in der Subst. nigr. Sömmeringii; 

3. im Globus pall. (in den beiden inneren Gliedern des Nud. Lenticul.). 
Was seinen von einigen Autoren angegebenen Verlauf aus dem Gebiete der 

Vierhügel in das Kleinhirn nach rückwärts anbetrifft, so erlaubt uns unsere 
Schnittserie nicht eine solche Annahme, und wenn auch einige Fasern des 
GowEBs’schen Bündels in das Kleinhirn übergehen, so sind es nur diejenigen, 
welche aus ihm in die Kleinhimseitenstrangbahn übertreten. 

Die Kleinhirnseitenstrangbahn: Sie weicht in unserem Falle bezüglich 
ihrer Lage und des Verlaufs in Nichts von dem Bekannten ab und endigt in 
den Windungen des Oberwurms. Unsere Präparate zeigen unter anderem den 
Uebergang einiger degenerirter, nicht gekreuzter und in ihren Kernen nicht 
unterbrochener Fasern des Gom/schen Stranges in das Corp. restif. 

Die GoLL’schen Stränge: Dieselben waren bis zu ihren Kernen dege- 
nerirt, welche ebenfalls mit den gewöhnlichen und auch kleineren Markschollen 

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erfüllt waren, wobei einige der Fasern, ohne hier eine Unterbrechung zn er¬ 
fahren, bogenförmig in die GowER&’schen und Kleinhirnseitenstrangbahnen der¬ 
selben Seite verliefen. 

Die Wnrzelzone des degenerirten Gebiets des Vorderseiten¬ 
stranggrundbündels konnte von uns nach oben bis in die Format reticul. 
der Med. oblong, verfolgt werden, wo diese Fasern sich in dem dorso-medialen 
Winkel der unteren Olive erschöpften. 

Moskau, den 15. Mai 1898. 


[Aus der propädeutischen Klinik von Prof. Th. A. Loesch zu Kiew (Russland).] 

3. Bin Fall von 

doppelseitiger Ischias bei acuter parenchymatöser Nephritis. 

Von Dr. Miohael Lapinsky. 

ln der Litteratur sind Mittheilungen darüber vorhanden, dass Neuralgieen 
Nierenleiden begleiten können. 

Simpson 1 theilt mit, dass bei der Nephritis örtliche Paresen und Neuralgieen 
beobachtet werden. 

Oppolzer 8 hat die Gelegenheit gehabt bei dem Morbus ßrigthi Neuralgieen 
zu beobachten, welche den Verlauf der Intermittens larvata nahmen. 

Berger 8 beobachtete Neuralgieen bei chronischer Nephritis (Schrumpfniere). 

Auf Grund von 9 Fällen derartiger Neuralgieen zieht der Autor folgende 
Schlüsse: 

Die Neuralgieen entwickeln sich bei dieser Krankheit in jenen vorgerückten 
Stadien, welche die charakteristischen Verändernngen des Cürculationsapparates 
darbieten. Sie treten ohne äussere Anlässe durchaus spontan auf. Das Leiden 
beschränkt sich auf einzelne Zweige des Plexus ischiadicus. Die Schmerzanfalle 
zeichnen sich durch eine furchtbare Atrocität und lange Dauer aus. Die Neu¬ 
ralgieen dieses Ursprungs haben die Neigung sich auf die symmetrische Extre¬ 
mität zu verbreiten. Gewöhnlich wird das Gebiet der betroffenen Nerven der 
Ort mannigfaltiger vasomotorischer Störungen. 

Pathologisch - anatomische Veränderungen der Nerven bei der Neuralgie 
während der Nephritis sind von den erwähnten Autoren nicht festgestellt 
worden. Ebensowenig ist etwas über die nächsten Ursachen dieser Neuralgieen 
bekannt. Berger versucht sje für ein urämisches Symptom zu halten. 


1 Garst. Jahresbericht. 1855. S. 375. 

2 Morbus Brithi. Spitalzeitung. 1859. 

* Ueber diabetisohe und nephritische Neuralgieen. Neurolog. Centralbl. 1892. 

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So spärlich sind die über das betreffende Leiden in der Litteratnr vor¬ 
handenen Mittheilungen. 

Die unten folgende Beobachtung (mit einem kurzen Auszuge aus der 
Krankengeschichte) kann zur Gruppe gerade derjenigen Neuralgieen gezählt 
werden, die von den Autoren als nephritische beschrieben werden. 

Am 8./XI1. 1896 erschien in der propädeutischen Klinik (von Prof. Loesch) 
der 22jährige Kranke — Bappaport — und klagte über sehr häufige Brech- und 
Diarrhoeanfälle (8—10 Mal am Tage). Ausserdem empfand der Patient in beiden 
Beinen sehr starke Schmerzen, welche sich im Verlaufe der N. ischiadici vom Kreuz 
bis zu den Zehen hinzogen, und als Anfälle von 3—5 ständiger, ununterbrochener 
Dauer 2—3 Mal am Tage auftraten. 

Anamnese: Die Schmerzen zeigten sich beim Patienten 1 1 j 2 Monate vor seinem 
Eintritt in die Klinik. Sie traten augenscheinlich ohne besondere äussere Anlässe 
auf. Das Erbrechen und die Diarrhoe stellten sich eine Woche vor dem Erscheinen 
des Patienten in der Klinik ein, waren ungewöhnlich heftig uud erschöpften den 
Patienten sehr. Derselbe gehörte einer gesunden Familie an, er hatte in der Kind¬ 
heit die Masern und Scharlach, und vor 3 Jahren Bronchitis durchgemacht. 

Lues und Potns verneinte er. Immer führte er ein sehr mässiges Leben und 
beschäftigte sich mit intelligenter Arbeit. Die letzte Wohnung, in der er 3 Monate 
ununterbrochen bis zum Eintritt in die Klinik gelebt hatte, war sehr feucht und kalt 
gewesen. 

Status praesens: Der Patient ist von mittlerer Gestalt, regelmässigem 
Körperbau und sehr schlecht genährt. Die Hautdecken und die Schleimhäute sind 
sehr blass. Ein leichtes Oedem der Füsse und der Augenlider ist vorhanden. Die 
Lymphdrüsen sind wenig fühlbar. Die Gelenke beider Beine sind vollkommen frei 
beweglich. Die Muskeln sind schwach entwickelt. Der Bauch ist leicht aufgebläht, 
bei Percussion leicht tympanitisch gedämpft. 

Die Grenzen der Leber und der Milz weichen vom Normalzustände nicht ab. 
Die Milz ist nicht fühlbar. Das Gebiet beider Nieren und des ganzen Dickdarmes 
ist sehr empfindlich. Die Spitze des Herzens befindet sich einen Finger breit links 
von der Linea mammillaris. Die rechte Grenze des Herzens ist auf dem linken 
Bande des Sternum. Leichte systolische Geräusche sind an allen Klappen hörbar. 
Der zweite Ton der Aorta hat einen starken Accent. Der Puls ist zusammengedrückt, 
hart und hat 65—70 Schläge in der Minute. Die Grenzen der Lungen sind normal. 
Der (percutorische) Ton derselben ist normal. Bei der Auscultation sind leichte 
Bhonchi sibillantes hörbar. 

Die Temperatur beträgt in der Achselhöhle 36,2—37,2. Sechs spärliche schleimig¬ 
wässrige Entleerungen finden in 24 Stunden statt. 

Der Harn beträgt 600 ccm in 24 Stunden. Er ist trüb, röthlich und hat einen 
reichlichen Niederschlag. Das specifische Gewicht beträgt 1,024. Die mikroskopische 
Untersuchung zeigt epitheliale fett-degenerirte Cylinder in grosser Anzahl, Zellen aus 
den Harncanälen und reichliche rothe Blutkörperchen. Der Eiweissgehalt beträgt 10 
pro 1000,0. Galle-Pigmente und Zucker sind nicht vorhanden. 

Die Betastung der Nn. ischiadici vom Kreuz bis zum Knie, der beiden Nn. poplitei, 
tibialis et peronei in ihrer ganzen Verbreitung zeigt eine sehr grosse Schmerzhaftig¬ 
keit. Das Beugen der gestreckten Beine im Hüftgelenk über 130°—140° ruft 
die grössten Schmerzen in den beiden Nn. ischiadici und im Gebiete der Verbreitung 
der Nn. peronei hervor. Die Schmerzen lassen jedoch sofort nach, wenn das ge¬ 
streckte Bein im Knie gebeugt wird. Das im Knie gebeugte Bein kann man sogar 
an den Bauch pressen, ohne dass der Patient besonders unangenehme Empfin¬ 
dungen hätte. 

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Die willkürliche Beweglichkeit aller Muskeln beider unteren Extremitäten ist 
völlig normal. Die passive Beweglichkeit desselben zeigt keinerlei Steifigkeit. Alle 
Arten der Sensibilität (Schmerz, Berührung, Orts- und Muskelsinn, Temperatur- 
emplindung) an den beiden Beinen und am Kumpfe weichen keineswegs vou der 
Norm ab. Der Reflex auf das Kitzeln der Fusssoble, sowie die Cremaster- und 
Bauchreflexe sind sehr lebhaft. Der Fussclonus ist beiderseits vorhanden, die 
Patellarrellexe sind normal. Keinerlei Blasen- oder Sphincter ani - Störung sind be¬ 
merkbar. Die Pupillen reagiren beiderseits gleich prompt auf Lichteinwirkungen. 

Die Betastung der Kreuz- und Inguinalgegend von aussen und per rectum zeigt 
keinerlei Geschwulst oder sonstige Abnormitäten im Becken. 

Die faradische und galvanische Reaction beider Nn. ischiadici, peronei, tibiales, 
obturatorii et crurales sind durchaus normal. 

Nach 2 Wochen starb der Patient unter den Erscheinungen der immer weiter 
vorschreitenden Anurie und Urämie. 

Die aus der Leiche herausgeschnittenen Nn. ischiadici (die vollstängige Obduction 
wurde von den Verwandten des Patienten nicht gestattet) waren in der Müller’- 


C 



Fig. 1. 

sehen Flüssigkeit gehärtet und die von ihnen gemachten Schnitte wurden nach Pal, 
Weigert und durch Carmin und Alaun-Haematoxilin gefärbt. 

Die mikroskopische Untersuchung solcher Schnitte zeigte Folgendes: 

Das Epineurium enthielt keinerlei Spalten oder Höhlungen, die man durch das 
Oedem derselben hätte erklären können. Seine einzelnen Bindegewebsfasern waren 
von normaler Dicke und gut zu unterscheiden. 

Die Zahl der Vasa epineurii war augenscheinlich vermehrt. Die Zellkerne 
ihrer Wände waren sehr gross und sehr intensiv gefärbt. Die Zahl der Kerne war 
in einigen Vasa epineurii sehr vermehrt. Indem sie nach aussen und nach innen 
wucherten (Periendoarteriolitis), verengten sie das Lumen und infiltrirten das Gewebe 
des Epineurium (Fig. 1, 6). Solche stark entartete Gefässe waren leer; andere, deren 
Wände noch nicht verdickt waren, waren sehr hyperämisch (Fig. 1, a). 

Das Perineurium war überhaupt nicht verändert und umschloss überall das 
Nervenbündel ebenso eng wie in der Norm. 

Die allgemeine Masse des Endoneurium war nicht vermehrt. 

Die Vasa endoneurii waren ebenso wie die Vasa epineurii durch die Periendo¬ 
arteriolitis verändert. Ihre Wändo enthielten eine vermehrte Anzahl von Kernen 
(Fig. 1, c), die, nach aussen wuchernd, das Gewebe des Endoneurium infiltriren, und. 


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nach innen wuchernd, das Lumen verengten. Einige Gefässe waren stark mit Blut 
gefüllt. 

Die Zahl der Myelinfasern war unverändert. Am Längsschnitte war eine Ver¬ 
mehrung ihrer Kerne nicht bemerkbar. Die Mehrzahl der Fasern hatte eine cylin- 
drische Form, eine gleichmässige Oberfläche, 
eine gleichstarke Färbung. Die Minderzahl der 
Fasern wies einige Veränderungen des Myelins 
auf: sie waren ungleichmässig gefärbt, ent¬ 
hielten stark gefärbte Klümpchen und Körner 
(Fig. 2). Ihre Scheide hatte keine parallelen 
Bänder und war stellenweise garnicht vor¬ 
handen. Jedoch war die Zahl solcher Fasern 
mit den Anzeichen des Verfalls sehr gering. 

Wenn wir alles bisher gesagte recapituliren, so sehen wir, dass heim 
Patienten, der über Schmerzanfälle im Verlaufe der Nn. ischiadici klagte, ob- 
jectiv eine starke Empfindlichkeit der Stämme derselben gegen Zerrung und 
Druck gefunden wurde, bei völliger Abwesenheit irgend welcher Veränderungen 
in ihren Functionen und bei normaler Reaction auf den elektrischen Strom. 
Ein derartiges klinisches Bild entspricht der Neuralgie. Dagegen wurde mikro¬ 
skopisch eine Entartung und Obliteration der Vasa nervorum gefunden, eine 
starke Hyperämie der weniger degenerirten von denselben und eine Infiltration 
des Gewebes des Epi- und Endoneurium durch Kerne bezw. Zellen. Stellenweise 
zeigte sich der Zerfall des Myelins. 

Ein derartiges pathologisch-anatomisches Bild lässt annehmeu, dass ausser 
den toxischen Ursachen, welche Bebgeb wahrscheinlich unter dem Worte „urä¬ 
mische Symptome“ versteht, die neuralgischen Schmerzen bei der Nephritis auch 
durch örtliche Veränderungen im Gewebe des Nerven selbst hervorgerufen werden 
können. Die nächsten Ursachen dieser Veränderungen können in der Entartung 
der Gefässe liegen. Es ist sehr schwer, anzunehmen, dass die Obliteration einiger 
Vasa nervorum nicht auf die Ernährung derjenigen Nervenfasern, welche bis 
dahin ihr Blut von ihnen erhielten, einwirken sollte. Noch weniger ist zu er¬ 
warten, dass die das Gewebe des Nervenbündels infiltrirendeu Kerne, indem sie 
zwischen Nervenfasern dringen und sie zusammendrückeu, diese einzelnen Nerven¬ 
fasern unbeschädigt lassen sollten. 

Die Veränderungen der Vasa nervorum in den Fällen von uephritischen 
Neuralgieen erscheinen um so wahrscheinlicher, als die Erkrankung der Blut- 
gefässsysteme bei Nierenleiden überhaupt ausser jedem Zweifel stehen. 

Was die betreffende Beobachtung anlangt, so muss bemerkt werden, dass, 
ähnlich wie in Beegeb’s Fällen, die Erkrankung eine doppelseitige war, sie 
entwickelte sich ohne irgend welche äussere Anlässe und bestand in sehr lange 
anhaltenden und unerträglich schmerzhaften Anfällen. Nicht ganz vereinbar 
mit den Beobachtungen Bebgeb’s ist es, dass die Neuralgie sich bei der be¬ 
schriebenen Krankengeschichte nicht während der chronischen Nephritis, sondern 
bei der acuten parenchymatösen Nephritis entwickelte, und nicht einzelne Zweige 
der Nn. ischiadici, sondern alle Hauptäste derselben ergriff. 



Fig. 2. 


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II. Referate. 


Anatomie. 

1) Ueber die PrimitivflbriUen in den Ganglienzellen vom Menschen und 
anderen Wirbelthieren, von Albrecht Bethe. (Morphol. Arbeiten, heraus* 
gegeben von G. Schwalbe. 1898. Bd. VIII. S. 96.) 

Nachdem es Apäthy gelungen war, an der Hand einer besonderen, von ihm 
geschaffenen Methodik (Nachvergoldung in Sublimat fixirter Objecte, Goldimprägnation, 
Methylenblau- und Hämatoxylintinction nach besonderen Vorschriften) die Fibrillen 
in den Nervenzellen und Fasern von Hirudineen und Lumbricus mit einer ungeahnten 
Klarheit nachzuweisen, hat sich nun Verf., angeregt durch die Apäthy’schen 
Methoden, bemüht, eine Methode zu finden, die die Fibrillen auch im Nervenplasma 
der Wirbelthiere mit gleicher oder annähernder Schärfe hervorzuheben geeignet sei. 
Das Ergebniss dieser Bemühungen ist ein neues Färbeverfahren, das in der That, 
wie ßef. nach eigener Anschauung bestätigen kann, allen bisher zu diesem Zwecke 
empfohlenen Methoden überlegen ist, namentlich was den Zellkörper centraler Nerven¬ 
zellen betrifft, während für den Axencylinder auch mit anderen Färbungen ähnliche 
Resultate zu erreichen sein dürften. Eine ausführliche Mittheilung seiner Methode 
hält sich Verf. für eine spätere Veröffentlichung vor; das wesentliche des Verfahrens 
erfahren wir aber bereits aus den kurzen Andeutungen, die Verf. hierüber in seiner 
Arbeit: Das Gentrainervensystem von Carcinus Maenas. Archiv f. mikrosk. Anatomie. 
Bd. LI. S. 386 macht. Darnach handelt es sich zunächst darum, die Nissl’schen 
Schollen, die die Färbung der Fibrillen beeinträchtigen, aus den Zellen zu entfernen. 
Dies erreicht Verf. durch Behandlung der Schnitte mit Ammoniak und Salzsäure. 
Von der Voraussetzung ausgehend, dass die Fibrillen, die sich ja bekanntlich bei 
Färbungen acidofil verhalten, aus einer basischen Substanz bestehen, bindet Verf. 
diese Base durch Molybdensäure und bewirkt dadurch eine völlige Umkehrung des 
färberischen Verhaltens der Fibrillen. Die Molybdensäure hat nämlich die Eigen¬ 
schaft, mit verschiedenen basischen Anilinfarbstoffen unlösliche Verbindungen zu 
bilden. Am besten hat sich zu diesem Zweck das Toluidinblau bewährt, durch das 
also die nun mit Molybdensäure imprägnirten Fibrillen, entgegen ihren ursprünglichen 
Farbstoffneigungen, in intensiv blauer Farbe dargestellt werden können. 

Die Fibrillen im Axencylinder peripherischer Nerven schildert Verf. als feine, 
glattcontourirte Fäserchen, die meist leicht wellig nebeneinander verlaufen. Man 
kann sie auf längere Strecken (mehr als 50 fi) verfolgen und sich hierbei über¬ 
zeugen, dass keine Querverbindungen zwischen ihnen bestehen; da auch an den 
Querschnitten der Axencylinder die Fibrillen als gegeneinander vollkommen isolirte 
Punkte erscheinen, so sei die Annahme eines wabenartigen Aufbaues des Axen- 
cylinders (Bütschli, Held, Cajal) als widerlegt zu betrachten. Die zwischen 
den Fibrillen befindliche Substanz erscheint Bei der Färbung des Verf.’s homogen. — 
Etwas schwieriger ist es, die Fibrillen in den centralen Axencylindern darzustellen, 
da sie hier viel dichter liegen, indessen lassen die Erfahrungen des Verf.’s auch 
hier über die gleiche Structur der Axonen keinen Zweifel übrig. Bemerkenswerth 
ist das vom Verf. festgestellte Verhalten der Fibrillen an der Bifurcationsstelle der 
sensiblen Fasern. Die Fibrillen der Stammfaser weichen Y-artig auseinander; directe, 
aus dem einen Theilungsast geradlinig in den anderen übergehende Fibrillen hat 
Verf. nicht gesehen. Verf. hebt dies hervor als einen Beweis zu Gunsten der An¬ 
nahme, dass die Fibrillen wirklich reizleitende Apparate und nicht etwa nur Stütz¬ 
gebilde sind. — In den Collateralen der Hinterstrangfasern sind die Fibrillen auf- 


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fallend dick, doch handelt es sich hier wahrscheinlich nicht um einzelne Primitiv* 
fibrillen, sondern um verklumpte Fibrillen bändeichen. Sie treten bogenförmig aus 
dem Verlauf der Längsfaser heraus, natürlich immer mit cellulifugalem Bogen, daher 
man an longitudinalen Kückenmarkschnitten aus der Art ihrer Herausbiegung be¬ 
stimmen kann, ob die Längsfaser, aus der sie entspringen, im Rückenmark auf* oder 
absteigend verläuft. 

In den Nervenzellen erscheinen die Fibrillen ebenfalls als wohlindividualisirte, 
stark gefärbte Bildungen, die durchaus nicht lediglich den Eindruck einer „Proto* 
plasmastructur“ machen, sondern als richtige selbständige Fasern aufzufassen sind. 
Ihre Bündelchen füllen die zwischen den Nissl’sehen Schollen übrig bleibenden 
Zwischenräume aus. Das Nissl*Bild stellt also das Negativ des Fibrillenbildes 
dar. In den einfacheren, mehr länglichen Zellen, in denen die Schollen eine regel¬ 
mässige spindelförmige Gestalt und eine einfache Anordnung zeigen, gelingt es, alle 
Primitivfibrillen continuirlich von Fortsatz zu Fortsatz durch den Zellleib, hindurch 
zu verfolgen; in den plumperen Zellen dagegen mit complicirterer, unregelmässiger 
Anordnung der Schollen, wie z. B. in den motorischen Vorderhornzellen des Rücken¬ 
marks, sieht man daneben immer auch noch eine Anzahl von Fibrillen, deren weiterer 
Verlauf nicht klargestellt werden kann. Immerhin ist es aber auch für diese 
Fibrillen höchst wahrscheinlich, dass sie sich wie die anderen verhalten, d. h. durch 
die Zelle glatt hindurchgehen. Nur in überaus seltenen Fällen sah Verf. Theilungen 
der Fibrillen in der Zelle; die Regel ist, dass sie ganz ungetheilt die Zelle durch¬ 
setzen. An einzelnen Zellformen, z. B. an den oben erwähnten motorischen Vorder¬ 
hornzellen, bilden die Fibrillen manchmal in den inneren Theilen der Zelle, in der 
Umgebung des Kerns, ein ziemlich dichtes Gewirr, das auf den ersten Blick wie 
ein Netzwerk aussieht; thatsächlich ist es aber kein Netz, sondern ein Filzwerk, 
das aus isolirten Fibrillen besteht. Allem Anscheine nach kommt es in den Nerven¬ 
zellen niemals zu einer Verbindung der Fibrillen unter sich, sondern sie durchziehen 
die Zelle vollkommen isolirt gegeneinander. Verf. tritt hierdurch in einen gewissen 
Gegensatz zu Apäthy, der auf S. 628 seines Werkes angiebt, dass die Neurofibrillen 
nicht nur bei Wirbellosen, sondern auch bei Wirbelthieren im Zellkörper der Nerven¬ 
zellen ein förmliches Gitterwerk bilden sollen. 

In vielen Zellgattungen zeigen die Fibrillenbündelchen einen spiraligen Verlauf, 
wodurch ihre Verfolgung sehr erschwert wird, so z. B. in den grösseren Pyramiden¬ 
zellen, den solitären Hinterhornzellen. Eine sehr interessante Beobachtung sei hier 
besonders hervorgehoben. Theoretisch sollte man meinen, dass sich die durch die 
Dendriten in den Zellkörper einströmenden Fibrillen schliesslich alle im Nervenfortsatz 
vereinigen. Dem ist aber nicht so; ein grosser Theil der Fibrillen biegt aus dem 
einen Dendriten gleich wieder in einen Nachbardendriten ein; ja es giebt Fibrillen, 
die in grosser Entfernung von der Zelle aus dem einen Seitenzweig eines Dendriten 
an der Theilungsstelle gleich in einen anderen Seitenzweig einlenken, die also gar 
nicht das Gebiet der Zelle betreten. 

Verf. giebt eine sehr ins Einzelne gehende Schilderung des Fibrillen Verlaufs in 
verschiedenen Zellen (Vorder- und Hinterhornzellen, Purkinje’sehe Zellen, Pyramiden¬ 
zellen), die sich einem erschöpfenden Referate schon deshalb entzieht, weil sie sich 
hauptsächlich an die der Arbeit beigegebenen Abbildungen anlehnt. Nur das sehr 
übersichtliche Verhalten der Fibrillen in den Pyramidenzellen sei hier als Beispiel 
angeführt. Die meisten Fibrillen verlaufen hier in der Längsrichtung der Zelle, sie 
strömen im Hauptdendriten („Spitzenfortsatz“) der Zelle zu und vertheilen sich 
gleichmässig auf die Basalfortsätze, ohne den Axon irgendwie zu bevorzugen; der 
Nervenfortsatz enthält also nur einen Theil der Fibrillen. Daneben giebt es noch 
eine Anzahl von quer durch die Basis der Zelle hindurchziehenden Fibrillen, die 
einerseits die seitlichen Dendriten mit einander, andererseits diese mit dem Axon 
verbinden. Die Fibrillen erschienen in den einzelnen Dendriten oft zu mehreren 


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Bandelchen angeordnet; jedes Bandelchen entspricht in der Begel einem Ast des 
Dendriten. Der Nervenfortsatz zeigt ein sonderbares Verhalten. Gleich an seinem 
Ursprünge legen sich die Fibrillen so dicht aneinander, dass man das Bild eines 
soliden Stranges erhält und der Fortsatz recht dann erscheint. Unweit von der 
Zelle schwillt er aber wieder an und hier wird dann die fibrilläre Structur wieder 
deutlich. Von einer Netzbildung der Fibrillen ist in diesen Zellen ebensowenig etwas 
zu sehen, wie in anderen. 

Schon aus diesem einen Beispiel ersieht man, dass in Bezug auf den Verlauf 
der Fibrillen ein durchgreifender Unterschied zwischen den Dendriten und dem Nerven- 
fortsatz nicht besteht und das gleiche gilt für alle vom Verf. untersuchten Zell¬ 
gattungen. Der Nervenfortsatz erscheint durchaus nicht als die Sammelstelle aller 
durch die Dendriten dem Zellkörper zuströmenden Fibrillen, was ja eigentlich auch 
bei der oft grossen Zahl von Dendriten ohne Anastomosen der Fibrillen fast un¬ 
möglich wäre, sondern enthält ebenso wie die anderen Fortsätze nur einen Theil 
davon. 

Ueberblicken wir die vom Verf. mit seiner neuen vortrefflichen Methode ge¬ 
wonnenen Ergebnisse, so scheint es durch sie in der That zuverlässig nachgewiesen, 
dass in den centralen Nervenzellen das Zellplasma besonders in den Fortsätzen 
und den peripherischen Theilen des Zellkörpers eine fibrilläre Differenzirung erfahren 
kann oder vielleicht sogar regelmässig erfährt, wobei die Fibrillen als auf längere 
Strecken selbständig verlaufende Gebilde zur Entwickelung kommen und bei den 
einzelnen Zellsorten einen bestimmten, offenbar mit deren Form zusammenhängenden 
Verlauf haben. Wenn diese Fibrillen bisher bei verschiedenen Forschern, theilweise 
aucl} beim Referenten, auf Bedenken gestossen sind, so ist dies ja erklärlich aus 
dem Umstande, dass die bisherigen Methoden in der That nicht im Stande waren, 
sie mit jener Sicherheit zur Ansicht zu bringen, die man vom Standpunkte einer 
exacten Forschung fordern muss. 

Mit einiger Spannung muss man erwarten, wie sich bei des Verf.’s Färbung die 
peripherischen Nervenzellen verhalten, die in Bezug auf die Anordnung des Tigroids 
einen wesentlich anderen Typus zeigen als die centralen Zellen, und bei denen der 
Nachweis von Fibrillen mit anderen Methoden mit der grössten Schwierigkeit ver¬ 
bunden ist Verf.’s Arbeit enthält hierüber nichts. 

Inwieweit aber die Gegenwart und Anordnung dieser Fibrillen nach der physio¬ 
logischen Richtung hin Verwerthung finden kann, bleibt einstweilen noch dahin¬ 
gestellt. Ein zwingender Grund für die Schultze-Apathy’sche Auffassung, dass 
einzig und allein die Fibrillen die leitende Substanz darstellen, die Interfibrillär¬ 
substanz dagegen aus der Reizleitung vollkommen ausgeschlossen ist, scheint dem Ref. 
in keiner Weise vorzuliegen. Auch Verf. drückt sich in dieser Beziehung sehr vor¬ 
sichtig aus. Mit der Bejahung oder Verneinung dieser Frage aber stehen und fallen 
die weiteren Schlussfolgerungen, die Verf. an seine Befunde knüpft, so z. B. die, 
dass ein wesentlicher Unterschied zwischen Dendriten uiid dem Nervenfortsatz nicht 
vorhanden sei, sowie auch die Annahme, dass in Anbetracht des oft aus einem Den¬ 
driten in den anderen umbiegenden Verlaufs der Fibrillen die Dendriten sowohl celluli- 
petal wie cellulifugal leiten können. So lange nicht die alleinige reizleitende Function 
der Fibrillen und der Ausschluss der Interfibrillärsubstanz aus der Reizleitung durch 
andere Momente genügend erwiesen ist, könnte man mit gutem Recht den Spiess 
umkehren und sagen, dass die vom Verf. enthüllte Anordnung der Fibrillen und 
der Dendriten ein Beweis sei gegen ihre ausschliessliche erregungsleitende Bedeutung. 
Welchen Sinn sollte überhaupt die bei anderen Methoden so scharf hervortrotende 
morphologische Verschiedenheit des Nervenfortsatzes gegenüber den Dendriten (Mangel 
des Tigroids, scharfe Grenzen, gleiches Kaliber u. s. w.) haben, wenn damit nicht 
eine physiologische Verschiedenheit verknüft wäre? 


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i 

Die Untersuchungen des Verf. sind als eine ausserordentlich dankenswerthe 
Bereicherung unserer Kenntnisse vom Aufbau des Nervensystems zu begrüssen. 
Mit den vielen Aufschlüssen und Anschauungen, die uns die Golgi’sche und 
Methylenblaumethode vermittelt hat, stehen sie — wenigstens die bisher veröffent¬ 
lichten Erfahrungen des Verf.’s bei Wirbelthieren — in keiner Weise in Wider¬ 
spruch; sie stellen einen weiteren Schritt in der Erkenntniss des Nervensystems dar, 
der sich jenen Errungenschaften ohne jede Collision organisch angliedern lässt. Bei 
dem Mangel jeden Gegensatzes sind daher die etwas schroffen Bemerkungen am 
Anfänge des Aufsatzes, deren Spitze sich gegen die Golgi’sche Methode richtet, 
nicht leicht verständlich. Sie mögen als Ausdruck einer besonderen Idiosynkrasie 
des Verf.’8 hingenommen werden, aber mit dem Inhalt seiner Arbeit stehen sie in 
keinem inneren Zusammenhänge. Es ist Niemandem eingefallen, zu behaupten, dass 
die Golgi’sche Methode geeignet sei, über die Protoplasmastructur der Nervenzellen 
und ihrer Fortsätze Aufschlüsse zu geben. Ihre Leistungsfähigkeit bewegt sieb in 
einer ganz anderen Richtung: wie keine andere Methode, ist sie in Stande, die Form, 
Verästelungsweise, Gruppirung der verschiedenen Zellgattungen des Nervensystems, 
ihr gegenseitiges räumliches Verhältniss, die Ursprungsweise und Endigung der Nerven¬ 
fasern u. s. w., mit einem Worte das, was man die mikroskopische Topographie, den 
inneren Aufbau des Nervensystems nennen kann, zur Ansicht zu bringen. Die 
„Golgi-Periode“ kann das Verdienst für sich in Anspruch nehmen, auf einem Ge¬ 
biete, wo vielfach sozusagen nur Rudimente eines Wissens vorhanden waren, Licht 
verbreitet zu haben. Denke man sich einmal alles weg, was wir durch diese Me¬ 
thode erfahren haben — die Aufschlüsse über den Bau des Rückenmarks, der peri¬ 
pherischen Ganglien und Nervenendigungen, der Netzhaut, der Kleinhirnrinde, Gross¬ 
hirnrinde u. s. w. —, und man wird es am besten fühlen können, wie viel wir ihr 
verdanken. Die Golgi’sche Methode mag „einseitig“ sein, wie sie Verf. bezeichnet, 
aber das ist ein Nachtheil, der allen unseren Methoden anhaftet, und nicht am 
wenigsten der Bethe’schen Fibrillenfärbung, mit der man ja niemals das, was uns 
die Silberimprägnation gelehrt hat, hätte ergründen können. Verf. sollte nicht ver¬ 
gessen, dass, wenn er sich jetzt bei seiuen Fibrillenstudien mit solcher Sicherheit 
und Leichtigkeit unter den verschiedenen Zellgattungen auskennt, wenn er von der 
Bifurcation der sensiblen Fasern und ihren Collateralen spricht, er auf der Grundlage 
steht, die durch die Golgi’sche Methode gewonnen wurde. 

M. v. Lenhossök (Tübingen). 


Experimentelle Physiologie. 

2) Medioation thyroldienne et arsenio, par Bödart et Mabille. (Comptes 
rendus de la soc. de biolog. 1898. 21. Mai.) 

Verff. haben die interessante Thatsache entdeckt, dass die nach Thyreoidea¬ 
fütterung bei Menschen und Thieren eintretenden Störungen von Seiten des Circulations- 
apparats (Tachycardie) und Nervensystems (Tremor, Excitationszustände) durch Dar¬ 
reichung von Arsen in der Form des Liq. Fowleri verhindert, bezw. wenn sie sich 
schon entwickelt haben, beseitigt werden. — Die Verff. sehen daher in dem Arsen 
ein brauchbares Antidot gegen die schädlichen Folgen der Thyreoideafütterung und 
combiniren mit bestem Erfolg in den einschlägigen Fällen die gleichzeitige Darreichung 
beider Medicamente. — Auch die durch die Schilddrüsenfütterung erzielte oft un¬ 
erwünschte Abmagerung der Patienten wird durch den gleichzeitig verabfolgten 
Liq. Fowleri verhindert oder mindestens eingeschränkt. 

W. Cohnstein (Berlin). 


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3) Die Verrichtungen der Hypophyse, von E. v. Cyon. (Pflüger’s Archiv. 
Bd. LXXI.) 

Verf. hat Hypophysenextract des Kalbs- oder Ochsengehirns Händen und 
Kaninchen eingespritzt Er stellte fest, dass nach venöser Injection die Frequenz 
der Herzschläge abnimmt, während die Herzcontractionen gleichzeitig stärker werden. 
Der Blutdruck steigt nur für kurze Zeit, aber beträchtlich. Bei schwächer wirkenden 
Extracten geht der Drucksteigerung eine Drucksenkung voraus. Am wirksamsten 
waren Extracte, welche aus der getrockneten und gepulverten Hypophyse durch 
längeres Kochen unter Atmosphärendruck erhalten wurden. Weiter ergab sich, dass 
einige Cubikcentimeter von Hypophysenextract im Kreislauf des Kaninchens genügen, 
um die Lähmung der Vagi durch Atropin (0,007 g) zu verhindern. Hierin stimmt 
der Hypophysenextract mit dem Jodothyrin überein. 

Eine schwache elektrische oder mechanische Reizung der Hypophyse am lebenden 
Thier ruft die nämlichen Veränderungen der Herzschläge und des Blutdrucks hervor 
wie die Einspritzungen der Hypophysenextracte. In seltenen Fällen ruft der mecha¬ 
nische Druck auf die Hypophyse umgekehrt eine Depression des Blutdrucks hervor, 
mit oder ohne gleichzeitige Beschleunigung der Herzschläge. Die blosse Eröffnung 
der Sattelhöble, wenn sie vorsichtig und ohne Berührung der Hypophyse gelingt, 
sowie ein leichter Druck auf das uneröffnete Dach dieser Höhle, ruft ebenfalls oft 
eine kleine Blutdrucksenkung mit Pulsbeschleunigung hervor. 

Noch auffälliger war folgende Beobachtung: die nach Compression der Aorta 
descendens regelmässig eintretende, auf Vaguserregung beruhende Pulsverlangsamung 
bleibt nach Exstirpation der Hypophyse aus. Verf. nimmt an, dass der durch die 
Compression der Aorta gesteigerte Druck in der Scbädelhöhle direct die Hypophyse 
erregt und erst von dieser aus reflectorisch — auf vielleicht im Tuber cinereum 
verlaufenden Bahnen — die Vagi erregt werden. 

Der Hypophyse würde danach eine chronische und eine mechanische 
Function zukommen. Erstens erzeugt die Hypophyse eine ähnlich wie das Jodothyrin 
das Herz- und Gefässnervensystem beeinflussende Substanz, und zweitens setzt sie 
bei den geringsten Druckveränderungen in der Schädellinie Schutzapparate in Thätig- 
keit, durch welche die Druckstörungen beseitigt werden. Die Beseitigung erfolgt 
wahrscheinlich dadurch, dass die Erregung der Vagi eine enorme Beschleunigung des 
Blutstroms in den Venen der Schilddrüse und — in geringem Maasse — auch in 
anderen Körpervenen erzeugt. 

Die chemisch wirksame Substanz der Hypophyse, das ,, Hypophysin ist nach 
Verf. eine organische Phosphorverbindung. Th. Ziehen. 


Pathologische Anatomie. 

4) Des lösions mödullaires dans le tetanos experimental, par Pech out re. 

(Comptes rendus de la soc. de biolog. 1898. 25. Juni.) 

Verf. injicirte Kaninchen virulente Tetanuscultur und tödtete die Thiere nach 
4 Tagen. — Bei der Untersuchung des Rückenmarks nach Nissl fand er constant 
folgende Veränderungen, die in den Controllpräparaten von gesunden Thieren stets 
fehlten: 

An den Zellen der grauen Vorderhömer wurde zunächst die Conturirung un¬ 
deutlich, dann vergrösserte sich das Volumen der Zelle und gleichzeitig trat eine 
diffuse Färbbarkeit der achromatischen Substanz in Erscheinung. Die Nissl’ sehen 
Granula verloren ihre regelmässige Anordnung und zerfielen zu gleicher Zeit in 
feinen, kaum mehr sichtbaren Staub. — Die Protoplasmafortsätze zeigten ähnliche 
Degenerationssymptome. ■— Der Kern und das Kernkörpereben vergrösserten sich 


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und verloren ihre centrale Lage; auch veränderte sich die Färbbarkeit des Kerns 
insofern, als er sich lebhaft nach Nissl tingirte, was normalerweise nicht der 
Fall ist. W. Cohnstein (Berlin). 

5) Contribution ä l’ötude des enoöphalooeles oongdnitales, par Dr. Froelieh 
(Nancy). (Medecine infantile. 1898. VoL II. Nr. 4.) 

Bei einem 2 1 / 2 jährigen Mädchen bestand ein angeborener, dem Hinterhaupt 
mit breitem Stiele aufsitzender Tumor, der seit der Geburt von Nuss- bis Faustgrösse 
gewachsen war. An demselben war eine Zweilappung auffallend; der obere kleinere 
Antheil zeigte Puls- und Respirationsschwankungen, die grössere untere Partie bot 
mehr die Erscheinungen eines soliden Tumors. 

Die mit Erfolg ausgeführte Operation und die nachfolgende histologische Unter¬ 
suchung des Tumors ergaben, dass derselbe grösstentheils aus einem fibrös-cystischen 
Gewebe bestand und meist an seinem Stiele Hirnrindenelemente aufwies. Der Verf. 
bezeichnet diese Art von Hirngeschwfllsten nach Dörier und Berger als Encephalom, 
im Gegensatz zur Encephalocele, bei welcher die Wand des ganzen Tumors aus 
nervösen Elementen zusammengesetzt ist. In der reichlichen Bindegewebswucherung 
und dem Aufhören der Pulsatiou in einem Theile der Geschwulst sieht Verf. einen 
Spontanheilungsprocess, indem dadurch die Neigung zur Consolidirung angedeutet 
erscheint. Aus diesem Grunde ist es vielleicht bei nicht bestehender Lebensgefahr 
angezeigt, mit der Operation derartiger Tumoren zu warten, um die eventuelle Nei¬ 
gung zur Selbstheilung als günstigen Operationsfactor ausnützen zu können. 

Zappert. 


6) Beitrag zur pathologischen Anatomie des Nervensystems bei dem 
Tetanus des Menschen, von Dr. Wilhelm Goebel. (Monatsschr. f. Psycli. 
u. Neurolog. 1898. Bd. III.) 

Im Anschluss an einen Riss der Patellarsehne, der genäht worden war, und 
geeitert hatte, entwickelten sich Krämpfe in den Masseteren, Schmerzen im Nacken 
und allgemeine tonische Krämpfe. Trotz Tetanusantitoxin erfolgte der Tod am 
9. Tage. Bei der Section zeigte sich Hyperämie der Lungen, der Leber, der Nieren 
und der Milz. Auf der Serosa des Herzens und der Lungen fanden sich zahlreiche 
Blutungen. Gehirn und Rückenmark waren makroskopisch unverändert. Verf. fand 
aber mikroskopisch mit der Marchi- und Nissl-Methode interessante Veränderungen 
an den Strängen und den Ganglienzellen des Rückenmarks, die er in der vorliegenden 
Arbeit beschrieben, mit denen anderer Autoren verglichen und in vortrefflichen 
Zeichnungen reproducirt hat. G. llberg (Sonnenstein). 


Pathologie des Nervensystems. 

7) Sul disturbi psichioi e sulle alterasioni del sistema nervoso per in- 
sonnia assoluta, per C. Agostini. (Riv. speriment. di Freniatria. XXIV.) 

Im Anschluss an 2 Fälle, in denen nach einer schlaflosen Periode von 6 bezw. 
9 Tagen und Nächten ein deliriöser Zustand zum Ausbruch kam, der nach ge¬ 
nügender Ruhe schnell in Heilung überging, bespricht Verf. die in der Litteratur 
niedergelegten ähnlichen Beobachtungen. Des ferneren erörtert er die Pathogenese 
des Leidens und schlägt für dieselbe den Namen: „transitorisches agrypnisches De¬ 
lirium* vor. Es ähnelt sehr dem Schlaf und ist charakterisirt durch incohärente 
H'dlucinationen, plötzliches Entstehen, durch Verwirrtheit begleitet, von ungeordneten 
Handlangen und wechselnden Affecten, durch Trübung des Bewusstseins und durch 


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consecutive Amnesie. Seine Dauer beträgt wenige Standen bis einige Tage. Die 
Prognose ist eine gute. Autointoxication und in Folge dessen Schädigungen der 
Nervenzellen bilden die ätiologisch-anatomische Grundlage. 

Der experimentelle Theil der Arbeit berichtet über 2 Hunde, deren Nerven¬ 
system nach 17 bezw. 12 schlaflosen Tagen vom Verf. untersucht wurde. An den 
Zellen der Hirnrinde und der Spinalganglien fand Verf. Fragmentation der Tigroid- 
körper; also Resultate, die mit denen Daddi’s übereinstimmen (s. d. CentralbL 
1898. S. 502). Klinisch führte die Schlaflosigkeit bei den Thieren zu fortschrei¬ 
tender Erschöpfung der psychischen Thätigkeit, zu einer Verringerung der sensoriellen 
Perceptionsfähigkeit. Haut- und Schleimhautreflexe, wie die Schmerzempfindlichkeit 
wurden immer mehr herabgesetzt Valentin. 


8) Influensa delT attenzione durante 11 sonxio, per N. Vaschide. (Rivist 
speriment di Freniatr. XXIV.) 

Aus einer Umfrage und aus Versuchen an sich und Anderen, wie lange vor 
oder nach einer bestimmten Zeit, zu der aufzuwachen man sich vorgenommen, das 
Erwachen erfolgte, und wie der Schlaf unter dieser Bedingung sich vom gewöhn¬ 
lichen unterscheidet, zieht Verf. unter andern folgende Schlüsse: 

1. In den allermeisten Fällen wacht der Betreffende vor der Vorgesetzten 
Zeit auf. 

2. Die Differenz zwischen dem Erwachen und der festgesetzten Stunde hängt 
von der Gewohnheit vom Alter, den körperlichen Bedingungen u. s. w. ab und ist 
um so grösser, je entfernter die Stunde von der gewohnten des Aufstehens liegt. 

3. Der Schlaf in den Nächten, in denen man zur bestimmten Stunde zu er¬ 
wachen sich vorgenommen, der „aufmerksame“, „gespannte“ Schlaf (sonno attento) 
unterscheidet sich vom gewöhnlichen. 

4. Als körperliches Zeichen der Aufmerksamkeit bemerkt man bei manchen 

Personen eine Beschleunigung der Herzthätigkeit und eine gewisse Unruhe ungefähr 
20 Minuten vor der Zeit des Erwachens. Valentin. 


0) An unusually suooesful reeult of thyreoid treatment in a oase of myx- 
oedema, by Bonney. (New York Medical Journal. 1898. Vol. LXVII. 
Nr. 14.) 

In einem vorgeschrittenen Falle von typischem Myxödem trat nach Behandlung 
mit Thyreoidtabletten in ganz kurzer Zeit — schon innerhalb eines Monats — er¬ 
hebliche Besserung ein, die sich in der Folgezeit noch vermehrte. Dieses glänzende 
Resultat wurde erzielt durch ganz kleine Dosen, anfangs 2 Gran = 0,13 g täglich, 
später 3 Gran. — Eine Erhöhung der Dosis auf 6 Gran bewirkte starke Erschöpfung 
und Verschlechterung des Befindens, Erscheinungen, welche nach kurzem Aussetzen 
des Präparats schwanden. Verf. betont die Nothwendigkeit kleiner Thyreoidingaben 
zumal bei ärztlich nicht dauernd controllirten Kranken. 

R. Pfeiffer (Cassel). 


10) Myxoedema, by Cecil F. Beadles. (Brit. med. Joum. 1898. Apr. 9. 

S. 947.) 

Verf. gab seine Befunde bei 3 Myxödemfällen in Beziehung auf die patho¬ 
logische Anatomie. Irresein von einigen Jahren Dauer in diesen 3 Fällen hatte be¬ 
standen. 

Das Fettgewebe war bleich und gallenartig. Die Zunge weit über normalgross. 
Nieren granulirend (iu 2 Fällen), verfettet in 1 Falle. — Die Thyreoidea atrophisch 


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und bleich. In 1 Falle deutliche Vergrößerung der 61. pituitaria; die Zellen abnorm 
gross; Colloid punktweise. — In 2 Fällen war die Pituitaria ein geringes Ober 
normalgross und enthielt Colloid in normalen Bläschen; im 2. Falle war die Quantität 
des Colloid abnorm gross. Er lenkte die Aufmerksamkeit auf die merkwürdige 
Vacuolation der Fettzellkerne, welche auch bei anderen Krankheitszuständen ge¬ 
legentlich gefunden wird. In den Lungen sah Verf. Herde von dichter hyaliner 
Substanz, über deren Natur er sich nicht klar werden konnte. In einer der 3 Lungen 
fanden sich viele kleine Chondrome; zufällig fand sich in 1 Falle auch Trichinosis. 

L. Lehmann I (Oeynhausen). 

II) A case of aoromegaly with diabetes, by Chadbourne. (New York 
Medical Journal. 1898. Vol. LXVII. Nr. 14.) 

Typischer Fall von Akromegalie mit Diabetes. Die kurze Beobachtungszeit 
gestattete nicht eine genauere Untersuchung des Augenhintergrundes. 

R. Pfeiffer (Cassel). 


12) Aoromegaly, by Kauffmann. (Brit. med. Journ. 1898. Apr. 9. S. 951.) 

Verf. stellt der Midland med. Oes. einen 23jährigen Akromegalie-Patienten vor. 
in seiner Familie kein ähnlicher Fall, nicht Qicht, noch Rheumatismus. Vor 4 1 / i Jahren 
Bleikolik, doch seitdem hatte Pat die Beschäftigung mit Blei gänzlich aufgegeben. 
Gesicht (ausgeschlossen die Ohren), Hände und Füsse bedeutend vergrössert. Ky- 
phosis. Innere Organe, auch Thyreoidea und Thymus, nicht vergrössert. Haar 
reichlich. Haut bleich. Anämie. L. Lehmann I (Oeynhausen). 

13) Case of aoromegaly, by William Hunter. (Brit. med. Journ. 1898. 

March 19. S. 760.) 

Verf. legte der Londoner Gesellschaft für Pathologie die langen Knochen der 
Ober- und Unterextremitäten, nebst der Gl. pituitaria und Abforpmngen der Hände, 
der Füsse und des Gesichts von einem Akromegaliefallo vor. Gehirnblutung war die 
Todesursache. Die Nieren waren ungewöhnlich gross, Thyreoidea vergrössert, 
Gl. pituitaria ungemein gefässreich mit frischer Hämorrhagie. Es bestand vasculäre 
Hypertrophie. Die Knochen der Füsse, Hände, der Femora, Humeri, Radii, des 
Schädels, der Basis Cranii zeigten Hyperämie des Marks; im Mark der Tibia Blut¬ 
extravasate. Eine Tibia zeigte eine Verdickung syphilitischer Natur; sonst keine 
osteoplastische Entzündungen in den anderen Knochen. 

L. Lehmann I (Oeynhausen). 


14) Une Observation de manle aigue ohes nne aoromögalique, par Garnier 
et Santenoise. (Arch. de neurolog. 1897. December. S. 486.) 

Patientin entstammt einer Familie, in der keine nervösen Störungen erblich 
waren, jedoch einmal Lungentuberculose vorgekommen war. Soweit sie in ihre Jugend 
zurückdenken konnte, litt sie an starkem Kropf und hatte stets sehr grosse Extre¬ 
mitäten (Hände und Füsse). Ein besonders schnelles Wachsthum hatte der Mann 
in mehrjähriger Ehe nicht beobachtet. Drei gesunde Kinder leben, zwei waren jung 
(nach der Geburt und im 3. Monat) gestorben. Die Menstruation war bis in die 
Mitte der 30er Jahre stets regelmässig aufgetreten. 

Mit 41 Jahren erkrankte die Pat an acuter Manie. Während des Anstal ts- 
aiifenthalts, der 2 Monate dauerte und mit Genesung endete, wurden genaue Messungen 
und Untersuchungen der Extremitäten, des Thorax und des Gesichts vorgenommen. 


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Sie ergaben das Krankheitsbild einer Akromegalie, bei der alle Symptome 
vorhanden waren mit Ausnahme der sonst behaupteten Sterilität. 2 Ab¬ 
bildungen lassen die Verhältnisse gut erkennen. 

Das zufällige Auftreten der Psychose wurde durch keine anamnestischen Er¬ 
kundigungen erklärt. Jedenfalls interessirt der Fall und bildet einen werthvollen 
Beitrag zur Casuistik der Akromegalie. Adolf Pas so w (Strassburg i./K). 


15) Notes on a case of acromegaly, by John Norvott J. Esteroc. (Brit. 
med. Journ. 1897. 4. Dec. S. 1636.) 

Unter Beigabe einer photographischen Abbildung wird die Krankheitsgeschichte 
des 39jährigen, verheiratheten Mannes erzählt. Keinerlei Heredität oder vorher¬ 
gehende Krankheit mit Ausnahme von Influenza, an welche sich Schwellung der 
Unterlippe und Zunge, sowie Vergrösserung der Hände und der Brust anschlossen. 
Die Fässe ebenfalls vergrössert, doch in geringerem Maasse. Nasen- und Ohrknorpel 
verdickt, ebenso die Larynxknorpel. Eminentiae frontales bedeutend hervortretend; 
die Schläfengruben eingefallen. Gesichtshaut pigmentirt, Oeffnungen der Schweins- 
drüsen erweitert. Zeitweise Dysphagie und Asthma. Sehen verringert, Hemianopie. 
Sternum mehr als doppelt übernormale Grfisse, ebenso die Rippen. Thyreoidea nicht 
vergrössert. Viel Sehweiss und Durst. Gedächtniss für die Letztzeit sehr herab¬ 
gesetzt. Haltung gebückt, Gang langsam. Behandlung: Tabletten von Pituitaria, 
3 Mal täglich 2 Gran. Besserung. L. Lehmann I (Oeynhausen). 

16) A case of the so-called hypertrophio pulmonary osteo-arthropathy 
of Marie, without pulmonary disease, by John Lindsay Steven. 
(Glasgow Medical Journal. 1897. October. Nr. 4.) 

Ein 48jährigcr Mann zeigt seit 9 Monaten eine Anschwellung der Hände und 
Füsse. Die Finger sind dick, kolbig, mit starker Krümmung der Nägel, die an den 
Daumen wie ein „Papageischnabel“ aussieht. Die Finger sind total verdickt, be¬ 
sonders an den Gelenken; sie zeigen kein vermehrtes Längenwachsthum. Die rechte 
Hand kann garnicht. die linke kaum geschlossen werden. Ein Röntgen-Bild zeigt 
an Phalangen und Metacarpalknochen eine deutliche subperiostale Knochenneubildung. 
Die Hypertrophie der distalen Partie der Vorderarmknochen erinnert etwas an 
Rhachitis. Die verdickten Knochen sind an der Oberfläche rauh; auch an Radius 
nnd Ulna ist die subperiostale Knochenneubildung sehr beträchtlich. Das Gesicht 
ist völlig normal. An den unteren Extremitäten bestehen dieselben Veränderungen 
wie an den Armen; besonders die Malleolarregion ist stark verdickt. Die Sensibilität 
ist normal, die Patellarreflexe sind leicht erhöht. Der Gang ist in letzter Zeit steif 
und unsicher geworden. Pat. klagt über Schmerzen in den geschwollenen Knie¬ 
gelenken. Der Rumpf ist normal. Die Urinmengen sind erhöht. Die Schilddrüse 
ist in normaler Grösse nachweisbar. Es lässt sich eine leichte Einengung der tem¬ 
poralen Gesichtsfelder nachweisen. Brust- und Bauchorgane zeigen nichts abnormes. 

Der Fall erinnert an 3 Kraukheitsbilder: die Marie’sche Akromegalie, die 
Paget’sehe Osteitis deformans und die Marie’sche hypertrophische pulmonäre Osteo- 
Arthropathie. Von der Acromegalie unterscheidet er sich besonders durch die 
mangelnde Hypertrophie der Weichtheile der Hände, von der Osteitis deformans durch 
das Fehlen der Knochen Verkrümmungen und das langsamere Fortschreiten der Er¬ 
krankung. Dagegen stimmt er mit der von Marie gegebenen Beschreibung der 
hypertrophischen Osteo-Arthropathie völlig überein, nur dass eine chronische Lungen¬ 
oder Pleuraaffection, welche zu der Ernährungsstörung der Knochen führen soll, hier 
völlig fehlt. Verf. ist geneigt, einen rheumatischen Grundcharakter der Erkrankung 
anzunehmen. Behandlung mit Schilddrüsensubstanz war ganz ergebnislos. 

M. Rothmann (Berlin). 

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17) OstAo-arthropathies hypertrophiques du genou droit et des deuz 
pieds d’origine nerveuse. Tabes ou Syringomyelie P Böle d’une tare 
nerveuse dans la röalisation des modalitOB tabetiques, par C. Tournier 
(Lyon). (Revue de Mddecine. 1897. Mars. S. 221.) 

Der 50jährige Kranke litt seit früher Kindheit an Unempfindlichkeit der Unter* 
Schenkel gegen Kälte und an ungleichen Pupillen. Mit 24 Jahren venerisches Ge¬ 
schwür. Mit 27 Jahren lancinirende Schmerzen. Mit 48 Jahren Arthropathie des 
linken Fusses nach einem Trauma, 1 Jahr darauf Arthropathie des rechten Kniees 
und wiederum 2 Jahre später Arthropathie im rechten Fuss. Hypertrophie des 
ganzen rechten Beins. Reflectorische Pupillenstarre und fehlende Patellarreflexe. 
Gar keine Ataxie, kein Romberg’sches Symptom. Geringfügige Blasenbeschwerden 
und ausser Thermanästhesie der Unterschenkel keine Sensibilitätsstörungen. 

Verf. deutet den Fall als Tabes bei vorhergehender Syringomyelie. Letztere 
bedingte die besondere Art der tabischen Symptome. Der tabische Process scheint 
sich in der Hauptsache mit der Arthropathie „erschöpft“ zu haben. 

Strümpell (Erlangen). 


18) Fall von Tetanie, in der Schwangerschaft entstanden, nach Kropf¬ 
operation, von Dr. E. Meinert, Dresden. (Archiv f. Gynäkologie. Bd. LY.) 

Bei einer 35 jährigen Frau, welche sich im 4. Monat ihrer 10. Schwangerschaft 
befand, machte ein schnell wachsender Kropf starke Dyspnoe, von diesem wurde die 
rechte Hälfte entfernt. Nach 3 Tagen trat Tetanie ein, die Anfälle verschwanden 
in kurzer Zeit, Pat. gebar am normalen Ende der Schwangerschaft ein Kind, das 
stets kränkelnd mit 4 Monaten Krämpfe bekam und mit s / 4 Jahren starb. Pat. 
wurde wieder gravida, in 8 Monaten traten die tetanischen Anfälle von neuem mit 
verstärkter Heftigkeit auf. Es fehlten nicht die klassischen Zeichen der Tetanie 
(Facialis-, Trousseau’sches Phänomen, erhöhte elektrische Erregbarkeit, typische 
Handstellung). Die Anfälle folgten schnell aufeinander und waren von heftigen 
Schmerzen begleitet. Der zurückgelassene linke Lappen der Schilddrüse war nicht 
mehr nachweisbar. Nach Einleitung der künstlichen Frühgeburt verminderten sich 
die Anfälle schnell an Intensität und Zahl, verschwanden aber, wenn auch nur 
andeutungsweise, nicht ganz, kehrten sogar später in verstärktem Maasse zurück, 
wenn auch nicht so heftig wie während der Schwangerschaft und leidlich durch 
Morphium und Brom zu beeinflussen. Von localen trophischen Störungen war auf¬ 
fallend starker Ausfall der Kopfhaare, und, was bereits Verf. früher zu beobachten 
Gelegenheit hatte, Verlust sämmtlicher Finger- und einiger Zehennägel. Zuletzt nahm 
Pat. Schilddrüsentabletten, von denen 200 ä 0,3 das Leiden so auf */ 2 Jahr zum 
Stillstand bringen, dass auch das Trousseau’sche Phänomen nicht auszulösen ist. 
Tetanie nach halbseitiger Kropfoperation ist nach dem Verf. bisher nicht beschrieben, 
im vorliegenden Falle vielleicht durch das Zusammentreffen mit Gravidität zu erklären. 
Die bei der folgenden Gravidität sehr heftig auftretende Tetanie ist auf das Fehlen 
der inzwischen gänzlich geschrumpften Schilddrüse zurückzuführen. Dass die Tetanie 
überhaupt auf die ungenügende Function der Schilddrüse zurückzuführen ist, ergiebt 
sich aus der Wirksamkeit der bei allen übrigen Formen der Tetanie versagenden 
Schilddrüsentherapie. Samuel (Stettin). 


19) Zur Thyreoidinbehandlung der Tetanie, von A. Alexander, prakt. Arzt 
in Berlin. Aus der Klinik von Prof. Mendel. (Inaug.-Dissert. Leipzig. 1897.) 

16jähriger Laufbursche hat die typischen Erscheinungen einer leichteren Tetanie. 
Betroffen sind hauptsächlich die Muskeln des Gesichts und der Arme. Erhöhung der 
elektrischen Erregbarkeit vorhanden. Mechanische Erregbarkeit der Muskeln be- 

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trächtlich, der Nerven weniger aasgesprochen. Chvostek’sches Symptom za erzielen, 
Trousseaa’sclies Phänomen nur bei starkem Drack auszulösen. Rechte Seite stärker 
betroffen. Beim Beklopfen des N. cruralis Zuckungen iin Gebiet des N. ischiadicas, 
wird als Erhöhung der reflectorischen Erregbarkeit aufgefasst. 

Verf. recapitulirt drei bisher bekannte Fälle vön Tetanus, welche mit Thyreoidin, 
und zwar mit günstigem Erfolge behandelt waren. Pat. erhielt anfangs jeden Tag 
1, später 2, dann 3 Tabletten (ä 0,3). Der Erfolg war nicht nennenswertb. Die 
elektrische Erregbarkeit war zwar nicht mehr erhöht, doch verschwand der Tetanus 
nicht. Samuel (Stettin). 


20) Ueber die familiäre Form des acuten oiroumskripten Oedems, von 

Doc. Dr. Hermann Schlesinger. (Wiener klifl. Wochenschr. 1898. Nr. 14.) 

Bei einem 44jähr. Kaufmann traten seit dessen 22. Lebensjahre erst alle halbe 
Jahre, später jeden 10.—11. Tag Attaquen auf, die mit Aufregungszuständen nnd 
Gemütbsdepression begannen; dann erschien ein rotbes, aus Ringen bestehendes, 
seltener baumartig verzweigtes Exanthem an irgend einer Stelle des Körpers, seltener 
über einen grösseren Theil der Körperoberfläche ausgebreitet. Nach 6—8 ständiger 
Dauer verschwand es und es bildete sich oft in wenigen Secunden eine starke An¬ 
schwellung eines Körpertheils, meist der rechtsseitigen Extremitäten, des Scrotums 
oder des Penis aus. Am Kopfe trat die Schwellung nie auf. Die Schwellung ver¬ 
ursachte Spannungsgefühl, aber keine Schmerzen; die Haut gespannt, ödematös, 
meist blass. Oft ging das Exanthem ohne nachfolgende Schwellung vorüber, dann 
trat aber heftiges Schmerzgefühl in der Magengend mit starker Druckempfindlichkeit 
derselben auf. Dabei häufig Erbrechen. Pat. litt ausserdem an einer Mitral- 
insufficienz. 

Therapeutisch wurde Menthol verordnet, von der Möglichkeit ausgehend, dass 
vielleicht abnorme Zersetzungen im Magendarmtract das Zustandekommen der Anfälle 
erleichtern, die Diät und der Stuhlgang geregelt; ferner wurde Massage empfohlen, 
auf eine Beobachtung des Pat. fussend, dass bei Oedem der Füsse dasselbe durch 
Gehen zum Schwinden gebracht werden konnte. Blosser Druck genügte dazn nicht. 

An derselben Affection litten noch 4 Mitglieder der Familie des Pat: sein 
Grossvater, sein Vater, eine Schwester und ein Sohn. Bei allen trat sie in derselben 
Form auf wie bei dem Pat. und bei allen relativ spät, um das 20. Lebensjahr herum. 

Eigenartig ist das Auftreten von gastrointestinalen Störungen an den Tagen, 
an welchen nach anderen Erscheinungen ein Oedem zu erwarten gewesen wäre. Das 
rasche Entstehen und das rasche Verschwinden dieser Störungen, sowie die von 
anderen Autoren beobachteten Schwellungen sichtbarer Schleimhäute deuten darauf 
hin, dass es sich dabei um Schwellungszustände der Schleimhaut des Magendarm- 
tracts handelt. 

Verf. weist auf die Aehnlichkeit und Beziehungen hin, welche das acute circum- 
skripte Oedem zu anderen Krankheitszuständen hat, und erwähnt die intermittirende 
Gelenkswassersucht, das intermittirende Erbrechen, die transitorischen Oedeme bei 
Morbus Basedowii; auch manche Fälle von supraclaviculären Pseudolipomen und von 
Asthma bronchiale dürften der Gruppe der umschriebenen acuten angioneurotischen 
Oedeme zuzurechnen sein. 

Verf. stimmt der Ansicht bei, welche in nervösen Einflüssen die Ursachen des 
acuten circumskripten Oedems sucht und theilt eine Beobachtung mit, welche das 
Auftreten von Oedemen unter Nerveneinfluss zweifellos macht: Bei einem jungen 
Menschen mit Lähmung beider Beine trat öfter eine acute Anschwellung der Füsse 
auf, welche durch Stunden und Tage persistirte und ebenso rasch wieder verschwand, 
als sie gekommen war. Oefter trat statt des Oedems der Raynaud’sehe Symptomen- 
complex oder Erythromelalgie au den Füssen auf. Die Obduction ergab einen 

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grossen intraduralen, aber extramednllären, von den Nerven wurzeln ausgehenden 
Tumor (Saroom), der das Lendenmark und die untersten Abschnitte des Brustmarks 
comprimirt hatte. 

Die experimentellen Erfahrungen namentlich der Stricker'sehen Schule, dass 
die vasomotorischen Bahnen von der Grosshimrinde bis zu ihrem Austritte aus dem 
Böckenmarke zu wiederholten Malen innig zu Centren vereinigt werden, eine seg- 
mentale Anordnung zeigen, möchte Verf. zur Erklärung des Auftretens der An¬ 
schwellungen bei acutem Oedem heranziehen. Ffir ein überwiegendes Betroffen sein der 
Centren im Gehirn liege in der Mehrzahl der Fälle kein Anhaltspunkt vor, dagegen mögen 
mitunter Erregungs- und Lähmungszustände in den sympathischen Geflechten eine 
Bolle spielen. Das circumskripte Auftreten der Oedeme macht ein alleiniges Be¬ 
troffensein des vasomotorischen Centrums erster Ordnung in der Medulla oblongata 
unwahrscheinlich. 

Auch in dem mitgetheilten Falle sprechen die Aenderung des psychischen 
Verhaltens zur Zeit der Anfälle, die Auslösung derselben durch psychische Erregungen, 
das überwiegend halbseitige Auftreten u. s. w. für eine functionelle Läsion des 
Centralnervensystems, womit die Erkrankung sich einreiht in die grosse Gruppe der 
familiären Nervenerkrankungen. J. Sorgo (Wien). 


21) Contribution a l’etude de la parapldgie spasmodique familiale, par 

M. Lorrain, ancien interne des höpitaux de Paris. (Paris 1898.) 

Verf. bespricht zunächst in Kürze sämmtliche hereditär vorkommende Erkran¬ 
kungen der motorischen Nervenbahnen. Er zeigt, dass die Läsionen oft ganz diffus 
sind, dass man nicht immer Systemerkrankungen erwarten darf und dass die Ueber- 
gangsformen zwischen den einzelnen familiären Erkrankungen sehr zahlreich sind. 
Hierauf geht er zu seinem eigentlichen Thema, der familiären spastischen Paraplegie 
über. Er hat aus der Litteratur nach Ausschaltung von Fällen, welche bezüglich 
des spinalen Ursprungs Zweifel bieten, 17 Fälle von familiärer spastischer Paraplegie 
zusammengestellt und fügt ihnen eine neue Beobachtung hinzu; ferner bespricht er 
zwei typische, selbst beobachtete Fälle, in denen die Erkrankung zwar nur ein ein¬ 
ziges Kind betraf, welche aber einen spinalen Ursprung primärer Art sicher erkennen 
lassen. Nerven- und Geisteskrankheiten, Syphilis, Alkoholismus in der Ascendenz, 
ferner auch Verwandtschaft zwischen Vater und Mutter prädisponiren zur Erkrankung. 
Dieselbe tritt ungefähr ebenso oft beim männlichen wie beim weiblichen Geschlecht 
auf und beginnt meist zwischen dem 8. und 15. Jahre. Als Gelegenheitsursachen 
sind besonders Infectionskrankheiten anzuschuldigen, in 3 Fällen ging ein Trauma 
voraus. Die typischen Symptome bestehen in spastischer Paraplegie mit Reflex- 
Steigerung und Fussclonus ohne Störung seitens der Sensibilität oder der Sphincteren. 
Die ophthalmoskopische Untersuchung ist stets vorzunehmen, da zuweilen Opticus¬ 
atrophie beobachtet ist. In einem Falle des Verf.’s fand sich Abblassung der Papille 
mit starker Herabsetzung der Sehschärfe. Intelligenzdefecte fehlen fast immer zum 
Unterschied von cerebralen Diplegieen. Der Verlauf der familiären spastischen 
Paraplegie ist meist ein langsam progredienter. Remissionen kommen vor. Tuber- 
culose ist oft die Todesursache. Die einzige Autopsie bei spastischer Paraplegie 
verdanken wir Strümpell. Sie ergab eine primäre combinirte Sklerose der Pyra¬ 
miden, der direct cerebellaren Bahnen, sowie der Goll’schen Stränge; erstere war 
in der Dorsalregion, letztere in der Halsregion am ausgesprochensten. 

Differentialdiagnostisch kommen in Betracht: Myelitis, Rückenmarkscompression 
(bei beiden bestehen Schmerzen, Sensibilitätsstörungen und Störungen seitens der 
Sphincteren), Rückenmarkssyphilis (bei welcher meist die Sphincteren mitergriffen 
und andere Zeichen der Lues vorhanden sind), multiple Sklerose (bei typischer Form 
dieser Erkrankung: kein familiärer Charakter, Beginn zwischen 20. und 30. Jahre, 

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raeist nach Infectionskrankheit, cerebello-spastischer Gang, Sensibilitätsstörungen, 
scandirte Sprache, grossschlägiger Tremor, asymmetrische Augenstörungen), ferner 
Friedreich’sche Krankheit (bei dieser: tabeto-cerebellarer, uncoordinirter Gang, 
Ataxie, Reflexaufhebung, choreiforme Bewegungen, häufiger Schwindel, Scoliose). Bei 
Erwägung der Differentialdiagnose mit der cerebellaren Heredo-Ataxie verdient be¬ 
sonders der cerebellare Gang Berücksichtigung. Am häufigsten aber werden mit der 
familiären spastischen Paraplegie die cerebralen Diplegieen verwechselt; in einzelnen 
Fällen, in denen keine Störungen seitens der Intelligenz, welch letztere für die 
cerebrale Form sprechen würden, bestehen, ist eine sichere Entscheidung zur Zeit 
nicht möglich. Bei plötzlichem Auftreten der Paraplegie, z. B. nach Schreck, ist 
stets an Hysterie zu denken. 

Die Behandlung der familiären spastischen Paraplegie besteht hauptsächlich in 
warmen Bädern, Massage und Ruhe. In einzelnen Fällen erwiesen sich Sehnen¬ 
oder Nervend ttrchschneidungen als nützlich. Kurt Mendel. 


22) Two cases of larynge&l spasm fatal in the first attaok occurring in 

the same family. (Brit. med. Journ 1898. Apr. 2. S. 881.) 

2 Kinder derselben Familie, ein 19 Monate alter Knabe und ein 7 Monate altes 
Mädchen sterben — nur ein Zeitraum von 2 Tagen dazwischen — plötzlich an Er¬ 
stickung in Folge von spastischem Laryngismus (Spasmus glottidis), und zwar inner¬ 
halb weniger Minuten. Der Tod war eingetreten, als der gerufene Arzt nach einigen 
Minuten ins Zimmer trat. Die Kinder warfen den Kopf zurück, wurden blau im 
Gesicht und starr; der Tod trat ein. Bis zu dem Anfall waren die Kinder voll¬ 
kommen gesund gewesen. Die Autopsie ergab ausser Anzeichen von Rhachitis nichts, 
was die Ursache des Todes erkennen liess. L. Lehmann I (Oeynhausen). 


23) A boy, aged 14, who exhibited t&betic Symptoms, by Douglas 
Stanley. (Brit. med. Journ. 1898. Apr. 2.) 

Verf. stellte der Birmingham und Midland Gesellschaft einen 14jährigen Knaben 
mit Tabessymptomen vor. Incontinenz der Blase, atactischer Gang, fehlende Knie¬ 
reflexe, Pupillen eng, reactionslos für Licht, Romberg’s Zeichen, Knieschmerzen. 
Gegen Accommodation reagirten die Pupillen. L. Lehmann I (Oeynhausen). 


24) Family lateral solerosis, by Norman Moore. (Brit. med. Journ. 1898. 

March 12. S. 690.) 

Verf. stellte der k. m. chir. Ges. 2 Brüder, 24 uud 26 Jahre alt, vor, welche 
vom 15. Lebensjahre anfingen, spastische Lähmung der Beine zu bekommen, die all¬ 
mählich sich steigerte. Arme, Spinkteren, Intelligenz, Augen blieben normal. Die 
Sprache etwas schleppend. Eine Schwester hatte nur diese Sprachstörung, keine 
anderen der genannten Erscheinungen. L. Lehmann I (Oeynhausen). 


26) Een familiestamboom, door D. J. Borst. (Psychiatr. en neuroL Bladen. 
1897. Nov. Nr. 5 en 6. blz. 484.) 

Verf. theilt in einer Tabelle den Stammbaum einer Familie durch 3 Generationen 
(Stammvater und Stammmutter abgerechnet) mit. Der Stammvater war betriebsam, 
beharrlich, egoistisch, trotzig, wollüstig, ohne erbliche Anlage, er starb an Marasmus 
senilis. Die Stammmutter war eine rechtschaffene, gottesfürchtige Frau, sie starb 

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an Apoplexie; einer ihrer Brfider war ein Trunkenbold, ein anderer schwachsinnig 
und hatte schwachsinnige Nachkommenschaft. Die 3 Söhne dieses Paares hatten 
starke Neigungen und Begierden und waren ungewöhnlich leidenschaftlich, eine 
Tochter war schwachsinnig. Nur der älteste der 3 Söhne, der ganz nach seinem 
Vater geartet war, hatte einen Sohn, der den Familiencharakter geerbt hatte. Die 
beiden Söhne des 2. Sohnes, der trotzig war und durch gewagte Unternehmungen zu 
Grunde ging, auch trank, hatten den Familiencharakter zwar auch geerbt, aber der 
eine trank zu viel, der andere war zu impulsiv, um die guten Charaktereigenschaften 
zur Geltung kommen zu lassen. Der 3. Sohn des Stammvaters, ein betriebsamer, 
entschlossener, beharrlicher, gründlich unterrichteter Mann, hatte nur Töchter; 3 von 
ihnen fehlte der kräftige Charakter des Vaters, sie waren ängstlich, zaudernd und 
wankelmüthig, nur eine Tocher machte davon eine Ausnahme, sowie ein Enkel, der 
nach seinem Grossvater gerieth, und die guten Familienzüge zwar nicht so ausgeprägt 
besass, aber dafür frei von den Fehlern war. Alle 4 Kinder der Stammeltern starben 
an Apoplexie, sie hatten auch die Lust zum Trinken geerbt, die in der mütterlichen 
Familie wahrscheinlich erblich und das degenerirte Moment war. ln der 2. und 
3. Generation überwog die weibliche Nachkommenschaft. 

Walter Berger (Leipzig). 


26) Nya bidrag tili kännedomen om en säregen familjes jukdom ander 

form af progressiv dementia, af Prof. E. A. Homön. (Finska läkaresällsk. 

handl. 1897. XXXIX. S. 1369.) 

Verf. hat schon früher 3 Fälle von einer die Form der progressiven Dementia 
bietenden Krankheit bei 3 Geschwistern mitgetheilt und fügt nun die Mittheilung 
über dieselbe Erkrankung bei den beiden jüngsten Geschwistern jener Patienten hinzu. 
Ein 16 Jahre altes Mädchen erkrankte Ende 1891 an Mattigkeit, Kopfschmerz, 
Schmerz in den Beinen, Schwindel, Appetitlosigkeit, die Menstruation hörte auf. Pat. 
zeigte eine wenig entwickelte Intelligenz. Nach einer längeren antisyphilitischen 
Kur trat bedeutende Besserung ein, nach der Entlassung verschlimmerte sich aber 
der Zustand allmählich wieder und wurde ebenso wie vor der Behandlung. Pat. 
starb nach 2 1 / a Jahren an Tuberculose. Bei der Section fand sich Verdickung des 
Schädels und der zum Theil mit ihm verwachsenen, im Übrigen schlaffen Dura und 
Atrophie der Hirnwindungen, besonders im vorderen Theile. — Das jüngste Glied 
der Familie, ein Sohn, erkrankte im Jahre 1893 im Alter von 17 Jahren, unter 
denselben Erscheinungen, bei ihm bestand ausserdem eine besondere Art zu erröthen. 
Unter einer strengen und kräftigen, lange fortgesetzten und wiederholten antisyphi¬ 
litischen Kur besserte sich der Zustand bedeutend, so dass Pat. wieder arbeitsfähig 
wurde und bei fortgesetzter Behandlung schwanden die Symptome bis auf die Neigung 
zu erröthen. 

Verf. ist der Meinung, dass es sich in allen den 5 aus derselben Familie 
stammenden Fällen um hereditäre Syphilis als Basis der Krankheit handelte, wofür 
auch der Erfolg der antisyphilitischen Behandlung, namentlich im letzten Falle, spricht. 
Für identisch mit der allgemeinen Paralyse hält Verf. die Krankheit nicht; der 
Zusammenhang mit Syphilis muss als etwas intimer betrachtet werden, als der 
zwischen Syphilis und progressiver Paralyse. Walter Berger (Leipzig). 


27) Erfahrungen über Trional als Sohlafmittel mit besonderer Rüoksioht 
auf die Beeinflussung des Blutdruokes, von Dr. Sigmund Kornfeld, 
Primararzt der LandesirrenaDstalt in Brünn. (Wiener med. Blätter. 1898. 
Nr. 1—3.) 

Die Erfahrungen des Verf.’s erstrecken sich auf 2 1 / # Jahre und über 200 Krank¬ 
heitsfälle der verschiedensten Formen der Geisteskrankheiten und der Neurasthenie. 


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Er hielt Trional för ein verlässliches und meist ziemlich rasch wirkendes Schlafmittel, 
welches einen dom normalen annähernd gleichwertigen Schlaf erzeugt und nur 
selten von übrigens bald vorübergehenden Nebenwirkungen gefolgt ist. Die gün¬ 
stigsten Erfahrungen machte Verf. bei Erschöpfungs- und Depressionszuständen, sowie 
bei Angstzuständen im Verlaufe der Neurasthenie und Melancholie. Bei Erregungs¬ 
zuständen im Verlaufe der Paralyse und bei Manischen waren die Erfolge nicht so 
constant, das Mittel versagte oft schon bei der ersten Anwendung oder nachdem es 
einige Male mit Erfolg gegeben worden war. 

Verf. untersuchte die Einwirkung des Mittels auf den Blutdruck und fand, dass 
Trional, wenn es wirksam ist, den Blutdruck immer herabsetzt und zwar auf eine 
ziemlich beträchtliche Weise (bis 50°/ o ). Die Messungen wurden an der Radial¬ 
arterie vorgenommen. Mit der Vertiefung des Schlafes nimmt die Erniedrigung des 
Blutdruckes zu. Indem das Medicament die Erregung der vasomotorischen Centren 
herabsetzt, vermindert es auch die Affecte, welche in einer stärkeren Innervation 
jener Centren ihre organische Grundlage haben und beseitigt so Momente, welche 
die Blutdrucksteigerung unterhalten. Nun erst kann eine weitere Einwirkung auf 
die vasomotorischen Centren stattfinden, welche eben als schlafmachende anzu¬ 
sehen ist. 

Mit dem Aussetzen des Trionals schwindet auch die Blutdruckemiedrigung 
wieder. Wenn von Seiten des Pat. am folgenden Tage über Betäubungsgefühl ge¬ 
klagt wurde, konnte stets auch ein Fortbestehen der Blutdruckerniedrigung constatirt 
werden; und bildete bei längerem Trionalgebrauch dieses Gefühl eine dauernde Neben¬ 
wirkung, so blieb auch die Blutdruckerniedrigung constant. 

Von anderen Nebenwirkungen fand Verf. nur ein Mal saures Aufstossen. 

Dass Trional den Blutdruck erniedrigt durch Herabsetzung der Erregbarkeit der 
Gefässnervencentren und nicht auch durch Schädigung der Leistungsfähigkeit des 
Herzmuskels geht daraus hervor, dass die pathologisch erhöhten Druckwerthe auf ein 
dem normalen nahestehendes Maass herabgedrückt werden, und dass die im Trional- 
schlafe beobachteten Senkungen die im normalen Schlafe gefundenen nur in einzelnen 
Fällen unbedeutend übertreffen. 

Bei Kranken mit dauernd gesteigertem Blutdrucke soll man gleich mit einer 
Anfangsdosis von 2,0 g beginnen. J. Sorgo (Wien). 


Psychiatrie. 

28) On oyclone-neuroses and psyohoses, by Bremer. (Read before the 
St. Louis Medical Society. 1896. Nov.) 

Am 27. Mai 1896 ward St. Louis, wie bekannt, von einem furchtbaren Cyclon 
betroffen, dem kleine Cyclone folgten. Verf. hat genau und interessant über die 
während dieser Zeit entstehenden Neurosen und Psychosen berichtet. Unter den 
ersteren war am häufigsten Hysterie, dann Neurasthenie, immer bei schwer Dispo- 
nirten. Wie bei railway-brain und -spine ist das physische und psychische Moment 
zusammen meist wirksam gewesen, wobei oft die Verletzung ganz unbedeutend war. 
Oft war aber Furcht, Schrecken die einzige Ursache. Hysterische motorische und 
sensible Lähmungen waren häufig, auch Monoplegieen, ebenso Aphasieen und Aphonieen. 
Plötzliche und entschiedene Besserungen chronischer Hysterie, freilich nur vorüber¬ 
gehend, traten auf. Es gab kaum weniger Hysterie bei den Männern, als Frauen. 
Wahrscheinlich gab es auch viele Organerkrankungen, die nur hysterisch waren. 
Als neurasthenische Zeichen entwickelte sich eine wahre Cyclönophobie. Eine ge¬ 
wisse Panik hatte ja Jedermannn ergriffen. Verf. sah durch den Cyclon erzeugt: 
1 Fall von Epilepsie, Urticaria mit Darmerscheinungen, einfache nervöse Fröste, oft 
periodisch, und mehr Malaria als sonst, ebenso Diarrhöen. So hat die alte Meinung 



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vom Zusammenhang von Erdbeben mit Epidemieen viel für sich. Einigen Frauen 
wurden die Haare trocken und fielen aus. Viele Einwohner gingen am Tage des 
Unglücks wie im Tranm einher, als reine Automaten, Aller hatte sich mehr oder 
minder eine melancholische Stimmung bemächtigt. Verf. sah einen Fall retrograder 
Amnesie: Monate lang kam ihm aber keine eigentliche Psychose zu Gesicht, ausser 
einige Male Melancholie und Paranoia, die durch die Furcht verstärkt worden waren, 
aber keine Manie. Neuerdings erst sah er einige Psychosen, wo die Erinnerungen 
als Emotionen und Wahnideeen sehr deutlich waren. Viele sonst Gesunde träumten 
Wochen-, ja Monatelang von dem Cyclon. Interessant ist es endlich, zu erfahren, 
dass besonders auch Hühnchen, aber auch Pferde, Hunde, die den Cyclon durch¬ 
gemacht hatten, ebenso nervös bei Herannahen eines Sturmes sich zeigten, wie viele 
Menschen. Endlich wird die wichtige Frage aufgeworfen, welchen deletären Einfluss 
der Cyclon auf die Kinder haben wird, die darnach geboren wurden, ob es also 
„Cyclon-Kinder“ geben wird, wie die bekannten „enfants de siöge“ von Paris 1870. 

Näcke (Hubertusburg). 


29) Algunae oonsideraciones sobre el pronostioo de la alienaoion mental, 

per Dr. Josd J. Borda (Buenos-Aires). (Boletino del Circulo Medico Argentino. 

1898. Jan. S. 12.) 

Verf. studirte sehr sorgfältig die Prognose der verschiedenen Formen von 
Geisteskrankheiten im Hospital de la Mercedes (Buenos-Aires) vom Jahre 1892 bis zum 
Jahre 1897. In dieser Zeit sind 2350 Patienten behandelt worden, wovon 556 ge¬ 
heilt, 451 gebessert, 88 entlaufen und 618 gestorben sind. Das Procent der Hei¬ 
lungen beträgt alsu 23. Verf. glaubt, diese Zahl sei zu gering, weil von den Ent¬ 
laufenen gewiss mehrere geheilt waren zur Zeit ihrer Flucht Das Procent der 
Heilungen ist in den einzelnen Zeiten sehr verschieden. Im Jahre 1892 war es 
17 °/ 0 und im Jahre 1894 33 °/ 0 . In den 5 Jahren sind 368 Fälle von Manie 
eingetreten, von denen 112 geheilt, 76 gebessert, 15 entlaufen und 104 gestorben 
sind. Von 300 Fällen von Melancholie sind 55 geheilt, 66 gebessert, 10 entlaufen 
und 59 gestorben. W. C. Krauss (Buffalo). 


30) Le morti per pellagra, alooolismo e suioidio in Italia, per E. Tornasari 
di Verce. (Biv. speriment. di Freniatria. XXIV.) 

Aus der statistischen Zusammenstellung seien im folgenden einige Zahlen mit- 
getbeilt. Die Sterblichkeit an Pellagra hat sich in Italien von dem Jahre 1881 
bis 1886, in denen die Statistik nur an den städtischen Districten geführt wurde, 
vermindert von 172,8 auf 77,7 unter 10,000 Todesfällen oder von 4,8 auf 2,3 auf 
10,000 Einwohner. In der Zeit von 1887 bis 1896, in der auch die ländlichen 
Bezirke gezählt wurden, sank die Ziffer bis 1889 von 3,688 auf 3,113, stieg dann 
wieder und sank im Jahre 1894 auf das Minimum von 3,028 oder 98 auf 
1,000,000 Einwohner. Von den einzelnen Provinzen ist am stärksten betheiligt das 
Venezianische. Dort kamen im Jahre 1881 17,2 Todesfälle an Pellagra auf 10,000 Ein¬ 
wohner, dann folgt die Lombardei mit 4,8 und die Provinz Emilia mit 3,6. 

An chronischem oder acutem Alkoholismus starben 1881 bis 1886 (Periode der 
nur städtischen Zählung): 1881:17,1; 1886 :11,7 auf 10,000 Todesfälle. 1887 :15; 
1891:21; 1896:18 unter 1,000,000 Einwohnern. 

Die Zahl der Selbstmorde ist von 1343 im Jahre 1881 auf 2000 im Jahre 1896 
gestiegen. 1872 betrug sie 890. Auf 1,000,000 Einwohner kamen 1896 64 Fälle 
von Selbstmord. Als Ursache des Suicidiums findet sich: Pellagra mit 0,9°/ 0 , das 
Alkoholdelirium mit 0,5°/o> Geistesstörung mit 1,8 °/ 0 . Zahlen, die aber wahr¬ 
scheinlich hinter den wirklichen Zurückbleiben. Valentin. 


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III. Aus den Gesellschaften. 

Jahressitzung des Vereins deutsoher Irrenärzte in Bonn 
am 16. und 17. September 1898. 

Die Sitzung fand in der Provinzial-Irrenanstalt zu Bonn statt. Nach der Kr-, 
Öffnung durch Herrn Jolly begrösste Herr Pelman die Versammlung im Namen 
der medizin. Facultät und der Provinz, Ministerialdirector von Bartsch im Namen 
des Ministeriums und Oberbürgermeister Spiritus seitens der Stadt Bonn. 

Es wurde beschlossen, die Versammlung von nun an im Frühjahr stattfinden 
zu lassen. Die ausscheidenden Vorstandsmitglieder Herr Jolly und Herr Pelman 
wurden wiedergewählt; an Stelle des Herrn Zinn wurde Herr Hitzig gewählt 

Herr Thomson (Bonn): Die Anwendung der Hydrotherapie und Balneo¬ 
therapie bei psyohisohen Krankheiten. 

Vortr. lührt aus, dass das Wasser seit undenklichen Zeiten ein beliebtes Mittel 
zur Behandlung von Krankheiten gewesen ist. Man steht aber noch heute auf dem 
Boden der Empirie, da die Art der Einwirkung des Wassers auf den Organismus 
noch nicht klar gestellt ist. In einem geschichtlichen Ueberblick berichtet er über 
die verschiedenen Arten der Wasserbehandlung, wie sie zu den verschiedenen Zeiten 
angewandt wurde. Winternitz machte zuerst in den 80er Jahren d. Jahrhunderts 
das Wasser in seiner Anwendung auf den Organismus zum Gegenstand wissenschaft¬ 
licher methodischer Untersuchungen. Die Erhöhung des Blutdrucks, die gegenseitige 
Wechselwirkung zwischen den inneren Organen und den Hautgefässen, die reflectorisclie 
Beizung der Nervenendigungen in der Haut sind das wesentliche. Die Ernährung 
und die Function des Gehirns kann natürlich durch Einwirkung des Wassers auf 
den Organismus unter veränderte Bedingungen gesetzt werden. 

Bei den Psychosen ist das Wasser in den verschiedensten Arten zur Anwendung 
gekommen; kalte und warme Bäder, Vollbäder, Halbbäder, prolongirte Bäder, Schwitz¬ 
kuren, Douchen, kalte Abreibungen, feuchte Einpackungen u. s. w. Da aber das 
eigentliche Wesen der Psychosen noch unklar ist, bewegen wir uns auf unsicherem 
Boden. 

Vortr. fasst seine Ausführungen dahin zusammen: 

1. eine exacte Hydrotherapie bei den Psychosen giebt es noch nicht; 

2. eingreifende Wasserproceduren sind zu vermeiden; 

3. nur bei acuten Psychosen ist eine methodische causale Wasserbehandlung 
indicirt; 

4. bei apathischen stuporösen Personen sind kalte Abreibungen zu empfehlen: 

5. bei chronischen Geisteskrankheiten kann nur von einer rein symptomatischen 
Wasserbehandlung die Bede sein. 

Disoussion: 

Herr Meschede weist auf die Samuel'schen Versuche am Kaninchenohr hin. 

Herr Fürstner: Bei den feuchten Einpackungen ist Vorsicht nöthig, da sich oft 
phlegmonöse Entzündungen einstellen. 

Herr Schäle: Bef. soll den Vortrag veröffentlichen; im Anschluss daran soll 
eine Sammelforschung angestellt werden Über die Erfahrungen der Wasserbehandlung 
bei den einzelnen Psychosen. Der Gegenstand soll dann in der nächsten Jahres¬ 
sitzung wieder beraten werden. 

Herr Schäfer schlägt vor, im Anschluss an Schüle’s Vorschlag, zuerst die 
Einwirkung des Wassers bei Aufregungszuständen zu behandeln. 

Herr Jolly: In der Charitd sind feuchte Einwickelungen bei Delirium tremens 
versucht worden. Beim Abklingen des Deliriums haben sie sich bewährt; auf der 
Höhe trat mehrfach Collaps ein. 

Er macht auf die in Japan übliche Heisswassertherapie aufmerksam. 


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Herr Fürstner (Strassbarg i./E.): Die Zureohnungsfähigkeit der Hyste¬ 
rischen. 

Nachdem Vortr. auf die Dürftigkeit der einschlägigen Litteratur hingewiesen, 
zieht er eine Parallele zwischen der Epilepsie und der Hysterie. Während bei der 
Epilepsie, bei welcher der Alkoholismus and der Schwachsinn eine' grosse Bolle 
spielen, die Vergehen gegen die Person and aasserdem die Brandstiftungen flber- 
wiegen, handelt es sich bei Hysterischen mehr am Vergehen gegen das Eigentham, 
Diebstahl, Betrag, Schwindeleien a. s. w. 

Was die Anfälle angeht, so rechtfertigt deren Vorhandensein allein nicht die 
Anwendung des § öl. 

Die psychischen Störungen können einmal den Anfällen vorausgehen, dann auch 
im Anschluss an sie — postparoxysmal — auftreten. In beiden Fällen, besonders 
in letzteren, kann es zu criminellen Handlangen kommen. Die Störungen des Be« 
wusstseins, deren Gradmesser die Amnesie ist, kann bei diesen psychischen Störungen 
eine bedeutende, aber auch eine geringe sein. Dadurch wird die Beartheilung 
natürlich sehr erschwert. Dazu kommt noch die bekannte Neigung der Hysterischen 
zum Faboliren und zur pathologischen Lüge. 

Veränderungen der sexuellen Empfindung kommen vor, werden aber selten Gegen¬ 
stand der forensischen Betrachtung. Wenn bei irgend wem, so gilt es bei der 
Hysterie zu individualisiren, von Fall zu Fall abzuwägen, ob der § 51 in Kraft 
treten muss oder nicht. Die Fälle, in denen die Zurechnungsfähigkeit völlig aus- 
zuschliessen ist, sind nicht allzu häufig. Wir kommen bei der Hysterie ohne die 
verminderte Zurechnungsfähigkeit nicht aus. 

Discussion: 

Herr Ganser: Die postparoxysmalen Psychosen sind doch recht selten. Statt einer 
gesteigerten sexuellen Empfindung findet sich oft sexuelle Frigidität bei Hysterischen. 

Herr Leppmann: Der Einfluss der alkoholischen Getränke ist bei derartigen 
Personen nicht zu unterschätzen. In vielen Fälllen muss man Verminderung der 
Zurechnungsfähigkeit annehmen. 

Die weitere Discussion wandte sich vom vorliegenden Thema wesentlich ab; es 
folgte eine kurze Erörterung über die pathologische Lüge und den § 51. An ihr 
betheiligten sich noch Delbrük, Meschede, Moeli, Schäfer, Siemerling und 
Thomson. 

Herr Siemerling: Ueber Marksoheidenentwiokelung des Gehirns und 
ihre Bedeutung für die Looalisetion. 

Nach einer Mittheilung der von Flechsig erhobenen Befunde und ihrer Deutung 
berichtet Vortr. über die einschlägigen Untersuchungen von Bighetti und von 
v. Monakow. Ersterer ist im Grossen und Ganzen, was die zeitliche Beihenfolge 
der Markscheidenentwickelung anlangt, zu denselben Besultaten gekommen, als Flechsig, 
von Monakow hebt hervor, dass bei Neugeborenen nicht ausschlisslicb Projections- 
fasern markreif sind. 

Verf. hat Untersuchungen angestellt bei Föten vom 8. und 9. Monate, bei Neu¬ 
geborenen und an Kindern im Alter von 47, 80, 104, 117, 201, 365 UBd 398 Tagen. 
Anfertigung von Schnitten in verschiedener Sichtung mit dem Jung’schen Gehirn- 
microtom. Weigert’sche Entfärbung. In der Hirnrinde ist Mark am frühesten 
nachweisbar in der hinteren Centralwindung, dann im Lob. paracentralis und in der 
vorderen Centralwindung, der medianen Fläche des Hinterhauptlappens, hauptsächlich 
in der Gegend der Fissura calcarina, im hinteren Abschnitt der 1. ßchlifenWindung 
mit den angrenzenden Querwindungen, einem kleinen Abschnitt im unteren Stirnhirn 
und im Gyrus hippocampi. 

An anderen Stellen des Grosshirns ist Mark viel früher vorhanden als in der 
Binde. Bereits im 8. fötalen Monat sind markhaltig theilweise die hintere Com- 


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missur, der Fasciculus retroflexus, die obere Schleife und eine kleine Partie im 

hinteren Abschnitt des hinteren Schenkels der inneren Kapsel. 

Die Markscheidenbildung in der Grosshirnrinde beschränkt sich jedoch nicht 
von vorn herein auf ganz distincte Stellen, an den eben genannten Regionen ist 
Markbildung nur hauptsächlich nachzuweisen. Keineswegs sind die übrigen Abschnitte 
ganz frei. Bei Neugeborenen, wo diese Abschnitte dunkelschwarz gefärbt hervor¬ 
treten, ist auch im oberen Scheitellappen und im vorderen Stirnlappen eine Anlage 
von Markfasern sichtbar. Bei einem Kinde von 47 Tagen ist dieses Vorhandensein 
von Markfasern schon sehr markant. Wenn also auch einzelne Stellen des Gehirns 
schneller und intensiver in der Markbildung vorangehen, so ist diese keineswegs auf 
ganz bestimmte Gebiete beschränkt. Die radiären Fasern zeigen im grossen Ganzen 
zuerst stärker Mark, es gelingt aber nicht, eine Periode nachzuweisen, wo nur 
radiäre Fasern markhaltig sind, stets, wo diese vorhanden, waren auch der 

Oberfläche parallele mit Mark umhüllt. Die Insel macht davon keine Ausnahme. 

Die Markscheidenbildung schreitet an den Fasern, wo sie sich verfolgen lässt, vom 

Centrum nach der Peripherie fort, derselbe Weg, wie er bei der Bildung des Marks 
in den Hirnnerven nach A. Westphal innegehalten wird. Nach Abschluss des 
3. Monats fehlen schon an keiner Stelle der Grosshirnrinde die mark¬ 
haltigen Fasern. Die Deutung dieser zuerst mit Mark sich umhüllenden Fasern 
als Projectionsfasern ist eine hypothetische. Weder aus der Verlaufsrichtung, noch 
aus Form und Gestalt ist dieses zu entnehmen. Und wenn wir auch als das wahr¬ 
scheinlichste diese sich zunächst entwickelnden Fasern als Projectionsfasern ansehen, 
so ist dabei nicht ausser Acht zu lassen, dass diese sich nicht auf bestimmte Hirn- 
theile beschränken. Ohne weiteres lässt sich nachweisen, dass zu diesen sich früh 
entwickelnden vermuthlichen Stabkranzfasern aus allen Theilen des Gehirns sich 
später weitere Fasern in derselben Verlaufsrichtung gesellen. 

Die Masse der Projectionsfasern, welche aus Flechsig’s Verstandscentren 
hervorgeht, ist schon von vorn herein eine respectable und im 3.—4. Monat eine 
sehr beträchtliche. Sehr schön ist dieses am Stabkranz der Sehstrahlung zu ver¬ 
folgen. Diese bildet einen von hinten nach vor wachsenden Faserzug, und man kann 
ohne Schwierigkeit erkennen, wie sich aus dem Scheitellappen, dem Gyr. angularis, 
aus der ganzen convexen Fläche des Occipitallappens Fasern dazugesellen. 

Die zuerst und stärker sich mit Mark umhüllenden Fasern heben sich auch 
beim Hirn der Erwachsenen noch sehr markant ab. 

Ja, es scheint, als ob in Krankheitsfällen, z. B. progressiver Paralyse, diese 
Fasern eine grössere Resistenzfahigkeit besitzen. Stark entfärbte Saggittalschnitte 
durch das Grosshim bei progressiver Paralyse lassen einen noch stärkeren Reichthum 
von Fasern an diesen Partieen erkennen. Der Nachweis der spitzwinkeligen Um¬ 
biegung der Fasern oder des Verlaufs in scharfgekrümmten Curven ist nicht zu er¬ 
bringen. 

Somit ergiebt auch die Methode der Markscheidenentwickelung, dass keine Stelle 
des Hirns ohne Projectionsfasern ist. Auch die Insel hat einen Stabkranz 
(Faserzug an der convexen Fläche des Linsenkerns). Dass die Associationscentren 
einen gemeinsamen, sie von den Sinnescentren unterscheidenden Grundtypus der 
histologischen Structur besitzen, ist nicht richtig. 

Die Untersuchungen über den Fasergehalt der Rinde an einzelnen Stellen sind 
noch so lückenhaft, dass sich daraus bisher keine bestimmten Schlüsse ziehen lassen. 

Die Untersuchung der Hirnrinde eines neugeborenen und eines einjährigen 
Kindes mit besonderem Einschluss der sogen. Sinnes- und Associationscentren in 
Bezug auf die Zahl und Reihenfolge der Schichten ergiebt eine sehr einheitliche 
Gestaltung an allen Stellen. Ueberall sind folgende Schichten nachzuweisen: 

1. Stratum zonale, 

2. äussere Schicht der kleinen Pyramidenzellen, 



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3. Schicht der mittelgrossen Pyramidenzellen, 

4. innere Schicht der kleinen Pyramidenzellen, 

6. Schicht der grossen Pyramidenzellen, 

6. Schicht der polymorphen Zellen. 

Ein Schnitt durch die Querwindungen des Schläfenlappens unterscheidet sich 
in nichts von einem aus der 2. oder 3. Schläfewindung oder aus dem Scheitelhirn. 

Qrosse Pyramidenzellen fehlen nirgends, besonders gross sind sie z. B. im vor¬ 
deren Stirnhirn. Wenigstens reichen die bis jetzt bekannten Unterschiede im Aufbau 
der Rinde nicht aus, um sie zur Annahme von Associations- und Sinnescentren zu 
verwenden. Die Erfahrungen der secundfiren Degeneration (Sachs, v. Monakow, 
Dejerine) sprechen durchaus dagegen. 

Der Vortrag wurde durch Zeichnungen und Präparate erläutert 

Autorreferat. 


Discussion: 

Die Herren Vogt, Gudden, Nissl, Bruns, FQrstner, Kramer. 

Herr Gudden demonstrirt im Anschluss an den Vortrag einige in Formol ge¬ 
härtete Gehirne. 

Herr Bruns wendet sich gegen die Annahme der vielen Centren im Gehirn. 
Herr FQrstner lobt die Art der Conservirong der demonstrirten Gehirne. 

Herr Kramer desgleichen. 


Herr Oebeke (Bonn): Das rheinische Irrenwesen. 

An der Hand von Zahlen giebt Vortr. einen Ueberblick Qber das, was in der 
Rheinprovinz auf dem Gebiete des Irrenwesens geschehen ist und geschieht. Schon 
in früheren Jahrhunderten wurden hier in den Klöstern viele Geisteskranke verpflegt. 
Die erste Provinzial-Anstalt, die speciell für heilbare Kranke bestimmt war, wurde 
im Jahre 1825 zu Siegburg eröffnet. Als sie im Laufe der nächsten Jahrzehnte 
sich als nicht genQgend erwies, fasste die Provinz 1865 den Beschluss, fQr jeden 
Regierungsbezirk eine eigene Anstalt zu bauen. Und so erhoben sich in den nächsten 
17 Jahren die Anstalten Andernach, Bonn, Düren, Grafenberg und Merzig. Das sind 
die zur Zeit bestehenden Provinzial-Heil- und Pflegeanstalten. In ihnen wurden im 
Laufe der nächsten Jahre manche Umbauten erforderlich der Erweiterung halber. 
Ausserdem ist jetzt eine neue Anstalt im Pavillonsystem im Bau begriffen bei Galk- 
hausen zwischen Köln und Düsseldorf, die im October 1899 eröffnet wird. Zudem 
ist der Bau einer Anstalt iür Epileptiker in der Nähe von Krefeld beschlossen. 
Um aus den übrigen Anstalten das lästige Element der geisteskranken Verbrecher 
zu entfernen, ist in Düren eigens für geisteskranke Verbrecher ein Pavillon gebaut 
worden, der demnächst seiner Bestimmung übergeben wird. In der Bonner Anstalt 
wurde die I. und II. Pensionärabtheilung aufgehoben und statt dessen auf der Männer¬ 
und Frauenseite je eine Abtheilung zum Zwecke des klinischen Unterrichtes ein¬ 
gerichtet. 

Neu geschaffen wurde die Stelle des Landespsychiaters als sachverständiger 
Beirath des Landeshauptmanns bezw. Landesausschusses. 

Dem Oberpflegepersonal wurde durch die Einrichtung der Stationspfleger (-innen) 
eine Stütze gegeben, die zu seiner Entlastung dienen soll. Die Stationspfleger (-innen) 
haben die Aufsicht über die ihnen zuertheilten Abteilungen. 

In Andernach und Merzig soll die Familienpflege eingerichtet werden. 

Die Anstalten sollen nicht über 600 Kranke enthalten. Die Kosten 6ind bei 
den bestehenden auf 4200 Mark pro Kopf veranschlagt worden; bei dem Bau der 
neuen Anstalten auf 4000 Mark. 

Ausser diesen Provinzial-Anstalten existiren in der Rheinprovinz noch eine grosse 
Anzahl von Privat-Heil- und Pflegeanstalten für die besseren Stände; ausserdem viele 
Privat-Pflegeanstalten, die sich zum grössten Theil in den Händen geistlicher Ge- 


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nossenschaften befinden, mit denen die Provinz einen Contract abgeschlossen hat 
Zwecks Abgabe und Verpflegung unheilbarer Geisteskranker. 

Die Aufsicht über die Anstalten, an der übrigens kein Mangel ist, wird vom 
Landeshauptmann und Landesausschuss ausgeübt. Auch die Pflegeanstalten werden 
von der Provinz beaufsichtigt 

Es besteht ausserdem ein Hülfsverein für Geisteskranke in der Bheinprovinz. 

Mit diesen Einrichtungen dürfte die Provinz in dem Irrenwesen völlig auf der 
Höhe der Zeit stehen. 

Discussion: 

Herr Pelm an schliesst sich den Ausführungen des Vorredners an. Er weist 
dann auf die Schwierigkeiten hin, die sich aus der Vereinigung der Stelle eines 
Anstaltsdirectors und klinischen Lehrers ergiebt, und bespricht kurz die Einrichtung 
der klinischen Abtheilungen in der Anstalt Bonn. 

Herr Schultze (Bonn): Beitrag zur Lehre von den pathologischen Be¬ 
wusstseinsstörungen. 

Vortr. berichtet über 3 interessante Fälle von sog. „automatisme ambulatoire“; 
die Kranken unternahmen des Häufigeren ohne äusseren Grund zweck- und sinnlose weite 
Reisen, für die nachher eine mehr oder weniger grosse Gedächtnislücke bestand. 
Vortr. fasst die Ausführung der verschiedenen Reisen als epileptische Aequivalente 
auf; wenn auch in keinem der Fälle ausgesprochene epileptische Anfälle vorhanden 
waren, so Hessen sich nämUch doch bei allen Kranken epileptoide Erscheinungen, als 
periodischer Kopfschmerz, periodische Erregungen mit nachheriger Amnesie, periodische 
Depressionen mit ausgesprochener Selbstmordneigung, Schwindelanfälle, Dipsomanie u.s. w. 
neben ätiologischen Momenten (gleichartige Heredität, Trauma capitis) nachweisen. 

Discussion: 

Herr Meschede führt einen ähnlichen Fall an. 

Herr Fürstner: Der Wandertrieb findet sich auch bei anderen Psychosen, be¬ 
sonders im jugendUchen Alter. Er allein ist für Epilepsie nicht beweisend. 

Herr Schüle weist auf die diesen Zuständen ähnUchen sog. neurasthenischen 
Dämmerzustände hin, wie sie v. Krafft-Ebing beschrieben hat. 

Herr Jolly: Der Wandertrieb findet sich auch im Verlauf des circularen 
Irreseins. 

Herr Ganser spricht den Verdacht aus, dass es sich vielleicht um hysterische 
Zustände gehandelt habe. 

Herr Nissl (Heidelberg): Die Verwerthung des anatomischen Materials 
in Irrenanstalten. 

Vortr. ist der Ansicht, dass unsere Anschauungen über die Architektonik der 
nervösen Centralorgane jetzt unklarer sind als sie je zuvor gewesen Die Neuronen¬ 
theorie ist eine unglückliche und kann wohl kaum aufrecht erhalten werden. Mit 
einem Hinweis auf seine eigenen Giftversuche hält er es für das Richtigste, möglichst 
viele Einzelforschuugen anzustellen, um auf diesem Wege zu einer Anschauung über 
den Bau der nervösen Apparate zu gelangen. Da bei der Ueberlastung der patho¬ 
logischen Anatomen auf diesem Gebiet von ihnen nichts zu erwarten ist, so müssen 
die Aerzte in den Irrenanstalten sich selbst mit der schwierigen Technik vertraut 
machen und die Gehirne untersuchen. Am weitesten gelangt man, wenn ganz be¬ 
stimmte Theile der Rinde an möglichst vielen Gehirnen zur Untersuchung kommen. 
Eine Gefahr Hegt allerdings darin, dass es sich dabei immer um Gehirne von Geistes¬ 
kranken handelt. Sehr zu empfehlen ist zum Zwecke der Untersuchungen die Mikro¬ 
photographie. 


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Discussion: 

Herr Siemerling: Es lässt sich doch nicht behaupten, dass die Neuronen* 
theorie unglücklich ist und fallen gelassen werden muss, sie hat noch viele angesehene 
Anhänger. 

Herr FQrstner schliesst sich dem an. 

Herr Nissl glaubt, darüber könne man die Zeit entscheiden lassen. 

Herr Sioli (Frankfurt a./M.): Die Fürsorge für Geisteskranke in den 
dentsohen Gressstädten. 

An 45 deutsche Städte mit Über 60 000 Einwohner hat Vortr. Fragebogen 
geschickt, um sich darüber zu orientiren, was in ihnen für Geisteskranke geschieht. 
Es stellte sich dabei heraus, dass in diesem Punkte noch Vieles zu wünschen übrig 
bleibt. Namentlich sind die Aufnahmebedingungen in vielen so schwerfällig, dass 
zwischen dem Aufnabmeantrag und der Aufnahme in eine Anstalt eine längere Frist 
— bis zu mehreren Monaten 1 — verstreicht Am besten steht es in der Rhein¬ 
provinz, wo alle Formalitäten binnen 3 Tagen erledigt sein können. In einigen 
Städten ist eine provisorische Fürsorge getroffen in der Form von Kliniken und Irren¬ 
abtheilungen bei den Krankenhäusern. Dadurch wird den Irrenanstalten kein Ab¬ 
bruch gethan; sie erhalten doch fast die gleiche Zahl von Kranken; es gehen ihnen 
vornehmlich ab die Deliranten. In einigen Grossstädten kann die Aufnahme sofort 
erfolgen, so in Frankfurt a./M., Dresden und Breslau. In den meisten Grossstädten 
liegt die Sache aber so, dass bald Abhülfe geschaffen werden muss. 

Herr Lührmann (Dresden): Ueber Stadtasyle. 

Der Vortr. fasste seine Ausführungen nach einer Darstellung des 8tandes der 
Irrenfürsorge in den deutschen Grossstädten sowie der Pariser, Brüsseler, Londoner 
und Glasgower Verhältnisse in folgenden Sätzen zusammen: 

1. Im Interesse der öffentlichen Irrenfttrsorge ist die Gründung von Stadtasylen 
in grösseren Städten nothwendig. 

2. An der Spitze eines Stadtasyls muss ein Psychiater von Fach stehen. 

3. Die Stadtasyle begünstigen in hohem Grade die Frühaufnahme, dienen zur 
Entlastung der grossen centralen Anstalten (40 bis ÖO°/ 0 der Aufnahmen können 
in den ersten Wochen entlassen werden) und eignen sich zu Lehrinstituten. 

4. Es ist wünschenswert!), in grossen Asylen eine Wachabtheilung für ruhige 
Kranke, eine zweite Wachabtheilung für die unruhigen Kranken zu haben, beide mit 
besonderem Personal lediglich für den Nachtwachdienst. 

5. In grossen Stadtasylen sind Einrichtungen zur Aufnahme gebildeter, aber 
wenig bemittelter Personen zu treffen. 

6. Die Aufnahme in die Stadtasyle muss eine leichte sein, und zwar sollen 
Kranke dort auf eigenen Antrag und auf Gutachten des Anstaltsoberarztes hin auf¬ 
genommen werden können. 

7. Die zwangsweise Einweisung von Geisteskranken aus ihrem derzeitigen Auf¬ 
enthalt soll auf das Gutachten eines beamteten, bezw. eines damit behördlicherseits 
besonders beauftragten Arztes geschehen; Voraussetzung aber dabei ist, dass die 
Untersuchung bezw. die Ueberführung mit grösster Beschleunigung erfolge. 

Discussion über die beiden letzten Vorträge: 

Herr Fürstner: In Strassburg sind leichte Aufnahmebedingungen. Wünschens- 
werth ist es, wenn in einer Klinik in beschränktem Maasse eine Pensionärabtheilung 
besteht. Zwei Wachsäle sind nothwendig, einer für ruhige, einer für unreinliche 
Kranke; für die unruhigen soll anderweitig gesorgt werden. 

Herr Meschede: In Königsberg ist eine Irrenabtheilung mit dem Kranken¬ 
hause verbunden. 

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Herr Kräpelin: Id Baden werden oft grosse Schwierigkeiten bei den Auf¬ 
nahmen gemacht. Das Publikum soll möglichst viel Zutritt zu den Anstalten haben, 
damit die Vorurtheile gegen diese zerstreut werden. 

Herr Ganser empfiehlt auf Grund langjähriger Erfahrungen dringend die Ein¬ 
richtungen mehrerer Wachsäle mit eigenem Wachpersonal. 

Herr Schfile wendet sich gegen die Ausführungen Kräpelin’s bezüglich der 
Schwierigkeit der Aufnahmebedingungen in Baden. 

Die Vorträge von Tromm er (Berlin): „Zur pathologischen Anatomie des Delirium 
tremens“ und von Vogt (Berlin): „Zur Psychopathologie der Hysterie“ fielen aus. 

Am ersten Sitzungstag gab die Rheinprovinz der Versammlung ein opulentes 
Frühstück; Abends vereinigten sich die Mitglieder zu einem Festessen; am zweiten 
Tage beschloss ein Ausflug auf den Drachenfels die diesjährige Versammlung. 

Lückerath (Bonn). 


Wiener medioinischer Club. 

Sitzung vom 20. October 1897. 

Knieböck demonstrirt eine Arthropathie des linken Ellenbogengelenkes 
bei Syringomyelie. 

Der Fall betrifft eine 33jährige Patientin, bei welcher trotz ausgedehnter Ge- 
lenksprocesse keine Muskelatrophie besteht Bedeutende Schwellung des linken Ell¬ 
bogengelenkes, welche Diaphysen und Epiphysen betrifft; Knochen, Kapsel und Bänder 
zeigen eine wesentliche Verdickung. Abnorme Beweglichkeit und Crepitation im 
Gelenke, die Haut über dem Gelenk ist normal, die Bewegungen schmerzlos. Der 
Prozess hat sich ohne Schmerzen entwickelt. Es besteht eine ausgedehnte Therm- 
anästhesie und Analgesie an dem erkrankten Arme und auf der Brust, in der Anam¬ 
nese schmerzlose Panaritien. Gesteigerte Reflexe an den unteren Extremitäten, leichte 
Kyphoskoliose im oberen Brustsegment der Wirbelsäule. 

H. Schlesinger bemerkt hierzu, dass in diesem Falle das Auftreten einer 
Gelenksaffection als Frühsymptom der Syringomyelie zu betrachten sei. Es 
sind dies vielleicht nicht so seltene Vorkommnisse, denn Redner hat in kurzer Zeit 
zwei zweifellose Fälle von Syringomyelie gesehen, in welchen eine trophische Störung 
und zwar in dem einen Falle eine Spontanfractur, in dem anderen Falle eine Ge¬ 
lenksaffection die erste Störung war, welche überhaupt auf eine Erkrankung auf¬ 
merksam machte. Von Wichtigkeit für die Diagnose ist in solchen Fällen eine 
Steigerung der Patellarreflexe und dies dann, wenn die Steigerung sich besonders 
auf jener Seite findet, an welcher die trophische Störung sich markirt hat Sch. 
verweist auf die grosse Bedeutung der Kenntniss dieses Frühsymptoms für die Be¬ 
urteilung von Unfällen und auf die Wichtigkeit in gerichtsärztlicher Beziehung. 
Bei der Beurteilung der Verletzung wird dann die besondere Körperbeschaffenheit 
in Betracht kommen müssen. 


Sitzung vom 16. November 1897. 

(Wien. klin. Wochenschr. 1897. Nr. 47.) 

F. Hahn: Ueber Sensibilität bei Syringomyelie. 

Vortr. hat an einer grösseren Zahl von Syringomyeliefallen der Klinik Schrötter 
die von La ehr erhobenen Sensibilitätsstörungen bei dieser Affection in gleicher Weise 
wie der Berliner Autor finden können und zwar zeigten dieselben segmentalen Typus 
nicht bloss in Bezug auf die Temperaturempfindung, sondern auch auf Schmerz- und 


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Tastsinn. Die froheren Befunde des Vorkommens oes centralan Typus der Sensi¬ 
bilitätsstörungen bei Syringomyelie sind zum Theile auf eine physiologische Abnahme 
der Temperaturempfindlichkeit gegen die Peripherie der Extremitäten hin, die durch 
Oedem, Cyanose, Schwielenbildung u. s. w. noch vermehrt wird, zum Theile aber auf 
diagnostische Irrtühmer zurückzufOhren. Doch abgesehen von diesen Verhältnissen 
findet sich bei manchen Fällen von Syringomyelie, aber durchaus nicht bei allen, 
eine effective Abnahme der Sensibilität gegen die Peripherie der Extremitäten hin, 
doch traf sie Vortr. immer innerhalb des Rahmens einer segmentalen Anordnung, nie 
allein fQr sich bestehend. 


Sitzung vom 24. November 1897. 

(Wiener klin. Wochenschr. 1897. Nr. 50.) 

J. Schnabel demonstrirt einen Fall von Lues cerebrospinalis mit zwei 
Herden, einem im Opticus, dem anderen im Brustmarke, mit dem Bilde der Halb¬ 
seitenläsion. 

Eine 27 jährige Weissnäherin bemerkte plötzlich vor 2 Monaten Schlechtersehen 
und Nebel vor dem linken Auge. 5 Tage später Parästhesieen und Schwäche im 
linken Beine, in weiterer Folge rasche Abnahme des Sehvermögens auf dem linken 
Auge bis zur vollständigen Erblindung; zunehmende Lähmung des linken Beines. 
Lues und Potus negirt, früher mit Ausnahme einer vorübergehenden Lungenaffection 
stets gesund. 

Die Untersuchung ergab zur Zeit der Aufnahme ins Krankenhaus Fehlen der 
Lichtempfindung des linken Auges bis auf eine Spur in der nasalen Gesichtsfeld- 
hälfte, absolute Beactionslosigkeit auf Licht, consensuelle Reaction erhalten, Reaction 
auf Accomodation prompt. Rechtes Auge, Augenmuskeln, alle Hirnnerven intact, 
Augenhintergrund beiderseits normal. Paralyse des linken Beines, Parese des rechten, 
Steigerung der Sehnenreflexe beiderseits. Bis zur Höhe des 4. Intercostalraumes 
vorn und des 4. Brustwirbeldoms hinten hochgradige Hyperästhesie für alle Empfin¬ 
dungsqualitäten auf der rechten Seite, links nach unten zunehmende Hyperästhesie 
für tactile, algetische und thermästhetische Reize. Muskelsinn und Gefühl für Lage 
und Bewegung der Extremitäten links herabgesetzt. Obere Extremitäten, Blase, 
Mastdarm vollständig frei 

Vortr. hebt hervor, dass der Brown-Söquard’sche Symptomencomplex hier 
deutlich ausgesprochen sei. Hysterie ist ausgeschlossen. Den einen Herd verlegt 
Vortr. in den Opticus zwischen Bulbus und Chiasma, wegen des kurzen Bestandes 
der Affection fehlt die Opticusnenritis. Den anderen Herd verlegt er ins Brustmark; 
das Wahrscheinlichste sind gummöse Infiltrate. Unter antiluetischer Behandlung 
Rückgang der Augenerscheinungen und des Rückenmarksbefundes. 

In einer späteren Sitzung, und zwar vom 9. Februar 1898, stellte Vortr. 
neuerdings die Kranke vor, welche bis dahin antiluetisch behandelt worden war. 
Nach einiger Zeit trat links deutliche Atrophie des Sehnerven auf, ferner Schmerzen, 
welche vom rechten Fuss ins Hypochondrium ausstrahlten, tonische Krämpfe im 
rechten Beine, Rückgang der Parese am linken Beine. Die Sensibilitätsstörung rechts 
vollständig geschwunden, das Sehvermögen des amblyopischen Auges gebessert. 

Vortr. stellt weiter einen 38 jährigen Mann traumatischer Neurose vor. Die¬ 
selbe tritt in Form von klonischen Krämpfen der Stemocleidomastoidei und der 
Bauchmuskeln auf. Die Krämpfe traten vor 8 Jahren ein, als Pat. beim Heben 
einer schweren Last zusammenstürzte, und zwar als Mitbewegungen und Dreh¬ 
bewegungen des Kopfes, ferner klonische Krämpfe der Bauchmusculatur, welche so 
hochgradig sind, dass der Kranke nur mit vorgebeugtem Oberkörper, die Hände auf 
die Kniee gestützt, gehen kann. Die Krämpfe cessiren im Schlafe und in Rücken¬ 
lage und treten erst bei jedem Gehversuche des Kranken auf. 

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Sitzung vom 26. Januar 1898. 

(Wiener kün. Wochenschr. 1898. Nr. 7.) 

F. Pineies demonstrirt einen Fall von chronischer, seit 20 Jahren reoidi- 
virender Tetanie. 

Oie jetzt 37jährige Patientin erkrankte vor 20 Jahren an Typhus. In der 
Reconvalescenz traten plötzlich heftige Krämpfe in beiden oberen Extremitäten auf. 
Nach dem Ablaufen des Typhus schwanden die Krämpfe vollständig, um dann 
neuerlich im Februar des nächsten Jahres wiederzukehren. Keine Magenstörungea. 
Nach mehrwöchentlicher Dauer verloren sich die Krämpfe; von jetzt ab stellten sich 
die Krämpfe jedes Jahr in den Monaten Januar oder Februar ein und waren immer 
von ziemlich gleicher Intensität und Dauer. Sie betrafen stets die Muskeln beider 
Arme und Hessen die Beine (Körpermuskeln) frei; manchmal sollen Augenmuskel* 
krämpfe bestanden haben. Seit ungefähr 14 Jahren leidet die Kranke an Diarrhöen, 
jedesmal verschlechtern sich dieselben bei Eintritt der Krämpfe, welche weder durch 
Berufswechsel, noch durch Aenderung des Aufenthalts, noch durch Gravidität irgendwie 
beeinflusst wurden. Die Krampfanfälle sind typisch; die galvanische Erregbarkeit der 
Nerven ist bedeutend erhöht, Trousseau’sches und Facialisphänomen deutlich vor* 
handen. Zur Zeit der Attaquen bestand hohes Fieber und trat ein Exanthem an 
der Streckseite der Unterschenkel auf, welches sich auch sonst zur Zeit der Attaquen 
eingestellt haben soll. Diese Prävalenz des Auftretens der Tetanie zu bestimmten 
Jahreszeiten, der Verlauf unter hohem Fieber und die allgemeine Prostration sprechen 
dafür, dass hier eine infectiöse Schädlichkeit vorliegt Im Urin war Indican nicht 
vermehrt, abnorme Bestandteile nicht nachweisbar. 

Dr. Kienböck demonstrirt vier atypisohe Fälle von Syringomyelie aus 
der Klinik Schrötter. 

1. Fall: 39jähriger Forstwirt. Die ersten Symptome der Erkrankung vor 
4 Jahren ohne bekannte Veranlassung. Spasmus im linken Arm und spastischer 
Gang, leichte Atrophie mit bedeutender Schwäche im Schultergürtel beiderseits und 
hochgradige Atrophie des linken Oberarmes mit Lockerung des gleichzeitigen Ellbogen¬ 
gelenks. Die partielle Empfindungslähmung betrifft fast genau das Gebiet der 
Cervicalnerven, die aus dem mittleren Anteile des Cervicalmarks (2.—5. Hals¬ 
segment) stammen. Keine Blasen- und Mastdarmstörung, Steigerung des Patellar- 
reflexes, Fussclonus beiderseits, Kyphose im obersten Abschnitte der Wirbelsäule. 
Himnerven normal. Als auffallende Erscheinungen müssen Spasmen der linken 
oberen Extremität mit Streckstellung derselben im Ellbogengelenk bezeichnet werden. 

2. Fall: 35jähriger Tischler mit höchstgradiger Verstümmlung beider Hände, 
die sich im 21. Lebensjahre im Anschlüsse an Panaritien in kurzer Zeit entwickelt 
haben. Im December v. J. schmerzlose, sehr umfangreiche Verbrennung am rechten 
Oberarme; Sensibilitätsstörung der oberen Körperhälfte im syringomyclischen Sinne 
am rechten Oberarme und Störung der Berührungsempfindung, Muskelatrophieen nur 
an den Vorderarmen. Gesteigerte Patellarreflexe. Die linke Hand ist im Hand¬ 
gelenke luxirt, die Handwurzel liegt den Diaphysen der Vorderarmknochen an deren 
Beugeseite an. Es handelt sich um pathologische Luxation mit hypertrophischer 
Deformation der Knochen. An der rechten Hand fehlen Theile der Endphalanx des 
Daumens mit enormer breiter Zunahme der Grundphalanx. Der deformirte Zeige¬ 
finger ist durch eine Art Schwimmhaut mit dem Daumen an der Basis verbunden, 
in den Metacarpophalangealgelenken beiderseits bedeutende Hypertrophieen. Ankylose 
und Verdickungen der Finger, schwielige Veränderung der cyanotisch gefärbten, voll¬ 
kommen analgetischen Haut. Hirnnerven bis auf den Trigeminus intact. Wirbel¬ 
säule gerade, Gang und Sphincteren nicht gestört. 

3. Fall: 20jähriger Hirth hat sich im 12. Lebensjahre, ohne es sogleich zu 
merken, an dem Gesäss am offenen Feuer verbrannt. Seit einem Jahre ist der Gang 

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spastisch, Pat. muss beim Uriniren stark pressen, Incontinentia alvi. Dissociirte 
Sensibilität an der unteren Körperhälfte, besonders links, Steigerung der Patelkr- 
reflexe, keine Mnskelatrophieen. Obere Extremitäten und Hirnnerven intact. Kein 
Romberg’sches Phänomen. 

4. Fall: 29jährige Bäuerin. Beginn der Erkrankung im 9. Lebensjahre mit 
Erschwerung des Ganges and GürtelgefühL Parese der Hand im 14. Lebensjahre. 
Panaritien im 16. Lebensjahre, im 17. umfangreiche, schmerzlose Verbrennung am 
Rücken. Verschlimmerung des Zustandes seit der Geburt des dritten Kindes vor 
9 Monaten. Es besteht Harnträufeln, ab und zu Incontinentia alvi, rechtsseitige Nieren* 
koliken mit Nierensteinen. Die obere Körperhälfte ist sehr abgemagert, hochgradige 
Atrophie des Scbultergürtels und der oberen Extremitäten, bedeutende Kyphoskoliose 
im oberen Brusttheile der Wirbelsäule, Lordose der Lendenwirbelsäule. Die Schulter* 
blätter sind nach vom und unten gesunken, die Arme sind cyanotisch, die kleinen 
Handmuskeln links atrophisch, an der rechten Hand Contractur, die Finger verdickt. 
Der Gang spastisch - paretisch, die Haut am linken Unterschenkel verdickt und 
glänzend. An den Genitalien und der Innenseite der Oberschenkel ein Ekzem eigen¬ 
tümlicher Art mit WucherungsVorgängen (von Prof. Neumann als solches dia- 
gnosticirt). Himnerven nicht paretisch. Typische syringomyelische Sensibilität« • 
Störung an den oberen Extremitäten, sowie um den Anus. 

Vortr. hebt hervor, dass die Höhlenbildung im 3. Falle im lumbalen Anteile, 
im 4. Falle in der ganzen Länge des Bückenmarks, besonders im dorso-lumbalen 
Anteile zu suchen sei. Die Erkrankung hat in allen Fällen während der Jugend 
begonnen, eine Verletzung war bei keinem vorausgegangen, ebenso wenig Infections- 
krankheiten. Die Wirbelsäule war in zweien der Fälle gerade, in zwei anderen ge¬ 
krümmt. Die sehr schwierige Differentialdiagnose gegenüber der Lepra (im Falle 3) 
wird eingehend besprochen (Leprabacillen wurden im Secrete nicht gefunden). Die 
Sensibilitätsstörung war überall eine segmentale, die distalen Abschnitte waren stärker 
atrophisch. 

Vortr. betont, dass in einem der Fälle Nephrolitiasis besteht, in zwei anderen 
an der Klinik Schrötter von Schlesinger beobachteten, aber nioht publicirten 
Fällen Nephrolitiasis bestand. Letztere Affection ist in Wien sehr selten. Da alle 
Kranken mit Nephrolithiasis Gelenkstörungen darboten, ist vielleicht bei Syringomyelie 
ein gewisser Zusammenhang zwischen der Steinbildung der Niere und den Gelenk¬ 
störungen vorhanden. 

Schlesinger betont, dass die Zahl der Syringomyeliefälle anscheinend in stetem 
Wachsen sei, was mit der besseren Kenntniss der Erkrankung zusammenhängt; in 
den letzten 3 Jahren hat er am liegenden Material an der Klinik allein gegen 20 
nicht publicirte Fälle von Syringomyelie beobachtet 


8itzung vom 9. Februar 1898. 

(Wiener klin. Wochenschr. 1898. Nr. 9.) 

A. Bum stellt einen 39jährigen Tabiker vor, bei welchem er seit 4 1 / 8 Monaten 
mechanische Ataxiebehandlnng nach Frenkel übt. Der Kranke konnte im 
Herbst verflossenen Jahres nur mühsam am Stocke gehen und wies die typischen 
Symptome der Ataxie auf. Er geht jetzt ohne Stütze vor- und rückwärts, auch auf 
den Zehenspitzen, selbst mit geschlossenen Augen, steigt Treppen auf und ab u. s. w. 
Vortr. hat von der Frenkel'schen Methode in der überwiegenden Mehrzahl der von 
ihm bisher behandelten Fälle gute Resultate gesehen, doch schwankte die Behandlungs¬ 
dauer sehr bedeutend. Die besten Resultate geben die stationären Fälle. Die An¬ 
wendung von Apparaten für die Ataxiebehandlung der unteren Extremitäten hält 
Vortr. nach seinen Erfahrungen für entbehrlich. 


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Heinrich Weiss stellt eine 10jährige Patientin mit Paraplegia spastica 
infantilis vor. 

Normale Geburt, drei Geschwister leben und sind gesund. Die Krankheit stellte 
sich im Alter von 5 Jahren bei dem bis dahin gesunden Kinde angeblich nach einem 
Schrecken ein. Zuerst Schlechtergehen mit dem rechten Beine, dann Auftreten von 
Erscheinungen im rechten Arme, allgemeine Verschlimmerung des Sprachvermögens; 
das Kind kann spontan sprechen, stockt aber, wenn es antworten soll. Die Intelligenz 
ist gut. Allmählicher Uebergang der Erscheinungen auch auf die Extremitäten der 
anderen Körperhälfte, neben spastischen Contracturen bestehen athetotische Bewegungen 
in den Händen; links spastischer Krampf- und rechts spastischer Spitzfuss. Spasmus 
der Lippen- und Zungen-, zum Theil auch der Nackenmuskulatur. Keine Anästhesie; 
Aplasie der rechten Stirn- und Schläfengegend und der rechten Kopfhälfte. 


Sitzung vom 16. Februar 1898.) 


(Wiener klin. Wochenschr. 1898. Nr. 10.) 

H. Schlesinger demonstrirt das anatomische Präparat eines Falles von Stim- 
hirntumor, welches von einer 52jährigen Frau stammt. 


Dieselbe wurde im somnolenten Zustande aufgenommen. Während der kurz 
dauernden Beobachtung wechselte das Verhalten des Sensoriums der Kranken; ver¬ 
spätetes Reagiren auf äussere Reize, namentlich acustischer Art. Nur hie und da 
Kopfschmerzen, nie Krämpfe, keine Störungen von Seite der Respiration oder des 
Pulses, Albuminurie. Keine deutlichen Störungen von Seite der Hirnnerven oder der 
Extremitäten in Bezug auf Motilität oder Sensibilität, nur eine geringe Erhöhung 
der Sehnenreflexe auf der rechten Körperhälfte. Der Augenhintergrund war normal; 
erst unmittelbar ante mortem Verwaschensein der Begrenzung der linken Papille. 
Der Gang der Pat. konnte nicht geprüft werden; keine Witzelsucht. Vor 6 Jahren 
war das örtliche Recidiv eines Bauchdeckentumors (Fibrosarcom) entfernt worden, 
wodurch die Annahme eines Hirntumors wahrscheinlicher wurde. Vor und über dem 
linken Ohre sass ein halbzwetschenkerngrosser, knochenharter, vollkommen unverschieb¬ 
licher Tumor, der vom Vortr. als Knocheumetastase aufgefasst wurde, welche nach 
innen protuberire, auf das Stirnhirn drücke oder auf dasselbe übergegriffen habe. 
Dauer der cerebralen Erscheinungen 5 Wochen, Beobachtungsdauer im Spitale 2 Wochen. 
Exitus unter Lungenödem. 

Die Obduction zeigte, dass der Tumor des Knochens eine Exostose war, welche 
gar nicht nach innen protuberirte; gleichzeitig aber fand sich, genau entsprechend 
der Exostose, ein riesiger Tumor des Stirnhirns derselben (linken) Seite, welcher 
den Hirnabschnitt vollkommen einnahm. 

Vortr. hebt hervor, dass in diesem Falle ein operativer Eingriff geplant war, 
und dass die Kenntniss solcher pathologischer Vorgänge, welche zu Fehldiagnosen 
Anlass geben können, recht werthvoll seien, zumal er schon zum zweiten Male eine 

derartige Combination von Schädel- und Hirngeschwulst gesehen habe. Der Tumor 
war offenbar metastatischer Natur, er war wahrscheinlich von dem vor 6 Jahren 
operirten Fibrosarcom der Bauchdecken ausgegangen und latent getragen worden. 


Sitzung vom 2. März 1898. 


(Wiener klin. Wochenschr. 1898. Nr. 11.) 


H. Weiss demonstrirt einen Maun mit Pachymeningitis cervicalis luetica. 
(Wird an auderer Stelle ausführlich publicirt.) 



971 


Sitzung vom 9. März 1898.) 

(Wiener klin. Wochenschr. 1898. Nr. 13.) 

F. Pineies demonstrirt 2 Fälle von halbseitiger cerebraler Kinderlähmung. 

I. Fall, l&jährigee Mädchen, körperlich gut entwickelt, geistig sehr zurück¬ 
geblieben, hereditär nicht belastet. Geburt normal, im 2. Lebensjahre Convulsionen; 
im Anschlüsse daran heftiges Zittern der linksseitigen Extremitäten, welches ziemlich 
unverändert bis zum heutigen Tage anhält. Fast continuirlich anhaltende Krampf¬ 
bewegungen der linken oberen und unteren Extremität, welche eine Mischform von 
Scbfltteltremor und choreaartigen Zuckungen darstellen. Keine trophischen Störungen, 
keine Sensibilitätsdefecte. Grobe Kraft beiderseits gleich, Sehnenreflexe links ge¬ 
steigert Hirnnerven intact. 

II. Fall. 27jährige Patientin mit ausgesprochen infantilem Habitus, geistig 
etwas unentwickelt. Normale Geburt. Beginn der Affection im 3. Lebensjahre nach 
Varicellen. Anfang mit leichter Schwäche der rechten Körperhälfte, allmählich 
Steigerung der Intensität derselben, bald darauf SchQttelbewegungen der rechts¬ 
seitigen Extremitäten, Nachschleppen des rechten Beins. Pat lernte schlechter. Im 
13. Lebensjahre traten reissende Schmerzen in den unteren Extremitäten mit Zunahme 
der Schüttelbewegungen ein; später, im 22. Lebensjahre, Schmerzen im rechten 
Arme, welche nach Dehnung des rechten Plexus brachialis nachliessen, späterhin 
wurde wegen der Schmerzen die Durchschneidung dieses Plexus ausgeführt. Die 
Schmerzen im rechten Bein blieben unverändert 

Die rechte Körperhälfte zeigt ausgesprochene Wachsthumshemmung; rechter 
Mundfacialis, rechter Hypoglossus paretisch, keine Aphasie. Im rechten Bein con¬ 
tinuirlich anhaltende Schüttelbewegungen, Equinovarusstellung des Fusses. Starke 
Contracturen in allen Gelenken, rechts Herabsetzung der Sensibilität für alle Quali¬ 
täten. Muskelsinn rechts deutlich vermindert; andauernde heftige Schmerzen im 
rechten Beine. 

Vortr. spricht sich dagegen aus, dass die Schmerzen durch eine Zerrung oder 
Spannung der Gelenke und Muskeln erzeugt worden wären, und meint, dass sie ein 
vom Zustande der Muskeln ganz unabhängiges, sensibles Reizsymptom darstellen. 

Sitzung vom 16. März 1898. 

(Wiener klin. Wochenschr. 1898. Nr. 13.) 

v. Zeissl macht eine vorläufige Mittheilung über Versuohe über Gehirn- 
druok. 

Der Gehimdruck wurde mit dem Federmanometer von Basch direct erhoben. 
Die Versuche ergaben: 1. dass eine grosse Menge von physiologischer Kochsalzlösung, 
ins Gehirn eingespritzt, den Gehirn- und Blutdruck nur vorübergehend steigert. 
2. Jodjodnatriumlösung, in die V. jugularis injicirt, führt unter starker Steigerung 
des Blutdruckes, welche von einer Pulsverlangsamung begleitet ist, zu einer beträcht¬ 
lichen Steigerung des Gehirndruckes, und zwar steigt letzterer mehr an, als dies 
durch Steigerung des Blutdruckes und consecutive Blutfülle des Gehirns allein 
möglich wäre. Es muss also ausser der vermehrten Blutfülle des Gehirns noch eine 
zweite Bedingung hinzutreten, welche eine Volumsvermehrung des Schädelinhalts 
hervorruft. Vortr. nimmt'an, dass eine Transsudation von Flüssigkeit aus den Ge¬ 
flossen ins Gehirn stattfinde. Diese Annahme ist um so berechtigter, als diesbezüg¬ 
liche Versuche lehren, dass die Gehirndrucksteigerung ausbleibt oder sehr un¬ 
beträchtlich ist, wenn vor Einspritzung der Jodjodnatriumlösung der Rückenmarks¬ 
canal durch Einschneiden der Membrana obturataria eröffnet wurde. Der Gehirndruck 
steigt nach Injection des genannten Jodpräparates erheblich höher an als durch 

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andere Manipulationen, welche den Blutdruck erhöhen (Reizung des Ischiadicus, 
Strychnineinspritzung, Aortacompression). 

Sitzung vom 23. März 1898. 

(Wiener klin. Wochenschr. 1898.' Nr. 14.) 

H. Schlesinger demonstrirt 2 Fälle von Moskelatrophie. 

Vortr. betont, dass eine scharfe Abgrenzung der spinalen Amyotrophie von der 
Dystrophie nicht mehr möglich sei und führt dies des weiteren aus. Die beiden 
vorgestellten Fälle zeigen, wie schwierig sich die Diagnose zu gestalten vermag. 

Der 1. Fall betrifft einen 39jährigen, nicht belasteten Zimmermann. Beginn 
der Affection vor 3 Jahren mit Schwäche in den Beinen und mit Nackenschmerzen. 
Allmähliche Progression der Erscheinungen. Die Untersuchung ergiebt keine Hirn¬ 
nervenerscheinungen, der Kopf liegt, nach vom gesunken, dem Brustbein an, kann 
wegen hochgradiger Schwäche der Nackenmuskulatur nicht gehoben werden. Com- 
pletter Schwund der Muskulatur neben der Halswirbelsäule. Steraocleidomastoidei 
fast vollständig geschwunden, die Schulterblätter nach vorn gesunken, die ganze 
Schultergürtelmuskulatur hochgradig atrophisch, in ihr vereinzelte fibrilläre Zuckungen. 
Keine Atrophieen im Bereiche des Vorderarms, die Handmuskulatur ist sehr gut 
entwickelt Nirgends am ganzen Körper Muskelhypertrophieen. Die Beweglichkeit 
im Schultergelenk hochgradig eingeschränkt, im Ellbogen-, in Hand- und Finger¬ 
gelenken nicht eingeschränkt. Starke Kyphose der Brustwirbelsäule. An den unteren 
Extremitäten hochgradige Schwäche, aber keine Muskelatrophieen; Patellarreflex sehr 
gesteigert, Fussclonus. Biceps- und Tricepsrefiex kaum auslösbar. Keine Störungen 
im Bereiche der sensiblen Sphäre, keine Blasen-Mastdarmstörung. Die elektrische 
Untersuchung zeigt alle Abstufungen von einfacher Herabsetzung bis zum vollständigen 
Schwund der Reaction im Bereiche der atrophischen Muskeln, keine Entartungs- 
reaction. Vortr. spricht diesen Fall als spinalen an und würde ihn am ehesten als 
chronische Poliomyelitis auffassen. 

Der 2. Fall betrifft einen 24jährigen, ebenfalls nicht belasteten Arbeiter (Seiden¬ 
weber). Beginn der Erkrankung vor 4 Jahren, angeblich nach Ueberanstrengung 
beim Arbeiten (16—18stündige Arbeit täglich). Zuerst trat Schwäche in den Beinen 
auf, welche besonders bei der Arbeit in Anspruch genommen waren, dann Schwäche 
in den oberen Extremitäten mit allmählicher Progredienz der Erscheinungen. 

Die Hiranerven sind vollkommen frei. Die ganze Halsmuskulatur, besonders 
die Stornocleidomastoidei stark hypertrophisch, die eigentliche Schultergürtelmuskulatur 
äusserst dürftig entwickelt, ebenso die Muskulatur beider Oberarme ohne bestimmte 
Bevorzugung einzelner Muskeln. Vorderarm und Hand relativ gut entwickelt. Die 
Muskelatrophie betrifft auch die Rückenmuskulatur, besonders stark aber die des 
Beckengürtels. An den unteren Extremitäten sonst kein Muskelschwund; der Patellar¬ 
reflex eben auslösbar, ebenso Biceps- und Tricepsrefiex. Im Bereiche der atrophischen 
Muskulatur bemerkte Vortr. schon seit Monaten häufige fibrilläre Zuckungen. Die 
elektrische Untersuchung ergiebt in den atrophischen Muskeln einfache Herabsetzung 
der elektrischen Erregbarkeit; im Bereiche des M. supraspinatus sind die Zuckungen 
träge und wurmförmig, aber die KSZ überwiegt. Die Sensibilität am ganzen Körper 
in allen Qualitäten intact. Gang ziemlich gut, typisches Emporklettem des Kranken 
an sich selbst. 

Eine Excision aus dem atrophischen rechten Deltoides ergab, dass der Muskel 
nahezu vollständig von Fettwucherungen durchsetzt war. Die histologische Unter¬ 
suchung des excidirten Stückchens zeigte auffallende Grössenunterschiede der Muskel¬ 
fasern, sehr viele atrophische, wenige hypertrophische Elemente, sehr bedeutende 
Kernvermehrung, aber ohne Anhäufung um die Gefässe. 

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Vortr. betont, dass in diesem Falle die Muskelknospen intact gefunden wurden 
und erörtert die Bedeutung dieses Befundes fOr die in Bede stehende Affection. 
Trotz der fibrillären Zuckungen und der Veränderungen der elektrischen Erregbarkeit 
betrachtet Vortr. den Fall als Dystrophia musculorum. 


Sitzung vom 20. April 1898. 

(Wiener klin. Wochenschr. 1898. Nr. 19.) 

Sorgo demonstrirt Präparate von Ganglienzellen des Rückenmarks mit 
Färbung der Nissl’schen Granulationen naoh einem neuen Verfahren. 

Vortr. hat gemeinsam mit Luitlen das Unna’sche polychrome Methylenblau 
zur Qranulationsfärbung verwendet, und zwar in folgender Weise: Färbung der Schnitte 
durch 24 Stunden in der Farblösung bei Zimmertemperatur und durch kurzes Er* 
hitzen der Flüssigkeit bis zum Aufsteigen von Dämpfen, und verdünnte Glycerin- 
Aethermischung von Unna bis zur deutlichen Differenzirung, Uebertragen in absoluten 
Alkohol. Die Differenzirung erfolgt in */ 4 — 1 / 2 Minute und wird am besten am 
Objectträger vorgenommen. Aufhellung im Origanumöl. 

Die Färbung hat den grossen Vortheil, dass die Darstellung der Nissl’schen 
Granula nach jeder der gebräuchlichen Härtungsmethoden, auch nach Härtung in 
Müll er’scher Flüssigkeit, möglich ist; in letzterer können die Präparate 6—8 Wochen 
verbleiben. Ist die Zerkleinerung derselben eine genügende, wird die Flüssigkeit 
öfter gewechselt und findet vor der Weiterhärtung in Alkohol ein gründliches Aus* 
wässern statt, so lässt sich die normale, wie die pathologische Structur der Ganglien¬ 
zellen ebenso deutlich wie an Alkoholpräparaten zur Anschauung bringen. An ge* 
chromten Schnitten färben sich ausser den Zellen auch das Bindegewebe und dessen 
Kerne, sowie die Axencylinder. Die Einbettung erfolgt in Celloidin. Die Schnitte 
müssen möglichst dünn sein. 

Zapp er t sieht den Hauptwerth der Methode in der Möglichkeit, nach vor¬ 
heriger Härtung in Müller’scher Flüssigkeit Ganglienzellenpräparate mit Nissl’sehen 
Granulationen zu erhalten. Er frägt, ob nicht durch die Chromhärtung die Ganglien¬ 
zellen Veränderungen erfahren, welche leicht zu scheinbar pathologischen Bildern 
führen. 

Vortr. bemerkt, dass er Controlluntersuchungen vorgenommen habe, welche dar- 
gethan haben, dass sein Verfahren zuverlässig sei. Bei Vorhärtung in Müller’scher 
Flüssigkeit empfehle es sich, immer mit polychromem Methylenblau und nicht nach 
der von Nissl angegebenen Methode zu färben. 

Kienböck demonstrirt eine grosse Zahl von Röntgen-Photographieen, unter 
anderen die Hand eines Akromegalen mit Verlängerung und Verdickung aller 
Knochen, eine weibliche Hand mit Asteoarthropathie hypertrophiante, bei 
welcher man besonders deutlich sieht, dass die Verdickungen durch Weichtheile- 
verdichtung entstanden sind. Photographieen von Händen Syringomyelitischer 
ohne wesentliche Verknöcherungen bei hochgradigen Veränderungen der Weichtbeile. 

Sitzung vom 27. April 1898. 

(Wiener klin. Wochenschr. 1898. Nr. 19.) 

M. Sternberg: Ueber einige Beziehungen zwischen Neurosen und 
örtliohen Erkrankungen. (Erscheint ausführlich.) 

v. Basch macht auf eine von ihm seit Jahren besonders bei Hysterischen 
beobachtete Bespirationsnenrose aufmerksam. Die Kranken klagen über Athem- 
noth ohne subjectiven Grund. 

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Die Athmung ist sehr seicht und oberflächlich und wird zeitweilig durch einen 
tieferen Athemzug unterbrochen; es kann sich dadurch leicht Dyspnoe einstellen. 

H. Schlesinger (Wien). 


K. k. Gesellschaft der Aerzte in Wien. 

Sitzung vom 21. Januar 1898. 

(Wiener med. Wochenschr. 1898. Nr. 4.) 

v. Friedländer und H. Schlesinger demonstriren einen Fall von operirtem 
und geheiltem Hirntumor; derselbe war ein Gumma der Dura mater. Die 
Vortr. sprechen Aber die Indicationen zum chirurgischen Eingriffe bei Hirn* 
Syphilis. (Der Fall wird in extenso in den „Mittheilungen aus den Grenzgebieten 
der Medicin und Chirurgie" publicirt.) 

Ferner demonstrirt H. Schlesinger einen zweiten Fall, bei welchem vor 
8 Jahren ein Hirntumor operativ entfernt worden war. Der jetzt ca. 35 jährige 
Kranke acquirirte nach mehrfachen schweren Kopftraumen eine Jackson'sche 
Epilepsie im 17. Lebensjahre, die auf Brommedication 6 Jahre lang cessirte. Dann 
neuerliches Auftreten derselben mit Zunahme der Zahl der Anfälle, welche stets mit 
Beugekrämpfen der linken oberen Extremität begannen. Allmählich Parese der linken 
Körperhälfte, am linken Scheitelbein eine empfindliche Stelle. Die seiner Zeit von 
Prof. Albert vorgenommene Operation zeigte, dass, wie im ersten vorgestellten Falle, 
eine sehr bedeutende Knochenverdickung bestand. Entfernung eines wallnussgrossen, 
schwieligen Duraltumors, Hirnprolaps. Die nach einem Monate wieder anftretenden 
Krampfanfälle schwinden nach Abtragung des Prolapses vollkommen. 

Gegenwärtig besteht Parese des linken Beines und des linken Armes, namentlich 
der Finger. Die Sensibilität ist in allen Qualitäten mit Ausnahme der BerOhrungs* 
empfindung auf der linken Körperhälfte herabgesetzt. Besonders an den distalen 
Theilen der linken oberen Extremität Schmerz* und Temperatur* sowie Muskelsinn 
geschädigt Localisationsvermögen links hochgradig gestört; cerebellare Ataxie der 
linken oberen Extremität, Sehnenreflexe sehr gesteigert. 

Vortr. betont, dass man bei Abtragung von Duraltumoren entgegen der Vor¬ 
schrift mehrerer Chirurgen die angrenzenden Rindenschichten möglichst schonen soli, 
um dauernde Lähmung wenigstens in einem Theile der Fälle zu vermeiden. 

Ferner berichtet der Vortr. Ober einen dritten Fall von operirtem Hirntumor. 
Ueber denselben ist bereits (Neurolog. Centralbl. 1895. S. 702) referirt. 

Der weitere Verlauf des Falles ist folgender: Der temporäre Erfolg, welcher 
nach Eröffnung des Schädeldaches sich eingestellt hatte, blieb noch durch mehrere 
Monate erhalten. Pat. konnte das Spital verlassen und seinem Berufe nachgehen, 
die Lähmungen gingen bis zu einem gewissen Grade zurück. Der Kopfschmerz 
schwand vollständig, die Stauungspapille bildete sich zurück; dann trat neuerlich 
eine rapide Verschlimmerung des Zustandes auf, die Lähmungen steigerten sich 
wieder, der Kranke wurde benommen und ging einige Wochen, nachdem die Symptome 
sich verschlimmert hatten, zu gründe. Da bei der elektrischen Reizung der Hirn¬ 
rinde die gleiche Körperhälfte gezuckt hatte, war angenommen worden, dass ein so 
mächtiger Tumor vorliege, dass die Pyramidenbahnen vollständig unterbrochen wären 
und die contralaterale Hemisphäre durch starke Stromschleifen gereizt werde. 

Die Nekroskopie zeigte, dass die ganze rechte Hemisphäre durch ein riesiges 
Gliosarcom ersetzt war, welches auch die ganzen Rindenabschnitte in der Gegend, 
der Centralwindungen infiltrirt hatte. Die mikroskopische Untersuchung zeigte eine 

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absteigende Degeneration, nur war das absteigend degenerirte Areale unterhalb der 
Pyramidenkreuzung im Pyramidenseitenstrage kleiner als in der Norm. Die Pyramiden- 
krenznng war gut entwickelt. 


Sitzung vom 4. März 1898. 

(Wiener klin. Wochenschr. 1898. Nr. 10.) 

A. Biedl demonstrirt zwei Gebirnpräparate, welche die Ansicht Spina’s be¬ 
weisen sollen, dass in den Gebieten des verlängerten und des Halsmarkes ein vaso- 
oonstriotorisohes Centrum für die cerebralen Qefässe gelegen sei. Die 
Zerstörung dieser Centren hat bei gleichzeitiger mächtiger Blutdrucksteigerung (z. B. 
durch Injection von Nebennierenextract) eine starke Ueberfüllung des Gehirns mit 
Blut zur Folge, durch welche blosgelegte Himtheile sich röthen und ihr Volumen 
derart vergrössern, dass dieselben aus einer kflnstlich angebrachten Oeffnung im 
Schädel mächtig hervorquellen. Eines der demonstrirten Präparate entstammte einem 
Versuche, in welchem an einem schwach curarisirten Thiere nach Setzung einer 
Trepanlücke am Schädeldach eine Durchtrennung der Medulla oblongata vorgenommen 
und Nebennierenextract injicirt worden war. In der folgenden Minute gelangte unter 
den Augen der Beobachter eine kugelige Hervorwölbung zur Entwickelung, welche 
am Präparate fixirt wurde. 

Das zweite Präparat ist das Gehirn eines ungefähr gleich grossen und gleich* 
alterigen Hundes, welches in allen Dimensionen bedeutend grösser ist als früher; die 
einzelnen Gyri sind um Vieles breiter, das ganze Gehirn dunkelbraunroth gefärbt, 
mit Blut imbibirt Bei diesem Versuche wurde das Schädeldach vollkommen ent¬ 
fernt, die Dura eröffnet und abgetragen, so dass die nach Zerstörung des Vaso- 
constrictorencentrums und der folgenden Blutdrucksteigerung eingetretene Volums¬ 
vermehrung im ganzen Gehirn in Erscheinung treten konnte. Die Ursache der 
Volumsvermehrung ist in der starken Hyperämie und in den Blutungen in die 
Gehirnmasse gelegen. 

B. Hitschmann stellt einen Kranken mit einseitiger neurotisoher Sehnerven- 
atrophie, Infraorbitalneuralgie und subjectiven Ohrgeräuschen in Folge 
eines Aneurysma oirsoideum vor. 

Der 66jährige Kranke bemerkte seit 2 Jahren Abnahme des Sehvermögens am 
rechten Auge. Die Untersuchung ergab neurotische Atrophie des rechten Sehnerven 
und das Vorhandensein eines Angioma arteriosum racemosum der Schädeldecken von 
sehr bedeutendem Umfange; über die Ursachen der Entstehung desselben ist nichts 
zu ermitteln. 3—4 Monate vor dem Anfänge der Sehstörung trat Ohrensausen von 
rythmischem Charakter am rechten Ohre auf; normaler Ohrbefund. Gleichzeitig mit 
den Ohrgeräuschen traten Schmerzen im rechten Unterkiefer, dann im rechten Ober¬ 
kiefer auf, die anfallsweise kommen und blitzartigen Charakter haben. Nur ganz 
geringe Sensibilitätsstörungen im Bereiche des rechten Trigeminus, keine Druck¬ 
empfindlichkeit desselben; sonst keine Hirnnervenerscheinungen. 

Vortr. meint, dass sich die ganzen Erscheinungen durch Gefässveränderungen 
im Bamificationsgebiete der Carotis externa genügend erklären lassen (Affection des 
Sehnerven und des N. infraorbitalis durch Druck seitens der erweiterten A. infra- 
orbitalis, das rythmische Geräusch durch aneurysmatische Erweiterung der A. auri- 
cularis profunda und der A. tympanica. 

H. Schlesinger (Wien). 


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IV. Vermischtes. 

Za der am 22 . und 23. October d. J. in Dresden stattflndenden IV. Ver¬ 
sammlung mitteldeutscher Psychiater und Neurologen beehren sieh die Unter¬ 
zeichneten Geschäftsführer ergebenst einzuladen. 

Sonnabend, den 22. October, von 8 Uhr Abends an: Gesellige Vereinigung im „Hötel 
du Nord“. 

Sonntag, den 23. October: I. Sitzung: 9 Uhr Vormittags; IL Sitzung: 1 Uhr Nach¬ 
mittags, beide im Sitzungssaale des Königl. Landes-Medicinal-Collegium, Zeughausplatz S, I. 

Gemeinsames Mahl: 4 1 /* Uhr Nachmittags im „Europäischen Hof“. 

Tages-Ordnung: 

1. Herr Weber (Sonnenstein): Ueber die Aufnahme von Bestimmungen über ver¬ 
minderte Zurechnungsfähigkeit ins Strafgesetzbuch. — 2. Herr Windscheid (Leipzig): Das 
Vorkommen und die Bedeutung der sogenannten Ovarie. — 3. Herr Vogt (Berlin): Zur 
Psychopathologie der Hysterie. — 4. Herr Oppenheim (Berlin): Nervenkrankheit und 
Lectüre. — 5. Herr Mucha (Lindenhof): Bemerkungen zur Lehre von der Katatonie. — 
6. Herr Banniger (Sonnenstein): Ueber Sprachstörungen bei Katatonie. — 7. Herr Möbius 
(Leipzig): Ueber die Operation bei Morbus Basedowii. — 8. Herr Friedländer (Jena): 
Neue Erfahrungen über die Anwendung von Bakteriengiften bei Psychosen. — 9. HerrMar- 
guliös (Prag): Ueber die sogenannte Pseudodipsomanie Legrain's. — 10. Herr Näcke 
(Hubertusburg): Die sexuellen Perversitäten in der Irrenanstalt. —- 11. Herr IIborg (Sonnen¬ 
stein): Hirngewichtsveränderungen bei Dementia paralytica. —12. Herr Lührmann (Dresden): 
Die Vortäuschung verschiedener Krankheiten durch Hysterie. — 13. Herr Strubeil (Jena): 
Syphyiis und Sarcom der Bückenmarkshänte. — Herr Ganser (Dresden): Ueber neura- 
sthenische Geistesstörung. 

Es ist erwünscht, dass die Vorträge nicht über je 20 Minuten, die Bemerkungen in der 
Besprechung nicht über je 5 Minuten dauern. 

Anmeldungen zu weiteren Vorträgen werden baldigst, Anmeldungen zur Theilnahme 
am gemeinsamen Mahle (Gedeck 4 Mark) werden bis zum 20. d. Mts. an den I. Geschäfts¬ 
führer [Ganser (Dresden)] erbeten. Die Herren Theilnehmer werden in der Lage sein, die 
Abendschnellzüge in der Richtung Berlin (7 Uhr 8 Min.) und Leipzig (7 Uhr 18 Min) zu be¬ 
nutzen. 

Als Absteigequartiere werden empfohlen: Europäischer Hof, Union-Hötel, Hötel Con¬ 
tinental, Hötel du Nord, Kaiser Wilhelm-Hotel, Stadt Gotha. 

Um Weiterverbreitung dieser Einladung wird gebeten. — Gäste sind willkommen. 

Dresden, im October 1898. 

Die Geschäftsführer: 

Ganser (Dresden). Pierson (Lindenhof). 


V. Personalien. 

Unser verehrter Mitarbeiter Herr Dr. Lewald, bisher leitender Arzt der Anstalt zn 
Kowanöwko, hat am 1. October d. J. die Leitung der von ihm erworbenen Heil- nnd Pflege- 
Anstalt für Nerven- nnd Gemfitbskranke in Obernigk bei Breslau übernommen. 


VL Berichtigung. 

In Nr. 19 d. Centralbl., S. 894, Zeile 22 von oben, liess: „fächerartig“ statt fnrchen- 
artig; Zeile 29 von oben lies: „Minuten“ statt Monate. 


Um Einsendung von Separatabdrücken an den Heraasgeber wird gebeten. 

Einsendungen für die ßedaction sind zn richten an Prof. Dr. E. Mendel, 
Berlin, NW. Schiffbanerdamm 18. 

Verlag von Veit & Comp, in Leipzig. — Druck von Mktzoeb & Wittio in Leipzig. 


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Neurologisches Centralblatt. 

Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie 
und Therapie des Nervensystems einschliesslich der Geisteskrankheiten. 

Herausgegeben von 

Professor Dr. E. Mendel 

Siebzehnter ” B * rUn ‘ Jahrgang. 

Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 24 Mark. Zn beziehen durch 
alle Buchhandlungen des In- und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie 

direct von der Verlagsbuchhandlung. 

1898. 1. November. Nr. 21. 


Inhalt: I. Originalmitthellungen. 1 . Neue Untersuchungen über die Markbildung in 
den menschlichen Grosshirnlappen, von Prof. Dr. Paul Flechsig. 2. Die Reifung der Leitungs¬ 
bahnen im Thiergehirn, von Dr. DtMIken. 3. Die Phylogenese des Pyramidenvorderstranges, 
von Dr. G. Bikeles. 

II. Referate. Anatomie. 1. Ueber die Stirnnaht und den Stirnfontanellknoohen beim 
Menschen, von Springer. 2. Contributo allo studio anatomo-fisiologico dei centri dei nervi 
oculomotori dell’ uomo, per Panegrossi. 3. Contributo allo studio dei nucleo dei n. faciale 
dell uomo, per Pardo. — Experimentelle Physiologie. 4. Beiträge zur Kenntniss der 
Lymphcirculation in der Grosshirnrinde, von Blnswanger und Berger. 5. Ueber tetanus¬ 
antitoxische Eigenschaften des normalen Centralnervensystems, von Wassermann und Takdki. 
6. Ueber die psychischen Wirkungen des Hungers, von Weigandt. — Pathologie des 
Nervensystems. 7. Om propagation med nervus opticus af Sarkomes, opstaede indenfor 
bulbus oculi, af Meisling. 8 . Een geval van spheno-lordose ten gevolge van kunstmatige 
schedelmisvorming. Akad. proefschr. door Folmer. 9. Ein experimenteller Beitrag zur Frage 
der peripheren degenerativen Neuritis bei Tuberculose, von Hammer. 10. Zur Lehre von der 

f ichtischeu Neuritis, von Epstein. 11. Pressure neuritis caused during surgical operations, 
y Pershing. 12. Ueber einen in ätiologischer Beziehung unklaren Fall von Polyneuritis 
cnronica mit spinalen Veränderungen, von Winkler. 13. The diagnosis and treatament of 
multiple neuritis, by Allen. 14. Rückenmarksveränderungen bei multipler Neuritis der Trinker, 
von Heilbronner. 15. Ueber Neuritis gonorrhoica, von Naunyn. 16. Ueber alkoholische Para¬ 
lyse und infectiöse Neuritis multiplex, von Tlllng. 17. Die Beri-Beri-Krankheit, yon Dinklar. 
18. Ein Fall von Lepra anaesthetica mit Sectionsbefund, von Samgin. 19. Zur Lehre von 
der Lepra; Contagion und Heredität, von Düring. 20. Ueber die Behandlung der Lepra auf 
den Fidschi-Inseln, von Lewln. 

III. Aus den Gesellschaften. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte zu 
Düsseldorf am 19. und 20. September 1898. 

IV. Bibliographie. Allgemeine Elektrotherapie, von Dr. Leopold Laquer. 

V. Mittheilung an don Herausgeber. — VI. Vermischtes. 


I. Origmalmittheilungen. 


1. Neue Untersuchungen über die Markbildung in den 
menschlichen Grosshirnlappen. 


Von Prof. Dr. Paul Flechsig. 


Ich habe durch Untersuchung einer grösseren Anzahl früher von mir nicht 
berücksichtigter Entwickelungsstadien einen beträchtlichen Theil der Lücken aus- 
füllen können, welche in Bezug auf den zeitlich-örtlichen Gang der Markscheiden- 

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bildung noch verblieben waren und verfüge nunmehr über Befunde an 48 Hemi¬ 
sphären, welche insgesammt 28 Gehirnen angehören. Es sind fast alle Alters¬ 
stufen vertreten, vom 7 monatlichen Fötus bis zum 1 1 / 4 Jahre alten Kinde. Die 
hierbei zum Theil neu gewonnenen Resultate sind folgende: 

1. Die Entwickelung der Markscheiden folgt in den Grosshirnlappen in 
räumlich-zeitlicher Hinsicht denselben allgemeinen Gesetzen, wie in Rückenmark, 
Oblongata, Kleinhirn, Mittelhirn. 1 

2. Das Fundamentalgesetz lässt sich etwa so formuliren, dass gleichwerthige 
Fasern annähernd gleichzeitig Markscheiden erhalten (nur mit der Einschränkung, 
dass Collateralen ausnahmslos später sich entwickeln als die Stammfasern), ver- 
schiedenwerthige Systeme in gesetzmässiger Reihenfolge sich ausbilden. 

3. Hieraus geht hervor, dass Fasersysteme, welche zeitlich grosse Unter¬ 
schiede zeigen (z. B. Radiärfasern der 2. Parietalwindung [29, Fig. 1] und der 
hinteren Centralwindung um 3 Monate und mehr) nicht von übereinstimmender 
Bedeutung sein können. 

4. Das Fundamentalgesetz tritt am schärfsten hervor an Frühgeburten, 
welche relativ lange Zeit gelebt haben, z. B. 7monatlichen Föten, welche 1 bis 
2 Monate alt geworden sind. 

Hier tritt auch der anatomische Charakter der sich sondernden Faserzüge 
am deutlichsten in die Erscheinung, deutlicher als bei reifen todtgeborenen 
Früchten. 

Meine bisherigen Mittheilungen über die Sinnesleitungen gründen sich ganz 
wesentlich auf die Untersuchung von Frühgeburten mit längerer Lebensdauer. 3 

5. Die Neubildung in den Grosshimlappen beginnt 2*/,—3 Monate vor 
der normalen Geburt, bezw. vor der Reife. Die ersten Systeme sind die 
„Schleifenstrahlung“ und der Tractus olfactorius, also zweifellos sensible 
Leitungen; zerstreute markhaltige Fasern finden sich daneben nirgends in 
den Grosshirnlappen. 

Untersucht man ältere Früchte, so kann man leicht zu der Ansicht ge¬ 
langen, dass auch Associationsfasem sich gleichzeitig mit jenen Projectionsfasern 


1 Dieser Satz ist eigentlich selbstverständlich; ich hebe ihn hier nnr hervor, weil man 
neuerdings von verschiedenen Seiten her den Versnch gemacht hat, den Ablauf des Processes 
als regellos hinzostellen. Ungenügendes (wichtige Entwickelongsstadien nicht enthaltendes) 
Material, schlechte Präparate und Unfähigkeit, sich im verwickelten Ban des Hirns zurecht- 
zufinden, nicht aber Oesetzlosigkeit der Natur sind die eigentlichen Ursachen solcher An¬ 
schauungen. 

1 Es liegt hier offenbar das Gegenstück zu den GcDDBN’schen Experimenten vor, die 
Sinnesorgane neugeborener Thiere ausser Function zu setzen und hierdurch die Entwickelung 
der zugehörigen Leitungsbahnen zu hemmen. Vorzeitige Function wirkt demgegenüber 
besonders stark beschleunigend — soweit ich sehe — im Wesentlichen auf die eigentlichen 
Sinnesleitungen (ProjectionsBysteme), nicht bo sehr auf die Associationssysteme. Ich habe 
solcher Frühgeburten im Ganzen 10 untersucht, wovon 5 im Alter von 7—7 */* Monaten, 1 
von 8 ’/,, 1 von 9 1 /, und 3, welche ohne specielle Angabe des Alters einfach als „Früh¬ 
geburten“ bezeichnet sind — reifgeborene Kinder im Alter von 4 Tagen bis zu 2 Monaten 7, 
über 2 Monate bis l 1 /« Jahr 11. 

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Original frum 

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entwickeln. Bei sorgfältiger Berücksichtigung des Alters kann ein solcher Irr- 
thnm nicht aufkommen; er beruht auf leicht vermeidlichen Beobachtungsfehlem. 

Die Markentwickelung in der Binde beschränkt sich von vorn¬ 
herein auf ganz distincte Stellen; die übrigen Abschnitte sind ganz 
frei, auch von ganz vereinzelt verlanfenden markhaltigen Fasern. Das 
Weiterschreiten erfolgt felder- bezw. bündelweise. 

6. Die Rinde zerfällt so entwickelungsgeschichtlich in eine grosse Anzahl 
besonderer Zonen, welche ich hinfort als „entwickelungsgeschichtliche 
Rindenfelder“ bezeichnen werde. Es sind transitorische Erscheinungen von 
dauernder Bedeutung; jedes Feld ist durch eine besondere Entwickelungszeit 
seiner Nervenfasern ausgezeichnet und jedem einzelnen kommen Besonderheiten 
in Bezug auf die leitenden Verbindungen zu. 

Die Zahl dieser Felder ist weit grösser als ich früher annahm, 
die Gliederung der Rinde eine viel feinere, die örtlichen Unterschiede viel zahl¬ 
reicher. 


Ich unterscheide jetzt vierzig entwickelungsgeschichtliche Rindenfelder, 
während ich früher nur 9 (5 Sinnes- und 4 Associationscentren) nachweisen 
konnte. Die Vermehrung ist hauptsächlich bedingt durch eine weitere Zer¬ 
legung meiner Associationscentren und das Auffinden zweier weiterer 
Sinnescentren. Ich halte aber die Zahl 40 noch nicht für definitiv, da es sich 
nothwendig erweisen könnte, gelegentlich mehrere zusammenzulegen, bezw. neue 
abzugrenzen. So lange ich hierfür triftige Gründe nicht habe, verbleibe ich 
zunächst bei dieser Zahl, welche sich aus den Untersuchungen unmittelbar er¬ 
geben hat. Offenbar ist der Reichthum der inneren Gliederung viel grösser, als 
man es sich bisher überhaupt vorgestellt hat. 

Der Hirn-Anatomie ist mit diesen Feldern ein fester Halt für weitere Unter¬ 
suchungen gegeben, da es sich, wenigstens zumeist, um natürliche, nicht künst 
liehe Trennungen handelt Für einen Theil derselben lässt sich schon jetzt 
die Bedeutung als besondere Functionsgebiete nachweisen, wie ein Blick auf 
Figg. 1 und 2 zeigt Deckt sich doch Feld Nr. 1 mit der motorischen Zone 
Chaecot’s, Feld Nr. 5 mit der Sehsphäre, wie sie Vialet richtig abgegrenzt 
hat, u. A. m. Von allen Feldern ist die Eigenschaft als besondere Functions¬ 
gebiete der Rinde, als Rindenorgane (etwa gar im Sinne Galu’s) nicht zu er¬ 
weisen; wenn hierfür überhaupt die Zahl derselben verdächtig gross erscheint, 
so muss doch betont werden, dass weitaus die meisten Grenzlinien, welche Figg. 1 
und 2 andeuten, als typische fötale Markgrenzen, d. h. als Grenzlinien markhaltiger 
und zeitweilig markloser Gebiete aufzufassen sind, welche nicht rein zufällige 
einmalige Befunde darstellen, sondern über eine gewisse Entwickelungsperiode 
persistiren. Jedenfalls hat vorläufig die grosse Zahl den Nutzen, den Gang der 
Markentwickelung bis ins Einzelne darzustellen,, während die von mir früher 
abgegrenzten Associationscentren zu umfänglich sind, um hier klare Vorstellungen 
zu gewähren. Auch macht eine nähere Untersuchung der Säugethierhirne, ins¬ 
besondere mittelst der successiven Markbildung (vgl. unten die betreffenden 
Mittheilungen des Herrn Dr. Döllken), es sehr wahrscheinlich, dass die Rinden- 


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Original frem 

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felder, mit wenigen klar nachweisbaren Ausnahmen, in der Thierreihe (phylo¬ 
genetisch) successiv hervortreten in derselben Reihenfolge wie am menschlichen 







Fig. 1 menschliches Gehirn von aussen, Fig. 2 von innen unten. Die Nummern bezeichnen 
die Reihenfolge, in welcher die Rinde niarkhaltige Faserbündel in geschlossener oder mehr 
zerstreuter Form erkennen lässt. Die Buchstaben dienen zur Markirung besonderer Ab¬ 
schnitte in ein und demselben Feld, über deren Bedeutung erst mein ausführliches Werk 
Mittheilungen bringen wird. Nr. 26, 26\ 26 b bilden ein einziges „Rindenfeld“, des¬ 
gleichen Nr. 33, 33 b u. s. w. 



981 


Fötus und Neugeborenen. Hier erschliesst sich der vergleichenden Anatomie 
ein Feld, welches an Fruchtbarkeit, wie mir scheint, mit jeder anderen Methode 
wetteifern bann. 

Ich theile die Felder nach der Entwickelungszeit in drei Gruppen ein; 
diese Gruppen gehen in einander über und bilden streng genommen eine Reihe, 
da grössere Pausen zwischen Gruppe 1 und 2, 2 und 3 nicht nachweisbar sind. 
Die Eintheilung ist besonders vergleichend anatomisch von grossem Interesse. 

a) Primordialgebiete, schon vor der Reife sich regelmässig ausbildend 
(1—8, Figg. 1 und 2). 

b) Intermediärgebiete, bis 1 Monat nach der völlig reifen Geburt mit 
der Markentwickelung beginnend (9—32). 

c) Terminalgebiete, später als 1 Monat nach der normalen Geburt 
Mark bildend (33—40). 

Die Primordialgebiete decken sich sämmtlich mit Sinnescentren meiner 
älteren Eintheilung. Die Terminalgebiete ausschliesslich mit Theilen (den Central¬ 
gebieten) meiner Associationscentren. Die intermediären Gebiete sind theils 
Sinnescentren, theils Associationscentren. 

Die Marlibildung in den Terminalgebieten setzt 47 2 —4 Monate später 
ein 1 , als die in den Primordialgebieten. Die letzteren sind schon überwiegend 
markhaltig, bevor in den Terminalgebieten auch nur eine 8 markhaltige Faser 
nachweisbar ist. 

Die Sinnescentren zerfallen also in primordiale und secundäre. 

1 Abgesehen von pathologischen EntwickelongsVerhältnissen, worüber in der Folge 
mehr. Gesetzmässige Beziehungen lassen sich natargemäss nur an einer grossen Reihe 
gleichaltriger Individuen gewinnen. Ich bin in der glücklichen Lage, z. B. über 3 annähernd 
gleichentwickelte Frühgeburten von etwa 7 */* Monat und vier 7 Wochen alt gewordene reif- 
geborene! Individuen zu verfügen, und es zeigen sich hier Variationen von weittragender 
Bedeutung. 

* Ich habe die ersten markhaltigen Fasern in den Terminalgebieten Nr. 38—10 bei 
7 Wochen alt gewordenen, angeblich reifgeborenen Kindern gefunden. Wenn Herr 
Siembülinq (nach dem Referat in der letzten Nummer d. Centralbl. S. 962) behauptet, in 
den Verstandescentren seien schon von vornherein eine respectable Menge von Projections- 
fasern nachweisbar, so ist dies eine so plumpe Entstellung des Thatbestandes, dass ich sie 
kaum noch mit einer äusserst flüchtigen Untersuchung und mangelnder Orientirungsfähigkeit 
in Zusammenhang bringen kann. Von meinen Gehirnen zeigen die 6 jüngsten ausnahmslos 
in lückenlosen gutgefärbten S^hnittreihen auch nicht eine einzige markhaltige Faser, 
geschweige denn „Projectionsfasern in respectabler Menge“ ausserhalb der Primordialgebiete. 
Nackte Axencylinder sind hier natürlich schon lange vorher angelegt, aber um diese handelt es 
sich ja gar nicht. Nach dem Beferat zu schliessen, beginnen Sikmebling’s Untersuchungen mit 
einer Entwickelungsstufe, welche etwa 27 a —2 Monat nach Beginn der Markbildung im 
Stabkranz erreicht wird. Alle Anfangsstadien hat er demnach ausser Acht gelassen, alle 
die Stadien, wo über den Charakter der markhaltigen Fasern (als centripetale Projections¬ 
fasern) ein Zweifel gar nicht aufkommen kann. Oder sind nach Herrn Sieheblinq etwa 
der Tractus olfactorius und die Schleifenbahn auch „vielleicht“ nur Projectionssysteme? 
Ich würde mich nicht wundern, auch einen solchen Ausspruch von ihm zu hören; denn 
falls das Beferat richtig ist, stehen seine Anschauungen über den Hirnbau keinesfalls 
auf einer höheren Stufe. Wie mag wohl ein Intellect beschaffen sein, der sich naoh den 
Vorstellungen des Herrn Sibmkkung entwickelt? 

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Primordiale Sinnescentren sind: die Centralwindnngen (besonders die hin¬ 
tere), die Lippen der Fissura calcarina und die 1. Occipitalwindung, Gyrus 
uncinatus und innere Riechwindung, Ammonshorn, Subiculum cornu Ammonis, 
Gyrus fornicatus (besonders das mittlere Drittel) und die Querwindungen des 
Schläfenlappens. 

Terminalgebiete unterscheide ich ebenfalls acht; sie vertheilen sich ins¬ 
besondere auf die 1. und 2. Stirnwindung, die untere Parietal Windung, die 2. 
und 3. Schläfenwindung und ein Stück des Gyrus fornicatus. Sie sind die¬ 
jenigen Rindenabschnitte, bezüglich deren das menschliche Gehirn sich am 
meisten von dem der Anthropoiden unterscheidet. Sie sind auch wesentlich 
formbestimmend für den menschlichen Schädel (unter dessen Höckern sie ge¬ 
legen sind). Die 3. Stirnwindung gehört nirgends zu den Terminalgebieten. 

Die Intermediärgebiete entwickeln sich in der Periode zwischen den Pri¬ 
mordial- und Terminalgebieten. Beim reifen Bande sind sie zum Theil bereits 
markhaltig, doch vermisse ich hier ganz regelmässige Befunde, vielleicht nur, 
weil die genaue Altersbestimmung der betreffenden Früchte nicht immer gelang. 
Die zuerst entwickelten Intermediärgebiete sind sämmtlich Sinnescentren („secun- 
däre Sinnescentren“), die späteren nenne ich „Randzonen von Sinnescentren“. 
Letztere liegen immer je einem Sinnescentrum an, mit welchem sie besonders 
innig verknüpft sind, während sie directe Verbindungen mit mehreren Sinnes¬ 
centren nicht sicher erkennen lassen, wenn schon solche nicht sicher aus¬ 
geschlossensind. Projectionsfasem kommen in den Randzonen vereinzelt vor,also 
weit spärlicher als in den Sinnescentren, und sind, wie mir scheint, auch mehr 
individuellen Schwankungen ausgesetzt; die Mehrzahl derselben ist corticofugaler 
Natur. Secundäre Sinnescentren sind der Fuss der 1. Stirnwindimg (Nr. 9), der 
orbitale Theil der 3. Stirnwindung (Nr. 10), der Fuss der 3. Stirn Windung (Nr. 12), 
der Gyrus subangularis (Nr. 13) u. a. Randzonen sind das hintere Drittel der 
1. Temporalwindung (Nr. 23), das vordere Drittel (Nr. 21), Nr. 29, Nr. 22 u.a.m. 

Die 1. Stirn Windung zerfällt in vier entwickelungsgeschichtliche Rinden¬ 
felder, die 3. in drei. In der 3. Stirn Windung bildet die Pars triangularis in 
Bezug auf die Markentwickelung eine von der Pars orbitalis und opercul&ris 
scharf geschiedene Abtheilung; die Pars triangularis gehört zu den spätreifenden 
Intermediärgebieten, die Pars orbitalis schliesst sich den primordialen Sinnes¬ 
centren dicht an. 

Die 2. Parietalwindung zerfällt in 4 Felder, ein vorderstes kleines im Oper- 
culum gelegenes (Nr. 15) secundäres Sinnesoentrum, ein hinteres, den Ueber- 
gang zur 2. Occipitalwindung vermittelndes (Nr. 22), ein dem mittleren Drittel 
der hinteren Centralwindung anliegendes, welches den Gyrus supramarginalis 
grösstentheils bildet (Nr. 29) und das Scheitelhöckerläppchen (Nr. 39). Nur 
letzteres ist Terminalgebiet, doch entwickelt sich auch Nr. 29 erst kurz vor den 
Terminalgebieten. 

Nr. 22 und 29 sind allem Anschein nach im Gyrus angularis niederer 
Affen vorhanden, bei den Anthropoiden, ist nach makroskopischen Vergleichen zu 
schliessen. Nr. 29 sehr erheblich ausgeprägt Nr. 39 hingegen fehlt entweder 


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ganz oder ist nur rudimentär angelegt. Den Uebergaug von Feld Nr. 22 zu 
dem mittleren Theil der 2. Temporalwindung (theils Randzone der Hörsphäre 
Nr. 25) bildet ein Windungsabschnitt (Nr. 33), welchen ich im Gehirn der 
Anthropoiden gleichfalls vermisse. An schlecht entwickelten menschlichen Ge¬ 
hirnen ist derselbe mit dem Gyrus subangularis und der ersten Temporalwin¬ 
dung mehr oder weniger verschmolzen. 1 Da der Gyrus subangularis sich durch 
Eigenthümlichkeiten seines Baues auch beim Chimpansen auffinden lässt, so 
lässt sich auch mikroskopisch die Annahme stützen, dass Nr. 33 den Anthro¬ 
poiden fehlt oder bei ihnen nur ganz rudimentär angelegt ist. Nr. 33 und 39 
sind pathologisch insofern von hohem Interesse, als in allen Fällen reiner Alexie 
(ohne Hemianopsie, also eine reine Associationsstörung) die Rindenverletzungen 
in dieselben hineinragten, oder ausschliesslich auf sie beschränkt waren. 8 Ver- 
muthlich können die Affen schon deshalb nicht eine Sprache bilden, weil sie 
Nr. 33 und 39 nicht besitzen — nach Herrn Webnioke’s Theorie des Hirn¬ 
baues ist nicht abzusehen, weshalb sie der Sprache entbehren. 

Der Praecuneus wird gebildet durch vier Rindenfelder, von welchen nur 
eines Terminalgebiet ist (meist dem Gyrus fornicatus angehörig Nr. 34), die 
übrigen Felder sind Randzonen (Nr. 26 und 31); der vorderste Abschnitt der 
1. Parietalwindung ist individuell wechselnd Sinnessphäre oder Randzone, je nach¬ 
dem der Sulcus calloso-marginalis weiter nach vorn oder hinten in die Mantel¬ 
kante einschneidet Er enthält demgemäss auch bald Riesenzellen, bald nicht 
Die Entwickelungsgesohichte zeigt speciell am Praecuneus, dass die Randzonen 
wie die Terminalgebiete (34*!) an Grösse individuell hochgradig variiren. 

Die Insel zerfallt gleichfalls in vier Felder, von denen eines (Nr. 32) den 
Uebergang der Intermediärgebiete zu den Terminalgebieten bildet; dasselbe liegt 
in der untern Hälfte der Insel mehr nach hinten zu. Von den 'übrigen drei 
ist eines (Nr. l c ) ein Primordialgebiet mit spärlichen Projectionsfasern (dicht 
neben den Centralwindungen gelegen). 

Die Primordialgebiete zeigen jedes eine besondere Structur, so dass ein ge¬ 
übter Beobachter Schnitte aus jedem derselben sicher unterscheiden kann. 8 

Im Entwickelungsgang der Fasern eines Feldes zeigt sich das Gesetz, dass 
die verschiedenen Kategorieen nacheinander in gesetzmässiger Reihenfolge auf- 

1 Am Gehirn von Hblmholtz sind speciell Nr. 39 nnd Nr. 33 ausgezeichnet differenzirt. 
Hier schieben sich zwischen die 1. Schläfenwindung (in welcher aneh die Randzone Nr. 23 
der Hörsphärc sehr gnt ansgebildet ist) und den Gyrus subangnlaris > z wei deutlich ge¬ 
sonderte Windungen ein, während an schlecht entwickelten Hirnen kaum eine deutlich 
nachweisbar ist. Freilich finde ich auch am Gehirn einer einfachen, aber ehemals sehr 
tüchtigen Frau ans dem Volke die doppelte Windnngsanlage angedeutet. 

* Nach einer demnächst zu veröffentlichenden Untersuchung von Salzburg, welcher 
alle bekannten Fälle von Alexie kritisch gesichtet nnd mit einigen neuen Fällen zusammen- 
gestellt hat. In der Mehrzahl der Fälle findet sich neben der Alexie amnestische Aphasie, 
worauf schon Naunyn die Aufmerksamkeit gelenkt hat. 

* Diejenigen, welche immer noch an die Gleichheit der Rindenstructnr in allen Feldern 
glauben (ein Köhlerglaube), möchte ich auf die Bilder verweisen, welche die Rinde z. B. 
eines Hundes oder Kaninchens darbietet, welchem in vivo Methylenblau (nach Sbmi Meter) 
injicirt worden ist (s. u.). 


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treten. In der einen Beihe der Felder beginnen Projectionsfasern sich mit 
Mark zu umhüllen, in der anderen Associationsfasern, so dass man schon daranf- 
hin die Felder in Projections- und Associationscentren scheiden könnte. Ich 
bezeichne die zuerst reifenden Fasern als Primärsysteme 1 und unterscheide von 
ihnen die Secundär-, Tertiär-, Quartärsysteme je nach der Reihenfolge, in wel¬ 
cher sie auftreten. Die Primärsysteme sind bald Projections-, bald Associations- 
(insbesondere Balkenfaser-) Systeme; in keinem Felde vermochte ich bei Unter¬ 
suchung hinreichend früher Perioden die gleichzeitige Entstehung beider Kate- 
gorieen nachzuweisen. 

Die Leitungsrichtung ist mit grosser Sicherheit zu erschlossen ans der 
Entwickelungsrichtung. Die Primärsysteme der Primordialgebiete entwickeln 
sich ausnahmslos von den Stammganglien gegen die Binde, was besonders an 
der primären Sehstrahlung hervortritt, welche z. B. bei einem l 1 /,—2 Monate zu 
früh geborenen Kinde von 12 Tagen extrauterinen Alters nur bis zur Mitte 
zwischen äusserem Kniehöcker und Binde markhaltig ist. In dieser Verfolgung 
der Entwickelungsrichtung ist ein unschätzbares Hülfsmittel für die Bestimmung 
der Leitungsrichtung selbst einzelner Fasern gegeben. 

Alle Primärsysteme der Primordialgebiete sind in Anbetracht 
ihrer Entwickelungsrichtung als corticopetale Leitungen anznsehen. 

In den Terminalgebieten tritt in der Begel an den Rindenfasern Mark zu¬ 
erst in unmittelbarer Nähe der Binde auf. Die Primärsysteme leiten hier also 
corticofugal. Es handelt sich aber keineswegs um motorische Projectionsfasern, 
da solche nirgends primär sich entwickeln, sondern soweit sich wirklich sichere 
Aufschlüsse gewinnen lassen, nur von Bindengebieten auswachsen, bis zu welchen 
sensible bezw. cortico-petale Leitungen markhaltig geworden sind. Es handelt 
sich vielmehr um Balkenfasern, was indess nur an besonderen Schnittebenen 
nachweisbar ist. 

Die entwickelungsgeschichtlichen Bindenfelder sind im Allgemeinen bei der 
Mehrzahl der Individuen in gleicher Vertheilung wiederzufinden. Doch kommen 
individuelle Differenzen vor, deren weitere Verfolgung u. a. wichtige Aufschlüsse 
über die cerebralen Grundlagen der Individualität in Aussicht stellt Von 
Interesse ist besonders, dass die spät entstehenden Intermediär- und Terminal- 
gebiete am meisten variiren, wie insbesondere Feld Nr. 33 und 34*, 37 u. 8. w. 
Hierdurch wird z. B. bedingt, dass man bei einzelnen Individuen zwischen Nr. 23 
und 13 eine ganze Windung von besonderer Entwickelungszeit (d. h. mit aus¬ 
schliesslich spät reifenden Fasern) nicht nachweisen kann, dass sich hier viel¬ 
mehr ausnahmsweise überall zwischen die spät entstehenden Fasern einzelne 
frühreifende einschieben. Im vorderen Stimhirn finden sich mitunter geradezu 
Verwerfungen im geologischen Sinne, so dass z. B. Nr. 40 fast ganz in die 


1 Ich werde in meinem nnter der Presse befindlichen ausführlichen Werke den Versuch 
machen, für die Felder und Faserzüge einfach Nummern und Buchstaben als Bezeichnung 
cinzuführen. Es bedarf ja nur der Verständigung unter den Forschern, um die auf die 
Enwickelungszeit (Nummer in der Entwickelungsfolge) gegründete Zählung zur allgemeinen 
Annahme zu bringen. 


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1. Stirn Windung rückt In der Regel beginnt im Feld Nr. 87 ein Faserbündel 
markhaltig zu werden, welches vom entsprechend dem mit + bezeichnten 
Kreis Fig 2 endet und nach rüokwärts gegen die innere Riechwindung zu ver¬ 
folgen ist (vermuthlich ein Associationssystem der Riechsphäre, welches kurze Zeit 
nach der reifen Geburt markhaltig wird). Vorher gelangen vom Primärsystem 
des Gyrus fomicatus markhaltige Fasern bis an die 1. Stirn Windung, welche 
hier spitzwinklig umbiegen, wie an gutgefärbten Präparaten leicht zu de- 
monstriren ist; ich finde sie besonders deutlich an Frühgeburten (ca. 8 Monate 
alte), welche mindestens 1 Monat gelebt haben. Es ist das zuerst reifende System des 
vorderen Sehhügelstieles (System e meiner Benennung, d. h. das überhaupt an 5. Stelle 
kommende Stabkranzbündel). Das erstgenannnte Associationsbündel und System «. 
vermischen sich gelegentlich, so dass es den Anschein gewinnt, als reichten die 
Fasern von e bis in den Stirnpol — was nur bei ungenauer Untersuchung 
unterläuft In der Folge zeigen sich mannigfaltige Verschiedenheiten dadurch, 
dass ein regelrecht in der Hauptsache zur 3. Stimwindung ziehender Theil des 
vorderen Stieles sich gelegentlich (und zwar rechts eventuell anders als links) 
auf 3. Stirn- und 1. Stimwindung vertheilt — zufällig habe ich eine solche Un¬ 
gleichheit bereits 1876 in meinen Leitungsbahnen Taf. VII, Fig. 9 abgebildet. 
Das eigentlich gesetzmässige Verhalten hier zu finden, fällt keineswegs leicht; 
man muss eben mehrere gleichaltrige Individuen an completen Schnittreihen 
vergleichen — 27 x Fig. 5 bezeichnet die Punkte, welche mitunter gleich¬ 
zeitig mit bezw. kurz vor Nr. 27 Mark erkennen lassen, während der Haupttheil 
von Nr. 37 weit später in die Entwickelung eintritt). 

Die individuellen Variationen steigern sich noch dadurch, dass in einzelnen 
Fällen auch ein wahrer Typus in versus der Markentwickelung auftritt; wäh¬ 
rend bei der Mehrzahl der nicht reifen Kinder im Stabkranz die Sehstrahlung 
weiter fortgeschritten ist als die Hörstrahlung, während hier mehrfach neben 
einer markhaltigen Sehstrahlung eine marklose Hörstrahlung (Strahlung des 
inneren Kniehöckers) gefunden wird, zeigt ein Individuum, welches der Grösse 
des Gehirns nach im letzten Fötalmonat geboren war und 20 Tage gelebt 
hatte, Markscheiden in der Hörstrahlung und eine mark lose Sehstrahlung. Da¬ 
neben treten hier einzelne markhaltige Fasern auf in Gebieten, welche in der 
Regel noch marklos sind. Dass es sich hier um pathologische Verhältnisse han¬ 
delt, ist mehr als wahrscheinlich; inwiefern dieselben geeignet sind, auf die 
psychische Entwickelung modificirend einzuwirken, darf wohl erwogen werden. 

Findet man demgemäss ein von dem oben beschriebenen Gang der Mark¬ 
entwickelung abweichendes Verhalten, so wird man sich vor allem die Frage 
vorzulegen haben, inwiefern hier anomale Zustände gegeben sind. Es kann 
leicht geschehen, dass einem Untersucher zunächst ein derartiger atypischer Fall 
unter die Hände kommt; ein Beweis gegen ein streng gesetzmässiges Verhalten 
der Markentwickelung ist darin nicht gegeben. 

Hierzu kommt aber als weiterer Factor die individuelle Variabilität des 
Faserverlaufs. Wie hochgradig dieselbe in den Centralorganen ist, beweisen vor 
allem Befunde an der Fussschleife. Durch meine neueren Untersuchungen 

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in Verbindung mit den von Hoche 1 gemachten werthvollen Mitteilungen, 
sowie einem von Qüensbl untersuchten Fall bin ich hier zu folgenden An¬ 
schauungen gekommen. 

Die Fussschleife besteht ans einem doppelten Bündel: 1. Starke Fasern 
der Hauptschleife, welche sich mit den Hinterstrangfasern derselben ent¬ 
wickeln, in die Substantia nigra eindringen und hier enden, zum Theil auch 
zum Linsenkern Vordringen. Ich finde sie schon bei 7 monatlichen Fötus voll¬ 
entwickelt; vermutlich gehört (in Anbetracht der gleichzeitigen Entwickelung 
u. s. w.) die MEYNEBT’sche Commissur dazu als gleichwertiges aber gekreuzt 
verlaufendes Bündel. 3 

2. Einem weit später sich entwickelnden Faserbündel, welches mit der 
Pyramidenbahn aus der inneren Kapsel austritt und im Hirnschenkelfuss an¬ 
gelangt, sich in der Regel nach hinten wendet, an die Hauptschleife anlegt und 
mit derselben verschmilzt 8 Ich will sie von nun an Pyramiden-Schleifen- 
bahn nennen. Mit der Schleife gelangen die Fasern in die Brücke und hier 
teils nach Kreuzung in der Raphe, zum Theil ungekreuzt in die motorischen 
Kerne des Quintus, Facialis und Hypoglossus; die Pyramiden-Schleifenbahn ist 
also motorisch. Ausnahmsweise kann sie die Pyramidenbahn bis in die 
Brücke, ja bis zum oberen Theil des verlängerten Markes begleiten und tritt 
dann erst hier in der Gegend der oberen Olive in die Formatio reticularis bezw. 
die Raphe ein, um sich zu den motorischen Nervenkernen zu begeben. 

In einer weiteren Reihe von Fällen läuft die Pyramiden-Schleifenbahn im 
Hirnschenkelfuss an dessen Oberfläche nach innen, kommt medial vom Abnoi<d'- 
schen Bündel (meiner frontalen Grosshirnrinden-Brückenbahn) zu liegen und 
tritt als Bündel vom Fuss zur Haube zwischen den Hauptschleifen in die Brücke 
ein. Sie liegt dann hier vor der medialen Schleife an Stelle von Fasern, welche 
in der Regel vom innersten Theil der ARNOLD’schen Bündel geliefert werden. 
Beide zu unterscheiden fällt nicht schwer, da sich letztere erst nach Ende des 
1. Lebensmonats mit Mark umhüllen, die Pyramiden-Schleifenbahn schon vor der 
völligen Reife. 

Die Complication der Verhältnisse vergrössert sich aber noch dadurch er¬ 
heblich, dass sich die drei Verlaufsweisen einseitig oder doppelseitig finden 
können, so dass es im Ganzen 9 Variationen der Anordnung der Pyramiden- 
Schleifenbahn giebt. Man findet demgemäss auch an der medialen Schleife 
scheinbar zahlreiche Irregularitäten bezüglich der Zeit der Markentwickelung; 
schaut man tiefer, so gewahrt man, dass es sich um Irregularitäten im Ver¬ 
laufe der Leitungen handelt 

Die Pyramiden-Schleifenbahn variirt also in ihrem Verlaufe ganz wie die 
Pyramidenbahnen des Rückenmarks, 4 für welche eigentlich nur die Regel gilt, 

1 Arch. f. Psych. Bd. XXX. S. 108. 

* Diese Fasern hängen, wie Tsohbrmak gezeigt hat, mit den Hinterstrangkernen zu* 
sammen (Arch. f. Anat. und Psych. 1898. Anat. Abth. S. 291). 

3 Laterale pontine Bündel Schlesikgeb. 

4 Als ich in meinen Leitangsbahnen u. s. w. (1876) dies damit erklärte, dass die Pyra- 
mideufascrn von oben nach abwärts sich Yorsclriohcn als Zellenfortsatze, wurde diese Ansicht 


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dass ihr Verlauf variabel ist. Charakteristisch ist, dass alle diese Bündel, welche 
sich durch hochgradige Variabilität auszeichnen, direct von der Rinde kommen. 

Die verschiedene Verlaufs weise, speciell der Pyramidenschleifenbahn erklärt 
eine ganze Anzahl von Variationen des Faserverlaufs an der Oberfläche des 
Hirnschenkelfnsses und der Brücke, welche schon von Henle u. A. bemerkt 
worden sind. 

Bei solchen Variationen wird es keineswegs überraschend sein, wenn auch 
in den Grosshirnlappen einmal ein Faserzug anders verläuft, als ich ihn ge¬ 
schildert habe, und wenn in Regionen, welchen ich eine erhebliche Menge 
Projectionsfasem abspreche, auch gelegentlich einmal ein kräftiges Stabkranz¬ 
bündel gefnnden wird. 

Meine neuen Untersuchungen ermöglichen auch ein entscheidendes 
Urtheil darüber, inwiefern die Furchen regelmässig in gleichwerthige Ab¬ 
schnitte der Grosshirnrinde einschneiden. Es zeigt sich, dass gewisse Furchen 
stets in einem bestimmten Rindenfeld zu finden sind, z. B. die Centralfarche 1 
stets im primordialen Sinnescentrum Nr. 1 (Centralwindungen), die Fissura 
calcarina stets in der primären Sehsphäre Feld Nr. 5 (= Lippen der Fissura 
calcarina). Offenbar trägt speciell die Bildung der Fasersysteme, welche in 
diese Rindengebiete eintreten, dazu bei, dass sich die Furohen entwickeln. 
Andere Furchen schneiden bald in dieses bald in jenes entwickelungsgeschicht¬ 
liche Rindenfeld ein. Der Sulcus calloso-marginalis z. B. bildet in seinem 
Mittelstück meist den Rand des Feldes Nr. 8, selten schneidet er in Feld Nr. 1 
ein; an seinem hinteren Ende liegt er bald mitten im Feld Nr. 18 drinnen, 
bald trennt er genau Nr. 1 und Nr. 18. Für die Frage, inwiefern man aus 
dem Flächeninhalt eines zwischen zwei bekannten Furchen gelegenen Windungs¬ 
gebietes, also mittels der einfachen äusseren Besichtigung feststellen könne, ob 
ein gegebenes Functionsgebiet, z. B. die motorische Zone stark oder gering ent¬ 
wickelt ist, sind diese Befunde entscheidend. Sie zeigen, dass z. B. der Prae- 
cuneus äusserlich klein erscheinen kann, während in Wirklichkeit das Feld 


von der Gui)DBN , schen Schule wie ein schlechter Witz behandelt. Heute zweifelt wohl 
Niemand mehr an der Richtigkeit derselben; ich war meines Wissens der Erste, welcher 
die Entstehung der centralen Leitungen als Ausläufer von Ganglienzellen an einem langen 
System direct nachgewiesen hat, erntete zunächst aber nur Hohn und Spott für diese Ent¬ 
deckung! Die heutigen Angriffe auf die Associationscentren stehen kaum auf einem höheren 
Niveau als jenes Urtheil über meine Theorie der Pyramidenentwickelung. — Dass Faserzüge, 
welche so weit von ihrer Normalspur abgewichen sind, wie die an die Aussenfläche der 
Brücke gerathene Fussschleife. doch immer wieder ihr normales Endorgan erreichen, ist rein 
mechanisch sicher nicht zu erklären. Liegen hier vielleicht chemotactische Wirkungen 
vor, dergestalt, dass die Endorgane (z. B. die Zellen des Facialiskerns) anziehend auf die 
heranwachsenden Fasern (z. B. der Fussschleife) wirken? 

1 Untersucht man die Bildung dieser Furche an Schnittreiben, so gewinnt man 
wenigstens an einzelnen Gehirnen entschieden den Eindruck, dass nicht die Furche sich in 
die Tiefe senkt, sondern die Windungen sich emporheben über das umgebende Niveau. Es 
findet eine Ausstülpung der Gehirn Oberfläche statt, nicht eine Einstülpung — vermuthlich 
durch wachsende Fasersysteme! Vermuthlich giebt cs in Bezug auf die Ursachen mehrere 
verschiedene Arten von Sulci. 


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Nr. 18 sehr gut entwickelt ist — falls dasselbe mehr oder weniger vor den 
Sulcus calloso-marginalis zu liegen kommt Oder umgekehrt der Praecuneus ist 
gross, die Rindenfelder desselben aber nur von mittlerer Grösse, weil das Plus 
dem Feld Nr. 1 angehört Berücksichtigt man diese Variationen nicht um¬ 
sichtig, so kommt man leicht zur Annahme eines atypischen Entwickelungsganges 
der Markanlage. In diesen Befunden sind zweifellos die Anfänge einer wirklich 
individuell vergleichenden Anatomie der menschlichen Gehimoberfläche und die 
Grundlagen einer exacten Phrenologie gegeben. Die secundären Degenerationen 
vermögen hier die Entwickelungsgeschichte nicht zu ersetzen, da kein Forscher 
jemals über hinreichendes Material verfügen wird, um an der Hand der secun¬ 
dären Degenerationen die Flächenentwickelung eines beliebigen Centrums ver¬ 
gleichend zu bearbeiten. 

Ich komme nun zu einem Punkt, welcher gegenwärtig besonders lebhaft 
die Gemüther beschäftigt und zu literarischen Ergüssen geführt hat, die man 
kaum anders denn als „Radau-Neurologie“ bezeichnen kann, da sie mit 
der wissenschaftlichen Himlehre nichts gemein haben. Es scheint, dass der 
Gedanke, meine Associationscentren könnten sich allgemein Bahn brechen, in 
diversen Köpfen eine geradezu sinnlose Wuth entfacht hat, so dass in derem 
Interesse eine baldige Lösung der Fragen dringend zu wünschen wäre. 

Giebt es unter den entwickelungsgeschichtlichen Rindenfeldern auch solche, 
welche eines Stabkranzes entbehren? Ich habe in dieser Hinsicht bekanntlich 
in meinen früheren Publicationen keineswegs einen gleichbleibenden Standpunkt 
eingenommen. Die äusserst aphoristische Fassung in meiner ersten vorläufigen 
Mittheilung 1 bezog sich auf den Stabkranz sensu strictiori, d. h. Projections- 
fasem in Form von Stäben also mehr oder weniger stärkeren Bündeln. Solche 
hatte ich bei meinen ersten Untersuchungen vermisst, nicht aber einzelne zer¬ 
streut verlaufende Projectionsfasern, welche ich zahlreichen Besuchern meines 
Laboratoriums demonstrirt habe. In meiner ersten ausführlichen Mittheilung * 
habe ich sogar die Vermuthung ausgesprochen, dass möglicherweise alle Theile 
meiner Associationscentren durch Collateralen mit dem Stabkranz in Ver¬ 
bindung stehen, was doch zweifellos dasselbe besagt, wie „mit Projectionsfasern 
ausgestattet sind“. Da ich nun, als ich diese Vermuthung anssprach, die Asso¬ 
ciationscentren keineswegs fallen liess, hätte man doch wohl hinreichend ersehen 
können, dass das Nichtvorhandensein von Projectionsfasern für mich keines¬ 
wegs das einzige Merkmal der Associationscentren bildete. Es ist in der 
That nur ein taktischer Kniff meiner Gegner, wenn man glauben machen 
will, meine Associationscentren stehen und fallen mit dem Nachweis einiger Stab¬ 
kranzbündel in denselben. Dieser Gesichtspunkt ist freilich so einfach, dass sich 
mit Rücksicht darauf selbst die ungeübtesten Anfänger an der Debatte betheiligen 
zu können glauben. Ich habe seit Langem schon betont: In Bezug auf die Pro¬ 
jectionsfasern handelt es Sich um die Frage: Treten dieselben in gewissen Feldern 


1 Neurolog. Centralbl. 1894. Nr. 19. 
* Ebenda. 1895. Nr. 23. 


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gegenüber den Associationsfasem um vieles mehr zurück, als in den Sinnes- 
centren? Man übersieht ferner ganz, dass ich meine alten Associations- 
centren gar nicht mehr in dem Sinne für einfache ungegliederte Centren halte, 
wie es nach meinen ersten Mittheilungen scheinen konnte. Es sind zwei ganz 
verschiedene Fragen: Existiren sie überhaupt und: habe ich die Grenzen völlig 
genau angegeben? Die Argumente meiner Gegner beziehen sich auf Irr- 
thümer, welche ich schon lange selbst corrigirt habe? Ich habe thatsäch- 
lich, den fortgesetzten Untersuchungen entsprechend, die Grenzen 
aller Centren mehrfach geändert, wie ich auch beute es für keineswegs 
ausgeschlossen halte, dass ich in Zukunft noch weitere Modificationen vor¬ 
zunehmen gezwungen sein könnte. Untersuchungen von dem Umfang der 
hier vorliegenden können vor dem Ablauf von Jahrzehnten nicht zum Abschluss 
gelangen! Nachdem ich meine alten Associationscentren weiter habe zerlegen 
können (in Randzonen und Centralgebiete), auch im Bereich derselben einige 
deutlich mit Frojectionsfasem ausgestattete Feldchen (z. B. Nr. 13) auf¬ 
gefunden habe, bin ich gar nicht mehr in der Lage, einfach die Frage zu 
formuliren: Haben die Associationscentren einen Stabkranz oder nicht? sondern 
zunächst vor allem: Wie gross ist der Umfang derselben, welche Bindenfelder 
der neuen Eintheilung gehören dazu, welche nicht? Hierbei ist aber be¬ 
sonderes Gewicht darauf zu legen, dass nicht allein der geringe Gehalt 
an Projectionsfasern, sondern auch noch ganz andere Momente 
mich bewogen haben, die Abgrenzung' vorzunehmen, vor allem die Beziehungen 
jener Felder zu den langen Associationssystemen, also auch positive Befunde, 
nicht rein negative, worüber unten mehr. Den Ausschlag hat aber ein ganz 
anderer Gesichtspunkt gegeben, welchen man völlig ausser Acht gelassen hat, 
obwohl er für mich thatsächlich imm er den hauptsächlichsten, den pri¬ 
mären Grund für die Unterscheidung gab: die Rücksicht auf die allgemeinen 
Entwiokelungsgesetze der Markscheiden in topisch-chronologischer Hinsicht. 

Die Fasersysteme im grössten Theil meiner älteren Associationscentren ent¬ 
wickeln sich mindestens drei Monate später als jene der Sinnescentren bezw. 
als die Primärsysteme der primordialen Sinnescentren. 1 Fasersysteme von so 
grossen Zeitdifferenzen der Entwickelung können niemals gleichwerthig sein. Sind 
die Primärsysteme der Primordialgebiete die eigentlichen Sinnesleitungen, so können 
es die Radiärfasern insbesondere der Termialgebiete nicht auch sein. Da nun die 
Function einer grauen Masse ausschliesslich bestimmt wird durch die Art der 
Faserverbindung, durch die Herkunft, das Ende der Leitungsbahnen, so müssen 
auch Abschnitte der grauen Rinde verschiedenwerthig sein, welche mit 


1 Die von der hinteren Centralwindnng ausgehenden langen Associationssysteme ent¬ 
wickeln sich annähernd gleichzeitig mit den späteren Terminalgebieten! Es entwickeln sich 
thatsächlich innig znsammenwirkende Elemente, wie die Zellen der Tcrminalgebiete und die 
langen Associationssysteme der Sinnescentren annähernd gleichzeitig. — Die Associations¬ 
systeme der Centralwindungen entwickeln sich etwa in 8 Absätzen! Hier kommen Ge¬ 
heimnisse der phylogenetischen Entwickelnng znm Vorschein, welchen hoffentlich bald einmal 
von wissenschaftlichen Forschern nachgegangen wird. 

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Faserzügen von so grossen zeitlichen Entwickelungsdifferenzen Zusammenhängen. 
Zu dieser Ansicht hat jeder wissenschaftliche Forscher Stellung zu nehmen, 
welcher auf dem Gebiete der Hirnanatomie arbeitet. 

Dass das, was ich Sinnescentren nenne, von den übrigen Bindenbezirken func- 
tionell verschieden sein müsse, erschloss ich also zunächst aus meinen allgemeinen 
Erfahrungen über die Faserentwickelung in Rückenmark, Oblongata u. s. w., und 
lediglich die feste Zuversicht in die allgemeine Gültigkeit der Ent¬ 
wickelungsgesetze war es, welche mich unentwegt in der Ansicht bestärkte, das 
hier verschiedenwerthige Regionen vorliegen. Andernfalls hätte ja jeder Anfänger 
meine Lehre von der besonderen Stellung der Associationscentren Umstürzen 
können, falls es ihm geglückt wäre, an irgend einem leidlich gefärbten Schnitt 
Projectionssysteme in irgend einem derselben nachzuweisen. Kleide ich jenen 
Satz in meine neue Terminologie, so heisst er: 

Nach den Entwickelungsgesetzen müssen insbesondere die Terminalgebiete 
eine ganz andere Stellung im Gesammtmecbanismus einnehmen, als die Primor¬ 
dialgebiete. Um diesen Satz voll zu würdigen, muss man freilich die Gesammt- 
summe der Erscheinungen auf diesem Gebiete beherrschen; das landläufige 
Wissen über die Gehimentwickelung, welches in den gangbaren Lehrbüchern zu 
finden ist, genügt hier bei weitem nicht! 

Indem ich den Besonderheiten der Entwickelung nachging, bemerkte ich 
alsbald, dass sich annähernd gleichzeitig mit dem Gros der Fasermassen besonders 
der Terminalgebiete die langen Associationssysteme entwickeln (die kurzen schon 
viel eher, je nachdem sie verschiedene Theile eines Primordialgebietes unter 
einander, oder Sinnescentren mit ihren Randzonen verknüpfen) und dass über¬ 
dies die langen Associationsbahnen besonders ausgiebige Beziehungen zu den 
Terminalgebieten eingehen. 1 

Zu alledem gelang es mir, das Zusammentreffen von Leitungen aus mehreren 
„Sinnescentren“ z. B aus der Körperfühl- und Sehsphäre im Gebiete Nr. 39, aus 
der Hör- und Sehsphäre im Gebiet Nr. 38 direct nachzuweisen — während sich 
der Nachweis directer Verbindungen der Sinnescentren nicht führen 
liess; denn der famose Fasciculus longitudinalis inferior 2 , auf dessen associative 
Natur die W ebnick E’sche Schule ihre Vorstellungen vom Hirnbau ganz wesent¬ 
lich gründet, erwies sich alsbald mit aller Sicherheit als primäre Sehstrahlung, 
also als Projectionssystem — und schliesslich musste ich erkennen, dass auch 
das Cingulum, in welchem ich selbst ursprünglich ein directes Associationssystem 
verschiedener Sinnessphären vermuthete, in der Hauptsache ein Projectionssystem 3 

1 Ich habe leider die Beziehung za den langen Associationssystemen nicht bo ent¬ 
schieden hervorgehoben, wie es zweckdienlich gewesen wäre; dass sich die kurzen Fibrae 
arcuatae überall in der Rinde finden, war so allgemein bekannt, dass ich es für überflüssig 
hielt darauf noch besonders hinzuweisen. 

* Die Darstellung desselben bei von Monakow — Hirnpathologie Fig. 121 — ist rein 
phantastisch. 

* Desshalb ist das Cingulum sehr gut ausgehildet auch bei niederen Säugern, wo 
man sonst vergeblich nach langen Associationssystemen, ja überhaupt nach Associations¬ 
systemen ausserhalb der Hirnrinde sucht. 


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darstellt. Schon hiernach blieb keine andere Wahl, als die Verknüpfung ver¬ 
schiedener Sinnessphären entweder dem Thalamus opticus zu übertragen, oder 
besonderen Rindengebieten, die eben die Eigenschaft haben, mit allen oder der 
Mehrzahl der Sinnescentren in leitender Verbindung zu stehen. 

Bei Prüfung dieser Frage an der Hand klinischer Erfahrungen ergab sich 
non alsbald, dass nur die Verletzung derjenigen Regionen Sensibilität»- 1 bezw. 
Motilitätsstörungen regelmässig bedingt, in welche sich beim Fötus und Neu¬ 
geborenen die Sinnesleitungen verfolgen lassen, während die Erkrankung der 
anderen Gebiete besonders häufig Associationsstörungen erkennen lässt Doch 
habe ich in kritischer Würdigung des unvollkommenen Zustandes der topischen 
Diagnostik hierauf nie das Hauptgewicht gelegt, obschon mir eine sorgfältige 
Durcharbeitung auch der Litteratur mehr und mehr Belege für die Richtig¬ 
keit der Hypothese ergab, dass insbesondere die Terminalgebiete im Wesentlichen 
nur mit associativen Verrichtungen zu thun haben. 

Jedenfalls sprach die Klinik mehr für die Richtigkeit der anatomisch ge¬ 
wonnenen Anschauungen als gegen dieselbe, was auch von Monakow anerkennt 

Ob nnn die fraglichen Associationscentren auch mit dem Thalamus opticus 
durch Stabkranzbündel verknüpft sind, ist für die Beurtheilung dieser allgemeinen 
Leistungen durchaus secundärer Natur; es sei denn, dass es sich hier um 
echte Sinnesleitungen gleich den Primärsystemen der unzweifel¬ 
haften Sinnescentren handelt 

Hierfür fehlt aber thatsächlich jeder Beweis! Die Frage lässt sich gar 
nicht beantworten, ohne dass festgestellt ist: ^ 

1. die Leitungsrichtung in den vereinzelt zwischen Terminalgebieten und 
Sehstrahlung u. s. w. verlaufenden Fasern, und 

2. die Bedeutung des Sehhügels im Allgemeinen; die Leitungsverhältnisse 
in demselben im Speciellen. Sind denn überhaupt alle Stabkranzfasern als Pro- 
jeetionsfasern in dem Sinne aufzufassen, dass sie in Leitungen zwischen periphere 
Endorgane und Grosshirnrinde eingeschaltet sind? Der Sehhügel unterscheidet 
sich von den anderen Internodien von Sinnesleitungen wie äusserer Kniehöcker, 
Baibus olfactorius etc. ganz wesentlich. Er ist ein viel complicirterer Apparat, 3 
welcher entwickelungsgeschichtlich sechs, durch die Zeit der Markumhüllung 
ansgezeichnete, somit verschiedenartige Gebiete enthält, während z. B. der Globus 


1 Ich sehe in den Sinnescentren in erster Linie Rindenfelder, in welchen die 
Sinnesleitungen in die Rindenorganisation zunächst eintreten and von welchen aas sich 
Sinneseindrücke aber engere oder weitere Rindenfelder verbreiten. Inwiefern die Sinnes¬ 
centren selbständig die Sinneseindrücke verarbeiten, ist eine secandäre Frage. 

* Die Frage, ob vom Thalamus opticus her associirte Sinneseindrücke (Gesicht- 
Mnskelsinn, Muskel-Tastsinn) im Gegensatz zu den einförmigen Erregungen des äusseren 
Kniehöckers u. s. w. zur Rinde gelangen, scheint mir besonders wichtig. — Auch 
ist von recht beachtenswerter Seite betont worden, dass der Thalamus insbesondere zu den 
emotiven Vorgängen nähere Beziehungen hat, so dass auch hierfür ein Mechanismus gefunden 
werden könnte, welcher mit dem Projectionssystem für Sinneseindrücke and Willkürbewegungen 
nichts gemein hat. 

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992 


pallidus bis auf ein System sich einheitlich entwickelt. Die Schleifenkerne bilden 
nur einen kleinen Theil des Sehhügels, auch strahlen in ihn zweifellos viele 
corticale Fasern ein, welche sich in ihm in Endbäumohen auf lösen, also cortico- 
fugal leiten, was insbesondere auch von Köllikeb entschieden hervorgehoben 
hat. Die Entwickelungsrichtung der z. B. aus Nr. 39 hervorgehenden Fasern 
zur Sehstrahlung ist eine corticofugale; man könnte somit zunächst nur daran 
denken, dass dieselben gegen den Thalamus leiten, wie sie auch mit der Region 
der Schleifenkeme nachweisbare Verbindungen nicht eingehen. 

Da nun auch die isolirte Erkrankung z. B. des Feldes Nr. 39 Sensibilitäts¬ 
störungen , insbesondere Störungen des Muskelsinns nicht setzt, so hegt nicht 
der geringste Grund vor, Nr. 39 irgend wie den Sinnescentren an die Seite zu 
stellen. Wie, wenn der Thalamus ein Organ wäre, welches unter Anderem eine 
Einwirkung z. B. der Sehsphäre oder ihrer Randzone auf die motorische 
Zone ermöglicht (wofür eine ganze Anzahl Gründe sprechen!). Soll man dann 
die Leitungen aus jenen Gebieten als Projectionsfasem auffassen? Hier sind 
also noch eine ganze Anzahl Vorfragen zu erledigen, ehe man den Befund 
selbst zahlreicher Thalamusfasern in den Terminalgebieten für deren Natur als 
Sinnescentren ins Feld führen könnte. 

An dem sehr gut gefärbten Gehirn eines im 9. Lebensmonat verstorbenen 
Kindes fand ich aber nur ganz vereinzelte Fasern, welche man als Stabkranz- 
fasem des Sehhügels ansprechen könnte; ich schätze sie kaum auf V 20 der 
Balkenfasern. Meine Gegner werden nun wahrscheinlich den Unterschied 20:1 
nicht erheblich finden; da aber in den Sinnescentren das Verhältniss etwa 20:40 
ist, so ist die Differenz doch höchst beachtlich. 

Man wird demgegenüber wohl auch einwenden, ich habe die erstere Procentzahl 
viel zu niedrig bemessen; man sehe ja zahllose Fasern aus dem Gyrus parietalis 
inferior in die Sehstrahlung eintreten. 1 Hier aber liegt eine grobe Täuschung vor, 
welche man sofort vermeiden kann, wenn man geneigte Horizontalschnitte zur 
Untersuchung verwendet. Man bemerkt hier, dass die Fasern, welche von der 
Seite her in die Sehstrahlung eintreten, zwar zum Theil in der secundären 
Sehstrahlung (Flechsig — nach aussen von der Balkenlage) eine Strecke gegen den 
Thalamus verlaufen, dass aber auch diese wie die Mehrzahl direct in das Tapetum 
übertreten und theils Balken, theils Associationsfasem darstellen. Ganz unmög¬ 
lich ist es, an erwachsenen normalen Gehirnen, den Procentgehalt derer, welche 
in der Sehstrahlung verbleiben, festzustellen. Der Schluss vieler wenig kritischer 
Gegner der Associationscentren: Weil Faserbündel aus dem Gyrus angularis in 
die Sehstrahlung eintreten, muss es sich um Projectionsfasem handeln, ist ein 
Fehlschluss. Ich habe dieser Frage von Anfang an die grösste Aufmerksamkeit 
gewidmet, da ich diese Fasern selbstverständlich schon am ersten Präparat 
sah, welches sie erkennen liess, zumal meine ersten Untersuchungen ausschliess¬ 
lich an 3—4 monatlichen Kindern angestellt wurden. 

1 Ich habe • diese Fasern auf dem Schema (Taf. V) in „Gehirn und Seele“ abgebildet 
— nur soweit sie direct hindurchziehen — nicht die streckenweise mit der echten 
Sehstrahlung verlaufenden! 


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Es bleiben tbatsäcblicb als entscheidende Befunde nur die secundären 
Degenerationen übrig, aber nur solche, welche mit den nöthigen Cautelen 
(sichere Umgrenzung der primären Herde!) gewonnen werden. Es sind vor allem 
nur Herde in Betracht zu ziehen, welche sich auf die Rinde und die nächst¬ 
anliegende Region der Markleisten beschränken. Nähern sich Zerstörungen dem 
Isthmus (Verbindungsstück der Markleiste mit dem Centrum semiovale) einer 
Windung, so können an vielen Stellen schon Faserzüge zerstört werden, welche 
an der betreffenden Windung nur vorüberziehen. 

Bei einer sorgfältigen Durchsicht der Literatur habe ich auch nicht einen 
Fall aufgefunden, der annähernd sicher den Beweis lieferte, dass die Terminal¬ 
gebiete und eine Anzahl Intermediärgebiete einen erheblichen Antheil am 
Stabkranz haben. Dejebine berichtet zwar, er habe „oberflächliche“ Herde im 
mittleren und vorderen Theil des Stimhims beobachtet mit secundären Degene¬ 
rationen im vorderen Sehhügelstiel und medialen Sehhügelkem, er will auch 
einen Fall von reiner Erkrankung der Gyrus angularis 1 mit Stabkranzdegeneration 
gesehen haben; indess geht aus seiner Beschreibung nicht einmal hervor, 
welches oder welche meiner Rindenfelder erkrankt waren (Nr. 17 enthält viele 
Projectionsfasem!). Solange hier nicht Mittheilungen in extenso vorliegen, so dass 
man ersehen kann, inwiefern Fälle und Methodik einwandsfrei sind, möchte ich 
auf diese Angaben entscheidendes Gewicht nicht legen — zumal sich bei Herrn 
Dejebine auch eine Bemerkung findet, die sofort Misstrauen in die Zuver¬ 
lässigkeit seiner Angaben 2 erwecken muss. Er sagt, es sei „allgemein bekannt“, 
dass der Schläfenlappen in seiner ganzen Ausdehnung überall Pröjectionssysteme 
führe; soweit meine Kenntniss reicht, ist eine derartige Behauptung einfach 
aus der Luft gegriffen, da bisher in der Literatur eine wissenschaftlichen An¬ 
forderungen entsprechende Behandlung dieser Frage überhaupt noch nicht statt¬ 
gefunden hat. Was von den Angaben der Autoren hier zu halten ist, lehrt ein 

* Herde im Felde Nr. 39 haben in. der Regel die Form eines schlanken Kegels, dessen 
Spitze in die Sehstrahlung hereinreicht. Hat Herr Dejerine vielleicht diese primäre Degene¬ 
ration für eine secnndäre gehalten? Die Sehstrahlong degenerirt hier, weil sie primär 
durchbrochen wird. Vergl. im Uebrigen meine Bemerkungen in Nr. 7 Jahrg. 1897 dieses 
Blattes. 

2 Zumal die Anatomie des centres nerveuz des Ehepaare Dejebine von Irrthümern 
in Bezug auf den Faserverlauf geradezu strozt. Die graphische Darstellung der langen 
Associationssysteme z. B. auf 5 grossen Figuren ist derart, dass ich in Zweifel bin ob auch 
nur ein Bündel von Anfang bis zu Ende richtig ist Nur 2 Beispiele hiervon: Das 
Cingulum, welches in seinem Haupttheil, der allein den Namen Cingulum verdient, wesent¬ 
lich Projectionssystem ist, wird hier als reines Associationssystem dargestellt, und der 
unterste Theil der GBATiOLBT’schen Sehstrahlong, welcher ausschliesslich Projectionsfasem 
)für die Macula lutea) führt, als reines Associationssystem (Traite etc. S. 773) zwischen 
Occipitalpol, Schläfenpol, Insel u. s. w. vorgeführt. Unter diesen Umständen erscheint es 
mir doch gewagt, auf die blosse Versicherung des Herrn Dejebine hin auf anatomischem 
Gebiete alles mögliche für glaubhaft zu halten. — Das DEJEBiNE’sche Hirnwerk zeigt nur 
zu deutlich, auf einem wie niedrigen Niveau eine Hirnforschung steht, welche auf die Mark¬ 
entwickelung keine Rücksicht nimmt. Die einfachsten und sichersten Thatsaohen fehlen, 
während ein Wust unsicherer Vermuthungen und obsoleter, gänzlich werthloser Angaben 
gewissenhaft Aufnahme gefunden hat. Multa sed non multum! 

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einfaches Beispiel von Monakow erblickt in den Untersuchungen Dejebene’s 
einen Beweis dafür, dass das TüRs’sche Bündel (äusseres Viertel des Hirn¬ 
schenkelf usses) vorzüglich aus dem Gyrus occipito-temporalis hervorgeht (Hirn¬ 
pathologie. S. 261), Dejebinb selbst dafür, dass es aus der Mitte der 2. und 
3. Schläfenwindung entspringt. Welche dieser Versionen ist nun „allgemein an¬ 
erkannt“? loh meine, es sind beide falsch, da der wesentliche Ursprung des 
TüBK’schen Bündels in der 1. Temporalwindung zu suchen ist Bei diesem geradezu 
traurigen Zustand 1 der Lehre von den aecundären Degenerationen, sollte es doch 
Jedermann einleuchten, dass die Ausbreitungsweise des Projectionssjstems, der 
Procentgehalt der Terminalgebiete insbesondere noch viel zu wenig sichergestellt 
ist, als dass man auch nur mit einiger Wahrscheinlichkeit, geschweige denn 
mit solch’ apodictisoher Sicherheit, wie Herr Wbbnicke behaupten könnte, der 
Stabkranz sei über alle Windungen gleichmässig ausgedehnt Hierzu bedarf es 
thatsächlich nur einer gehörigen Dosis von Kritiklosigkeit! 

Die Consequenzen eines derartigen Verfahrens zeigen sich denn auch nur 
zu deutlich an den Früchten, welche sie zeitigen. Wie stellt sich z. B. Herr 
von Monakow die Functionsvertheilung über die Grosshimoberfläche eigentlich 
vor? Da Associationsoentren fehlen, müssen die Sinnescentren sich natürlich 
über die ganze Fläche ausbreiten. Herr von Monakow vertheilt demgemäss 
z. B. den Scheitellappen zwischen Muskelsinn und Sehsphäre. Die Methode, mit 
deren Hülfe er dies fertig bringt, ist keineswegs neu. Er verrenkt einfach 
pathologische Erfahrungen so lange, bis sich das Hirn seinem Vorurtheil fügt 
Dass der Gyrus angularis® zur Sehsphäre gehört, wird damit bewiesen, dass angeb¬ 
lich bei Zerstörung beider Hinterhauptslappen an der ganzen inneren Fläche, 
am Pol u. s. w. die Maculae luteae noch functionsfahig bleiben, dass nur eine Ge¬ 
sichtsfeldseinengung stattfindet — er vergisst nur, dass die Fälle, welche er zum 
Beweis anführt, sämmtlich noch intacte Stellen meiner Sehsphäre (Cuneus, Gyr. 
lingualis, occipit. 1) in recht erheblicher Ausdehnung zeigen, dass andererseits 
ein Fall doppelseitiger totaler Zerstörung der Hinterhauptslappen ohne totale 
Amaurose gar nicht existirt — Der Muskelsinn wird in den Parietalwindungen 
untergebracht mit einer noch einfacheren Methode. Die Schleife, als eigentliche 
Trägerin des Muskelsinns soll sich im ganzen Scheitelhirn ausbreiten. 
Beweis: im Falle Hösel-Flechsig ist die Hauptschleife fast total degenerirt, 
nicht weil die hintere Centralwindung zerstört war, sondern weil „das ganze 


1 Man vergleiche doch in dieser Hinsicht die Uebersicht der gesicherten Erfahrungen 
dieser Art (von Menschen!), welche von Monakow S. 259 seiner Hirnpathologie giebt! 
So gering die Zahl hier ist, so ist sie doch noch zu hoch gegriffen! Wie kommt es wohl, 
dass von Monakow hier secnndäre Degeneration von Stabkranzbündeln kaum für die Hälfte 
der Windungen kennt, welche insbesondere nach seinen mündlichen Aussagen in Frank¬ 
furt a./M. in Betracht kommen? 

' Wenn man aus experimentellen Beobachtungen auf die Functionen des „Gyrus an¬ 
gularis“ beim Menschen Rückschlüsse macht, sollte man nicht unberücksichtigt lassen, 
was oben über die Unterschiede der 2. Parietalwindung des Menschen und des Gyrus an¬ 
gularis der Affen gesagt wurde. Beide haben zum Theil miteinander nichts gemein. 


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Mark des Parietallappens mitergriffen war“ (Hirnpathologie S. 260). Da ich den 
Fall persönlich untersucht habe und auch Präparate davon besitze, kann ich, 
wie tdle vorurtheilslosen Untersucher desselben versichern, dass die Parietal Win¬ 
dungen kaum im vordersten halben Centimeter Veränderungen zeigten. 

Die Hauptsohleife endet thatsächlioh nur in den Central Windungen 1 und 
ausnahmsweise im oberen vorderen Abschnitt der ersten Parietalwindung 
(X Fig. 1). Störungen des Muskelsinns sind dementsprechend am regelmässigeten 
bei Erkrankungen in der Centralgegend zu finden, von Monakow, der dies 
anerkennt, will aber auch drei Fälle von Erkrankung der Parietalwindungen 
aufgefunden haben, wo bei Störung des Muskelsinns „die Centralwindungen 
als gesund bezeichnet wurden“ und Fernwirkungen auf dieselben aus¬ 
geschlossen waren („Hirnpathologie“ S. 428). Hören wir, wie der eine dieser 
Fälle wirklich beschaffen war! Es handelt sich um den Fall Vetteb . 2 Hier 
lautet der Bericht über den Sectionsbefund: 

„Erweichungsherd: Derselbe reichte von der Marksubstanz bis unmittelbar 
unter die Pia, die graue Substanz der ersten Parietalwindung völlig einnehmend, sich 
ferner über die obere Hälfte der zweiten Parietalwindung und zum Theil auch in die 
zweite Centralwindung und die derselben entsprechende Marksubstanz erstreckend!“ 
Nach Monakow sind hier die Centralwindungen „als gesund bezeichnet“. 

Also nicht durch gewissenhafte iSichtung, sondern durch Verzerrung der 
pathologischen Erfahrungen kommt von Monakow zu dem Ergebniss, dass die 
Sinnescentren sich über die gesammte Oberfläche der Scheitel-Hinterhaupts¬ 
lappen ausdehnen, anderweitige Bezirke dazwischen aber nicht existiren. 

Bezüglich der Hörsphäre giebt von Monakow allerdings zu — entgegen 
Webnioke —, dass dieselbe nicht im ganzen Temporallappen, sondern nur in 
der 1. Schläfenwindung zu suchen ist, was ja auch angesichts der Thatsache, 
dass bei Erkrankung der 2. und 3. Temporalwindung und des Gyrus occipito- 
temporalis „auch nicht eine leichte“ secundäre Degeneration des Corpus genic. 
internum gefunden wird, nicht anders möglich erscheint. 

Bei Beurtheilung der Einwände gegen die Existenz von Associationscentren 
mit geringer Entwickelung des Projectionssystems darf man nicht ausser Acht 
lassen, dass die grosse Mehrzahl der Forscher ihre Ansichten über die Hirn¬ 
faserung gegenwärtig auf nach Weigebt gefärbte Schnittreihen insbesondere 
von Thiergehirnen aufbaut und die Befunde hierselbst ohne weiteres auf den 
Menschen überträgt, ohne zu bedenken, dass derselbe seine ganz besonderen 


1 Die Existenz einer corticopetalen Leitung in der „motorischen Zone“ ist so sicher- 
gestellt, dass auch negative Erfahrungen beim Experiment (Schäfer contra Munk) sie nicht 
Umstürzen können. Nur muss man berücksichtigen, dass beim Menschen die vordere Central- 
winduDg weit weniger Fasern der sensiblen Schleifenstrahlung erhält als die hintere, und 
dass z. B. beim Hund die Schleifenstrahlung, wie die Markbildung gleich den se- 
cundären Degenerationen (Tschermak) lehrt, hauptsächlich in den Gyrus coronarius, 
weniger in den Gyrus sigmoideus eingeht. Hier giebt es nicht eine vordere und hinterc> 
sondern eine äussere und innere Centralwindung. 

2 Nothnagel, Topische Diagnostik. 1898. S. 397. 

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Eigentümlichkeiten besitzt Aber schon die aufmerksame Betrachtung eines 
Nagerhirns, z. B. vom Hamster zeigt, dass die auf den ersten Blick überall gleich- 
massige Verkeilung des Stabkranzes in Wirklichkeit nicht besteht Man findet 
hierzwischen stabkranzreichen,offenbar Sinnescentren darstellendenBindenflächen, 
kleine Bezirke, welche durch ihren enormen Reichthum an Ganglienzellen einer¬ 
seits, durch den fast vollständigen Mangel an Radiärfasem andererseits ausge¬ 
zeichnet sind. Die Zellen sind hier viel zahlreicher als anderswo, und jeder dieser 
Haufen ist durch intracorticale Associationsfasern mit mindestens 2 Sinnescentren 
verbunden. Hier zeigt sich auch, wie absurd geradezu die Lehre ist, dass die 
Hirnrinde überall gleichmässig gebaut sei. 

Je höher man in der Säugethierreihe aufbteigt, desto deutlicher, bezw. 
grösser werden die stabkranzarmen, wenn nicht freien Gebiete, wennschon sie 
bei weitem weniger in die Augen fallen als beim Mensch. 

Herr Munk, dessen Anschauungen nach vielen Richtungen hin in der 
Entwickelungsgeschichte eine kräftige Stütze finden, ist denn auch im wesent¬ 
lichen nur durch das Bestreben, überall Sinnessphären finden zu wollen, auf 
Abwege geraten. Man vergleiche nur die unverhältnissmässige Grösse seiner 
Fühlsphären des Auges und Obres! Die Theorie der Zusammensetzung der 
Himoberfläche ausschliesslich aus Sinnessphären droht der Wissenschaft mit 
denselben Gefahren, wie seinerzeit die Lehre vom punktförmigen Seelensitz und 
der Untheilbarkeit der Seele. 

Und nun zum Schluss noch einen Befund an den Sinnesleitungen: 

In Bezug auf die Hörleitung haben die neueren Untersuchungen ergeben, dass 
dieselbe bei 2 Individuen (die anderen konnten wegen der angewandten Schnitt¬ 
richtung nicht verglichen werden) die linke Hörstrahlung (zwischen Kniehöcker, 
Sehhügel und Querwindungen des Schläfenlappens) etwa doppelt so stark 
erscheint als die rechte; die Entscheidung darüber, ob hierin ein Schlüssel 
für die Benutzung der linken Hörsphäre zum acustischen Erfassen der Worte 
gegeben ist, muss weiteren Untersuchungen Vorbehalten bleiben. Auffällig war 
auch, dass in beiden Fällen die Randzone No. 25 links markhaltig war, rechts 
nicht An der Sehstrahlung habe ich deutliche Asymmetrien nie beobachtet 


[Aus der psychiatrischen und Nervenklinik der Universität Leipzig.] 

2. Die Keifung der Leitungsbahnen im Thiergehirn. 

[Vorläufige Mittheilung.] 

Von Dr. Döliken, 

Assistenzarzt der Klinik. 

Ich untersuchte etwa 45 lückenlose Schnittreihen, die ich frontal, horizontal 
oder sagittal durch Gehirne von Hunden und Katzen legte. Die Färbung 

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997 — 


der einzelnen Schnitte erfolgte nach Weigebt-Pal. Bearbeitet ist systematisch 
eine Reihe von Gehirnen vom neugeborenen bis 35 tägigen Thier, ferner zwei¬ 
monatliche, dreimonatliche und erwachsene Gehirne. 

Es ergab sich, dass im Grosshirn dieser Thiere eine successive Markentwickelung 
der Leitungsbahnen stattfindet. Mir ist es nicht gelungen vereinzelte, zerstreute, 
markhaltige Fasern an irgend einer Stelle des Grosshirns zu entdecken, auch 
nicht bei ganz tadellos gefärbten Präparaten. Stets war mit grosser Sicherheit 
nachzuweisen, dass die Umhüllung der Fasern mit Mark bündel- oder lamellen¬ 
weise geschieht. 

Vor dem 8.—9. Tage habe ich im Grosshirn meiner Thiere keine mark- 
haltige Faser gesehen. Gegen den 8.—9. Tag werden markhaltig bei der 
Katze: 

1. Bündel aus der inneren Kapsel zum Gyrus coronalis und Gyrus cruciatus 
anterior und posterior (entsprechend den Central Windungen des Menschen); 

2. Tractus olfactorius; 

3 . Fornix longus; 

4. der obere Theil der Commissur der Ammonshörner: 

5 . eine Lamelle vom Ammonshorn in den Gyrus hippocampi (Theil des 
Alveus). 

Es folgen am 10.—11. Tage: 

ti. ein Theil des Cingulum; 

7. ein dünnes Bündel aus der inneren Kapsel in den Gyrus ectosylvius 
posterior. 

8. der vorderste Theil der 4. und 3. Bogenwindung. 

Am 13.—14. Tage traten auf: 

9. eine schmale Lamelle in dem mittleren Theil des Gyrus marginalis; 

10. Bündel aus der inneren Kapsel in dem Gyrus ectosylvius posterior. 

Etwa am 15.—16. Tage gelangt ein markhaltiges 

11. Bündel aus dem Corpus geniculatum externum in den hintersten Theil 
des Gyrus marginalis und Gyrus postsplenialis. 

Am 19. Tage ungefähr beginnen zu reifen: 

12. das mittlere Drittel des Balkens; 

13. der dunkle Antheil der vorderen Commissur. 

Beim Hund ist am 9. Tage weiter nichts markhaltig im Grosshim wie der 
Gyrus coronalis, sowie der Gyrus cruciatus anterior und posterior und die Bahn 
zu denselben aus der inneren Kapsel. 

Es beginnt am 11.—12. Tage die Reife des Fornix longus, des oberen 
Theiles der Ammonscommissur, einer Bahn aus der inneren Kapsel in den 
hinteren unteren Theil des Gyrus marginalis, des oberen Theils der 4. und 
3. Bogenwindung. 

Am 14. Tage etwa sind Bündel sichtbar, die vom Corpus geniculatum ex¬ 
ternum in den Gyrus marginalis und postsplenialis ziehen. 

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998 


Vom 17.—20. Tage werden markhaltig das mittlere Drittel des Balkens 
(zuerst) und das vordere Drittel (etwas später). Die Balkenfasern stammen vor¬ 
wiegend aus der Prorea (mediale Seite), aus dem Gyrus cruciatus anterior und 
posterior und aus dem Gyrus coronalis. 


Im TTebrigen sind die Verhältnisse 



Schema des Hundegehims. 

jy Fossa Sylvii, pr Fissura praesylvia, er 
Fissura cruciata, ot Fissura occipito-tem- 
poralis, gen Fissura genualis, l Gyrus coro- 
nalis, 2 Gyrus cruciatus posterior, 3 Gyrus 
cruciatus anterior, o Lobus olfactorius, s Gyrus 
sylviacus (aut. u. post.) = 1. Bogenwindung, 
e Gyrus ectosylvius, ss Gyrus suprasylvius, 
m Gyrus marginalis, pro Frorea, cc Corpus 
callosum, f Gyrus fornicatus, h Gyrus hippo- 
campi, u Uncus, sp Gyrus splenialis, prsp 
Gyrus praesplenialis, ssp Gyrus suprasplenialis, 
spp Gyrus postspleniaus. 

Nicht bei allen Thieren derselben 
Reifung bestimmter Bündel ein. So i 


denen bei der Katze analog, nur erfolgt 
die Markentwickelung der einzelnen 
Bahnen beim Hund meist 1—2 Tage 
später, wie der entsprechenden bei 
der Katze. 

Die aufgezählten Bündel lassen 
sich völlig isolirt verfolgen. Markhaltige 
Associationsfasem zwischen zwei Win¬ 
dungen finden sich bis etwa zum 18. 
bis 20. Tage ausschliesslich in einem 
Theile der Körperfühlsphäre (Gyr. coron. 
etc.) spärlich und vielleicht noch in der 
Sehstrahlung. 

Dass nicht alle Stellen des Hunde¬ 
gehirns Projectionsfasem haben, glaube 
ich ganz bestimmt nachweisen zu 
können, doch muss die Darstellung 
dieser Verhältnisse ebenso wie die ge¬ 
naue Abgrenzung der Bindenfelder der 
ausführlichen Mittheilung Vorbehalten 
bleiben. 

Zeitlich anders, doch im Princip 
gleich, erfolgt die Markentwickelung 
beim windungslosen Thiergehirn — 
Kaninchen, Ratte, Maus, Meerschwein¬ 
chen. Meine diesbezüglichen Unter¬ 
suchungen sind nahezu abgeschlossen. 
Spedes tritt genau am gleichen Tage 
jt das eine meiner Hundegehirne von 


17 Tagen weiter entwickelt, wie ein anderes von 20 Tage, und ein Katzengehim 


von 15 Tagen weiter, wie ein anderes von 16 Tagen. 


Immer aber sind vom 8. bis etwa 18. Tage nur isolirte Fasersysteme im 
Grosshirn sichtbar. Die Reifung geschieht, soweit ich bisher feststellen konnte, 
für die einzelnen Bündel immer in derselben Reihenfolge. 


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[Aus dem pathologisch-anatomischen Institut in Lemberg.] 

3. Die Phylogenese des Pyramidenvorderstranges. 

Von Dr. G. Bikeles. 

M. v. LenhossAk fasst in seinem bekannten Werke: „Der feinere Bau des 
Nervensystems“ 1895 (S. 890—392), den Pyramidenvorderstrang als eine Sub¬ 
stitution für ursprünglich im Seitenstrange verlaufende und nicht-gekreuzte 
Pyramidenfasern auf. Dieser Autor beruft sich auf Beobachtungen von Sheh- 
rington, wonach auch im Rückenmarke derjenigen Säugethiere, wo nur seit¬ 
liche Pyramidenbahnen bestehen, die Kreuzung keine totale, sondern eine par¬ 
tielle ist. „Nun erst“, führt v. LenhossAk weiter aus, „fallt ein Licht auf den 
Zusammenhang der Erscheinungen. Die Semidecussation der Pyramidenbündel 
und damit die Möglichkeit der Einwirkung der motorischen Rindensphäre auf 
beide Körperhälften soheint eine durchgreifende Regel zu sein, aber während bei 
den Camivoren alle Fasern, die gekreuzten wie die ungekreuzten, im Seitenstrang 
untergebracht werden können, schliessen sich beim Menschen die ungekreuzten 
nicht an die gekreuzten an, sondern ziehen für sich allein als Pyramidenvorder¬ 
strangbahn in der directen Fortsetzung ihres cerebralen Verlaufs herunter.“ 
In den Fällen, in denen die Pyramidenvorderstrangbahnen fehlen, „muss man 
annehmen“, bemerkt v. LenhossAk, „dass die Fasern, die sonst diese Bahnen 
bilden würden, nicht der gekreuzten, sondern der gleichseitigen Pyramiden¬ 
seitenstrangbahn zugetheilt sind.“ 

Es wäre demnach also zu erwarten, dass beim Fehlen der Pyramiden¬ 
vorderstrangbahn eine Läsion in der Capsula interna der einen Hirnhemisphäre 
im Rückenmarke ausser der Degeneration im gekreuzten Seitenstrange noch 
eine solche in bedeutend beträchtlicherem Grade als sonst im Seiten¬ 
strang derselben Seite hervorrufe. Allein diese Erwartung traf bei der ana¬ 
tomischen Untersuchung eines entsprechenden Falles nicht ein. In einem Falle 
von frischer Hemiplegie in Folge von Embolie in der Arteria fossae Sylvii mit 
consecutiver Erweichung der motorischen Bahn innerhalb der Capsula interna 
wurde nämlich das Halsmark nach Mabchi gefärbt Es zeigte sich nun eine 
sehr beträchtliche Degeneration im gekreuzten Seitenstrang; im Vorderstrang 
derselben Seite in der Nähe der Fissura anterior einige wenige (4—6) schwarze 
Schollen, die man als minimale Andeutung eines Pyramidenvorderstranges an¬ 
zusehen hat; im Seitenstrang derselben Seite selbst im obersten Halsmark 
nur wenige auf die Gegend der Pyramidenbahn zerstreute schwarze 
Schollen, deren Anzahl keine grössere ist als in Fällen mit gut ent¬ 
wickelten Pyramiden vordersträngen. 

Dieser Umstand dürfte darauf hinweisen, dass der Pyramidenvorderstrang 
keine Substitution für nicht-gekreuzte' Pyramidenseitenstrangfasern und somit 
bloss eine Verlagerung derselben darstelle. Man ist vielmehr berechtigt, die 

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Pyramidenvorderstränge als neue Formation, als eine neue, lange, Hirn- und. 
Rückenmark verbindende Bahn anzusehen. Phylogenetisch könnte man diese 
Bahn auf die absteigend degenerirenden Fasern im Yorderstrang vieler Säuge- 
thiere (Marie’b Faisceau sulco-marginal, Löwenthal’s Faisceau marginal ante- 
rieur) zurückführen. In Präparaten, welche von Hunden mit lädirtem Halsmark 
herrühren, konnte ich bei Färbung nach Mabchi in dem Gebiet, in welchem 
beim Menschen ebenfalls bei Färbung nach Mabchi die Pyramidenvorderstrang¬ 
degeneration sich zeigt, eine sehr intensive absteigende Degeneration constatiren, 
der gegenüber die daselbst aufsteigend degenerirenden Fasern unbeträchtlich 
sind. Es ist daher möglich, dass diese Intersegmentalbahnen beim Menschen 
und vielleicht auch andeutungsweise bei manchen Säugethieren 1 wenigstens 
theilweise sich zu langen Bahnen umgestalten. 


II. Referate. 


Anatomie. 

1) Ueber die Stirnnaht und den Stimfontanellknochen beim Menschen, 

von Springer. (Inaug.-Dissert. 1897. Königsberg.) 

Nach einer eingehenden historischen Einleitung giebt Verf. seine Besultate an 
804 Schädeln Erwachsener der Königsberger anatomischen Sammlung und fasst sie 
selbst folgendermaassen am Schlüsse zusammen: 

1. Eine Sutura frontalis kommt durchschnittlich in 8,6 °/ 0 vor. 

2. Eine unregelmässige Kreuzung der zusammentreffenden Nähte: Sutura front, 
und sagittalis und Sutura coronalis ist sehr selten, unter 64 Fällen nur 9 Mal (14 u, 0 ). 

3. Es findet sich häufig eine Unregelmässigkeit in der Verbindung der beiden 
Seitenhälften des Stirnbeins mit den beiden Scheitelbeinen. 

Unter 64 Schädeln stiessen alle 4 Knochen nur 4 Mal in einem Punkte zu¬ 
sammen. 47 Mal verband sich das rechte Scheitelbein ausser mit dem rechten, auch 
mit dem linken Stirnbein, 13 Mal das linke Scheitelbein ausser mit dem linken, auch 
mit dem rechten Stirnbeiu. Der Grund dieser Unregelmässigkeit ist zu suchen in 
dem Auftreten von accessorischen Knochenkernen im Bereiche der Stirnfontanelle. 
Letztere fand Verf. in l,4°/ 0 > in verschiedener Grösse, Gestalt und Lage. Der 
Schluss der Stirnfontanellgegend muss durch mindestens einen Knochenkern entstehen, 
wie das Bestehen des Stirnfontanellknochens beweist. Näcke (Hubertusburg). 


2) Contributo allo Studio anatomo-flsiologico dei centri dei nervi oculo- 
motori delT uomo, per G. Panegrossi. (Bicerche fatte nel laborator. di 
Anatomia normale della B. Univers. di Boma. 1898. VI. 2 e 3.) 

An 6 Fällen chronischer Ophthalmoplegie untersuchte Verf. das Verhalten der 
Kerne der Augenmuskelnerven. Da sich die zahlreichen Einzelheiten der sehr sorg- 


1 Vtrgl. Redlich, Neurolog. Centralbl. 1897. 



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fältigen Arbeit der Wiedergabe im Referat entziehen, seien hier nnr die Augen¬ 
symptome und der anatomische Befund der einzelnen Fälle, sowie die Schlussfolge¬ 
rungen, zu denen Verf. auf Grund seiner Untersuchungen und der einschlägigen 
Litteratur gelangt, zusammengestellt. 

Fall 1. Dementia paralytica post tabem. Geringer functioneller Defect der 
Convergenz der Bulbi und des Bectus extemus, links stärker als rechts. Ungleich¬ 
heit der Pupillen 1. > r. Zweifelhafte Lichtreaction. Kern und Wurzelfasern des 
Abdncens beiderseits erkrankt, rechts stärker als links. Hinteres LängsbQndel normal, 
ebenso der Trochlearis. Leichte Veränderungen des distalen Abschnittes der Lateral¬ 
kerne, des VI. Edinger-Westphal’schen, Centralkern und die medio-ventrale Zell¬ 
gruppe gesund. Die seitlichen Wurzelfasern des Oculomotorius verschmälert, in den 
distalen Abschnitten besonders rechts. Normal die medialen und die Bogenfasern, 
ebenso der Darkschewitsch’sche Kern und die hintere Commissur. Das Nerven¬ 
fasergeflecht und die Zellen des centralen Höhlengrau fast gänzlich geschwunden. 

Fall 2. Progressive Paralyse. Linkes Auge normal. Rechts: vollkommene 
Ptosis, jedoch vermag der Kranke bei Bedeckung des gesunden Auges das Lid zu 
heben. Bulbus unbeweglich, nach aussen unten abgewichen. Beide Pupillen licht¬ 
starr; die rechte auch auf Accommodation nicht reagirend. Anatomischer Befund: 
Beiderseits Kern und Wurzelfasem des Abducens schwer geschädigt, rechts noch 
stärker als links. Hinteres LängsbQndel normal. Trochleariskern pathologisch rechts 
wiederum stärker, ferner Stamm- und Wurzelfasern in ihrer ganzen Ausdehnung er¬ 
krankt. Schwere Veränderungen des distalen Theiles der lateralen Hanptkerne des 
Oculomotorius. Edinger-Westphal’scher und Centralkern normal. Der medio¬ 
ventrale Kern beiderseits erkrankt. Wurzelfasern des Oculomotorius rechts fast voll¬ 
kommen geschwunden, links nur auf den distalen Schnitten durch den Kern ver¬ 
ändert. Darkschewitsch’scber Kern beiderseits erkrankt; normal die hintere 
Commissur. Im centralen Höhlengrau die Zellen und das Nervengeflecht fast gänzlich 
geschwunden. 

Fall 3. Melancholie. Beide Augen nach aussen abgewichen. Ausfall der 
Convergenz (angeborener Strabismus divergens). Pupillenreaction normal. Anatomisch: 
der accessorische Abducenskern vorhanden. Beiderseitige Agenesie des distalen Ab¬ 
schnittes der dorsalen Zellgruppe des Oculomotorius. Höhlengrau normal. 

Fall 4. Dementia paralytica post tabem. Leichte Ptosis rechts. Rechter 
Bulbus nach aussen abgewichen und nach dieser Richtung unbeweglich. Links: 
leichte Ptosis bei monoculärer Untersuchung, Convergenz- und Divergenzbewegungen 
eingeschränkt; bei monoculärer Untersuchung das linke, amaurotische Auge fast ganz 
unbeweglich. Pupillen ungleich, rechte grösser als die linke, und lichtstarr. Ana¬ 
tomisch: Trochleariskern, Stamm- und Wurzelfasern beiderseits erkrankt, rechts stärker 
als links. Schwere Läsionen der Lateralkerne, der Central-, der Edinger-West- 
phal’schen, der medio-ventralen Kerne und der Wurzelfasern des Oculomotorius, 
alles rechts mehr wie links, gut erhalten die Fibrae rectae. Darkschewitsch’scher 
Kern fast normal rechts, links verändert; hintere Commissur stark pathologisch. 
Fast vollkommen geschwunden Fasernetz und Zellen des centralen Höhlengrau. 

Fall 5. Tabo-paralyse. Linkes Auge normal. Pupillen leicht ungleich und 
träge reagirend. Rechts: leichte Ptosis, Augapfel nach aussen abgewichen, stark 
eingeschränkt Die Bewegungen nach innen und oben. Anatomisch: Abducens- und 
Trochleariskern und Wurzeln normal. Der Stamm des Trochlearis beiderseits ver¬ 
ändert. Erkrankt der distale Abschnitt der Lateralkerne stärker in seinen dorsalen, 
als in den ventralen Zellgruppen und die lateralen Wurzelfasern beide rechts aus¬ 
gesprochener als links. Normal der Centralkern, der Westphal-Edinger’sche, 
der Nucleus medianus anterior, die medialen Wurzelfasern, der Darkschewitsch’¬ 
sche Kern und die hintere Commissur. Im centralen Höhlengrau Nervenfasergeflecht 
und Ganglienzellen fast ganz verschwunden. 

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Fall 6. Dementia paralytica post tabem. Rechts Ptoais, Bulbus nach aussen 
abgewichen, die Gonvergenz beider Augen fast ganz aufgehoben, stark eingeschränkt 
die Rotation nach anssen oben und unten. Pupillen gleich, lichtstarr. Anatomisch: 
Beiderseits erkrankt Kern und Wurzelfasern des Abducens links stärker als rechts; 
hinteres Längsbündel normal. Pathologisch verändert der Trochleariskem rechts 
mehr wie links. Normal die Wurzelfasern des Trochlearis. Erkrankt die Lateral* 
kerne des Oculomotorius, und zwar ausgesprochener die dorsalen Gruppen und die 
rechte Seite. Normal Edinger-Westphal’sche, Centralkerne und Nuclei mediani 
anteriores. Verändert rechts stärker als links die lateralen Wurzelfasern, die medi* 
alen auf Schnitten durch das distale Kerngebiet geschwunden. Darkschewitsch'* 
scher Kern und Commissura posterior normal Fast vollkommen geschwunden Faser¬ 
netz und Zellen des centralen Höhlengraues. 

Die Schlussfolgerungen des Verf.’s Bind: 

Ffir den N. abducens: 

1. Die Fibrae arciformes superficiales stehen in einfacher Contiguität mit dem 
Abducenskern, die Verbindungswege zwischen diesem Kern und seiner motorischen 
Rindenzone oder dem Occipitallappen sind noch ganz unbekannt. 

2. Es ist noch zweifelhaft, ob das hintere Längsbündel Verbindungen eingeht 
mit den Kernen der Augenmuskelnerven. Die Annahme, dass dieses Bündel ein 
Verbindungsweg zwischen Abducenskern der einen Seite mit dem Oculomotoriuskern 
der entgegengesetzten Seite sei, ist unbegründet. 

3. Es ist zweifelhaft, ob der accessorische Abducenskern (Pacetti) zum VI. 
oder VII. Himnervenpaar gehört. 

N. trochlearis: 

1. Der Kern des Trochlearis sind die Zellen, die in einer Einbuchtung des 
Fascicul. longitud. post, liegen. Die Westphal'schen und Boettiger’schen Zell¬ 
gruppen haben nichts mit dem Trochlearis zu thun, gehören vielmehr zum centralen 
Höhlengrau. 

2. Der Trochleariskem kommt klar zur Anschauung nur auf proximal geführten 
Schnitten. Seine distale Partie wird oft von einer kleinen Zellgruppe gebildet, die 
nicht immer in einer kleinen Ausbuchtung des hinteren Längsbündels liegt, an 
Localisation und Grösse starken Schwankungen unterliegt und in ihrem sagittalen 
Verlauf häufig unterbrochen ist. 

3. Da eine anatomische Grundlage für die Existenz directer oder doppelt ge¬ 
kreuzter Fasern nicht vorhanden ist, muss man an der Annahme einer totalen 
Kreuzung des Trochlearis festhalten. 

4. Der Trochleariskem setzt sich direct in den Oculomotoriuskern fort 

N. oculomotorius: 

1. Die von Pertia gegebene Eintheilung des Oculomotoriuskeraes stimmt am 
besten zu unseren heutigen Kenntnissen vom morphologischen Bau dieses Nerven- 
centrums, wenn sie auch zu schematisch und noch nicht in allen Punkten be¬ 
stätigt sind. 

2. Man kann sicher eine partielle Kreuzung der Wurzeifasera des Oculomotorius 
nachweisen, und namentlich der aus den distalen Abschnitten stammenden. Die 
medialen Wurzeifasera, besonders diejenigen, welche von der dorsalen Gruppe ihren 
Ursprung nehmen, sind die gekreuzten. 

3. Eine genaue nucleäre Localisation der vom Oculomotorius versorgten Muskeln 
entbehrt der motorischen Grundlage. 

Den Darkschewitsch’schen Kern muss man als Kem der hinteren Commissur 
ansehen. 

Es scheint ausgeschlossen, dass der Edinger-Westphal’sche Kem und die 
Nuclei mediani anteriores Centren für' die Innervation der inneren Muskulatur des 


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Auges sind; wahrscheinlicher ist es, wenn auch noch nicht bewiesen, dass sie zu 
den äusseren Augenmuskeln in Beziehung stehen. 

Viele Wahrscheinlichkeitsgründe sprechen dafür, das Centrum für das obere 
Augenlid in den proximalen Theil des Trochleariskerns zu verlegen.. Es ist nicht 
unmöglich, dass dieses Centrum sich auch unter dem Einfluss des oberen Facialis 
befindet. 

Es ist wahrscheinlich, dass das Centrum für den M. rectus internus seinen 
Sitz im distalen Ende des Dorsalkems des Ocnlomotorius hat. Seine Fasern hätten 
mithin einen gekreuzten Verlauf. 

Der M. obliquus inferior, dessen Thätigkeit oft synergetisch zu der des Bectus 
internus ist, hat höchst wahrscheinlich mit diesem eine gemeinsame Localisation. 

Wenn dies richtig ist, kommt man per exclnsionem zu dem Schluss, dass der 
M. rectus superior und inferior im vorderen Theil des Hauptkerns des Oculomotorius 
ihr Centrum haben. 

4. Die Fasern, die in den proximalen Ebenen zu beiden Seiten der Medianlinie 
verlaufen (Fibrae rectae), gehören wahrscheinlich nicht den Wurzeln des Oculo¬ 
motorius zu, sondern haben eine andere Bedeutung. Valentin. 


3) Contributo allo Studio del nuoleo del n. feciale dell uomo, per 6. Pardo. 

(Ricerche fatte nell Lab. di Anatom, norm, della R. Univ. di Roma. 1898. VI.) 

Der Fall, an dem Verf. die Anatomie des Facialiskerns studirte, betraf einen 
46jährigen Schuhmacher, der 26 Jahre vor seiner wegen Dementia paralytica erfolgten 
Aufnahme in die psychiatrische Klinik zu Rom sich durch einen Pistolenschuss das 
Leben zu nehmen versucht- und dabei die rechte Kiefergegend verletzt hatte. Es 
war rechtsseitige Taubheit und rechtsseitige complete Facialislähmung zurückgeblieben. 
Die faradische und galvanische Erregbarkeit des rechten Facialis war herabgesetzt, 
die von ihm versorgten Muskeln zeigten partielle Entartungsreaction. 

Auf Serienschnitten durch das verlängerte Mark erschien am distalen Ende des 
VII. Kerns das Gebiet des rechten Facialis erheblich kleiner, sein Nervenfasernetz 
spärlicher, die Zellen besonders in der dorsalen und medialen Partie an Zahl ver¬ 
ringert, an die Peripherie gedrängt und geschrumpft; der aufsteigende Schenkel der 
Wurzel auf den dritten Theil seines Volumens reducirt. Weiter nach oben wird der 
Unterschied zwischen den beiderseitigen Kernen zuerst geringer, dann nimmt noch 
weiter proximalwärts die Atrophie des rechten wieder zu. Der absteigende Schenkel 
der VII. Wurzel ebenfalls stark verkleinert. 

Auch linkerseits ist im Vergleich zu normalen Präparaten der Facialiskem an 
Grösse reducirt, die Zahl seiner Zellen vermindert, diese selbst theils gut erhalten, 
theils sehr klein, blass und geschrumpft. Alle diese Veränderungen betreffen in der 
Hauptsache nur den ventro-lateralen Abschnitt des linken Kerns. 

Der geschilderte anatomische Befund führt den Verf. zu dem Schluss, dass beim 
Menschen die Fasern des unteren Facialis grösstentheils ihren Ursprung nehmen aus 
dem gleichseitigen Kern, und zwar aus dessen dorso-medialer Partie und znm 
kleineren Theil aus dem ventro-lateralen Theil des Kerns der Gegenseite. Stimmt 
diese Annahme einer partiellen Kreuzung des Facialis mit den bei niederen Säuge- 
thieren erhobenen Befunden und mit den für den Menschen von Obersteiner ge¬ 
machten Angaben überein, so ist doch die Atrophie des Kerns der contralateralen 
Seite bisher in keinem pathologischen Fall beobachtet worden; hauptsächlich wohl 
deshalb weil meist zwischen dem Eintritt der Facialislähmung und dem Exitus letalis 
eine relativ zu kurze Zeit verstrichen war. Valentin. 


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Experimentelle Physiologie. 

4) Beiträge zur Keuntniss der Lympheiroolation in der Qrosshimrinde, 
von Prof. 0. Binswanger und Dr. H. Berger. (Virchow’s Archiv. Bd. CLII.) 

Die Verff. konnten im Anschluss an die Autopsie eines Falles von progressiver 
Paralyse, bei welchem sich gleichzeitig Krebsknoten in beiden Hirnhemisphären, 
sowie grosse Blutextravasate unter der Subarachnoidea und im rechten Seitenventrikel 
fanden, die zum Theil noch unklaren Verhältnisse der Lymphcirculation in der Gross* 
hirnrinde studiren. Die Resultate ihrer Untersuchungen decken sich theilweise mit 
den diesbezüglichen Anschauungen von Key und Retgius, Schwalbe, Ober¬ 
steiner, Bevan Lewis u. A. Danach sind die Rindengefässe von einem doppelten 
Lympliraum, einem intra- und einem extraadventitiellen, umgeben, die beide nicht 
miteinander communiciren. Der letztere steht in Verbindung mit den pericellulären 
Lymphräumen und mit den Arnold'sehen Lymphspalten der Pia, während der intra- 
adventitielle Lymphraum mit den subarachnoidalen Lymphbahnen, sowie mit den 
Ventrikeln in freier Communication steht. Die Verff. konnten nun feststellen, dass 
ein wesentlicher Theil des letzteren Lymphsystems durch die Gliazellen der Molecular- 
schicht der Rinde und deren bis an die Hirnoberfläche reichende Ausläufer dargestellt 
wird. Es ergab sich dies unzweifelhaft daraus, dass bei der mikroskopischen Unter¬ 
suchung dieser Zellen im obigen Fall sich dieselben, gleich den intraadventitiellen 
Lymphräumen, mit grossen Mengen Blutpigment angefüllt, zeigten, das nur aus den 
subarachnoidalen bezw. ventricularen Blutextravasaten durch den Lymphsaftstrom 
dorthin gelangt sein konnte. Bestätigt wurde diese Thatsache durch Thierexperi¬ 
mente, welche Verff. in der Weise anstellten, dass sie Hunden feingepulvertes Carmin 
in den Subarachnoidalraum injicirten, das sich dann nach Tödtung der Thiere eben¬ 
falls in den Gliazellen der Molecularschicht leicht nachweisen liess. — Sonach war 
also im obigen Falle das in den Seitenventrikel ergossene Blut zuerst in den Sub¬ 
arachnoidalraum gelangt und hatte von hier seinen Weg in die intraadventitiellen 
Lymphspalten einerseits und in die Gliazellen der Molecularschicht andererseits ge¬ 
nommen, während die Bahnen des extraadventitiellen Lymphsystems sich vollkommen 
frei sowohl von Blutpigment als auch in den Thierexperimenten von Carmin er¬ 
wiesen, somit in keinerlei Verbindung mit dem anderen System stehen. Dagegen 
liessen dieselben deutliche Stauungserscheinungen — Erweiterung der Lymphspalten 
und Ausfüllung derselben mit Leukocyten — erkennen, offenbar eine Folge der in 
dem intraadventitiellen Lymphsystem erheblich gesteigerten Druckes. 

Nach Anschauung der Verff. ist das Veutrikelsystem mit den mit ihm communi- 
cirenden subarachnoidalen und intraadventitiellen Lymphspalten kein eigentliches 
Lymphgefässsystem im engeren Sinn, sondern es dient dasselbe scheinbar nur der 
Regulirung des hydrostatischen Druckes im Gehirn, während das extraadventitielle 
Lymphgefässsystem seiner ganzen Beschaffenheit nach als ein den übrigen Lymph¬ 
bahnen des Körpers analoges, echtes Gefässsystem angesehen werden muss. 

Lilienfeld (Gr. Lichterfelde). 


5) Ueber tetanusantitoxische Eigenschaften des normalen Centralnerven¬ 
systems, von Wassermann und Takäki. (Berliner klin. Wochenschr. 1898. 
Nr. 1.) 

Mischt man eine selbst zehnfach tödtliche Dosis einer durch Centralversuche 
als wirksam erwiesenen Lösung des Tetanusgiftes mit einer Emulsion von normalem, 
tbierischen Rückenmark oder Gehirn und spritzt diese Mischung Mäusen unter die 
Rückenhaut, so lässt sich ausnahmslos nachweisen, dass das normale Gehirn und 
Rückenmark stets tetanusantitoxische Wirkung hat. Kein anderes Organ hat dieselbe 

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Wirkung, wie vergleichende Versuche lehrten. Das Rückenmark ist in seiner anti¬ 
toxischen Wirkung schwächer als das Gehirn. Die tetanusgiftbindende Kraft des 
Centralnervensystems äussert sich sogar nicht nur bei directer Mischung mit dem 
Gifte, sondern auch dann, wenn man die beiden Substanzen nacheinander selbst in 
Intervallen von Stunden dem Versuchsthiere einverleibt. Geprüft wurde das Central¬ 
nervensystem des Meerschweinchen, der Taube, des Kaninchens, Pferdes und des 
Menschen. Bei allen diesen Arten wurde in gleicher Weise die antitoxische Wir¬ 
kung des Gehirns oder Rückenmarkes nachgewiesen. Die antitoxische Kraft wohnt, 
wie das Experiment ergeben, den Zellen nnd nicht etwa einer in dem Central¬ 
nervensystem vorhandenen wasserlöslichen Substanz inne. 

Bielschowsky (Breslau). 


6) Ueber die psyohisehen Wirkungen des Hungers, von Dr. W. Weigandt, 

Assistenzarzt an der psychiatrischen Klinik zu Heidelberg. (Münchener med. 

Wochenschr. 1898. Nr. 13.) 

Es handelte sich zunächst darum festzustellen, ob und inwieweit durch Nahrupgs- 
enthaltung bez. Unterernährung auf experimentellem Wege eine Aenderung der 
psychischen Leitungen hervorgerufen werdeu kann und dadurch Rückschlüsse für 
gewisse Psychosen erlaubt sind. Es wurden verschiedene geistige Functionen zuerst 
an normalen Tagen, dann nach einer Hungerzeit von 12—72 Stunden und schliess¬ 
lich wieder an den darauf folgenden normalen Tagen geprüft. Zunächst wurde die 
Auffassung, dann die Vermischung zweier Vorstellungen durch das associative Denken, 
nachher die Auslösung einer Willenshandlung und schliesslich das Festhalten von 
Vorstellungen im Gedächtniss untersucht. An 6 Personen, sämmtlich jüngeren Aerzten, 
wurden 9 Versuchsreihen angestellt, welche unter 75 Versuchstagen 12 Hungertage 
aufwiesen. Dadurch kamen etwa 451 einzelne Versuchsabschnitte zu Stande. Unter 
Hungern ist die vollständige Enthaltung von irgendwelchen Nahrungsmitteln bei aus¬ 
schliesslicher Zufuhr von Wasser zu verstehen; an 2 Tagen fiel auch diese fort. 

Es fand sich eine nur geringe Beeinträchtigung der Auffassung, während die 
Associationen qualitativ herabgesetzt und die Wahlreaktionen etwas verlangsamt 
waren und zu Fehlerreactionen wurden. Das Gedächtniss war deutlich ver¬ 
schlechtert, die Ablenkbarkeit erhöht und somit die Aufmerksamkeit verringert. An 
den Tagen mit Wasserenthaltung waren ihre Associationen noch weiter verschlechtert. 
Am Wichtigsten ist, dass der Hungerzustand nicht allgemein schädlich wirkt, son¬ 
dern dass er electiv vorgeht. Der Grundzug im Bild der Meynert'schen Erschöpfungs¬ 
psychose, die Auffassungsstörung, die Verwirrtheit, findet sich bei diesem künstlichen 
Zustande nicht wieder. Die übrigen Befunde treten auch bei den Erschöpfungs¬ 
psychosen auf. E. Asch (Frankfurt a./M.). 


Pathologie des Nervensystems. 

7) Om Propagation med nervus opticus af Sarkomes, opst&ede indenfor 
bulbus oculi, af Aage A. Meisling. (Nord. med. ark. N. F. 1897. VII. 1. 
N. Z.) 

Verf. theilt 3 Fälle mit, in denen Chorioidealsarkome auf dem Wege des 
Nervus opticus und seiner Scheide durch das Chiasma hindurch auf den Opticus 
oder die Orbita der anderen Seite übergeführt wurden. Es wurde zwar in keinem 
Falle der anatomische Nachweis dieses Vorganges geliefert, aber die klinische Beob¬ 
achtung und die Analogie früher veröffentlichter Fälle erwies die endocraniale Ver¬ 
breitungsweise der Geschwülste. Die Fälle zeigen, wie wichtig es ist, bei Chlorioidal- 


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Sarkomen eine sorgfältige Untersuchung der Function des anderen Auges vorzunehmen, 
die sich nicht allein auf die Sehstärke beschränken darf, sondern auch das Sehfeld 
umfassen muss und, wenn die centrale Sehstärke herabgesetzt ist, auch nach cen¬ 
tralen Skotomen suchen muss. Es geht daraus hervor, welche Bedeutung die 
Ophthalmoskopie ffir den Nachweis der Atrophie des Opticus haben kann, und 
schliesslich ist eine eingehende, auch mikroskopische Untersuchung des Sehnerven des 
wegen Chorioidealsarkoms entfernten Auges von ausserordentlicher Bedeutung, 4 a 
dessen Intervaginalraum der Weiterverbreitung in der Schädelhöhe als Weg dient 

Walter Berger (Leipzig). 


8) Een geval van spheno-lordose ten gevolge van kunstmatige schedel- 
misvorming. Akad. proefschr. door Hendrik Christian Folmer. (’s Graven- 
hagen 1897. C. P. B. ten Hagen. 8. 97 blz. en 4 plaaten.) 

Die vom Yerf. angestellten Untersuchungen betreffen den Schädel eines bei 
Schaphalster Zijl in der Gemeinde Winsum in der Prov. Groningen ausgegrabenen 
Skeletts, der Missbildungen zeigt, wie sie auf künstliche Weise durch Umschnürungen 
an Schädeln von Kindern hervorgebracht werden. Am Hinterhaupte finden sich drei 
flache Stellen, die als Wirkung von durch steife Platten ausgeübtem Drucke aufzu¬ 
fassen sind, eine gleiche flache Stelle findet sich an der rechten Seite des Vorder¬ 
kopfes, wo auch schwache Spuren des Bandes zu sehen sind, durch das die Platten 
befestigt waren. In Folge des Zusammendrückens ist der Schädel in der Längsrich¬ 
tung sehr verkürzt, während die Diagonalmittellinie eine enorme Grösse erreicht hat, 
mit Verschiebung hinter den höchsten Punkt, der vor der Lambdanaht liegt. Da¬ 
durch ist der Schädel cuneiform geworden. Die grösste Breite des Schädels liegt 
tiefer als gewöhnlich und fallt nnterhalb der Tubera parietalia. Die Sutura coronaria 
ist eigenthümlich geformt und schliesst sich rechts weiter nach hinten an die Sntura 
sagittalis an als links. Der Clivus ist heruntergerückt und liegt in gleicher Ebene 
mit dem Foramen magnum, das Basion steht tiefer, wie auch das Keilbein, das Sieb¬ 
bein und der Oberkiefer. Dadurch, dass die Pars basilaris des Clivus bedeutend 
mehr herabgerückt ist als die Pars sphenoidalis, sodass beide einen Winkel von 
192° (bei normalen Schädeln 156°) bilden, entstand ein an einen Cretinenschädel 
erinnernder Prognatismus, obwohl die Nasenknochen nicht dem Cretinenschädel ent¬ 
sprechen. In Folge der Senkung der Schädelbasis und der Vorragung der Schläfen- 
theile musste der Unterkiefer nach hinten verschoben werden. Aus allem geht her¬ 
vor, dass die Veränderungen in frühester Jugend, und zwar unmittelbar nach der 
Geburt, auf künstliche Weise erzeugt worden sein müssen. Nach Verf.’s weiteren 
Nachforschungen musste der Schädel von einem belgischen Kriegsknecht stammen; 
nach Vesalins (De corporis humani fabrica. Ausg. von Boerpave. Lugd. Batav. 
1725. Lib. I, Cap. V. p. 16) war bei den Belgiern damals thatsächlich eine künst¬ 
lich Formveränderung des Schädels durch Einwickelung gebräuchlich. 

Walter Berger (Leipzig). 


9) Ein experimenteller Beitrag zur Frage der peripheren degenerativen 

Neuritis bei Tuberoulose, von Dr. Carl Hammer, Oberarzt an der medic. 

Universitätsklinik in Heidelberg. (Deutsche Zeitschr. für Nervenheilk. 1898. 

Bd. XII.) 

Die Anregung zu dieser sehr werthvollen Untersuchung empfing Verf. durch 
einen rein zufälligen Befund. Bei 2 Meerschweinchen, welche intraperitoneal tuber- 
culös inficirt wurden und die in Folge davon an allgemeiner Miliartuberculose zu 
Grunde gingen, Hess sich an den Nn. peronei eine über den ganzen Nerven ver¬ 
breitete Degeneration nachweisen. Nach dieser Beobachtung wollte sich Verf. davon 

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vergewissern, ob diese Degenerationserscheinungen in den peripheren Nerven bei 
experimentell erregter Tuberculose regelmässig auftreten, und wenn dies nicht der 
Fall, unter welchen Bedingungen sie hervorgerufen werden können. 

Die Ergebnisse der sehr mühevollen, vermittelst der Nissl’schen Methode an 
Meerschweinchen angestellten Untersuchungen sind folgende: Die motorischen Zellen 
des Bückenmarks erkranken bei der experimentell erzeugten Tuberculose regelmässig. 
Die Intensität der Zellveränderungen ist eine sehr verschiedene; es kann bis zu einem 
Untergange der Zellen kommen. Wurden mehrere Thiere unter sonst gleichen Be* 
dingungen inficirt, so lässt sich die Zunahme der Zellveränderungen je nach der 
Krankheitsdauer feststellen. Wahrscheinlich ist die directe Ursache dieser Zellver¬ 
änderungen nicht infectiöser, sondern toxischer Natur, also nicht auf die Thätigkeit 
der Bacillen zurückzuführen, sondern eher durch giftige Stofifwechselproducte bedingt. 
Diese und vermuthlich auch andere, nach Infectionskrankheiten auftretenden Neuri¬ 
tiden sind offenbar secundärer Natur, d. h. von den primären Veränderungen der 
Ganglienzellen abhängig. E. Asch (Frankfurt a./M.). 


10) Zur Lehre von der giohtischenNeuritis, von Wilhelm Ebstein. (Deutsche 

med. Wochenschr. 1898. Nr. 31.) 

Bei der sehr untergeordneten Bolle, welche die Neuritis in der Gichtlitteratur, 
besonders der deutschen, spielt, ist es erforderlich, klinische Belege dafür zu sammeln, 
dass „bei der Gicht Neuritisformen Vorkommen, welche mit den aus anderen ätio¬ 
logischen Ursachen vorkommenden vollkommen übereinstimmen und wofür sich andere 
ätiologische Momente als die Gicht trotz - sorgfältigster Untersuchung nicht finden 
lassen“. Als Anregung hierfür theilt Verf. eine eigene Beobachtung mit: Ein 48jähr. 
Holzhändler mit typischen, alljährlich wiederkehrenden Gichtanfällen und Tophi an 
beiden Ohren zeigto eine Neuritis im Gebiete des rechten Plexus brachialis (Parese 
und Atrophie des rechten Armes, besonders ausgesprochen am M. deltoideus, Biceps 
und Interosseus I; Parästhesieen). Eine Abmagerung des linken Armes war nicht 
nachweisbar, in der letzten Zeit sollen sich jedoch ziehende Schmerzen auch in dieser 
Extremität eingestellt haben. Die auf Verf.’s Bath vom Hausarzte vorgenommene 
galvanische Behandlung beseitigte die Beschwerden am linken Arme, der rechte zeigte 
keine Besserung, aber auch kein Fortschreiten des Processes. Ein ätiologisches 
Moment ausser der Gicht war nicht zu eruiren, insbesondere fehlten die Symptome 
eines chronischen Potatoriums; die Möglichkeit eines zufälligen Zusammentreffens, die 
Auffassung der Neuritis als eine Complication besteht natürlich zu Beeilt. 

B. Pfeiffer (Cassel). 


11) Pressure neuritis eaused during surgical operations, by Howell T. Pers¬ 
hing. (Medical News. 1897. 11. Sept.) 

Verf. berichtet über 3 Fälle von Narkosenlähmung, vop denen der eine den 
Plexus brachialis, die beiden anderen den N. peroneus betrafen, alle drei entstanden 
durch Druck der Extremität gegen einen scharfen Band des Operationstisches. Die 
Fälle an sich bieten keine Besonderheiten. Martin Bloch (Berlin). 


12) Ueber einen in ätiologisoher Beziehung unklaren Fall von Polyneuritis 
ohronica mit spinalen Veränderungen, von Dr. S. Winkler. Aus dem 
Laboratorium von Prof. H. Oppenheim in Berlin. (Deutsche Zeitschrift für 
Nervenheilkunde. 1898. Bd. XII.) 

Nach einer — nur im zeitlichen Sinne — prophylactischen Heilseruminjection 
war bei einem jugendlichen Patienten eine bald vorübergehende Nierenentzündung 

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constatirt worden. Mehrere Monate später setzten Symptome ein, welche, an Schwere 
und Zahl zunehmend, allmählich das Bild einer multiplen Neuritis darboten. Ausser* 
dem liess eine gleichzeitig bestehende Parese der Blase auf eine complicirende Myelitis 
lumbalis schliessen. Die wichtigsten Erscheinungen wurden vom Yerf. selbst folgender- 
maassen zusammengefasst: 

1. Doppelseitige periphere Facialislähmung; 

2. doppelseitige Taubheit mit dem Zeichen der galvanischen Hyperästhesie; 

3. leichte Affection des linken sensiblen Trigeminus; 

4. beiderseitige, leichte Neuritis optica; 

5. fast vollständige Lähmung beider unteren Extremitäten mit dem Zeichen der 
peripheren Lähmung und Störung der Sensibilität, beträchtliche Druckschmerzhaftigkeit 
der Nerven und Muskeln. 

Bei der Section fand sich einmal in der That eine myelitische Degeneration der 
Lendenanschwellung. Die weiteren wichtigsten Befunde waren; 

1. Ein ausgedehnter alter Degenerationsprocess in den peripheren Nerven der 
unteren Extremität und im peripheren Facialis; 

2. alter Process in den Goll’schen Strängen, frischer in den Burdach’schen 
Strängen, Eieinhirnseitenstrangbahn, vorderen und hinteren Wurzeln des Bückenmarks; 

3. eitrige Meningitis spinalis, am stärksten im Lendenmarke; 

4. Degeneration der beiderseitigen spinalen Trigeminuswurzeln; 

5. Degeneration der intracorticalen Markstrahlen in der Binde der motorischen 
Region. 

Ueber die aus dem Falle sich ergebenden streitigen Punkten spricht sich der 
Verf. in der Frage nach der Aetiologie der multiplen Neuritis dahin aus, dass wohl 
eine Beihe von Ursachen zusammengewirkt haben mögen. So die Nephritis, eine nicht 
manifest gewordene Diphtherieinfection und vor Allem die Alkoholintoxication, auf 
welche die Anamnese hinweist. Zur Deutung der Bückenmarksbefunde fasst Yerf. be* 
sonders den Zeitpunkt der Entstehung der einzelnen Degeneration ins Auge. Da sich 
nun der Process in den Goll’schen Strängen als ein alter präsentirt, so wird er 
auf die nämlichen Ursachen wie die Erkrankung der peripheren Nerven zurückgeführt. 
Dagegen werden die obengenannten frischen Veränderungen in Abhängigkeit von der 
Meningitis gebracht. Diese selbst wird mit einem starken Kreuzbein* Decubitus in 
Beziehung gesetzt und als die Ursache der zum Tode führenden Verschlimmerung 
des Zustandes angesehen. 

Während sich der Verf. gegenüber der pathologischen Bedeutnng gewisser, nur 
durch Marchi deutlich gemachter Degenerationsbilder an den vorderen Wurzeln und 
Vorderhörnern skeptisch verhält, zweifelt er nicht an der Wichtigkeit des oben¬ 
erwähnten Befundes in der Grosshirnrinde. E. Asch (Frankfurt a./M.). 


13) The diagnosis and treatment of multiple neuritis, by Ch. Lewis Allen. 

(Medical Becord. '1897. 24. April.) 

A. bespricht Aetiologie, Symptomatologie, Diagnose, Prognose und Therapie der 
Neuritis multiplex. L. führt vier eigene Beobachtungen an: 

1. Eine Arsenikneuritis an den unteren Extremitäten nach längerem Gebrauche 
von Fowler’scher Lösung gegen Chorea bei einem 14jähr. Mädchen. Dauer 4 bis 
6 Wochen. 

2. Bei einer 21jährigen Imbecillen, anscheinend nach Erkältung, neuritische 
Lähmung aller 4 Extremitäten, mit nur quantitativen, elektrischen Veränderungen 
und fraglicher Sensibilitätsstörung. Nach ca. 3 Monaten Heilung. 

3. 19jähriger, kräftiger Mann, bekommt nach einer Fingerverletzung leichte 
Septikämie, die langsam heilt. Zur Schule zurückgekehrt, bemerkt er: Doppeltsehen, 


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Störung der Articulation, Parästbesieen in den Fingern, Armschwäche, dann geringe 
Rumpfmuskelparese und später Beinparaplegie. Nach vorübergehender Besserung ein 
Rückfall, bei dem aber Augen-, Gesichts- und Zungenmuskulatur verschont blieben. 
Geringe Sensibilitätsstörungen, nnr quantitative elektrische Veränderungen in einzelnen 
Muäkeln. Nach V 2 Jahre Heilung. 

4. Ein 50jähriger Mann, mässiger Potator, der schon vor 5 Jahren eine ähn¬ 
liche Krankheit aberstanden hat, bekommt eine zunehmende doppelseitige Bein- und 
Armparese mit Sensibilitätsstörungen, wozu sich Blasenstörungen gesellen. Elektrisch 
geringe Veränderungen. — A. nimmt an, dass sich Bückenmarksveränderungen zu 
der Neuritis alcoholica gesellt haben, (wegen der Blasenstörung). — Nach 6 Monaten 
war der Zustand noch unverändert. Toby Cohn (Berlin). 


14) Rückenmarksveränderungen bei multipler Neuritis der Trinker, von 
Karl Heilbronner. (Monatsschr. f. Psychiatrie u. Neurologie. 1898.) 


Verf. hat mit Hülfe der neueren Untersuchungsmethoden in mehreren Fällen von 
multipler Alkoholneuritis Nervensystem und Muskulatur untersucht. Der erste Fall 
betridt eine 37jährige Frau mit dem typischen Bilde einer schweren, in 6 Wochen 
zum Exitus führenden Trinkerneuritis, verbunden mit einer Korsakow’schen Psychose, 
ln allen betroffenen Nerven besteht starker Faserausfall und frische Degeneration; 
auch im Muse, temporalis finden sich degenerirte Nervenästchen. Die Musculatur 
zeigt Atrophie, Kernvermebrung und Bindegewebswucherung, bei meist gut erhaltener 
Querstreifung und fettiger Degeneration einzelner Muskelfasern. Im Bückenmarke lassen 
sich mit der Marchi’schen Methode feststellen: Degeneration der intramedullären 
Abschnitte der vorderen Wurzeln im Lendenmarke und schwächer im Halsmarke, 
Degeneration der hinteren Wurzeln mit Einstrahlung in Hinterhörner und Hinter¬ 
stränge, im Halsmarke stärker als im Lendenmarke, aufsteigende Degeneration in den 
Hintersträngen. Eine acute, dem psychischen Processe entsprechende Schädigung der 
Gehirnsubstanz ist nach Marchi nicht nachweisbar. — Der zweite Fall einer 61 jähr. 
Frau liess intra vitam die Diagnose zwischen Bückenmarksaffection und Neuritis 
schwanken; der Befund an Nerven, Muskeln und Bückenmark entspricht dem des 
ersten Falles. Dem intra vitam bestehenden tiefen Stupor entspricht starke Degene¬ 
ration der verschiedensten Abschnitte der Hirnrinde. Im dritten Falle bei einem 
48jährigen Phthisiker ist das Erhaltenbleiben der Patellarreflexe trotz neuritischer 
Symptome und einer Degeneration der hinteren Wurzeln in den unteren Bückenmarks¬ 
abschnitten bemerkenswerth. Dasselbe ist vielleicht mit der in diesem Falle zu con- 
statirenden Seitenstrangsaffection in Beziehung zu bringen. Die Veränderungen der 
Wurzeln siud auf die unteren Bückenmarksabschnitte beschränkt. Es besteht aus¬ 
geprägte Faserdegeneration in den Vorderhörnern. In einem weiteren Falle sind 
nach Nissl die für Alkoholismns charakteristischen Zellveränderungen der motorischen 
Ganglienzellen im Lendenmarke zu constatiren. Derselbe beweist ferner, dass die 
Wurzel Veränderungen auch ohne Fieber und ohne allgemeinen Marasmus festzustellen 
sind. Im letzten Falle endlich, bei einer im acuten Delirium zu Grunde gegangenen 
36jähr. Frau, ist eine der intra vitam vorhandenen Beflexsteigerung entsprechende 
Degeneration der Pyramidenbahn zu constatiren, während Veränderungen der Wurzeln 
und secundäre Hinterstrangsdegeneration fehlen. 

Verf. betont, dass bei der Alkoholneuritis die interstitiellen Veränderungen gegen¬ 
über dem parenchymatösen Ausfälle ganz in den Hintergrund treten. Die Muskel- 
affection stellt sich dar als eine partielle fettige Degeneration der functionirenden 
Muskelsubstanz, die elektiv Faser um Faser ergreift; erst um die atrophisch ge¬ 
wordenen Fasern erfolgt eine Kernvermehrung. Die Veränderungen der Ganglien¬ 
zellen nach Nissl bestehen in feinkörnigem Zerfall der Nissl-Körper, zunächst um 
den Kern, dann peripher, excentriscber Lagerung des Kerns und Vacuolisirung der 


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Zellen. Die Veränderungen sind nicht so schwere, nm eine Restitution völlig aus- 
zuschliessen. Was die nach Marchi erhobenen B&ckenmarksbefnnde betrifft, so 
kommt Verf. zu dem Schlüsse, dass die hier constatirten Veränderungen zu denen 
der peripheren Nerven nicht im Verhältnisse von Ursache und Wirkung stehen, 
sondern der Ausdruck einer an verschiedenen Stellen — unabhängig von einander — 
wirksam gewordenen Schädigung sind. Diese Schädigumg ist eine toxische, ohne 
dass der Alkohol dabei ausschliesslich in Betracht kommt. Verf. wendet sich gegen 
eine principielle Absonderung der Affection der hinteren Wurzeln und Hinterstränge 
bei Neuritis von den als tabische bezeichneten Affectionen der gleichen Abschnitte. 
Es kann sich wahrscheinlich aus einer toxischen Hintertrangserkrankung bei Neuritis 
eine alle Charakter der Tabes aufweisende Affection entwickeln. 

M. Roth manu (Berlin). 


15) Ueber Neuritis gonorrhoica, von B. Naunyn. (Zeitschr. f. praki Aerzte. 

1898. Nr. 11.) 

Bei einem 17 Jährigen entwickelte sich einige Wochen nach einer gonorrhoischen 
Infection eine Arthritis im linken Ellenbogengelenke und Knie. Fast gleichzeitig trat 
im rechten Beine eine Neuritis auf mit sehr heftigen continuirlichen Schmerzen und 
eigenthümlicher Hyperästhesie für Berührung. Unter Anwendung von Natr. salicyl. 
und Leiter’schen Röhren schwanden die Schmerzen; jedoch zeigte sich nun eine 
beträchtliche Atrophie des rechten Beines mit Herabsetzung der activen Beweglich¬ 
keit und Paresen, vor Allem des Quadriceps. Der Patellarreflex war beiderseits 
gesteigert, Dorsalclonus vorhanden. 

Verf. giebt einen historischen Ueberblick über diese sicher in Beziehung zur 
Gonorrhoe stehende nervöse Erkrankung. Es kommen neben den Neuritiden auch 
spinale Erkrankungen mit transversalem Symptomencomplexe vor, über die einige 
genauere anatomische Untersuchungen vorliegen. Alle diese nervösen Zufälle sind 
Folgen der im Anschlüsse an Gonorrhoe auftretenden Allgemeinerkrankung. Sie finden 
sich vorwiegend bei jnngen Leuten. Zur Therapie empfiehlt Verf. 3—4 g Natr. 
salicyl. in einer Dosis einige Tage nacheinander Abends und Kälte auf die erkrankten 
Nervenstämme, besonders in Form der Leiter’schen Röhren. 

M. Roth mann (Berlin). 


16) Ueber alkoholische Paralyse und infeetiöse Neuritis multiplex, von 

Director Dr. Th. Tiling, Anstalt Rothenberg. (Marhold. 1897. Halle a./S.) 

Bei der sogenannten Alkoholparalyse ist die psychische Störung durch primären 
Schwachsinn charakterisirt., deren Hauptsymptom eine bedeutende Gedächtniss- 
störung ist. Die Kranken haben Erinnerungstäuschungen und schmücken wirkliche 
Erlebnisse phantastisch aus; Geschichten, die sie im Moment der Erzählung erfinden, 
erzählen sie gleich darauf in anderem Sinne wieder. Wahnideeen sind nicht vor* 
handen. Nachdem schon eine Zeit lang psychische Krankheitssymptome bestanden 
haben, gesellen sich somatisch-nervöse Anomalieen zu ihnen. Dieselben bestehen in 
Herabsetzung der motorischen Kraft, Paresen der Extensoren, Verminderung des 
Tastsinns, namentlich an der Peripherie, Schmerzen in den Extremitäten, Verlang¬ 
samung der Schmerzempfindung, Rückempfindung, subjectivem Kältegefühl. Die 
Patellarsehnenrefiexe fehlen, Atrophieen bilden sich aus, die elektrische Reaction ist 
herabgesetzt, Entartungsreaction wird beobachtet. Die Muskeln fühlen sich teigig an. 
Der Puls kanu beschleunigt werden und aussetzen, Athembeschwerden können anf- 
treten. Tremor manuum besteht. Bei geeigneter Behandlung gehen die neuritischen 
Symptome weg, die psychische Störung ist jedoch nach den Erfahrungen des Verf.’s 
nur relativ reparabel, meistens verbleibt psychische Invalidität. Die Hauptsache der 


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Behandlung ist Alkoholabstinenz; ausserhalb der Anstaltspflege trinken die Kranken 
immer wieder — zum Theil deswegen, weil sie in Folge ihrer Gedächtnissstörung 
vergessen, dass sie soeben erst getrunkeh haben. Ref. hat zwei sehr schwere Fälle 
von sogenannter Alkoholparalyse körperlich und psychisch heilen sehen und legt im 
Gegensatz zum Verf. der electrischen Behandlung Werth bei. Die Krankheit währte 
in den beiden vollständig geheilten Fällen im Ganzen 1—2 Jahre. 

Ausser dem Alkohol können nun noch verschiedene andere Intoxicationen (Auto* 
intoxicationen) das Bild der multiplen Neuritis mit amnestischer Geistesstörung her* 
vorrufen. Festgestellt ist dies nach Typhus, Puerperium, Gangrän, Enteritis und 
Aehnlichem. Hier gehen psychopathologische Anomalieen der Krankheit nicht voraus, 
neuritische und psychische Störungen setzen zu gleicher Zeit ein. Psychische Ge* 
nesung ist häufiger als bei Alkoholparalyse. Die Krankheit ist aber viel seltener 
als die zuerst skizzirte. Fieber ist bei beiden Affectionen in der Regel nicht vor¬ 
handen. G. Ilberg (Sonnenstein). 


17) Die Beri-Beri-Krankheit, von K. Däukler. Nach einem Vortrag, gehalten 
auf der 60. Versammlung deutscher Naturforscher u. Aerzte in Frankfurt a./M. 
(Virchow’s Archiv. Bd. CLXII.) 

Verf. schildert auf Grund zahlreicher eigener klinischer und pathologisch-anato¬ 
mischer Beobachtungen und unter Berücksichtigung der einschlägigen Litteratur in 
zusammenfassender Weise das Krankheitsbild der Beri-Beri. Er geht namentlich auf 
die noch unklaren ätiologischen Verhältnisse ein und betont, dass er der Auffassung 
anderer Autoren, welche die Beri-Beri in nahe ätiologische Beziehung zur Malaria 
bringen, nicht beitreten kann. Der Vortrag enthält im Uebrigen nichts wesentlich 
Neues. Lilienfeld (Gr.-Lichterfelde). 


18) Ein Fall von Lepra anaesthetica mit Sectionsbefund, von Samgin. 

Aus dem 1. Stadthospital in Moskau. (Deutsche med. Wochenschr. 1898. Nr. 30.) 

Die Uebertragnng geschah wahrscheinlich durch Beschäftigung mit Rohseide, 
bezogen ans den asiatischen Provinzen Russlands und aus Buchara, wo die Lepra 
endemisch ist. Die Krankheit begann bei dem 50jährigen Manne mit chronischer 
Rhinitis und Schmerzen, verbunden mit Anästhesieen, an den Extremitäten. Bei der 
ersten Untersuchung durch Verf., 6 Jahre nach den Initialsymptomen, war schon der 
grösste Theil des Körpers anästhetisch, kurz vor dem Tode die Sensibilität nur an 
einer 17 cm breiten und 20 cm langen Stelle im Interscapularraum erhalten. An 
den meisten anästhetischen Stellen, welche genau den atrophischen, von einem pigmen* 
tirten Saum umgebenen, leprösen Flecken entsprachen, bestand Thermoanästhesie und 
Analgesie bei annähernd normaler tactiler Empfindung. Die leprösen Flecke flössen 
gegen Ende des Lebens zusammen, der pigmentirte Saum wurde undeutlich, die 
Haut zwischen den Schulterblättern blieb normal. An den Fingern Narben in Folge 
von Panaritium analgicum, keine Mutilationen. Lähmung des N. facialis, links com- 
plett, rechts nur im oberen Theil, des N. ulnaris und peronei. Intra vitam Lepra¬ 
bacillen in der Haut nicht nachweisbar (im Nasenschleim? Ref.). Exitus. Die 
histologische Untersuchung der Haut ergab Abplattung der Papillen, Verdünnung des 
Stratum Malpighii, Atrophie der Drüsen und Haare, zerstreute Infiltrationen von 
runden oder spindelförmigen Zellen in der Umgebung der Gefässe und Drüsen, keine 
Riesenzellen. An früher betroffenen Stellen trat die Infiltration zu Gunsten der 
Atrophie und bindegewebigen Umwandlung zurück. Leprabacillen wurden nur spär¬ 
lich gefunden und nur in frischen Infiltrationen beobachtet; sie sassen in den Zellen, 
aber auch in den Gefässwänden und waren in den älteren Herden in Detritus um¬ 
gewandelt, der aber noch die Ziehl’sche Färbung annahm, während die ganz alten 
Infiltrationen weder Bacillen noch Detritus zeigten. Die peripheren Nervenäste und 
grösseren Stämme wiesen interstitielle Neuritis auf; Peri-, Epi- und Endonenrium 


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waren betroffen, zeigten epecifische Infiltration mit Bandzellen und bindegewebige 
Umwandlung. Das Myelin war nur in Klümpchen erhalten oder ganz verschwunden, 
die spärlichen Bacillen lagen in den Leprazellen oder auch zerstreut im Bindegewebe 
des Nerven. Es bestand ferner in den hinteren Wurzeln secundäre aufsteigende 
Degeneration ohne specifische Infiltration, Sclerose der Goll’schen Stränge, besonders 
im Halstheil; die Zellen der Vorder- und Hinterhörner waren intact. In den Spinal- 
ganglien fand sich tbeilweise Degeneration der Nervenfasern, Hyperplasie des Binde¬ 
gewebes mit Kernvermehrung und starke Pigmentation der Zellen. — Bacillen waren 
weder im Rückenmark, noch in den Spinalganglien, noch in der Hirnrinde oder den 
untersuchten inneren Organen zu constatiren. 

Bei der rein anästhetischen Lepra finden sich die Bacillen nicht nur in den 
Nerven, sondern auch in den Hautiufiltrationen. Die specifische Infiltration, an den 
peripheren Enden der Hautnerven beginnend, schreitet sehr weit centralwärts fort, 
höher hinauf folgt dann mit dem Aufhören der Infiltration die secundäre Degene¬ 
ration, welche sich auch auf die Wurzeln ausdehnt. Die Degeneration der öoll’schen 
Stränge ist daher secundär. 

Die bindegewebige Umwandlung der Infiltrate bedingt den rascheu Schwund der 
Bacillen in der Haut und den Nerveninfiltraten und die Sclerose der Nervenstämme. 
Diese bindegewebige Organisation ist charakteristisch für Lepra anaethetica, gegen¬ 
über der L. tuberosa, beide Formen unterscheiden sich ferner durch die Qualität 
bezw. verschiedene Lebensbedingungen der Bacillen. Nur so lässt sich erklären, 
warum bei der Lepra tuberosa trotz zahlreicher Bacillen die Nerven anatomisch und 
functioneil intact bleiben, während bei der anästhetischen Form wenige Bacillen voll¬ 
ständige Nervensclerose bedingen können. R. Pfeiffer (Cassel). 


19) Zur Lehre von der Lepra; Contagion und Heredität, von Prof. E. v. 

Düring in Constantinopel. (Deutsche med. Wochenschr. 1898. Nr. 20 u. 21.) 

Verf. unterzieht die Arbeiten von Kaposi (Wiener klin. Wochenschr. 1897. 
Nr. 47) und Zambaco (Lettre ä Mr. le Präsident de la Sociätä Impäriale de Medecine, 
Moniteur Oriental. Novembre 26 und De la confärence su la läpre, tenue räcemment 
ä Berlin.' Revue mädico-pharmatique. 1897. Nr. 11. Novembre 15.), ferner den Auf¬ 
satz von Baeltz (Berliner klin. Wochenschr. 1897. Nr. 46 ff.) einer eingehenden 
Kritik, deren Details im Originale nachzulesen sind. Gestützt auf die bacilläre Natur 
der Krankheit, das Freibleiben der in Constantinopel lebenden Griechen und Türken, 
die Verbreitung der Krankheit bei den Spaniolen, das Freibleiben der Nachkommen 
der Norweger in Amerika und die Abnahme der Lepra in Norwegen durch die Iso¬ 
lation hält Verf. die Lepra für eine contagiöse Infectionskrankheit Die Uebertragung 
geschieht nur von Mensch zu Mensch durch Contagion in einer bisher nicht absolut 
sicher festzustellenden Weise, sie kommt in unserem Erdtheile nicht sehr leicht und 
nicht sehr häufig vor. — Die Verbreitung der Lepra durch Heredität ist, wenn über¬ 
haupt vorhanden, gering. R. Pfeiffer (Cassel). 


20) Ueber die Behandlung der Lepra auf den Fidschi-Inseln, von Prof. 

L. Lewin (Berlin). (Deutsche med. Wochenschr. 1897. Nr. 21.) 

Das Verfahren ist nach dem Berichte des Missionars Moore folgendes: In einer 
kleinen Hütte wird der nackte Körper des Leprösen mit grünen Blättern gerieben 
und mit diesen ganz bedeckt, dann ein kleines Feuer entzündet und auf dasselbe 
einige Stücke des giftigen Sinubaumes gelegt. An Händen und Füssen gefesselt, 
wird der Lepröse mit einem an seinen Hacken befestigten Tau über das Feuer ge¬ 
zogen, so dass sein Kopf, ca. 15 Zoll vom Boden entfernt, mitten im giftigen Rauch 
sich befindet. Die Thür wird geschlossen, der Kranke bleibt oft Stunden lang in 
der Hütte; erst wenn er genügend durchräuchert ist, kratzt man den „Schleim“ vom 


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Körper und schneidet tiefe Wunden in die Haut, bis das Blut fliesst — alsdann 
legt man den Kranken auf eine Matte, ln vielen Fällen folgt Qenesnng von der 
Lepra, in einzelnen der Tod. 

Der Sinubaum ist die Eupborbiacee Excoecaria Aggallocha L. und findet sich 
auch in Indien, dem malayischen Archipel, Heu-Guinea und den Inseln des stillen 
Oceans bis zu den Freundschaftsinseln. Der Stamm des Baumes liefert bei der Ver¬ 
wundung einen reichlichen, weissen Milchsaft, der eingetrocknet eiue kautschukähn¬ 
liche Masse darstellt, welche zu 0,06—0,12 g von den Bootsleuten der vorderindischen 
Westküste als Purgans gebraucht wird. Der Saft hat ferner eine local entzündungs¬ 
erregende Eigenschaft und zweifellos einen wesentlichen Antheil an der behaupteten 
Wirkung der oben geschilderten Behandlung. Die Grundbedingungen der letzteren: 
Wärme, möglichst langes Wirkenlassen des Milchsaftes der Excoecaria bezw. deren 
Schmelzproducte und tiefe Scarificationen, Hessen sich bei eventuellen Versuchen leicht 
erfüllen. Lepraforschern erschliesst sich hier eine, wie Verf. glaubt, aussichtsvolle 
Arbeit. B. Pfeiffer (Cassel). 


III. Aus den Gesellschaften. 

Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzce zu Düsseldorf am 

10. und 20. September 1808. 

Seotion für Neurologie und Psychiatrie. 

Sitzung vom 19. September, Nachmittags. 

Herr Prof. Dr. Hirt (Breslau): Ueber chronischen Morphinismus und 
dessen Behandlung ausserhalb einer Anstalt. • 

Vortr. bespricht nacheinander: 

die Ursachen des Morphinismus (in erster Linie körperliche Erkrankungen 
mit sehr heftigen Schmerzen — Tic douloureux, Intercostalneuralgie, Ischias, Tabes 
u. s. w.), ferner psychische Abnormitäten, Depresssions- und Angstzustände, psychische 
Impotenz, geistige Ueberanstrengung n. s. w)., 

die Applicationsweise des Morphiums (in 90°/ o der Fälle wird die 
Spritze gebraucht und zwar werden nach seiner Erfahrung in erster Linie der linke 
Vorder- und Unterarm, der linke Oberschenkel, dann der rechte Arm, seltener die 
Wade und ganz ausnahmsweise der Bauch zu den Injectionen benutzt), 

die Höhe der verbrauchten Dosen (unterliegt enormen Schwankungen), 
die Wirkung des Morphiums bei einzelnen und bei fortgesetzten Injectionen, 
die Erscheinungen des inveterirten Morphinismus (fahles gelbgraues 
Aussehen, pergamentartige Beschaffenheit der Haut, enge Pupillen, profuse Tag- und 
Nachtschweisse, Sinken und völliges Erlöschen der Libido sexualis, Verschwinden der 
Spermatozoen aus dem Sperma, Unfähigkeit zu geistiger und körperlicher Arbeit, 
Abnahme des Gedächtnisses und endlich völlige Kachexie), 

die mit der Morphiumentziehung verbundenen qualvollen Erschei¬ 
nungen, 

und schliesslich 

die von ihm geübte Behandlung der Fälle, die weniger wie 3—4 dg 
auf den Tag spritzeu. 

Während Vortr. bei Kranken, die höhere Dosen injiciren, den Aufenthalt in 
einer Anstalt für die ersten Tage der Abstinenz für unentbehrlich hält, glaubt er 
bei diesen die Entziehung ausserhalb einer Anstalt durchführen zu können und zu 
müssen, da der Morphinismus zu den Leiden gehört, die man wegen des auf ihnen 
lastenden Odiums der Oeffentlicbkeit möglichst zu entziehen sucht und sein Bekannt- 


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werden durch den Anstaltsaufenthalt nicht selten die sociale Existenz des Kranken 
gefährdet, ja vernichtet. 

Da bei diesen Kranken von einer sogenannten Luxus* und Arbeitsdosis im 
Sinne Erlenmeyer’s nicht die Rede sein kann, so gilt Vortr. bei ihrer Behandlung 
als suprema lex: „Fort mit dem Morphium, ohne vorherige Herabminde¬ 
rung der Dosen, gänzlich und augenblicklich bei Beginn der Behänd* 
lung!“ 

Während ihrer Dauer, besonders aber in den ersten Tagen, muss der Kranke 

scharf überwacht und darf niemals ohne Begleitung sein. Hierzu eignet sich 

am besten das weibliche Geschlecht, nur ein Weib ist nach der Erfahrung des Vortr. 
„absolut zuverlässig und am besten verwendbar in den Stunden der Gefahr, wenn es 
den Patienten fast unwiderstehlich in die Bande des Morphiums zurückzieht.“ 

Um den Kranken über die ersten 3—5 Tage, die die schlimmsten sind, hinweg¬ 
zuhelfen, giebt es nur ein Mittel, das ist der Schlaf; der vielfach vorgeschlagene 
Alkohol in seinen verschiedenen Formen nützt nichts. Der Kranke muss nach Entziehung 
des Giftes 2—3 Mal 24 Stunden möglichst ununterbrochen schlafen; die Nahrungs¬ 
aufnahme ist in dieser Zeit Nebensache. Vortr. erzielt den Schlaf am 1. und 

2. Tage durch 3—37a S Chloral, am 3. und 4. Tage durch 2—3 g Trional, event. 
auch mehr auf den Tag. 

Sind die ersten 4 Tage vorüber, so verordnet Vortr. laue Bäder mit kühlen 

Uebergiessungen 2—4 Mal täglich, giebt in Eis gekühlte Milch, Kefyr, Sodawasser, 
brausendes Bromsalz und wenn Patient darnach verlangt, Alcoholica. Auch fernerhin 
muss wochenlang die Ernährung des Kranken auf das Peinlichste geregelt und 
überwacht werden. Die eigentliche Behandlung des Morphinisten beginnt am 
6. Tage mit systematisch vorgenomraenen Suggestionen 3 Mal am Tage je eine 
Stunde. 

Da Vortr. seine Stellung zur Suggestionstherapie wiederholt öffentlich, zuletzt als 
Sachverständiger in dem bekannten Process Czynski dargelegt hat, geht er nicht 
weiter auf Details ein, sondern bemerkt nur noch, dass zur Herbeiführung der be¬ 
friedigendsten Erfolge nie ein tiefer Schlaf, viel mehr nur ein leichter Dämmer¬ 
zustand erforderlich ist, eine sogenannte Wachsuggestion, deren richtige Herbei¬ 
führung allerdings nur durch viele Uebung erlernt werden kann. 

Zum Schluss giebt der Vortr. eine Uebersicht über die von ihm in den letzten 
Jahren behandelten Fällen. Die Dauer der Behandlung schwankte zwischen 3 Wochen 
und 9 Monaten. Von 35 Morphinisten (24 Männer — 11 Aerzte, 7 Juristen, 3 Philo¬ 
logen, 3 Apotheker —,11 Frauen — 3 Krankenpflegerinnen, 3 Lehrerinnen, 5 Familien¬ 
mütter aus den besten Ständen —) wurden 27 (77 °/ 0 !) völlig geheilt, 6 entzogen 
sich der Behandlung, 2 endeten durch Selbstmord. Völlige Genesung nimmt Vortr. 
erst dann an, wenn 17*—2 Jahre nach der letzten Injection ohne Rückfall ver¬ 
flossen sind. Von den Aerzten, die Morphinisten gewesen, verlangt er als conditio 
sine qua non, die absolute Enthaltung von jeder subcutanen Einspritzung in der 
Praxis, da eine einzige Injection bei einem anderen einen Rückfall herbeiführen kann. 
(Der Vortrag erscheint in extenso in den Therapeutischen Monatsheften.) 

In der Discussion nimmt zunächst Herr Erlenmeyer (Bendorf) das Wort: 

Die hauptsächlichste Aufgabe, die bei der Leitung einer Morphiumentziehung 
zu lösen ist, ist die Durchführung einer Ueberwachung, die absolut sicher ist, die 
vor allem verhütet, dass der Kranke sich heimlich, hinter dem Rücken des Arztes 
Morphium verschafft. Deshalb muss die Ueberwachung sowohl in Bezug auf die 
Räumlichkeiten und ihre Einrichtung, in denen der Kranke behandelt werden soll, 
als auch in Bezug auf das Personal durchaus vollendet sein. Unter diesem Gesichts¬ 
punkte ist das Vorgehen des Vortr. Morphinisten in einem Hotel einer plötzlichen 
Entziehung zu unterwerfen, als sehr gewagt zu bezeichnen und muss bezweifelt 
werden, dass diese Methode bei allen Kranken durchführbar ist. Auch die Scheidung 


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der Kranken in zwei Klassen — in solche, die unter 0,5 g, und solche, die mehr 
spritzen — ist nicht gerechtfertigt, denn wichtiger als die Ursache des Morphinismus 
und die Dosis ist für die Behandlung die Zeit, welche der Patient an das Morphium 
gewöhnt ist; von ihr hängt die Prognose ab, sowohl die Prognose der Entziehung, 
wie die des Becidivs. 

Der Behauptung des Vortr., dass in dem Sperma des Morphinisten keine Sper¬ 
matozoon gefunden worden, steht die Beobachtung entgegen, dass sehr viele ver¬ 
heiratete Morphinistea während der Zeit der Morphiumzufuhr Kinder gezeugt haben. 
Unbedingt ist aber dem Vortr. darin beizupflichten, dass er f&r die Entziehungskur 
weibliches Pflegepersonal empfiehlt und während der Kur wenig Alkohol giebt. Am 
besten verlaufen nach E.’s Erfahrung die Kuren, in denen gar kein Alkohol ge¬ 
reicht wird. 

Herr Mann (Breslau) kann sich fQr die Suggestionsbehandlung nicht begeistern, 
da er in den Ausführungen des Vortr. einen Beweis für die Wirksamkeit der 
Suggestionsbehandlung nicht findet. Auch er hält, wie Erlenmeyer, die Ueber- 
wachung für die Hauptsache in der Behandlung der Morphinisten. 

Herr Höstermann (Boppard) spricht sich für die allmähliche Entziehung aus, 
da sie das Nervensystem doch wesentlich schone. 

Herr Jolly (Berlin) bemerkt, dass im Gegensatz zu den Mittheilungen des 
Vortr. nach seiner Erfahrung die Injectionen sehr häufig auch am Bauch, reichlich 
so häufig wie an den unteren Extremitäten gemacht worden. 

Herr Hirt (Breslau) (Schlusswort): Abgesehen davon, dass die gut geleisteten 
Anstalten für viele zu theuer sind, muss man auch daran denken, dass semper 
aliquid haeret, wenn jemand in einer Anstalt gewesen ist. Daher soll man, wenn 
es sich irgendwie durchführen lässt, einen Morphinisten, der mittlere Dosen (bis zu 
0,4 auf den Tag) spritzt, ausserhalb einer Anstalt behandeln, nnd dass dies möglich 
ist, zeigt seine Erfahrung. Für die Behandlung ist nicht sowohl die Ursache, Dosis, 
Zeit, als vielmehr der Zustand des Kranken von Wichtigkeit. Die allmähliche 
Entziehung nützt nichts, verlängert nur die Qualen. 

Herr Cr am er (Göttingen): Ueber moralische Idiotie. 

Die Aufnahme des Begriffe der moralischen Idiotie in den § 2 des Schweizer 
Irrengesetzentwurfs, sowie ein gegen seine Kritik der Kölle'sehen Gutachten ge¬ 
richteter Artikel Forel’s über die moralische Idiotie haben Vortr. veranlasst, noch 
einmal auf dies alte Thema einzugehen. 

Nachdem er des längeren die Unmöglichkeit der Annahme des Begriffes der 
moralischen Idiotie sowohl vom wissenschaftlichen, wie vom praktischen Standpunkte 
nachgewiesen, kommt er zu folgenden Schlusssätzen: 

1. Die moralische Idiotie kommt in foro nur dann in Betracht, wenn die sie 
veranlassende Krankheit naebgewiesen ist 

2. Die moralische Idiotie ist in der Praxis nur verwendbar, wenn eine Gesetz¬ 
gebung in deterministischem Sinne vorhanden ist. 

3. Ich halte mich nicht für competent, darüber zu entscheiden, ob es zweck¬ 
mässig ist, eine solche Gesetzgebung einzuführen, glaube aber, dass es noch lange 
dauern wird, bis alle Schwierigkeiten, welche sich der praktischen Durchführung 
entgegenstellen, beseitigt sind. 

4. Die moralische Idiotie kann bei den verschiedensten Geisteskrankheiten als 
ein am meisten in die Augen fallender Symptomencomplex Vorkommen. 

5. Der Nachweis der ethischen und moralischen Perversität allein genügt zum 
Nachweis der Krankheit nicht. 

6. Es kann desshalb, so lange die heutige Gesetzgebung besteht, in foro nicht 
von einer moralischen Idiotie als Krankheit im Sinne des § 51 des Str.-G.-B. ge¬ 
sprochen werden. 


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7. Bei dem heutigen Stande der Wissenschaft ist es äusserst schwierig, in 
praktisch durchführbarer Weise in einer zn schaffenden Gesetzgebung die moralische 
Idiotie im Sinne der „Neuen“ zu berücksichtigen. 

8. Es ist nicht statthaft, ein Gutachten im Sinne einer noch zu schaffenden 
Gesetzgebung abzugeben. 

9. Die Fälle mit im Vordergrund stehenden ethischen und moralischen Defecten, 
bei denen man auch nach genauer Untersuchung im Zweifel sein muss, ob Krank¬ 
heit vorliegt oder nicht, sind selten. 

10. Das praktische Bedürfnis für solche Fälle eine besondere Gesetzgebung zu 
schaffen, ist nicht so gross, wie es auf den ersten Anblick scheint. Es deckt sich 
diese Frage ungefähr mit der Frage nach der geminderten Zurechnungsfähigkeit; 
vielleicht könnte die Ausdehnung der bedingten Strafaussetzung auf Erwachsene hier 
noch Erleichterungen schaffen. 

11. Wird der Begriff der moralischen Idiotie heute schon in die Gesetzgebung 
eingeführt, so wird die Zahl der Individuen, welche in dieses Gebiet fallen, in völlig 
ungerechtfertigter Weise enorm ansteigen. 

Discussion: 

Herr Mendel (Berlin) kann sich mit den Anschauungen des Vortr. im grossen 
und ganzen nur einverstanden erklären; betreffs der Frage der verminderten Zu¬ 
rechnungsfähigkeit erinnert er daran, dass dieser Begriff in den Entwurf zum Straf¬ 
gesetzbuch für den norddeutschen Bund aufgenommen war, von der Commission des 
Reichstags aber nach längerer Debatte gestrichen wurde, da die mildernden Umstände 
ihn hinreichend ersetzten. Auch jetzt liegt nach seiner Ansicht ein Bedürfniss zur 
Einführung der verminderten Zurechnungsfähigkeit in das Strafrecht nicht vor, viel¬ 
mehr besteht für den Fall ihrer Einführung die Gefahr, dass dann mancher un¬ 
zweifelhaft Geisteskranke, der jetzt auf Grund des § 51 freigesprochen, unter An¬ 
nahme der verminderten Zurechnungsfähigkeit verurtheilt wird; dagegen hält er die 
bedingte Verurtheilung mit Annahme mildernder Umstände für manche Fälle, wie 
auch schon der Vortr. ausgeführt, für sehr zweckmässig. Der Schwerpunkt für die 
für die sogen, verminderte Zurechnungsfähigkeit in Betracht kommenden Fälle liegt 
nicht darin, dass die Dauer der Strafe eine kürzere ist, sondern darin, dass für 
diese Fälle der Strafvollzug ein anderer, als bei geistig normalen Verbrechern sein 
muss. Auf ein Beichsgesetz für den Strafvollzug warten wir aber bisher vergeblich. 

Herr Cramer hält die von M. erwähnte Gefahr, dass für den Fall einer Auf¬ 
nahme der verminderten Zurechnungsfähigkeit in das Strafrecht Geisteskranke als 
gemindert zurechnungsfähig verurtheilt werden könnten, ebenfalls für sehr nahe¬ 
liegend. 

Herr Nissl (Heidelberg): Sind wir im Stande, aus dem pathologisch- 
anatomischen Befunde die Diagnose der progressiven Paralyse zu stellen? 

Vortr. hat die Ueberzeugung gewonnen, dass seine vor 2 Jahren aufgestellte 
Hypothese, die paralytische Rindenerkrankung sei eine primäre Erkrankung der 
Rindenneurone sich nicht mehr aufrecht halten lässt, da es keine sogenannten Nerven- 
einheiten giebt. Das leitende Element im Nerven und in der Nervenzelle, wie fest 
steht, ist die Primitivfibrille, aber ihr Schicksal jenseits der letzteren ist unbekannt 
„Man weiss nur, dass zwischen den Nervenzellen sich die graue Substanz befindet, 
die ein specifischer Bestandteil des nervösen Gewebes ist.“ Dagegen ist ihre 
Architectonik, ihre Beziehungen zu den Nervenzellen, den Axencylindern und den 
Markfasern, zu den Gliazellen, ihren protoplasmatischen Ausläufern und den Weigert’- 
sehen Gliafasern, zu dem Blut- und Lymphgefässapparat, bisher gänzlich unbekannt; 
ebensowenig kennt man die Bedeutung der mit den heutigen Hülfsmitteln nachweis- 


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baren krankhaften Veränderungen der Nervenzellen; sicher sind sie nicht der Aus¬ 
druck von nervösen Functionsstörungen. 

Da nun ganz abgesehen von anderen Hypothesen Ober das Wesen der Paralyse 
nicht einmal die am gründlichsten studirte Erscheinung derselben, die paralytische 
Rindenerkrankung ihrem Wesen nach bekannt ist, so ist es klar, dass, wenn eine 
pathologisch-anatomische Diagnose der Paralyse überhaupt möglich ist, sie auf 
Qrund rein empirischer Anhaltspunkte gestellt werden kann. 

Bei seinen diesbezüglichen Untersuchungen der Leichenbefunde in den chronisch 
verlaufenden, d. h. sich auf mehrere Jahre erstreckenden, klinisch unzweifelhaften 
Fällen von Paralysen ist Vortr. zu dem Ergebniss gelangt, dass folgende Vierzahl 
der Erscheinungen die Diagnose der chronisch verlaufenden Paralyse äusserst wahr¬ 
scheinlich macht, vielleicht sogar sicher stellt: 

1. nachweisbarer Schwund der Diplofi, 

2. eine nicht durch ihre Intensität, sondern nur durch die Art ihrer Ausdehnung 
charakteristische Verdickung und Trübung der weichen Häute — sie erstreckt sich 
über die Convexität und die Innenfläche des Stirn- und Scheitelhirns, lässt aber den 
Occipitalpol frei; die milchige Trübung ist nicht constant und häufig nur stellen¬ 
weise angedeutet, der Accent ist daher auf den Nachweis der Verdickung zu legen, 

3. Hydrocephalus internus und externus, 

4. eine nachweisbare Atrophie des Stirn- und Scheitelhirns über der Convexität 
und Innenseite des Hirnmantels. 

Nicht darauf kommt es an, dass diese 4 Erscheinungen intensiv oder in 
gleicher Intensität auftreten, sondern darauf, dass alle 4 Erscheinungen zu 
gleicher Zeit überhaupt nachweisbar sind. 

Wenn nun auch das gleichzeitige Vorhandensein aller 4 Erscheinungen die 
Diagnose der chronischen Paralyse äusserst wahrscheinlich macht, vielleicht sogar 
sicher stellt, so ist man aber auf der anderen Seite nicht berechtigt, sie in Abrede 
zu stellen, wenn die genannte Vierzahl nicht gleichzeitig nachzuweisen ist. 

Die Ependymgranulationen, starre, klaffende Gefässe u. s. w. gehören nicht zu 
den diagnostisch-verwerthbaren Befunden. 

Was die mikroskopischen Befunde anbetrifft, so sind weder die Veränderungen 
der Nervenzellen und markhaltigen Fasern, noch der Gefässe und Lymphbahnen, noch 
der Stützsubstanz für die Paralyse charakteristisch. 

Eine Diagnose auf Grund des mikroskopischen Befundes ist ohne weiteres nur 
möglich in den seltenen schweren Fällen von Paralyse, in denen in grosser Aus¬ 
dehnung die Grundsubstanz faserig umgewandelt, die Schrumpfung ohne Weiteres 
erkennbar und die mit Kernen übersäte Markleiste auf einen kleineu Bruchtheil ihres 
Umfanges reducirt ist, in denen ferner ein anormaler Ausfall von Markfasern, und 
statt der Tangentialfasem ein mächtiger Wall eines dichten Gliafilzes gefunden wird, 
in denen endlich reichliche, zum Theil förmlich gemästete Spinnenzellen neben fast 
durchweg sklerosirten Nervenzellen und ausserdem noch die schwersten Gefäss- 
erkrankungen aller Art in Verbiudung mit hochgradigen Piaveränderungen u. s. w. 
constatirt werden können. Aber auch hier sind die gefundenen Veränderungen an 
und für sich nichts für die Paralyse charakteristisches — ähnliche Bilder finden 
sich stellenweise auch bei anderen Erkrankungsprocessen —, sondern nur die 
Intensität und Ausdehnung der geschilderten Veränderungen ist für die 
Paralyse charakteristisch. 

In den weniger schweren Fällen ist eine sichere Diagnose auf Grund des mikro¬ 
skopischen Befundes schon nicht mehr möglich. 

Die sichersten Kriterien für das Vorhandensein einer paralytischen Rinden¬ 
erkrankung sind nach des Vortr. Erfahrung: 

Abweichung in der Lagerung und Vertheilung der Rindenelemente, 
sowie damit Hand in Hand gehend ein Undeutlicherwerden oder gar 


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eine Verwischung des Schichtenbildes 1 und eine Verkleinerung der 
Zwischenräme zwischen den Nervenzellen. 

Diese Merkmale hat er nur bei der klinisch unzweifelhaften chronisch ver¬ 
laufenden Paralyse gefunden und sie hier in keinem Falle vermisst. 

Daher ist bei ihrem Vorhandensein nach seiner Ansicht die Diagnose der para¬ 
lytischen liindenerkrankung ausserordentlich wahrscheinlich. 

Zum Schluss seines Vortrages erörtert Vortr. die Frage, ob die letzt erwähnten 
Merkmale mit dem Wesen der paralytischen Rindererkrankung Zusammenhängen, und 
ist geneigt, sie zu bejahen, da er sie bei keiner anderen Erkranknng, trotz Rinden¬ 
atrophie, trotz Gliawucherung, trotz Ausfalls von Markfasern gefunden hat und darin 
dennoch die Ursache ihres Vorkommens bei der Paralyse nicht zu suchen ist. Er 
spricht die Vermuthung aus, dass sie auf eine Veränderung bezw. auf das zu Grunde 
gehen der grauen Substanz zurückzuführen seien; dennoch wäre die paralytische 
Rindenerkrankung als ein pathologisch-anatomischer Process aufzufassen, bei dem die 
graue Rinde schwindet bezw. zu Grunde gebt. 


Sitzung vom 20. September 1898, Vormittags. 

Herr Sander (Frankfurt a./M.): Die Hirnrinde bei multipler Sklerose 
(mit Demonstrationen). 

Ausgehend von der Erwägung, dass die Rindenherde bei multipler Sklerose 
besonders geeignet sein müssten zur Entscheidung der Frage nach Entstehen und 
Fortschreiten des Krankheitsprocesses, da in der Rinde die verschiedenartigen ner¬ 
vösen Elemente dicht beieinander liegen und pathologische Veränderungen in der 
Stützsubstanz schon im frühesten Stadium deutlich zu erkennen sind, hat Vortr. bei 
Untersuchung eines Falles von multipler Sklerose (10jähriger atypischer Verlauf mit 
spastischer Lähmung der unteren Extremitäten, Intentionszittern und mässiger De¬ 
menz) speciell sein Augenmerk auf die Veränderungen in der Hirnrinde gerichtet. 

Der makroskopische Obductionsbefund war der gewöhnliche. 

Die mikroskopische Untersuchung (Markscheiden- und Ganglienzellenfärbungen 
nach Wolters, Marchi, Nissl, Weigert’sche Neurogliamethode, Robertson’- 
sehe Methode, Gombination der Marchi-Mothode mit anderen Markscheidenfärbungen) 
ergab Folgendendes: 

Ueber das ganze Centralnervensystem zerstreut, sowohl in der grauen wie weissen 
Substanz, finden sich zahlreiche grössere, wie kleinere und kleinste Herde älteren, 
jüngeren und jüngsten Datums, in denen je nach ihrem Alter die Markscheiden 
theils zu Grunde gegangen, theils erheblich gelichtet, theils in frischem Zerfall be¬ 
griffen sind. 

Die Achsencylinder sind in den älteren Herden des Markes vereinzelt aus¬ 
gefallen , in den jüngeren, sowie in den Rindenherden sind sie erhalten und ohne 
nachweisbare Veränderungen. 

Die Ganglienzellen zeigen in den Herden, die schon makroskopisch sichtbar 
sind und offenbar die ältesten Krankheitsprocesse in der Rinde darstellen, zuweilen 
Degenerationserscheinungen bis zu völligem Ausfall. 

1 Vortr. unterscheidet 4 Schichten: 

1. einen Nervenzcllen-freien Rindenaauni, 

2. die Schicht der Pyramidenzellen, die sich häufig in zwei Lagen, in die Schicht der 
kleinen (2. MBVNERT’sche Schicht) und iu die Schicht der grossen Pyramidenzellen (3. Met- 
hebt’ sehe Schicht) trennen lässt, 

3. die kleinzellige Schicht, 

4. die Markfaserschicht, die sich ebenfalls in zwei Schichten zerlegen lässt, in eine 
änssere, die nieist grössere Pyramidenzellen enthält, und eine innere, die vorzugsweise aus 
spindelartigen Zellen besteht. 


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Die Veränderungen der Glia in den Markherden entsprechen deren Alter. Auf 
der einen Seite finden sich Herde, in denen die Gliawucherung durch Auftreten von 
Deiters'sehen Zellen, durch Kern Vermehrung und Kerntheilungsfiguren im Bereiche 
derselben eben angedeutet ist — während der Markscheidenzerfall bereits einen er* 
heblichen Grad erreicht hat! — auf der anderen Seite Herde, in denen ein dichter 
Filz von Gliafibrillen das nervöse Gewebe ersetzt hat, und dazwischen alle Ueber* 
gänge. 

Anders dagegen verhält sich die Glia in der Binde. „Hier sieht man trotz der 
zahlreichen Herde keine Spur einer herdförmigen Sklerose. Selbst im Bereich offen¬ 
bar älterer Krankheitsherde erscheint die Glia meist noch völlig normal. Nur ganz 
selten finden sich Stellen, an denen eine Vermehrung der Gliakerne, zahlreichere 
Fasern und vereinzelte Spinnenzellen nachzuweisen sind. Diese als beginnende Sklerose 
anfzufassenden Stellen waren meist in den tieferen Bindenschichten, da, wo die 
Nervenfasern noch dichter zusammenliegen und demgemäss durch den Krankheits- 
process auch zahlreichere Fasern gleichzeitig ausgefallen waren. Solche Herde, in 
denen von einer Gliawucherung gesprochen werden kann, sind aber äusserst spär¬ 
lich im Vergleich zu den zahlreichen anderen Herden, in denen selbst bei totalem 
Markscheidenausfall noch keine Spur einer pathologischen Glia erkennbar ist. Auch 
da, wo Herde aus der Markleiste in die untersten Bindenschichten sich fortsetzen, 
hört die Gliawucherung an der Grenze von Mark und Binde ziemlich schnell auf. 
Nur selten sieht man vom Markherd ans einzelne stärkere Fasern und Spinnenzellen 
in die Binde einstrahlen. Ausserdem findet sich in der Binde eine diffuse und überall 
deutlich ausgesprochene Gliavermehruug in den äussersten Schichten in gleicher 
Weise, wie wir sie auch bei anderen atrophischen Processen in der Hirnrinde sehen. 
Stärkere Grade scheint diese Bandsklerose namentlich da zu erreichen, wo in der 
Tiefe ein beträchtlicher Faserausfall stattgefundeu hat.“ 

Entzündliche Processe an den Gefässen sind auch im Bereich frischer Herde 
nicht deutlich nachzuweisen und selbst in zahlreichen älteren Herden findet sich 
keine Spur einer pathologischen Gefässveränderung, nur in den älteren Herden des 
Markes sind die Gefässwandungen oft deutlich verdickt. 

Auf Grund dieser Befunde, die er durch zahlreiche Mikrophotographien er¬ 
läutert, bekämpft Vortr. in längerer Ausführung die Anschauung Goldscheider's, 
dass die multiple Sklerose nur eine Form der disseminirten Myelitis sei, sowie die 
Ansicht anderer Autoren, dass der Ausgangspunkt der sklerotischen Herde im Inter- 
stitium zu suchen sei, er hat vielmehr die Ueberzeugung, die er des näheren be¬ 
gründet, gewonnen, dass der als multiple Sklerose bezeichnete Krankheitsprocess rein 
degenerativer Natur ist, der seinen Ausgang im Parenchym nimmt. 

Das Ergebniss seiner Untersuchungen fasst Vortr. zum Schluss in folgenden 
Sätzen zusammen: 

. Die multiple Sklerose ist in ihrem anatomischen Befunde charakterisirt durch 
einen herdartigen Zerfall der Markscheiden in der weissen wie grauen Substanz des 
Centralnervensystems. Die Gliawucherung ist secundär durch den Zerfallprocess be¬ 
dingt und wird durch die örtlichen Verschiedenheiten der Glia beeinflusst; Achsen- 
cylinder und Ganglienzellen fallen erst spät und hauptsächlich in Folge der reak¬ 
tiven Gliawucherung dem Untergange anheim. Der Ausgangspunkt des Processes ist 
im Paremchym zu suchen. 

Im Anschluss an seinen Vortrag demonstrirt Vortr. eine grössere Anzahl mikro¬ 
photographischer Aufnahmen aus der pathologischen Anatomie des Centralnerven¬ 
systems und empfiehlt warm die Anwendung der Photographie bei mikroskopischen 
Präparaten des Centralnervensystems wegen der grossen damit verbundenen Vortheile 
(Möglichkeit des gegenseitigen Austausches der einzelnen Befunde, des Vergleiches 
identischer Stellen aus normalen und pathologischen Gehirnen u. s. w.). 


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Discussion. 

Herr Nissl (Heidelberg) wendet sieb gegen die Auffassung des Vortr. von der 
Genese der multiplen Sklerose; er führt aus: Die Primitivfibrillen sind das leitende 
Element im Axencylinder und stellen den parenchymatösen Gewebstheil in dem nerven¬ 
leitenden Gewebe dar. Die Rolle der Markscheide ist uns unbekannt, nach einer 
von Weigert ausgesprochenen Vermuthung gehört ihre Bildung zu den katabioti- 
schen Zellfunctionen. Da wir nun zur Zeit keine genügend feine Untersuchungs¬ 
methoden besitzen, um Veränderungen an den Axencylindern nachzuweisen, so konnte 
sich Vortr. über den Zustand der Primitivfibrillen (des Parenchyms) auch nicht unter¬ 
richten; und ist daher seine Behauptung, dass die multiple Sklerose im Parenchym 
ihren Ausgang nehme nicht bewiesen. 

Herr Kräpelin (Heidelberg) macht für die Wiedergabe von Mikrophotographieen 
auf die sog. Kilometerphotograpbie der Neuen Photographischen Gesellschaft zu 
Schöneberg bei Berlin aufmerksam, die recht gute, freilich zunächst noch ziemlich 
theure Bilder liefert. 

Herr Sander (Schlusswort) rechnet die Markscheiden ohne Berücksichtigung 
ihres Ursprunges zum Parenchym, wie es auch bisher stets üblich war, im Gegen¬ 
satz zum interstitiellen Gewebe und bestreitet, dass es, wie Herr Nissl behauptet, 
zur Zeit nicht möglich sei, von einer Erkrankung der Axencylinder zu sprechen. 
Denn wenn man bei demselben über Jahre sich erstreckenden pathologischen Process 
in einem Tbeile der Erkrankungsherde einen Ausfall von Axencylindern findet , in 
anderen aber keine Spur davon sich zeigt, so ist man nach seiner Ansicht berechtigt 
anzunehmen, dass es sich im ersten Falle um einen Erkrankungsprocess und hier¬ 
durch bedingten Ausfall der Axencylinder gehandelt hat, im letzteren dagegen nicht. 

Herr Nonne hat im Laufe der letzten 2 Jahre von Neuem in 12 Fällen 
von letalen Anämieen das Bückenmark untersuoht. In 3 Fällen handelte 
es sich um Verblutungsanämieen, in 8 Fällen um primäre pernieiöse Anämie, in 
1 Falle um secundäre Anämie bei chronischer Nephritis. 

Bei den Fällen von Verblutungsanämieen war der mikroskopische Befund ein 
negativer, in den 8 Fällen von pernieiöser Anämie fand sich zweimal das Rücken¬ 
mark normal, dreimal fanden sich incipiente und dreimal weiter vorgeschrittene Ver¬ 
änderungen. Die Untersuchungen wurden auch mittels der Marchi-Methode und 
nach Nissl vorgenommen. 

N. untersuchte ferner das Rückenmark in 9 Fällen von Endocarditis ulcerosa 
beziehungsweise Sepsis, in 5 Fällen gelaug es ihm, herdweise Myelitis-Veränderungen 
in der weissen Substanz nachzuweisen. Die Localisation dieser Herde, sowie die 
Morphologie derselben entsprach den Bildern der Rückenmarksdegenerationen in den 
Frühfallen der pernieiösen Anämie, ein locales Verhältniss der Myelitisherde zu den 
Gefässen liess sich ebenfalls nach weisen. 

In 9 Fällen von Seniumrückenmarken zeigte sich eine exquisite herdförmige, 
sich stets an ein erkranktes Gefäss anschliessende, chronische Degeneration. 

N. resümirt: 

1. Die Rückenmarkserkrankungen bei letalen Anämieen sind, wieMinnich und 
ich dies in unseren ersten Untersuchungen bereits dargestellt haben, herdweise. 
Sie sind nicht systematischen Charakters im Sinne der combinirten System- 
Erkrankungen, sondern sind als acute, disseminirte Myelitis aufzulassen. 

2. Die Localisation dieser Myelitis zeigt einen localen Zusammenhang mit den 
Blutgefässen. 

3. Ein ätiologischer Zusammenhang in dem Sinne, dass die supponirte Noxe 
vom Blut transportirt wird, wird sehr wahrscheinlich durch die Ergebnisse der Rücken- 


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marksuntersuchungen au einer lieihe von Fällen von Sepsis. Der Bofund auf dem 
Bückenmarksquerschnitt gleicht in einigen dieser Fälle dem Bückenmarksbefund in 
den Frühfällen von letalen Anämieen. Eine Analogie auf dem Qebiete der chroni¬ 
schen Rückenmarksdegenerationen bieten die ebenfalls vasculär entstehenden Degene¬ 
rationen des Greisenalters. 

4. Die graue Substanz kann in weit vorgeschrittenen Fällen auch erkrankt 
sein; diese Erkrankung ist jedoch keine primäre, die Erkrankung der weissen Rücken¬ 
markssubstanz secuudär producirende, sondern eine schliessliche Miterkrankung; in 
Frühfällen fehlt sie, resp. ist auch mit der Nissl- und Marchi-Methode nichts 
nachweisbar. 

5. Die mittels der Marchi-Methode bei schweren Anämieen und bei letal 

verlaufenen Fällen von Sepsis im Bückenmark neben den herdförmigen Erkrankungen 
nachweisbaren diffusen Degenerationen erlauben nur den Schluss auf das Bestehen 
einer trophischen Alteration, nicht aber einer functionellen Schädigung der Nerven- 
elemente. Für die Marchi-Degenerationen stellen die einstrahlenden hinteren Wurzeln 
und die vordere Commissnr einen Prädilectionsort dar. (Autorreferat.) 

Herr Mann (Breslau): Zur Physiologie und Pathologie der motorisohen 
Neurone. 

Herr Mann erörtert in seinem Vortrage die Frage, in welcher Abhängigkeit 
steht das periphere motorische Neuron (periphere Nerv Spinalzelle) vom centralen 
(Pyramidenbahn + Bindenzelle), — Er gebraucht hier den Ausdruck Neuron nur 
als eine bequeme Bezeichnung, ohne damit irgend wie Stellung zu der jetzt vielfach 
angefochtenen Neuronlehre zu nehmen — und kommt auf Grund seiner diesbezüg¬ 
lichen Untersuchungen und Beobachtungen, nach denen beim Menschen Zerstörung 
des centralen Neurons einerlei an welcher Stelle die Willkürbewegungen, die Sehnen- 
und Hautreflexe, wie den Muskeltonus und den normalen trophischen Zustand der 
Muskeln aufhebt, zu dem Schlüsse: Die von Pierre Marie aufgestellte Hypothese, 
nach der das periphere Neuron das eigentlich treibende und bewegende Element ist 
und eine unter hohem Drucke arbeitende Maschine darstellt, die durch das centrale 
Nenron fortwährend gehemmt werden muss, entspricht nicht den Tbatsachen. Gerade 
das Gegentheil trifft zu, das periphere Neuron ist im Gegensatz zu seinem Ver¬ 
halten bei Thieren, besonders bei niederen Thieren, beim Menschen ein vollständig 
unselbstständiges Gebilde; diese „Maschine“, das periphere Neuron leistet für sich 
allein gar nichts, sondern steht sofort still, sobald ihre eigentliche Kraftquelle, das 
centrale Neuron, gestört ist. (Ist das auch beim Neugeborenen der Fall? Bef.) 

Discussion. 

Herr Kräpelin (Heidelberg) erinnert an die Beobachtungen von Goltz bei 
Hunden mit theilweise entferntem Rückenmark. 

Herr v. Monakow (Zürich) ist der Ansicht, dass man erst noch mehr Material 
sammeln müsse, bevor man die Frage nach der Abhängigkeit des peripheren vom 
centralen motorischen Neuron entscheiden kann. Denn die von Gerhardt und 
Senator mitgetheilten Fälle, in denen trotz vollständiger Continuitätstrennung die 
Haut- und Sehnenreflexe nahezu bis zum Tode erhalten waren, und ein von ihm 
beobachteter Fall, in dem trotz totaler Pyramidendegeneration eine ziemlich aus¬ 
gesprochene Gontractur auf der entsprechenden Seite bestand, sprachen gegen die 
Richtigkeit der Schlussfolgerungen des Vortr. 

Herr Mann (Schlusswort) bemerkt gegenüber Herrn v. Monakow, er habe 
den Stand der Frage, die allerdings auch nach seiner Ansicht noch nicht völlig ge¬ 
klärt sei, nach seinen Erfahrungen und den in der Literatur bekannten Beobach¬ 
tungen gekennzeichnet; er habe jedenfalls niemals unter seinem Material bei Fällen 
von totaler Unterbrechung der Pyramidenbahn Contracturen beobachtet; bei den 

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gegentheiligeu Beobachtungen sei immer an die Möglichkeit rein mechanischer Muskel- 
retraction zu denken. Die Fälle von Gerhardt und Senator seien nicht ein* 
wandtfrei und daher nicht beweiskräftig. 

Herr v. Monakow (Zürich): Ueber die seoundären Veränderungen im 
Rückenmark naoh altem Defeot eines Plexus braohialis beim Menschen. 

Vortr. berichtet über die Befunde im Centralnervensystem eines 83jährigen 
Mannes, der im 13. Lebensjahre eine starke Zerrung des rechten Plexus brachialis 
mit nachfolgender, anfänglich vollständiger, schlaffer atrophischer Lähmung der 
rechten Schulter und des rechten Armes, erlitten hatte. Während die Extensoren 
des Vorderarmes, sämmtliche Oberarm- und Schultermuskeln dauernd gelähmt blieben, 
stellten sich in der Hand einzelne Bewegungen (Beugung der Hand und der Finger) 
wieder ein und war auch geringe Pro- und Supination des Vorderarmes möglich. 
Trotz der hochgradigen Bewegungsstörung war Pat. im Stande mit der rechten Hand 
Gegenstände zu greifen und längere Zeit festzuhalten, wenn er vorher mit der linken 
die rechte Hand geöffnet hatte; so konnte er sogar beim Holzspalten das Holzstück 
mit der rechten festhalten. Die Sensibilität im rechten Arme war nicht gestört. 

In der linken Armregion, die besonders in der hinteren Centralwindung 
leicht atrophisch war, erschienen namentlich die beiden oberen Rinden¬ 
schichten krankhaft verändert, während die Riesenpyramidenzellen erhalten 
resp. nur wenig atrophisch waren. Der linke Sehhügel war etwas kleiner als der 
rechte. Die linke Pyramide zeigte eine geringe Volumsreduktion und allgemeine 
Verschmälerung einzelner Nervenfasern, aber keine degenerativen Veränderungen. 

Die rechten vorderen Wurzeln vom 4.—8. Cervicalnervenpaar bestanden 
aus bindegewebigen Fädchen, in denen keine normale Nervenfaser mehr zu finden 
war; die 1.—3. Cervical- und die 1. Dorsalwurzel waren ziemlich intact. 

In den entsprechenden hinteren rechten Wurzeln war der Umfang der 
Degeneration in den verschiedenen Höhen verschieden; es fanden sich hier und da 
Bündel normaler Nervenfasern. 

Im rechten Vorderhorn bestand eine hochgradige Degeneration (Nerven¬ 
zellenschwund und -Atrophie), die ihre grösste Ausdehnung zwischen der 5. und 
7. Würze) batte; nur die mediale vordere Zellengruppe (Commissurenzellen¬ 
gruppe) war durchweg ziemlich gut erhalten. In den lateralen Gruppen fanden 
sich normale Zellen caudalwärts erst von der Mitte der 8. Cervicalwurzel und frontal- 
wärts vom 3. Cervicalnervenpaare an. 

Im Mittelhorn waren ebenfalls degenerative Veränderungen vorhanden. 

Im rechten Hinterhorn fand sich Schwund der hinteren Wurzeln (Reflex- 
collateralen) und der Subst. gelatinosa Rolandi. 

Von den Rückenmarkssträngen waren entsprechend der Ausdehnung der 
Degeneration des rechten Vorderhorns hauptsächlich die Vorderstrangbündel und 
Seitenstrangreste, in der nächsten Umgebung des rechten Vorderhorns total 
degenerirt. Ferner zeigen die lateralen Felder der Burdach’schen Stränge 
(äussere Wurzelzone) einen bemerkenswerthen Faserausfall. 

Vorstehender Befund lehrt, wie Vortr. in der epikritischen Besprechung des 
Falles zum Tlieil .unter Heranziehung der experimentellen Untersuchungen von 
Gudden, Mayser, Mott, Sherrington des näheren ausführt: 

1. dass schon einfache starke Zerrung des Plexus brachialis nahezu vollständigen 
Untergang seiner Wurzeln und der entsprechenden Partieen des Rückenmarks zur 
Folge haben kann, 

2. dass die dem Vorderhorn anliegenden Faserbüudel der Vorderstranggrundbündel 
und der Seitenstrangreste kurze Etagenverbindungsfasern sind, 

3. dass den medialen vorderen Zellengruppen des Vorderhorns grösstentheils 
Commissurenfasern entstammen, 

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4. dass die Nerven für die Schulter und Armmuskulatur hauptsächlich den 
lateralen Zellengruppen entstammen und dass bezüglich ihres Höhenursprungs die 
Angaben Starr’s zutreffen, 

5. dass unvollständige Zerstörung der hinteren Cervicalwurzeln die Sensibilität 
nicht beeinträchtigt. 

Discussion: 

Herr Schmitz (Bonn) ist der Ansicht, dass der vorgetragene Fall die Gynä¬ 
kologen mahnen müsse, möglichst schonend bei eingreifenden Operationen vorzugehen- 

Herr Mann (Breslau) fragt an, wie die Beweglichkeit der Hand beschaffen war, 
ob die Hand beim Händedruck umklappte und ob ein wirklich kräftiges Zufassen 
möglich war. - 

Herr v. Monakow (Schlusswort) kann darüber nichts näheres mittheilen, da er 
den Fall klinisch selbst nicht beobachtet hat. Orth mann (Grafenberg.) 

(Schluss folgt.) 


IV. Bibliographie. 

Allgemeine Elektrotherapie, von Dr. Leopold Laquer, Nervenarzt in Frank¬ 
furt a./M. (Aus Eulenburg und Samuel's Lehrbuch der Allgemeinen Therapie.) 

[Urban u. Schwarzenberg. 1898. Wien u. Leipzig.] 

Verf. geht, nachdem er die physiologischen Grundlehren, die ärztliche Elektro¬ 
technik und die Elektrodiagnostik klar und anschaulich unter Beifügung zahlreicher, 
sehr gelungener Abbildungen erörtert, zu den elektrotherapeutiscben Erfahrungen 
über, welche die grössere Hälfte des vorliegenden Buches ausmachen. 

Er zeigt sich hier überall als ein Praktiker mit reicher Erfahrung, welcher 
ebenso fern dem Nihilismus, wie der kritiklosen Verwerthung angeblicher Heil¬ 
erfolge stellt. 

Es werden nacheinander die Krankheiten der peripheren Nerven, des Rücken¬ 
marks, des Gehirns und die Neurosen besprochen, das, was bei den einzelnen Er¬ 
krankungen von der Anwendung des elektrischen Stromes zu erhoffen und wie der¬ 
selbe zu appliciren sei. Dabei fehlt es nicht an eingestreuten wichtigen praktischen 
Bemerkungen über die verschiedenen Erkrankungen, welche die Lection des Buches 
zu einer anziehenden machen. 

So polemisirt der Verf. z. B. mit Recht gegen den „charakterlosen Mischbegriff: 
Nearasthenie“, ein „diagnostisches Faulheitspolster“, wenn er auch den Ausdruck 
nicht ganz verbannt wissen will. Er hebt die mangelnden Erfolge der elektrischen 
Behandlung, wie jeder anderen physikalischen, bei Unfallkranken, hervor, und bringt 
sie in Zusammenhang mit dem hartnäckigen, unbeugsamen, krankhaft gereizten 
Charakter der Verletzten. 

Wir fügen das Schlussergebniss, zu welchem der Verf. auf Grund seiner lang¬ 
jährigen Erfahrung kommt, wörtlich hier auf, weil es uns den augenblicklichen 
Stand der Frage der Elektrotherapie treffend zu kennzeichnen scheint. 

„Der galvanische und der faradische Strom gehören zu den wichtigsten Heil¬ 
mitteln bei Muskel- und Nervenerkrankungen, vorausgesetzt, dass sie unter strenger 
Beachtung physikalischer und anatomisch-physiologischer Grundlehren und unter ge¬ 
nauer Einhaltung schwacher oder mässig starker Stromdosen Verwendung finden. 
Die Methodik ihrer Anwendung stützt sich zumeist auf exacte Beobachtungen ärzt¬ 
licher Wissenschaft und Erfahrung. 

Neuralgieen und periphere Lähmungen, denen schwere degenerative Processe 
des Nervensystems nicht zu Grunde liegen, werden durch Einwirkung des Stromes 
geheilt. 


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Subjective Beschwerden und Functionsstörungen, welche durch Erkrankungen 
der nervösen Centralorgane bedingt sind, können durch Elektricität gemildert und 
beseitigt werden. Auf den Verlauf der diesen Störungen zu Grunde liegenden ana- 
tomischen Processe scheint der Strom einen Einfluss nicht zu besitzen. 

Bei der Behandlung der sogen, functionellen Nervenerkrankungen (Neurosen) 
kann sich der elektrische Strom in erster Reihe als ein geeignetes HQlfsmittel zur 
seelischen Beeinflussung des Kranken erweisen; er übt aber auch von der Haut aus 
gleich den anderen physikalischen Heilmitteln der Massage und der Hydrotherapie 
einen Reiz aus, der die Erregbarkeit des Nervensystems in günstiger Weise be¬ 
einflusst. 

Zur Erklärung der Heilerfolge der Elektricität bei Nervenstörungen ist weniger 
die Lehre von der durch elektrische Vorgänge etwa bedingten Regeneration anato¬ 
mischer Veränderungen als die der biologischen Wirkung von Reizen auf die Function 
eines jeden Neuron heranzuziehen.“ 

Die Arbeit des Verf.’s wird sicher neben unseren bereits vorhandenen vorzüg¬ 
lichen Werken über Electrodiagnostik und Elektrotherapie seinen wohlverdienten 
Platz einnehmen. M. 


V. Mittheilung an den Herausgeber. 

Herr Dr. L. Sternbo (Wilna) macht darauf aufmerksam, dass der von Herrn 
Dr. Holzinger in Nr. 19 d. Centralbl. beschriebene „Hypothenarreflex“ von ihm 
bereits als „Palmarreflex“ in Nr. 15 der Berliner klin. Wochenschr. 1894 beschrieben 
worden ist. 

Es heisst dort u. A.: 

„Bekanntlich gehen vom Ulnarrande der Aponeurosis palmaris drei bis vier 
dünne quergericbtete Muskelbündel, die sich in der Haut am Ulnarrande der Hand 
verlieren. Dieser Muskel ist es, der bei Druck auf das Os pisiforme sich reflec- 
torisch contrahirt und die Haut am Ulnarrande der Hand in Falten legt. 

Normalerweise kommt die Thätigkeit dieses Muskels dann zur Aeusserung, wenn 
wir unsere Hand zur Faust ballen. Eine isolirte Contraction dieses Muskels sind 
wir gewöhnlich nicht im Stande hervorzurufen, sondern es müssen noch viele andere 
Muskeln in Thätigkeit versetzt werden, besonders der Palmaris longus, um die 
Palmaraponeurose zu fixiren. 

Dieser Reflex kommt am leichtesten zu Stande und ist viel anschaulicher, wenn 
die Finger in leichter Flexions- und die Hand in Adductionsstellung sich befinden.“ 


VI. Vermischtes. 

Am 1. October d. J. ist die Leitung der Heil- und Pflege-Anstalt für Gemütha- and 
Nervenkranke zu Endenich bei Bonn von Sanitätsrath Dr. Heyden, der von seiner Th&tig- 
keit an der Anstalt zurücktritt, auf Dr. von der Helm übergegangen, der vorher fast 
9 Jahre an der Anstalt als Arzt fungirte. 

Die Stellung von Geh. Rath Dr. Oebeke als regelmässig consultirender Arzt bleibt 
ungeändert. 

Ausserdem ist ein Assistenzarzt angestellt. 


Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten. 

Einsendungen für die Redaction sind zu richten an Prof. Dr. E. Mendel, 
Berlin, NW. Schiffbauerdamm 18. 

Verlag von Veit & Comp, in Leipzig. — Druck von Mstzoer & Wittig in Leipzig. 


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Neurologisches Centralblatt. 

Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie 
und Therapie des Nervensystems einschliesslich der Geisteskrankheiten. 

Herausgegeben von 

Professor Br. E. Mendel 

Siebzehnter " Jahrgang. 

Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 24 Mark. Zn beziehen durch 
alle Buchhandlungen des In- und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie 

direct von der Verlagsbuchhandlung. 

1898. 15. November. Nr. 22. 


Inhalt: I. Originalmltthsllungen. 1 . Ueber frühzeitige Verkalkung der Hirngefässe 
als Ursache von Epilepsie, von Prof. Dr. Nachhalls. 2. Ueber Störungen des Stoffwechsels 
bei Neurasthenie, von Prof. Dr. W. v. Bechterew in St. Petersburg. 3. Das elektrische Tricho- 
ästhesiometer and die sog. Haarempfindlichkeit des Körpers, von Prof. Dr. W. v. Bechterew 
in St. Petersbarg. 4. Welche Aenderungen hat das klinische Bild der progressiven Paralyse 
der Irren in den letzten Deoennien erfahren P von Prof. Dr. E. Mendel. 

II. Referate. Anatomie. 1. Experiments in examination of the peripheral distribution 
of the fibres of the posterior roots of some spinal nerves, by Sherrington. — Pathologie 
des Nervensystems. 2. Ueber Beri-Beri, von Grimm. 3. A note on the etiology of beri- 
beri, by Hnnter. 4. Casuistische Beiträge zur Myopathologie, von Herzog. 5. Sur les form es 
diverses de la psyohose polynevritique, par Soukhanoff. 6 . Beitrag zur Lehre von den sog. 
polynearitischen Psychosen, von Schultze. 7. Congenital ptosis with anormal associated 
movement of the affected lid, by Miller. . 8 . Ophthalmoplegie exterior completa mit Paralyse 
des Aagenfacialis, von v. Fragstein und Kempnsr. 9. Un cas d’ophtalmopldgie externe d’ori- 
gine nucleaire chez one fillette de vingt-deax mois 4 la suite de varieelle, par Marfan. 
10. Ophthalmoplegie externa with impeiruient of the orbicalaris oculi, by Taylor. 11. Myo¬ 
sitis ossificans progressiva multiplex, von Matthes. — Psychiatrie. 12. Die Bedeutung 
der Katatonie, von llbsrg. 13. Zur Pathologie der katatonen Symptome, von Lehmann. 
14. Beiträge zur Kenntniss der Katatonie, von Mucha. 15. Ueber gewisse psychische 
Störungen nach Selbstmordversuchen durch Erhängen, von Wollenberg. 16. (Jeber die 
nosologische Auffassung und die Therapie der periodischen Geistesstörungen, von Hitzig. 
17. A propos de la rcVision de la classincation officielle, par Francotte. 18. Psychiatry in 
the Southern states, by Powell. 19. Notes of some cas es of folie ä deux in several members 
of the same family, by Woods. 20. Zoophilie et zoophobie, par F6r6. 21. Ein Fall von 
Zwangsvorstellungen und BerührungBfurcht im Kindesalter, von Kalischer. 22. Zur Lehre 
vom Gedankenlautwerden, von Juliusburgor. 23. Diabetes und Geistesstörung, von Laudon- 
holmer. 24. Osservazioni oliniche ed anatomiche sulle demenze post-apoplettiche, par Min- 
gazzlni. 25. Blood-pressure in the insane, by Craig. 26. La demenza precoce, per Finzi e 
Vodranl. 27. La paralipemania, per Roncoronl. 28. Sexual inversion, by Ellis. 29. La pena 
nei reati sessuali, per Vlazzl. 30. Lage und Stellung der Aerzte an den öffentlichen Irren¬ 
anstalten des deutschen Reiches, von Hoppo. 31. Zur Frage: Moralisches Irresein, von Bogdan. 

III. Aus don Gesellschaften. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte zu 
Düsseldorf am 19.—22. September 1898. (Schluss.) 

IV. Personalien. 


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— 1026 


I. Originalmittbeilungen. 


[Aus der mediciniscben Klinik zu Kiel.] 

1. lieber frühzeitige Verkalkung der Hirngefässe als Ursache 

von Epilepsie. 

Von Prof. Dr. H. Hochhaus. 

Der anatomische Befund bei der genuinen Epilepsie ist bekanntlich ein 
sehr mannigfacher: Veränderungen an den Hirnhäuten, an der Hirnsubstanz 
und an den Gefassen sind dabei gefunden worden, ohne dass es allerdings 
möglich gewesen, im Einzelfalle mit Sicherheit zu sagen, ob die constatirte Er¬ 
krankung auch wirklich die directe Ursache der Epilepsie gewesen sei oder 
nicht . 1 Immerhin erscheint mir der nachstehende, in der Kieler medicinischen 
Klinik beobachtete Fall wegen seines bemerkenswerthen Obductionsbefundes einer 
kurzen Beschreibung werth. 

Krankengeschichte: 

Anamnese (4./VIII. 1896): Fr. Wölhk, Brauereiarbeiter, 28 Jahre alt, leidet 
seit l 1 /, Jahren an Krämpfen, die in mehrmonatlichen Intervallen auftraten, der 
letzte in voriger Woche. Die Anfälle beginnen mit Kribbeln am ganzen Körper, 
dann stflrzt Pat bewusstlos hin und hat Zuckungen in den Armen und Beinen; 
mehrmals hat er sich dabei auch in die Zunge gebissen. Gleich nachher unklares 
Bewusstsein, Schlafsucht und Eingenommenheit des Kopfes. Seit etwa 9—10 Jahren 
besteht eine Schwerfälligkeit der Sprache. Keine Lues, angeblich auch kein Potatorium. 

Status: Ziemlich grosser, kräftig gebauter Mann. 

Schädel normal gebaut, Sensorium frei, Intelligenz normal, Cerebralnerven intact 

Zunge zittert etwas beim Vorstrecken, am vorderen Bande ein grosses flaches 
Ulcus, links eine tiefe Narbe. 

Innere Organe normal, Puls voll und kräftig. 

Im Urin weder Eiweisa noch Zucker. 

Therap.: Bromkali 4 Mal 1,0 g. 

8./VIII. Seit gestern und heute Angstgefühl, wie es früher den Anfällen häufig 
voranging. 

10./VIII. Sehr unruhiger Schlaf. 

14./VIII. Heute früh ein Anfall. Der Kranke fiel plötzlich bewusstlos hin, 
bekam Krämpfe zuerst in den Armen, dann auch in den Beinen, die etwa 10 Min. 
gedauert haben sollen. Nachher schlief Pat. noch eine kurze Zeit, gab dann, nachdem 
er zu sich gekommen war, an, dass er vorher wieder das Kribbeln am ganzen Körper 
verspürt habe. 

22./IX. Seit dem 14./VIII. kein Anfall mehr, nur ab und zu noch Kribbeln 
am ganzen Körper, das in letzter Zeit aber auch weniger geworden ist Da der 


1 Blooq et Maeinesco , Sem&ine mödicale. 1892. 
Wyhnk, Lancet 1893. 

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Kranke sich andauernd wohl fühlt, wird er entlassen mit der Anweisung, Bromkali 
weiter za nehmen. 

Trotz des fortwährenden Bromgebranchs erfolgten am 30./IX. und 6./X. wieder 
Anfälle, so dass der Kranke am 6./X. wieder aufgenommen wurde. 

Kurz nach der Aufnahme im Krankenhause ein typischer, epileptischer Anfall. 
In der Folgezeit bis zum 12./XII. waren die Anfälle im allgemeinen selten, im 
ganzen 4—6. Dagegen spürte der Kranke ein taubes Gefühl and Kribbeln am 
Körper fast täglich. 

Yom 13./XII. ab wurde eine Opiumkur eingeleitet Der Kranke bekam zuerst 
3 Mal 10 Tropfen Tct opii simpl. täglich, die bis zum 23./XII. auf 3 Mal 35 Tropfen 
langsam gesteigert worden. — Die Anfälle worden bei dieser Kur zusehends zahl« 
reicher und heftiger, wiederholten sich zuletzt fast täglich mehrmals. Die seelischen 
Kräfte verfielen mehr ond mehr und am 3./I. 1897 kam es zum Ausbruch einer 
acuten Manie, so dass der Kranke isolirt werden musste. Das Opium wurde nun 
abgesetzt und wieder Brom gegeben. Am 7./I. war die Tobsucht wieder geschwunden 
and der Kranke verständig. Die Anfälle dauerten aber in der Folgezeit fort and 
wiederholten sich am Tage häufig mehrmals, so dass sowohl der geistige wie der 
körperliche Zustand des Kranken erheblich verschlechtert erschien. 

Am 17./I. morgens war der Kranke benommen, ohne dass ein Anfall voran¬ 
gegangen war, am Nachmittag erfolgte ein kurzer Anfall, abends Ansteigen der 
Temperatur, die bis dahin stets normal gewesen war. Am anderen Tage hohes 
Fieber, sehr kleiner unregelmässiger Puls, tiefes Coma, gegen Abend unter zunehmender 
Herzschwäche Exitus letalis. 


Obduction: 


Schädeldecke sehr dünn, an der Innenfläche mit ziemlich tiefen Gefassfurcben 
und Pacchioni’schen Gruben. 

Im Längssinus ein dunkelrothes Blutgerinsel und wenig flüssiges Blut. 

Dura dünn, gespannt. 

Innere Häute zart, weisslich, getrübt. 

Die Windungen breit, die Solei eng. 

Anf dem Durchschnitt die Binde sehr dunkel, hortensiafarben, das Mark rosig, 
scheckig, mit zahlreichen, stachelartig Über die Schnittfläche vorstehenden, feinen, 
starren Gefässen, und zwar auf der rechten Hemisphäre weniger als auf der linken. 

Seitenventrikel eng, wenige Tropfen Flüssigkeit enthaltend. 

III. Ventrikel weit, ohne mittlere Commissur. 

Plexus chorioideus stark geröthet. 

Centralganglien dunkelroth. 

Kleinhirn normal, derb, sehr blutreich; auch hier in der weissen Substanz ver¬ 
kalkte Gefässe. 

An der Basis Häute zart, Gefässe zartwandig, stark mit Blut gefüllt 

Brücke ziemlich dunkel geröthet, auf der Schnittfläche keine verkalkten Gefässe. 

Medulla oblongata blass. 


Rechtes Hinterhorn obliterirt. 

Ausgedehnte ältere und frischere pneumonische Infiltrate, besonders in dem 
linken Unterlappen. 

Hyperämie der Leber. 

Starke Trübung der Nieren. 

Weiche Schwellung der atrophischen Milz. 

Starke hämorrhagische Sprenkelung des Magens. 

Von allen Gehirnpartieen von dem Stirn-Central-, Parietal- und Occipitallappen, 
sowie vom Ammonshorn, vom Kleinhirn, der Brücke, der Medulla oblongata habe ich 
zuerst kleine Stückchen zerzupft und frisch untersucht, gleichzeitig aber auch solche 


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in Alkohol gehärtet und mit Hämatoxylin und Eosin, sowie nach Nissl gefärbt. 
Das Resultat dieser Untersuchung war folgendes: 

In allen den untersuchten Hirnpartieen fanden sich verkalkte kleinere Gefasse. 
Im Stirn-, Parietal- und Occipitallappen, sowie im Kleinhirn indess nur in ganz ge¬ 
ringer Menge, so dass auf einem Schnitt nur 1—2 erkrankte Gefasse zu sehen 
waren. Im Occipitallappen waren fast gar keine. Erheblich bedeutender war die 
Anzahl der verkalkten Gefasse in den Centralwindungen; auch hier waren es meist 
die allerkleinsten Gefasse, die Capillaren; von den etwas grösseren waren nur einige 

wenige befallen. Am ausgedehntesten war 
diese Gefässveränderung in der Ammons¬ 
windung, und besonders in der linken. 
Innerhalb dieser letzteren waren fast die 
gesammten Capillaren in ihren Wandungen 
mit Kalk infiltrirt, wenigstens der weissen 
Substanz, wie das die nebenstehende Zeich¬ 
nung eines Glycerinpräparates sehr deutlich 
zeigt. — Der Grad der Kalkinfiltration 
war bei den einzelnen Gefässen ein sehr 
verschiedener. Bei den meisten war die 
Wand fast ganz continuirlich mit gröberen, 
dicken Kalkstückchen besetzt, so dass von 
der eigentlichen Gefässwand garnichts mehr 
zu erkennen war; bei anderen dagegen war 
sie nur hier und da mit einzelnen feinen, 
durch die bekannten Reactionen als Kalk zu erkennenden Pünktchen bedeckt. Von 
den etwas grösseren Gefässen waren auch einzelne, sowohl Arterien wie Venen, be¬ 
troffen. Alle grossen Gefässe waren frei, ebenso konnte weder an den Ganglien¬ 
zellen (Nissl’sche Färbung), noch an der Neuroglia irgend eine Anomalie entdeckt 
werden. 

Pons und Medulla oblongata waren frei. 

Als Ursache für die beobachtete schwere Form der Epilepsie fand sich also 
eine weitverbreitete Verkalkung der kleinsten Gefasse des Gehirns, und zwar 
vorzugsweise der linken Centralwindung und Ammonswindung. 

Dass diese thatsächlich den Grund für die Epilepsie abgegeben, scheint 
uns nicht zweifelhaft, da wohl anzuuehmeu ist, dass eine so ausgedehnte Ver¬ 
änderung der Gefasse auch eine schwere Störung der Gehirnernährung bedingt. 
Vasculäre Veränderungen, meist allerdings anderer Natur als die von uns be¬ 
schriebenen, sind ja nicht so selten auch von anderen Autoren als Ursachen der 
Epilepsie gefunden worden. Das vorwiegende Befallensein der Ammonswindung 
ist auffallend, und erinnert an die zahlreichen Fälle, bei denen auch eine Er¬ 
krankung gerade dieser Gehirnpartie, meist sclerotischer Natur, angetroffen 
wurde. 1 

Eine andere Frage ist nun die, wie sich in so jugendlichem Alter eine 
solch starke Verkalkung der Gefässe überhaupt, und zwar gerade im Gehirn 
entwickeln konnte. Im höheren Alter ist dieselbe im Anschluss an Arterio- 
sclerose ein relativ häufiges Ereigniss, im jugendlichen wenigstens in ähnlicher 
Ausdehnung sehr selten. 

1 These de Coulbant. Paris 1881. 

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Glycerinpräparat bei schwacher Ver- 

grösserung. 


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In der Litteratur finde ich derartige ausgedehnte Verkalkungen der Gehirn- 
gefasse zuerst von Vibohow 1 beschrieben als sogenannte Kalkmetastasen, wobei 
an irgend einer Stelle des Knochensystems eine krankhafte Einschmelzung statt¬ 
fand und die freigewordenen Kalksalze, da die Nieren sie nicht ausscheiden 
konnten, sich an anderer Stelle ablagerten, und zwar im Magen, im Darm, in 
den Nieren oder auch in den Hirngefassen. Unter die letzte Kategorie gehört 
besonders der Pall VI VibchowV, der einen 26jährigen Mann betraf, welcher 
an ausgedehnter Caries der Brust und Lendenwirbelsäule litt, und bei dem sich 
bei der Obduction eine Verkalkung der feineren Hirngefasse fand mit normaler 
Beschaffenheit der Basalgefasse. Auch der von ihm im IX. Bande beschriebene 
Fall, sowie der von Simon im LV. Bande desselben Archivs erwähnte Fall 
zeigen einen ähnlichen Befund, ohne dass indess das Krankheitsbild der Epilepsie 
dabei beobachtet worden ist Einen Hinweis auf die hier in Betracht kommenden 
ätiologischen Momente giebt eine interessante Beobachtung von Hubeb, der 
bei der Obduction eines 22jährigen luetischen Mädchens eine ausgedehnte Ver¬ 
kalkung fast der gesammten Körperarterien fand mit Ausnahme allerdings der 
Gehimgefässe. Da irgend ein anderer Grund für diesen auffälligen Befund 
nicht vorhanden war, zweifelt Hubbb nicht, dass derselbe auf die Lues zurück- 
geführt werden müsse. 

In unserem Falle war ausser den frischen Veränderungen an Lunge und 
Niere sonst keine Erkrankung zu constatiren, so dass wir es hier sicher mit 
einer primären Verkalkung der kleinsten Hirngefasse zu thun haben. Einen 
Fingerzeig für die Aetiologie giebt uns das Gewerbe des Patienten; derselbe war 
Brauer und da ist es ja wohl möglich, dass durch die gewohnheitsmässige starke 
Flüssigkeitsaufhahme, dem Gefässsystem häufig zu viel Arbeit zugemuthet wurde 
und es in Folge dessen eine Schädigung seiner Elemente erlitten, die die Kalk¬ 
infiltration begünstigt hat Dass der Alkohol dabei in gleichem Sinne mitgewirkt 
hat, ist wohl sicher anzuhehmen. 

Wie es kam, dass nur die feineren Hirngefasse davon betroffen wurden, 
ist schwer mit Sicherheit zu sagen; möglicherweise waren dieselben von Haus 
aus weniger widerstandsfähig. 


2. Ueber Störungen des Stoffwechsels bei Neurasthenie. 

Von Prof. Dr. W. v. Bechterew in St Petersburg. 

Die Frage nach dem Verhalten des Stoffwechsels bei den allgemeinen 
Neurosen und speciell bei der Neurasthenie ist nicht neu in der Wissenschaft 
Doch scheint das, was in dieser Beziehung vorliegt, noch nicht zum Gemein- 


* Virchow’s Archiv. Bd. VIII. 

* Virchow’a Archiv. Bd. LXXIX. 

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gute der Äerzte geworden zu sein. So erklärt es sich, dass Blehnacki 1 mit 
Hülfe der Sedimentirungsmethode des Blutes neuerdings wieder zu beweisen 
sucht, dass die sogen, allgemeinen functioneilen Neurosen (Hysterie und Neur¬ 
asthenie), welche von Einigen nicht mit Unrecht zu den psychischen Erkrankungen 
gezählt werden, nicht primäre Affectionen des Centralnervensystemes darstellen, 
sondern secundäre Symptomenoomplexe bilden, bedingt durch primäre Störungen 
der Oxydationsprocesse und durch Einwirkung so entstandener Stoffwecbsel- 
producte auf das Nervensystem. Hysterie und Neurasthenie erscheinen in diesem 
Lichte als zu derselben Kategorie gehörig, wie Diabetes mellitus, Rheumatismus, 
pathologische Fettsucht und überhaupt Krankheiten, die auf Alterationen der 
normalen Oxydationsvorgänge beruhen. 

Können diese Ergebnisse des genannten Autors auch nicht als ganz neu 
gelten, da die Ansicht, die Ursache der Neurasthenie und Hysterie liege in 
abnormen Oxydationsprocessen, schon früher in der Litteratur vertreten worden 
ist, so bleibt immerhin der Umstand beachtenswert, dass jene auf Blut¬ 
untersuchungen gestützten Schlüsse mit den Ergebnissen der Harnuntersuchung 
bei den nämlichen Krankheiten sich gut decken. 

Ueber das Verhalten des Harns im Verlaufe der allgemeinen Neurosen sind 
von der Schule der Salpetriöre besonders werthvolle Befunde zu Tage gefordert 
worden. Gestützt auf solche Befunde verficht Vigouboüx schon seit vielen 
Jahren Störungen der Oxydationsvorgänge als Ursaohe der allgemeinen Neurosen 
und kommt bei Gelegenheit der erwähnten Mitteilungen von Bibknacki 
neuerdings wieder auf diese Angelegenheit zurüok. 2 Bezüglich der Neurastenie 
ergaben ihm seine Harnanalysen, wie er hervorhebt, ungenügenden Zerfall und 
sehr merkliches Sinken des Stickstoffcoefficienten. 

ln seinem bekannten Werke „La neurastönie et l’artritisme“ (Paris 1893) 
setzt Vigouboux Neurasthenie auf gleiche Stufe mit hamsaurer Diateee. 
„Neurastheniker sind Arthritiker“, sohliesst er. „Dieser Satz ist nicht mehr 
neu, konnte aber bisher nur durch klinische, also strittige Beobachtungen ge¬ 
stützt werden. Die Urologie verleiht dieser Vermutung die Objectivität und 
die Klarheit einer chemischen Thatsache“ (S. 23). An einer anderen Stelle 
fährt er fort: „Arthritismus ist notwendige Vorbedingung der Neurastenie. 
Um weiter zu geben, muss man den Boden der Hypotese betreten. Von Letz¬ 
teren ist eine der annehmbarsten diejenige über Autointoxioation“ (S. 39). 
Nach V igocboux’s Ansioht kann zur Quelle solcher Autointoxication Magen¬ 
erweiterung werden. Bei der Heilung der Neurastenie sollen vor Allem anti- 
dyscrasische und nicht symptomatische Methoden in Anwendung kommen. 

Von anderen französischen Forschern wird auf analoge Veränderungen des 
neurastenischen Urins hingewiesen. Sohon Huchabd fand bei Neurastenikern 
constant Vermehrung der Urate, in Folge dessen er diese Krankheit als ar- 
tritische Neurose aufzufassen sich veranlasst sah. 

* Mittheilung in der Gesellschaft der Aerzte zu Warschau 1897. — VergL Oboarenje 
psichiatrii. 1898. Nr. 6 and Nearolog. Centralbl. 1898. 

* Nearolog. Centralbl. 1898. Nr. 8. 


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Da die Frage nach dem Zustande des Stoffwechsels bei den allgemeinen 
Neurosen für die Aetiologie und das Wesen dieser Erkrankungen von hoher 
Bedeutung ist, so habe ich schon seit langer Zeit üher das Verhalten des Harnes 
dabei Aufzeichnungen gesammelt und die betreffenden Harnanalysen, Dank der 
Liebenswürdigkeit von Prof. Poehl, in dessen Laboratorium ausführen lassen. 
Die jetzt nach dieser Richtung mir vorliegenden Ermittelungen deuten, wenig¬ 
stens was die Neurasthenie, von der allein hier zunächst die Bede sein soll, 
betrifft, ebenfalls auf Unregelmässigkeiten der Oxydation hin. In sämmtlichen 
Fällen, besonders aber bä den schweren Formen der Neurasthenie, fand sich 
mehr oder minder beträchtliche Abnahme des Harnstoffes und grösstentheils 
eine gewisse Zunahme der Harnsäure. Das Verhältniss des Gesammtstickstoffes 
des Urins zu der Stickstofiquantität des Harnstoffes (der Coefficient der Oxy¬ 
dationsenergie und der Ausdruck der Gewebsathmung nach Poehl) wies (kon¬ 
stant hin auf merkliches Sinken der Intensität der Stickstoffoxydation. Das 
Verhältniss der Harnsäuremenge zu der Quantität der Phosphorsäure in Form 
ihres Dinatriumsab.es zeigte (konstant nach Zerneb erhöhte Abspaltung von 
Harnsäure an, liess also auf Vorhandensein mehr oder weniger ausgesprochener 
harnsaurer Diathese zurückschliessen. 

Eine weitere Besonderheit der Harnzusammensetzung, welche ich oft in 
schweren Fällen von Neurasthenie beobachtet habe, besteht darin, dass das 
Verhältniss des Gesammtstickstoffes im Harn zu der Menge der Phosphorsäure, 
d. h. jener Coefficient, welcher nach Zülzeb die Zerfallsenergie des Nerven¬ 
gewebes angiebt, gesteigert erschien. Manchmal war das Verhältniss der 
Gesammtphosphorsäure zu der Quantität der Glycerinphosphorsäure, welches 
nach Lepin den Lecithinzerfall anzeigt, höher als normal. Letztere Erscheinung 
zeichnete sich jedoch durch geringere Constanz aus. In vielen Fällen endlich 
ersohien das quantitative Verhältniss der Schwefelsäure zu den gepaarten 
Schwefelsäuren, was als Index der Darmfäulniss dient, mehr oder weniger stark 
gesteigert. 

Dem wäre noch hinzuzufögen, dass in einzelnen Fällen Besserung des 
Krankheitszustandes mit Abnahme oder Verschwinden der arthritischen Er¬ 
scheinungen zusammenfiel. Es ist also auch nach meinen Beobachtungen Neur¬ 
asthenie zweifellos verbunden mit Unregelmässigkeit der Oxydation der Stick¬ 
stoffsubstanzen. Sie kann und muss daher mit den übrigen, auf dem Boden 
von Stoffwechselabnormitäten sich entwickelnden Erkrankungen zu der gleichen 
Gruppe gerechnet werden. 

Was die nächste Ursache der in Rede stehenden Unregelmässigkeiten der 
Oxydation betrifft, so erscheint mir am allerwahrscheinlichsten der Einfluss der 
Darmfäulniss hier wirksam zu sein, was in meinen Fällen durch specielle Ana¬ 
lysen nachgewiesen ist Im Darme ist also wesentlich die Wurzel der Neur¬ 
asthenie in der Mehrzahl der Fälle zu suchen. Selbstverständlich präjudioirt 
dies in keiner Weise einen primären Ursprung der fraglichen Darmstörungen 
und schliesst zugleich den Einfluss anderer zu Neurasthenie prädisponirender 
ätiologischer Factoren (übermässige geistige Anstrengung u. s. w.) nicht aus, 


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doch wäre zu prüfen, ob diese Momente, wenn nach nur indirect, nicht auf 
die Fäolnissvorgänge im Darme zurückwirken. Bezüglich geistiger Ueber- 
anspannung z. B. Hesse sich an den Einfluss dauernder Ablenkung des 
Blutes von den Baucheingeweiden auf die Functionen des Darmes denken und 
in noch höherem Grade ist hier vielleicht die mit geistiger Arbeit verbundene 
sitzende Lebensweise und die so entstehenden Stauungen im Gebiete der Leber 
wirksam. Zur Erklärung des Einflusses von Erschütterungen auf die Ent¬ 
wickelung der Neurasthenie können gewisse vasomotorische Störungen von Be¬ 
deutung sein. Vielleicht kommt auch die Zusammensetzung der Nahrung hier 
mit in Frage, doch sind alle diese Factoren zunächst durch ganz specielle 
Untersuchungen auf ihren Werth zu prüfen. 


3. Das elektrische Trichoästhesiometer und die sog. Haar¬ 
empfindlichkeit des Körpers. 

Von Prof. Dr. W. v. Bechterew in 8t. Petersburg. 

Unlängst sind in meiner Klinik von den Drr. K. J. Noischewski und 
B. P. Obsipow an gesunden Individuen und an Nervenkranken Untersuchungen 
über die sogen. HaarempfindUchkeit der Haut angestellt worden. Man versteht 
darunter jene eigenthümHche Empfindung, welche gewöhnUch bei sehr zarter 
Berührung behaarter Hautpartieen auftritt und an die Empfindung des Kitzel¬ 
reizes sehr lebhaft erinnert 1 Zur Untersuchung dieser Art von Sensibifität, die 
zweifellos bedingt ist durch mechanische, bei Bewegungen der Haare auftretende 
Reizung besonderer Nervenendigungen an den Haarbälgen, eignen sich am besten 
so zarte Reize, welche die Haare der Hautoberfläche in Bewegung setzen, ohne 
gleichzeitig die geringste Empfindung der Berührung auszulösen. Es kann hierzu 
z. B. ein Haar von der Kopfhaut des Menschen benutzt werden. Doch hat die 
Anwendung eines solchen Reizmittels eine Reihe rein technischer Schwierigkeiten 
bei der Prüfung der Haarempfindliohkeit Dr. K. J. Noibchewbki hat bereits 
bei seinen früheren Untersuchungen über diesen Gegenstand 8 in verdienstvoller 
Weise zu diesem Zwecke eine zarte Uhrfeder oder ein sogen. Uhrhärchen in 
Anwendung gebracht und einen besonderen Apparat construirt, bestehend aus 
einem zwischen den Spitzen einer Pincette eingeklemmten gewöhnfichen Uhr¬ 
härchen. 8 Berührt man eine haarbedeckte Hautstelle mit solch einer Haarfeder, 

1 Beide dürfen nicht mit einander verwechselt werden. Kitaeigefühl entsteht durch 
gröbere Hautreizung und pflegt an den Fusssohlen und in den Achselgruben am intensivsten 
zu sein, wahrend Haarempfindlichkeit an ersteren, wie wir sehen werden, vollständig fehlt, 
in letzteren sehr schwach ist. 

* Vortrag, gehalten in der Gesellschaft der Aerzte zu Dünaburg (Dwinsk) am 2. April 
1896 und am 28. November 1896. 

* K. Noisohewski, Trichoästhesiometr. Nowing lekarskie. 1896. Nr. 6. 


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so empfindet man thatsächlich etwas, was lebhaft an Kitzelgefühl erinnert, wäh¬ 
rend Berührung der Haut mit diesem Instrument auch in solchen Gegenden, 
wo das Tastvermögen am schärfsten ausgeprägt ist, wie z. B. au den volaren 
Flächen der Finger gänzlich empfindungslos verläuft. Mit Hülfe dieses ein¬ 
fachen und zugleich sinnreichen Apparates hat Dr. K. J. Noischewbki seine 
ersten Untersuchungen über Haarsensibilität des Menschen 
ausgeführt und den Apparat selbst als Trichoästhesiometer 
bezeichnet. 

Die praktische Handhabung des Apparates hat aber 
einige Schwierigkeiten. Der Beobachter muss bei der 
Prüfung der Haarempfindlichkeit, um den erforderlichen 
Reiz anszulösen, die Uhrfeder den Haaren entlang hin¬ 
führen und da dies aus freier Hand geschieht,, so wird 
in Folge der unvermeidlichen Ungleichmässigkeit einer 
solchen Bewegung auch die Haarempfindlichkeit keine 
gleichbleibende sein können. Ein anderer wesentlicher 
Nachtheil des Instrumentes besteht darin, dass das Tricho¬ 
ästhesiometer Noibchewski’s kein exactes Maass der Haar¬ 
sensibilität angiebt. 

Als daher Dr. Ossipow und darauf Herr Noischewbki 
in meiner Klinik an die Untersuchung der Haarempfind¬ 
lichkeit herantraten, veranlasst« ich die Genannten, ein 
vollkommeneres Trichoästhesiometer mit gleichmässigen 
Schwankungsamplituden zu construiren und sich dabei der 
Mithülfe des Elektromagneten zu bedienen. Es bestand an¬ 
fangs der Plan, ein solches Trichoästhesiometer nach dem 
Principe der elektrischen Stimmgabel einzurichten, doch 
wurde bei der praktischen Verwirklichung des Instrumentes 
den Schwankungen des Trichoästhesiometers der Mecha¬ 
nismus des NEEE’schen Hammers zu Grunde gelegt. 

Ein solcher Apparat wurde nach den Angaben von Dr. 

K. J. Noischewbki von der Firma Urlaub in Peters¬ 
burg hergestellt, leider aber zu einer Zeit, als K. J. Noi- 
schewski und W. P. Obbipow ihre Untersuchungen mit¬ 
telst des gewöhnlichen Trichoästhesiometers bereits ab¬ 
geschlossen hatten. 

Das elektrische Trichoästhesiometer hat folgende Anordnung. Ein Metall¬ 
stab a (s. nebenstehende Abbildung), an dessen Ende mittelst Klammern eine 
Haarspirale b befestigt ist, steht mit einem im Innern des Griffes c verborgenen 
Elekromagneten so in Berührung, wie der NEEF’sche Hammer in den gewöhn¬ 
lichen elektrischen Apparaten. Die Regulirung der Schwankungen des Stabes a, 
sowie die Grösse der Excursionsamplitude des die Uhrfeder tragenden Aufsatzes 
geschieht, wie bei dem NEEF’schen Hammer mit Hülfe einer Schraube d. Zur 
Verbindung des Elektromagneten mit dem Elemente dienen Oeffnungen in den 

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am Ende dt» Apparates befindlichen metallischen Vorsprüngen ee, an welchen 
Schrauben zur Befestigung der Drähte f } f angebracht sind. Zu erwähnen ist 
ausserdem, dass an dem Griff eine besondere bewegliche Metallplatte g vor¬ 
handen ist, welche nach vorne bewegt den Strom in dem Elektromagneten 
schliesst, rückwärts geschoben ihn anfhebt. Der Apparat kann daher sowohl 
als elektrisches j wie auch als einfaches Trichoästhesiometer benutzt werden, 
ln beiden Fällen ist seine Anwendung aus der Beschreibung leicht ersichtlich. 
Zu bemerken wäre hier nur das eine, dass es bei der Untersuchung vor Allem 
darauf ankommt, die Hautoberfläche in äusserst zarter Weise zu berühren, da 
andernfalls das Ende des Stabes selbst die Haut träfe und anstatt einer Haar¬ 
empfindung einen Tastreiz hervorriefe. 

Zum Schlüsse will ich hier die Ergebnisse der Untersuchungen über Haar¬ 
sensibilität bei Gesunden und Kranken, welche in meiner Klinik von K. J. Noi- 
8CHEW8K1 und W. P. Osbipow im Wintersemester 1897/98 mittelst des gewöhn¬ 
lichen (nicht elektrischen) Trichoästhesiometers ausgeführt wurden, kurz zu¬ 
sammenfassen. 

Eine Vergleichung der Intensität der Haarempfindlichkeit in den verschie¬ 
denen Körpergegenden ergiebt, dass diese Empfindlichkeit am schärfsten ist 
an der Haut der vorderen Stirngegend, besonders in der Region der Glabella 
und an der Haargrenze des Kopfes, sowie an der Wangenhaut über der Naso- 
labialfalte. Ungewöhnlich fein ist die Haarempfindlichkeit auch auf der Innen¬ 
fläche der Nase, deren Reizung mittelst des Trichoästhesiometers häufig Niesen 
auslöst. In zweiter Reihe folgt die Schamgegend und die Umgebung des Anus. 
In den genannten, bei weitem empfindlichsten Theilen ruft Reizung mit dem 
Trichoästhesiometer nicht selten so intensive Empfindungen hervor, dass gleich¬ 
zeitig ein allgemeines reflectorisches Erzittern des Körpers auftreten kann („wahrer 
Haarreflex (< ). Etwas schwächer ist die Haarempfindlichkeit der Gesichtshaut; 
die mit Bart und Schnurbart bedeckten Gegenden sind weniger empfindlich als 
die übrigen Theile. Weiter schliesst sich nach der Intensität der Haarempfind¬ 
lichkeit an: die Gegend des Halses, des Schultergürtels, des Rumpfes bis zu 
den Inguinalfalten vorne und dem Gesässe hinten, die dorsale Fläche der Hände, 
die hintere Fläche der Oberschenkel, die oberen Theile der Innenfläche der 
letzteren, die Haut des Vorderarmes, die vordere Fläche der Füsse und die 
hintere der Unterschenkel Die Haarsensibilität fehlt gänzlich an (flftr Vola 
manus, an der Planta pedis, an der Hacke, an der volaren und plantaren Fläche 
der Finger bezw. Zehen, an den Flächen der Endphalangen der Finger und an 
der Glans penis, also in jenen Körpergegenden, die der Haare völlig entbehren 
und gleichzeitig ein äusserst scharfes Tastvermögen besitzen. 

Die Intensität der Haarempfindlichkeit steht augenscheinlich in (Korrelation 
mit der Grösse und Dichtigkeit der die Haut bedeckenden Haare: je feiner 
und dichter diese, desto intensiver jene und umgekehrt, je länger und spärlicher 
diese, desto schwächer jene* 

Dass die in Rede stehenden Empfindungen in der That durch Schwingungen 
der Haare hervorgerufen werden, wird dadurch bewiesen, dass, wenn man das 

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Triohoästhesiometer zart zwischen den Haaren einwirken lässt, was an den Ober¬ 
schenkeln leicht ausführbar ist, überhaupt keinerlei Empfindung auftritt Narben¬ 
flächen sind ebenfalls empfindungslos. 

Die Vertheilung der Intensität der Haarempfindlichkeit entspricht in be- 
merkenswerther Weise durchaus nicht der tactilen Sensibilität 

Unter pathologischen Verhältnissen geht nach den Ermittelungen derselben 
Beobachter die Haarsensibilität manchmal verloren bei noch erhaltener Tast¬ 
empfindlichkeit In anderen Fällen erscheint sie dagegen auffallend gesteigert, 
während das Tast- and Schmerzgefühl im Wesentlichen unverändert bleiben. 
Dies scheint mir entschieden darauf hinzuweisen, dass die Haarempfindlichkeit 
eine ganz besondere Qualität der Hautsensibilität darstellt, die völlig verschieden 
ist von dem Tast- und Schmerzgefühl. Die ganze Frage der Haarempfindlich¬ 
keit verdient daher meines Erachtens in sorgfältigster Weise geprüft zu werden. 


4. Welche Aenderungen 

hat das klinische Bild der progressiven Paralyse der Irren 
in den letzten Decennien erfahren? 1 

Von E. Mendel. 

Dass manche Krankheiten im Laufe der Zeit und zu verschiedenen Zeiten 
ihr klinisches Bild verändern, ist eine Erfahrung, welche vielfach bestätigt 
worden ist 

Die Cholera, die Pest und andere Infectionskrankheiten haben zu ver¬ 
schiedenen Zeiten sehr verschiedene klinische Bilder dargeboten, am auffallendsten 
ist jene Thatsache für den Neuropathologen bei der Diphtherie. Hier giebt es 
und gab es Epidemieen, in welchen nervöse Nachkrankheiten kaum zur Beo¬ 
bachtung kamen, während in anderen in auffallender Häufigkeit leichtere und 
schwerere Formen von Lähmungen an die diphtherische Affection des Rachens 
oder anderer Körpertheile sich anscbliessen. 

Auf der anderen Seite dagegen verlaufen die verschiedenen Erkrankungen 
* des Herzens, der Nieren, die BniOHT’sche Erkrankung, wie die Schrumpfniere 
ganz in derselben Weise, ohne jede wesentliche Veränderung des klinisohen 
Bildes in den Decennien, in welchen wir diese Krankheiten zu diagnostioiren 
im Stande sind. 

Mit Rücksicht gerade auf diese letztere Thatsache muss es auffallend er¬ 
scheinen, dass bei einer Gehirnkrankheit, welche wir den letzteren Erkrankungen 


1 Nach einem in der Versammlung deutscher Naturforscher and Aerzte za Dösseldorf 
gehaltenen Vortrage. 


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an die Seite zti stellen gewohnt sind, der progressiven Paralyse der Irren, irgend 
wie wesentliche Veränderungen in dem klinischen Bilde eingetreten sein sollten. 

Nichts destoweniger scheint an der Thatsache, dass eine solche Veränderung 
eingetreten ist, kein Zweifel zu sein. Bereits in meiner monographischen Be¬ 
arbeitung der progressiven Paralyse 1 sagte ich: „Auch die Zeit bringt unzweifel¬ 
hafte Aenderungen und Transformation der verschiedenen Formen hervor.“ Ich 
stützte mich dabei auf die Angaben Calmeil’s, welcher 1826 die grosse Selten¬ 
heit melancholischer Delirien bei der Paralyse hervorgehoben, während er 1859 
äusserte, dass die melancholische Form der progressiven Paralyse seit etwa 
10 Jahren fast ebenso häufig, wie der Grössenwahn auftrete, und auch Lünikk 
hatte eine Aenderung bemerkt, insofern als die langsam verlaufende Paralyse 
und die deprimirte Form häufiger zur Beobachtung käme. 

In den 30 Jahren, in welchen ich'selbst mich mit dem Studium der pro¬ 
gressiven Paralyse beschäftige, erscheint mir nun vor allem eine Thatsache 
auffallend: das Zurücktreten der typischen Form der Paralyse gegen¬ 
über der dementen Form. 

Aus den älteren Beobachtungen ergiebt sich, dass die typische Form der 
Paralyse — melancholisches oder hypochondrisches oder hypochondrisch-melan¬ 
cholisches Stadium, maniacalisches und dementes Stadium — über die Hälfte 
oder annähernd die Hälfte aller Fälle betrug: Bbiebre de Boismont fand 1859 
unter 100 Beobachtungen 64 Mal die typische Form, Calmeel unter 62 Fällen 
25 Mal, Bayle unter 85 Fällen 52 Mal. 

Camuset* fand unter 173 Paralytikern nur in 25,4°/ 0 die demente Form. 

Ich selbst fand 1880 unter 180 Fällen eigener Beobachtung 55 Mal die 
typische Paralyse verzeichnet 

Herr Dr. Soholinub, der jetzige Leiter meiner früheren Anstalt, hat die 
Güte gehabt, die Fälle von Paralyse, welche in den letzten 8 Jahren in die 
Anstalt aufgenommen wurden, nach ihren Formen zusammenzustellen. Unter 
den 194 Fällen von Paralyse bei Männern fanden sich nur 24 Fälle von der 
typischen Form — sie ist also bei im Wesentlichen gleichem Material um etwa 
die Hälfte in ihrer Häufigkeit herabgegangen. 

Abgesehen aber von der grösseren Seltenheit der typischen Form, treten in 
dieser selbst speciell die Grössenwabnvorstellungen im Allgemeinen nicht mehr 
so excessiv hervor, wie dies früher der Fall war. 

Zwar fehlt es auch jetzt nicht an jenem „blühenden“ Grössenwahn, welcher 
für die progressive Paralyse charakteristisch gilt, aber die Intensität desselben 
hat im Allgemeinen abgenommen. 

Während ich unter jenen Fällen im Jahre 1880 37 Mal die demente Form 
verzeichnete, erscheint dieselbe unter den 194 Fällen der neuen Zusammenstellung 
70 Mal, ist also etwa auf die doppelte Zahl gestiegen. 

Das Verhältniss zu Gunsten der Häufigkeit der dementen Form der Paralyse 


* Mbndbl, Die progressive Paraly.se der Irren. 1880. S. 2'.* 

* Annal. möd.-psych. 1883. Mai. 


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wird aber noch evidenter, wenn man die nicht kleine Zahl der dementen Para¬ 
lytiker hinzurechnet, bei welchen wegen ihres ruhigen und ungefährlichen Ver¬ 
haltens nicht die Nothwendigkeit eintritt, sie in eine Anstalt zu bringen, und 
die entweder als poliklinische Kranke oder bei privaten Consultationen zur 
Kenntniss des Psychiaters kommen. 

Auf dieses jetzt hervortretende Vorwiegen der dementen Form der Paralyse 
ist übrigens, wie ich sehe, auch an anderen Orten und in anderen Ländern 
bereits die Aufmerksamkeit gelenkt worden. 

Angioletto 1 fand unter 84 Paralytikern 40 Mal die demente Form. 

ColiiIns * hebt die Zunahme der dementen Form mit ihren motorischen 
Lähmungen hervor, endlich hat auch Bbuns bei Gelegenheit der Versammlung 
des Vereins der Irrenärzte Nieder-Sacksens und Westfalens® die Frage auf¬ 
geworfen, ob nicht auch in den Anstalten, wie ausserhalb derselben, die auf¬ 
geregten Formen der Paralyse gegenüber der progressiv dementen Form seltner 
geworden seien, eine Frage, welche in der Versammlung bejaht wurde. 

Dass im Uebrigen nicht etwa eine bessere Erkenntniss, speciell die Unter¬ 
suchung der Sehnen- und Pupillenreflexe und ihre Bedeutung für die Diagnose, 
jetzt eine Diagnose der progressiven Paralyse da erleichtert, wo sie früher 
verkannt wurde, und dadurch gerade die Zahl der dementen Paralytiker sich 
vermehrt hat, braucht mit Rücksicht auf die verhältnissmässige Kürze der hier 
in Frage kommenden Zeit, in welcher die diagnostischen Mittel im Wesent¬ 
lichen dieselben blieben, kaum hervorgehoben zu werden. 

Eine zweite Thatsache, welche in Bezug auf den Verlauf der progressiven 
Paralyse in der neueren Zeit auffällt, ist das verhältnissmässig häufige 
Auftreten erheblicher Remissionen. 

Dass solche Remissionen und zwar in einem Grade sich zeigen, dass sie 
den Eindruck von Heilungen der Krankheit machen, ist eine alt bekannte That¬ 
sache. Ich würde nichts Neues bringen, wenn ich Ihnen hier solche Fälle mit¬ 
theilen wollte. 

Ziffermäs8ig und procentualiter lässt sich das häufigere Auftreten von 
Remissionen gegen früher schon deswegen nicht beweisen, weil aus der früheren 
Zeit genaue Zahlenangaben über die Häufigkeit erheblicher Remissionen fehlen. 

Die Remissionen zeigen sich in einer Anzahl von Fällen, nachdem geistige 
und körperliche Symptome eine solche Höhe erreicht haben, dass an der Diagnose 
der progressiven Paralyse kein Zweifel ist, nach schweren hypochondrischen oder 
heftigen maniacalischen Stadien. 

Die Remission erlaubt dem Kranken, in seinen Beruf zurückzukehren. Der 
intimere Verkehr lässt eine gewisse Veränderung, welche seine Psyche erlitten, 
nicht verkennen, nach aussen hin erscheint er aber gesund, und solche Remissionen 
dauern 1, 2 Jahre und länger, ehe ein wiederholter Ausbruch in der Regel 


1 II manicomio. 1897. S. 828. 

* Medical record. 1898. Febr. 5. 

* Neurolog. Centralbl. 1898. S. 606. 

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dann die Krankheit progressiv entwickelt. Aber auch dann kommen in einzelnen 
Fällen nochmals Remissionen vor. 

In einer Anzahl anderer Fälle zeigen sich die initialen Symptome der pro¬ 
gressiven Paralyse in reflectorischer Pupillenstarre, Mangel der Sehnenrefiexe 
oder erheblicher Stärke derselben, in Analgesie der Unterschenkel, in gewissen 
Veränderungen des Charakters und in Andeutung von Sprachstörung und Stö¬ 
rungen der Schrift, dazu treten hypochondrische Verstimmungen — die Diagnose 
auf progressive Paralyse wird gestellt, aber die Progression tritt nicht ein, ja 
die hypochondrischen Verstimmungen, die Exaltationen verschwinden, der Kranke 
ist wieder thätig im Beruf —, es vergehen zuweilen Jahre, ehe es zu einer 
fortschreitenden Entwickelung der Krankheit kommt 

Die Rücksichtnahme auf diese nicht allzu seltenen Fälle hat eine besondere 
praktische Bedeutung. Bei der Diagnose der progressiven Paralyse wird auf 
die „Progression“ bei Aerzten und Angehörigen der Kranken häufig der Haupt¬ 
werth gelegt Das Ausbleiben der Progression lässt dann die gestellte Diagnose 
unrichtig erscheinen. Man thut demnach gut, bei der gesicherten Diagnose der 
progressiven Paralyse doch auf die mehr und mehr sich häufenden Beobach¬ 
tungen von Remissionen und längerem Stillstehen des Processes hinzuweisen. 

Dass auf der anderen Seite auch ebenso wie früher im Gegensatz dazu 
die Fälle nicht selten sind, in welchen die Demenz sich ungemein rapid ent¬ 
wickelt, und sehr schnell dazu führt, dass der eben noch im Beruf tbätige 
Paralytiker zu jeder Arbeit unfähig wird, mag hier nur angedeutet werden. In 
der Mehrzahl dieser Fälle steht dies im Zusammenhang mit apoplectiformen 
Anfällen, welche, nicht beachtet, als Schwindel bezeichnet werden oder auch in 
der Nacht unbemerkt aufgetreten sind. 

Wenn nach den eben geschilderten Richtungen hin die Paralyse in den 
letzten Decennien milder in ihrem Verlauf geworden zu sein scheint, so ist auf 
der anderen Seite nicht zu verkennen, dass ihre Ausbreitung eine grössere ge¬ 
worden ist 

Zifferamässig lässt sich zwar mit Sicherheit die relative Zunahme der 
Häufigkeit, d. h. eine procentual grössere Häufigkeit, als sie der Zunahme der 
Bevölkerung entspricht, nicht nachweisen, wenn auch immerhin diese Zunahme 
wahrscheinlich ist, — aber bei dem weiblichen Geschlecht] ist eine solche Zu¬ 
nahme ganz evident. 

Ich erinnere daran, dass Neumann noch im Jahre 1859 behaupten konnte, 
dass die progressive Paralyse nur eine dem männlichen Geschlecht eigenthüm- 
liche Krankheit ist, jetzt ist die Häufigkeit der Erkrankung bei den Frauen so 
gestiegen, dass jetzt auf etwa 3,5—4 Männer 1 paralytische Frau kommt 

Ich weise in dieser Beziehung auf Gkeidenbeeg’s Aufsatz 1 hin, in welchem 
sich die diesbezügliche Litteratur findet Nach den Zusammenstellungen ans 


1 Nenrolog. Centr&lbl. 1898. Nr. 8. 

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meiner Poliklinik 1 ist das Verhältniss der Paralyse der Männer zu den Frauen 
wie 3,9:1. 

An dieser Stelle sei auch anf die zunehmende Häufigkeit der Erkrankung 
von Ehegatten an Paralyse, bezw. an Paralyse und Tabes, hingewiesen. 

loh habe, wie ich glaube, zuerst auf das Vorkommen von Paralyse bei 
Ehegatten aufmerksam gemacht.* 

Meine Erfahrungen erstrecken sich jetzt auf 20 Ehepaare. 

In 7 Fällen entwickelte sich bei beiden Ehegatten progressive Paralyse. 
In dem einen Fall inficirte der Mann in der Hochzeitsnacht seine Frau, er er¬ 
krankte nach 15 jähriger Ehe an Paralyse und ging 3 Jahre später daran zu 
Grunde. 

Schon etwa */> Jahr vor dem Tode des Ehemanns begannen die Erschei¬ 
nungen der progressiven Paralyse hei der Frau, welche nach 6 jähriger Erkrankung 
ebenfalls derselben erlag. 

In 6 Fällen erkrankte der Mann an progressiver Paralyse, die Frau an 
Tabes, in 3 Fällen der Mann an Tabes, die Frau an progressiver Paralyse, und 
in 4 anderen Fällen erkrankten beide Ehegatten an Tabes. 

Von besonderem Interesse erscheint 1 Fall, in welchem ein Mann seine 
Frau inficirte. Der Mann geht an Paralyse zu Grunde, die Frau verheirathet 
sich wieder, der zweite Mann erkrankt an Tabes, und jetzt erkrankte die Frau 
selbst unter den Erscheinungen einer organischen Erkrankung des Central¬ 
nervensystems (reflectorische Pupillenstarre, Mangel der Patellarreflexe), wobei 
es augenblicklich noch zweifelhaft ist, ob sich Paralyse oder Tabes ent¬ 
wickeln wird. 

Während ich in Bezug auf den Durchschnitt des Alters, in welchem die 
Paralyse am häufigsten auftritt, kaum eine wesentliche Differenz gegen früher 
finden kann, hat sich doch die Zahl der Fälle von progressiver Paralyse bei 
Kindern in auffallender Weise gehäuft 

Bail labgeb fand im Jahre 1850 unter 400 Fällen von Paralyse nur 
1 Fall unter 20 Jahren, jetzt werden in rascher Aufeinanderfolge zahlreiche Fälle 
von Paralyse im jugendlichen Alter veröffentlicht 8 

Hierbei tritt uns die mit Rücksicht auf das Verhältniss der Häufigkeit der 
Paralyse bei Männern und Frauen auffallende Thatsache entgegen, dass die 
Paralyse im jugendlichen Alter zum mindesten in derselben Häufigkeit beim 
weiblichen Geschlecht auftritt, als beim männlichen. Nach meinen eigenen Er¬ 
fahrungen ist sie bei ersterem sogar häufiger. 

Die hereditäre Syphilis als ätiologisches Moment dieser Paralyse im jugend¬ 
lichen Alter ist nach den vorliegenden Erfahrungen nicht zu bestreiten. 

Vielleicht gelingt es in der Zukunft, durch genaue anatomische Unter- 
suchuungen gerade dieser jugendlichen Fälle zusammen mit denjenigen Fällen, 


1 Dissertation von Huusch. 

* Neurolog. Centralbl. 1888. S. 384; cf. anch Litteratnr bei Lühbmanit, ebenda. 1895. 
S. 632. 

* cf. Güddkn, Arcb. f. Psych. 1894. XXVI. S. 430 (Znsammenstellang von 20 Fällen). 


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welche Homän als familiäre progressive Demenz beschrieben hat, die Brücken 
za finden, welche die syphilitischen Erkrankungen des Nervensystems mit denen 
der progressiven Paralyse verbinden. 

Fragt man nach der Ursache der eben geschilderten Veränderungen des 
klinischen Bildes und der Zunahme der progressiven Paralyse, speciell auch bei 
Frauen, so dürfte in Bezug auf die letztere, die Ausbreitung der Paralyse, 
die Erklärung nicht allzu schwer sein. 

Sieht man die Prädisposition zur Paralyse in dar grossen Mehrzahl der 
Fälle gegeben in der Syphilis (über 75°/ 0 ), und die Ursache in dem Kampfe 
ums Dasein, in getäuschten Hoffnungen, in ungezügeltem Ehrgeiz bei nicht 
entsprechender Begabung für die Ziele desselben, so wird die Ausbreitung der 
Krankheit bei Erwachsenen bei der unleugbaren Zunahme der Syphilis, wie 
jener psychischen Schädlichkeiten zu verstehen sein. 

Sie wird bei dem weiblichen Geschlecht mit der zunehmenden Hineinziehung 
desselben in den socialen Kampf zunehmen müssen, und würde dasselbe bei 
der Durchführung der sogenannten „Emancipation“ der Frauen noch in sich 
steigerndem Grade thun. 

Schwierig dagegen und zur Zeit wohl unlösbar erscheint die Aufjgabe, die 
Veränderung der Form zu erklären. 

Dass nicht etwa die vorangegangene antisyphilitische Behandlung im Stande 
ist, das klinische Bild zu ändern, lässt sich leicht durch Vergleich derjenigen 
Paralytiker, welche antisyphilitisch behandelt, mit denjenigen, welche nicht so 
behandelt worden sind, beweisen. 

Ebensowenig kann etwa die „frühere Intemirung und die bessere Behand¬ 
lung“ zur Erklärung herangezogen werden. 

Ich glaube nicht, dass seit 20 Jahren ein wesentlicher Unterschied, 
speciell in Bezug auf die wohlhabenden Stände, aus denen meine eigene oben 
gegebene Statistik, wie die des Herrn Dr. Sohounub, stammt, eingetreten ist 

Dass unsere Gehirne in den letzten 25 Jahren weniger widerstandsfähig 
geworden sind, dass sie nicht mehr im Stande sind, sich zu maniac&lischen Exal¬ 
tationen in excessiver Weise zu erheben, dies werden wohl die Anhänger der 
zunehmenden „Degenerescenz“ annehmen; ich halte eine solche Annahme für 
nicht erwiesen, bezweifle sie und glaube nicht an die Degenerescenzen in dem 
Umfange, wie sie jetzt als Schlagwort, speciell in der Psychiatrie, gebraucht 
werden. 

Man könnte daran denken, dass das syphilitische Gift gewisse Aenderungen 
erfahren hat So viel ich weiss, ist auch die Syphilis der übrigen inneren Organe 
milder geworden, wobei es dahingestellt bleiben mag, ob die Behandlung allein 
dies hervorgebracht Aber auch für jene Annahme fehlt es bisher an irgend¬ 
weich sicheren Anhaltspunkten. 

Es muss demnach der Zukunft Vorbehalten bleiben, jene eigentümlichen 
Thatsachen zu erklären. 


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11. Referate. 


Anatomie. 


1) Experiments in examination of the peripheral distribution of the 
flbres of the posterior roots of some spinal nerves, by C. S. Sher rington. 
Part II. Philosoph. Trans, of the roy. society of London. Series B. 1898. 
Vol CXC. S. 45—186. 


Die Arbeit des Verf.’s enthält viel mehr als der Titel verspricht Ausser ge¬ 
nauen experimentellen Untersuchungen über die Verkeilung der Hals« und obersten 
Brustnerven wurzeln in den Haut* und Muskelgebieten, speciell beim Affen, bringt 
der Verf. noch gleiche Untersuchungen über den Trigeminus, ferner auch für die 
menschliche Pathologie sehr wichtige Untersuchungen über das Verhalten von Affen 
nach totalen Quertrennungen des Rückenmarks, mit specieller Rücksicht anf das 
Verhalten der Sehnenreflexe, und schliesslich sehr ausführliche Mittheilungen über 
die übrigen spinalen Reflexe nach Trennung des Rückenmarks vom Gehirn. Die 
Arbeit verdient ein eingehendes Referat, vielleicht sogar ein noch eingehenderes als 
der verfügbare Raum leider zu geben gestattet. 

Die experimentellen Methoden des Verf.’s, zunächst im ersten Theile der Arbeit, 
bei der Untersuchung über die Verkeilung der hinteren und vorderen Nervenwurzeln 
in Hant und Muskeln waren die folgenden: Zur Feststellung der Hautgebiete der 
einzelnen hinteren Wurzeln benutzte Verf. die Methode der „remaining aeethesia"; 
es wurden die der zu prüfenden Wurzel proximal und distal zunächst gelegenen 
4—5 hinteren Wurzeln intravertebral durchschnitten und nun festgestellt, in welchen 
Hauttheilen noch gefühlt wurde. Für die Benrtheilung der Vertheilung der vorderen 
Wurzeln in den Muskeln wandte Verf. zwei Methoden an: erstens die elektrische 
Reizung derselbeni zweitens ihre Durchschneidung, proximal vom Intravertebral* 
ganglion; nach Entritt der absteigenden Degeneration wurde das Thier dann ge* 
tödtet, die betreffenden Nerventheile in Osmium fixirt und die Plexus und Nerven 
aufgefasert, und die degenerirten Fasern in die einzelnen Muskeln verfolgt Diese 
letztere Methode gab besonders genaue Resultate. 

Auf diese Weise hat der Verf. nun zunächst den Trigeminus, Vagus, Hypo* 
glossus, die 8 cervicalen und die ersten beiden dorsalen Nervenwurzeln untersucht 
Es kann hier natürlich nicht auf alle Einzelheiten der Resultate dieser Experimente 
eingegangen werden, dazu muss Ref. auf die Experimentberichte, die Schemata und 
Tabellen, speciell S. 66 und 67, 8. 119, 121 und 127 verweisen. Es stellt sich 
vor allem auch hier heraus, dass die Hautgebiete der einzelnen sensiblen Wurzeln 
sehr erheblich ineinander übergreifen, „overlap"; und dass die einzelnen Mnskeln von 
sehr vielen verschiedenen Wurzeln Fasern beziehen. Im ganzen stimmen die Resultate 
am Affen, auch in ihren Varietäten, überein mit den klinischen Erfahrungen, die 
durch Thorburn, Allen Starr, Makenzie, Head, Kocher und dem Ref. an 
Menschen gemacht sind (S. 91). Von interessanten Einzelheiten mag folgendes er* 
wähnt werden. Nach Durchschneidung des Trigeminus' fehlt beim Affen der Geschmack 
an den vorderen 2 / s der Zunge, ebenso wie das Gefühl; hinten und an Theilen des 
Gaumensegels fühlt und schmeckt der Affe (Glossopharyngeus). Theile dee Ohres 
werden von oberen Cervicalnerven, vom Trigeminus und auch vom Vagus versorgt 
Die einzelnen Aeste des Trigeminus verhalten sich nicht wie gesonderte spinale 
Nervenwurzeln, sie greifen nur in dem geringen Maasse ineinander über, wie es die 
peripheren Nerven thun; ein starkes Uebergreifen findet erst zwischen 2. cervicalen 
Nerven und Trigeminus statt Der Hypoglossus und die 1. CervicalWurzel haben 


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kein sensibles Gebiet, die 2. entspricht erst dem N. occipitalis major. Das Gebiet 
der 5. hinteren Cervicalwurzel kann sich nach unten am Kampfe bis an die Brust¬ 
warze erstrecken, was einen Fall des Bef. erklären würde. Das Zwerchfell wird von 
der 4.. 5. und 6. Cervicalwurzel versorgt; von der 4. vorn, von der 6. hinten. Die 
2. dorsale Wurzel versorgt sensibel die obere innere Seite des Oberarms, motorisch 
kleine Handmuskeln, wohl auch meist beim Menschen. Nur ist der Cervicalplexus 
beim Menschen im Gegensatz zum Affen praefixirt und betheiligt deshalb nicht immer 
motorisch die 2. dorsale Wurzel. Die Augenfasern ffir Dilatator pupillae und glatte 
Muskulatur der Orbita kommen nicht nur aus der 1., sondern auch noch ans tieferen 
Dorsalwurzeln. 

Capitel II handelt über das segmentale Schema der Innervation der 
Glieder. Bei oberflächlicher Betrachtung scheinen in der Anordnung der Ausbreitungs¬ 
gebiete der motorischen und der sensiblen Wurzeln an den Gliedern sehr erhebliche 
Differenzen zu bestehen. Die motorischen Felder bilden continuirliche Strahlen, die 
alle an der Medianlinie des Kumpfes beginnen und mehr oder weniger weit in die 
Extremität hineinreichen; mit anderen Worten, auch die Wurzeln, die die Muskeln 
an den äussersten Extremitätenenden innerviren, innerviren doch zugleich solche am 
Kampfe. Die sensiblen Felder scheinen dagegen znm Theil vom Rumpfe losgelöst; 
die Hautgebiete der 7. und 8. cervicalen und 1. dorsalen Wurzel z. B. erreichen 
nirgends den Kumpf. Doch besteht diese Differenz nur zwischen Haut- und moto¬ 
rischen Muskelnerven, nicht zwischen sensiblen und motorischen Wurzeln im all¬ 
gemeinen; denn da, wo die betreffenden hinteren Wurzeln die Haut in der Mittel¬ 
linie nicht erreichen, erreichen sie die Mittellinie doch in den Muskeln — als 
sensible Muskelnerven — und in anderen subcutanen Gebilden, sie bilden also auch 
vollkommene Strahlen. Die sensiblen Muskelnerven entspringen immer genau ans 
dem Spinalganglion des Segments, aus dem auch der betreffende motorische Muskel¬ 
nerv stammt; als Beispiel dient das Diaphragma S. 94. 

Das 3. Capitel handelt von der „segmentalen Architectur der Glieder", 
speciell der oberen Extremität Die nervösen Elemente eines Gliedes bilden den 
besten Fahrer, um zum Yerständniss seiner segmentalen Architectur zn kommen. 
Vorher beantwortet Yerf. aber noch einige andere Fragen. 1.: Ist der Grad des 
Ineinandergreifens der Hautgebiete der einzelnen benachbarten hin¬ 
teren Wurzeln flberall gleich gross? Das ist nicht der Fall. Am Rumpfe 
z. B. betheiligt sich beim Affen an einem Hautgebiete neben der Hauptwurzel nur 
je eine halbe darflber und darunter gelegene Wurzel; an den Extremitäten erhält 
jede Hautstelle 3 volle Wurzeln; an einzelnen Stellen ist die Versorgung sogar eine 
4 fache, z. B. am äusseren Ohr — Trigeminus, Vagus, 2. und 3. Cervicalwurzel. 
Die 2. Frage ist die: Ist das Ineinandergreifen der Felder der sensiblen 
Wurzeln grösser oder kleiner als das der peripheren Nervenstämme? 
Es ist viel grösser, selbst an Hand und Fass. Medianus, Ulnaris und Radialis 
greifen hier nur sehr wenig ineinander aber; dagegen werden grosse mittlere Par- 
tieen der Hand und der Finger dorsal und ventral zugleich von der 1. dorsalen, 7. 
und 8. cervicalen Wurzel innervirh Topographisch bestehen zwischen beiden „Overlap“ 
keine Beziehungen. Die 3. Frage ist: Geht das Ineinandergreifen der Haut¬ 
bezirke der verschiedenen hinteren Nervenwurzeln parallel der Ana- 
stomosirung verschiedener Wurzeln in einzelnen Muskeln? Diese Frage 
ist mit Ja zu beantworten. Es giebt 2, 3, 4 und mehr segmentäre Muskeln, an 
den Gliedern nur ganz wenige unisegmentäre, dagegen werden die Intercostalmuskeln 
nur von einer Wurzel versorgt. Die Hand- und Fussmuskeln zeigen die stärkste 
Vermischung von motorischen Wurzeln verschiedener Segmente. Die 4. Frage ist die: 
Was hat das „Overlapping" functioneil zu bedeuten? Das sensible könnte 
ein besonders gutes und feines Gefühl bedingen sollen. Dagegen spricht aber, dass 
es am Handrücken ebenso stark ist, wie an der Volarfläche. Auf der anderen Seite 


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siebt man in einzelnen Muskeln oft so wenige Fasern eines einzelnen motorischen 
Segments gehen, dass diese functioneil kaum eine Bedeutung haben können. Die 
Anastomosirung hat eben eine morphologische, keine functionelle 
Grundlage. 

Im Verhältnis der einzelnen Wurzeln zu Muskeln und Haut kommen 
grosse individuelle Unterschiede vor. Es giebt prae- und postfixirte Typen; 
auch geringe bilaterale Asymmetrieen kommen vor. Am Beine sind die Varietäten 
noch grösser, als am Arme. Sie bieten der Segmentdiagnose die grössten 
Schwierigkeiten; man darf, wie auch Bef. stets hervorgehoben hat, diese nicht 
auf die Schneide des Messers stellen, muss sich einen gewissen Spielraum 
lassen. 


Nach Erledigung dieser Praeliminarfragen kommt Verf. wieder auf die segmentale 
Architectur der Glieder, speciell des Armes, zurück. Die Hautgebiete der einzelnen 
Wurzeln des Plexus brachialis sind um eine dorsale und ventrale Mittellinie 
am Arme gruppirt, welche Linien sich als seitliche Ausbuchtungen der gleichen 
Linien des Kumpfes ansehen lassen und senkrecht auf diesen letzteren stehen. Die 
einzelnen Wurzeln betheiligen also alle sowohl dorsale wie ventrale Theile der Haut 
des Armes. Besser als eine Beschreibung zeigen diese Anordnung die Schemata auf 
S. 66 und die Tafeln. Die nach vorn (oral) von diesen Mittellinien gelegenen 
Theile verbrauchen sowohl am Arme wie am Beine mehr Segmente, als die nach 
hinten (aboral) gelegenen — sowohl die Muskeln wie die Haut Zwischen einzelnen 
Wurzeln der Arme und der Beine bestehen merkwürdige Uebereinstimmungen. So 
versorgen die 8. cervicale und 6. lumbale Wurzel beide die Haut des ganzen freien 
Endes vom Arme oder Beine ixnd eines Theiles vom Unterschenkel oder Unterarme 
und ihre motorischee Fasern erstrecken sich über die ganze Länge des Gliedes; sen¬ 
sibel erreichen dagegen beide den Bumpf nur in subcutanen Geweben. Ebenso 
merkwürdig ist die Uebereinstimmung zwischen 2. dorsaler und 8. postthoracicaler 
Wurzel. Beide innerviren motorisch die äussersten Muskeln an Hand und Fuss; 
ihre Hautgebiete sind weit davon getrennt, liegen am Oberarm und Oberschenkel. 
Die motorischen Felder der einzelnen Wurzeln des Plexus brachialis bilden Strahlen, 
die im rechten Winkel zum Bumpfe stehen und parallel miteinander verlaufen. Der 
am weitesten nach hinten gelegene Strahl, der aus der 1. oder 2. dorsalen Wurzel 
kommt, ist der längste, geht am weitesten am Extremitätenende; der am weitesten 
nach vom gelegene ist der kürzeste — alle gehen sie aber vom Bumpfe aus (siehe 
Tabelle S. 119 und Diagramm 120). Dass die Ansicht von Krause und van der 
Kolk, welche annehmen, dass die Muskeln von denselben Wurzeln versorgt werden, 
wie die sie bedeckende Haut, nicht stimmt, zeigt am besten die 2. dorsale Wurzel 
(siehe oben). 

Auf S. 123 und den folgenden bringt Verf. eine tabellarische Uebersicht über 
die Erfolge der elektrischen Beizung der einzelnen Wurzeln des Plexus brachialis. 
Seine Besultate stimmen mit Ferrier und Yeo überein. Man beachte besonders das 
Schemas. 127, das auch hier das„Overlapping“ zeigt Jedes einzelne Wurzel¬ 
bündel enthält schon Fasern für eine ganze Anzahl von Muskeln. 


Damit schliesst der erste grosse Abschnitt der Arbeit des Verf.’s. Der zweite 
beschäftigt sich mit den Beflexen im vom Hirn abgetrennten, also isolirten Bücken¬ 
mark. Der Schnitt wurde meist über der 1. cervicalen Wurzel gemacht, manchmal 
weiter unten, einige Male in praepontinen Niveaus. Es wurden dann erst — mit 
Bücksicht auf Prae- oder Postfixation — die einzelnen Wurzeln gereizt; die so er¬ 
folgten Befiexe sind in einer Tabelle S. 130 u. f. zusammengestellt Die Natur 
macht solche Experimente nie; die Tabelle ist also nur zu gebrauchen im Vergleich 
mit den bei Beizung einzelner peripherer Nerven oder Hautstellen erfolgenden Beflexen: 
in letzterem Falle geht die Bahn immer durch mehrere Wurzeln. 


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66 * 

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Der nächste Abschnitt ist einer von den wichtigsten der ganzen 
Arbeit wegen der Ausblicke, die er auf die menschliche Rückenmarks- 
Pathologie gestattet. Verf. geht davon aus, dass die Untersuchungen über die 
Reflexe im abgetrennten Bückenmarke des Affen wesentlich gestört werden, zunächst 
durch die Shokwirkung dieser Operation. Diese Shokwirkung erstreckt sich nur nach 
unten, nie nach oben vom Schnitte, was bei der grossen Menge aufsteigend leitender 
Bahnen sehr merkwürdig ist. Sie ist nahe am Schnitte — also meist in den Armen — 
grösser und andauernder als in den Beinen. Die Shokwirkung ist beim Affen eine 
sehr grosse. Einige Secunden nach der Durchschneidung hängen bei ihm die Beine 
schlaff herab — selten kommt es zu ganz schwachen Muskelzuckungen —, alle 
Reflexe fehlen. Mach etwa 20 Minuten kommen Hautreflexe wieder, manchmal zuerst 
der sogenannte gekreuzte Kniereflex, dann Plantarreflex, dann allmählich andere. 
Die Kniereflexe fehlen nach der Durchschneidung Tage und Wochen; 
nur in sehr seltenen Fällen kehren sie sehr früh wieder. Der Blasenreflex erholt 
sich bald — zuerst muss manchmal katheterisirt werden. Der Tonus des Sphincter ani 
bleibt erhalten, die Defäcation geht normal von Statten. Alles in allem bleiben 
beim Affen auch nach bmonatlicher Beobachtung nach totaler hoch¬ 
sitzender Durchscheidung der Mednlla die Reflexe schwach und spär¬ 
lich, doch herrschen hier auch grosse individuelle Verschiedenheiten. 
Vor allem ermüden die Beflexe auch leicht. Jedenfalls unterscheidet 
sich der total paraplegische Affe sehr erheblich von Hund und Katze, 
wo nach gleicher Operation die Sehnen- und Hautreflexe sofort enorm stark sind 
und starke Spasmen eintreten. Der Hund unterscheidet sich in dieser Be¬ 
ziehung weniger vom Frosch als von dem ihm viel näher stehenden 
Affen. Doch sind die Unterschiede nnr quantitative, nicht qualitative; von den 
Nervenwurzeln aus kann man auch beim Affen nach totaler Durchscbneidung alle 
Beflexe hervorrufen. 

Uebrigens bleibt es beim Affen nach der totalen Durchschneidung nicht bei der 
Shokwirkung — einer Art Hemmung —, sondern es bleiben, wie erwähnt, 
dauernde Ausfallserscheinungen zurück, auch wenn der Shok vorüber ist. 
Diese beruhen auf „Isolirungsveränderungen" — „isolation alt eration“ — 
des abgetrennten Bückenmarks. Auch diese Ausfallserscheinung en sind also 
beim Affen viel grösser als bei allen anderen geprüften Thieren; der aufhörende 
Effect des Shoks geht allmählich in den zunehmenden der Isolirungsalteration über. 
In der That ähnelt der ganze Status des total paraplegischen Affen 
sehr dem des Menschen, wie ihn neuere Untersuchungen — Bastian, 
der Bef. und Andere —, speciell was die Mangelhaftigkeit der Beflexe und der Con- 
tracturen anbetrifft, festgestellt haben. Nur ist die Shok- und Isolirungswirkung beim 
Menschen noch stärker und andauernder als beim Affen, was, wie Verf. sagt, bei 
dem noch feineren Bau und der feineren Function des menschlichen Bückenmarks 
nur natürlich ist Auch sind die Verletzungen hier meist gröber. Deshalb 
kommen beim Menschen nach totaler Durchtrennung die Sehnenreflexe 
. überhaupt nicht wieder, selbst die Hautreflexe können in seltenen Fällen dauernd 
fehlen. Auf die Möglichkeit und Natürlichkeit solcher Unterschiede in 
diesen Dingen zwischen Hund und Mensch hat Bef. schon in seiner Be¬ 
sprechung der Arbeit Biscbof’s (d. CentralbL 1897. S. 77) hingewiesen. 
Seine Annahmen finden hier eine sehr erwünschte Bestätigung. 

Erwähnt mag noch werden, dass beim paraplegischen Affen schliesslich Beuge- 
contractur der Beine entsteht; Verf. meint, beim Menschen trete, wenn überhaupt, 
Streckcontractur ein; doch ist gerade bei schweren Paraplegieen auch 
beim Menschen Beugecontractur nicht selten; allerdings vor allem in 
den Fällen, wo alle sonstigen Erscheinungen auf totale Querläsion 
hin weisen, die Sehnenreflexe aber wenigstens sehr lange erhalten bleiben. 

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Der letzte grosse Theil der Arbeit des Verf.’s, der sich mit den Gesetzen der 
karzen und langen Reflexe am isolirten Rückenmark befasst, bat ein mehr rein 
physiologisches Interesse. Unter kurzen Reflexen versteht der Yerf. solche Reflexe, 
die in einer sogenannten spinalen Region ablaufen, ohne in andere überzugehen. 
Als solche Regionen führt er beim Affen an: Schwanz, untere Extremit&t, Rumpf, 
Arm und Nacken. Als 1. Gesetz für die kurzen Reflexe führt er an, dass Reflexe 
von einem Segment sich am leichtesten in benachbarte Segmente ans* 
breiten; man beachte aber hier, was er S. 145 Über den Begriff eines Segmentes 
im Allgemeinen sagt. Der geringste Widerstand (2. Gesetz) steht der Ausbreitung 
der Reflexe in den Segmenten gegenüber, dessen Wurzeln gerade gereizt werden, 
doch ist er manchmal kaum grösser gegen die Ausbreitung auf benachbarte Seg¬ 
mente. Am Rumpfe breiten sich die Reflexe leichter aboral* wie oralwärts aus, was 
im Widerspruch zu Pflüger steht Ein 3. Gesetz sagt, dass ein Reiz von einer 
einzigen zuführenden Wurzel oder auch nur eines Bündels derselben 
reflectorisch durch mehrere Wurzeln austritt; der Reflex ist pluri* 
segmental. Functioneil zusammengehörige Zellgruppen senden ihre Ausläufer durch 
mehrere Wurzeln. Namentlich ist das an den Extremitäten so, wo jeder Muskel 
von mehreren Wurzeln versorgt wird, weniger am Rumpfe, da die Intercostalmuskeln 
unisegmentär sind. Die spinalen Nervenwurzeln sind morphologische Einheiten, ihre 
Fasern vertheilen sich in Muskeln ganz differenter Function; die peripherischen 
Nerven sind physiologische Einheiten. Die Plexus sind dazu da aus den mor¬ 
phologischen Einheiten durch Umlagerung, functioneile zu machen; sie 
sind deshalb an Arm und Bein nöthig, weil hier eine functionell einheitliche Function, 
z. B. eine Beugung, die peripher in einem Nerven verläuft, von Fasern aus einer 
ganzen Anzahl von Wurzeln ausgelöst wird; am Rumpf sind sie nicht nöthig, weil 
der periphere Intercostalnerv unisegmentär ist. 

Ein 4. Gesetz sagt, dass wenn der Reflex auch den geringsten Wider - 
stand findet, doch der Widerstand der einzelnen Zellgruppen dieses 
Segmentes noch ein verschiedener ist Auf einzelne Zellgruppen desselben und 
auch benachbarter Segmente geht der Reflex leichter über als auf andere; die meisten 
Reizungen führen z. B. zu refiectorischer Beugung der unteren Extremitäten, kaum 
welche zur Streckung. Deshalb gerathen auch die Beuger leichter in Contractur, da 
jeder Hautreflex am Beine Beugung in allen Gelenken hervorruft, so wird diese 
Stellung schliesslich fixirh (Ref. glaubt, dass auch beim Menschen in den Fällen 
paraplegischer Beugecontractur diese Stelluug auf Hautreflexen beruht — auch hier 
führt jeder Hautreiz zu refiectorischer Beugung.) 

Diejenigen Zellengruppen eines Segmentes, die bei Auslösung eines Reflexes Be¬ 
wegungen nicht auslösen, versorgen die Antagonisten deijenigen Muskeln, die dabei 
in Bewegung gerathen. Bei einer bestimmten Bewegung gerathen also die Anta¬ 
gonisten nicht gleichzeitig in Bewegung, wie Winslow und Duchenne glaubten. 
Gehen die Reflexbewegungen von einem Gelenke auf ein anderes über, so führen sie 
in allen stets zn combinirten Bewegungen, die zu einer gemeinsamen Function ge¬ 
hören, z. B. zu Beugung aller Gelenke eines Beines, eine Stellung die beim Schritt 
nöthig ist. 

Die langen intraspinalen Reflexe verlaufen von einer spinalen Region 
(siehe oben) zu anderen. Auch sie gehen meist caudalwärts (gegen Pflüger), doch 
kommt auch das umgekehrte vor. Die Armreflexe, die näher am Schnitt liegen, 
sind deshalb überhaupt schwer auszulösen; auch in Folge dessen ist ein aufsteigender 
Yerlauf der Reflexe seltener. Streckung in Ellenbogen und Knie kommt leichter als 
langer, wie als kurzer Reflex vor. Der lange Reflex von Arm zu Bein tritt leichter 
ein als der von einem Arm zum anderen quer durch das Mark; überhaupt sind die 
primären langen Reflexe ungekreuzt. 

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Du Gesetz Pflüger’s, dass gekreuzte Reflexe symmetrisch mit den ungekreuzten 
sind, stimmt nicht. Als gekreuzter Reflex an den Beinen tritt z. B. häufig Streckung 
ein, die auf der gleichen Seite so schwer zu erreichen ist; wir haben dann auf der 
gereizten Seite Beugung, auf der gekreuzten Streckung des Beines (Gangbewegung). 
Auch kann entgegen Pflüger der gekreuzte Reflex der stärkere sein. Scheinbare 
gekreuzte Reflexe, die bei Schlägen auf die Glieder u. s. w. eintreten, z. B. Adduction, 
gekreuzter Kniereflex, sind keine echten Kreuzungen; sie entstehen durch Erschütterung 
der Wurzeln selbst auf der anderen Seite. 

Alle diese verschiedenen Reflexgesetze werden durch reichliche Beispiele illustrirt. 
Der Aufsatz enthält das Resultat einer enormen Arbeitsleistung; das 
Referat, obgleich lang, konnte nur die Hauptzüge hervorheben. Jeder, den es an¬ 
geht, muss das Original doch selber lesen. L. Bruns. 


Pathologie des Nervensystems. 

2) lieber Beri-Beri, von F. Grimm in Berlin. (Deutsche med. Wochenschrift. 

1898. Nr. 29.) 

Die nicht an tropisches Klima gebundene Krankheit „Beri-Beri" beruht 
nach der Ansicht der meisten Autoren auf peripherer Neuritis. Ein einheitliches 
Krankheitsbild ist bisher nicht geschaffen; Verf. findet in der Litteratur bezüglich 
der Symptomatologie vielfach widersprechende Ansichten und führt diese Thatsache 
zurück auf Nichtbeachtung des Momentes der Entwickelungsperiode der 
Krankheit und der Möglichkeit wiederholter Infectionen während des 
Verlaufes. Verf. unterscheidet zunächst Initialsymptome: Zunahme der Puls¬ 
frequenz, gesteigerte Erregbarkeit des Herzens, Gefühl von Schwere im Epigastrium» 
Beklemmungen, Parästhesieen, Druckschmerz der befallenen Muskeln (vorwiegend an 
den Unterextremitäten), stellenweise herabgesetzte Hautsensibilität, fast constant 
Steigerung des Patellarreflexes und der elektrischen Erregbarkeit, hartes Oedem Aber 
der vorderen Tibiafläche, gedunsenes Gesiebt, regelmässige Temperatursteigerung, in 
schweren Fällen als böses Omen Nausea. Die genannten Symptome können an Inten¬ 
sität in weiten Grenzen schwanken. — Das einfache, uncomplicirte Beri-Beri lässt 
drei, allerdings nicht sehr scharf getrennte Perioden unterscheiden. Im ersten, kaum 
eine Woche überschreitenden Zeiträume Temperaturerhöhung, Steigerung sämmtlicher 
Initialsymptome; die zweite Periode kann einige Wochen währen, die Temperatur fällt 
ab, es bleibt aber eine gewisse Unruhe in der Fiebercurve, Paresen treten auf mit 
Entartungsreaction bezw. völligem Schwinden der elektrischen Erregbarkeit und 
Atrophie, das Kniephänomen wird träge und baumelnd bei starkem Ausschlage — 
das Schlussstadium, die Reconvalescenz kann einige Tage, in schweren Fällen einige 
Monate anhalten, bei den Ueberlebenden ist Heilung die Regel. Die Temperaturen 
sind normal, der Patellarreflex, anfangs meist völlig fehlend, kehrt allmählich zurück. 
Das einfache Beri-Beri macht keine Exacerbationen, Becidive und intermittirende 
Fieberbewegungen, diese Erscheinungen zeigen sich dagegen bei dem durch Neu- 
infection während des Verlaufes entstehenden Beri-Beri accumulatum. Dieses führt 
im Gegensatz zum einfachen Beri-Beri sehr häufig zum Tode. Die pathologische 
Anatomie hat bisher zu selten die erste Periode des Beri-Beri, die Zeit der actuellen 
Erkrankung, berücksichtigt und ist keineswegs abgeschlossen. Die Annahme einer 
Neuritis ist nach Verf. bisher nicht sicher fundirt Die Therapie ist rein sympto¬ 
matisch. Obwohl das Virus unbekannt, haben sich, besonders in Japan, bestimmte 
prophylactische Anhaltspunkte ergeben: Freibleiben von Europäern in Japan, wenn 
sie bei europäischer Küche bleiben, Säuberung der japanischen Marine von Beri-Beri 


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durch consequente Regelung der Nahrungsaufnahme der Mannschaften im Sinne euro¬ 
päischer Diät, Befreiung der japanischen Gefangenanstalten von Beri-Beri durch 
strenge Regelung der Zubereitung der Speisen und Ernährung. Vieles spricht dafür, 
dass die Beri-Beri-Noxe mit Seetiren in Zusammenhang zu bringen ist und durch 
Zubereitung, z. B. Garkochen, unschädlich gemacht werden kann. — Die „Reistheorie" 
ist aufzugeben, ziemlich allgemein wohl schon aufgegeben. — Eine Rassenimmunität 
existirt nicht, dagegen absolute Immunität im jüngeren Kindesalter. 

Es participirten an der Erkrankung von 10—15 Jahren 1,3%, von 15—20 
21,8%, von 20—30 41,8%, von 30—40 20,7 % von 40—50 10%, von 50—60 
3%; 1,6 % waren über 60 Jahre alt — 79,4% Patienten waren männlich, 20,6% 
weiblich. R. Pfeiffer (Cassel). 

3) ▲ note on the etiology of beri-beri, by W. K. Hunter. (Lancet. 1898. 

25. Juni.) 

Verf. hat in 2 Fällen von Beri-Beri wiederholt frische Blutproben bacteriologisch 
untersucht. Die Culturen ergaben stets den weissen „Staphylococcus beri-beri“ von 
Pekelharing und Winkler. Impfversuche bei Kaninchen ergaben wenigstens in¬ 
ein em Falle Lähmungssymptome und in allen Fällen peripherische neuntische Ver¬ 
änderungen. Mit dem Staphylococcus pyogenes albus ist der weisse Staph. beri-beri 
nicht identisch. Die Nahrung der beiden Kranken hatte in Reis, Erbsen und ge¬ 
dörrten Fischen bestanden. Das Culturverfahren ergab für den Reis die Anwesenheit 
desselben Staphylococcus. Uebergeimpfte Culturen ergaben bei einem Kaninchen 
gleichfalls peripherische Nervenfaserdegeneration. Th. Ziehen. 


4) Casulstisohe Beiträge zur Myopathologie, von Dr. Herzog (Mainz). 

(Deutsche med. Wochenschr. 1898. Nr. 37 u. 38.) 

A) Ein Fall von Neuromyositis. 

Der 22jährige, nervös belastete Pat. war früher im Wesentlichen gesund und 
neigt in den letzten Jahren zur Obstipation. Im Anschluss an eine Erkältung — 
Pat. hatte mehrere Stunden im Nassen gestanden und nasse Füsse bekommen — 
stellten sich am folgenden Tage, anscheinend ohne Fieber, Schwächezustände an den 
unteren und oberen Extremitäten ein. Die Symptome nahmen zu, Ankleiden, Gehen, 
Drehen des Kopfes, Lageveränderungen des Rumpfes fielen schwer, Aufrichten ohne 
Zuhülfenahme der Arme wurde unmöglich, zugleich das Schlucken mühsam (keine 
Schmerzen). Das Schlucken besserte sich, die übrigen Symptome blieben zunächst 
bestehen und erst in der 3. Woche begann Hebung der Kräfte. In der 2. Woche 
traten in Kreuz, Rücken, Beinen, zuweilen in Armen und Schultern Schmerzen auf, 
dieselben bestanden spontan im Kreuz und an der hinteren Fläche des Oberschenkels 
bis zum Knie, in den anderen Muskeln nur auf Druck oder bei bestimmten Stellungen. 
Keine Veränderung der Haut, kein Ameisenlaufen u. s. w. Seit der 2. Woche Ab¬ 
magerung an Extremitäten, Brust und Rücken, Gewichtsabnahme von 14 Pfund. 
Ca. 3 Wochen nach Beginn des Leidens ergab die Untersuchung Atrophie der Mus¬ 
kulatur an den Extremitäten, an Brust, Schultergürte], Rücken und Gesäss; der rechte 
Arm ist stärker atrophisch als der linke. Insufficienz des linken M. internus. Druck¬ 
schmerzhaftigkeit des I. Trigeminusastes beiderseits und des II. linken Astes an der 
Durchtrittsstelle, beider Plexus in der Fossa supraclavicularis, der N. radiales an der 
Umschlagstelle, der M. supinatores, pectorales und vasti interni. Grobe Kraft der 
Extremitäten sehr gering, keine Spasmen, keine Störungen der Sensibilität, keine 
Hautveränderung. Zittern der hervorgestreckten Zunge und der gestreckten Hände. 
Reflexe an der Tricepssehne und dem Processus styl, radii erhalten, Patellarreflexe 


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verstärkt Milztumor. Starke Herabsetzung der elektrischen Erregbarkeit an den 
Oberextremitäten für beide Stromesarten bei directer und indirecter Beizung, schnelle 
Zuckungen. Ord.: Arsenik, Galvanisation und warme B&der. — Einige Tage später 
fibrilläre Zuckungen in den verschiedensten Muakelpartieen, starker Tremor beim 
Spreizen der Finger bezw. Ausstrecken der Beine, weniger bei intendirten Bewegungen; 
Reflexe wie früher, dazu normale Unterkiefer-, Bauch-, Cremasterreflexe, kein Achilles¬ 
sehnen-, kein Patellarreflex, kein Fussdonus. Fibrilläre Zuckungen, Tremor und 
Muskelschmerzen dominiren fortan im Krankheitsbilde, Reflexe unverändert Im 
Januar 1898 völlige Genesung. 

Yerf. hält die Diagnose Neuromyositis für sicher (Ref. kann sich dieser Ansicht 
nicht anschliessen), da gegen reine Neuritis die Schmerzhaftigkeit der Muskeln, 
die einfache Herabsetzung der elektrischen Erregbarkeit und die dauernd normale 
bezw. gesteigerte Intensität der oben genannten Sehnenreflexe sprächen (? Bef.). Als 
Ursache der Erkrankung betrachtet Yerf. die rheumatische Schädlichkeit 

B) Ein Fall von intermittirender Myositis interstitialis. 

Der 30 jähr., luetisch nicht inficirte Graveur 0. T. hatte im Alter von 15 Jahren 
nach einer Quetschung der äusseren Seite des rechten Oberschenkels heftige Schmoren 
daselbst und Schwellung der afficirten Stelle, so dass er 4—5 Monate bettlägerig 
war. 5 Jahre später an der gleichen Stelle nach einer Durchnässung wiederum 
Schwellung und heftige Schmerzen, Fat wurde 15 Wochen aufs Krankenlager ge¬ 
worfen, hinkt seither und hatte oft an dem Yerletzungsorte heftige Schmerzen. Das 
rechte Bein magerte ab und die Bewegungsfähigkeit im Kniegelenke verringerte sich. 
Nach einer Behandlung durch einen Naturarzt Zunahme der Beschwerden am rechten 
Beine, gleichzeitig Schmerzen in der linken Brustseite, Husten und Athemnoth. Die 
Untersuchung ergab neben Pleuritis exsudativa sinistra eine Myositis am rechten 
M. vastus extemus. Dem unteren Theile des Muskels entsprechend sieht man eine 
ovale, ca. 15 cm lange und 6 cm breite, leicht geröthete, geschwellte, nicht scharf 
begrenzte Partie, die auf Druck schmerzhaft ist Druck auf die Haut erzeugt keine 
Delle, Femur anscheinend nicht aufgetrieben. Keine Sensibilitätsstorungen. Hüft- 
und Kniegelenk frei. Gesteigerte Patellarrefiexe — Umfang des Oberschenkels 28 cm, 
Ober dem Capitulum fibulae rechts 44,8 cm, links 44,4 cm, der Wade rechts 33,5 cm, 
links 36 cm. Active und passive Flexion beschränkt und schmerzhaft Temperatur 
in den ersten Tagen nicht gemessen, später bis 37,8. In der Folgezeit Abnahme 
der Schwellung und Schmerzen, später geringe Schwellung im oberen Theile des 
Yastus und Biceps femoris mit Herabsetzung der elektrischen Erregbarkeit Durch¬ 
leuchtung des Oberschenkels ergiebt überall glatten Knochen. — Gelegentlich auch 
Röthung der Haut des rechten Kniees und geringe Schwellung desselben. — Patient 
geht seinem Berufe nach, die afficirten Muskeln sind härter als normal und druck¬ 
empfindlich, zeitweise heftige Schmerzen. Umfang des Oberschenkels 15 cm, über 
* dem Capitulum fibulae rechts 36,2 cm, links 37.,0. 

Der Fall erinnert an die Beobachtung Laquer’s und ist wahrscheinlich durch 
Infection mit dem abgeschwächten Gift des acuten Gelenkrheumatismus bedingt — 
Symptomatologisch interessant ist das Wandern der Entzündung und das ephemere 
Auftreten gewisser Entzündungserscheinungen, auffallend das Erhaltensein des Patellar- 
reflexes. R. Pfeiffer (Cassel). 


5) Sur los formes diverses de la psyohose polyndvritique, p&r Dr. Souk- 
hanoff, clinique psychiatrique de Moscou. (Revue de Mddecine. 1897. Mai. 
8. 317.) 

Ausführliche werthvolle Arbeit, die sowohl eine vollständige Litteraturübersicht 
über den in Rede stehenden Gegenstand, als auch zehn neue, nun Theil recht genau 

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beobachtete Fälle von polyneuritischer Psychose enthält. Das auffallendste Symptom 
derselben ist stets die Gedächtnisschwäche. Zuweilen vergisst der Kranke schon 
nach wenigen Secunden, zuweilen erst nach 5 Minuten das soeben Gesehene und 
Gehörte. Dazu gesellt sich eine retrograde Amnesie, die sich verschieden weit 
zurück erstreckt (manhmal auf viele Jahre). Zur Gedächtnisschwäche gesellen sich 
zuweilen Erinnerungstäuschungen hinzu. Dieselben sind nie systematisirt und 
fixirt, sondern regellos und sich widersprechend. Oft knüpfen die Gedäcbtniss- 
fälschungen an äussere Eindrücke an: im Anschluss an Schmerzen im Bein erzählen 
die Kranken von einem angeblichen früheren Beinbruch u. dgl. In manchen Fällen 
zeigt sich einfache Amnesie ohne alle Gedächtnisstäuschungen. Das geistige Interesse 
und der Ideeenkreis der Kranken ist sehr eingeengt. Sie machen oft einen kindisch¬ 
naiven Eindruck. Ihr Gemüthszustand ist meist heiter, ruhig, zu Scherz geneigt, 
trotz ihres oft hülflosen Zustandes. In ihren Fragen und Antworten sind sie stereotyp. 

Verf. hält an der engen Beziehung zwischen Polyneuritis und Psychose fest. 
Die Ursache ist in toxischen Einflüssen zu suchen. Weitaus die meisten Eälle kommen 
bei Alkoholisten vor. Zuweilen treten die Erscheinungen der Polyneuritis gegenüber 
den Cerebralerscheinungen fast ganz in den Hintergrand, so dass man sorgsam nach 
ihnen suchen muss. Besteht gleichzeitig Tuberculose, so ist die Prognose meist un¬ 
günstig. Strümpell (Erlangen). 


6) Beitrag zur Lehre von den sogen, polyneuritlsohen Psychosen, von 
Dr. Ernst Schnitze. (Berliner klin. Wochenschr. 1898. Nr. 24 u. 25.) 

Ganz eigenartig ist der Symptomencomplex der bei Polyneuritis vorkommenden 
und zuerst von Korsakow eingehend beschriebenen Psychosen. Die Kranken be¬ 
nehmen sich ganz geordnet, erfassen schnell und sicher den Sinn gestellter Fragen, 
antworten formell immer richtig darauf, befolgen ihre tägliche Arbeit, aber sie habeü 
keine Erinnerung für ihre letzte Vergangenheit. Nichts, was die Kranken zur Zeit 
erleben, was sie selbst in ganz geordneter Weise erledigen, wird dem Gedächtniss 
einverleibt. Dies absolute Versagen des Gedächtnisses, was natürlich den Eindruck 
der Verwirrtheit hervorruft, ist von] Strümpell als „actuelle Gedächtnisschwäche“ 
bezeichnet worden. Neben diesem Ausfall des Gedächtnisses stellt sich noch eine falsche, 
perverse Thätigkeit desselben ein. Es treten Erinnerungstäuschungen und Erinne- 
rungsfälschungen auf; Sully hat die ersteren Hallucinationen, die letzteren Illusionen 
des Gedächtnisses genannt. Die Erinnerung an manche Begebenheiten, die die 
Kranken früher in Wirklichkeit erlebt haben, ist vorhanden, aber es bestehen grobe 
Irrthümer über die örtlichen und zeitlichen Beziehungen. So erzählt ein Kranker 
von der Schlacht bei St. Privat, verlegt sie aber in den Feldzug von 1866. — 
Er hatte beide Kriege mitgemacht. Ein anderer Kranker, der im Jahre 1870 im 
Felde gewesen, giebt häufig, wenn er von der Feldarbeit kommt, an, er komme gerade 
aus einer Schlacht zurück. Die Kranken leben gewissermaassen in den Tag hinein, 
machen sich wenig Sorge um die Zukunft, empfinden das Versagen des Gedächtnisses 
nicht, sind im Gegentheile meist guter Stimmung. Zu einem neuen Gedanken schwingen 
sie sich kaum auf, sie arbeiten nur mit den alten Elementen, die sie freilich in einer 
oft geradezu kühnen Weise untereinander und mit der Gegenwart combiniren. Verf. 
führt drei Krankengeschichten an, die hinsichtlich der psychischen Symptome ein¬ 
ander ausserordentlich ähneln. Während aber bei einem Fall gleichzeitig eine 
Polyneuritis vorlag, liess sich hei den beiden anderen trotz mehrmonatlicher Beob¬ 
achtung kein Zeichen derselben feststellen. Verf. muss daher die Behauptung 
Korsakow’s, dass in allen Fällen der von ihm beschriebenen Psychose Zeichen von 
Neuritis zu finden seien, als nicht zu Becht bestehend zurückweisen. Er,glaubt, dass 
alle Infectionen und Intoxicationen und ganz besonders der Alkohol, die eine Poly¬ 
neuritis zu verursachen im Stande sind, auch das aetiologische Moment für die be- 


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schrieben« Psychose abgeben können. Warum dieselbe Schädlichkeit einmal eine 
periphere Erkrankung, ein andermal eine Psychose oder drittens eine Combination 
beider herrorruft, entzieht sich vorläufig unserer Kenntniss. Verf. hält daher die 
Bezeichnung „polyneuritische Psychose" für unrichtig und schlägt vor dieselbe durch 
Korsakow’sche Psychose zu ersetzen. Bielschowsky (Breslau). 


7) Congenital ptosis with anormal assoolated movement of the affeoted 
lid, by Victor Miller. (Brih med. Joum. 1898. May 14. S. 1259.) 

Verf. stellte einen 9jäbrigen Patienten mit congenitaler linksseitiger Ptosis 
vor. Wenn Pat. den Mund öffnet, da hebt sich das Lid plötzlich und unbeabsichtigt; 
also bei Contraction der M. digastrici entsteht die ungewöhnliche Mitbewegung. 
Das gehobene Lid zeigt nach einer oder zwei Secunden wieder die Neigung zu 
fallen. Dieselbe Mitbewegung erfolgt bei Bewegung des Unterkiefers von einer Seite 
zur anderen, so dass in diesem Falle die Contraction des Pteiygoideus extern, die 
Veranlassung der Mitbewegung ist —In dem vorgestellten Falle ist der Bectus 
super, gelähmt; die linke Pupille grösser, als die rechte; Fundus normal, jedoch 
hochgradige Hypermetropie. 

Die von der ophthalmologischen Gesellschaft ernannte Commission zur Unter« 
Buchung eines analogen Falles stellte die Ansicht auf, dass der Levator palpebrae 
sup. auch vom Kern des 3. Nerven innervirt wird, oder dass der Kern des Oculo- 
motorius auf dem Wege über den Trigeminus erregt werden kann. 

L. Lehmann I (Oeynhausen). 


8) Ophthalmoplegia exterlor oompleta mit Paralyse des Augen teolalia, 
von Dr. von Fragstein und Dr. Kempner in Wiesbaden. (Deutsche med. 
Wochenschr. 1898. Nr. 35.) 

Der mitgetheilte Fall betrifft einen 47 jährigen Winzer L. B. mit rechtsseitigem 
Spitzencatarrh und completer doppelseitiger Lähmung sämmtlicher äusseren Augen« 
muskeln, incl. der vom rechten oberen Facialisaste versorgten Muskeln: das übrige 
Nervensystem vollkommen intaci Potus und Lues negirt, keine vorhergegangene 
Diphtherie, kein Nicotinmissbrauch, keine Bleiintoxication, kein Trauma. Das Leiden 
entwickelte sich allmählich im 15. Lebensjahre; ob Doppelbilder bestanden haben, 
weise Pat. nicht Die Autoren nehmen eine Kernlähmung an, bedingt durch primäre 
Kemdegeneration oder eine Sklerose, entsprechend der Boibärparalyse, oder einen 
tuberculösen Process und sehen in ihrem Falle eine Stütze der Mendersehen Theorie 
über den Ursprung des Augenfacialis, dessen so seltenes Betroffensein bei der nudearen 
exterioren Ophthalmoplegie allerdings auffallend bleibt Bei der 32jährigen Dauer 
des Leidens ist natürlich von einer erfolgreichen Therapie nicht die Bede. 

B. Pfeiffer (Cassel). 


9) Un oas d’ophtalmoplögie externe d’origlne nuolöaire ohez une flllette 
de vingt-deux mols A la suite de varioelle, par A. B. Marfan. (Archives 
de Mddecine des Enfants. 1898. März. Bd. I.) 

Ein 22 Monate altes Kind weist beiderseits Lähmung sämmtlicher äusseren 
Augenmuskeln mit Ausnahme des Abducens auf. Das Kind hatte vor 8 Monaten 
Varicellen durchgemacht, an welche sich ein Hautabscess hinter einem Ohr angeschlosseu 
hatte. Bevor der Abscess gespalten wurde, traten ein einziges Mal Convulsionen 
auf; von diesem Zeitpunkt an will die Muttor das Herabhängen der Lider, die Un« 
beweglichkeit der Bulbi bemerkt haben. Auf Grund dieser Anamnese und differential« 
diagnostischer Erwägungen stellt Verf. die Diagnose auf medulläre Kernerkrankung 


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im Sinne einer Polioencephalitis superior, für welche die Varicellen die Veranlassung 
gegeben haben sollen. Nach dem subacnten Verlaufe des Leidens glaubt sich Verf. 
zu einer recht günstigen Prognose berechtigt. Zapperti 


10) Ophthalmoplegia externa with impelrment of the orbioularis oouli, 

by James Taylor. (Brit. med. Journ. 1898. May 14. 8.1264.) 

Verf. stellte der ophthalmologischen Gesellschaft einen Fall vor, der neben 
Oculomotoriusl&hmung Schwäche des Orbicnlaris zeigte. Mendel habe behauptet, 
dass die eigentliche Innervation des Orbicnlaris vom 3. Nerven geschehe, wie es auch 
in dem hier vorgestellten Falle sich erzeige. Eine Analogie dieses Verhaltens be¬ 
stehe bei Paralyse des Orbicnlaris oris und des Hypoglossus. — Die Discussion 
(Beevor, Flemming), welche sich an die Vorstellung schloss, ist hier nicht wieder¬ 
gegeben worden. L. Lehmmann I (Oeynhausen). 


11) Myositis ossifloans progressiva multiplex, von Matthes. (Centralbl. f. 

d. Grenzgebiete der Med. u. Chir. Bd. L) 

Verf. bringt nach kritischer Sichtung und genauer Mittheilung des gesammten 
vorliegenden Materials folgende Schlusssätze: Die Myositis ossificans progressiva ist 
ein klinisch wohl abgegrenztes Krankheitsbild, das sich durch seinen Verlauf von 
der multiplen Osteombildung unterscheidet und dessen Aufstellung deswegen be¬ 
rechtigt ist. Allerdings finden sich Uebergangsformen im klinischen Verlaufe zu dem 
Bilde der multiplen Exostosenbildung. Pathologisch-anatomisch betrachtet, kann die 
Myositis ossificans progressiva schwer bestimmt eingereiht werden, sie kann mit 
ziemlich gleich gutem Grunde zu den Geschwfllsten wie zu den chronischen recur- 
rirenden Entzündungen gerechnet werden. Aetiologisch steht nur die häufige Com- 
bination mit Missbildungen sicher. H. Schlesinger (Wien). 


Psychiatrie. 

12) Die Bedeutung der Katatonie, von Georg Ilberg (Sonnenstein). (Allgem. 

Zeitschr. f. Psych. Bd. LV. 8. 417.) 

Verf. macht anf das ausserordentlich häufige Vorhandensein katatonischer 
Symptome, besonders des Negativismus und der Stereotypie bei alten Geisteskranken 
aufmerksam. Bei vielen dieser — und nur diese rechnet er zur Katatonie — zeigt 
sich eine eigenartige Entwickelung der Krankheit in Gestalt wechselnder Zustands¬ 
bilder. Die Einleitung bildet gewöhnlich eine mehr oder weniger depressive Phase, 
der ein Erregungszustand von verschieden langer Dauer und Form nachfolgt Von 
diesen Stadien fehlt zuweilen eines, am regelmässigsten noch findet sich der nnn 
folgende Stupor. Der Ausgang ist stets der in Schwachsinn geringeren oder stärkeren 
Grades. Krampfzustände (auch epileptoider Art) und körperliche Erscheinungen 
(Weite der Pupillen, Neigung zu Schweiss u. s. w.) sind sehr häufig. Verf. hat 
beobachtet, dass die Symptome oft sich zurückbildeten, allerdings nicht ohne leichte 
Rudimente zurückzulassen, theilt aber durchaus die Meinung von Kraepelin, dass 
es sich dabei in der Regel um Remissionen bandle. Der Beginn der Erkrankung 
liegt durchschnittlich bei seinen Männern im 25. Lebensjahre. Die Veranlagung der 
Kranken war theils gut, theils auch nur gering. Oft waren die Patienten von Kind¬ 
heit an still, verschlossen, reizbar. 45°/<> erbliche Belastung scheint mir im Ver¬ 
gleich zu meinen Kranken sehr wenig; ich fand 60°/ o erbliche Belastung bei Frauen, 
71°/ 0 bei den Männern. 


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4 Katatonikergehirne zeigten keine Atropbie; der Hirnstamm war normalen Ver¬ 
hältnissen gegenüber eher etwas zn schwer. Nervenfasern und Gefässe erschienen 
normal; neben vielen normalen Ganglienzellen fanden sich auch atrophische, in deren 
Nähe der ausserordentliche Beichthum der Gliazellen, der sogenannten Trabantzellen 
auffiel. Die Behandlung erstreckt sich im wesentlichsten auf Pflege und, wegen der 
Gefahr der Lungentuberculose, Anregung der Athmung. 

Verf.’s Anschauung, dass die Stadien etwas für die Krankheit charakteristisches 
sei — obgleich schon allein das gelegentliche Fehlen einzelner oder das mehrfache 
Wiederkehren derselben Phase dagegen spricht —, macht ihn naturgemäss zum 
Gegner der von mir vertretenen Anschauung der vollständigen Einheitlichkeit der 
Krankheitsformen Katatonie und Hebephrenie. Es wird ja die Beantwortung dieser 
nicht unwichtigen Frage der weiteren Forschung überlassen werden müssen. Dagegen 
glaube ich, die Behauptung, dass katatonische Symptome ausser bei Katatonie, auch 
bei Imbecillen, bei Schwachsinn nach Melancholie, Paranoia, Amentia u. s. w. vor* 
kommen, nicht unwidersprochen lassen zu dürfen. Damit würde bei der Unzuverlässig¬ 
keit, den Verlauf in Phasen als charakteristisch anzusehen, die Berechtigung hinfällig 
werden, in der Katatonie eine specifische Krankheitsform zu erkennen. Meiner auf 
Grund von über 200 Fällen gewonnenen Ansicht nach ist der Ausgang in die 
charakteristische Demenz voller Absurditäten, Tics im Denken und Handeln der 
gleiche, ob nun das Bild der Erkrankung anfang s mit oder ohne Wahnideeen, mit 
oder ohne depressive Vorstellungen einherging. Aschaffenburg (Heidelberg). 


13) Zar Pathologie der katatonen Symptome, von F. Lehmann (Werneck). 

(Allgem. Zeitschr. f. Psych. Bd. LV. S. 276.) 

Der Verf. hat sich seit mehreren Jahren mit der Symptomengruppe beschäftigt, 
die als Stereotypen, Automatismen bezeichnet werden, die motorischen Hemmungs¬ 
und Beizerscheinungen, die nach seiner Ansicht im Verlaufe fast aller anderen Psy¬ 
chosen episodisch oder dauernd Vorkommen können, bezeichnet Verf. als „katatone 
Symptome“. Zu diesen rechnet er den Stupor, Katalepsie, Mutacismus, pathetische 
oder rhythmische Bedesucht, andere eigenartige Sprech- und Schreibweisen, Verbi- 
geration, Bewegungs- und Haltungsstereotypen, starres, gewohnheitsmässiges Thun, 
Echolalie, Echopraxie, negativistisches Gebahren, unmotivirtes impulsives Handeln, 
automatischer Bewegungsdrang. Diese Symptome, die alle der Ausdruck eines ganz 
bestimmten Seelenzustandes sind, hält der Verf. für den Ausdruck einer herabgesetzten 
Energie des Bewusstseins. Er glaubt nicht wie Schüle, dass die einzelnen katatonen 
Erscheinungsformen verschiedenwerthig sind, dass aber die Prognose in sonst gleichen 
Krankheitsfällen um so trüber sei, um so zahlreicher und dauerhafter diese katatonen 
Symptome sich zeigen, dass schon das Auftreten auch nur eines derartigen Symptoms 
ein Anzeichen für die Verzögerung der Heilung sei. Demnach hält er die Prognose 
der Kahlbaum’schen Katatonie für ungünstig. 

An zwei Beispielen zeigt er die anscheinende Berechtigung der prognostischen 
Verwendung der Zahl der katatonischen Symptome; der erste heilte, der zweite nicht 
Ich möchte nun dem gegenüberhalten, dass die Heilung erst 1 Jahr dauert; ausserdem 
aber traten oft verblüffend weitgehende Remissionen gerade in den Fällen auf, in 
denen die Menge der katatonischen Erscheinungen und deren Intensität am aller¬ 
grössten ist. Ich muss deshalb leider befürchten — leider, denn der prognostischen 
Merkmale sind nicht allzu viele —, dass der Verf. mit seinen Kriterien noch oft 
grosse Enttäuschungen erleben wird. 

Mit Becht wahrt sich der Verf. gegen die Erklärung katatonischer Erscheinungen 
durch Beflexe aus Sensibilitätsstörungen oder als Wirkung von Hallucinationen auf 
im Beizzustande befindliche motorische Centren. Zur Erklärung der Symptome geht 


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er von Meynert’s Ansicht ans, dass der Cortex and die intr&corticalen Ganglien 
im Wechsel verhältniss ständen, dass also der corticalen Schwäche eine subcorticale 
Reizung entspräche. Die katatonischen Erscheinungen liegen als fertiger Nerven- 
mechanismus vor; wird dieser nicht genügend von im Cortex sich abspielenden Vor¬ 
stellungen und Hemmungen regulirt, so kommt es bei Reizung der subcorticalen 
Centren zu den Erscheinungen, die wir als katatonisch bezeichnen. Es wird, wie 
der Verf. selbst bemerkt, bei dem Widerstreben und der Demenz sehr schwer, auch 
nur die einfachsten Experimente mit den Kranken zu machen; so bleibt die An¬ 
schauung des Verf.’s vorläufig eine Hypothese, der mir manche klinische Erfahrungen 
zu widersprechen scheinen, vor allem, dass viele der Bewegungen durchaus gewollte 
sind, also ohne lebhafte Mitwirkung des Cortex nicht denkbar sind. 

_Aschaffenburg (Heidelberg). 


14) Beiträge zur Kenntniss der Katatonie, von Mucha (Coswig). (Allgem. 

Zeitschr. f. Psych. Bd. LV. S. 429.) 

Verf. steht durchaus auf dem Boden der Kahlbaum-Neisser’schen, von 
Kraepelin wesentlich erweiterten Anschauung, in der Katatonie eine eigene 
Krankheitsform zu sehen; er warnt aufs entschiedenste vor der von Schale 
vertretenen Auffassung, dass die katatonischen Erscheinungen in allen möglichen 
Krankheitsbildern Vorkommen können, und fahrt besonders aus, dass die Melancholia 
attonita, die Schale wieder vertheidige, keine Melancholie sei, worauf auch schon 
Kahlbaum aufmerksam macht. Hysterie, mit der Übrigens nicht allzu oft eine 
Verwechselung möglich ist, scheidet vor allem der Nachweis des constitutionellen 
Zustandes von der Katatonie und der Ausgang der letzteren in Verblödung leichteren 
oder schwereren Grades. Diesen Ausgang nahmen alle Fälle, die der Verf. beobachtet 
hat Auch der Verf. betont die Analogie der Hebephrenie und Katatonie nicht nur 
in zahlreichen Symptomen, sondern vor allem im Ausgange und nähert sich fast völlig 
meinem Standpunkte, beide Krankheiten für identisch zu erklären, nicht nur für 
verschieden gefärbte Bilder deseiben Krankheitsproceeses, sondern für eine Krankheits¬ 
form. Aschaffenburg (Heidelberg). 


15) Geber gewisse psyohisohe Störungen nach Selbstmordversuchen durch 
Erhängen, von Privatdocent Dr. R. Wollenberg, Oberarzt der psychischen 
und Nervenklinik zu Halle a./S. (Festschrift anlässlich des öOjäbr. Bestehens 
• der Provinzial-Irren-Anstalt zu Nietleben. 1897. Verlag von F. C. W. Vogel.) 

Verf. berichtet Ober 4 Patienten, welche kurz vor ihrer Aufahme-Selbstmord 
durch Erhängen versucht hatten und nach der Wiederbelebung eigenartige Störungen 
im Gebiet des Centralnervensystems boten. Allerdings handelt es sich nur in einem 
dieser 4 Fälle um einen vor der Strangulation relativ gesunden Menschen, während 
in den 3 übrigen Fällen eine Complication mit Epilepsie bezw. Alkoholismus und 
Hysterie vorlag. Aus den ausführlichen Krankengeschichten geht hervor, dass * 
Krämpfe während oder nach der Wiederbelebung nicht als constantes Symptom an¬ 
zusehen sind. Recht constant scheint hingegen nach Erhängungsversuchen die retro- 
active Amnesie vorzukommen, wie diese auch den 4 beobachteten Fällen ihr eigen¬ 
artiges Gepräge verlieh. Die retroactive Amnesie scheint gerade nach Erhängungs¬ 
versuchen sich vorzufinden, während sie nach andersartigen Selbstmordversuchen sehr 
selten ist. Man muss zur Erklärung der nach Strangulation beobachteten Zustände, 
speciell der retroactiven Amnesie, physische Schädigungen des Gehirns annehmen, 
und zwar kommen hiörbei als ätiologische Momente die Asphyxie und die acute 
Himanämie in Betracht. Deshalb nimmt auch mit der Dauer der Strangulation die 
Schwere der Folgezustände zu. Der Hysterie ist die Rolle eines complicirenden, 

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nicht eines ätiologischen Momentes zuzuschreiben, wie ja Oberhaupt das Vorkommen 
der Hysterie neben organischen Erkrankungen des Nervensystems häufig beobachtet 
wird. Kurt Kendel. 


10) Ueber die nosologische Auffassung und die Therapie der periodisch«! 

Geistesstörungen, von Prof. Eduard Hitzig (Halle). (Berliner kün. Wochen* 

schrifk 1898. Nr. 1—3.) 

Verf. versteht nnter periodischen Psychosen ausschliesslich solche Krank¬ 
heitsformen, welche in ihrer eigentümlichen Erscheinungsweise regelmässig 
periodisch wiederkehren und unterscheidet 3 Grundformen: Ehudtations*, Depressions- 
znstände und circuläre Formen. Meynert hat den melancholischen Symptomen- 
complex auf eine gesteigerte Thätigkeit des basalen, vasomotorischen Centrums mit 
consecutiver vermehrter Contraction der Gehirnarterien zurückgeführt, das Zustande¬ 
kommen des manischen Krankheitsbildes aber dadurch zu erklären versucht, dass er 
eine Erschlaffung der Vasomotoren mit secundärer Gefassdilation annahm. Da das 
Morphium die Eigenschaften hat, die Herztätigkeit und den Blutdruck herabzusetzen, 
das Atropin aber eine Beschleunigung der Herztätigkeit und eine Entspannung der 
Körperarterien bei gleichzeitiger Steigerung des Blutdrucks bewirkt, so entspräche 
nach den Voraussetzungen Meynert’s die Atropin Wirkung den bei der Manie, die 
Morphiumwirkung den bei der Melancholie herrschenden Gefasszustäuden. Es lag 
daher die Schlussfolgerung nahe, dass das Morphium ein Heilmittel für die Manie, 
das Atropin ein solches ffir die Melancholie sei. Die Praxis hat diesen theoretischen 
Erwägungen nicht Recht gegeben. Das Morphium hat sich als fast ganz unwirksam 
erwiesen, das Atropin dagegen hat einen unverkennbar günstigen Einfluss, aber in 
anderer Weise, als die theoretische Voraussetzung erwarten lassen sollte. Es hat 
sich nämlich bei den therapeutischen Versuchen gezeigt, dass das Atropin im Stande 
ist, beim einfach periodischen und beim circnlären Irrsein sowohl die 
maniakalische Erregung, wie den melancholischen Depressionszustand zn coupireo 
oder wenigstens abzukürzen und zu mildern. Obwohl Verf. versucht hat, durch die 
Trepanation einen Einblick in die Circulationsverhältnisse der Gehirne morphinisirter 
und atropinisirter Thiere zu erlangen, ist es ihm nicht möglich, eine Erklärung für 
die gleiche Wirkung des Atropins bei ganz verschiedenen Zuständen zu geben. Ge¬ 
meinschaftlich ist diesen verschiedenen Krankheitsformen nur die Periodicität 
Verf. warnt vor zn grossen therapeutischen Hoffnungen, giebt aber nach seinen Er¬ 
fahrungen zn, dass wir in dem Atropin ein Mittel besitzen, durch welches eine An¬ 
zahl von Fällen aus einer Gruppe von bisher für unheilbar gehaltenen Geistes¬ 
krankheiten zn heilen oder doch zn bessern ist. Die Indication und die Anwendung 
des Atropins präcisirt er znm Schluss folgendermaassen: 

1. Anwendung nur bei periodischen Psychosen. 

2. Beginn der Behandlung kurz vor Eintritt des zn erwartenden Anfalls. 

3. Subcutane Anwendung. Beginn mit sehr kleinen Dosen und vorsichtiges An¬ 
steigen. 

4. Allmähliches Heruntergehen mit dem Mittel. 

Bielschowsky (Breslau). 


17) A propos de la revision de la Classification offleielle, par Francotte. 
(Bull, de la socidtd de mddecine mentale de Belgique. 1897. Sepi) 

In Belgien soll eine neue, sagen wir, Zählkartenbezeichnung eingeführt werden; 
Verf. schlägt folgende vor: 

1. Manie, I 3. acute hallucinatorische Verwirrt- 

2. Melancholie, j heit, 


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4. periodische Psychosen, 

5. Paranoia, 

6. Dementia [a) essentielle Demenz, 
senil and organisch, b) secundäre 
Demenz, c) Dementia paranoides 
Eraepelin], 

7. Paralyse, 


8. Psychose auf der Basis einer 
Neurose (Neurasthenie, Hysterie, 
Epilepsie), 

9. toxische Psychose, 

10. Folie morale (?!), 

11. degenerirtes Irresein (?), 

12. Entwickelungshemmungen. 

Lewald. 


18) Psyohiatry in the Southern statee, by Powell. (American Journal of 
insanity. 1897. Juni.) 

Vor dem Kriege, der die Emancipation der Sclaven zur Folge hatte, gab es 
wenig geisteskranke Neger; seitdem begann ihre Zahl zu wachsen, und sie ist jetzt, 
wie viele statistischen Berechnungen zeigen, beängstigend hoch und wächst an* 
scheinend noch weiter; auf eine Million Neger kamen 1860 169, 1890 886 Geistes¬ 
kranke. Aus „socialen“ Gründen hat man in den Anstalten für die schwarzen 
Geisteskranken eigene Abtheilungen, zwei S&dstaaten haben sogar vollkommen getrennte 
Irrenanstalten. 

Merkwürdig berührt uns der Wunsch des Verf.’s, es möge die Politik aus den 
Anstalten entfernt werden; „nur dann können die Anstalten Centren Wissenschaft* 
lieber Arbeit und treuer Krankenflege sein, wenn ihre Aerzte dauernd angestellt 
werden.“ Bis jetzt wechseln mit jedem politischen Systemwechsel auch die Aerzte 
der Irrenanstalten. Der Staat Indiana allein hat eine Ausführungsbestimmung er¬ 
lassen, die Behörden sollen in Erwägung ziehen (!), dass Tüchtigkeit und Fähigkeit, 
nicht die politische Stellung ausschlaggebend sei. Lewald. 


19) Notes of some cases of folie a deux in several members of the same 

family, by 0. Woods. (Journ. of Ment Science. 1897. Octob.) 

1. Vater (50 Jahre alt), Mutter (ebenso alt), Sohn (21 Jahre alt), Tochter 
(19 Jahre alt) wurden an einem Tage in die Anstalt eingeliefert Der Sohn, etwas 
schwachsinnig und mit Kropf behaftet, war 4 Tage zuvor in der Kirche ohnmächtig 
geworden und seitdem leidend; es wurde weiterhin nichts Besonderes über die Familie 
bekannt, bis der Schutzmann sie in der Wohnung verbarrikadirt und beim Erbrechen 
der Thür in so wildem Kampf untereinander vorfand, dass er mehrerer Männer be¬ 
durfte, um sie auseinander zu bringen. Die Mutter hatte versucht, eines der kleineren 
Kinder zu verbrennen, weil es „ein Geist sei“. Als Ursache dieser gemeinschaftlichen 
Erkrankung vermuthete man in der Umgebung den Genuss von faulem Fleisch oder 
dem eines an Hundswutb gestorbenen Schafes. Die Kranken, am Meisten die weib¬ 
lichen, waren verwirrt, incohärent in ihren Aeusserungen, schrieen, warfen sich zu 
Boden, hatten Gesichtstäuschungen und glaubten alle zum Tode verurtheilt zu sein. 
Nach 14 Tagen konnten sie geheilt entlassen werden. („Hysterische Tobsucht“.) 

2. 6 Geschwister, im Alter von 24—45 Jahren, wurden innerhalb zweier Tage 
internirt; zuerst erkrankten die beiden Aeltesten (Brüder) unter Symptomen der Tob¬ 
sucht, dann die übrigen Drei (Schwestern). Der ältere Bruder, welcher in Folge 
Tuberculose schon sehr heruntergekommen und geschwächt war, starb bald an Er¬ 
schöpfung; der andere folgte bald. Die Schwestern erlangten ihre Gesundheit wieder. 
Eine der letzteren war vor Jahren schon einmal in einer Irrenanstalt gewesen; in 
der entfernteren Verwandtschaft (Vettern) ist Geisteskrankheit mehrfach vorgekommen. 
Auch hier wurde von der Umgebung als Ursache der Geistesstörung Genuss entweder 
von amerikanischem Zinnbüchsenfleisch oder, wie Andere wissen wollten, von Fleisch 
eines von einem tollen Hunde gebissenen Huhnes angegeben. Ueber die psychotischen 

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Symptome der 3 Schwestern wird bemerkt: „Sie waren sämmtlich, in gleicher Weise, 
unruhig, sangen religiöse Lieder und legten, ideeenflüchtig und incobärent, zahlreiche 
religiöse Wahnvorstellungen an den Tag“; sie hielten u. A. die Erkrankung der 
beiden Br&der für eine Heimsuchung der Vorsehung. 

Verf. bemerkt, dass er in Irland verhältnissmüssig oft diese familiären 
Geistesstörungen zu beobachten Gelegenheit bat Heist handelt es sich 
um Hereditarier, gewöhnlich auch um Scrofulöse und Neurotische und zwar Familien, 
deren Glieder, fern ab vom Verkehr, ihre ganze Gedankenthätigkeit nur auf sich 
selbst und ihren Erwerb richten. Beligiöse und dämonomanische Vorstellungen 
spielen in der Krankheit eine grosse Rolle und unter ihrem mächtigen Einfluss er* 
eignen sich dann auch bei solchen Zuständen die Morde, wie ein solcher bei familiärem 
Irrsinn vom Verf. selbst 1889 (Journ. of Ment. Science) berichtöt und erst im ver¬ 
flossenen Jahr wieder in Irland beobachtet worden ist 

Bresler (Freiburg L/Schl.). 


20) Zoophilie et soophobie, par Förö. (Belgique mödicale. 1897.) 

Das was ein Gefühl krankhaft erscheinen lässt, ist weniger seine Abnormität, 
als seine Hartnäckigkeit. So kann es eine wahre fixe Idee bilden, besonders wenn 
es pervers ist. Je nachdem es sich um heilbare Formen (Neurasthenie z. B.) oder 
um congenitale oder hereditäre Disposition handelt, kann Heilung eintreten oder 
nicht. Zu den anormalen Gefühlen gehört mit die übergrosse Liebe zu Thieren, 
oder die krankhafte Furcht oder Grausamkeit ihnen gegenüber. Die Furcht vor 
Thieren ist das primitive Gefühl beim Menschen, das sich nicht später rectificirt. 
Bei Kindern wandelt sich dieselbe bisweilen in Grausamkeit um, besonders bei solchen, 
die der „famille nevropathique“ angehören. Zorn, Hass, Grausamkeit sind im Grunde 
nur secundäre, asthenische Leidenschaften mit einer primären unangenehmen, die 
zumeist eben die Furcht ist. Dies sieht man auch bei Thieren, wie verschiedene 
Beispiele beweisen. Dies ist psychologisch wichtig bei Degenerirten, die oft grausam 
gegen geliebte Personen verfahren, Grausamkeit oder Heftigkeit kann aber auch aus 
Machtliebe entstehen. Immer finden sich aber anormale Gefühle Thieren gegenüber 
nur auf pathologischem Boden (angeboren oder erworben). Die Zoophilie kann sich 
Hausthieren gegenüber bethätigen, einem oder mehreren, derselben oder verschiedener 
Rasse, gesunden, wie kranken und hässlichen, oder aber abstossenden gegenüber, wie 
Spinnen, Mäusen u. s. f. Der Hund ist hier von alters her bekannt Mode, religiöse, 
philosophische Ideeen u. s. w. spielen hierbei eine Rolle. Es kann zur reinen Manie 
ausarten und oft ist damit Gleichgültigkeit gegen die Familie und die socialen 
Pflichten verknüpft Zoophilie ist besonders bei Frauen anzutreffen, oft schon früh 
oder in der Pubertät. Die Degenerirten adoptiren sich eher an die Gesellschaft von 
Thieren (bisweilen auch Puppen), als von Menschen. Oft besteht zugleich Irrsinn. 
Oft bei Ledigen und sterilen Frauen. Antivivisectionnisten gehören gern zu ihnen, 
auch manche Vegetarianer. Die Sodomie dagegen beruht weniger in Zoophilie als 
in einer Sexualperversion. Als Zoophobie ist die Furcht vor Wanzen (Söguin) und 
neuerdings die Acarophobie (Thibierge), d. h. die Furcht vor Parasiten, oft mit 
heftigem Jucken und Tasthallucinationen verbunden, beschrieben worden. Zoophilie 
und Zoophobie können sich vergesellschaften, auch mit anderen krankhaften Gefühlen 
verbunden. Zuletzt beschreibt Verf. einen hierhergehörigen Fall, und zwar war bei 
der Mutter Zoophilie, bei der Tochter Grausamkeit und Zoophilie vorhanden. 

Näcke (Hubertusburg). 


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21) Ein Fall von Zwangsvorstellungen und Berührungsfuroht im Kindes¬ 
alter, von Dr. S. Kalischer, Arzt f&r Nervenkrankheiten. (Archiv f. Kinder- 
heilk. Bd. XXIV.) 

Ein erblich nicht belasteter, 8jähriger Knabe, der durch verschiedene Krank* 
heiten körperlich geschwächt war, geistig aber normale Begabang zeigte, erkrankte 
ziemlich plötzlich an Zweifelsacht, Berfihrungsfarcht, Angst and deprimirter Stimmung. 
Er äusserte hypochondrische Klagen, Vergifbungsideeen and litt an Zwangszaständen 
mannigfacher Art. Alle krankhaften Empfindungen and Vorstellungen beartheilte er 
als Zwang and blieb sich des unnatürlichen Vorgangs in seinem Inneren klar bewusst. 

Verf. erörtert im Anschluss an die Schilderung dieses Falles den Unterschied 
zwischen Zwangsvorstellung und Wahnidee, and erinnert daran, dass Zwangserschei- 
nungen im Verlaufe von Hysterie und Neurasthenie Vorkommen, aber auch Symptome 
einer eigenartigen selbständigen Krankheitsform des Irreseins mit Zwangsvorstellungen 
auftreten können. Das Zwangsvorstellungsirresein geht anch bei Kindern nicht in 
Verrücktheit über. G. Ilberg (Sonnenstein). 


22) Zur Lehre vom Gedankenlautwerden, von Dr. Otto Juliasburger 

(Berlin). (Allgem. Zeitschr. f. Psych. Bd. LV. S. 29.) 

Bei einem 37 Jahre alten, nicht belasteten Tabiker besteht neben Opticusatrophie 
Ptosis und erhebliche Einschränkung der Augenbewegungen, besonders nach rechts, 
eine völlige Taubheit, die sich später als das Augenleiden entwickelt hatte. Der 
Kranke hat ausserdem Wahnideeen, erscheint aber noch leidlich intelligent. Wenn 
er mit den Augen Bewegungen nach rechts oder links macht, hört er einen hellen 
Ton, beim Geradeaussehen oder nach Obenschauen nichts. Später beobachtete er bei 
Markirung des Rhythmus eines Liedes durch Augenbewegungen, dass die Glocken die 
Melodie ertönen liessen. Ebenso gaben sie den Rhythmus eines Hexameters genau 
wieder, allerdings im gleichen Tone bleibend. Alle diese Klänge traten nur bei 
horizontalen Augenbewegungen auf. 

Der Verf. stellt sich als Ursache dieser Erscheinungen eine „eigenartige Asso¬ 
ciation zwischen den centralen acustischen Projectionsfeldem und den centralen 
Projectionsfeldern der Augenmuskelbewegungsempfindungen“ vor; ferner eine Steigerung 
der Erregbarkeit der Elemente in den centralen acustischen Projectionsfeldern. 

G. Aschaffenburg (Heidelberg). 


23) Diabetes und Geistesstörung, von Laudenheimer. (Berliner klin. Wochen¬ 
schrift. 1898. Nr. 21—24.) 

In einer mit zahlreichen Krankengeschichten belegten, sehr kritischen Arbeit, 
die sich zum Referat nicht eignet, bespricht Verf. den Zusammenhang der Psychosen 
und des Diabetes und stellt folgende Möglichkeiten auf: 

1. Zufällige Coincidenz von Diabetes und Geistesstörung ohne causale Beziehung. 

2. Diabetes als Folge der Geisteskrankheit. 

3. Diabetes als Ursache des Irreseins. 

4. Diabetes und Psychose coordinirt als Folgeerscheinungen einer gemeinsamen 
(cerebralen) Ursache. 

Die essentiell diabetogene Natur einer Psychose wird am fiberzeugensten durch 
ihre Heilbarkeit in Folge antidiabetischer Maassregeln erwiesen. 

Bielschowsky (Breslau). 


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34) Oaservaaionl oliniohe ed anatomiohe solle demeose poet-apoplettiehe, 
per G. MingazzinL (Biv. speriment. di Freniatria. XXIII. 3 u. 4.) 

Das Ergebniss von 19 klinisch and anatomisch untersachten Fällen. 

Die sogen, post-apoplectischen Demenzen, die bisweilen das Bild wahrer Psychosen 
bieten, entstehen nur nach Erweichungsherden im Gehirn; nach Hirnhämorrhagieen 
entwickeln sich nnr Zustände von Geistesschwäche, nie aber wirkliche Demenz. Verf. 
hält es deshalb f&r richtiger, statt von post• apoplectischer, von post-encephalomala- 
cischer Demenz zu sprechen. Nach den Forschungen Bonchard’s und Charcot's 
sind die Hämorrhagieen Folge miliarer Aneurysmen und nicht einer ausgebreiteten 
Atheromatose, so dass durch einen Blutungsherd nur Communicationswege unter¬ 
brochen werden, während die übrige Hirnsubstanz intact bleibt; Erweichungsherde 
dagegen entstehen immer nur im Gefolge allgemeiner Atheromatose der Hirngefasse, 
und es bestehen in Folge dessen schon Atrophieen der Windungen; ein Krankheits¬ 
herd wird deshalb nicht nur die Verbindung zwischen zwei oder mehreren Centren 
aufheben und die Symptome dieser gestörten Communication hervorrufen, sondern in 
noch höherem Grade die anderen Centren functionell schädigen. 

An einigen der obigen und vier weiteren Beobachtungen konnte Verf. auf die 
Function des Linsenkerns und die Symptome seiner Erkrankung Schlüsse ziehen. 
Motorische Fasern verlaufen im Nudeus lentiformis in bestimmten Abschnitten, so 
dass Gerde selbst von geringerer Ausdehnung entweder keine motorischen Störungen 
verursachen oder aber Parese der Extremitäten, des unteren Facialis und oft des 
Hypoglossus der entgegengesetzten Seite bedingen. Der Patellarsehnenreflex ist auf 
der der Läsion entgegengesetzten Seite gesteigert; der Pupillenlichtreflex ist träge 
und die Schmerzempfindlichkeit herabgesetzt. Fast immer ist auf der contralateralen 
Seite die Pupille enger. Dysarthrische Störungen entwickeln sich beinahe aus¬ 
schliesslich bei Erkrankungen des linken Linsenkerns. Die Fasern für die Sprach- 
bewegungen verlaufen in umschriebenen Abschnitten des NucleuB lentiformis. 

ln den Fällem mit acustischer Aphasie lag der Erweichungsherd im mittleren 
Theile des Gyrus temporalis superior et medius sinister. 

Das Articulationscentrum verlegt Verf. nach seinen Beobachtungen in den hinteren 
oberen Abschnitt der Pars opercularis der 3. Stirnwindung; und das Centrum für die 
Hebung des oberen Augenlids in die vordere Centralwindung, nicht in den Gyrus 
angularis, der einige Male erreicht war, ohne dass Ptosis bestand. Valentin. 


25) Blood-pressure in the ins&ne, by M. Craig. (Lancet 1898. 25. Juni.) 

Verf. hat mit dem Sphygmometer von Barnard und Hill gearbeitet Alle 
Untersuchungen fanden am linken Arme zwischen 11 und 12 Uhr statt. Für den 
Gesunden ergab sich der bezügliche Blutdruck zu 120—125 mm Hg. Bei erregbaren 
Individuen ist er niedriger, bei apathischen höher. Bei 21 weiblichen, an acuter 
Melancholie leidenden Kranken betrug der Blutdruck 140—160 mm, bei 15 männ¬ 
lichen, an derselben Psychose leidenden Kranken 155—160 mm. Je geringer die 
Depression war, um so geringer war auch die Blutdrucksteigerung, Bei 33 Kranken, 
welche an „acuter Manie“ litten, betrug er nur 95—110 mm. In einem Falle von 
circulärem Irresein (?) betrag er in der depressiven Phase stets ca. 150 mm, im 
Intervall 125 mm, in der Excitation 105—110 mm. Bef. hat selbst mit dem 
Basch'schen Sphygmomanometer zahlreiche Kranke untersucht und stets gefunden, 
dass bei agitirter Melancholie der Blutdruck gleichfalls — entsprechend der durch 
meine sphygmographischen Untersuchungen nachgewiesenen Verengerung der peri¬ 
pherischen Arterien — der Blutdruck steigt. Verf. bat bei diesen Formen „etwas 
schwankende“ Ergebnisse gehabt In zwei Fällen von „Stupor“ war der Blutdruck 
gesteigert Bei „secundärem Stupor nach Manie“ soll er niedrig sein, ebenso bei 


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Depressionsznständen nach acuter Manie. Bei intellectnellen Geistesstörungen ist er 
etwa normal, nur bei effectiver Erregung steigt er. In den Erregungszuständen der 
Dementia paralytica ist er niedrig, nur bei sehr starker Erregung hoch. In den 
Schlussstadien sinkt er beträchtlich. Uebrigens sind die auf diese Psychose bezüg¬ 
lichen Angaben zum Theil zweifelhaft, zum Theil geradezu widersprechend. 

Verf. sucht weiterhin nachzuweisen, dass wahrscheinlich sehr oft die Blutdruck- 
Veränderung die Ursache der Psychose ist und nicht umgekehrt. Seine Argumentation 
ist allerdings keineswegs einwandfrei. Dementsprechend empfiehlt er für die Therapie 
bei beginnender Melancholie Bittersalz, bei schwererer Depression, namentlich bei 
starkem Scheiteldruck, ausser der Aperitiva Nitroglycerin oder — behufs nachhaltiger 
Wirkung — das dem Bef. praktisch nicht bekannte Erythrol = Tetranitrat. Bei sehr 
geringer Füllung der Arterien ist eine reichliche Flüssigkeitsaufhahme neben Wasser¬ 
eingiessungen in das Bectum und eventuell Infusionen angezeigt. Bei subnormalem 
Blutdruck scheint sich das prolongirte Bad zu bewähren. Th. Ziehen. 


26) La demenna preooce, per J. Finzi e A. Vedrani. (Ferrara. 1898.) 


Verff. besprechen kurz Erscheinungen, Verlauf und Differentialdiagnose der 
Dementia praecox. Sie unterscheiden 3 Formen: die hebephrenische, die catatonische 
und die paranoide. Erstere giebt im Anfangsstadium leicht zur Verwechslung mit 
Neurasthenie Anlass. Nach der Initialperiode stellen sich dann Aufregungszustände 
mit motorischer Erregtheit und Logorrhoe oder ängstliche Unruhe mit Mutismus und 
Gehörshallucinationen ein. Die catatonische Form zeichnet sich durch das Hervor¬ 
treten psychomotorischer Symptome aus. Bei der paranoiden Form der Dementia 
praecox treten aus Hallucinationen oder Augenblickseindrücken entstandene Wahn- 
ideeen in den Vordergrund, die durch Absurdität und Labilität charakterisirt sind, 
sich jedoch auch für einige Zeit fixiren können. Valentin. 


27) La paralipemania, per BoncoronL (Annali di freniatria. 1898. S. 50.) 


Unter dem Namen Paralypemanie beschreibt Verf. Fälle von Paranoia, in denen 
ein ganz ausgeprägtes Stadium der Melancholie sich einschiebt. Als differentiell 
von der gewöhnlichen Melancholie werden folgende Punkte gegeben: 

1. In der Paralypemanie ist der Ernährungszustand ein besserer; 

2. die „paraphysiologischen“ Ursachen (Ueberarbeitung, Elend, Sorgen u. s. w.) 
haben geringere Bedeutung, dagegen mehr die pathologische Belastung; 

3. die körperlichen Entartungszeichen sind häufiger und schwerer; 

4. der Tastsinn ist feiner, der Schmerzsinn abgestumpfter; 

5. die Delirien der Unwürdigkeit (der Sünde, der Verdammung u. 8. w.) beruhen 
weniger auf verändertem Gefühle, als auf verändertem Denken; 

6. die hypochondrischen Ideeen, die Zweifelsucht, Zwangsideeen, Verfolgungsideeen 
sind hier deutlicher; 

7. Hemmung oder Verlangsamung des Ideeengangs sind seltener; 

8. das Gefühlsleben ist gestörter, und 

9. neigt sie nicht zu Ausgang in Blödsinn oder Heilung. Scheinbare Heilungen 
bringen stets Becidive. 

Verf. giebt von dieser Varietät der Paranoia 9 Fälle. Ob es nöthig ist, die¬ 
selben mit einem eigenen Namen zu bezeichnen erscheint um so fraglicher, als diese 
Fälle von den nicht so selten im Verlaufe der Paranoia zu beobachtenden Depressions¬ 
zuständen mit melancholischem Anstriche nur quantitativ sich abheben. Der Sucht, 
immer neue Namen zu erfinden, sollte man möglichst steuern 1 

_ Näcke (Hubertusburg). 

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28) Sexual Inversion, by Havelock Ellis. (London the universithy press. 

1897. Wathard. 199 Seiten.) 

Von dem durch Bef. an anderer Stelle schon ausführlich besprochenen Buche 
des Verf.’s, welches derselbe vor kurzem deutsch hat durch Kurella herausgeben 
lassen, hat Verf. jetzt eben eine englische Ausgabe veranstaltet, die viele Zusätze, 
aber auch Abstreichungen enthält, und auch in dieser Gestalt hoch willkommen ist. 
Weggelassen ist unter Anderem der grosse Abschnitt über die Geschichte der 
griechischen Liebe durch Symonds, was Bef. eigentlich bedauert, da gerade dieses 
Kapitel glänzend geschrieben war und nicht nur den Philologen, sondern dem 
Historiker und Sociologen lebhaft interessirte. Als sehr schätzenswert!) er Zusatz ist 
jetzt eine eingehende Darlegung der Ansichten von Ulrichs über Homosexualität 
gegeben. Man sieht jetzt erst, wie klar dieser Mann schon damals sah, wie er die 
Hauptcategorieen der Homosexuellen richtig aufstellte, theoretisch das Problem 
auf die Embryologie verwies, weiter auch schon die richtigen Linien zog, die des 
Gesetz beobachten sollte. Endlich möchte Bef. noch hervorheben, dass Yerf. sehr 
recht hat, die hohe Wichtigkeit der Homosexualität und der Untersuchungen hierüber 
wiederholt zu betonen, da leider so Manche mit vornehmem Lächeln über diese 
Dinge aburtheilen und von „Bordellgeschichten“ reden. 

Näcke (Hubertusburg). 


29) La pena nei reati sensuell, per Viazzi. (Archivio di psichiatria. 1897. 

S. 501.) 

Nach einigen allgemeinen Bemerkungen handelt Yerf. erst von den sexuellen 
Delicten, die als offenbarer Ausfluss psychischer Abnormität Unzurechnungsfähigkeit 
und daher Straflosigkeit verlangen, wobei er sich gegen die „verminderte“ Zurechnungs¬ 
fähigkeit ausspricht. In der 2. Hälfte der Arbeit werden dagegen die sexuellen 
Beate betrachtet, die bestraft werden müssen, da Yerf. nicht der Ansicht huldigt, 
dass jeder Yerbrecher krank sei. Die häufigen sexuellen Yerbrechen bei Dementia 
paralytica, bei Manie, seniler Demenz, Idiotismus und Imbecillität werden kurz be¬ 
rührt, die bei Epilepsie nicht weiter erwähnt. Nicht unrichtig erscheint die Be¬ 
merkung (die freilich nicht vom Yerf. herrührt!)» dass die Stupra alter Leute an 
Kindern am häufigsten nicht aus Perversität ausgeführt werden, sondern, weil der 
Coitus an Erwachsenen schwer zu erlangen ist Nach Grimaldi fehlt in dem 
Altersirresein das Schamgefühl in 100 % was, wie Bef. meint, gewiss zu hoch ge¬ 
griffen ist. Ferner sind oft heftige Stupra, besonders wenn von Lustmord begleitet, 
pathologisch als Ausfluss von Sadismus, ebenso der Exhibitionismus (der den Ma¬ 
sochismus verdecken kann), Fetischismus u. s. w. (Bef. meint aber, dass es sich oft 
nur une rouds handelt, also nicht pathologische Personen). Zu bestrafen sind dagegen 
alle Wollüstlinge, Lasciven, ferner gewisse Fälle von Nothzucht, Baub, Ehebruch, 
Bigamie u. s. f., also bei GelegenheitBverbrechen. Yerbrechen muss man immer da 
annehmen, wo Gewalt oder Tötung gegen eine Person (also namentlich gegen Kinder) 
in Anwendung kam. Bei Frauen ist das strafbare Alter tiefer zu verlegen, als bei 
Männern. Straflos sollte die sexuelle Handlung zwischen Personen unter der straf¬ 
baren Altersgrenze sein. Die Strafen müssen abgestnft werden, da viele Handlungen 
viel verwerflicher sind, als der normale Coitus. Mit Puglia verlangt Yerf. Be¬ 
strafung der Päderastie, wenn sie für gewöhnlich an allgemein zugänglichen Orten 
geschieht. (Wenn es sich um eine Art Bordelle handelt, so meint Bef., wäre die 
Strafe ungerecht.) Auch Attentate auf das Schamgefühl in der Privatwohnung sollen 
bestraft werden, ebenso der Incest, nicht aber jeder Baub oder jedes Kupplerthum, 
nur wo letzteres namenlos oder gewohnheitsmässig geschieht. Bei Ehebruch und 
Concubinat soll für gewöhnlich nnr der ungetreue Gatte bestraft werden, nicht die 
3. Person (? Bef.). Nur wo Obcönitäten in Schrift oder Bild Speculationssache ist, 


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soll Strafe eintreten. Verf. glaubt ferner, dass das unyollendete Delict weniger hart 
su ahnden sei, als das vollendete (? Bef.). Der Strafort soll kein Verbrecher-Irren- 
hans sein; ein Krankenhaus mit unbestimmter Dauer für den „Delinquente nato“; 
kurze Strafen sollen bei Minorennen fortfallen and durch Strafgelder ersetzt werden. 

_ Näcke (Hubertusbarg). 


30) Lage und Stellung der Aerste an den öffentliohen Irrenanstalten des 
deutschen Beiohes, von Hugo Hoppe (Allenberg). (Allgem. Zeitschr. f. 
Psych. Bd. LIV. S. 429.) 

Die ausserordentlich dankenswerten Zusammenstellungen und Ausffihrungen 
des Verf.’s über die Gehalts* und Beförderungsverhältnisse der Irrenärzte sind leider 
den Behörden nicht so zugänglich, wie gewünscht werden muss. Die Besoldung der 
Aerzte lässt an Verschiedenheit jedenfalls viel weniger zu wünschen als an Höhe; 
die Gehälter sind teilweise geradezu empörend niedrig. Die Oberärzte (II. Aerzte) 
haben zur Zeit ein Durchschnittsalter von 36 Jahren 9 Monaten und beziehen bei 
10 Jahren und 7 Monaten durchschnittlicher Dienstzeit als Irrenärzte im Mittel 
3550 Mark Gehalt, eine Summe, die hauptsächlich durch die städtischen Anstalten 
nach oben zu verschoben wird. Die HI. Aerzte und Anstaltsärzte mit Familien* 
Wohnungen haben 2860 Mark Gehalt bei 7jähriger Dienstzeit und 33 Jahren 8 Mon. 
Durchschnittsalter. Die Aussichten auf Vorwärtskommen erscheinen nicht allzu gross, 
wenn man bedenkt, dass in 56 Anstalten 56 Directoren, 75 Oberärzte, 113 Assistenz« 
ärzte und 27 Volontärärzte thätig sind. Da nun jedes Land und jede Provinz mög¬ 
lichst frei werdende Stellen aus dem eigenen Nachwuchs besetzt, so ist es ganz 
selbstverständlich, dass ein grosser Theil der Irrenärzte, und sicher nicht der un¬ 
tüchtigste, es vorzieht, statt den Tod der Vordermänner abzuwarten, den Irrendienst 
zu verlassen. Aber nicht nur die materielle Seite der irrenärztlichen Misöre wird 
vom Verf. dargestellt, er verlangt auch eine Beihe anderer Maassregeln, ohne deren 
Schaffung ein Gedeihen der Psychiatrie nicht erwartet werden kann. 100 Kranke 
auf einen Arzt ist das Maximum dessen, was in einer Pflegeanstalt dem Arzte zu- 
gemuthet werden dürfte. Bei der dienstlichen Anspannung muss jeder mindestens 
6 Wochen Urlaub beanspruchen können. Unter der Ueberlastung der Directoren mit 
Verwaltungstechnik, der Oberärzte mit Kranken, leidet am meisten die fachmännische 
und klinische Ausbildung des Nachwuchses. Von 121 Irrenärzten an preussischen 
Provinzialirrenanstalten hatten nur 65, von 103 an anderen deutschen Anstalten an- 
gestellten Aerzten 45, im Ganzen 44,4 °/ 0 psychiatrische Vorlesungen und Kliniken 
auf der Universität besuchtl 

Wer unbefangen die Arbeit des Verf.’s liest, muss sich sagen, dass die I*age 
der Irrenärzte eine unwürdige ist, deren Schaden — es sei hier nur an die mangel¬ 
hafte Ausbildung und die zu grosse Krankenzahl erinnert — unbedingt zum Theil 
von den Kranken mitgetragen werden muss. Wenn sich dieser Einsicht aber das 
Gros der Irrenärzte verschliesst, wird eine Abhfllfe kaum erwartet werden können. 

Aschaffenburg (Heidelberg). 

31) Zur Frag«: Moralisches Irresein, von Dr. T. Bogdan in Langenlois. (Wiener 
med. Wochenschr. 1897. Nr. 30 u. 31.) 

Durch eine Beihe von Beispielen sucht Verf. die Anschauung zu begründen, 
dass ein ethisch depravirtes Individuum, welchem gesellschaftlichen Stande es auch 
angehöre, selbst wenn es die Erscheinungen der angeborenen Imbedllität aufweise, 
im eigenen und im Interesse der Allgemeinheit, nicht in eine Irrenanstalt, sondern 
in eine Besserungsanstalt abzugeben sei 


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Den forensischen Fällen gegenüber hält er an dem Standpunkte Meynert’s 
fest, dass ethische Defectnosität nur dann als krankhaft anzusehen sei, wenn sie als 
Ausfluss einer klinisch begrflndeten Erkrankung des Gehirns, namentlich des Vorder* 
hiras, nachgewiesen werden könne. J. Sorgo (Wien). 


HL Aus den Gesellschaften. 

Versammlung deutscher Naturforscher und Aente zu Düsseldorf vom 

19.—22. September 1898. 

(Schloss.) 

Gemeinschaftliche Sitzung mit der Abtheilung für innere Medioin. 

Sitzung vom 20. September, Nachmittags. 

Herr Stintzing (Jena): Ueber Wesen und Behandlung des Tetanus 
traumatious. 

Nachdem Vortr. kurz die Aetiologie und Diagnose des Tetanus traumaticus ge¬ 
streift, bespricht er eingehend an der Hand eigener, wie fremder Beobachtungen und 
Untersuchungen die Anatomie und Pathogenese des Tetanus. Die daraus sich er¬ 
gebenden, theils feststehenden, theils hypothetischen Anschauungen Aber die Anatomie 
und Pathogenese des Tetanus fasst er am Schlüsse seiner Ausführungen in folgenden 
Sätzen zusammen: 

Der Tetanusbacillus erzeugt an dem Orte seiner Ansiedelung (Wunde oder 
Impfstelle) Toxine. Diese gelangen theils in die Blutbahn (bei Thieren) und können 
von dieser aus wirksam werden. Im wesentlichen aber werden sie längs der nahe 
gelegenen Nerven, vermuthlich in den Maschen des Perineurium, deren FlOssigkeit 
eine besondere Attractionskraft eigen zu sein scheint, zum Bflckenmarke fortgeleitet. 
In den Subarachnoidoalraum oder unmittelbar in das BQckenmark gelangt, entfalten 
sie — bei Thieren — ihre toxische Wirkung zunächst von der Einmfindungsstelle 
aus und erzeugen somit zunächst den örtlichen Tetanus. Wird Gift in genügender 
Menge weiter producirt und zugeleitet, so erzeugt es regionär (bis zum allgemeinen 
Tetanus) fortschreitende Krämpfe. Beim Menschen kann der Vorgang der gleiche 
sein. Meist jedoch breiten sich bei diesem die Krämpfe ohne Begel aus, vermuthlich 
weil die Toxine in den weiteren, mit Flüssigkeit angefüllten Bäumen rascher diffun- 
diren. Den Angriffspunkt für das Tetanusgift bilden jedenfalls die motorischen 
Ganglienzellen in den Vorderhörnern, die unter der Einwirkung des Giftes in einen 
Zustand erhöhter Erregbarkeit gerathen. Dass die neuerdings gefundenen, morpho¬ 
logischen Veränderungen dieser Zellen einen dem Tetanus eigenartigen Befund dar¬ 
stellen, ist noch fraglich. 

Bezüglich der Behandlung des Tetanus führt Vortr. aus, dass die Serum¬ 
therapie selbst bei frühzeitiger Anwendung die in sie gesetzten Hoffnungen bisher 
nicht erfüllt hat, und empfiehlt daher auch fernerhin neben dem Antitoxin die alten 
Behandlungsmethoden anzuwenden, vor allem die möglichst frühzeitige Exciaion and 
Kautherisation der Wunde; in zweiter Linie Narcotica (Chloral, Morphium). 

Discussion: 

Herr Nissl (Heidelberg): Bezüglich der Beziehungen zwischen Nervenzellen¬ 
veränderungen und nervösen Functionsstörungen steht es wohl fest, dass die zur Zeit 

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nachweisbaren Zellveränderungen sicherlich nicht in erster Linie der Ausdruck ner¬ 
vöser Functionsstörungen sind. Die entgegengesetzte Ansicht fand ihre Stütze in 
den Ergebnissen der sogenannten subacuten maximalen Vergiftungsweise. Hier treten 
je nach der Art des Giftes speciflsche und so charakteristische Veränderungen an 
den Nervenzellen auf, dass man aus der Veränderung der Zelle auf das jeweilig an¬ 
gewandte Gift schliessen kann. Dagegen kann bei der acuten und noch mehr bei 
der chronischen Vergiftung von specifischen Veränderungen der Nervenzelle keine 
Rede sein. Gegen die Auffassung, dass die heute nachweisbaren Zellveränderungen 
der Ausdruck nervöser Fnnctionsstörungen sind, spricht, abgesehen von anderen Er¬ 
fahrungen, vor allem die sogenannte acute Zellerkrankung, eine Erkrankungsform, 
die ausserordentlich charakteristisch und nicht zu verwechseln ist, und bei der, wenn 
sie in der menschlichen Binde auftritt, stets alle Nervenzellen der ganzen Binde 
in gleicher Weise erkrankt sind. Trotzdem findet man sie bei ganz verschiedenen 
Krankheitszuständen, wie die Herkunft der (von N.) ausgestellten Photogramme von 
sogenannter acuter Zellerkrankung zeigt. Die eine Zelle stammt von einem auf¬ 
geregten Paralytiker, die andere von einem Fall von Typhus, die dritte ebenfalls 
von einem nicht-geisteskranken Mädchen, das in Folge von Brandwunden zu Grunde 
gegangen ist. 

Herr von Jaksch (Prag) weist darauf hin, dass es Fälle von Tetanus trau- 
maticus giebt, die ihrem klinischen Verlauf nach unzweifelhaft Tetanus sind, in denen 
jedoch weder die Eingangspforte, noch Gift, noch Bacillen gefunden werden. Für 
die Behandlung empfiehlt er Urethan in grossen Dosen (20—25 g pro die). 

Herr Naunyn (Strassburg): Bei einer Erörterung der Pathogenese des Tetanus 
muss auch der Rose’sche Kopftetanus mit seiner Facialislähmung berücksichtigt 
werden. 

Herr von Jaksch (Prag) bemerkt, dass der Kopftetanus dieselbe Aetiologie 
wie die anderen Fälle von Tetanus traumatica habe, er habe nämlich in einem von 
ihm beobachteten Falle von Kopftetanus Tetanusbacillen nachweisen können. In 
einer Epidemie von Tetanus puerperalis sei es ihm nur vereinzelt gelungen. 

Herr Stintzing (Jena) hat den Tetanus puerperalis nicht in den Kreis seiner 
Betrachtung gezogen, da seine Zugehörigkeit zum Tetanus traumaticus noch nicht 
erwiesen sei. 

Herr Blumenthal (Berlin) betont, dass der Tetanus puerperalis und der 
Tetanus traumaticus zweifellos durch dieselbe Ursache bedingt seien, wie er und 
Stabsarzt Heyse schon vor mehreren Jahren nachgewiesen habe. B. spricht weiter 
an der Hand seiner neuesten Untersuchungen über das Verhältniss des Tetanusgiftes 
zu den Nervenzellen und zum Antitoxin. 

Herr Epstein (Göttingen): Schon vor einer Beihe von Jahren hat Prof. Ni¬ 
colai er in einem Fall von Kopftetanus den Tetanusbacillus nachgewiesen. Die in 
diesem Falle vorhanden gewesene periphere Facialislähmung spricht für die von 
Stintzing behauptete Fortleitung des Tetanusgiftes längs der Nerven. 

Herr Weber (Uchtspringe): Obduktionsbefunde beim Tod im Status epl- 
leptious. 

Ausgehend von der Ansicht, dass nur ein genaues Studium der von den Einzel¬ 
äusserungen der Epilepsie gesetzten Gewebsveränderungen eine Lösung der Frage 
nach der Natur der epileptischen Schädlichkeit, der Art ihrer Wirkung und der 
Genese der durch sie hervorgerufenen, klinischen Erscheinungen der Epilepsie bringen 
kann, hat Vortr. die in den letzten 4 Jahren in Uchtspringe an Status epilepticus, 
„der acutesten Aeusserung der Epilepsie“, Verstorbenen einer eingehenden anatomischen 
Untersuchung unterworfen. 

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1064 


Die makroskopischen Befunde: Ausserordentliche Blutüberfüllung sämmtlicher 
inneren Organe, besonders der Lungen, Leber, Milz, Nieren, in fast allen Fällen; 
constant Blutaustritte in den serösen Häuten der Lunge, des Herzens, im Herz¬ 
muskel und Lungenparenchym selbst; häufig grössere blutig-angeschoppte Herde von 
fester Consistenz in den Lungen, manchmal wirkliche Infarcirungen. ln den meisten 
Fällen frische Verfettungen des Herzmuskels, der Leber und der Nieren; fettige 
Usur und atheromatöse Veränderungen (auch bei sehr jugendlichen Individuen) an 
den Herzklappen, in der Aorta und den grösseren Arterienstämmen. Gleichmäsaige 
starke Blutüberfüllung des Gehirns und seiner Häute mit einzelnen Extravasaten in 
der Dura, Fia und dem Ependym des 3. und 4. Ventrikels — nur selten bestand 
Anämie der Hirnsubstanz — decken sieb im grossen und ganzen mit den in der 
Litteratur veröffentlichten Obductionsbefunden bei Todesfällen im Status epileptäcus. 

Die mikroskopische Untersuchung, über deren Technik man die Verhandlungs¬ 
berichte nachlesen mag, ergab als wichtigsten Befund in allen Fällen mehr oder 
minder hochgradige, frische Veränderungen am Gefässsystem: Starke Füllung der 
Capillaren und der mittleren Gefässe, Entzündung der Gefässwandungen, Schwellung 
und Wucherung der Endothelien der perivasculären Lymphscheiden bis zu dem Bilde 
lebhafter Zellinfiltration der Gefässwandung und ihrer nächsten Umgebung; in den 
erweiterten Lymphräumen bei schneller Härtung eine homogene farblose Masse. In 
einzelnen Fällen beginnende hyaline Entartung der ganzen Wandung kleinerer 
Gefässe. 

Des weiteren ergab die mikroskopische Untersuchung bei fast allen Fällen zahl¬ 
reiche Blutaustritte in die perivasculären Bäume und das umliegende Gewebe unter 
theilweiser Zerstörung desselben von wechselnder In- und Extensität in der Rinde, 
der Markstrahlung im Hirnstamm (in der Medulla oblongata, besonders unter dem 
Ependym des 4. Ventrikels und im Bereich der Kerne der Hirnnerven), manchmal 
auch im Bückenmark. An den Ganglienzellen fanden sich in vielen Fällen schwere 
Veränderungen; bei jugendlichen Individuen abnorm grosser Pigmentgehalt der 
Zellen, nicht selten frische kleinzellige Infiltration in den periganglionären Bäumen. 

Vortr. führt dann des längeren aus, dass diese Befunde nicht nur die klinischen 
Erscheinungen des Status epilepticus unschwer erklären, sondern auch die von 
Schröder van der Kolk beobachtete Thatsache, dass in der Mehrzahl der sedrten 
Epileptiker chronische Gefässveränderungen in der Medulla oblongata gefunden werden, 
eine Beobachtung, die seiner Zeit zu der falschen Theorie von der medullären Ent¬ 
stehung der Epilepsie geführt hatte. 

Betreffs der Genese der von ihm gefundenen Gefässveränderungen weist er auf 
die analogen Veränderungen in der Hirnrinde und Medulla oblongata bei acuten 
Vergiftungen und schweren acuten Infectionskrankheiten hin und spricht im Anschluss 
an eine namentlich von den Franzosen vertretene Anschauung die Vermuthung aus, 
dass die acuten Aeusserungen mancher Epilepsieformen die Wirkung eines jeweils im 
Körper selbst entstehenden, das Centralnervensystem schädigenden Giftes seien, das 
wie jede chemische Noxe zunächst die Gefässe — von der einfachen Beizung und 
Hyperämie bis zu Blutaustritten in das umliegende Gewebe — und dadurch weiterhin 
die nervösen Elemente schädige. (Diese Hypothese würde auch eine Erklärung für 
das häufige Vorkommen von atheromatösen Veränderungen bei den Epileptikern selbst 
bei sehr jugendlichen Individuen geben, da man ja neuerdings immer mehr diese 
Gefässerkrankung auf infectiöse und toxische Wirkungen zurückführt Bef.) 

Zum Schluss bezeichnet Vortr. als sicheres Resultat seiner Untersuchungen: 

1. In den meisten Fällen von Tod nach schweren epileptischen Attaquen finden 
sich in der Hirnrinde und Medulla oblongata frische Gefässerkrankungen und Extra¬ 
vasate mit theilweiser Zerstörung der benachbarten nervösen Elemente. 

2. Diese Veränderungen sind, falls sie in der Medulla oblongata liegen, in vielen 
Fällen die directe Todesursache, in anderen Fällen verursachen sie, je nach ihrer 


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Lage za den betreffenden nervösen Elementen, Circulationsstörungen und Blatungen 
in den grossen Körperorganen, schädigen den Respirationsapparat, machen transitorische 
Paresen der Extremitäten und psychische Störungen. 

Herr Hoffmann (Düsseldorf): Durch Badiographie naohgewieaene Fremd¬ 
körper als Ursache von spinaler und peripherer Lähmung. (Kranken¬ 
vorstellung.) 

Ein 34jähriger Hann wurde vor 2 Jahren durch einen Pistolenschuss aus un¬ 
mittelbarer Nähe vorn am Halse neben dem Schildknorpel verletzt. Die Kugel drang 
in die Tiefe und blieb im Halse stecken. Sofort nach dem Schuss Bewusstlosigkeit 
und Lähmung aller 4 Extremitäten; nur die Finger der rechten Hand konnten ein 
wenig bewegt werden. Allmähliche Besserung zunächst der Beweglichkeit des rechten 
Armes, der nach 10 Wochen schon wieder bis zum Munde geführt werden konnte, 
dann der beiden Beine, wobei das rechte sich schneller besserte, wie das linke. 
Nach einem halben Jahr konnte Patient wieder gehen. Jetzt sind rechter Arm und 
beide Beine, abgesehen von geringem Schwächegefühl, wieder ganz in Ordnung, nur 
der linke Arm ist noch sehr unbeweglich. 

Durch die Untersuchung lässt sich eine fast complette Lähmung der Hm. del- 
toides, supra- und infraspinatus, ferner Schwäche in den verschiedenen Muskeln des 
Armes, besonders in den Streckmuskeln und Muskeln des Daumens feststellen. Die 
Lähmung zeigt keinen bestimmten Typus, auch fehlt überall Veränderung der elek¬ 
trischen Erregbarkeit. Störungen der Sensibilität fehlen. Die Reflexe sind erhöht. 
Durch Untersuchung mit Röntgen-Strahlen und Photographie wurde der Sitz der 
etwa erbsengrossen Kugel im linken Wirbelbogen des 4. Halswirbels festgestellt, wo 
sie, da sie seit einem Jahr sich unverrückt an derselben Stelle befindet, offenbar im 
Knochen fest eingedrungen haftet. 

Aus den klinischen Symptomen muss auf eine ursprüngliche Compression des 
ganzen Rückenmarks, sei es durch die Kugel, sei es durch Bluterguss, geschlossen 
werden. Die jetzt noch bestehenden Lähmungen müssen als Reste derselben angesehen 
werden. Nervenwuneln scheinen nicht durchtrennt zu sein, da Entartungsreaction 
fehlt Ebenso kann eine Durchtrennung eines Theiles des Rückenmarks nicht statt¬ 
gefunden haben. 

Der zweite Fall betrifft einen Arbeiter, dem vor 4 Jahren beim Niethen ein 
Hammer zersplitterte. Von einem abspringenden Stück desselben erlitt er eine 
blutige Verletzung am Vorderarm rechts. Es trat Schwäche in der Hand ein und 
taubes Gefühl im Bereich des 4. und 5. Fingers. Trotz eifrigen Nacbsuchens wurde 
seitens des Operateurs — wie in einem von seiner Hand geschriebenen Gutachten 
niedergelegt ist — kein Fremdkörper in der Wunde gefunden. Die Schwäche der 
Hand besserte sich nicht 

Es besteht jetzt Atrophie der kleinen Handmuskeln, Schwäche der Opposition 
des Daumens, Unmöglichkeit die Finger ganz gerade zu strecken und dieselben weit 
zu spreizen. Dabei Herabsetzung aller Gefüblsqualitälen an der ulnaren Seite der 
Hand und den beiden letzten Fingern. 

Auf dem Radiogramm, wie am Leuchtschirm sieht man 6 cm oberhalb des 
distalen Endes der Ulna einen unregelmässig geformten Schatten eines etwa pflaumen¬ 
kerngrossen Fremdkörpers ganz dicht der Ulna anliegen, der offenbar durch Com¬ 
pression und Verwachsung Ursache der Lähmung des N. ulnaris ist (Der Vortrag 
erscheint ausführlich mit Abbildung in „Fortschritte der Röntgen-Strahlen“.) 

(Autorreferat) 

Herr Mendel (Berlin): Welohe Aenderung hat das klinische Bild der 
progressiven Paralyse der Irren in den letzten Deoennien erfahren P (siehe 
Original-Mittheiluug 4 in dieser Nummer). 

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Discussion: 

Herr Stintzing (Jena) spricht die Vermutbang aas, dass vielleicht die seit 
Fonrnier häufiger und energischer durchgefQhrte mercurielle Behandlung der Syphilis 
einen Einfluss auf den Charakter der Paralyse ausgeübt hat, da nach seiner Er¬ 
fahrung die schwere Form der Syphilis nicht abgenommen hat. 

Herr Eräpelin (Heidelberg) ist der Ansicht, dass die Zunahme der Häufigkeit 
der dementen Fälle, die auch er beobachtet hat, eher eine Verschlimmerung als eine 
Milderung des Krankheitscharakters bedeutet, da bei der grossen Masse der dementen 
Fälle die Demenz sehr schnell einzutreten pflegt. Ueber die Ursachen der Zunahme 
der dementen Form der Paralyse wissen wir nach seiner Ansicht durchaus gar nichts, 
insbesondere nichts über den Einfluss der Behandlung. Dagegen ist eine von ihm 
beobachtete Aenderung im Krankheitsbilde der Paralyse, die Abnahme der Häufigkeit 
der paralytischen Anfälle auf die in den letzten Jahren systematisch durchgeführte 
Bettbehandlung der Paralytiker zurückzuführen. 

Herr Leppmann (Berlin) hat in den letzten Jahren die Beobachtung gemacht, 
dass die Exaltation bei der Paralyse häufig in der Form der drculären Psychose 
auftritt. Ferner macht er auf die bisher nicht erklärte Thatsache aufmerksam, dass 
in den Straf- und Gefangenen-Anstalten die Paralyse so selten ist 

Herr Orthmann (Grafenberg) hält es auf Grund der Geschichte der Syphilis 
und der Erfahrungen der Aerzte in den Hafenstädten (in den Tropen erworbene 
Syphilis verläuft viel schwerer als die einheimische) nicht für ausgeschlossen, dass 
der Charakter des Syphilisgiftes in den letzten Jahrzehnten sich geändert haben kann. 
Eine Erklärung für die behauptete Zunahme der dementen Form der Paralyse findet 
er darin, dass eine ganze Reihe von Krankheiten in den grossen Topf der Paralyse 
geworfen werden, die klinisch unter einem ähnlichen Bilde wie die demente Form der 
Paralyse verlaufen, die aber ein ganz anderes anatomisches Substrat haben. Er 
erinnert an die arteriosklerotische Hirnentartung (Binswanger, Alzheimer), die 
Encephalitis subcorticalis chronica progressiva (Binswanger), die perivascnläre 
Gliose (Alzheimer). 

Herr Mendel (Schlusswort): Nach seiner Erfahrung sind weder die paralytischen 
Anfälle seltener geworden, noch hat die circuläre Form eine Aenderung erfahren, 
noch hat die vorgenommene antisyphilitische Behandlung einen Einfluss auf die ent¬ 
stehende Form der Paralyse. „Mild“ hat M. den Verlauf bei der dementen Form 
bezeichnet gegenüber dem stürmischen Auftreten der Paralyse im maniakalischen 
Stadium. Die schnell dement werdenden Paralytiker hat er nicht erwähnt, da diese 
Form, längst bekannt und beschrieben, eine Aenderung gegen früher nicht erfahren 
hat. Die Seltenheit der Paralytiker in den Strafanstalten hat wohl seinen Grand 
darin, dass sie meist schon während der Untersuchungshaft oder in der ersten 
Zeit der Strafverbüssung als solche erkannt, den Heimathsbehörden bezw. den Irren¬ 
anstalten überwiesen werden. Mit den verschiedenen anatomischen Befunden bei 
dem klinischen Bilde der Paralyse lässt sich zur Zeit noch nichts anfangen, und 
muss man sich, da man während des Lebens eine specielle anatomische Diagnose 
nicht stellen kann, vorerst mit dem „grossen Topf der Paralyse“ begnügen. 

Der Vortrag von Herrn Schrötter jun. (Wien): Zur Aetiologie und Patho¬ 
logie der sogenannten Eaisaonkrankheit musste wegen vorgerückter Zeit zurück- 
gestellt werden; er wurde am 22. September, Nachmittags, in der Abtheilung für 
innere Medicin gehalten. 

An der Hand zahlreicher Abbildungen und Präparate trägt Vortr. die Ergebnisse 
seiner diesbezüglichen an Hunden angestellten Untersuchungen vor. Nach plötzlicher 
Decompression kam es bei den Thieren zu asphyctischen und Lähmungserscheinungen. 
Gingen sie rasch zu Grunde, so ergab die Section Luftblasen (Stickstoff) im Blute. 
Einen gleichen Befund hatte er Gelegenheit beim Menschen zu erheben; in diesem 
Falle war das Herzblut dermaassen mit Luft gemischt, dass Percussion des Herzens 

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tympanitischen 8chall gab. Gelang es, die Thiere längere Zeit am Leben za erhalten, 
so fanden sich im Bückenmark sowohl in der weissen wie granen Substanz Erweichungs¬ 
herde, wie sie nach Gefässverstopfung durch die Anämisirung und Ischämie des be¬ 
treffenden Gebietes zu Stande kommen, aus denen durch weiteren Zerfall secundär 
theilweise Höhlen hervorgegangen waren. Damit fällt die von Leyden vertretene 
Ansicht, dass es sich bei den Höhlen um Spaltbildung im Bffckenmark handelt, sowie 
die, dass die Herde das Besultat primärer Blutungen sind. 

Nachdem Vortr. dann noch an der Hand eigener wie fremder Beobachtungen 
die klinischen u. s. w. Erscheinungen der Caissonkrankheit beim Menschen besprochen 
hat, kommt er zu dem Schluss: Die sogenannte Caissonkrankheit wird dadurch 
hervorgerufen, dass bei plötzlicher Decompression Luft aus dem Blut, die unter der 
Compression aufgesaugt worden war, frei wird. Diese ffihrt zu Luftembolieen in den 
Bäckenmarksgefä88en, die dann Nekrose der betreffenden Partieen zur Folge haben. 
Bezflglich der Therapie empfiehlt Vortr. sofort die Becompression auszuführen, ein 
Mittel, das absolut sicher sei. Er konnte bei den Hunden dadurch alle Erscheinungen 
sofort zum Schwinden bringen. Entsprechende Erfahrungen liegen auch beim 
Menschen vor. 


Sitzung vom 21. September, Nachmittags. 

Herr Bö der (Heidelberg): Ueber die Anwendung einer neuen Methode 
der Untersuchung bei nervösen Erkrankungen nach Unfall. 

Da die Anschauungen über die Häufigkeit und die Beurtbeilung nervöser 
Störungen nach Unfall zum grossen Theil deshalb weit auseinandergehen, weil es 
an Methoden fehlt, ihren Werth oder Unwerth objectiv festzustellen, veranlasste 
Vortr. eine Beobachtung des Dr. Groos (früher in Heidelberg) — G. konnte in 
einem Falle von nervöser Erkrankung nach Unfall mit körperlich nahezu negativem 
Befund mittels psychophysischer Untersuchungsmethoden (ausser anderen benutzte er 
einfache rechnerische Aufgaben: Addiren, Subtrahiren, Zählen) nachweisen, dass die 
Klagen des Kranken, die sich hauptsächlich auf verminderte Leistung in seinem 
Geschäft und schnelles Müdewerden bei seiner Thätigkeit bezogen, begründet waren; 
denn seine Gesammtleistung in einer bestimmten Zeit verglichen mit der eines Ge¬ 
sunden desselben Alters und derselben socialen Stellung war auffallend niedrig, und 
zu einer Zeit, in der ein Gesunder noch keine Abnahme seiner Leistung zeigte, trat 
bei ihm eine solche deutlich zu Tage — durch weitere Anwendung dieser Methode 
in ähnlichen Fällen die Frage zu prüfen, ob und wie weit sie sich für die Unter¬ 
suchung derartiger Kranker allgemein verwerthen lässt 

Für eine allgemeine Anwendung muss der zu benutzende Apparat möglichst 
einfach und die Aufgaben so leicbt sein, dass keiner sich ihrer Lösung entziehen 
kann, unter dem Vorwände, er könne sie nicht leisten. Der Apparat bestand dem¬ 
entsprechend in Heften, in denen einstellige Zahlen in Beihen übereinander gedruckt 
waren und in einer Secundenuhr zur Beobachtung der Zeiten; die Aufgaben bestanden 
darin, dass die betreffenden Personen an mehreren auf einanderfolgenden Tagen unter 
möglichst gleichen Bedingungen hintereinander möglichst rasch von 1—100 und 100—1 
zählen, ! / 2 Stunde addiren, fortlaufend 7 von 100 subtrahiren und schliesslich die 
Zählungen wiederholen mussten. (Empfehlenswerth ist, wie sich im Verlauf der 
Untersuchungen herausgestellt hat, vor das Addiren noch Subtrahiren einzuschieben.) 
Von den 7 Unfallverletzten, die er nach dieser Methode untersuchte, konnte Vortr. 
auf Grund ihres Ergebnisses einen bisher als Neurose aufgefassten Fall als solchen 
aus8cheiden — die weitere Untersuchung ergab dann als Ursache seines sohlechten 
Allgemeinbefindens chronischen Magencatarrh in Folge Zahnmangels —, in einem 
anderen Fall, der Lues überstanden und deutliche Arteriosklerose hatte, musste er 
ein non liquet aussprechen. 

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Bei den übrigen fünf aber zeigten die gewonnenen Ergebnisse, die sowohl unter 
sich, wie mit dem bei dem Gross 1 sehe Patienten gefundenen in weitestem Umfange 
übereinstimmten: das Zählen erforderte verhältnissmässig grosse Zeit; in der halbes 
Stunde wurden wenig Additionen gerechnet, und zwar zunehmend weniger in der 
Zeiteinheit; die Subtraction fortlaufend 7 yon 100 geschah langsam; das zweite Zählen 
erfordert noch mehr Zeit als das erste; die Leistungen besserten sich mit der 
Wiederholung (Uebungszuwachs) zur Evidenz, — dass geringe Leistungsfähigkeit und 
grosse Ermüdbarkeit bei ihnen bestand. 

Um zu prüfen, ob und wie weit eine Simulation möglich ist, stellte Vortr. an 
3 Gruppen von Gesunden Controlluntersuchungen an: 

Gruppe I waren 2 Aerzte, „die einerseits die Resultate des Dr. Gross kannten, 
andererseits mit den in Betracht kommenden Prüfungsmethoden durch vielfaches 
eigenes Experimentiren vollständig vertraut waren.“ 

Gruppe II 2 Aerzte, „denen das klinische Bild der Erkrankung geläufig war: 
Beide überlegten sich vorher den Weg, den sie einschlagen wollten, um die Täuschung 
durchzuführen.“ 

Gruppe III 2 intelligente Pfleger, denen Vortr. möglichst eingehend beschrieb, 
„sie sollten einen Mann darstellen, der eine Rente zu erlangen sucht, unter der Be¬ 
hauptung, er könne wenig leisten und ermüde rasch.“ 

Die Ergebnisse waren folgende: 

Gruppe I gelang es ziemlich gut, sich als leicht erschöpfbar hinzustellen and 
den Uebungszuwachs zu markiren, aber nicht die Differenz zwischen Anfangs- und 
Endleistung in der Zeiteinheit nachzumachen. Die Verschlechterung betrug bei ihnen 
160 und 60% gegen 15—33% bei den Unfallverletzten. 

Gruppe II und m vermochte nur beim Addiren die Ermüdung vorzutäuschen, 
aber nicht beim Zählen wie Subtrahiren und ebensowenig den Uebungszuwachs vor¬ 
zuspiegeln. 

Demnach konnte Vortr. durch seine Untersuchungsmethode bei allen 6 nach- 
weisen, dass sie zu täuschen versucht hatten. 

Auf Grund dieser Ergebnisse steht Vortr. nicht an, „seine Methode als eine 
brauchbare Bereicherung für die Untersuchung Unfallskranker zu bezeichnen“ und 
ist der Ansicht, dass sie in vielen Fällen eine objective Beurtheilung der nervösen 
Klagen Unfallverletzter ermöglichen werde. 

Als einen nicht zu unterschätzenden Vorzug seiner Methode führt Vortr. noch 
an, dass sie Gelegenheit giebt, den Kranken unbemerkt zu beobachten, ob die etwa 
geklagten nervösen Erscheinungen (Zittern, Schwitzen, Herzklopfen u. s. w.) beim 
Arbeiten wirklich eintreten, was sich für die Beurtheilung des in Frage stehenden 
Falles verwerthen lässt. Hierbei ist jedoch zu berücksichtigen, dass Vortr. auch bei 
den Gesunden während des Arbeitens leichte Pulsbeschleunigung, Rothwerden und 
motorische Unruhe auftreten sah. 

Discussion: 

Herr Gross (Alt-Scherbitz) warnt davor, derartige Untersuchungen vorzunehmen, 
wenn man mit den einschlägigen Methoden nicht völlig vertraut sei, weil man sonst 
zu leicht Trugschlüssen ausgesetzt sei. Unbedingt erforderlich sei weiter, dass die 
betreffende Person während der Lösung der Aufgaben ständig überwacht werde. 

Herr Kräpelin (Heidelberg) empfiehlt die Methode, und bemerkt dazu, dass 
es ja, da nach heutiger Auffassung das Krankheitsbild bei Unfallverletzten wesentlich 
psychisch bedingt sei, nahe liege, sie mit psychischen Methoden zu untersuchen. 
Dies sei bisher deshalb unterblieben, weil man die Gesetzmässigkeiten auf diesem 
Gebiete nicht genügend gekannt habe. 

Herr Göbel (Bielefeld) glaubt, dass die neue Methode höchstens zur Ent» 
Scheidung der Frage, ob Krankheit oder Simulation vorliege, nicht aber zur Be¬ 
stimmung des Grades der Erwerbsunfähigkeit zu verwerthen sei. 


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Herr Kräpelin (Heidelberg) erwidert dem Vorredner, dass die angegebene 
Untersuchung nur die Feststellung der Ermüdbarkeit, nicht die der beruflichen 
Leistungsfähigkeit bezwecke, die von ganz anderen praktischen Gesichtspunkten ab¬ 
hängig sei. 

Herr Oebecke (Bonn) verspricht sich nicht viel von der nenen Methode, da 
die Grenze zwischen physiologischer und pathologischer Ermüdbarkeit schwer zu 
ziehen sei. 

Herr Böder schliesst sich in seinem Schlusswort den Ausführungen von Gross 
und Kräpelin an. 


Sitzung vom 22. September, Vormittags. 

Dr. A. Schmitz (Bonn): Was haben die deutschen Aerzte gethan und 
was können sie thun im Kampfe gegen den Missbrauch geistiger Ge¬ 
tränke P 

Die Geschichte des Alkoholismus zeigt, dass man zu allen Zeiten und bei allen 
Völkern wegen der mit dem Missbrauch geistiger Getränke verbundenen Gefahren in 
gesundheitlicher und socialer Beziehung nach Mitteln und Wegen gesucht hat, dem 
Missbrauch geistiger Getränke vorzubeugen. In diesem Kampf gegen den Alkoholismus 
sind die Aerzte nicht die letzten gewesen; unter ihnen war es besonders der ver¬ 
storbene Bonner Psychiater Werner Nasse, der 1876 im Verein der deutschen 
Irrenärzte zu Hamburg in seinem Vortrage: „Wie können die deutschen Irrenärzte 
zur Beseitigung des Schadens, den der Alkoholmissbrauch in unserem Volke anrichtet, 
mit wirken?“ auf die erschreckendste Zunahme der alkoholistischen Geistesstörungen 
hin wies und die deutschen Aerzte mit beweglichen Worten zum Kampf gegen den 
Alkoholismus, dies grösste Uebel der menschlichen Gesellschaft, aufrief. Das an¬ 
genommene Thema liess er nicht mehr fallen, und gelang es seinen unausgesetzten 
Bemühungen endlich, im Jahre 1883 den deutschen Verein gegen den Missbrauch 
geistiger Getränke ins Leben zu rufen. Derselbe zählt zur Zeit ungefähr 10000 Mit¬ 
glieder, unter denen sich jedoch verhältnissmässig wenig Aerzte befinden. Dies ist 
um so mehr zu bedauern, da sie in erster Linie die verwüstenden Wirkungen des 
Alkoholismus kennen lernen und vermöge ihrer Wissenschaft, in ihrem Berufe und 
in ihrer gesellschaftlichen Stellung nicht nur dazu berufen, sondern auch in der Lage 
sind, dem socialen und gesundheitlichen Elend, welches der Missbrauch geistiger 
Getränke nach sich zieht, zu steuern. Es ist daher Pflicht der Aerzte, wenn sie 
etwa die Ausgabe von 3 Mark, um Mitglied des Vereins zu werden, scheuen, wenig¬ 
stens die Bestrebungen des Vereins thatkräftig zu unterstützen. Das können sie 
einmal dadurch thun, dass sie nicht nur im eigenen häuslichen Kreise, sondern auch 
in der Gesellschaft ein gutes Beispiel der Nüchternheit und Massigkeit geben, was 
leider heutzutage nicht immer der Fall ist, da manche Aerzte glauben, den Strapazen 
ihres Berufes am besten gewachsen zu sein, wenn sie reichlich geistige Getränke zu 
sich nehmen, und zweitens dadurch, dass sie den alten Schlendrian fahren lassen, 
ihren Kranken nicht mehr die grossen Mengen geistiger Getränke verordnen oder 
gestatten, weil nach Erfahrung des Vortr. nicht selten auf solche Weise die Kranken 
dem Alkoholismus in die Arme geführt werden. 

An der Discnssion betheiligten sich die Herren v. Muralt (Zürich), Bayer¬ 
thal (Worms), Steiner (Köln), Leppmann (Berlin), Oebecke (Bonn), Schäfer 
(Leugerich)’. 

v. Mnralt und Bayerthal treten für totale Abstinenz ein, da sich der Begriff 
der Mässigkeit wissenschaftlich nicht definiren lasse und nur die totale Abstinenz 
Erfolge gegen das Trinkerelend erziele. 

Die anderen Herren stimmen ihnen darin bei, dass Kinder keinen Alkohol be¬ 
kommen sollen, dass Trinker nur durch totale Abstinenz zu heilen sind, wenden sich 
aber entschieden gegen die Forderung der Abstinenzler: „weg mit dem Alkohol auch 


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für Gesunde“ als weit über das Ziel hinausschiessend, da der Alkohol za den Lebens- 
reizen gehöre, und sein massiger Genuss dem Gesunden nichts schade. 

ln seinem Schlusswort schliesst sich Herr Schmitz diesen Ausführungen an. 
definirt den Begriff der Massigkeit dahin, dass jemand, der nur solche Quantitäten 
geistiger Getränke zu sich nehme, bei und nach deren Genuss er sich wohl fühle, 
mässig zu nennen sei und betont gegenüber y. Muralt und Bayerthal, dass der 
deutsche Verein gegen den Missbrauch geistiger Getränke in den letzten Jahren 
grosse Erfolge erzielt habe. 

Steiner (Köln): Ueber einige besondere Fälle von Himabscess mit 
Seotion8befünd. 

Vortr. giebt die Krankengeschichten und Sectionsbefunde dreier von ihm beo¬ 
bachteter Fälle von Gehiraabscess und knüpft daran epikritische Bemerkungen. 

Die betreffenden Fälle sind: 

I. Sch., Schlosser, 24 Jahre, Vater f an Phthise, er selbst vor einem Jahre an 
Lungencatarrh gelitten, es wurde am 13. Mai bei der Arbeit plötzlich die rechte Hand 
lahm. Bei der Aufnahme ins Hospital am 14. Mai klagte er über heftige Kopfschmerzen 
und Mattigkeit in den Gliedern. Die Untersuchung ergab: rechtsseitige Hemiparese 
incl. des Mundfacialis, Steigerung beider Patellarreflexe, Fussclonus rechterseits. 
Puls etwas unregelmässig 60—70 p. M., Temperatur 37,9°. Uebrige Befund normal. 
Diagnose trotz des negativen Lungenbefundes mit Rücksicht auf die Anamnese: Em¬ 
bolus an der klassischen Stelle des Gehirns, herrührend aus einem in der Tiefe 
sitzenden Lungenherd, ln der Folge allmählich Rückgang der Erscheinungen; im 
Juni die Kopfschmerzen vollkommen, die Hemiparese bis auf eine ganz geringe 
Schwäche geschwunden. 26. Juni Wiederauftreten der Kopfschmerzen; 28. Juni 
morgens, todt im Bett gefunden. 

Bei der Section fand sich im Gehirn eine das ganze hintere Drittel der linken 
Hemisphäre einnehmende Höhle mit klarem, dünnflüssigem, nicht riechendem Eiter; 
in der rechten Lunge ein etwa kirschgrosser Eiterherd, in seiner Nachbarschaft 
eine alte Narbe und sonst nichts Pathologisches. 

II. Frau S., 50 Jahre alt, keine Erblichkeit, 1894 Fall auf den Hinterkopf, seit 
Mitte November 1896 intensive Kopfschmerzen. Ende November linksseitige Hemi¬ 
parese incl. des Mundfacialis. Rauschen im Kopf, Glockengeläute im rechten Ohr, 
ab und zu Erbrechen. 

Erste Untersuchung durch Vortr. am 9. December 1896: Starke Kopfschmerzen, 
rechts mehr wie links. Druckempfindlichkeit der Höhe des Kopfes, des Nacken, 
beider Occipitalnerven, der Rückenwirbelsäule zwischen den Schulterblättern und des 
Kreuzes. Linksseitige Hemiparese, im übrigen normaler Befund. Diagnose mit 
Rücksicht auf den Fall vor 2 Jahren: Hirnabscess in der Gegend der inneren Kapsel. 
Daneben bestand zugleich Hysterie. Im Hospital schneller Nachlass der Beschwerden, 
so dass Pat. kurz vor Weihnachten entlassen werden konnte. Bei einer Untersuchung 
am 11. Februar 1897 war von allen Erscheinungen nur noch eine unbedeutende 
Schwäche links vorhanden. Diagnose: Hysterie, kein Abscess. 

3 Wochen darauf Fractur des linken Oberschenkels. Als Vortr. sie 14 Tage 
später sah, waren die heftigen Kopfschmerzen und das Erbrechen wiedergekehrt. 
Der linke Arm stand in Beugecontractur, ab und zu Incontinentia urinae. Puls 120. 
Keine Temperatursteigerung. Pat. lamentirte sehr viel. Diagnose: Organische 
Affection des Gehirns, wahrscheinlich Abscess. 

In der nächsten Woche kam Incontinentia alvi hinzu. Von Anfang April an 
wurde Pat. ruhiger, lamentirte nicht mehr so viel und gab auf Fragen nicht immer 
Antwort. Ende April doppelseitige Stauungspapille, Puls 152, ziemliche Apathie. 

Unter Zunahme aller Erscheinungen Exitus Ende Juni. Die Section, die sich 
auf den Kopf beschränken musste, ergab, dass das hintere Drittel der rechten Hirn- 


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hemisphäre in eine schmierige, käsige Masse verwandelt war, in deren vorderem, 
inneren Winkel sich ein vollkommen rnnder, braunrother, harter, kirschgrosser Körper 
mit eitrigem Inhalt fand. 

III. S., Fostnnterbeamter, 33 Jahre alt. Ende October Ohrenschmerzen und 
Schwerhörigkeit auf dem linken Ohr, kein Ausfluss. Nach Paracentese des Trommel* 
felis schwanden die Schmerzen, aber nicht die Schwerhörigkeit. Am 3. December 
intensive Kopfschmerzen, an den folgenden Tagen ausserdem Gefühl von Benommen¬ 
heit, Schwindel und Erbrechen. Bei der Aufnahme ins Hospital am 7. December 
leicht benommen, starke rechtsseitige Kopfschmerzen. Abgesehen von schwacher 
Pupill<enreaction fiel die Untersuchung, auch die des linken Ohres und Warzen¬ 
fortsatzes, sowie eine Lumbalpunction am 12. December absolut negativ aus. Am 
13. December Nystagmus, Parese des linken Armes und Beines — die Parese war eine 
Schwäche und zugleich eine Ataxie —, Patellarreflex beiderseits schwach. An einem 
der nächsten Tage linke Papille > als rechts, Strabismus convergens links. Am 
24. December plötzlicher Exitus. Bei der Section fand sich ein Abscess, der die 
ganze linke Kleinhirnhemisphäre einnahm; ferner ein Thrombus im linken Sinus 
transversus and ganz leichte Caries des linken Felsenbeins. 

Discussion: 

Herr Nonne (Hamburg) berichtet über zwei interessante Fälle von Hirntumor. 

I. Bei einer jungen Frau mit doppelseitiger Otorrhoe traten cerebrale Allgemein¬ 
symptome auf. Da der linke Warzenfortsatz druckempfindlich war, wurde er eröffnet, 
aber weder hier, noch in dem sodann aufgemeisselten rechten Warzenfortsatz Eiter 
gefunden. Unter Zunahme der Allgemeinsymptome in den nächsten 3 Tagen rechts¬ 
seitige Convulsionen mit nachfolgender Hemiparese. Trepanation auf den linken 
Temporallappen gerichtet. Probepunction ergab nur Hydrocephalus internus. Exitus 
eine Woche nach der Operation. Sectionsbefund: Doppelseitige eitrige Otitis media, 
h&hnereigrosser Tumor (Gliosarcom) dicht nach aussen von der linken inneren Kapsel, 
nirgends Meningitis oder Abscess. 

II. In dem zweiten Falle trat in vollem Wohlsein plötzlich eine typische rechts¬ 
seitige apoplectische Hemiplegie mit leichter atactischer Aphasie ein. Rückgang 
aller Erscheinungen bis auf unbedeutende Reste. Nach einigen Wochen neue apo¬ 
plectische Attaque, Exitus. Niemals Stauungspapille, ganz kurz vor dem Tode 
leichte Pulsverlangsamung. Sectionsbefund: Weicher Tumor im linken Frontallappen. 

Herr Oestreicher (Nieder-Schönhausen) fragt Vortr., ob in Fall II der Inhalt 
des kirschgrossen Abscesses auf Tuberkelbacillen untersucht sei. 

Herr Steiner erwidert, dass dies aus äusseren Gründen nicht möglich ge¬ 
wesen sei. 

Herr Orth mann (Grafenberg): Ueber Geistesstörungen bei Arteriosklerose. 

Vortr. schildert und bespricht zunächst die von Voisin, Fürstner, Bins- 
wanger, Alzheimer, Beyer bei Arteriosklerose beobachteten psychischen Krank- 
hoitsbilder, die auch ihm nicht selten zu Gesicht gekommen sind. Während es sich 
aber in den von ihnen veröffentlichten Fällen um Leute, die im reifen Alter, an der 
Grenze des Greisenalters, oder im Greisenalter selbst standen, bandelte, hatte Vortr. 
mehrfach Gelegenheit eine durch Arteriosklerose hervorgerufene Geistesstörung bei 
Individuen Ende der zwanziger und Anfang der dreissiger Jahre zu beobachten. Der 
Verlauf in seinen Fällen war folgender: 

Nachdem kürzere oder längere Zeit Kopfschmerzen, Kopfdrnck, Neigung zu 
Schwindel, Gefühl von Beklemmung in der Herzgegend, Herzklopfen, Frieren und 
fliegende Hitzeerscheinungen, die seitens der Angehörigen bei Erhebung der Anam¬ 
nese als schleichendes Nerven- oder Wecbselfieber bezeichnet wurden, vorangegangen 
sind, treten plötzlich Erregungszustände ein, in denen die Kranken unter den Zeichen 
grosser Angst laut schreiend umherlaufen, sich mit den Fäusten gegen den Kopf 

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schlagen, die Haare raufen, mit dem Kopf gegen die Wand rennen, sich auf der 
Erde herumwälzen, in den Boden zu heissen versuchen u. s. w., Selbstmordversuche 
machen, gewaltthätig gegen ihre Umgebung werden, Oberhaupt das Bild vollkommener 
Verworrenheit nnd Desorientirung bieten. Das Gesicht ist stark geröthet, mit 
klebrigem Schweiss bedeckt, die Herzthätigkeit colossal gesteigert, der erste Mitralton 
nicht selten unrein, der Puls sehr beschleunigt, bis zu 140 Schlügen in der Minute, 
in jeder Beziehung unregelmässig, manchmal nicht zählbar. Dieser Zustand geht 
das erste Mal gewöhnlich ziemlich schnell vorüber, die Herzthätigkeit beruhigt sich, 
der Puls wird regelmässig, die motorische Unruhe lässt nach, die Angst schwindet 
und das Bewusstsein kehrt zurflck. Für das, was sie während eines derartigen An¬ 
falles gemacht, haben die Kranken nur eine summarische Erinnerung. Entstehung 
und Verlauf schildern intelligentere Kranke etwa folgendermaassen: Mitten in ihrer 
Thätigkeit sei plötzlich — manchmal unter Frieren — ein Gefühl von grosser Be¬ 
klemmung in der Herzgrube aufgetreten — häufig mit heftigem, stechendem Schmerz 
an der gleichen Stelle verbunden —, ein GefOhl, als ob das Herz aufhöre au 
schlagen und sie im nächsten Augenblick sterben müssten. Dann habe sie eine 
furchtbare Angst überfallen, die sich gar nicht beschreiben lasse, dass sie nicht ans 
noch ein gewusst. Dazu seien massenhafte Gehörstäuschungen schreckhaften Inhalts 
gekommen; schliesslich seien sie ganz verwirrt geworden und hätten nicht mehr ge¬ 
wusst, was sie gethan. Allmählich habe dann die Angst nachgelassen, die Stimmen 
seien weniger geworden und schliesslich ganz ausgeblieben. Nach Bückkehr des 
Bewusstseins sei es ihnen gewesen, als ob sie ans einem wüsten Traum aufgewacht 
seien und hätten sich an allen Gliedern wie zerschlagen gefühlt 

Bei der körperlichen Untersuchung dieser Kranken fand Vortr. beginnenden 
Arcus corneae, geschlängelte Temporalarterien, einen harten, gespannten Puls, starr- 
wandige Cubitalarterien, die Herztöne sind rein, die zweiten klappend, mit metallischem 
Anklang, der Spitzenstoss hebend. 

Derartige Anfälle kehrten nun in kürzeren oder längeren Zwischenräumen, in 
denen die Kranken bei klarem Bewusstsein waren, wieder, die damit verbundene Be¬ 
wusstseinsstörung hielt immer länger an und schliesslich entwickelte sich entweder 
ein paranoischer Zustand mit massenhaften Hallucinationen und mit vorwiegend Ver- 
folgungsideeen, oder es resultirte ein geistiger Schwächezustand. 

Die geschilderte Form der Geistesstörung zeigt grosse Uebereinstimmung mit 
der von Fürstner beschriebenen, durch Arteriosklerose bedingten Geistesstörung des 
Seniums, nur dass bei ihr die Prognose absolut ungünstig war, während von den 
Fürstner’schen Kranken über 50°/ o genasen, und ist Vortr. der Ansicht, dass sie 
durch die bestehende Arteriosklerose bedingt und für sie charakteristisch ist. Er 
weist dann noch kurz auf die gerichtsärztliche Bedeutung der geschilderten Anfälle 
hin, da er es nicht für ausgeschlossen hält, dass sie auch isolirt bleiben können, 
wenn bal4 genügende Compensation seitens des Herzens eintritt und spricht die 
Vermuthung aus, dass eine nicht geringe Zahl der als Mania oder Melancholie 
transitoria beschriebenen Fälle wohl hierhin gehören. Orthmann (Grafenberg). 


IV. Personalien. 

Herr Prof. Dr. Obereteiner in Wien wurde zum ordentlichen Professor für Physio¬ 
logie nnd Pathologie des Centralnervensystems ernannt. 

Unser verehrter Mitarbeiter Herr Dr. Samuel (Stettin) hat die Leitung der Wasser¬ 
heilanstalt Eckerberg bei Stettin übernommen. 

Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten. 

Einsendungen für die Redaction sind zu richten an Prof. Dr. E. Mendel, 

Berlin, NW. Schiffbauerdamm 18 . 

Verlag von Vkit & Comp, in Leipzig. — Druck von Minen & Wime in Leipzig. 

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Neurologisches Centralblatt. 

Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie 
und Therapie des Nervensystems einschliesslich der Geisteskrankheiten. 


Siebzehnter 


Her&osgegeben von 

Professor Dr. E. Mendel 

n Berlin. 


Jahrgang. 


Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 24 Mark. Zn beziehen durch 
alle Buchhandlungen des In* und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Beichs, sowie 

direct von der Verlagsbuchhandlung. 


1898. 1. December. Nr. 23. 


Inhalt: I. Originalmitthellungen. 1. Der Alkohol in Irrenanstalten, von Dr. Hugo 
Hoppe (Allenberg). 2. Ein Beitrag zur Kenntniss der Bernhardt’schen Sensibilitätsstörung, 
von Dr. Mlecislaus von Nartowski, Nervenarzt in Krakau. 

II. Referate. Anatomie. 1. A new Nissl Method, by Lord. 2. Zar Anatomie und 
Physiologie des Phrenicnskerns, von Kohnstamm. — Experimentelle Physiologie. 
3. Beiträge znr Physiologie des Centralnervensystems. I. Die sogenannte Hypnose der 
Thiere, von Verworn. — Pathologische Anatomie. 4. Contributions to the study of 
Borne of the afferent and efferent tracts in the spinal cord, by Rüssel. 5. Unilateral des- 
cending atrophy of the fillet, arciform fibres and posterior column nnclei resulting froin an 
experimental lesion in the monkey, by Mott. 6. The cerebral cortical cell ander the inflaence 
of poisonoas doses of potassii bromidum, by Wright. 7. The morbid anatomy in a case of 
lead paralysis; condition of the nerves, muscles, muscle spindles and spinal cord, by Laslett 
and Warrlngton. 8 . Les malformations cräniennes chez les herödo-syphilitiques, par Fournier. — 
Pathologie des Nervensystems. 9. Beitrag zur sogenannten Pseudoparalysis hereditär- 
syphilitischer Säuglinge, von Zappert. 10. Cerebral syphilis with wide spread involvment 
oi the cranial nerves, by Preston. 11. Lagophthalmus im Schlafe bei vollständigem Lid- 
schlosse im wachen Zustande als Theilbefund multipler Hirnhervenlähmung m Folge 
luetischer Basalmeningitis, von Hanke. 12. Contributo allo studio clinico ed anatomico della 
meningite sifilitica cerebro-spinale, per Giannuli. 13. lieber die Beziehungen der Olykosurie 
und des Diabetes mellitus zur Syphilis, von Manchot. 14. Zur Lehre von der syphilitischen 
Spinalparalyse (Erb), von Pick. 15. Over syphilitische spinaalparalyse, door Muskeus. 
16. Neurosen in Folge von Syphilis, von Dornblüth. 17. Ueber die chirurgische Behandlung 
der Hirnsyphilis, von Friedlinder und Schlesinger. 18. Osservazioni cliniche tendenti a 
dimonstrare Tesistenza di fibre associative tra il nervo facciale e il nervo oculo-motore comune 
del medesimo lato, per Negro. 19. An nnnsual form of facial paralysis, by Melsome. 
20. Diplegia facialis, per Sudnlk. 21. Herpes zoster mit gleichzeitiger Facialislähmung, von 
6ra$smann. 22. Un cas de paralysie faciale peripherique dite rhnmatismale ou „a frigore“ 
suivi d’autopsie, par Dijdrine et Theohari. 23. Interpretation d’un phenomene recemment 
döcrit dans la paralysie faciale peripherique, par Campos. 24. Das Ch. Bell’sche Phänomen 
bei peripherischer Facialislähmung, von Bernhardt. 25. Ist das sogen. Bell’sche Phänomen 
ein für die Lähmung des N. facialis pathognomonisches Symptom? von Köster. 26. Ueber 
Sensibilitätsstöningen bei rheumatischer Facialislähmung, von Adler. 27. Klinische Studien 
über die Geschmackslähmungen durch Zerstörung der Chorda tympani und des Plexus 
tympanicus, von Schllchting. — Psychiatrie. 28. Die Onanie im Kindesalter, von 
Schmuckler. 29. Das Wesen der Paranoia-Verrücktheit, von Bresler. 

III. Aus den Gesellschaften. Berliner Gesellschaft für Psychiatrie und Nervenkrank¬ 
heiten. — IV. Versammlung mitteldeutscher Psychiater und Neurologen in Dresden am 
22. und 23. October 1898. 


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I. Originalmittheilongen. 


1. Der Alkohol in Irrenanstalten. 1 

Von Dr. Hugo Hoppe (Allenberg). 

Der Alkohol gehört seiner Wirkung nach eigentlich zn den Narkoticis und 
wird in manchen Anstalten anoh als solches verwendet Ich habe über den 
Alkohol als Schlafmittel keine Erfahrungen. Wenn er in dieser Beziehung and 
bei gewissen melancholischen Zuständen einen Werth besitzt, was ich durchaus 
nicht bestreiten will, so gehört er ebenso wie in seiner Eigenschaft als Analep- 
ticum in die Anstaltsapotheke. Ich will aber über den Werth des Alkohols 
als Heilmittel hier nicht reden. Ich will hier nur die Frage erörtern: Hat der 
Alkohol als tägliches Genussmittel für Geisteskranke eine Berechtigung? Ist 
derselbe hier als solches zweckmässig oder gar nothwendig? Man mag die 
Zweckmässigkeit and Unentbehrlichkeit des Alkohols als tägliches Genussmittel 
für normale Menschen zageben. Gilt das dann in derselben Weise auch für 
die Insassen der Irrenanstalten? 

Sehen wir uns einmal die Kategorieen von Kranken, welche unsere Irren¬ 
anstalten bevölkern, genauer an. Da bilden, wenigstens unter den männlichen 
Kranken, die hier vorzugsweise in Betracht kommen, die Trinker einen ganz erheb¬ 
lichen Procentsatz. Nach den Veröffentlichungen des Kaiserl. Gesundheitsamtes 
litten von 82068 Geisteskranken, die von 1886—1889 in öffentliche und private 
prenssische Irrenanstalten kamen, 3631 = 11 °/ 0 allein an Del. trem. (1895 sogar 
12,6°/ 0 ), and von allen den Geistesstörungen bei Männern, bei denen überhaupt 
eine Krankheitsursache ermittelt werden konnte, bildeten die durch Alkohol¬ 
missbrauch entstandenen 1886: 34%, 1887: 36% und 1880:40%. Besonders 
gross ist die Procentzahl der Trinker in den städtischen Anstalten. In der 
Königl. Charitö zu Berlin wurden von 1889—1891: 4784 Geisteskranke än- 
geliefert, von denen 2660 = 45% durch Trunk erkrankt waren. 1893 hatte 
die Stadt Berlin 4398 Geisteskranke in Anstalten untergebracht, darunter waren 
gegen 50% notorische Trinker. 1895—96 bildeten in Herzberge die Trinker 
46,4 % der männlichen Aufnahmen. In der städtischen Irrenanstalt zu Dresden 
litten 1892: 32,4%, 1893: 32% und 1894: 30,4% der Männer an Trinker- 
psychosen, und unter 1900 von 1889—1894 verpflegten geisteskranken Männern 
litten 500 = 26,3% an Geistesstörungen, die lediglich durch Trunk bedingt 
waren. Bechnet man aber auch die Fälle, welche die Trunksucht im Verein 
mit anderen Einflüssen die Geisteskrankheit nachweislich verursacht haben, so 
kommen im Jahre 1894 bei den Männern 56,2% und bei den Frauen 14,7% 


1 Nach einem Vortrage auf der Jahresversammlung des Vereins deutscher Irrenärzte 
zu Hannover am 19. September 1897. 




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auf Rechnung des Alkohols. — Aber auch in den ländlichen Anstalten ist die 
Anzahl der Trinker noch immer gross genug. In Uckermünde zählte Knecht 
von 1890—1895 unter 279 Männeraufnahmen 77 = 27,6°/ 0 , bei denen Trunk¬ 
sucht die Krankheitsursache war. Stark fand in Stephansfeld 29,4°/ 0 Potatoren 
unter den aufgenommenen Männern. In Alt-Scherbitz war 1896 der Trunk bei 
24,8°/o der Männer die Ursache der Geistesstörung, in Hildesheim 1895—96 
bei 20°/ o , in Neustadt W./Pr. in demselben Jahre bei 20,5 °/ 0 . Nach meinen 
Berechnungen bilden die Potatoren in Allenberg ca. 35% der geisteskranken 
Männer. Vom 1. Januar bis Ende August 1897 waren unter 62 Männern, die 
zur Aufnahme kamen, nicht weniger als 31, also genau die Hälfte, Gewohn¬ 
heitstrinker. 1 Für ganz Deutschland berechnen Stark sowie Jolly die Zahl der 
durch Trunk geisteskrank gewordenen Männer im Durchschnitt auf 25%, und 
es ist sicher eher zu niedrig als zu hoch gegriffen, wenn man annimmt, dass 
die Potatoren den vierten Theil der männlichen Anstaltsinsassen bilden. Im All¬ 
gemeinen sind jetzt wohl Alle darüber einig, dass Trinker nur durch völlige 
Abstinenz geheilt werden können, und dass bei den in Folge des Trunkes geistes¬ 
krank gewordenen Irren die völlige Entziehung des krank machenden Agens, 
des Alkohols, den obersten Grundsatz der Behandlung bilden muss. So lange 
sie in der Anstalt sind, müssen sie abstinent leben, und es ist ärztliche Pflicht, 
wenigstens den Versuch zu machen, sie dadurch zu dauernder Abstinenz zu 
erziehen. Der vierte Theil unserer männlichen Anstaltsinsassen muss also vom 
Alkohol fern gehalten werden, weil sie durch Alkohol krank geworden sind. 


Dazu kommen aber noch mehrere andere Krankenkategorieen, für die er- 
fahrungsgemäss der Alkohol durchaus schädlich ist Dahin gehören in erster 
Linie die Epileptiker. 2 Nach den in dem Jahresbericht der Irrenanstalt Neu¬ 
stadt in Westpr. angegebenen Daten über die Jahre 1883—1896 bildeten die 
männlichen Epileptiker 7,8 % aller Männeraufnahmen (bei den Frauen etwas 
weniger, 7,6%). In Allenberg bilden die Epileptiker augenblicklich 7% des 
Bestandes. In Herzberge waren 1895—96 unter den männlichen Aufnahmen 
9,2% Epileptiker. Nach der im Jahre 1891 erschienenen amtlichen Statistik 
über die preussischen Irrenanstalten berechnet sich in denselben die Procentzahl 
der männlichen Epileptiker in den Jahren 1880—1888 auf 10—11% des Be¬ 
standes und auf 7—8% des Zuganges; 1895 betrug sie 9,7% des Zuganges. 
Man wird also annehmen dürfen, dass die Epileptiker im Durchschnitt ungefähr 
10% der Anstaltsinsassen bilden. 


1 Im ganzen Jahre 1897 wurden 107 Männer aufgenommen, von diesen waren 49=45,8°/ 0 
Potatoren. Im Jahre 1896 waren unter 134 Männer-Aufnahmen 48=85,8°/ 0 Potatoren, Als 
lediglich durch Trunk bedingt mussten 18°/ 0 der Geistesstörungen gelten. 

1 cf. Kraepeun, Psychiatrie. 5. Aufl. 1896. S. 726: Von ganz besonderer Wichtig¬ 
keit ist die dauernde und vollständige Enthaltsamkeit gegenüber dem Alkohol 
auch in jenen Fällen, in denen es Bich nicht um eine eigentliche Alkoholepilepsie handelt 
Jeder Epileptiker ist in höherem oder geringerem Grade intolerant gegen Alkohol und ist, 
wie ich glauben muss, dazu disponirt, durch denselben in schwerere geistige Störung zu 
verfallen, sich selbst und Anderen in höherem Grade gefährlich zu werden. 


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Der ungünstige Einfluss alkoholischer Getränke auf eine weitere grosse 
Krankengruppe, die Paralytiker, dürfte ebenfalls allgemein anerkannt sein. Man 
macht fortwährend die Erfahrung, dass Paralytiker keine Alcoholica vertragen, 
und dass oft schon nach ganz geringen Alkoholmengen Congestionen, Schwindel¬ 
anfälle, stärkere Sprachstörungen und Ataxien ein treten. In Allenberg bilden 
die Paralytiker bei den Männern augenblicklich lü°/ 0 des Bestandes, in Neu¬ 
stadt bildeten sie 1893—96 22,3 °/ 0 des Zuganges, in Herzberge 1895—96 
16,1 °/ 0 des Zuganges und 16 °/ 0 des Bestandes, in allen preussischen Irren¬ 
anstalten in den Jahren von 1880—88 in steigender Progression 15—19 % 
des Zuganges und 7—8% des Bestandes. Nach der preussischen Statistik für 
das Jahr 1895 waren 18,4 °/ 0 der Männeraufnahmen Paralytiker. Nimmt man 
dazu die sowohl in anderen Beziehungen als auch hinsichtlich der Resistenz 
gegen Alkohol in dieselbe Categorie gehörigen Fälle mit organischen Hirnleiden, 
Hirntumoren, Hirnlues, senilen Hirnveränderungen, so kann man im Durchschnitt 
mindestens 15% auf diese Kranken rechnen. 

Idiotie und Imbecillität wird man, meine ich, auch für Krankheitsformen 
erachten, bei denen Alcoholica wenig angebracht sind; Imbecille namentlich 
vertragen alkoholische Getränke gewöhnlich sehr schlecht In Neustadt bildete 
diese Categorie 1883—96 10% des Zuganges, in Herzberge April 1896 14% 
und April 1896 13% des Bestandes, nach der preussisohen Statistik in den 
preussischen Irrenanstalten von 1880—88 13,3% des Bestandes und 9 % des 
Zuganges, 1895 11,1 % des Zuganges (bei den Frauen 10%). Man wird daher 
wohl im Durchschnitt 13% für diese Gruppe rechnen können. 

Wenn ich ganz von den tobsüchtig erregten und verwirrten Kranken ab¬ 
sehe, bei denen man doch sicher Alkohol für nicht indidrt halten wird, sonst 
schliesslich noch die Gruppe der Periodiker zu erwähnen, welche wenigstens nach 
meinen Erfahrungen gegen Alcoholica wenig tolerant sind. Oft genug schliesst 
sich bei diesen Kranken ein Anfall direct an einen kleinen Excess. So habe ich 
bei einem Periodicus, der viele Jahre lang von Anfallen verschont geblieben war, 
auf das Stiftungsfest, bei dem er viel Bier getrunken hatte, einen heftigen Er¬ 
regungsanfall folgen sehen, der sich seitdem alle Jahre 2 oder 3 Mal wiederholt 
hat Ueber die Zahl der Periodiker findet sich leider in den Anstaltsberichten 
und sonst wenig verwerthbares Material. In Allenberg beträgt augenblicklich 
die Zahl der Periodiker bei den Männern 4,5 %. Wir haben aber schon viel mehr 
gehabt. Im Durchschnitt wird man wohl die Zahl mindestens auf 5% veran¬ 
schlagen dürfen. 

Von den letzten Categorieen, den Epilektikem, Paralytikern, Idioten and 
Periodikern, die zusammen ungefähr 43 % der Kranken bilden, rechne ich aber 
noch 10% ab, da ich annehmen will, dass der vierte Theil von ihnen zu den 
Trinkern gehört und bei denselben bereits in Rechnung gekommen ist Wir 
hätten mit den 25% der Alkoholiker zusammen also mindestens 56% oder die 
grössere Hälfte unter den männlichen Kranken, welche keine alkoholischen Ge¬ 
tränke gemessen dürfen. (Bei den Frauen dürfte sich die Zahl um 20—25 % 
ermässigen, da Alkoholiker und Paralytiker unter ihnen selten sind.) Ob der 

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Alkohol den übrigen 44%, welche sich vorzugsweise aus Paranoikern und 
chronisch verwirrten Kranken zusammensetzen, dienlioh ist, will ich dahingestellt 
sein lassen. Aber angenommen selbst, dass er für alle diese harmlos und un¬ 
schädlich ist — wird man es als zweckmässig bezeichnen können, in Irren¬ 
anstalten der kleineren Hälfte wegen den Alkohol als regelmässiges Genussmittel 
zu verabreichen, oder dürfte es nicht rationeller sein, der grösseren Hälfte wegen, - 
die keine Alcoholica bekommen darf, dieselben vollständig aus den Irrenanstalten 
zu verbannen? Und muss dies nicht schon der 25% Alkoholiker wegen ge¬ 
schehen, die in der Anstalt zur Abstinenz erzogen werden sollen? Dass aber 
an eine strenge Durchführung der Abstinenz nicht zu denken ist, wenn der 
Trinker mitten unter Kranken lebt, welche täglich ihre alkoholischen Getränke 
bekommen, liegt klar auf der Hand, und darüber wird sich auch Niemand einer 
Hlusion hingeben. In dem letzten Jahresbericht von Wuhlgarten bei Berlin 
heisst es: „Ein massiger Genuss ist selbst in der Anstalt nicht zu gewährleisten. 
Trotz der peinlichsten Aufsicht war es immerhin einzelnen Kranken, so lange 
Bier zur Beköstigung gewährt wurde, möglich, durch Zusammentragen und 
Tauschgeschäfte sich reichlichere Mengen als die jedem Einzelnen zugeschriebenen 
zu verschaffen; ja selbst das Wartepersonal missbrauchte sein ihm gewährtes Bier 
zur Belohnung für Dienstleistungen an Kranke, und dadurch wurde manche 
Verschlechterung im Befinden letzterer hervorgerufen und befördert" 

Nun hat man in einzelnen Irrenanstalten in neuerer Zeit zu dem Ausweg 
gegriffen, besondere Trinkerabtheilungen einzurichten, von welchen alle alkoho¬ 
lischen Getränke ferngehalten werden. Dass auch das Wartepersonal auf solchen 
Abtheilungen dann abstinent leben muss, ist selbstverständlich. Wie Möli in 
seiner Broschüre: „Die Irrenanstalt Herzberge" berichtet, hat er in Herzberge 
zwei solcher Häuser für Trinker eingerichtet, die in Kranken und Personal ab¬ 
stinent gehalten werden. Mir will es jedoch nicht besonders zweckmässig 
scheinen, die Trinker, welche zum grossen Theil aus den degenerirtesten und 
unangenehmsten Elementen bestehen, alle auf eine Abtheilung zusammenzulegen 
(ganz abgesehen davon, dass man dieselben bei Erregungszuständen doch wieder 
auf andere Abtheilungen bringen muss). Bei der Unverträglichkeit, Unzufrieden¬ 
heit und Nörgelsucht der Trinker, bei ihrer Neigung zum Räsonniren, Hetzen, 
Intriguiren und Komplottiren kommt mir die Anhäufung der Trinker auf ein oder 
zwei grossen Abtheilungen bedenklich vor. Mir wenigstens hat sich die mög¬ 
lichste Auseinanderlegung gewisser Elemente unter den Trinkern als eine Noth- 
wendigkeit erwiesen. Bei den meisten Irrenanstalten kommt noch dazu, dass 
sie mehrere Klassen von Kranken verpflegen. Es müssten also für die Pensionäre 
und für die Kranken der gewöhnlichen Stände besondere Trinkerabtheilungen 
eingerichtet werden, und dieser Abtheilungen müsste es für jeden der beiden 
Stände mehrere geben, um eine genügende Sonderung der Elemente wie bei den 
übrigen Geisteskranken zu ermöglichen. 

Aber selbst, wenn man über solche Trinkerabtheilungen verfügt, so ist 
damit doch nicht die gänzliche Abstinenz der in denselben untergebrachten 
Trinker gewährleistet, da sieh, wie die Verhältnisse in den Irrenanstalten liegen, 

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eine vollkommene Abschliessung derselben von den übrigen Kranken der Anstalt 
nicht durchfuhren lässt Bei den mannigfaltigen Arbeiten kommen die Kranken 
aller Categorieen doch überall zusammen. Nun nehmen manche Kranke ihr 
Frühstücksbier mit in die Werkstätten, die Handwerksmeister trinken auch ihr 
Bier bei der Arbeit Bei den Feldarbeiten wird den Kranken in Allenberg 
sogar während der Erntezeit das Bier hinaus aufs Feld gebracht Wie kann 
man da die Trinker vom Bier ferahalten, wenn man nicht gerade für dieselben 
besondere Werkstätten mit besonderen abstinenten Werkmeistern einrichtet und 
ihnen bei den Garten- und Feldarbeiten besondere Arbeitsterrains zuweist, wo 
sie unter abstinenten Wärtern arbeiten. Das hiesse aber in der Irrenanstalt 
eine streng gesonderte, womöglich durch einen hohen Zaun abzutrennende 
Trinkeranstalt errichten. 

Den vollen Zweck erfüllen also die Trinkerabtheilungen in Irrenanstalten 
sicher nicht, immerhin nähern sie sich diesem Zwecke. Bei den gewöhnlichen 
Verhältnissen, wo wie in Allenberg die Trinker auf den verschiedensten Ab¬ 
theilungen mit anderen Kranken Zusammenleben, ist an eine Durchführung der 
Abstinenz erst recht nicht zu denken. Ich erstrebe dieselbe wenigstens, indem 
ich den Potatoren Milch statt Bier verschreibe. Kann ich aber verhüten, dass 
dieselben sich nicht Bier, vielleicht auch in grösseren Mengen von ihren Mit¬ 
kranken verschaffen, von denen sie es gegen Lebensmittel, Cigarren oder Ge¬ 
fälligkeiten austau8chen? Dabei habe ich beständig mit der bei jeder Gelegenheit 
sich kundgebenden Unzufriedenheit der Trinker zu kämpfen, dass ihnen das 
Bier entzogen wird, während es alle Kranken um sie herum bekommen. Sie 
sollen gegen die übrigen Kranken zurückgesetzt werden, denen sie sich geistig 
und z. Th. nicht mit Unrecht bedeutend überlegen fühlen; sie, die früher soviel 
getrunken, sollen nicht mehr das Bier vertragen können, das doch den Geistes¬ 
schwachen und den Schwerkranken in ihrer Umgebung gestattet wird! Das 
können die meisten nicht verstehen, soviel man es ihnen auch klarzulegen sucht 
Ebenso bringen die Epileptiker, die Paralytiker und andere Kranke, welche kein 
Bier erhalten, ihren Missmuth und Aerger darüber allenthalben zum Ausdruck. 
Alle sind sie unzufrieden, räsonniren, stellen gelegentlich die Arbeit ein und 
suchen auch andere von der Arbeit zurückzuhalten. 

Besonders fühlbar aber machen sich die Schwierigkeiten bei den Anstel ts- 
festen, wo wenigstens bei den Männern Bier in grösseren Mengen fiiessen muss. 
Dabei kommt es stets, da man die Zügel der Disciplin, um die allgemeine 
Festesfreude nicht zu stören, nicht so straff ziehen will, bei einzelnen Kranken 
zu Excessen. Auch die übrigen trinken meist mehr, als ihnen gut ist, was um 
so bedenklicher ist, als sie an grössere Quantitäten nicht gewöhnt sind. Ich 
habe bereits oben erwähnt, dass bei einem Periodious die Anteile, welche Jahre 
lang ausgeblieben waren, im Anschluss an ein solches Fest wieder einsetzten. 
Bei einem Hallucinanten, welcher schon ziemlich frei von Sinnestäuschungen 
schien und sich bereits fleissig auf der Abtheilung beschäftigte, erfolgte noch am 
Abend des Festtages der Ausbruch eines heftigen, Wochen lang andauernden 
Erregungsanfalles mit massenhaften Sinnestäuschungen und Verfolg ungsideeen. 


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Bei Epileptikern sind epileptische Anfälle oder epileptische Aeqnivalente oft 
genug die Folgen solcher Feste. Wir hatten übrigens früher in Allenberg bei 
den Anstaltsfesten nur für die Pensionäre bayerisches Bier, für die übrigen 
Kranken aber Braunbier verzapft Das gab jedooh stets zu solcher Unzufrieden¬ 
heit und Verstimmung Anlass, dass seit einigen Jahren bei diesen Festen allen 
Kranken bayerisches Bier verabreicht wird, wobei die Gefahr allerdings noch 
grösser ist, da die meisten an das wesentlich schwerere Bier nicht gewöhnt sind. 
Es ist ferner, um eine Controle zu haben, einige Male der Versuch gemaoht 
worden, an die Kranken Marken in massiger Anzahl zu vertheilen, welche sie 
sich am Büffet gegen die entsprechende Anzahl von Gläsern Bier Umtauschen 
sollten. Auch das gab zu soviel Reibereien und zu soviel Unzufriedenheit An¬ 
lass, ohne doch den Zweck zu erfüllen (da sich Tauschgeschäfte entwickelten 
und viele Kranke, welche weniger tranken, ihre Marken anderen für Cigarren 
und dergl. abtraten), dass man dieses System der Controle wieder aufgab. In 
dieser Beziehung eine genaue Controle durchzuführen, ist bei dem Festtrubel 
schlechterdings unmöglich, ebenso wie es unmöglich ist, die an dem Feste theil- 
nehmenden Alkoholiker, Epileptiker, Paralytiker u. s. w. vom Trinken ganz fern 
zu halten. Will man bei diesen Kranken die Abstinenz auch bei den Anstalts¬ 
festen durchfuhren, so bleibt entweder nur übrig, denselben die Theilnahme zu 
versagen, was aber, wenn sie sonst geeignet sind und sich das Jahr über fleissig 
beschäftigt haben, für dieselben eine grosse Härte wäre, oder aber, was mir 
naturgemässer und naheliegender scheint, die alkoholischen Getränke ganz von 
den Anstaltsfesten zu verbannen. Dazu müsste schon der oberste Grundsatz 
ärztlichen Handelns: „Nihil nocere“ führen. 

Will man diesen Grundsatz gelten lassen, so muss man aber noch weiter 
gehen, man muss die alkoholischen Getränke überhaupt von der Beköstigungs¬ 
liste der Anstalt streichen. Das ist der einzige Weg, auf welchem alle die 
zahlreichen Schwierigkeiten, die ich Ihnen auseinandergelegt habe, gelöst und mit 
einem Schlage gelöst werden können. So und nur so lässt sich die völlige 
Abstinenz der Trinker und der übrigen Krankencategorieen, welche keine alko¬ 
holischen Getränke bekommen dürfen, durchführen, und am einfachsten 
durchführen, während zugleich ein fortwährender Quell der Unzufriedenheit und 
des Streites damit verstopft wird. Ist man überzeugt, dass für Alkoholiker die 
Abstinenz das oberste Behandlungsprincip bilden muss, so muss man dieselbe 
auch mit allen zu Gebote stehenden Mitteln durchzuführen suchen und dazu ist 
die unumgängliche Vorbedingung, dass alle Alkoholica aus der Umgebung ent¬ 
fernt werden. Nothwendig oder werthvoll sind doch die alkoholischen Getränke 
für Niemanden. Näcke rühmt zwar in seinem Aufsatze: „Der Alkohol in 
Irrenanstalten“ 1 , den erzieherischen Einfluss des Bieres als werthvolle Unter¬ 
stützung der psychischen Therapie, indem dasselbe Fleissigen als Belohnung ge¬ 
geben, Faulen aber entzogen wird. Dabei fügt er ausdrücklich hinzu, dass unter 
Umständen ganz notorische Säufer in Hubertusburg so behandelt werden (auch 


1 Zeitschrift fiir Krankenpflege. 1895. Joni. 


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Epileptikern werden in Hubertusburg anstandslos Alcoholica verabreicht). Was 
die notorischen Säufer betrifft, so will ich mit ihm darüber nicht rechten. Wer 
da glaubt, notorischen Säufern, welche der Missbrauch alkoholischer Getränke in 
die Anstalt geführt hat, solche weiter verabreichen zu dürfen, mit dem ist eben 
in dieser Frage eine Discussion unmöglich, ich meine auch, dass er sich da mit 
der allgemeinen ärztlichen Anschauung in Widerspruch setzt. Was nun den 
erzieherischen Werth des Bieres betrifft, so will ich gar nicht leugnen, dass mau 
damit Kranke psychisch beeinflussen kann. Aber gilt denn dies ausschliesslich 
von alkoholischen Getränken? Ist dieser erzieherische Einfluss nicht in 
gleicher Weise durch jede Zulage, jede Vergünstigung zu erzielen, welche den 
Kranken für Fleiss gewährt und für Faulheit entzogen wird? In Allenberg z. B. 
bekommen die arbeitenden Kranken ausser der Flasche Braunbier viermal 
wöchentlich Butterbrot mit Belag und ausserdem Tabak und Cigarren als Zu¬ 
lagen. Ich gebe, wie gesagt, Potatoren und vielen anderen Kranken Milch statt 
des Braunbieres. Aber es existiren noch manche andere Zulagen, welche ebenso 
erzieherisch wirken würden. Limonaden, Obstsäfte u. dergl. leisten dasselbe. 
(Ich habe Alkoholikern, Epileptikern, Paralytikern zu den Anstaltsfesten Himbeer¬ 
saft in Wasser oder Citronenlimonade geben lassen, was von den meisten auch 
gern getrunken wurde.) Obst wird den Kranken unserer nordischen Anstalten 
viel zu wenig als Zulage verabreicht, in Allenberg bekommen die Kranken Obst 
nur an den Anstaltsfesten. Sicher würde dasselbe von den meisten Kranken 
als angenehme Abwechselung freudig begrüsst werden, und die Frauen besonders 
würden dasselbe gern für das Bier eintauschen, an dessen täglichen Genuss die 
meisten von Hause aus, wenigstens in Norddeutschland, gar nicht gewöhnt sind. 

Für die bedeutenden Summen, die von den Anstalten für Bier ausgegeben 
werden, liesse sich in dieser Beziehung schon ganz Erhebliches leisten, ln 
Allenberg (ca. 750 Kranke) wurden z. B. im Jahre 1896 83,000 Liter Braun¬ 
bier im Werthe von 7250 Mk. und 26,000 Liter bayerisches Bier für 4160 Mk., 
oder im Monat durchschnittlich für 600 Mk. Braunbier und für 350 Mk. baye¬ 
risches Bier consumirt. Dabei ist zu bemerken, dass bayerisches Bier nur den 
Pensionären und den von der Anstalt verpflegten Beamten verabreicht wird. 
Die Pensionäre bekommen täglich eine Flasche, die höheren Subalternbeamten 
täglich zwei Flaschen und die Aerzte täglich drei Flaschen bayerisches Bier zu 
ihrer Beköstigung. Ausserdem giebt es hier, besonders im Sommer, sehr häufig 
zum Abendbrot eine Flasche bayerisches Bier statt der Suppe; von den Kranken 
der dritten Klasse bekommen nur die Arbeiter täglich eine Flasche Braunbier, 
im Sommer die meisten eine zweite statt des Nachmittagscafe’s, die Mäher sogar 
noch als Extrazulage eine dritte, ln den Sommermonaten steigert sich daher 
der Bierverbrauch ganz bedeutend. So wurden im Monat Juli 1897 9744 Liter 
Braunbier im Werthe von 855 Mk. und 2400 Liter bayerisches Bier im Werthe 
von 384 Mk., zusammen für über 1200 Mk. Bier verbraucht 

Einen Nachtheil der Bierverabreichung in Anstalten habe ich noch gar nicht 
erwähnt. Es wird dadurch, wie schon Bleuler hervorgehoben hat, von den 
Anstalten, welche als Wohlthätigkeitsanstalten sonst ihre Leistungen auf das 






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Nothwendigste beschränken, die Gewöhnung der Eranken an den täglichen Ge¬ 
noss eines Genussmittels herbeigeführt, der bei den meisten von Haas aus 
wenigstens in dieser Regelmässigkeit nicht vorhanden ist, und es wird ihnen 
gleichsam von autoritativer Seite die Ueberzeugung eingeimpft, dass alkoholische 
Getränke zum täglichen Leben nothwendig seien. Ob nicht gerade die Irren¬ 
anstalten, die einen nicht unbeträchtlichen Theil ihrer Kranken dieser immer 
mehr sich ausbreitenden Uebeizeugung verdanken, die Pflicht hätten, gegen diese 
Ueberzeugung Front zu machen, anstatt derselben Vorschub zu leisten?! 

Seit Beginn dieses Jahrzehntes hat sich denn auch an den Irrenanstalten 
eine Bewegung gegen die Alcoholica geltend zu machen begonnen, die, wenn 
ich mich nicht täusche, im Zunehmen begriffen ist. Den Anfang haben englische 
Irrenanstalten gemacht Im Jahre 1890 beschloss das Comitö für die vier Irren¬ 
anstalten Londons (welche fast alle ihre eigenen Brauereien hatten) mit zusammen 
7390 Kranken, alle Alcoholica abzuschaffen; die Brauereien wurden abgebrochen 
und die Utensilien verkauft Die 600 Wärter und Wärterinnen bekommen statt 
des früher verabreichten Bieres eine Geldentschädigung (die Wärter 60, die 
Wärterinnen 50 sh. pro Jahr). Das Subcomitö sowohl wie die ärztlichen Leiter 
der Irrenanstalten heben nun übereinstimmend den wohlthätigen Einfluss hervor, 
welchen die Abschaffung des Bieres auf den ganzen Geist der Anstalten und auf 
die Ruhe und den Frieden im Allgemeinen wie für die Alkoholiker und Epilep¬ 
tiker im Besonderen ausgeübt hat. 1 Soweit mir bekannt, ist dieses Beispiel auf 


1 So berichtet das Subcomite von Banstead: Diese Aenderung ist von wohlthätiger 
Wirkung gewesen, besonders bei solchen Patienten, deren Krankheit durch übermässigen 
Alkoholgenuss hervorgerufen war. Dr. Shaw, der Director der Anstalt schreibt: „Die neue 
Diätvorschrift, deren wichtigste Aenderung der Ersatz des Bieres durch Milch war, erzielte 
eine volle und erfolgreiche Wirkung. Ieh bin ganz sicher, dass den Patienten die Ab¬ 
schaffung des Bieres sehr grosse Dienste leistete, und ich möchte keinesfalls die alte Gewohn¬ 
heit wieder angenommen sehen. .. . Ein sehr grosser Vortheil ist der, dass die Patienten, 
deren Krankheit gerade durch Alkoholexcesse hervorgerufen war, die aber noch heilbar sind, 
dadurch einsehen lernten, dass sie viele Monate ganz ohne Alkohol leben konnten, und dass 
sich ihr Zustand dabei immerwährend besserte. Diese Thatsache ist für dieselben somit ein 
entscheidender Beweggrund, ihre nenerworbene Lebensweise später wieder fortzusetzen, was 
auf irgend eine andere Weise ihnen kaum hätte beigebracht werden können.“ 

Der Director von Colney Hatsch, Dr. Sewasd. berichtet: „In Anbetracht der grossen 
Zahl von Kranken, deren Krankheit durch Alkoholmissbrauch verursacht war, hat das Sub- 
comite beschlossen, das Bier ganz wegzulassen. Patienten dieser Art hatten also eine 
günstige Gelegenheit einsehen zu lernen, wieviel besser sie rieh ohne dieses toxische Getränk 
befinden, und es steht zu hoffen, dass viele sich diese Erfahrung nach ihrer Entlassung aus 
der Anstalt zu Nutzen ziehen werden. Statt des Bieres bekommen die Kranken, welche 
sich an der Arbeit betheiligten, Milch zum Lunch, und zum Abendessen alle Kranken irgend 
eine Zusatzspeise.“ 

Für Hanwell heisst es im Bericht des Subooraitös: „Wir können die Anstalt bezüg¬ 
lich der eingeführten Neuerung in allen Beziehungen nur beglückwünschen.“ 

Und Dr. Alexaxdbe, Leiter der Männerabtheilung, berichtet: „Ich möchte sagen, dass 
diese Aenderung in der Diät von dem glücklichsten Erfolge gekrönt war, welcher aus der 
zunehmenden Zufriedenheit und der ganz merklichen Abnahme von Streit und Zänkerei 
unter den Kranken hervorleuchtete. Die wohlthätigen Erfolge der Einführung der Enthaltsam- 

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dem Festlande zuerzt in Burghölzli bei Z&rich von Fobel nachgeahmt worden. 1 
Von deutschen Anstalten hat sodann die Irrenklinik in Heidelberg den Alkohol 
als Genussmittel verbannt; den Wärtern wurde hier, wie in den anderen An¬ 
stalten, eine entsprechende Geldvergütung gewährt In allerneuester Zeit end¬ 
lich sind in der Epileptikeranstalt Wuhlgarten bei Berlin die alkoholischen Ge¬ 
tränke aus der Krankenkost ganz entfernt worden. Im letzten Jahresberichte 
dieser Anstalt heisst es: „Es zeigten sich auch hier nach der Durchführung der 
Entziehung sichtlich die wohlthätigen Wirkungen der gänzlichen Enthaltung. 
An Stelle des Bieres, welches den Kranken zur Aufmunterung und Belohnung 
gegeben wurde, wird ihnen jetzt eine Zulage von Wurst, Käse u. Aehnl. zum 
Frühstück und an bestimmten Abenden zur Aufbesserung der abendlichen Kost 
gewährt, was sich mit Bücksicht darauf, dass Arbeiter eine kräftigere Kost be¬ 
dürfen, von selbst ergab.“ 

Ueberall also hört man nur die günstigsten Folgen rühmen, welche sich 
nach Abschaffung der Alcoholica geltend gemacht haben. Zwar sind es bis jetzt 
nur wenige Anstalten, die damit vorgegangen sind, andere aber werden noch 
folgen, und die Ueberzeugung wird sich immer mehr Bahn brechen, dass der 
Alkohol als Genussmittel in Irrenanstalten keine Stelle hat 


2. Ein Beitrag 

zur Kenntnis» der Bemhardt’schen Sensibilitätsstörung. 

Von Dr. Mieoislaus von Nartowski, 

Nervenarzt in Krakau. 

• 

Seit dem Jahre 1895, in welchem Prof. Bernhardt die Aufmerksamkeit auf 
eine eigentümliche Störung der Sensibilität im Gebiete des Nervus cutanea» 
femoris extemus lenkte, sind schon einige Arbeiten und Beobachtungen publicirt 


keit vom Alkohol sind ganz besonders bei den Epileptikern bemerkenswert gewesen, 
deren fatale Charaktereigenthümlichkeiten viel weniger auffallend waren als früher und 
deren Neigung zu Anfällen in manchen Fällen geringer wurde/' Auch hier wurde die 
Krankenkost nach dem Wegfallen des Alkohols durch Speisezosätze verbessert. 

In der 4. Anstalt Cane Hill war das Bier bereits vor 1890 abgeschafft worden. 

Wie Drysdale in seinem auf dem internationalen Congress in Basel 1895 gehaltenen 
Vortrage: „Iherapeutics without alcohol“ mittheilte, gaben nach einem Bericht von Johke 
Lobs über 100 städtische und ländliche Irrenanstalten Englands die Hälfte an, dass bei 
ihnen Alkohol in keiner Form ausser als Medicin gebraucht würde. 

1 Forbl hat darüber in einer kurzen im Correspondenzblatt f. Schweizer Aerzte 1892 
erschienenen Notiz: „Der Alkoholgenuss in Irrenanstalten", welche mir erst nachträglich 
zugeg&ngen ist, berichtet. Er weist darin auf die üblen, den meinigen entsprechenden Er» 
fahrungen hin, die er bei der Verabreichung von alkoholischen Getränken in München nid 
in Burghölzli gemacht hat und lenkt die Aufmerksamkeit auf die in den Londoner Irren¬ 
anstalten mit der Abschaffung der Alcoholica gewonnenen Resultate. 


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worden, in welchen die verschiedenen Antoren Verschiedenes hinsichtlich des 
Charakters der ganzen Krankheit nnd ihrer Symptome, dann der Aetiologie, 
der Prognose und Therapie angeben. 

Die Krankheit, die als „ßEBNBABDT’sche Sensibilitätsstörung“ bekannt ist, 
ist ein Leiden, welches nicht gefährlich, jedenfalls aber sehr unangenehm und 
schmerzhaft ist 

Die Schmerzen, welche an der Aussen- oder Vorderfläche des Oberschenkels 
auftreten, sind heftig oder ganz massig. Es handelt sich aber öfter nur um 
eigentümliche Parästhesieen, wie z. B. um Kribbeln, Taubsein, Pelzigsein u. s. w. 

Die Hautempfindung ist mehr oder minder beeinträchtigt und manchmal 
finden wir keine Sensibilitätsstörungen. 

Der Verlauf der ganzen Krankheit ist nach Angabe der verschiedenen 
Autoren ein sehr langwieriger, es kommt aber zu erheblichen Besserungen oder 
relativen Heilungen. 

Von der Aetiologie der Affection werden von den Autoren verschiedene 
Angaben gemacht; z. B. beschuldigt B ebnhardt als ätiologisches Moment 
die verschiedenen Infectionskrankheiten und von diesen vor allem Typhus, dann 
Bleivergiftung, Erkältung. Die anderen Autoren ein Trauma, dann schlechten 
Sitz von Kleidungsstücken und nämlich das Benutzen eines fest anschliessenden 
Biemens um die Hüften, welcher den Reizzustand unterhält; Kösteb und 
Adleb die körperliche Ueberanstrengung und vor allem ein zu langes Stehen, 
dessen Wirkungsweise Adleb in dem anatomischen Verhalten des Nervus cutaneus 
femoris externus erblickt, welches er in folgender Weise charakterisirt: „Der 
Nerv läuft nach seinem Durchgang unter dem PoüPABT’schen Bande einige 
Centimeter in einer straffen von Fascia lata gebildeten Scheide, welche mit dem 
Ligamentum ileo-tibiale in Zusammenhang steht, das von der Spina il. ant sup. 
nach der Tuberositas tibiae zieht Während beim Sitzen dieser Fascienstreifen 
entspannt ist, tritt beim Stehen eine Spannung derselben ein; hierdurch kommt 
es zu einer Druckwirkung auf den in der Fascienscheide eingeschlossenen Nerven 
und in dem liegt das schädigende Moment des Stehens.“ 

Es ist sicher, dass bei der ganzen Affection die Ueberanstrengung der unteren 
Gliedmaassen eine*$ehr wichtige Rolle Spielt, und dass in dieser Ueberanstrengung 
das ätiologische Moment der meisten bis jetzt veröffentlichten Fälle dieser Sen¬ 
sibilitätsstörung liegt 

Der geringen Zahl der Veröffentlichungen über diese Affection halber, 
welche nur deswegen so selten vorzukommen scheint, weil viele Aerzte keine 
genaue Untersuchung bei den Kranken, die wegen verschiedener Parästhesieen 
an den Beinen ihre Hülfe brauchen, machen, und schon ganz zufrieden sind, 
wenn sie Rheumatismus diagnosticiren und dem Kranken ganz einfach Salicyl 
geben, glaube ich berechtigt zu sein, einige Fälle, welche von mir selbst beob¬ 
achtet wurden, anzuführen. 

1. Fall Ein Förster im Alter von 51 Jahren, der von seinem Hausarzt wegen 
Rheumatismus nach Trencsin-Teplitz geschickt war, ist am 16. Juli 1897 zu mir 

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gekommen, am sich za berathen and zu fragen, ob er von seinen Beschwerden m# 
befreit werden könne. 

Er empfindet seit 26 Jahren ein sehr anangenehmes Kribbeln, Tanbsein und 
Stechen an der Vorderfläche des rechten Oberschenkels, welche beim Herumgehec 
sehr unangenehm und schmerzhaft sind. Beim Liegen und Sitzen verschwinden sie, 
aber im Ganzen fühlt sich der Kranke gesund. 

Der Patient, der ganz kräftig gebaut ist, nnd bei welchem die genaue Unter¬ 
suchung der inneren Organe nichts Krankhaftes ergiebt, ist ein mässiger Alkoholiker. 

Die Untersuchung des rechten Oberschenkels ergiebt anscheinend nichts Krank- 
, haftes. Die Prüfung der Berührungsempfindung und Ortswahrnehmung ergiebt aber 
^ eine sehr bedeutende Herabsetzung an der ganzen Vorderfläche des Oberschenkels, 
Die Untersuchung der Temperatur- und Schmerzempfindung zeigt eine deutliche 
Beeinträchtigung, auch die electrocutane Sensibilität ist etwas herabgesetzt 

Starker Druck auf das Gebiet des Nervus cutaneus femoris externus wurde ah 
unangenehm empfunden. 

Ich habe dem Kranken gesagt, dass ich überzeugt bin, dass hier von keinem 
Rheumatismus die Rede sein kann, dass ihm die Bäder nichts nützen werden 
und dass man das Leiden mit Massage und Elektricität beeinflussen kann. Er 
willigte ein. 

Nach 7 Wochen, in welchen dem Kranken der faradische Pinsel und die Massage 
an der beeinträchtigten Fläche applicirt und innerlich eine Solutio Kalii jodati gegeben 
wurde, sind die Schmerzen, welche der Kranke beim Gehen durch 26 Jahre gespürt 
hatte, im Ganzen verschwunden, auch von Kribbeln und Taubsein war der Kranke 
ganz frei und am 5. September 1897 ist er nach Hause gefahren. 

Der Beobachtung Kösteb’s gemäss, glaubte ich, dass das Leiden noch zurück¬ 
kehren wird, im Juli dieses Jahres aber hat mich der Kranke besucht und zufrieden 
erzählt, dass er jetzt so wie „neu geboren“ ist, dass er keine Beschwerden und 
Schmerzen spüre, obwohl seine Beschäftigung dieselbe wie früher ist. 

Ich glaube also, dass, wenn die Affection nach einem Jahre nicht zurückkehrte, 
kann ich gewiss annehmen, dass das der einzige Fall ist, in welchem die volle 
Heilung erzielt wurde, und ich glaube, dass die gleichzeitige Anwendung der Elek¬ 
tricität und Massage und innerliche Darreichung von Kalii jodati von grossem 
Nutzen gewesen ist. 

* 2. Fall. Ein 45jähriger, sehr stark und kräftig gebauter Mann, Gutsbesitzer 
in Ost-Galizien, ist seit 8 Jahren an eigenthümlichen Schmerzen, die er als „taub* 
bezeichnet, am linken Oberschenkel leidend. Er muss, um die Arbeiter zu beauf¬ 
sichtigen, sehr viel stehen; im Sommer bei der Ernte und im Winter beim Dreschen. 

Der Patient hat keine Veränderungen in den inneren Organen, war immer ge¬ 
sund und mit keiner Heredität belastet. Die Schmerzen an der linken Aussenfiäche 
des Oberschenkels sind zwar nicht gross, sie sind aber unangenehm, und der Kranke 
ist verhindert die linke Seite während des Schlafes zu benutzen, da er gleich ein 
unangenehmes Gefühl, dann Kribbeln und Schmerzen bekommt. Dies alles wiederholt 
sich immer, wenn der Pat auf dieser Seite zu liegen suoht, und verschwindet dana 
allmählich im Ganzen. Manchmal erwacht er dieser Schmerzen wegen, wenn er sich 
unbewusst auf diese Seite wendet 

Er war schon von vielen Aerzten untersucht, keine Behandlung aber linderte 
ihm diese Beschwerden, welche seit 8 Jahren immer zunehmen. 

Bei der genauen Untersuchung konnte ich Tast-, Schmerz-, Kältegefühl und 
elektrocutane Empfindlichkeit an der Aussenfiäche des linken Oberschenkels in ziem¬ 
lich hohem Grade gestört, constatiren. 

Alle Symptome, welche ich also vom Kranken erzählt bekomme, und welche ich 
selbst gefunden habe, zeigten mir, dass wir es hier mit einer Störung der Sensibilität in 


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Gebiete des Nervus cotaneus femoris externus zu tbun haben und als ätiologisches 
Moment habe ich 7 .u langes Stehen (Kösthb, Adlbb) angenommen und dem Kranken 
eine Solutio Kalii jodati und die faradische Pinselung, welche der Kranke, trotzdem 
dass ich ihn von dem abziehen wollte, sich selbst durch die Zeit vom 10. September 
1897 bis 25. März 1898 einmal täglich applicirte. 

Am 20. November 1897 habe ich den Kranken zum 2. Mal gesehen und er 
hat mir erzählt, dass die Elektricität ihm sehr gut thut, und dass er eine kleine 
Linderung seiner Affection spttre. 

Dann habe ich den Kranken noch im Januar 1898 gesehen, und er erzählte 
mir, dass er dieses unangenehme Gefühl und das Kribbeln, welches er früher beim 
Liegen an der linken Seite immer gespürt, schon fast ganz verloren habe; es be¬ 
stehen von der ganzen Affection nur die Schmerzen, welche erst nur etwas gelindert 
und dem Kranken unangenehm sind. 

Ich verordnete dem Kranken noch eine leichte Massage, und als ich ihn zum 
letzten Mal am 6. April 1898 gesehen hatte, bestanden noch leichte Schmerzen, aber 
nur dann, wenn der Kranke durch längere Zeit auf der linken Seite liegt und es 
kommt niemals der Schmerzen wegen zum Erwachen. 

3. Fall. Eine 63 Jahre alte Frau, die 4 Mal normal entbunden hatte, hat 
die heftigen Schmerzen an beiden Oberschenkeln und nämlich an der Vorderfläche 
derselben, die manchmal so stark waren, dass sie nicht gehen konnte. Es kommt 
sehr oft auch zu Stechen an der ganzen Vorder- und Seitenfläche der beiden Ober¬ 
schenkel, und nämlich v vom Becken bis zum Aussenrande der Kniescheibe herab. 

Sie ist von der Heredität nicht belastet und von den Krankheiten hat die 
Patientin vor 33 Jahren einen Typhus durchgemacht und, wie sie erzählt, ist sie seit 
dieser Zeit niemals gesund, sie litt immer an verschiedenen unangenehmen Empfin¬ 
dungen in den Beinen; die ersten Schmerzen hat sie einen Monat nach dem Typhus 
bekommen. 

Die ganz genau durchgeführte Untersuchung hat gezeigt, dass die Motilität 
und Beflexe ganz normal sind, dass das Aussehen der Haut nichts Krankhaftes zeigt, 
dass die einzelnen Muskeln an den Beinen nur etwas, aber dem Alter gemäss atro¬ 
phisch sind, dass die grobe Kraft gut erhalten und dass nur die Empfindung der 
Berührung der Haut mit einem weichen Pinsel, dann Ortswahrnehmung, elektrocutane 
Sensibilität, Temperatur- und Schmerzempfinduug sehr deutlich herabgesetzt sind. 

Bei starkem Druck auf eine Stelle, 8 cm oberhalb der Kniescheibe und 6% cm 
von der Mittellinie des Oberschenkels nach aussen gelegen, treten die unerträglichen v 
Schmerzen auf; es kommt aber zu einer Linderung derselben, wenn der Druck 
länger dauert 

Ich behandelte die beiden Vorderflächen der Oberschenkel mit dem faradischen 
Pinsel, innerlich verordnete ich Kali jodatum 1,50 pro die und nach 2 Monaten der 
Behandlung waren die unangenehmen Empfindungen, welche die Patientin durch 
33 Jahre gequält hatten, und weshalb sie antirheumatisch behandelt wurde, im 
Ganzen verschwunden; es sind aber die Schmerzen geblieben, sie sind jedoch nicht 
so gross wie früher und machen der Patientin keine Behinderung im Gehen. 

4. Fall. Ein 53jähriger Mann, Hauswächter, ist seit 15 Jahren an Schmerzen 
in beiden Füssen, an den Ober- und Unterschenkeln leidend. 

Der Patient trinkt viel, hatte Lues vor 30 Jahren. 

Von der Heredität ist nichts hervorzuheben, auch die inneren Organe sind ziem¬ 
lich normal und geben ihm keine Ursache zum Klagen. 

Das erste Gefühl, welches er bemerkte, war nach einer Lungenentzündung, 
welche er vor 15 Jahren durchgemacht hatte. 

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Er bemerkte zuerst ein leichtes Brennen, dann Kribbeln am rechten Oberschenkel, 
dann am linken, später gleichzeitig an beiden Unterschenkeln, und sowohl auf der 
Vorder- wie auf der Aussenseite. 

J Die Schmerzen waren oft so gewaltig, dass der Kranke keine Ruhe beim 
Gehen, Stehen oder Liegen finden konnte, er warf sich im Bett hin und her und 
seit 7 Jahren sind dazu noch die Empfindungen der Taubheit gekommen. Jetzt 

kann der Kranke weder viel gehen, noch stehen, denn sonst kommen gleich die 
gewaltigen Schmerzen — sie entstehen manchmal auch dann, wenn der Kranke im 
Bett liegt und sich erheben will. 

Bei der Untersuchung konnte ich keine Veränderung der Haut, keine Vermin¬ 
derung der groben Kraft und keine Veränderung in den Reflexen constatiren. Die 
Sensibilitätsempfindung aber, die Ortswahrnehmung und die elektrocutane Sensibilität 
waren im hohen Grade beeinträchtigt. Temperaturgefühl war ganz normal. Quetschen 
von Hautfalten zwischen den Fingern war an den beiden Oberschenkeln ganz 
schmerzlos. 

Die Muskeln an beiden Füssen sehen ziemlich gut aus, und die Erregbarkeit 
der Muskeln und Nerven auf den galvanischen, wie auch auf faradischen Strom, 
ist normal. 

Ich verordnete dem Kranken innerlich Kalii jodati und applicirte durch 9 Wochen 
den faradischen Pinsel. Von der 2. Woche der Behandlung an waren die Schmerzet 
von einem Tage zum anderen immer etwas vermindert und nach 9 Wochen ist es dazu 
gekommen, dass der Kranke, zwar nicht geheilt war, aber doch liegen, stehen wie 
auch gehen konnte, ohne grosse Schmerzen zu spüren. 


5. Fall. Ein 48jähriger Mann ist seit 8 Jahren an verschiedenen Parästhesieen 
an der Aussenfläche der beiden Oberschenkel leidend. Er erzählt, dass ihm vor 
9 Jahren einer Krankheit wegen der Arzt kalte Bäder und Douchen verordnet hat Diese 
haben ihn ganz hergestellt. Nach 1 Monate aber begann er beim langen Gehen 
die Schwäche in beiden Füssen und gleichzeitig Kribbeln und Taubheit zu spüren. 

Er wandte sich von dieser Zeit an vielmals an die Aerzte; sie haben Rheu¬ 
matismus diagnosticirt und der Kranke hat immer Salicyl und verschiedene Salben 
bekommen. Von diesen sind, wie er erzählt, noch in den letzten Wochen die 
Schmerzen an beiden Oberschenkeln entstanden, weshalb er zu mir gekommen ist 

Er stammt von einer ganz gesunden Familie und war bis vor 9 Jahren immer 
gesund; er ist kein Alkoholiker und hat keine venerische Krankheit gehabt Die 
Untersuchung des Kranken zeigte die Verminderung des Druck-, Schmerz- und Tast¬ 
gefühls, die verminderten Hautreflexe und eine ziemlich starke Verminderung der 
elektrischen Erregbarkeit der Muskeln im Gebiete der beiden Nervi cutanei femoris 
externi. 

Ich verordnete dem Kranken eine Solutio Kalii jodati und den faradischen Pinsel, 
welchen ich dem Kranken durch 10 Wochen applicirte. 

Die erste Besserung und zwar das Verschwinden der verschiedenen Parästhesieen 
habe ich in der 3. Woche der Behandlung gesehen, dann war die Schwäche, welche 
der Kranke beim Gehen in den beiden Füssen spürte, verschwunden, und kam eine 
Linderung der Schmerzen, zur Heilung aber ist es im Ganzen nicht gekommen; nach 
einem längeren als Vs sündigen Spazierengehen oder beim zu langen Stehen fühlte 
er wieder sein Kribbeln, Schmerzen und Taubheit in den Füssen. 

Ich glaube, dass man hier nach einer noch längeren Behandlung und nach der 
Massage noch mehr hätte erzielen können, der Kranke aber wollte sich dazu nicht 
entschlossen, indem er sagte, dass er schon mit dieser Linderung der ganzen Affec* 
tion zufrieden sei. 





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Wir sehen also, dass es sich in diesen Fällen, welche ich beobachten konnte, 
am die verschiedenen Parästhesieen im Gebiete des Nervös cutaneus femoris 
externas handelt; einmal haben wir diese Affection, welche als BEBNHABDT’sche / 
SensibilitÄtsstöning bekannt ist, dann aber auch, wenn die Schmerzen nicht 
nur an der Aussenfläche des Oberschenkels, sondern auch am Unterschenkel 
verspürt worden, den Uebergang zu solchen Fällen, in welchen^dTe Bebot- 
HABDT’sche Sensibilitätsstörang nor als eine Theilerscheinung, als Symptom/ 
einer aosgebreiteten Erkrankung und zwar einer Neuritis oder Neuralgie des 
Plexus lumbalis auftritt 

Wenn wir zu den einzelnen Fällen übergehen, so sehen wir, dass der 
erste und fünfte Fall hinsichtlich der Aetiologie zur Erkältung gehört. Der 
Förster, welcher grösstentheils im Walde herumzugehen hat, ist immer ver¬ 
schiedener Temperatur ausgesetzt; im Sommer ist der Boden fast immer feucht, 
im Winter geht er durch Schnee u. s. w. 

Im 5. Falle entstand die Affection nach einer Krankheit, zu deren 
Beeinträchtigung der Arzt kalte Bäder und Douchen nehmen liess, es ist also 
auch hier zu einer localen Erkältung gekommen. 

Diese beiden Fälle sind also nach Erkältung entstanden, was auch Bern¬ 
hardt und Frbdd als die ätiologische Ursache annehmen. Im ersten Falle 
ist das Leiden nur am rechten Oberschenkel entstanden, trotzdem, dass die 
beiden Füsse des Kranken der Erkältung ausgesetzt waren; dies ist aber keine 
Ursache, um etwas anderes zu diagnosticiren, da alle Symptome des Leidens 
und Erfolg der Therapie dafür sprechen, dass wir mit einer BsnNHABnT’schen 
Sensibilitätsstörung zu thun haben. 

Der 5. Fall, in welchem die Affection nach kalten Douchen entstand, 
macht einen Gegensatz zu den Erfahrungen Bernbabdt’s, Näcke’s und 
v. Luzenbebgeb’b, da das Leiden doppelseitig, also ganz ähnlich wie in einem 
Falle, welcher von Fbeud mitgetheilt ist, auftritt 

Die Affection im 3. und 4. Falle ist nach einer Infectionskrankheit, das ist 
einmal nach Typhus und zweitens nach einer Lungenentzündung entstanden. 

Diese beiden Fälle stimmen also hinsichtlich der Aetiologie mit Bernhardt's 
Angaben, dass diese eigenthümliche Sensibilitätsstörung nach einer Infections¬ 
krankheit entstehen kann, da im 3. Falle sich das Leiden gleich nach einem 
Typhus entwickelte, im 4. unmittelbar nach Lungenentzündung. 

Die Affection im 2. Falle ist nach dem vielen Stehen entstanden, das ätio¬ 
logische Moment ist also dasselbe, welches zum 1. Male Köstes bei einem 
Kranken, welcher bei der Besichtigung von Museen und Ausstellungen durch 
längeres „Umherstehen (< und dann in kurzer Zeit Adler bei einem Postbeamten, 
dessen Beschäftigung die Ordnung der Briefe in einem Eisenbahnwagen war, 
und welcher bei dieser Beschäftigung nur wenige Schritte hin und her geht, 
hervorgehoben hatten. 

Der Kranke in meinem Falle musste auch sehr viel stehen, um die Leute 
beaufsichtigen zu können. Bemerkenswerth ist in diesem Falle, dass der Kranke 

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beim Gehen keine Schmerzen bat, dass sie aber beim Stehen and Benutzen der 
linken Seite beim Schlafen entstehen. 

In der Beseitigung der Krankheit und der verschiedensten Empfindungen hal« 
ich viel erreicht, ln 4 Fällen war das Leiden erträglich gemacht, die Kranken, 
wie sie selbst angaben, fast geheilt, und in einem Falle erhielt ich absolute 
Heilung, was noch keiner von den Beobachtern bei diesem Leiden erzielte. 

Bernhardt hat niemals eine Beseitigung der Erscheinungen, höchstens 
nur eine Linderung erzielt Näcke hat auch nur eine annähernde Heihmg 
der Parästhesieen erzielt und Fbeud macht aufmerksam, dass die Natur des 
Leidens auch sehr regressiv werden kann. 

Den guten Erfolg und die Beseitigung der Krankheit in diesem einzigen 
Falle verdanke ich dem, dass der Kranke geduldig war und sich im Ganzen 
auf meine therapeutischen Maassnahmen und speciell auf die Massage und 
Elektricität einzugehen entschlossen hatte. 


Litteratnr. 

Bernhardt, Neurolog. Centralbl. 1895. Nr. 6. Näckb, Ebenda. 1895. Nr. 3 
Freud, Ebenda. 1895. Nr. 11. v. Lczenbrrqer, Ebenda. 1896. Nr. 22. Köstbr. Ebenda. 
1897. Nr. 6. Brnda , Ebenda. 1897. Nr. 6. Adler, Ebenda. 1897. Nr. 15. Traubott, 
Monatsschr. f. Psycb. n. Nenrolog. 1898. Bd. III. 


11. Referate. 


Anatomie. 

I) A new TMbbI Method, by J. R. Lord. (Journal of Mental Science. 1898. 

October.) 

Von der Medico- Psychological Association of Qreat Britain and Ireland mit der 
Broncemedaille und dem 10 Guineen-Preise ausgezeichnet 

Ein Stück ganz frischen Gehirnes, je frischer, desto besser, etwa 2 ccm, ans 
der Centralwindung nebst adhärenter Pia bringt man auf dem Mikrotome zum An¬ 
frieren, so dass die Pia nach dem Beobachter gerichtet ist. Etwas Gummi erleichtert 
das Frieren. Die angefertigten Schnitte werden sofort ins Wasser gebracht darauf 
mit einem Objectträger aufgenommen und etwas Pikroformol darüber gegossen, so dass 
der Schnitt auf dem Fixativ schwimmt; 5—15 Secunden bleibt der Schnitt dem 
letzteren ausgesetzt und wird dann ins Wasser zurückgebracht. Mit einem Object¬ 
träger wieder aufgenommen, wird er mittelst einer Pipette mit einer 0,5 °/ 0 wässerigen 
Nissl’schen Methylenblaulösung (Methylenblau Patent B) beträufelt in derselben Weise 
wie vorher mit Pikroformol. Darauf Erwärmung bis die erste Blase aufsteigt, dann 
Abkühlung. Der Ueberschuss der Farbe wird abgewaschen und eine Lösung von 
Anilinöl in absolutem Alkohol — 10 °/ 0 — über den Schnitt gegossen, bis keine 
Farbe mehr ans demselben heraustritt. Abtrocknen mit Fliesspapier, dessen Ober¬ 
fläche glatt sein muss. Origanumöl wird alsdann znr Aufhellang aulgeträufelt und 

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in gleicher Weise entfernt. Benzin entfernt die letzten Beste des Oels. Die Ein* 
bettung in Colophonium geschieht folgendermaassen: Etwas Colophoniam wird in 
einer Porzellanschale geschmolzen unter Zufügung einer nur geringen Menge von 
Benzin. Das geschmolzene Colophonium wird mittelst eines Glasstabes anf den 
Schnitt geschmiert, ein Deckglas darauf gelegt und so lange erwärmt, bis es eine 
befriedigende Lage hat (über einer dünnen Asbestplatte, welche auf einem Draht¬ 
geflecht auf einem Dreifuss über einer Bunsenfiamme ruht). — Bei der Benutzung 
der Gefriermethode wird die beim Härten erfolgende Schrumpfung der Nervenzelle 
vermieden, das Fett derselben wird nicht aufgelöst wie beim Gebrauch von Alkohol; 
die fettige Degeneration lässt sich daher genauer verfolgen. Innerhalb 30 Minuten 
nach dem Tode kann ein Präparat anf diese Weise fertiggestelllt werden. Der Inhalt 
des Gewebes lässt sich mit dieser Modiöcation eingehend studiren. Neuroglia und 
Blutgefässe sind deutlich gefärbt, — Die Fixationsflüssigkeit besteht aus einer ge¬ 
sättigten wässerigen Lösung von Pikrinsäure 50 °/ 0 und einer 6 °/ 0 Formollösung in 
Wasser 50 °/ 0 . 

Diese Mischung eignet sich überhaupt gut für fixative Processe; von Präparaten, 
die einige Wochen darin gelegen, kann man Gefrierschnitte machen und färben; für 
manche Methoden kann man dieselbe aus waschen. — Bei der Methode von Lewis 
kann man zur Fixirung statt Osmiumsäure auch Pikroformol, wie oben angegeben, 
verwenden. 

Verf. hat mit seiner Methode u. a. die fettige Degeneration der Nervenzellen 
— ein bei Psychosen häufig anzutreffender Process — genau studirt; die der Ver¬ 
fettung anheimfallende Substanz färbt sich erst dunkelblau, dann dunkelgrün, dann 
hellgrün und schliesslich gelb, Fettsubstanz befindet sich aber auch in normalen 
Zellen als Zeichen des gewöhnlichen Stoffumsatzes oder eines natürlichen Verfalls 
der Zelle. Die erstgenannten Erscheinungen pathologischer Verfettung finden sich 
jedoch nicht ausschliesslich bei Psychosen, sondern auch bei anderen Krankheiten. 
Man kann die Fettsubstanz auch zur Darstellung bringen, wenn man ein Stück 
Gehirn in Pikroformol härtet (3 Tage), schneidet und die Schnitte für 12 Stunden 
in 0,25 °/ 0 Osmiumsäure legt und mit Methylenblau nachfärbt. 

Bresler (Freiburg i. Schl.). 


2) Zur* Anatomie und Physiologie des Phreniouskerns, von Oscar Kohn- 
stamm. (Fortschritte der Medicin. XVI. 1898. Nr. 17.) 

Gm die Lage des Phrenicuskems anatomisch festznlegen, bediente sich Verf. 
des Nissl’schen Verfahrens. Er resecirte bei ausgewachsenen Kaninchen einseitig 
den Phenicus in der Höhe der oberen Brustapertur und tötete nach 2—4 Wochen 
das Versuchsthier, nachdem er sich überzeugt hatte, dass die entsprechende Zwerch¬ 
fellhälfte nur noch passive Bewegungen zeigte und auch hinsichtlich ihrer Blut¬ 
versorgung eine deutliche Abweichung gegenüber der ungelähmten Seite aufwies. — 
Es zeigte sich nun bei der Untersuchung nach Nissl constant, dass sich eine be¬ 
stimmte, spindelförmig nach oben und unten sich veijüngende, von der Höhe des 
4. bis zum 6. Halswirbels reichende Zellgruppe im Zustande der Chromatolyse 
befand. Andere Zellen, insbesondere die entsprechende Zellgruppe der anderen Seite, 
wurde niemals ähnlich verändert gefunden. Die chromatolytischen Veränderungen 
waren die typischen und erstreckten sich sowohl auf die Form der Conturen, als 
auch auf die Auflösung deB Tigroids und die Verlagerung des Kerns. 

Eine zweite Reihe von Experimenten, in welcher der Versuch gemacht wurde, 
phasisch-functionelle Veränderungen der Zellstructur aufzudecken und wobei zu diesem 
Zwecke die Zwerchfellthätigkeit durch doppelseitige Vagotomie excessiv gesteigert 
wurde, hatte negativen Erfolg. Die Phreoicuszellen zeigten keinerlei Abweichung 
von der Norm. W. Cohnstein (Berlin). 


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Experimentelle Physiologie. 

3) Beiträge zur Physiologie des Centralnervensystems. I. Die sogenannte 
Hypnose der Thiere, von Max Verworn. (1898. Jena, Gustav Fischer.) 

Verf. hat sich die Aufgabe gestellt, den Zustand der Bewegungslosigkeit, in 
welchen viele Thiere dadurch versetzt werden können, dass man sie in abnormal 
Körperlagen an Lagecorrections- oder Fluchtbewegungen verhindert (Experimentum 
mirabile de imaginatione gallinae des Pater Kircher 1646), physiologisch zu ergründen. 
Den Ausdruck „Hypnose der Thiere“, welchen man vielfach för diese Erscheinung 
vorgeschlagen hat, hält Verf. nicht für zweckmässig und er erklärt das Phänomen 
vielmehr als die Resultante aus zwei Componenten, einer tonischen Erregung des 
Lagereflexgebietes (Kleinhirn?) und einer Hemmung der cortico*motorischen Sphäre. 
Die tonische Erregung der Zellen cerebralen oder cerebellaren Lagereflexgebietes ist die 
Folge der angestrengten und erfolglosen Lagecorrectionsbewegungen, und man sieht 
daher das Thier stets in tonischer Contractur der am Lagereflex meist betheiligten 
Muskeln bewegungslos werden. Das Grosshim ist an der Erscheinung nur durch 
Hemmung der willkürlichen motorischen Impulse betheiligt und es kann daher das 
Phänomen auch an grosshirnlosen Thieren in typischer Weise hervorgerufen werden. 
— Das „Erwachen“ der Thiere und ihr spontanes Aufstehen aus der abnormen Lage 
erfolgt entweder durch vom Grosshirn her eingeleitete innere Reize oder aber 
häufiger durch äussere, auf dem Wege des Reflexes zu dem Lagereflexcent rum 
fortgeleitete Reize, welche den Tonus des letzteren plötzlich zu einer grösseren 
Erregungshöhe steigern. Hierdurch erhalten die tonisch contrahirten Muskeln plötzlich 
einen Contractionszuwachs und es wird eine rasche Lagecorrectionsbewegung aus- 
gelöst. 

Die Hemmung der corticalen motorischen Centren ist vergleichbar der Hemmung 
von spontanen Bewegungen oder Handlungen, wie sie auch beim Menschen durch 
plötzliche Sinneseindrücke hervorgebracht wird. Der plötzliche Sinneseindruck wird 
dort bewirkt durch das energische, plötzliche und erschreckende Zuf&ssen des Ex¬ 
perimentators. 

Grosshirnlose Thiere bleiben daher im allgemeinen länger in dem bewegungs¬ 
losen Zustande als Thiere mit intactem Grosshim. Denn bei ersteren ist -die eine 
Quelle des die endliche Lagecorrection herbeiführenden Reizes, nämlich die spontanen 
vom Grosshirne zu dem tonisch erregten Lagereflexcentrum strömenden Impulse 
ausgeschaltet. W. Cohnstein (Berlin). 


Pathologische Anatomie. 

4) Contributions to the study of some of the afferent and efferent tracts 
in the spinal oord, by Risien Rüssel. (Brain. 1898. Summer.) 

Verf. hat eine Anzahl interessanter pathologisch-anatomischer Präparate, speciell 
in Bezug auf die secundären Degenerationen im Rückenmarke untersucht 

Im 1. Falle handelte es sich um eine Degeneration der 1. Sacralwurzel in 
Folge von Alkoholneuritis. Die Hinterstrangsdegeneration lag zunächst dicht hinten 
am Hinterhom an, verbreitete sich aber in den nächsten Segmenten über das ge- 
sammte Hinterstrangsgebiet, auch das ventrale und ovale Feld nicht frei lassend; 
später ging sie in bekannter Weise in den Goll*sehen Strang über. Collateralen 
waren in die gleichseitige Hinter- und Vordersäule und in die Substantia gelatinosa 
Rolandi in der Höhe des Eintrittes der Wurzel und in den nächst oberen Segmenten 
zu verfolgen; dagegen nicht in die gekreuzte graue Substanz und auch nicht sicher 
in die weisse Substanz derselben Seite. 


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Im 2. Falle hatte ein intra- und extravertebrales Sarcom die 7. cervicale 
Wurzel and einen anliegenden Theil der rechten Seitenh&lfte des Halsmarkes zerstört. 
Die Degeneration im rechten Hinterstrange lag im 3. Cervicalsegment im Burdach’* 
sehen Strange, dicht am Septum intermedium, als schmaler, nur in seinem hinteren 
Fünftel und am hinteren Bande des Markes breiter werdender Streifen. Sie drang 
nicht in den Goll’schen Strang ein. Ausserdem war die Kleinhirnseitenstrangbahn 
aufsteigend und die Seitenstrangpyramide absteigend degenerirt. 

Im 3. Falle handelte es sich um einen intramedullären Tumor, der am Conus 
terminalis begann und bis zum 4. Lumbalsegmente reichte. Unten betraf er beide 
Seiten symmetrisch; im 4. Lumbalsegmente war eine Seite bis auf Hinter- und 
theilweise Vorderstränge frei. Das 3. Lumbalsegment war auf der einen Seite noch 
erweicht. Es fand sich eine aufsteigende Degeneration der Hinterstränge beiderseits 
und eine solche der Gow ers’sehen Bahn dicht am Bande des Markes auf der Seite, 
wo der Tumor bis ins 4. Lumbalsegment gereicht hatte. 

Im 4. Falle handelte es sieb um eine totale Querschnittszerstörung im 6. und 
7. Cervicalsegment. Das Hinterstrangsbild über der Läsion war das bekannte; im 
4. Halssegmente waren die äusseren Theile der Burdach’schen Stränge wieder normal, 
die inneren Theile aber blieben bis oben hin degenerirt; die Fasern von der 5. cervi- 
calen Wurzel an blieben also in den äusseren Theilen des Burdach’schen Stranges. 
Die aufsteigende Gowers’sche Degeneration lag nicht am Bande des Markes. Ab¬ 
steigend waren die Pyramidenbahnen, das Schultze’sche Comma und der absteigende 
Tractus ventrolateralis degenerirt. Das Comma konnte mit Pal 6 Segmente weit 
nach unten verfolgt werden; der absteigende Tractus ventrolateralis lag ganz am 
Bande (doch nicht so ganz mit seinem dorsalen Ende. Bef. — Dieses entfernt sich 
vom Bande gerade so, wie in einem Falle des Bef. Arch. f. Psych. Bd. XXV). 

Im 5. Falle war bei einer Tumoroperation ein grosser Theil der rechten 
Hemisphäre — speciell im Gebiete der Centralwindungen — entfernt. Genaueres 
muss im Original nachgesehen werden. Es fand sich im Hirnstamm Degeneration 
der Pyramiden, einzelner Fasern in der Zwischenolivengegend und eines anterolateralen 
Stranges aussen unten an der Olive. Bei der Kreuzung gingen einzelne Fasern in die 
gleichseitige Seitenstrangspyramide; ausserdem fand sich ein compactes degenerirtes 
Bündel am dorsalen Theile der nicht degenerirten Pyramide — also später dem gekreuzten 
Vorderstrange entsprechend. Im Bückenmarke und speciell im Halsmarke waren 
beide, besonders natürlich die gekreuzte Seitenstrangspyramide, die gleichseitige 
Vorderstrangspyramide, ein gleichseitiger Faserzug am ventralen Bande des Markes 
gegenüber dem Vorderhirn und Fasern im gekreuzten Vorderstrange degenerirt. Die 
Degeneration der gekreuzten Seitenstrangspyramide hatte eine viel grössere Aus¬ 
dehnung als man bisher annahm — sie betraf besonders auch die Grenzschicht der 
grauen Substanz bis in den Vorderstrang und- theilweise auch die Kleinhimseiten- 
stränge. Die gleichseitige Vorderstrangspyramide kreuzte sich im Sacralmarke. 

Im 6. Falle handelte es sich um einen cystisch erweichten Tumor in der 
rechten Hemisphäre, der theilweise auch die Centralganglien afficirt hatte. Es fehlte 
hier die Degeneration im ungekreuzten Pyramidenseitenstrang, im gekreuzten Vorder¬ 
strange, in der Zwischenolivenschicht, am dorsalen Theile der intacten Pyramide und 
im ventrolateralen Theile des Seitenstranges; im Bückenmarke waren also nur die 
gekreuzte Seiten- und die ungekreuzte Vorderstrangspyramide degenerirt. 

Auf die Schlüsse des Verf.'s kann nur zum Theil eingegangen werden. Die 
hinteren Wurzeln im Sacralmarke sind bald nach ihrem Eintritte so über die der Hinter¬ 
stränge vertheilt, dass sie auch das ventrale Feld und das ovale Feld betheiligen; 
diese Gebiete enthalten also nicht nur endogene Fasern, wie auch Ddjörine und 
Spill er gefunden haben. Die Beflexcollateralen der hinteren Wurzeln erreichen 
nur die Gebiete, die oben im Fall 1 angegeben sind; speciell für eine Bahn in dem 
gekreuzten Vorderseitenstrang (Edinger) ist also kein Beweis vorhanden (Ddjö- 

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rine und Spill er, Mott). Von der 7. cervicalen Wurzel ausgehende Hinterstrangs¬ 
fasern gelangen nicht in die Go 11’sehen SträDge. Der Gowers’sche Strang muss, 
wie Fall 3 beweist, schon im 4. oder 3. Lumbalsegmente beginnen; er liegt im 
Lumbal- und Dorsalmarke dicht am Rande des Markes, im Cervicalmarke von diesem 
durch normale Fasern, die offenbar dem Tractus anterolateralis descendens entsprechen, 
getrennt. Das ist bisher übersehen. Dieser letztere Tractus liegt überall dicht am 
Rande des Markes (doch s. die Bemerkung oben bei Fall 4). Die in dem gleich¬ 
seitigen Seitenstrange verbleibenden Pyramidenfasern verlassen die sich sonst kreuzende 
Pyramide bei der Kreuzung am unteren Ende der Medulla oblongata — sie gehen 
bis ins Sacralmark; ebenso geht die ungekreuzte Vorderstrangspyramide bis ins 
Sacralmark, wo sie sich kreuzt. Das Gebiet der gekreuzten Seitenstrangspyrami¬ 
den ist ein viel grösseres, als man bisher an nahm (s. o.). Bei partiellen Läsionen 
der motorischen Gebiete des Grosshirns kann die Degeneration der homolateralen 
Seitenstrangspyramide fehlen. Die im gekreuzten Vorderstrange befindlichen Fasern 
in Fall 5 sind wohl auch Pjramidenfasern, sie stehen mit der Degeneration am 
dorsalen Theile der intacten Pyramide in der Höhe der Kreuzung in Zusammenhang; 
es giebt also gekreuzte und ungekreuzte Vorder- und Seitenstrangspyramiden. 

Im Allgemeinen stimmen die Resultate des Autors mit den bisher bekannten, 
namentlich mit den neuesten durch Marchi’s Methode gewonnenen Resultaten überein; 
das, was ganz neu ist, ist besonders hervorgehoben. L. Bruns. 


5) Unilateral descending atrophy of the fillet, arciform fibres and posterior 
column nuclei resulting from an experimental lesion in the monkey, 

by F. W. Mott. (Brain. 1898. Summer.) 

Durch das Experiment war eine leichte Läsion des linken Thalamus opticus, 
eine schwere des linken unteren Vierhügels und Corpus geniculatum externum erfolgt; 
ebenso waren alle drei Kleinhirnarme lädirt; in der Hauptsache war aber 
die laterale Schleife dicht über dem Pons durchschnitten. Es fand sich 
eine absteigende Degeneration der Schleife besonders in ihren mittleren Partieen, 
eine solche des Corpus trapezoides und des Stratum interolivare links, rechts eine 
solche der inneren Fibrae arciformes und der Hinterstrangskerne; keine Degeneration 
der Pyramiden und überhaupt im Rückenmarke nichts trotz der Läsion aller Klein¬ 
hirnschenkel. 

Der Affe war im Anfang rechts hemianopisch (Läsion des linken Corpus geni¬ 
culatum externum), ferner zeigte er Nystagmus nach links; links Tremor nach Art des 
Intentionstremors und Schwäche (Läsion der linken Kleinhirnschenkel). Ferner bestand 
rechts Anästhesie (Läsion der linken Schleife) und Schwäche; letztere wohl indirect 
durch die Sensibilitätsstörung bedingt. Zuletzt war alles mit Ausnahme der rechten 
Hemianopsie wieder verschwunden. Der Affe lebte 3 Jahre nach der Operation. 

L. Bruns. 

0) The cerebral cortical cell under the influence of poisonous doses of 
potassii bromidum, by Hamilton K. Wright. (Brain. 1898. Summer.) 

Verf. hat das Gehirn eines Epileptikers untersucht, der offenbar in Folge eines 
mehrtägigen Gebrauchs enormer Bromdosen gestorben war; zur Controlle dienten 
Kaninchengehirne nach Anwendung grosser Bromkalidosen. Er hat ausser leichten 
Veränderungen im Zwischengewebe besonders Veränderungen an den Rindenganglieu- 
zellen gefunden, die nach seiner Ansicht an den periphereten Theilen der Proto¬ 
plasmafortsätze begannen, da diese immer erkrankt waren, wenn sich am Zellkörper 
etwas fand, aber sich unter Umständen auch schon erkrankt fanden, wenn der Zell- 






körper noch normal war. Die Erklärungen der psychischen Wirkung des Broms 
aus dieser Erkrankung gerade der periphersten Enden der Protoplasmafortsätze 
sind wohl psychophysiologische Zukunftsmusik. L. Bruns. 


7) The morbid anatomy in a case of lead paralysis; condition of the 
nerves, musoles, musole spindles and spinal cord, by Laslett and 
Warrington. (Brain. 1898. Summer.) 

Fall von ausgebreiteter Bleilähmung der Arme und der Beine; an den Armen 
waren auch der Supinator longus, Triceps und die Schultermuskulatur, ferner die 
Interossei betheiligt. Es fand sich erhebliche Degeneration in den peripheren Nerven 
und Muskeln, doch hatten die letzteren ihre Querstreifung bewahrt. Die Muskel* 
spindhln waren erhalten. Hintere Wurzeln am Halsmarke normal, vordere atrophisch. 
In den entsprechenden Vorderhomzellen des Halsmarkes Veränderungen, die die Verfl. 
als retrograde auffassen. L. Bruns. 

8) Lea malformations cräniennes ches les heredo - Byphilitiques , par 

Edmond Fournier. (Nouv. Iconographie de la Salpötriöre. 1898. XI. S. 238.) 

Charakteristische Schädeldeformationen finden sich bei erblich Syphilitischen an 
der Stirn als sog. Olympierstirn (Hervorwölbung der ganzen 8tirn) oder als Pro¬ 
minenz beider Stirnhöcker, oder als mediale Leistenbildung; an den seitlichen 
Theilen des Schädels als Prominenz der Scheitelbeinhöcker, als Verbreiterung des 
Schädels in transversaler Bildung, oder als sog. cräne natiforme, bei dem die 
Scheitelbeine so nach oben vorgewölbt sind, dass sie in der Mittellinie eine Binne 
zwischen sich bilden, wodurch der Schädel das Aussehen der Nates erhält 

Eingehender bespricht Verf. dann die folgenden bei erblich Syphilitischen häufig 
beobachteten Missbildungen: 1. Asymmetrieen des Schädels, 2. Synostosen der 
Knochennähte, 3. Anomalieen der Schädelform als Acrocephalie, Dolichocephalie, 
Scaphocepbalie, 4. Mikrocephalie (besonders häufig), 6. Hydrocephalie. (Den Hydro- 
cephalus will Verf. als ein besonders wichtiges Stigma für erbliche Syphilis be¬ 
trachtet wissen, das in jedem Fall den Verdacht auf hereditäre Syphilis lenken 
sollte. Er hat allein 170 Fälle gesammelt, wo hydrocephalische Kinder von syphi¬ 
litischen Eltern stammten. Er theilt 17 betreffende Krankengeschichten mit, von 
denen 10 bisher unveröffentlichte Beobachtungen seines Vaters A. Fournier sind.) 

Zum Schluss lässt er seinen Vater über ein eigenthfimliches Symptom sprechen, 
welches letzterer oft bei erblich syphilitischen Kindern beobachtet hat und das in 
der Erweiterung gewisser Venen am Schädel besteht, so dass ein prall gefülltes 
Venennetz unter der Haut sichtbar wird, besonders im Bereich der Vena temp. 
superf., der Vena angularis und der Frontalvenen. (Circulation cränienne suppld- 
mentaire.) Facklam (Lübeck). 


Pathologie des Nervensystems. 

9) Beitrag zur sogenannten Pseudoparalysis hereditär-syphilitischer Säug¬ 
linge, von Dr. J. Zappert. (Jahrbuch für Kinderheilkunde. Bd. XLVI.) 

Die als Pseudoparalysis syphilitica (Parrot’sche Krankheit) bezeichnet« vor¬ 
übergehende Unbeweglichkeit einer oder mehrerer Extremitäten, wie man sie bei 
hereditär-luetischen Neugeborenen hie und da beobachtet, hat meistens ihre Ursache 
in einer Osteochondritis, deren Schmerzhaftigkeit den Säugling von Spontanbewegungen 
abhält. — Der vom Verf. untersuchte Fall bot klinisch das Bild einer solchen 


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Pseudoparalyse dar, welche den rechten und in schwächerem Grade auch den linken 
Arm betraf. Bei der Autopsie zeigte sich der Knochen, wenigstens für die makro¬ 
skopische Untersnchung intact, hingegen bestand eine nur auf das Cervic&lmark be¬ 
schränkte Meningitis spinalis mit beträchtlicher Degeneration der hinteren Bücken¬ 
markswurzeln. Auch die vorderen Wurzeln waren im Halsmarke stärker degenerirt, 
als dies Verf. sonst bei kindlichen Bückenmarken zu finden pflegt. Der Umstand, 
dass diese Bückenmarks Veränderungen nur das Halsmark betrafen, dass dieselben 
ebenso wie die klinischen Erscheinungen rechts stärker ausgeprägt waren als links, 
endlich das Fehlen einer erklärenden Knochenaffection veranlasst den Verf., in den 
spinalen Veränderungen die Ursache für diesen Fall von Pseudoparalyse zu erblicken. 
Vielleicht Hessen sich durch weitere Untersuchungen des Centralnervensystems manche 
Fälle dieses Leidens, bei welchen eine Knochenerkrankung unauffindbar ist, einer 
Erklärung zuführen. <M. 


10) Cerebral ayphilia with wide apread involvment of the cranial nerves, 

by George T. Preston, M. D. (Alienist and Neurologist. St Louis. 1898. 

January. XIX. Nr. 1.) 

Verf. berichtet über einen 37jährigen Patienten, welcher mit 27 Jahren einen 
Schanker und secundäre Erscheinungen hatte; mit 34 Jahren heftige Kopfschmerzen; 
2 Jahre später rechtsseitige Lähmung, Schwindel ohne Bewusstlosigkeit, aber an¬ 
scheinend mit vorübergehender Aphasie. Objectiv fand sich rechtsseitige Hemianopsie 
ohne hemianopische Pupillenstarre, linksseitige Anosmie, Augenbewegungen frei; auf¬ 
gehobene Tast- und Schmerzempfindung bei erhaltener Wärmewahrnehmung in der 
Umgebung des linken Auges und an der linken Schläfe; mangelnde Tastempfindung 
an der linken Zungenhälfte, linksseitige Taubheit, Lähmung des rechten Facialis. 
Sprache artikulatorisch etwas gestört, Zunge weicht nach rechts ab, keine Schling¬ 
beschwerden. Lähmung der rechten oberen und unteren Extremität mit leichter 
Atrophie ohne qualitative electrische Veränderungen. Patellarreflex rechts gesteigert, 
rechts Fussclonus. Verf., welcher besonders das auffällige Freibleiben der sonst so 
häufig bei Lues cerebri betroffenen Augenmuskeln betont, nimmt an, dass es sich 
um eine ausgedehnte gummöse Leptomeningitis handele, die sich besonders nach der 
linken Seite erstrecke und wahrscheinlich zu einer Thrombose der linken mittleren 
Hirnarterie geführt habe. Kaplan (Herzberge). 

11) Lagophthalmus im Schlafe bei vollständigem Lidsohluase im wachen 

Zustande als Theilbefund multipler Hirnnervenlähmung in Folge 

luetischer Basalmeningitis, von Dr. Victor Hanke. (Wiener klinische 

Wochenschr. 1898. Nr. 16.) 

Eine 57jährige, vorher stets gesunde, hereditär nicht belastete Frau, deren 
Mann an einer venerischen Erkrankung gelitten haben soll und daran auch starb, 
bekam im Februar 1895 nach einer aufregenden Nachricht einen „Schlaganfall“: 
Kopfschmerzen, Erbrechen, Krämpfe am ganzen Körper und binnen wenigen Stunden 
eine vollständige Lähmung des linken Auges. Die linke Gesichtshälfte war starr 
und gefühllos, der Mund nach rechts verzogen, das Kauen links nicht beeinträchtigt, 
Bewusstsein nicht alterirt. 

Elektrische Behandlung; nach s / 4 Jahren Besserung der Lidlähmung und Fa- 
cialislähmung, aber Auftreten von Doppeltsehen; seit 3 Monaten theilweise Wieder¬ 
kehr des Gefühles im linken Trigeminusgebiet, im Uebrigen der Zustand seit 2 Jahren 
stationär. 

Der Sohn der Patientin gab spontan an: die Unmöglichkeit der Patientin, auf 
dem linken Auge zu weinen, weder auf psychische Erregungen noch reflectorisch und 
das Offenbleiben der linken Lidspalte im Schlafe. 


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Seit dem Schlaganfalle auffallende Schläfrigkeit und zunehmende Vergesslichkeit, 
vom Auge in die linke Gesichts- und Schläfenseite ausstrablende Schmerzen und 
häufige, in kurzer Zeit ohne Behandlung wieder schwindende Entzündungen des 
linken Auges. Anlässlich einer solchen kam Patientin ins Spital, wo folgender 
Status praesens aufgenommen wurde: 

Auffallende Apathie uud Schläfrigkeit, intacte aber sehr langsame Sprache. 
Arteriosklerose, Hypertrophie des linken Ventrikels; starke Accentuation des II. Aorten¬ 
tones, leichtes systolisches Geräusch über der Spitze, normaler Urinbefund. Normaler 
Nervenbefund an Stamm und Extremitäten sowie an den rechtsseitigen Hirnnerven. 
Herabsetzung der Tast- und Schmerzempfindung im linken Trigeminus, am stärksten 
im 1., am schwächsten im 3. Aste. Motorisches Gesichtsfeld frei. Geruch links etwas 
besser als rechts. Auf NH 3 links keine reflectorische Thränensecretion. Linksseitige 
Facialisparese mit Ausnahme des Stirntheiles. Gehör links normal, rechts seit Jugend 
bestehende Affection des schallleitenden Apparates. Leichte aber deutliche Herab¬ 
setzung der Empfindlichkeit der Zungen-, Lippen-, Wangen- und Gaumenschleimhaut, 
sowie der Epiglottis links. Herabsetzung der Geschmacksempfindung an der ganzen 
linken Zungenhälfte. Gaumen- und Würgreflex links herabgesetzt, motorische Inner¬ 
vation des Schlund- und Kehlkopfes normal. Ptosis links; der Lidschluss ist links 
vollkommen, reflectorisch sowohl von der linken als von der rechten Seite aus er¬ 
folgend; totale linksseitige Oculomotorius- und Trochlearislähmung. Linke Cornea 
getrübt, im Centrum ein graugelbes ulcerirendee Infiltrat; Anästhesie der Cornea. 
Jodkalibehandlung. 

Vom weiteren Verlaufe sei hervorgehoben, dass nach etwa 4 Monaten nunmehr 
im 1. Trigeminusaste eine geringe Hyperästhesie bestand; die Facialisparese hatte 
sich gebessert, der Lidschluss im Schlafe war vollständiger wie früher, der Geschmack 
normal, die Schleimhautsensibilität beiderseits gleich, sonst Status idem. 

Verf. begründet die Diagnose „luetische Basalmeningitis der linken mittleren 
Schädelgrube“; der Beginn der Erkrankung unter Allgemeinsymptomen, Kopfschmerz 
und Erbrechen, vereinzelten Krampfanfällen, Beklommenheit und Schlafsucht, und 
hierauf folgende Lähmung der Augenmuskelnerven sind das typische Bild der in 
Bede stehenden Krankheit. Das Freibleiben des 3., 4. und 7. Hirunerven, sowie des 
motorischen Gesichtsfeldes spricht nicht gegen die Diagnose; die Einseitigkeit des Pro- 
cesses gegen eine nucleare Affection. Dazu kommt die auf Lues positive Anamnese 
und die Erfolge der specifischen Therapie. 

Die Herabsetzung des Geschmackes auch im hinteren Drittel der Zunge kann 
Folge der Trigeminuserkrankung sein (Bruns, Gowers). 

Das Fehlen psychischer und reflectorischer Thränensecretion auf Seite der 
Lähmung scheint im vorliegenden Falle mehr die Bolle des Trigeminus als Erreger 
der Thränendrüse (Tepliachine) zu sprechen, als für die des Facialis (Gold¬ 
zieher); denn erstens war die Störung der Thränensecretion vollständig uud bei 
Weitem auffallender als die Lähmungserscheinungen des Facialis, und dann änderten 
sich die Facialissymptome fast gar nicht, während zugleich mit dem Rückgänge der 
sensiblen Trigeminuslähmung das psychische und reflectorische Weinen sich wieder 
einstellte. 

Die Erscheinung, dass im wachen Zustande die Lider des linken Anges sowohl 
willkürlich als reflectorisch vollständig geschlossen werden können, während im 
Schlafe der reflectorische Lidschluss fehlt, erklärt sich aus der Schwäche des Muskels 
und der Anästhesie der Cornea und Bindehaut. Im Momente des Einschlafens wurden 
beide Augen gleichmässig geschlossen, links wegen der erwähnten Anästhesie nicht 
direct, sondern consensuell mit der gesunden rechten Seite. Der paretische Orbicul. 
oc. sin. ist aber nicht im Stande, seinen Contractionszustand lange Zeit festzuhalten, 


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das Auge öffnet sich wieder und bleibt geöffnet, da wegen der Anästhesie der 
Cornea und Conjunctiva die Beize zu erneuter Contraction fehlen. 

J. Sorgo (Wien). 


12) Contributo allo studio olinioo ed anatomioo della meningite sifllitica 

cerebro-spinale, per F. Giannuli. (Biv. sperim. di Freniatria. XXIII.) 

Der vom Verf. beobachtete Kranke bot einen sehr seltenen Complex von Sym¬ 
ptomen dar: linksseitige Lähmung und Hemiatrophie der Zunge zusammen mit rechts¬ 
seitiger schwerer Hemiplegie, und Abducenslähmung rechts mit linksseitiger Hemi¬ 
parese. Die erste Combination ist die Miliard-Gubler'sehe, die zweite zuerst von 
Goukowsky beschrieben worden. Das Leiden hatte sich sprungweise entwickelt. 
Die Abducenslähmung war der des Hypoglossus voraufgegangen. Anatomisch bestand 
gummöse Meningitis, charakterisirt durch neugebildetes, kleinzelliges, gefassreiches 
Gewebe in der Pia mater, namentlich stark im Böcken- und Lendenmark an der 
Austrittsstelle der hinteren Wurzeln. An der Basis des Hirnstammes zwei Gummata. 
Die Pyramiden-Seitenstränge rarificirt rechts stärker als links, Hinterhörner ver¬ 
schmälert, in der Bolando’sehen Substanz und den Clarke’schen Säulen die Zellen 
ergriffen und das feine fibrilläre Netzwerk geschwunden. Die Degeneration des 
GolPschen Stranges nach oben hin abnehmend, weiter aufwärts nur den hinteren 
medianen Abschnitt nahe der Mittellinie einnehmend. 

Verf. knfipfte an seinen Fall einige anatomische Betrachtungen über die Lage 
der Kerne im Bulbus. Valentin. 


13) Ueber die Beziehungen der Glykosurie und des Diabetes mellitus 

zur Syphilis, von Dr. med. C. Manch ot. (Monatshefte für prakh Dermatologie. 

1898. Bd. XXVII.) 

Der erste (historische) Theil der Arbeit beschäftigt sich mit einer kritischen 
Sichtung der diesem Thema gewidmeten Arbeiten. Eine ganz specielle Berücksichti¬ 
gung findet hierbei die von Leyden angeregte Arbeit Scheinmann’s (Deutsche 
med. Wochenschrift. 1884.) 

Verf., der am alten allgemeinen Krankenhaus zu Hamburg unter Engel- 
Beimers arbeitet, verwerthet im II. Theil das grosse Material dieses Krankenhauses, 
um die Beziehungen der Glykosurie bezw. des Diabetes mellitus zur Syphilis festzu¬ 
stellen. Die Schlussfolgerungen des Verf.’s sind im Wesentlichen die folgenden: 

Im Verlaufe der secundären und tertiären Syphilis kommt eine vorübergehende 
Glykosurie vor. Unter 359 syphilitischen Individuen konnten 12 Fälle transi¬ 
torischer Glykosurie festgestellt'werden (3,3%), deren luetische Aetiologie absolut 
sicher ist. 

Bei der Lues congenita wurde niemals Zucker im Urin gefunden. Auch bei 
2 Fällen von Lues hereditaria tarda war der Urin stets zuckerfrei. Die Glykosurie 
liess in keinem Falle einen auffälligen Zusammenhang mit der Schwere der Infection 
erkennen. 

Die transitorische Glykosurie der Syphilitischen ist eine Theilerscheinung der 
syphilitischen Erkrankung des Gesammtorganismus. Als directe Ursache lassen sich 
vorübergehende, reparable Störungen des Pankreas, vielleicht auch der Leber 
vermuthen. 

Die transitorische Glykosurie der Syphilitischen ist als ein weiteres Glied in 
der Kette jener Erscheinungen aufzufassen, welche die Betheiligung der inneren 
Organe an dem Ausbruch der constitutioneilen Syphilis documentiren (Albuminurie, 
Icterus, Gelenk- und Sehnenscheidenaffectionen, acute Herzschwäche der Luetiker). 

Moritz Fürst (Hamburg). 


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14) Zur Lehre von der syphilitischen Spinalparalyse (Erb), von Privatdoc. 

Dr. F. Pick. (Prager med. Wochenschr. 1898. Nr. 18—20.) 

Verf. spricht sich fflr die Existenzberechtigung einer syphilitischen Spinalparalyse 
im Sinne von Erb aus auf Grund eines ausfflhrlich mitgetheilten Falles. Er betrifft 
einen Mann, der mit 30 Jahren ein Ulcus mit Secundärerscheinungen acquirirte. 
1 Jahr später plötzlich Unvermögen aufzustehen, wegen Schwäche and Spasmen der 
Beine, Stuhl Verhaltung. Auf Jodkali Besserung. Becidive der Erscheinungen nach 
l 1 / 2 Jahren. 4 Jahre nach der syphilitischen Infection im Jahre 1888, also vor 

dem Erscheinen der Arbeit von Erb, wurde bereits die Diagnose auf Paralysis 

spinalis spastica e lue gestellt. Damals bestanden bloss Erscheinungen von Seite 
der unteren Extremitäten; ausgesprochen spastischer Gang ohne sonstige auffällige 
Muskelspannungen oder Paresen, gesteigerte Reflexe, Sensibilität kaum nennenswerth 
gestört, keine Blasenstörung, Wirbelsäule im 4.—5. Brust- und 3. Lendenwirbel 
etwas druckempfindlich. In den folgenden 10 Jahren zeigten die Erscheinungen 
wohl einige Schwankungen in der Intensität, blieben aber sonst unverändert; nur 
reflectorische Pupillenstarre trat hinzu. 

Abweichend von dem Erb’schen Typus ist in diesem Falle bloss der plötzliche 

Beginn der Erscheinungen. Verf. weist aber nach, dass unter den in der Litteratur 

beschriebenen Fällen Erb’scher syphilitischer Spinalparalyse eine ganze Reihe diesen 
plötzlichen Beginn zeigen. Er bringt in dieser Beziehung einen zweiten eigenen 
Fall mit plötzlichem Beginn der Erscheinungen bei: 

Er betrifft einen Kranken, der mit 26 Jahren Syphilis acquirirte. 1 Jahr später 
plötzlich Harnverhaltung und bald darauf vollständige Lähmung der unteren Extre¬ 
mitäten, Verlust der Sehnenreflexe, totale Anästhesie. Nach 7 Wochen Besserung. 
Bei der Untersuchung 3 Jahre später an den unteren Extremitäten geringe Spasmen, 
keine auffällige Lähmungserscheinungen, ausgesprochen spastischer Gang, leichte 
Hyperästhesie, starke Steigerung der Sehnenreflexe, Parese der Blase. Spasmen des 
Sphincter ani. In der weiteren Folge blieben die Erscheinungen stationär. 

Es zeigt sich also, dass nicht so selten die syphilitische Spinalparalyse mit den 
Erscheinungen einer totalen Querschnittläsion beginnt, ohne dass man nach Verf. 
eine Berechtigung hätte, diese Fälle von denen mit allmählichem Beginne zu trennen, 
da ja die Fälle im weiteren Verlaufe sich vollkommen gleichen. Als charakteristisch 
für die syphilitische Spinalparalyse hält Verf. den ausgesprochen spastischen Gang 
bei relativ geringen Muskelspannungen. Blasenstörung, geringe noch am meisten 
ffir den Temperatursinn ausgesprochene Sensibilitätsstörungen. 

Man könnte höchstens die chronisch beginnenden Fälle als primäre oder ge¬ 
meine syphilitische Spinalparalyse, die acut einsetzenden als secundäre bezeichnen. 
Als anatomischer Befund ergab sich in vereinzelten Fällen (Nonne) primäre System¬ 
degeneration, andererseits solche im Verein mit einer Transversalmyelitis. Fflr die 
Fälle mit plötzlichem Beginn dflrften insbesondere Gefässerkrankungen eine 
Rolle spielen. 

Aetiologisch ergeben sich nebst der Lues als wichtig Kälteeinwirkungen und 
körperliche Ueberanstrengung; auch sah Verf. Verschlimmerung nach Darreichung 
von Abführmitteln. Redlich (Wien). 


15) Over syphilitische spinaalparalyse, door Dr. L. J. J. Muskeus. (Psychiatr. 
en neurol. Bladen. 1897. Sept. Nr. 4. blz. 328.) 

Ein Soldat zog sich in Ostindien im Jahre 1886 Syphilis zu und wurde mit 
Schmierkur und Jodkalium behandelt. Im Jahre 1891 kehrte er nach Holland 
zurflck. Im Jahre 1894 bemerkte er Schwierigkeit bei der Harnentleerung, wozu 
sich bald Krämpfe, Schwäche und Vertaubung in den Beinen gesellte, dann Zittern 
in den Beinen, später bestanden deutliche Blasenstörungen, besonders Insufficienz des 


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Detrasor. Parese beider Beine, stark gesteigerte Sehnenreflexe, die sich störend ir 
jede willkürliche Bewegung mischten, da der leichteste Stoss an das Bein eine Streck¬ 
bewegung auslöste. Rechts waren diese Erscheinungen stärker und rechts fand sich 
auch der Muskeltonus stärker, als links. Ausserdem bestanden Sensibilitatsstörungei 
in den Unterschenkeln. Seit 2 Jahren bestand der Zustand so ziemlich unverändert 
Verf. diagnosticirte syphilitische spastische Spinalparalyse. 

Walter Berger (Leipzig). 


10) Neurosen in Folge von Syphilis, von Dr. Otto Dornblüth, Nervenarzt 

in Rostock. (Münchener med. Wochenschr. 1897. Nr. 42.) 

Verf. betont die ätiologische Bedeutung der Syphilis für Neurasthenie, Hysterie 
and Epilepsie, wie sie schon ex juvantibus hervorgeht, und zwar ist es der Merccr, 
von welchem in solchen Fällen prompter Erfolg zu constatiren ist Während die 
Neurasthenie ohne gleichzeitige, deutliche Syphilissymptome aufzutreten pflegt, fall: 
die Hysterie häufig in die Periode der secundären Lues (C har cot). Von syphi¬ 
litischer Epilepsie werden mehrere Fälle angeführt und zwar handelte es sich eiwra. 
um eine Frau mit besonderer Beeinträchtigung der geistigen Fähigkeiten neben den 
mehrmals täglich auftretenden Anfallen (petit mal). Quecksilberbehandlung in Form 
von Sublimatinjectionen hatte auffallende Besserung des Intellects, sowie Verminderung 
der Anfalle zur Folge. In einem weiteren Fall wurde die in Form von Absencen 
auftretende Epilepsie bei einer Frau unter Gebrauch von Hydrarg. tannicum bedeutend 
gebessert. Auch hereditäre Syphilis kann die Ursache von Epilepsie sein, wie zwei 
weitere Fälle zeigen, ferner können durch sie Zustände von Idiotie und angeborenem 
Schwachsinn veranlasst werden, welche der Hg-Behandlung gleichfalls zugänglich sind. 

E. Asch (Frankfurt a./M.). 


17) Ueber die ohirargisohe Behandlung der Hirnsyphilis, von Dr. F. von 
Friedländer und Dr. H. Schlesinger. (Mittheilungen aus den Grenzgebieten 
der Medicin und Chirurgie. Bd. III.) 

43jähriger, vor längerer Zeit schon luetisch inficirter Mann erkrankte 2 Jahre 
vor der Operation an linksseitigen, Nachts exacerbirenden Kopfschmerzen. Seit 
3 Monaten häufige Anfälle von Rindenepilepsie, die in der Zungenspitze beginnen, 
und sich rasch auf das Gebiet des rechten Facialis, die rechte Hand und den rechten 
Arm erstrecken. Vor dem Krampfanfalle zeigen sich sensible Reizerscheinungen, die 
sich in derselben Weise ausbreiten. 

Das Bewusstsein ist während der Anfälle erhalten, nach denselben findet sich 
öfters eine vorübergehende motorische Aphasie. Die Sprache verschlechterte sich, 
mehrfache luetische Kuren brachten keine Besserung. 

Bei der Aufnahme ins Hospital zeigte Patient: Rechtsseitige Hypoglossusläbmung, 
rechte Facialisparese, später Lähmung des rechten Armes und Ataxie in demselben. 
Die Berührungsempfindung ist erhalteh, hingegen das Localisationsvermögen, der 
Temperatur-, Schmerz- und stereognostische Sinn gestört. Doppelseitige Stauungs¬ 
papille. Am linken Scheitelbein findet sich eine druckempfindliche Stelle. 

Die Haut in der rechten oberen Extremität ist livid verfärbt und turgescent. 
Da von einer weiteren antisyphilitischen Behandlung kein Nutzen zu erwarten 
war (Patient hatte bereits mehrmals sich einer Inunctionskur unterzogen), so ent¬ 
schloss man sich zum chirurgischen Eingriffe. Es fand sich in der Gegend des 
unteren Theiles der linken Centralwindungen ein von der Dura ausgehender Tumor, 
der entfernt wurde und sich bei mikroskopischer Untersuchung als Gumma erwies. 
Reactionalose Heilung der Wunde. Die Lähmungen an oberer und unterer Extremität 
bildeten sieh gänzlich zurück, ebenso die Fadalislähmung. Hingegen blieb die rechts* 


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seitige Hypoglossuslähmung bestehen. Diese isolirte corticale Hypoglossuslähmuag 
spricht für das Vorhandensein eines besonderen Bindencentrums für den N. hypo- 
glossos beim Menschen, etwa im untersten Viertel der vorderen Centralwindung. 
Ferner war in der Beconvalescenz eine ausgesprochene Verspätung der Schmerzempfindung 
rechts zu constatiren, sowie Hyperalgesie und schmerzhafte Nachempfindung. Von 
Wichtigkeit ist, dass in vorliegendem Falle die Verspätung der Schmerzempfindung 
rein corticaler Natur war und auch hier wie bei spinaler und peripherer Lähmung 
als eine Art von Summationsvorgang anzusehen ist. 

Zugleich mit dem operativen Eingriff trat die schon vorher bestehende und für 
einige Zeit verschwundene vasomotorische Störung auf der gelähmten Körperhälfte 
wieder auf, eine Beobachtung, die für den corticalen Ursprung derselben spricht. 

VerfT. stellen als Indicationen für den chirurgischen Eingriff, der wie in dem 
beschriebenen Falle lebensrettend wirken kann: 1. Stationärer Tumorbefund nach 
antiluetischer Behandlung bei leichter Zugänglichkeit und vermuthlich geringem Um* 
fange. 2. Progredienz der Erscheinungen trotz eingeleiteter specifischer Behandlung, 
wenn eine Indicatio vitalis besteht. 3. Trotz antiluetischer Behandlung bestehende 
Jackson'sehe Epilepsie, auch wenn die früheren Tumorsymptome inzwischen ge¬ 
schwunden sind. A. Doberenz (Leipzig). 


18) Osservazionl ollniohe tendenti a dimonstrare l’esistenza di flbre asso- 
oiative tra il nervo faooiale e il nervo oculo-motore oomune del 
medesimo lato, per C. Negro. (Bollettin. del policlin. gen. di Torino II.) 

Ist bei Gesichtslähmungen der obere Ast des Facialis mitbetroffen, so macht der 
Kranke eine Botationsbewegung des Bnlbns oculi der gelähmten Seite nach oben 
und aussen, seltener nach oben innen, jedes Mal, wenn er versucht, das Auge 
zu schlies8en. Das Auge behält diese Stellung bei, so lange die willkürliche Con- 
traction des orbicularis oculi andauert. Das Auge der gesunden Seite vollführt eine 
associirte aber weniger ausgiebige Ezcursion nach oben innen, bezw. oben aussen. 
Auf die diagnostische Wichtigkeit dieses Phänomens hat Verf. in einer früheren 
Arbeit (Bollett. del policlin. gen. di Torino. 1896. Nr. 3) hingewiesen. Zu seiner 
Erklärung war Verf. von den Untersuchungen Mendel’s (d. Centralbl. 1887) aus¬ 
gegangen, nach denen der obere Facialis im Oculomotoriuskern entspringt und im 
hinteren Längsbündel zum Kniee des Facialis zieht Eine gleiche physiologische 
Verbindung nahm Verf. vom Facialis zum Oculomotorius derselben Seite an, so dass 
ein Willenreiz, der auf der Bahn des ersteren Hindernisse findet, dem letzteren 
zufliesst. Erfolgt die Bewegung des Auges nach oben und aussen, so ist es der 
Musculus obliquus inferior, erfolgt sie nach oben innen, der Bectus superior, der 
innerviert wird. Dass die erstere Bewegung bei der Facialislähmung die häufigere 
ist, liegt an der auch anatomisch wahrscheinlich gemachten Dissociation im Kerne 
des Oculomotorius. 

Besteht die vom Verf. angenommene Verbindung zwischen Facialis und Oculo¬ 
motorius, so muss, wenn umgekehrt die Bahn zum Musculus obliquus inferior unter¬ 
brochen ist, eine Contraction der vom oberen Facialis versorgten Muskeln eintreten, 
wenn der KraBke den gelähmten Augenmuskel willkürlich bewegen will. Unter 
6 Fällen, 5 Tabikern und einem Kranken mit chronischer specifischer Basilarmeningitis, 
bei denen unter anderen der Musculus obliquus inferior einer oder beider Seiten 
gelähmt war, traf dies 4 Mal zu. 

Wie erklären sich die beiden Ausnahmen? Verf. antwortet: aus dem Sitze der 
Erkrankung. Nur wenn die Lähmung des Musculus obliquus inferior eine periphere, 
kann der Beiz auf den Facialis weitergeleitet werden. Ist der Kern des betreffenden 
Nerven erkrankt, so ist auch diese Bahn unterbrochen. Valentin. 


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19) An nnu8ual form of faoial paralysis, by W. S. Melsome. (Fediatrics. 
1898. Vol. Y.) 

Das auffälligste Symptom in diesem Falle einer nach Ohroperation aufgetretenen 
rechtsseitigen Facialislälimung bestand darin, dass das 5jährige Kind während des 
Schlafes das rechte Auge völlig mit dem Oberlide za bedecken im Stande war, 
während willkürlich eine vollkommene Schliessung des Auges unmöglich erschien. 
Der Fall ging rasch in Heilung über. Zappert 


20) Diplegla facialis, per Dr. Sudnik in Buenos-Aires. (Semana Medica Buenos- 

Aires. 1897. Sept. 30.) 

Yerf. berichtet über einen interessanten Fall von Diplegia facialis bei einem 
jungen Manne von 17 Jahren, der kürzlich vorher Syphilis acquirirt hatte. Br litt 
an heftigen Schmerzen der rechten Seite des Gesichts und 3 Tage nachher tritt eine 
Paralyse der Gesichtshälfte ein. Einige Tage nachher stellte sich eine Paralyse der 
linken Seite des Gesichts ein, aber ohne vorangegangenen Schmerzen. 

Die Untersuchung der Ohren ist negativ. 

Gehörsinn ist unverletzt; Pharynx zeigt mehrere Plaques muqueuses: Ge¬ 
schmackssinn ist vermindert; Yelum Palati ist nicht abweichend; Reflex vermindert; 
keine Störung der Sensibilität. 

Die elektrische Untersuchung ergiebt Entartungsreaction für beide Seiten des 
Gesichts. 

Yerf. glaubt, die Diplegia hängt mit der Syphilis zusammen. 

W. C. Krauss. 

21) Herpes soster mit gleichseitiger Faoialislähmnng , von Grassmann. 

(Deutsches Archiv f. klin. Medicin. 1897. Bd. LIX.) 

81jährige Dame erkrankte mit Schmerzen im rechten Plexus cervicalis unter 
Auftreten von Herpes zoster im Gebiet dieses Plexus, sowie des 3. Astes des Trige¬ 
minus und des Facialis. Daneben war eine Schwellung der rechten Wange und 
vollständige Facialislähmung der rechten Seite zu beobachten. Nach Abheilung des 
Herpes blieben noch beträchtliche Störungen der Hautsensibilität im Bereich des 
Plexus cervicalis zurück. K. Grube (Neuenahr). 

22) Un oas de paralysie faeiale periphdrique dite rhumatismale ou 

„a frigore“ suivi d’autopsie, par J. Döjörine et A. Theohari. (Comptes 

rendus de la Soc. de Biolog. 1897. 4. Ddc.) 

Die Yerff. beobachteten einen Fall von rheumatischer Facialisparalyse bei einer 
81jährigen dementen Frau, welche einem Uteruscarcinom erlag. Es zeigte sich bei 
der Section keine Spur von irgend einer Erkrankung des Schläfenbeins oder des 
Fallopi'sehen Canals, dagegen erwiesen sich die terminalen Endigungen des Facialis 
bei der mikroskopischen Untersuchung als hochgradig degenerirt: das Mark war 
schollig zerfallen, der Axencylinder nicht mehr nachweisbar; auch die von den be¬ 
treffenden Nerven versorgten Muskeln befanden sich im Zustande der Degeneration 
und zeigten eine undeutliche Querstreifung und reichliche Kernanhäufung. — Im 
\ Facialiskern fanden sich zahlreiche degenerirte Zellen. 

j Der vorliegende Fall ist nach zwei Richtungen hin interessant Einmal lehrt 
derselbe, ähnlich wie der früher von Minkowski beschriebene Fall, dass die „rheu¬ 
matische Facialisparalyse“ augenscheinlich * eine infectiöse Ursache hat bei welcher 
die „Erkältung“, wenn überhaupt nur einen auslösenden Effect hat Ferner war es 
auffallend, dass die unteren Facialisäste, deren Function bekanntlich sich am 


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schwersten wieder einstellt, am weitaas heftigsten erkrankt befanden worden, indem 
hier nur auf etwa je 10 erkrankte Nervenfasern eine normale kam, ein Verhältniss, 
das bei den oberen Facialisftsten gerade amgekehrt beobachtet wurde. 

W. Cobnstein (Berlin). 


23) Interpretation d’un Phänomene reoemment deorit dans la paralysie 

faciale pöriphörique, par M. Campos. (Progrös mödical. 1898. S. 97.) 

Vergangenen Herbst beschrieben Bordier und Frenkel bei der peripher be¬ 
dingten Facialislähmung folgendes von ihnen neubeobachtete Phänomen: eine Bewegung 
des Augapfels nach oben und aussen bei geschlossenen Augenlidern. Sie hielten 
dieses Zeichen fflr prognostisch sehr wichtig, und zwar in ungünstigem Sinne, indem 
das Symptom eine schwere Erkrankung bezeichne. Bounier theilte einige Wochen 
später mit, er habe dieses Symptom sehr häufig beobachtet und könne nicht der 
Autoren Ansicht theilen. 

Verf. erklärt in vorliegendem Aufsatz das Phänomen als ein ganz einfaches 
und physiologisch bedingtes. Im Zustande der Buhe stellte sich der Augapfel be- 
kanntermaassen stets nach oben und aussen ein, wie dies bei Oeffnen der Lider 
eines Schlafenden zu beobachten sei. Er bringt des ferneren als Stütze für seine 
Behauptung physiologische, normal wie experimentell anatomische und pathologische 
Facta und bespricht des näheren die Functionen der Augenmuskeln, die bei diesem 
physiologischen Vorgänge in Betracht kommen. Es sei hierdurch auf die Abhandlung 
hingewiesen. Adolf Passow (Strassburg i./E.). 


24) Das Ch. BelTsohe Phänomen bei peripherisoher Facialislähmung, von 

Bernhardt (Berlin). (Berliner klin. Wochenscbr. 1898. Nr. 8.) 

Bordier und Frenkel haben in der Semaine Möd. (Sept 1897) behauptet, 
bei der Facialislähmung ein Phänomen beobachtet zu haben, welches bisher noch 
nicht beschrieben sei. Fordert man den Kranken auf, die Augen fest zu schliessen, 
so gelingt dies leicht auf der gesunden Seite. Auf der gelähmten Seite kommt aber 
nur eine geringe Verkleinerung der Lidspalte zu stände; der sichtbar bleibende Aug¬ 
apfel bewegt sich zuerst nach oben und dann leicht nach aussen, während sich das 
obere Lid etwas senkt. 

B. und F. ziehen aus dieser Erscheinung und der event. Besserung mehrere 
diagnostische und ätiologische Folgerungen. Verf. weist nach, dass letztere nicht zu 
Becht bestehen, und dass das sogen, neue Phänomen schon vor 75 Jahren Ch. Bell 
bekannt war und seitdem oft beschrieben worden ist. 

Bielschowsky (Breslau). 


20) lat das sogen. BelTsohe Phänomen ein für die Lähmung des N. facialis 
pathognomonisohes SymptomP von Dr. Georg Köster. (Münchener med. 
Wochenschr. 1898. Nr. 28.) 

Eine Beihe von Forschern, wie Gowers, Möbius, Strümpell u. A., haben 
das Bell’sehe Phänomen, d. h. die Drehung des Bulbus oculi nach oben innen und 
dann nach aussen, als ein für Facialislähmung pathognomonisches Symptom angegeben. 
Bell selbst hingegen hält das Aufwärtskehren des Augapfels nicht für pathologisch, 
sondern erachtet es als einen bei jedem Lidschluss auftretenden physiologischen Vor¬ 
gang. Dieser Ansicht schliesst sich Verf. vollständig an. Er bat an Hunderten 
von Gesunden den Weg verfolgt, welchen die Bulbi bei activem oder passivem Lid¬ 
schluss nehmen, und stets gesehen, dass sich die Augäpfel nach oben innen und dann 
nach aussen bewegen. Naturgemäss kann man dies Phänomen am besten studiren, 


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wenn die Lider durch eine Lähmung am Schliessen verhindert werden. Pathognomoniach 
für eine Facialislähmung ist es aber entschieden nicht 

Ebenso kann Verf. die Bounier’sche Beobachtung nicht bestätigen, dass 
nämlich bei Facialislähmung das obere Lid sich hebe, wenn Pat. dasselbe zu schliessen 
versuche. Vielmehr bat Verf. in jedem einzelnen Falle eine leichte Senkung des 
Lides bei intendirtem Schlüsse sehen können. Kurt Mendel. 


26) Ueber Sensibilitätsstörungen bei rheumatiBeher Facialislähmung , von 

Dr. Adler. (Allgem. med. Centralzeitung. 1898. Nr. 22.) 

1. 47ja.hr. Frau erwacht eines Morgens mit einer rechtsseitigen Gesichtslähmung 
und Taubheitsgefühl auf der rechten Zungenhälfte. Die Untersuchung ergab neben 
einer typischen Facialislähmung deutliche Verminderung des Tast-, Schmerz- und 
Temperaturgefühls auf der Oberfläche der rechten Zungenhälfte und der Schleimhaut 
der rechten Unterlippe. Geschmacksvermögen der rechten Zungenhälfte vollkommen 
aufgehoben. Einige Tage später Schmerzen in der rechten Warzenfortsatzgegend 
und der Tiefe des Gehörganges, die etwa 2 Wochen anhielten. Nach 4 Wochen 
Heilung. 

2. Bei einem 47jähr. Manne stellte sich unter Schmerzen in den Zähnen der 
rechten Mundhälfte und hinter dem rechten Ohr, die etwa 14 Tage anhielten, eine 
rechtsseitige Gesichtslähmung mit totaler Entartungsreaction ein. Geschmack der 
rechten Zungenhälfte aufgehoben, Tast-, Schmerz- und Temperaturempfindung wie 
elektro-cutane Sensibilität auf der rechten Zungenhälfte an Ober- und Unterseite, 
sowie an der Schleimhaut der rechten Oberlippe erheblich vermindert Nach 4 Wochen 
noch Status idem. 

Verf. verweist auf die den seinen ähnlichen Beobachtungen von Bernhardt 
und v. Frankl-Hochwart; ob es sich in solchen Fällen um ein Mitergriffensein 
von Trigeminu8fasem handelt, oder ob die Annahme statthaft ist, dass im Facialis 
auch sensible Fasern verlaufen, ist zur Zeit noch fraglich. 

Martin Bloch (Berlin). 


27) Klinisohe Stadien über die Gesohmaokslähmungen daroh Zerstörung 
der Chorda tympani und des Plexus tympanious, von Dr. H. Schlich- 
ting in Güstrow. (Zeitschr. f. Ohrenbeilk. Bd. XXXII.) 

Es ist zwar ein physiologischer Fundamentalsatz, dass die Chorda tympani die 
vorderen Zungenpartieen mit Geschmacksfasem versorgt, allein der weitere centri- 
petale Verlauf und der schliessliche Verbleib ist zweifelhaft 

Für den Verlauf der Geschmacksfasern im Trigeminus sprechen sowohl physio¬ 
logische Versuche, als auch Ergebnisse der Pathologie, doch fand sich andererseits 
auch bei Trigeminusresection und bei Erweichung des Gasser’sehen Knotens nur 
Herabsetzung, einmal sogar völlige Intactheit der Geschmacksempfindlichkeit. 

Noch mehr Differenzen bestehen bei der Frage, welchen Weg die Chordafasern 
zum Trigeminus nehmen, und welcher Ast des letzteren sie centralwärts führt 
Uebrigens haben einige Autoren den Facialis, andere den Glossopharyngeus als Ge¬ 
schmacksnerv bezeichnet; für letztere Hypothese hat Carl auf Grund einer Selbst¬ 
beobachtung einen Beweis zu erbringen geglaubt, welcher jedoch vom Verf. wider¬ 
legt wird. 

Dass für das hintere Zungendrittel der Glossopharyngeus der Geschmacksnerv 
ist, wird fast übereinstimmend behauptet. Zur weiteren Erörterung der Frage nach 
der Geschmacksinnervatiun geht Verf. von der Thatsache aus, dass man bei Kranken 
mit chronischer Paukenhöhleneiterung fast stets Geschmacksläbmung findet, allerdings 


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von sehr wechselnder Ausdehnung; in solchen geeigneten Fällen entscheidet die Fest¬ 
stellung, ob die Chorda oder der Plexus tympanicus oder beide zerstört bezw. erhalten 
sind, welchen Weg die Geschmacksempfindung cerebralwärts zu nehmen hat Verf. 
beschreibt ausführlich die Gründe, nach welchen bei Erkrankungen der Paukenhöhle 
auf eine Zerstörung des Plexus tympanicus oder der Chorda oder beider zu schliessen 
ist und hat eine Beihe so Erkrankter auf ihre Geschmacksfähigkeit untersucht 
Danach ergiebt sich, dass allein die Chorda den vorderen Theil der Zunge mit Ge¬ 
schmacksfasern versorgt, dies geschieht jedoch in einer individuell sehr verschiedenen 
Ausdehnung von Vs biß 4 U der Zunge. Es stand nur ein Fall zur Verfügung, bei 
welchem die Chorda erhalten, der Plexus aber verletzt war, hierbei ergab sich eine 
Geschmackslähmung in den hinteren Theilen der Zunge und am weichen Ganmen. 
Bei Zerstörung der Chorda und des Plexus tympanicus fehlt die Geschmacksempfin¬ 
dung fast immer vollständig, diese Thatsache kann bei Berücksichtigung der Inner¬ 
vation des vorderen Theiles der Znnge durch die Chorda als Beweis dienen, dass 
der hintere Theil der Zunge und der weiche Gaumen die Geschmacksinnervation 
durch den Plexus tympanicus erhält 

Die Geschmacksleitung geht also in jedem Falle durch die Paukenhöhle. 

Samuel (Eckerberg). 


Psychiatrie. 

28) Die Onanie im Kindesalter, von Dr. J. K. Schmuckler in Kiew. (Archiv 
für Kinderheilk. 1898. Bd. XXV.) 

Entgegen der verbreiteten Ansicht, welche in der Schule die Ursachen für das 
Entstehen der Onanie sucht, tritt Verf. dafür ein, dass im Hause viel mehr Anlass 
zum Zustandekommen des Uebels gegeben sei. Schon das warme Säuglingsbett, das 
durch mangelnde Reinlichkeit bedingte Hautjucken in der Genitalgegend veranlassen 
die Kinder zu wollüstigen Bewegungen. Später könne das Kriechen, die Art unserer 
Kleidung, der Genuss alkoholischer und gewürzter Nahrungsmittel, fernerhin das 
Tanzen, Beiten u. s. w., die Anwesenheit bei erotischen Scenen oder Gesprächen, 
endlich das Vorhandensein von Erkrankungen der Haut oder Genitalorgane einen 
geschlechtlichen Beiz auf die Kinder ausüben; in vielen Fällen sei natürlich das 
Uebel durch directe Nachahmung bedingt. Verf. sieht in der Ausbreitung der Onanie 
eine beängstigende sociale Erscheinung, welche dem Staat und der Gesellschaft wohl 
die Verpflichtung zu Gegenmaassregeln auferlegt. 

Zum Schlüsse formulirt Verf. seine Vorschläge in einigen Sätzen, in denen er 
namentlich für zweckmässige Belehrung der Eltern und für ärztliche Beaufsichtigung 
der Schulkinder eintritt. Zappert (Wien). 


29) Das Wesen der Paranoia-Verrüoktheit, von Oberarzt Dr. J. Bresler in 

Freiburg i/Schl. (Deutsche med. Wochenschr. 1898. Nr. 41.) 

Das Wort „Paranoia“ bezieht sich nur auf chronische Zustände: das Charak¬ 
teristische derselben liegt in einem Antagonismus von Nervenerregungen, der sich 
klinisch in dem Nebeneinander von Grössen- und Verfolgungswahn documentirt. Das 
körperliche — primäre — Ich ist verrückt, die Persönlichkeit eine andere geworden. Von 
der Paranoia in diesem Sinne trennt Verf. als „chronischen Verfolgungswahn“ oder 
„chronischen Wahnsinn“ jene zahlreichen Fälle, bei welchen die antagonistische 
Gegenüberstellung von Förderung und Beeinträchtigung fehlt, das primäre Ich un¬ 
versehrt ist, das normale Bewusstsein des Körpers, Namens, Standes und der socialen 
Beziehungen erhalten bleibt. Verf. betont die Notbwendigkeit der hier gemachten 
Trennung und hofft von weiterer klinischer Forschung neue Anhaltspunkte zur früh¬ 
zeitigen Erkennung der Paranoia. Zeitig ist bei der Entscheidung der Frage: wird 


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bei einem Kranken mit Verfolgungswahn später auch Grössenwahn sich entwickeln, 
d. h. liegt Paranoia vor? das von Beginn des Leidens gesteigerte Selbstbewusstsein 
sicherlich das erste Merkmal dafür. B. Pfeiffer (Cassel). 


m. Aus den Gesellschaften. 

Berliner Gesellschaft für Psychiatrie und Nervenkrankheiten. 

Sitzung am 13. November 1898. 

Vor der Tagesordnung stellt Herr Levy-Dorn eine Patientin vor, welche vor 
8 Jahren nach einem Typhus eine rechtsseitige Serratuslähmung bekam; später trat 
zu dieser rechtsseitigen eine gleiche auf der linken Seite hinzu. Um die aus dieser 
Lähmung resultirenden Störungen der Stellung und Bewegung der Schulterblätter zu 
verbessern, wurde Patientin von einem Chirurgen 6 Mal operirt. Das Resultat dieser 
Operationen ist, dass Patientin die Arme jetzt noch schlechter bewegen kann, als 
vorher und bei Bewegungen Schmerzen hat, welche von einer handbreiten, zwischen 
den Schulterblättern befindlichen Narbe herrühren. Vortr. demonstrirt eine von dieser 
Patientin aufgenommene Röntgen-Photographie. 

Herr M. Bloch stellt einen 42jähr. Patienten aus Prof. Mendel’s Poliklinik 
vor, der im Jahre 1879 ein Ulcus durum acquirirt hat und damals mit Sublimat- 
injectionen behandelt worden ist. Pat. ist erblich nicht belastet, kein Trinker und 
hat ein gesundes Kind. Seit etwa l / 2 Jahr leichte lancinirende Schmerzen in den 
Beinen; der Gang soll, besonders im Dunkeln, unsicher geworden sein, Potenz herab¬ 
gesetzt, bisweilen geringe Incontinentia vesicae. Pat sucht die Poliklinik wegen 
einer Erkrankung der Nägel sämuitlicher Finger und Zehen auf. Seit etwa 4 Monaten 
besteht eine allmählich auf sämmtliche Nägel sich erstreckende Veränderung, die 
mit einer Gelbfärbung derselben beginnt. Diese Verfärbung wird allmählich dunkler 
uud dunkler bis zu völligem Schwarzwerden der Nägel. Gleichzeitig tritt eine 
stärkere Längsriffung des Nagels, sowie erhöhte Vulnerabilität der Nagelsubstanz 
auf. Schon bei geringen Insulten, aber auch spontan, 'treten Risse und Sprünge in 
der Querrichtung des Nagels auf, denen entsprechend ganze Stücke des Nagels bis 
zum völligen Verschwinden desselben sich abstossen. Die ganze Affection verläuft 
absolut schmerzlos, sowie ohne jede Eiterung. Seit Beginn der Erkrankung Par- 
ästhesieen in den Fingern und in der Haut der Vorderarme. 

Objectiv besteht Pupillendifferenz, träge Reaction der Pupillen, Andeutung des 
Bomb erg’sehen Symptoms, tiefe Analgesie der Vorderarme, Ataxie der Beine, 
Analgesie am linken, stellenweise auch am rechten Unterschenkel, Westphal'scbes 
Zeichen, kurz die Symptome der Tabes. 

Vortr. demonstrirt die Nagelerkrankung, deren sämmtliche Stadien sich zur Zeit 
an dem Pat. präsentiren und macht darauf aufmerksam, dass, während Erkrankung 
einzelner Nägel, besonders der grossen Zehe, schon öfter bei Tabes beschrieben ist, 
die Affection in derartiger Extensität wohl noch kaum zur Beobachtung gekommen 
ist. Eine andere gleichzeitig mit Nagelerkrankungen auch schon beschriebene tro* 
phische Störung, nämlich Atrophie des Zahnfleisches, ist bei dem Pat. gleichfalls zo 
constatiren. 

Irgend welche Symptome, die auf das Bestehen einer multiplen Neuritis oder 
von Syringomyelie hinweisen, sind nicht zu constatiren, insbesondere besteht keine 
Druckempfindlichkeit der peripheren Nerven; der Temperatursinn ist normal. 

Herr Remak: Krankenvorstellung. 

Vortr. stellt eine ööjähr. Frau vor, welche, bis auf Anfälle von Herzbeschwerden 
bis dahin gesund, am 24. October 1897 plötzlich mit Schwindel, Verziehung de> 

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Gesichts, Uebelkeit, Erbrechen, Unfähigkeit zn schlucken, erkrankt sein will, und, 
seitdem sie wieder auf den Beinen ist, wegen Doppelsehen eine linksseitige Angen¬ 
klappe trägt. Sie kam im August d. J. mit folgenden noch bestehenden Ausfalls¬ 
erscheinungen zur Beobachtung: 

1. einer linksseitigen schweren degenerativen Facialisparalyse, 

2. absoluter Lähmung des linken N. abducens (das Auge steht im inneren 
Winkel), 

3. einer Parese des rechten Bectus internus bei dem Versuche nach links zu 
blicken, nicht aber bei der Convergenz. 

Andere Störungen fehlen. Es ist die Diagnose auf eine Herderkrankung 
(Blutung oder Erweichung) im linken dorsalen Ponsabschnitt in der Gegend 
des Facialis- und Abducenskerns zu stellen. 

Mit der theilweisen Rückbildung der Facialislähmung haben sich Zuckungen 
eingestellt, durch welche der linke Mundwinkel nach oben und aussen geschnellt 
wird. Ganz wie in einem 1887 vorgestellten Falle von geheilter traumatischer 
Facialislähmung sind diese Zuckungen synchron dem Lidschlag und hören auf, wenn 
letzterer unterdrückt wird. Bei willkürlichem Augenschluss beider oder auch nur 
des rechten Auges tritt tonische Mitbewegung der den linken Mundwinkel hebenden 
Muskeln und Vertiefung der Nasolabialfalte ein. Es sind die clonischen Zuckungen 
nichts als Mitbewegungen des Lidschlages (des reflectorischen Augenschlusses). 

Zu denselben Resultaten gelangt man bei der Analyse der Zuckungen einer 
zweiten vorgestellten 39jährigen Patientin mit geheilter recidivirender Facialis¬ 
lähmung. Sie hat 1887 in einem Jahre eine linksseitige, 1897 innerhalb von 
5 Monaten eine mittelschwere rechtsseitige Facialislähmung überstanden. Links sieht 
man Zuckungen im Bereiche der Wangen, rechts in den Unterlippenmuskeln. Auch 
diese sind synchron dem Lidschlage und hören auf, so lange die Kranke starr 
blickt. Bei forcirtem Augenschluss treten Mitbewegungen in denselben Muskeln auf, 
welche auch anscheinend spontan sonst zucken. 

Während im ersten Fall ein Reizungszustand des Facialiskerns, soweit er sich 
restituirt hat, angenommen werden könnte, ist nach peripherischer Lähmung an retro¬ 
grade Degeneration desselben zu denken. 

Eine Irradiation der motorischen Innervation des peripherischen Neurons des 
Facialis bei willkürlicher Bewegung erklärt die Mitbewegnngen, bei clonischer un¬ 
willkürlicher die „Spontanzuckungen“ nach abgelaufenen degenerativen Facialis- 
lähmungen. 

Bernhardt bemerkt, dass ja bekanntlich bei ganz gesunden Menschen eine 
Reihe von Mitbewegnngen auftreten. Weniger bekannt ist, dass bei einfachem Blinzeln 
eine Mitbewegung in den Dilatatores narium eintritt. 

Herr Henneberg: Geber einen Fall von Meningomyelitis mit Er¬ 
krankung der Spinalganglien und Intramedullärer Degeneration einseiner 
hinterer Lumbal wurzeln. 

Patientin, ein 30jähriges Fräulein, erkrankte ziemlich plötzlich an einer totalen 
Lähmung der Arme und Beine, nachdem längere Zeit vorher Schmerzen und Schwäche 
in den Extremitäten bestanden hatten. Bei der ersten Untersuchung wurde constatirt: 
Stauungspapille und Abducensparese beiderseits, schlaffe Lähmung der Arme und 
Beine, Fehlen der Patellarreflexe, Fussclonus, normale elektrische Erregbarkeit der 
Muskulatur, hochgradige Lagegefühlsstörung in allen Gelenken der Extremitäten, im 
übrigen normale Sensibilität. 

Im Verlaufe der weiteren Beobachtung erschienen die Patellarreflexe wieder, 
die Lähmung blieb dauernd eine schlaffe, es trat eine constante Verengerung der 
linken Lidspalte und Popille sowie anfallsweise Dyspnoe und Pulsbeschleunigung 
auf. Tod nach 8 wöchentlicher Beobachtung durch Respirationslähmung. 

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Sectionsbefund: Meningomyelitis des Cervical - und Dorsalmarkes, Uebergreifen 
des Entzündungsprocesses auf die Spinalganglien, Degeneration der linken 4. und 1., 
sowie der rechten 3. und 2. hinteren Lumbalwurzeln und ihrer intramedullären Fort¬ 
setzungen. Die Degenerationsfelder der erkrankten Lumbalwurzeln liegen im Lumbal¬ 
marke, sowie im 12. und 11. Dorsalsegment, im wesentlichen unvennengt neben¬ 
einander, sie fiberschreiten im Lumbalmarke nicht wesentlich das Gebiet der mittleren 
Wurzelzone, greifen insbesondere nicht wesentlich in die hintere mediale Wurzelzone 
fiber. Vortr. bespricht die Bedeutung dieser Thatsachen für die Beurtheilung 
der Degenerationsbilder im Lendenmarke bei der Tabes, die sich durch die Annahme 
einer summarischen Wurzelerkrankung erklären lassen. — Trotz der Degeneration 
in der Westphal’schen Stelle waren die Patellarreflexe erhalten, da ein Theil der 
Lumbalwurzeln intact war. Das Schwinden der Patellarreflexe bei Degeneration der 
Westphal’schen Stelle, die die Fasern der 1. Lumbalwurzel enthält, setzt eine Er¬ 
krankung der tieferen Lumbalwurzeln voraus. Eine besondere Bedeutung für die 
Localisation des Patellarreflexes kommt derselben anscheinend nicht zu. Die Ursache 
der W’urzeldegeneration ist in der Erkrankung der Spinalganglien und in peri- 
neuritischen Veränderumgen an der Nageotte’schen Stelle zu suchen. Die Lage- 
geffihlsstöruDg und die Schlaffheit der Lähmung trotz Vorhandensein der Reflexe dürfte 
durch Läsionen der das Lagegefflhl bezw. den Muskeltonus vermittelnden Bahnen im 
Rfickenmarke selbst zu erklären sein. 

Herr Oppenheim glaubt, dass man in diesem Falle eine syphilitische Grund¬ 
lage annehmen könne. Sowohl das klinische Bild, als auch die Verdickungen der 
Meningen weisen darauf hin. Von klinischeu Erscheinungen deuten z. B. das Doppel¬ 
sehen darauf hin, dass hier sowohl cerebrale als auch spinale Symptome vorhanden 
waren, dass also eine mehr allgemeine Erkrankung Vorgelegen habe. 0. hat einen 
ähnlichen Fall beobachtet und beschrieben, wo diese Hinterstrangs- und Seitenstrangs¬ 
erkrankung zu beobachten war und fragt an, ob eine specifische Behandlung statt¬ 
gefunden hat. 

Henneberg. Klinische Symptome können niemals beweisen, dass eine syphi¬ 
litische Erkrankung vorliegt. Alles, was sonst als bezeichnend ffir Lues ansgeffihrt 
wird, läge hier nicht vor. Sowohl das negative Resultat bezfiglich der Anamnese, 
als auch der anatomische Befund widersprächen der Annahme eiuer Lues. 


Herr L. Jacobsohn: Ueber die Gesetsm&ssigkeit secundärer Degene¬ 
ration der Elemente des Nervensystems als Prüfstein der Neurontheorie. 


Nachdem nach Jahre langer Forschung die Neurontheorie so gut wie befestigt 
zu sein schien, ist diese Lehre durch neue Thatsachen, besonders durch die von 
Bethe gefundenen, wieder stark erschüttert worden. Aus diesen neuen Thatsachen 
scheint zu resultiren, dass die Nervenzellen in ähnlicher Weise, wie es schon früher 
angenommen wurde, continuirlich mit einander verbunden sind und ferner könne man 
aus Bethe’s Experimenten folgern, dass die Nervenzellen zur directen Fortleitung 
des Stromes nicht erforderlich seien, sondern nur ein trophisches Centrum ifir die 
Nervenfasern darstellen. Da vorläufig eine genaue Nachprüfung der Bethe'sehen 
Befunde nicht möglich sei, insofern dessen Methode noch nicht publicirt wäre, so 
bleibe nur ein Weg fibrig, nämlich der, nachzusehen, wie sich die gesetzmässig nach 
Leitungsunterbrechung auftretende secundäre Degeneration zur einen bezw. anderen 
Theorie stelle, ob der Gang derselben mehr in den Rahmen des einen bezw. anderen 
Gebäudes hineinpasse. An der Hand der bis jetzt bekannten Thatsachen erläutert 
Vortr. darauf die sich jedes Mal einstellende secundäre Degeneration zuerst an einem 
Schema der motorischen und sensiblen Bahnen, wie man sich diese - Bahnen nach der 
Neuronentheorie aufgebaut zu denken hat. Der Ausfall der Degeneration hängt, wie 
Monakow es in anatomischem Sinne richtig erklärt, im Wesentlichen davon ab, ob 
ein Neuron Collaterale besitzt oder nicht, oder wie es physiologisch von Marinesco, 


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Original fram 

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Nissl, Goldscheider, Flatau u. A. übereinstimmend formnlirt wurde, ob die 
Function des Nervenelementes erhalten bleibt oder gestört ist, Nach der Neuron¬ 
theorie lasse sieb der Gang der secundären Degeneration in der motorischen 
Bahn sowohl ihrer Art als auch ihrer jedesmaligen Ausdehnung nach gut und präcis 
erklären, hingegen nach der Netztheorie nicht so gut, insofern sich schwer die Grenze 
angeben lasse, wo die Degeneration einer bestimmten Bahnstrecke aufhören soll, oder 
mit anderen Worten, wie weit sich der trophische Einfluss einer Nervenzelle erstreckt. 
Andererseits sei man bei den Degenerationen sensibler Bahnen, wenn man letztere 
nach dem Schema der Neurontheorie auf baue, oft genöthigt, zur Erklärung sich 
Hülfsbrücken zu bauen, während dios nach der Netztheorie weniger nöthig sei; nach 
letzterer lasse es sich auch leichter vorstellen, warum die secundären Degenerationen 
im sensiblen Gebiete im Allgemeinen weniger schnell und weniger stark auftreten, 
als im motorischen. 

Diese Ergebnisse regen bei der wiederum acut gewordenen Frage nach dem 
feineren Aufbau des Nervensystems den Gedanken an, dass das letztere nicht nach 
einem einheitlichen Plane constrnirt sei, sondern dass das motorische Gebiet sich 
vom sensiblen in seinem feineren Bane wesentlich unterscheide. Ersteres enthalte 
wahrscheinlich Elemente, die entweder vollkommen isolirt sind, wie es die Neuron¬ 
theorie annehme, oder die höchstens in kleineren Gruppen durch ein Netzwerk ver¬ 
bunden sind, letzteres dagegen bestehe aus Elementen, die möglicher Weise sämmt- 
lich durch ein continuirliches Netz im Zusammenhang ständen. 

Für dieses Doppelsystem sprächen auch sehr gut physiologische Thatsachen. 
So könne man es sich sehr gut bei Annahme eines Netzes erklären, wie ein kleiner 
Reiz allmählich dieses Netz durchlaufend das ganze motorische Gebiet reflectorisch 
in Erregung zu versetzen vermag; dagegen müsste man, wenn man auch im 
motorischen Gebiete ein solches continuirlich über das ganze Gebiet sich erstreckende 
Netz annähme, nach Isolation eines kleinen motorischen Centrum, (also z. B. des 
Gebietes des oberen Falialisastes) von dieser isolirten Stelle aus alle übrigen distal 
gelegenen motorischen Gebiete in Erregung versetzen können, was wohl nicht 
möglich sei. 

Aber auch einzelne mit der Golgi’schen Methode gefundene Thatsachen lassen 
sich zu Gunsten obiger Annahme anführen. Diese Methode hat schon früh die 
interessante Thatsache erkennen lassen, dass an manchen Zellen (den Zellen des sog. 
zweiten Golgi’schen Typus) der Achsencylinder sich in ein ausserordentlich feines 
Netzwerk aufsplittert. Es sei nun merkwürdig, dass die Zellen, bei welchen sich 
der Achsencylinder in dieser Weise zu einem Netze umforme, ausschliesslich dem 
sensiblen Gebiete angehören, während man im motorischen nur Zellen findet, bei 
denen alle Fortsätze isolirt verlaufen. 

Schliesslich könne zur Stütze dieser Hypothese auch noch der verschiedene Bau 
des motorischen und sensiblen Endapparates an der Körperperipherie angeführt 
werden. Während der motorische Endapparat aus einzelnen, distinct abgegrenzten, 
isolirten Theilen, nämlich den einzelnen Muskeln bestehe, stelle der sensible Apparat 
eine sich über den ganzen Körper gleichmässig erstreckende continuirlich ineinander 
übergehende Ebene dar. Es sei wohl möglich, dass im Centralorgan dieses Doppel¬ 
system als Projection zum Ausdruck komme, so dass es in dieser Hinsicht ein 
Spiegelbild der Peripherie darstelle. 

Herr M. Rothmann: lieber Büokenmarksverfinderungen nach Verschluss 
der Aorta abdominalis. (Erscheint als Originalmittheilung in d. Centralbl.) 

Die Discussion über die beiden letzten Vorträge wurde auf die nächste Sitzung 
verschoben. Jacobsohn. 


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IV. Versammlung mitteldeutscher Psychiater und Neurologen in Dresden 

am 22. und 23. Ootober 1898. 

An der Versammlung nahmen 76 Herren Theil. Nach der BegrQssnng der 
Versammlung darch Herrn Ganser (Dresden) eröffnete der Vorsitzende der Vonnittags¬ 
sitzung (Herr Hitzig-Halle) dieselbe. Zorn Vorsitzenden der Nachmittagssitzung 
wurde Herr Möbius (Leipzig) gewählt Bevor die Vorträge begannen, beschloss die 
Versammlung nur ein Mal im Jahre, im Herbste, zu tagen. Als nächster Ort der 
Zusammenkunft wurde Leipzig ausersehen; zu Geschäftsführern der V. Versammlung 
wurden Hr. Flechsig und Hr. Windscheid gewählt Es folgten sodann die Vorträge. 

Herr Weber (Sonnenstein): Heber die Aufnahme von Bestimmungen 
über verminderte Zurechnungsfähigkeit ins Strafgesetzbuch. 

Die Ansicht dass es psychische Zustände giebt, die nicht in den Rahmen des 
§ 51 passen, aber doch im Gesetze aufgenommen werden sollten, ist ziemlich all¬ 
gemein, doch fehlte es immer an bestimmt formulirten Anträgen. Einem Vorschläge 
des Justizministers, die verminderte Zurechnungsfähigkeit in das Gesetz aufzunehmen, 
stimmten fast alle Autoritäten bei, aber der bezfigl. Passus wurde bereits in der 
Bundestagscommission begraben. 1887 trat der Verein deutscher Irrenärzte auf 
Grund eines Vortrages Jolly’s der Frage wieder näher; es wurde eine Commission 
gewählt und erstatteten dann Mendel und Grashey 1888 das Referat 

Mendel hielt den gegenwärtigen Zeitpunkt nicht für geeignet, an die Behörden 
heranzutreten, und rieth, abzuwarten, bis neue Momente und Thatsachen eine ge¬ 
eignete Handhabe bieten würden. 

Grashey vertrat die Ansicht, dass der § 51 ausreiche. 

Mendel's Ansicht wurde ziemlich allgemein anerkannt und hierauf der Antrag 
Schüle’s angenommen, dass das Material bearbeitet werden und von v. Krafft- 
Ebing alle Fälle „verminderter Zurechnungsfähigkeit“ gesammelt werden sollten. 

Weiteres wurde nicht bekannt Vortr. ist nun der Ansicht, dass der § 51 den 
Gutachtern oft die Hände binde. Es gäbe eben viele Fälle, in denen die freie 
Willensbestimmung nicht auszuschliessen sei und in denen wir die Angeklagten nicht 
völlig straflos ausgehen sehen möchten, bei denen wir aber eine normale Bestimmungs¬ 
fähigkeit nicht annehmen können. Vortr. hat im Auge, Zustände massigen intellec- 
tuellen Schwachsinns und mässigen moralischen Schwachsinns bei Individuen, die 
ohne wirklich zu erkranken, doch dauernd normale Reaction auf äussere Vorgänge 
vermissen lassen. Weiter allgemeine Neurosen, Epilepsie, Hysterie und Neurasthenie 
in leichteren Formen, Uebergänge zum senilen Schwachsinn, Alkoholismus, der noch 
nicht zu schwerer Degeneration führte, u. a. m. Bei vielen oben genannten Krank¬ 
heiten werden wir den § 51 nicht immer anzuwenden in der Lage sein und doch 
werden wir nicht von normaler Bestimmungsfähigkeit sprechen können. Es wurde 
oft die Einwendung gemacht, dass der Passus der „mildernden Umstände“ immer 
genüge. Vortr. bekämpft diese Anschauung und weist unter anderem darauf hin, 
dass für den Mord mildernde Umstände nicht existirten; er beantragt daher die An¬ 
nahme des § 51*: 

Hat sich der Thäter zur Zeit der That in einem Zustande befunden, in dam 
seine freie Willensbestimmung zwar nicht ausgeschlossen, aber erheblich beschränkt 
war, so sind gegen ihn die Strafvorschriften in § 57, Absatz 1, Ziffer 1—7, an¬ 
zuwenden. 

1. Besteht dieser Zustand der verminderten Zurechnungsfähigkeit zur Zeit des 
Beginns der Strafvollstreckung noch fort, so ist, wenn nicht alsbaldige Aenderung 
des Zustandes in Aussicht steht, eine erkannte Freiheitsstrafe in besonderen, zur 
Vollstreckung von Strafen an Personen verminderter Zurechnungsfähigkeit bestimmten 
Anstalten oder Bäumen zu vollziehen. 

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2. Dieselben Vorschriften sind anzuwenden, wenn nach Begehung der That ein 
zur Zeit des Beginns der Strafvollstreckung noch vorhandener Zustand der ver¬ 
minderten Zurechnungsfähigkeit eingetreten ist. 

3. Der Strafvollzug an Personen verminderter Zurechnungsfähigkeit hat nach 
besonderen, dem Zustande entsprechenden, insbesondere auf Besserung des Zustandes 
berechneten Vorschriften zu erfolgen. 

4. Ist der Zustand der verminderten Zurechnungsfähigkeit ein andauernder oder 
seiner Natur nach wiederkehrender, und hat der Thäter durch wiederholte Bestrafungen 
Anlass zu der Befürchtung gegeben, dass er nach Verb&ssung der erkannten Strafe 
weitere Strafthaten begehen werde, so kann neben einer Freiheitsstrafe zugleich er¬ 
kannt werden, dass der Verurtheilte nach Verbfissung der erkannten Strafe dem 
Vormundschaftsgerichte zu überweisen sei. Durch die Ueberweisung erhält das 
Vormundschaftsgericht die Befugniss, ihn so lange in einer besonderen, zur Aufnahme 
von Personen verminderter Zurechnungsfähigkeit bestimmten Anstalt unterzubringen, 
als die Befürchtung, dass er wieder Strafthaten begehen werde, fortbesteht. Qegen 
Ausländer kann statt der Ueberweisung an das Vormundschaftsgericht auf Ueber¬ 
weisung an die Landespolizeibehörde erkannt werden. Diese erhält dadurch die 
Befugniss, die Verweisung aus dem Bundesgebiete zu verfügen. 

Zum Absatz 4 des § 51* bemerkt Vortr. erläuternd, dass derselbe sich ins¬ 
besondere auf Individuen beziehe, die immer wieder dieselben oder ähnliche Straf¬ 
thaten begehen, und dadurch sich oder die Gesellschaft schädigen; für solche wäre 
eine längere Internirung im Sinne des § 51 * zwecks Besserung oder Heilung gewiss 
ebenso human, als nutzbringend. Eine solche könne aber der Richter nach den 
gegenwärtigen Gesetzen nicht aussprechen. 

Discussion: 

Herr Pick (Prag) meint, dass die heutige Versammlung kaum in der Lage sei, 
die Frage zum Abschluss zu bringen; dieselbe wäre gewiss eingehenden Studiums 
werth und wäre jetzt vielleicht die Zeit gekommen zu untersuchen, wie sich die 
Juristen anderer Länder als Sachsen zum § 51* verhielten. 

Herr Moeli (Herzberge) kritisirt den Entwurf des § 51* und glaubt den wich¬ 
tigsten Punkt in der Frage zu sehen, welchen Charakter die in § 51* vorgeschlagene 
Anstalt tragen solle. Soll dieselbe eine Strafanstalt oder eine Krankenanstalt sein? 
Redner führt diese Frage näher aus. 

Herr Ganser (Dresden) sieht den grossen Werth obiger Ausführungen darin, 
dass zum ersten Mal praktische Vorschläge gemacht wurden. 

Herr Hitzig (Halle) stimmt Herrn Moeli bei und findet gleich diesem eine 
grosse Schwierigkeit in der Einreihung der sogen. Affectivverbrecher. 

Herr Weber sagt in seinem Schlusswort, dass ursprünglich nur solche Indi¬ 
viduen der Wohlthat des § 51* tbeilhaftig gemacht werden sollten, die eine krank¬ 
hafte Veranlagung darböten, die Juristen aber verlangten, dass auch die Affectiv¬ 
verbrecher mit aufgenommen werden sollten. Redner meint, dass eine Trennung der 
Zurechnungsfähigen, der minder Zurechnungsfähigen und der im Sinne des § 51 
Kranken nach dem § 51* wohl möglich wäre. Stellt sich nach der Beobachtung im 
Gefängnisse heraus, dass der Inculpat pathologisch ist, dann soll er eben den ge¬ 
dachten Anstalten zugewiesen werden, in welchen ein Psychiater die Hauptaufsicht 
führt. Wer sich der Thatsache erinnert, dass ein grosser Procentsatz der in den 
Strafbänsern Internirten geisteskrank, schwachsinnig oder irgendwie belastet erscheint, 
der wird in dem § 51* gewiss eine Bereicherung des Gesetzes finden. 

Herr Windscheid (Leipzig): Das Vorkommen und die Bedeutung der 
sogen. Ovarie. 

Vortr. sieht die Berechtigung, die Ovarie als selbständiges Thema zu behandeln, 
in ihrer grossen Häufigkeit und dem Umstände,^ dass seiner Erfahrung nach die 


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Aerzte dieses wichtige Symptom zum Theil nicht keimen oder seine Bedeutung nich* 
würdigen. Vortr. giebt die von Charcot aufgestellte Definition der Ovarie wieder, 
nach der wir als solche bezeichnen: den Schmerz, den man bei Hysterischeu durcl. 
Druck auf eine bestimmte Stelle der Unterbauchgegend hervorrufen oder auch unter¬ 
drücken kann, andererseits aber auch eine rein subjective Empfindung schmerzhafter 
Art, welche an der genannten Stelle localisirt wird. Beides bezog er auf da< 
Ovarium als veranlassende Ursache. Vortr. will sich auf die objectiv hervorzurufende 
Ovarie beschränken; er beschreibt den hysterischen Anfall, wie er in typischen Fället, 
vorkommt und erwähnt die verschiedenen Abstufungen, bei denen aber immer ein 
Zustand vorhanden ist, den er mit dem Namen der nervösen Exaltation beleben 
möchte. Zu den Ursachen der Ovarie übergehend, bekennt sich Vortr. zu der 
ziemlich allgemeinen Ansicht, dass das Ovarium nicht in allen Fällen mit Ovarie 
etwas zn thun habe und gelang es dem Vortr. auch von anderen Stellen des Ab¬ 
domens aus, z. B. vom Epigastrium, dann von einer Stelle oberhalb der Symphyse, 
neuerdings auch vom Steissbein aus einen der Ovarie sehr ähnlichen Symptomen- 
complex zu erzeugen. Vortr. giebt einige Hypothesen verschiedener Autoren über 
die Ovarie wieder und möchte seinerseits die Haut als die mögliche Ursache des 
Auftretens der Ovarie ansprechen, und erscheint ihm der Ein wand, dass gerade bei 
Hysterie oft eine Analgesie der Bauchhaut bestehe, nicht richtig, da trotz Analgesie 
erhöhte Druckempfindlichkeit bestehen könne. Er erklärt also die Ovarie lediglich 
für eine durch Reizung der Bauchhaut bedingte bysterogene Zone, die allerdings 
ungemein viel häufiger gefunden wird, wie andere derartige Zonen und darin liegt 
auch ihre Bedeutung; dabei dürfte jedoch das Ovarium nicht absolut ausser Acht 
gelassen werden, wenn es auch nicht der ganzen Erscheinung ihren Namen geben 
solle. Zur Frage, was wir aus dem Auftreten der Ovarie folgern können, äussert 
sieb der Vortr. dahin, dass man aus der Ovarie allein niemals eine Hysterie und 
aus dem Fehlen der Ovarie nie die Abwesenheit einer Hysterie diagnosticiren dürfe. 
(Eine Ansicht, die wohl alle Neurologen theilen.) Vortr. sieht in der bei der 

Hysterie auftretenden Ovarie nur ein werthvolles Ergänzungssymptom für die Diagnose 
bnd stellt eine Symptomentrias auf, aus der er die Diagnose Hysterie ableiten 
zu können glaubt: Verlust oder hochgradige Abschwächung der Conjunctival-, Er¬ 
höhung der Patellarreflexe und Ovarie. Vortr. theilt mit, dass er diesen Symptomen- 
complex ebenso bei rein neurasthenischen Zuständen gefunden habe. Für die Be¬ 

hauptung, dass die Ovarie nicht bloss bei Hysterie und Neurasthenie, sondern auch 
bei anderen Erkrankungen vorkomme, spräche auch eine Statistik, welche Herr 
Teichmüller (Leipzig) auf Anregung des Vortr. hin aufgestellt hat, aus der hervor¬ 
geht, dass die Ovarie häufig auch bei nicht nervösen Erkrankungen vorkomme. In 
dieser Statistik finden sich die Männer in bedeutender Ueberzahl; die Erfahrungen 
des Vortr., die sich nur auf Nervenkranke erstrecken, gehen dahin, dass die Ovarie 

bei Frauen häufiger sei. Ueberdies habe Vortr. typische Fälle der Ovarie auch bei 

Kindern gefunden. Was das Vorkommen der Ovarie bei nicht Nervenkranken an¬ 
belange, so glaubt Vortr. recht wohl annehmen zu dürfen, dass wir die Symptome 
einer erhöhten Reizbarkeit, und das ist die Ovarie, sehr gut auch in Gefolge von 
anderen Krankheiten als secundäre Erscheinung finden können, doch habe die Ovarie 
als solche mit der Grundkrankheit nichts zu thun. Vortr. schliesst mit einigen Be¬ 
merkungen über die Diagnose der Ovarie und möchte zur Vermeidung ton dia¬ 
gnostischen Irrthümern hin weisen auf die Verbindung des allgemeinen nervösen 
Exaltationszustandes mit der Ovarie. 

Discussion: 

Herr Oppenheim vermisst die Berücksichtigung des psychogenen Momentes 
und äussert starke Bedenken gegen die vom Vortr. aufgestellte Trias, insbesondere 
könne er die Steigerung der Kniephänomene nicht ala typisches Merkmal der Hystene 


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gelten lassen und müsse er sich besonders gegen ihre Schnellverwerthung bei Unfalls* 
kranken, wie Vortr. empfiehlt, aussprechen, da gerade bei diesen oft eine momentane 
Steigerung in Folge von Aufregung u. s. w. vorkomme. Mehr noch trage er Be¬ 
denken gegen die Verwendung des Symptoms der Herabsetzung des Conjunctival- 
reflexes, der oft wechselnd, herabgesetzt, fast aufgehoben auch bei gesunden 
Leuten sei. 

Herr Ziehen (Jena) begrüsst mit Freuden die strenge Unterscheidung der 
einfachen Druckempfindlichkeit mit Schmerzreaction und diejenige, bei der ein Anfall 
eintritt. Er möchte von diesem Gesichtspunkte aus 3 Gruppen hysterischer Störungen 
unterscheiden: 

1. Einfache, halbseitige Druckempfindlichkeit und cutane Sensibilitätsstörungen; 

2. Oppressionsgefühl und Constrictionsempfindungen; 

3. direct hysterogene Punkte, von denen aus Anfälle zu erzeugen sind. 

Die von Oppenheim geäusserten Bedenken gegen die vom Vortr. aufgestellte 
Symptomentrias theile er auch. Den Cornealreflex habe er bei Gesunden nie vermisst 

Herr Möbius (Leipzig) betrachtet auch umschriebene Schmerzhaftigkeit des 
Abdomens meist als hysterisches Stigma. Da jeder Mensch seiner Ansicht nach mehr 
oder minder hysterisch sei, Gesundheit und Hysterie oft ineinander übergingen, so 
könne man den einzelnen hysterischen Symptomen wenig Werth zumessen und solle 
daher Hysterie nur unter Berücksichtigung des Gesammtbildes diagnosticiren. 

Herr Windscheid weist in seinem Schlusswort darauf hin, dass er als für 
die Hysterie pathognomonisch nur das Zusammenvorkommen der drei erwähnten Er¬ 
scheinungen betrachtet wissen wolle. 

Herr Vogt (Berlin): Zur Psychopathologie der Hysterie. 

In sehr beschränkten Krankheitsfällen kann die Selbstbeobachtung im Zustand 
des suggestiv erzielten systematischen partiellen Wachseins die intellectuellen Sub¬ 
strate aller derjenigen hysterischen Phänomene aufdecken, welche Gefühlserscheinungen 
oder SuggestionsWirkungen darstellen. 

Eine in dieser Weise vorgenommene Analyse zahlreicher hysterischer Erscheinungen 
hat stets eine psychische Aetiologie aufgedeckt. 

Dabei handelt es sich in der einen Gruppe um reine Gefühlswirkungen. 
Es ging dem hysterischen Symptom keine Vorstellung von seinem Auftreten voran. 
Entweder das intellectuelle Substrat des pathogenen Gefühls, dieses selbst oder dessen 
secundäre Innervationsveränderungen bildeten den Inhalt des hysterischen Phänomens. 
Die pathogenen Gefühlstöne waren theils an reale Erlebnisse, theils an Producte der 
Phantasie geknüpft! Niemals schuf ein einziges Erlebniss ein hysterisches Symptom, 
sondern vorhergegangene affectbetonte Erlebnisse hatten bereite eine Disposition ge¬ 
schaffen. Alle Beobachtungen weisen darauf hin, dass bei Hysterischen die Tendenz 
zur associativen Erregung gefühlsstarker Erinnerungsbilder besteht: eine Tendenz, 
die auf besonders gefühlsstarke Erlebnisse und weiterhin auf eine pathologisch ge¬ 
steigerte gemüthliche Erregbarkeit zurückzuführen ist. 

In den anderen Fällen ging dem hysterischen Phänomen die Vorstellung von 
seinem Auftreten voran. Zuweilen geschah dieses nur als Erinnerung an frühere 
pathologische Phänomene ohne die Idee von deren eventueller Wiederkehr. Dann 
kamen einzelne pathologisch starke Willensleistungen vor. Meist aber handelte 
es sich um Suggestionen. Das Moment, das diese verschiedenen Vorstellungen 
als pathologische Erscheinungen auslösen liess, war ihre starke Gefühlsbetonung, die 
hinwiederum wesentlich auf associative Elemente und damit — wie in der ersten 
Gruppe — schliesslich auf eine pathologische gemüthliche Erregbarkeit zurück¬ 
zuführen war. 


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Herr Oppenheim (Berlin): Nervenkrankheiten und Lectüre. 

Vortr. führt aus, dass die Lectflre eine grosse Bedeutung für das Wohlbefinden 
hat und die Gesundheit auf verschiedene Weise schädigen kann. Besonders spricht 
er sich gegen die sich immer mehr verbreitende Sucht nach der Darstellung des 
Krankhaften in der Presse und Litteratur aus. Er ist der Meinung, dass auch aus 
den ärztlichen Vereinigungen, Gesellschaften und Congressen noch zu viel in die 
Tagespresse gelange, mehr als nöthig und gut sei. Ferner verweist er auf die Ge¬ 
fahren der sexuellen Litteratur, deren Gebiet sich immer mehr erweitere. 

Schliesslich macht er den Versuch, die Lectüre zu kennzeichnen, welche als 
gut und heilsam im sanitären Sinne zu betrachten sei. Wenn er dabei auch dem 
Factor des ästhetischen Genusses eine besonders grosse Bedeutung zuzuschreiben 
geneigt ist, muss er doch zugeben, dass die individuelle Empfänglichkeit hier ein 
ausschlaggebendes Moment ist, so dass sich allgemeingültige Satzungen kaum aufstellen 
lassen. (Der Vortrag wird ausführlich veröffentlicht werden.) Autorreferat 

Herr Mucha (Lindenhof): Bemerkungen zur Lehre von der Katatonie. 

Vortr. giebt zuerst die bekannte Schüle’sche Ansicht über die Katatonie 
wieder („es giebt keine essentielle Katatonie, sondern katatonische Zustände u. s. w.“). 
Dann skizzirt Vortr. A sch affe n bu rg, der zu ganz entgegengesetzten Anschauungen 
kam und eine selbständige Krankheitsform Katatonie und Hebephrenie annimmt Für 
beide möchte Aschaffenburg den gemeinsamen Namen Dementia praecox vorschlagen. 
Vortr. giebt nun seine Erfahrungen, die er in Bezug auf die fraglichen Punkte ge¬ 
macht hat, wieder. Er habe während der letzten 3 Jahre in 30 Fällen katatone 
Symptome gefunden, d. b. motorische Hemmungs- und Reizungserscheinungen, Stupor, 
Negativismus, Mutacismus, dauerndes Festhalten der gleichen Muskelspannung, Kata¬ 
lepsie, Haltungs- und Bewegungsstereotypen, pathetische Redesucht, Verbigeration. 
ln allen Fällen sah Vortr. denselben Verlauf der Erkrankung; dieselbe setzte ziemlich 
acufr ein, durchlief in manchen Fällen ein depressives und expansives, ein verworrenes 
und stuporöses Stadium; in anderen Fällen wechselten Affecte, Wahnvorstellungen 
und Sinnestäuschungen regellos miteinander ab; der Ausgang war jedes Mal, zuweilen 
nach wenigen Monaten, meist nach 1—2 Jahren, der in geistige Schwäche, in welcher 
sich einige der früheren katatonen Symptome erhielten. Vortr. glaube klinisch nicht 
anders Vorgehen zu können, als alle diese Fälle einer und derselben Krankheit zu¬ 
zuweisen. Mit Bezug auf die Behauptungen Schüle’s und anderer Autoren, dass 
die katatonen Erscheinungen bei den meisten Geisteskrankheiten in grösserer oder 
geringerer Anzahl Vorkommen, möchte Vortr. die Ansicht vertreten, dass dieselben 
vereinzelt gewiss auch bei anderen Formen von Geisteskrankheit Vorkommen können, 
dass aber, wenn sie in grösserer Anzahl und dauernd auftreten, die Krankheit jedes 
Mal den gleichen Verlaufstypus innehält, der für die Katatonie, bezw. für die De¬ 
mentia praecox charakteristisch ist. Vortr. möchte mit Aschaffen bürg die Hebe¬ 
phrenie und Katatonie als einheitlichen Krankheitsprocess und den von jenem vor¬ 
geschlagenen Sammelnamen der Dementia praecox für durchaus zutreffend halten und 
führt er zur Stütze dieser Ansicht u. a. einen Fall vor, bei dem sich bei einem 
19jährigen Mädchen aus einer Hebephrenie eine Katatonie entwickelte. 

Zur Frage der Belastung übergehend citirt Vortr. zunächst Kahlbaum, der 
unter 50 Fällen nur 4 Mal hereditäre Belastung fand, llberg giebt 45°/ 0 , Dieck- 
hoff 60°/ o an; letzterer rechne die Katatonie nicht zu den degenerativen Psychosen. 
Mucha fand übereinstimmend mit Kraepelin 75°/ 0 , welche Zahl wohl noch zu 
niedrig gegriffen sein dürfte. Zur Besprechung der Prognose übergehend, theilt 
Vortr. 3 Fälle von Katatonie mit, die sich in ihrem Verlaufe wesentlich von den 
anderen unterscheiden. Dieselben zeigten einen deutlichen circularen Typus und 
verschieden langdauernde (zum Theil heute noch bestehende) Remissionen. Vortr. 
glaubt die schwere erbliche Belastung für diesen atypischen Verlauf verantwortlich 
machen zu müssen und weist auf ähnliche Verhältnisse bei anderen Geisteskrankheiten, 


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7 .. B. bei der Paralyse hin. (Ob die Zahl der Katatonien nicht eingeschränkt würde, 
wenn wir an der klassischen Schilderung Kahlbaum’s festhielten? Fälle, wie die 
drei von Mncha beschriebenen, scheinen mir eher die Züge der von Magnan in 
Frankreich, von ßinswanger in Deutschland aufgestellten Form der „erblich dege- 
nerativen Geistesstörung“, gerade wegen der schweren Belastung und ihres wechsel¬ 
vollen atypischen, circularen Verlaufes zu tragen. Bef.) 

Zum Schlüsse macht Vortr. auf einen differential-diagnostischen Punkt auf¬ 
merksam; derselbe betrifft die Unterscheidung der Katatonie von der Hysterie. Er 
weist auf die Autoren hin, die alle Fälle von Katatonie (Bevau, Lewis, Wille u. A.) 
oder zumindest einen Theil derselben (Schfile) der Hysterie bezw. dem hysterischen 
Irresein zu weisen wollten. Mucha läugnet nicht, dass gewisse Erscheinungen des 
hysterischen Irreseins und der Dementia praecox sehr ähnlich seien und kommen bei 
der letzteren auch Krampfanfälle vor. Für ihre Unterscheidung sei massgebend das 
Fehlen hysterischer Stigmata bei der Dementia praecox, dann die vollständige Ver¬ 
schiedenheit der Entstehung und des Verlaufes beider Krankheitsformen. 

Discussion: 

Herr Ilberg verlangt strenge Scheidung der Hebephrenie und Katatonie. 

Herr Hitzig ist auch der Ansicht, dass bei unzweifelhaften Fällen von Dementia 
praecox — wie er sagen möchte — Krämpfe hysterischen Charakters auftreten. 

Herr Möbius (Leipzig): lieber die Operation bei Morbus BasedowiL 

Vortr. berichtet zunächst Ober einen Fall von Morbus Basedowii bei einer 
48 jährigen Patientin, der nach verschiedenen Richtungen hin interessant erscheint. 
Während dieselbe schon seit mehr als 5 Jahren an nervösen Beschwerden nnd Herz¬ 
klopfen leidet, bemerkte sie die Anschwellung des Halses erst seit einem Jahre; im 
Verlaufe einer Thyreoidinkur trat rasche Verschlechterung ein; Vortr. liess das 
Thyreoidin fort und verordnete Bromkalium und Galvanisation. Mit dem Aufhören 
der Schilddrfisenbehandlung trat eine vorübergehende Besserung ein, bald aber ver¬ 
schlechterte sich der Zustand und es trat ein neues überraschendes Symptom auf. 
Pat erschien paraphasisch (sie sagte z. B. statt „Mutter“: Luftballon u. a. m., die 
Störung trat nur zeitweise auf bei ungetrübtem Urtheil und keiner Spur einer 
geistigen Störung). Auf Bath des Vortr. wurde zur Operation geschritten und die 
rechte Hälfte der Struma (adenoiden Charakters) entfernt Die Durchtrennung erfolgte 
mit dem Thermokauter. Trotz ungünstiger änsserer Verhältnisse (gemütbliche Er¬ 
regungen) trat unverkennbare Besserung ein. Pat. nahm um 20 Pfund zu, die ner¬ 
vösen und sonstigen Erscheinungen waren zwar nicht behoben, doch waren sie 
geringer und Pat leistungsfähiger geworden. Vortr. weist auf die eigenthümliche 
Paraphasie, sodann darauf hin, dass die Operation, obwohl sie eine nur mässige 
Besserung bewirkte, zweifellos den Wendepunkt der Krankheit darstellt; des weiteren 
macht er darauf aufmerksam, dass vielleicht gerade der zurückgelassene linke Lappen 
den eigentlichen Herd der Krankheit bedeute, woraus sich der geringere Erfolg der 
Operation erklären Hesse. Nicht bezweifelt könne mehr werden, dass im Allgemeinen 
die Operation bei Morbns Basedowii die erfolgreichste Therapie bedeute. 

Sorgo berichtet über 174 Fälle. In 2 Fällen ist der Ausgang der Operation 
nicht bekannt 48 (27,9°/o) wurden geheilt 27 (15,2°/ 0 ) wurden bedeutend, 62 
(36%) deutlich gebessert. Nicht gebessert oder schlimmer wurden 11 (6,4 %) 
und 24 (13,9%) starben nach der Operation. 

Für die Operation spächen 3 Gründe: 

1. Die Unzulänglichkeit der medicinischen Behandlung. 

2. Die Langwierigkeit der Krankheit. 

3. Die Gefahren der Krankheit. 

Ad 1 betrachtet Vortr. die gewöhnliche Therapie als unzulänglich und die An¬ 
wendung der Schilddrüsen- und Jodpräparate im activen Stadium der Krankheit als 

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Kunstfehler. Wirklichen Nutzen (symptomatisch, und auch da nur bei leichten 
Fällen) sah Vortr. nur von den Bromsalzen. Eine verständige Wasserbehandlung 
kann manchmal nützen, die elektrische wirkt wohl nur rein suggestiv. 

Ad 2 weist Vortr. auf die lange Dauer der Krankheit hin mit ihren Exa¬ 
cerbationen und Remissionen, und auf die, wenn auch seltenen Fällo mit tödtlichem 
Ausgang. 

Ad 3 müssen wir immer an die Gefahren der plötzlichen Herzlähmung denken, 
an die schweren Erkrankungen der Augen (Vereiterung der Bulbi), Gehirnaffectionen 
u. a. m. 

Gegen die Operation spricht ein Grund, und das sind die Gefahren der Operation, 
die Thatsache, dass die Operation relativ oft den Tod bewirkt, und zwar starben 
die Kranken entweder durch Herzlähmung, wobei die Operation nur die Gelegenheits¬ 
ursache abgiebt oder in den, meisten Fällen durch Vergiftung in Folge der Ueber- 
schwemmung des Körpers mit dem Safte der kranken Schilddrüse. Bezüglich der 
Frage, ob wir im Stande sind, die Gefahren der Operation zu vermeiden, äussert 
sich Vortr. dahin, dass es gegen die Vermeidung der Herzlähmung nur den Ausweg 
gäbe, zu operiren, so lange das Herz noch widerstandsfähig ist. Was die Narcose 
anbelangt, so ist die von Kocher vorgeschlagene Cocalnisirung zu beachten, da 
wohl manche Todesfälle auf die allgemeine Narcose zurückzuführen sein dürften. 
Gegen die acute Basedow-Vergiftung empfiehlt Vortr. grosse Vorsicht bei der 
Exstirpation der Drüse, Vermeidung dieselbe anzuschneiden, welche Cautelen durch 
Kauterisation wohl am besten durchgeführt werden könnten. Zum Schlüsse gedenkt 
Vortr. noch der in Frankreich aufgekommenen Sympathicusresection. Ihre Erfolge 
müsse man abwarten, Gefahren birgt auch diese Operation in sich, da auch nach 
dieser mehrere Todesfälle zu verzeichnen sind. 

Discussion: 

Herr Oppenheim ist der Ansicht, dass die Franzosen die Sympathicusresection 
schon verlassen hätten. 

Herr Moosdorf berichtet über 2 Fälle von Morbus Basedowii, von denen einer 
nach der Operation vollständig geheilt wurde, einer nngeheilt blieb. Einen anderen 
Fall habe er mit Elektricität geheilt und möchte er hier die Suggestivwirkung aus- 
schliessen, da auch die Drüsen kleiner wurden. Schliesslich berichtet er über einen 
Fall, bei welchem die Struma geschwunden, die anderen Basedow-Symptome aber 
geblieben waren. 

Herr Ziehen macht auf die Möglichkeit der zweizeitigen Operation und leichte 
Narcose bei Herzschwäche aufmerksam. 

Herr Matthes (Jena) nimmt denselben Standpunkt wie der Vortr. ein; er 
empfiehlt vor der Operation eine Mastkur vorzunehmen. 

Herr Möbius sagt in seinem Schlusswort, dass die Sympathicusresection nicht 
verlassen und die Ansichten über ihren Werth getheilt seien; ein Fall von Morbus 
Basedowii, der ohne Struma fortbestand, habe er noch nicht gesehen, die zweizeitiire 
Operation könne von Vortheil sein, zur Vornahme einer Mastkur, die an und für sich 
gewiss empfehlenswerth sei, fehle in vielen Fällen die Zeit 

Herr Ranniger (Sonnenstein): Ueber Sprachstörungen bei Katatonie. 

Vortr. greift aus der katatonischen Gruppe die Sprachstörungen heraus, die 
hierher gehörigen krankhaften Erscheinungen seitens der Sprache sind der Mutismus, 
die Echolalie, die pathetische verschrobene Ausdrucksweise, die Wortneubildungen, 
die Verbigeration, endlich die eigentümliche Sprachverwirrtheit (Wortsalat). Was 
den Mutismus anbelangt, so unterscheidet Vortr. den als Theilerscheinung eines all¬ 
gemeinen Stupors auftretenden und den mehr willkürlichen, durch Wahnideeen und 
Sinnestäuschungen bedingten. Rin Beispiel für letzteren erhalten wir in einem sehr 
interessanten Falle eines seit 10 Jahren völlig stummen Katatonikers. In der Echo- 


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lalie sieht Vortr. mit Recht kein der Katatonie allein zakommendes Symptom. Wae 
die eigentümlich verschrobene pathetische Ausdrucksweise der Katatoniker anbelangt, 
so ist sie sowohl in der Laut* als namentlich auch in der Schriftsprache deutlich 
zu erkenuen. Den Grund zu dieser haben wir hauptsächlich im gehobenen Selbst* 
gefühl der Kranken zu suchen. Wir finden diese eigenthümliche Sprach- und Schreib¬ 
weise nicht ausschliesslich bei der Katatonie, sondern auch bei der Paranoia. Hierher 
gehören auch die Wortneubildungen der Katatoniker, und ist das Zustandekommen 
derselben wohl mit dem Bestreben der Kranken zu erklären, für den neuen Gedanken¬ 
inhalt, der ihnen durch die Wahnvorstellungen gegeben wird, auch neue Ausdrücke 
zu bilden. Ein gleiches finden wir auch bei der Paranoia. (Wenn der Vortr. als 
Beispiel von Wortneubildung von einem Kranken erzählt, dass er den Kopf: „Frucht“, 
die Arme und Beine: „Wurzeln“ u. s. w. nenne, so können wir hierin eine Wort¬ 
neubildung nicht erkennen, höchstens eine Transposition bekannter Worte im Sinne et¬ 
waiger Wahnvorstellungen. Ref.) Zu der wichtigsten katatonischen Sprachstörung, der 
Verbigeratiou, übergehend, betont Vortr. seine abweichende Ansicht bezüglich zweier 
Punkte; im Gegensatz zu Kahlbaum und Kraepelin kann Vortr. die Verbigeration 
nicht als ein der Katatonie bezw. Dementia praecox ausschliesslich zukommendes 
Symptom anerkennen, da er das gleiche Symptom auch bei einem Paralytiker und 
einem Epileptiker gefunden hat. Was den zweiten Punkt anbelangt, so möchte 
Vortr. den Begriff der Verbigeration enger gefasst sehen. Die mehrfache nicht vom 
Willen abhängige Wiederholung uns unverständlich oder zusammenhangslos erscheinender 
Worte möchte er als Verbigeration sensu strictiori von der Pseudoverbigeration, die 
der Willkür unterworfen ist, und als die bewusste Reaction auf die verschiedensten 
Hallucinationen aufgefasst werden darf, geschieden wissen. 

Herr Friedländer (Jena): Neue Erfahrungen über die Anwendung 
von Bakteriengiften bei Psychosen. 

Vortr. berichtet über den Fortgang der therapeutischen Impfungen mit Bakterien¬ 
giften bei Psychosen, wie sie auf der psychiatrischen Klinik in Jena seit einer Reihe 
von Jahren angestellt werden. Nach einer kurzen Uebersicht über die bisherigen 
Veröffentlichungen macht er von einem neuen fiebererregenden Mittel Mittheilung, 
mit welchem ey gegenwärtig bei 10 Kranken Erfahrungen gesammelt hat. Dieses 
Mittel sind abgetödtete Reinculturen des Typhusbacillus. Vortr. bespricht die Her¬ 
stellung der Culturen, die Versuche an Tbieren und legt sodann die Methode der 
Injectionen dar. Bei Hunden und Kaninchen konnte selbst durch Dosen von 40 ccm 
Bacterium coli und 10 ccm Bacterium typhi der Tod nicht herbeigeführt werden, 
gleichwohl empfiehlt Vortr. nur ausnahmsweise Über 1 ccm hinauszugehen, da bei 
einem Falle nach der Injection von 2 ccm bedrohliche Erscheinungen aufgetreten 
waren, die allerdings ohne Folgen zu hinterlassen schwanden (Temperatur 41,7 °v 
paroxysmale Glykosurie und Albuminurie, die nach 36 Stunden vorüberging). Die 
ersten Impfungen wurden an absolut verlorenen, unheilbaren chronischen Psychosen 
vorgenommen, um die Wirkung des neuen Präparates zu studiren. Bei der Mehrzahl 
dieser Fälle zeigte sich die aus der Litteratur wohl bekannte Erscheinung, dass 
während des Fiebers eine mehr oder minder vollständige Klärung eintrat. Mit dem 
Verschwinden des Fiebers trat natürlich der frühere Zustand wieder ein. Was die 
einer Therapie überhaupt zugänglichen Fälle anbelangt, so kann von zwei Besserungen, 
zwei sicheren und einer wahrscheinlichen Heilung berichtet werden. Zur Auswahl 
der für die therapeutische Impfung tauglichen Psychosen bemerkt Vortr., dass am 
geeignetsten hierzu wohl jene Fälle von Erschöpfungsalienationen und schwere 
Melancholieen mit dem drohenden Uebergange in secundäre Demenz erscheinen, bei 
denen wir durch das Fieber und die elektive Einwirkung der Bakterientoxine eine 
heftige Anregung des Stoffwechsels in dem torpiden indolenten Organismus erzeugen 
wollen. Besonderes Gewicht legt Vortr. darauf, dass nicht frische Fälle (von Amentia 

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beispielsweise), sondern langdauernde, die eine Neigung in Schwachsinn überzugehen 
zeigen, der therapeutischen Impfung zugewiesen werden, damit Selbsttäuschungen 
vermieden werden. (Der Vortrag wird in extenso nebst den einschlägigen früheren 
Beobachtungen an anderer Stelle veröffentlicht werden.) 

Discussion: 

Herr Windscheid spricht sich gegen die Zulässigkeit der therapeutischen 
Impfung aus; er habe sich schon bei dem vorjährigen Vortrage Binswanger’s in 
Halle eines unangenehmen Gefühls nicht erwehren können. Dasselbe sei heute in 
verstärktem Maasse aufgetreten, und wäre es sehr zu bedauern, wenn solche Be¬ 
strebungen durch die Presse in die Oeffentlichkeit drängen. Es ginge doch wohl 
nicht an, somatisch gesunde Menschen mit solchen Mitteln zu behandeln. 

Herr Pick (Prag) möchte die Befürchtungen Herrn Windscheid’s zerstreuen, 
indem er ihn auf die auch von Herrn Friedländer erwähnten Untersuchungen 
Wagner’s (Wien) hin weist, die auch in die Oeffentlichkeit drangen. Dieselbe be¬ 
ruhigte sich bald. Principiell sind diese Versuche ebenso berechtigt, wie andere, 
und die von dem Vortr. gemachten Mittheilungen aus der Litteratur, die Pick selbst 
durch eigene Erfahrungen vermehren könne, erweisen zur Genüge die wissenschaft¬ 
liche Fundirung der therapeutischen Impfung. 

Herr Hitzig pflichtet den letzten Ausführungen des Herrn Pick vollständig 
bei und würde er seinerseits die therapeutische Impfung mit Freuden begrüssen, so¬ 
fern es sich erweisen sollte, dass durch dieselbe dauernde Erfolge zu erzielen seien. 

Herr Möbius meint, dass Herr Windscheid sich nicht gegen die Zulässigkeit 
der therapeutischen Impfung erklärt habe, sondern nur vermieden sehen wolle, dass 
Mittheilungen hierüber in die Tagespresse gelangen. 

(Wenn Herr Windscheid erklärte, dass es nicht anginge, somatisch gesunde 
Menschen mit Bakteriengiften zu behandeln, so liegt hierin wohl eine Verurtheilong 
aller derartigen Bestrebungen, die seit vielen Jahren durchaus nicht erfolglos an¬ 
gestellt wurden. Zudem dürfte die somatische Gesundheit, deren sich beispielsweise 
eine in secundären Schwachsinn übergehende Amentia erfreut, keine Contraindication 
zu einem letzten Versuche ihr möglicherweise psychische Genesung zu verschaffen 
abgeben. Bef.) 

Herr Margulids (Prag): Ueber die sogenannte Pseudodipsomanie 
Legrain’s. 

Vortr. giebt in grossen Zügen die Wandlung wieder, die die klinische Auf¬ 
fassung der Dipsomanie seit ihrer ersten Beschreibung durch Salvatori im Jahre 
1817 durchgemacht hat Von diesem und anderen Autoren (Hufeland, Brühi- 
Kramer) als eine durch übermässigen Alkoholgenuss hervorgerufene Psychose an¬ 
gesehen, wurde sie später als Monomanie der Trunksucht beschrieben (Esquirol, 
Trdlat u. A.). Die Engländer unterscheiden nach Hutchinson eine acute, chronische 
und periodische Form; die Franzosen folgen heute in der Mehrzahl Morel, der die 
Dipsomanie als. ein Symptom seines Ddlire ömotiv beschreibt. Die Lehre Morel’s 
hatMagnan zur vollsten Entwickelung gebracht. Ball unterscheidet eine hereditäre 
und acquirirte Form, Skaö eine impulsive und recidivirende Varietät der Dipso¬ 
manie. Da sich der Begriff der klassischen Dipsomanie im Laufe der Zeit verwischt 
hat und nicht zum Vortheile einer genauen klinischen Abgrenzung mit anderen 
Krankheitsbildern identificirt wurde, betrachtet Vortr. es als ein Verdienst Legrain’s 
die zuletzt genannten Krankheitsformen unter dem Namen der Pseudodipsomanie der 
wahren Dipsomanie gegenübergestellt zu haben. Vortr. giebt zwei interessante 
Krankheitsfälle wieder. Es handelt sich um zwei Kranke, die in Intervallen von 
verschieden langer Dauer alkoholische Excesse verübten. In ihren freien Perioden 
waren sie sich ihres Zustandes wohl bewusst; bei irgend einer Gelegenheit, die ihren 


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Widerstand herabsetzt, nahmen sie eine kleine Quantität Alkohol, worauf der pseudo- 
dipsomanische Anfall eintrat. Nachdem Vortr. einen wahren dipsomanischen und 
die bei einem Kranken aufgetretenen Anfälle beschrieben hat, kritisirt er die Ver¬ 
schiedenheit beider Krankheitsformen. Die Pseudodipsomanen, die Legrain als 
moralische Schwächlinge bezeichnet, leiden zwar auch unter ihrem Zustand, doch 
haben sie eine ausgesprochene Liebe ffir Alkohol und schwanken zwischen dem 
Wunsche, ihm zu widerstehen und dem geheimen Verlangen ihrer Leidenschaft Genüge 
zu thun. Vortr. hebt den Umstand besonders hervor, dass diese Kranken eine ganz 
besondere Intoleranz gegen Alkohol besitzen, und dass schon ein Glas Bier oft genüge, 
die Kranken, wie Legrain sagt, wahre Anfälle von Moral insanity durchleben zu 
lassen. So ergiebt sich die Aehnlichkeit der Dipso- und Pseudodipsomanie, die ja 
beide auf dem Boden der erblich degenerativen Belastung entstehen, zugleich aber 
auch der Unterschied beider Zustände. Der wahre Dipsomane erliegt seinem Schicksal 
einem spontan auftretenden unwiderstehlichen Zwange nachgebend, der Pseudodipso- 
mane verfällt in seinen Anfall, indem er bei irgend einer Gelegenheit seine Vorsätze 
und die Folgen seiner Schwäche vergessend, denselben sozusagen provocirt. (Der 
Vortrag wird ausführlich veröffentlicht werden.) 

Herr Gebhardt (Jena) demonstrirt ein Hikroskop, speoiell zur Unter¬ 
suchung und Projeotion sehr ausgedehnter Präparate (z. B. Gehimsohnitte), 
welches in mehreren Punkten von den gebräuchlichen Modellen abweicht. Diese 
Abweichungen betreffen sämmtlich den Oberbau des Mikroskopes, während Fuss und 
Abbö’scher Beleuchtungsapparat dieselben sind wie bei allen grösseren Modellen 
der optischen Werkstätte von Carl Zeiss, der auch das demonstrirte Instrument 
entstammt. Das Auffälligste an diesem ist der 25 x 25 cm grosse Objecttisch, der 
sich ausser für sehr ausgedehnte Präparate, auch noch für physiologische Versuche 
unter dem Mikroskop als sehr geeignet erweisen dürfte. Derselbe ist am freien 
vorderen Bande kreisbogenförmig ausgeschnitten, um auch bei senkrechter Stellung 
des Mikroskopes das Licht bequem zum Spiegel des Beleuchtungsapparates gelangen 
zu lassen. Die 7 cm grosse centrale Tischöfihung lässt sich durch ringförmige Ein¬ 
lagen beliebig verkleinern. Neu an dem Mikroskop sind auch die Mikrometer¬ 
bewegung und die Einrichtung des groben Triebes. Die neue Bewegung erreicht 
durch Verwendung eines Schneckengetriebes bei leichtestem Gang die Möglichkeit 
minimal dosirbarer Verstellungen. Der Tubus ist ein extra weiter, wie bei dem 
neuesten mikrophotographischen Stativ von Zeiss (vergl. Zeitschr. f. Instrumentenk. 
Max Berger: Ein neuer Mikroskopoberbau). Es lassen sich an ihm sämmtliche 
Mikroplanare ohne wesentliche Beschränkung ihres grossen ebenen Feldes verwenden, 
das sind die Brennweiten von 20, 35, 50, 70, 100 mm mit Gesichtsfeldern im 
Object von bezw. 10, 17—20, 25—30, 35—40, 50—60 mm Durchmesser. — 
Das Stativ dürfte daher für Beobachtung, Projection und Mikrophotographie, auch 
für schwächste Vergrösserungen mit ausnahmsweise grossem Felde, Universalität der 
Anwendungsfähigkeit darbieten. Bezüglich näherer Details sei auf die oben citirte 
Publication hingewiesen. 

Georg Ilberg (Sonnenstein): Himgewichtsveränderungen bei Dementia 
paralytiea. 

Das Gewicht des unzerschnittenen Gehirns ist bei Geisteskranken um eine un¬ 
gleiche Grösse verschieden von dem Gesammtgewicbt der bei der Section entstehenden 
Theile. Das grösste Quantum dieser Differenz, die bei Paralytikern bis zu 165, ja 
bis zu 215 g gewogen worden ist, kommt auf die in den erweiternden Ventrikeln 
befindliche Hirnflüssigkeit. Vortr. hat das Gewicht des unzerschnittenen Gehirns 
daher einstweilen vernachlässigt und nur das Gesammtgewicht der bei der Meynert’- 
schen Hirnsection entstehenden Theile berücksichtigt Da es ihm an entsprechenden 
Vergleichszahlen fehlt, hat er die Hirntheile ohne weiche Hirnhäute bei Paralyse 

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und geistiger Gesundheit noch nicht verarbeiten können, sondern nur die mit weichen 
Hirnhäuten. 

Ohne das Gehirn eines makrocephalen Paralytikers, das unzerschnitten 1649 
wog und ein aus den Theilen berechnetes Gesammtgewicht von 1557 g repräsentirte, 
und ohne diejenigen Gehirne, die von Personen unter 150 cm Körperlänge, sowie 
mit längerer Dauer der Paralyse als 79 Monate stammten, bestand sein Material 
aus 63 männlichen Paralytikergehirnen. Diese 63 Gesaramthimo und ihre Theiie 
wurden mit den von Ludwig Pfleger 1881 in den Jahrbüchern für Psychiatrie 
festgestellten Normalzahlen verglichen und zwar rücksichtlich des Verhältnisses 
zwischen absolutem Gewicht und Körperlänge, sowie relativem Gewicht der Theiie 
des = 1000 gesetzten Gehirns und Körperlänge und rücksichtlich des Verhältnisses 
zwischen absolutem und relativem Gewicht und der Dauer der Dementia paralytica. 
Vortr. vermied es, Zahlen zu nennen, veranschaulichte vielmehr seine Untersuchungs- 
resultate durch Demonstration von 4 Curventafeln, die später veröffentlicht werdeu. 
Eine 5. Curventafel demonstrirte, wieviel Gramm Gesammthirn, Hirnmantel, Stirnhirn. 
Schläfen-, Scheitel-, Hinterhauptshirn, Hirnstamm + Kleinhirn, Hirnstamm allein und 
Kleinhirn allein beim Normalen und beim Paralytiker auf 100 cm Körperlänge bei 
150—187 cm Gesammtlänge kommen. Eine letzte Curve stellte die Zunahme der 
Ventrikelflüssigkeit bei zunehmender Dauer der Paralyse fest. 

Die Pflegerischen Zahlen beweisen, dass bei Geistiggesunden das absolute 
Gewicht des Gesammthirns, sowie dasjenige des Hirnmantels mit zunehmender 
Körperlänge (von 150—189 cm) steigt; Hirnstamm + Kleinhirn und Kleinhirn allein 
werden hier ebenfalls schwerer, aber in geringerem Maasse; eine Zunahme des Hirn« 
Stammes allein findet nicht statt. Zwischen dem absoluten Gewicht des Gesamint- 
hirns und Hirnmantels der Paralytiker und demjenigen der Geistiggesunden sind bei 
allen Körperlängen sehr bedeutende Unterschiede; im Mittel beträgt die Differenz 
zwischen den Gesammthirnen 152 g, zwischen den Himmänteln 142 g (= 93 °/ 0 ) zu 
Ungunsten der Paralytiker. Kleinhirn -f Hirnstamm sind bei Paralytikern, abgesehen 
von denjenigen, die länger als 180 cm waren, leichter als bei Normalen. Das 
Kleinhirn wog im Durchschnitt bei Paralytikern sogar etwas mehr als bei Pflegeris 
Normalen; das Stammhirn der Paralytiker jedoch war um durchschnittlich 14 g 
leichter. 

Was das relative Gewicht der Theiie des = 1000 gesetzten Ge¬ 
sammthirns anbetrifft, so nimmt bei geistig gesunden Individuen bei zunehmender 
Körpergrösse das relative Gewicht des Hirnmantels mässig zu, das des Kleinhirns -f 
Hirnstammes, sowie des Hirnstammes allein mässig ab, das relative Gewicht des 
Kleinhirns bleibt etwa gleich. Ein Vergleich der betreffenden Curven Geistiggesunder 
und Paralytischer lehrt, dass der Himmantel Paralytischer relativ leichter, Klein¬ 
hirn + Hirnstamm und Kleinhirn allein relativ schwerer sind. Das relative Gewicht 
des Hirnstammes allein war bei Paralytikern mit 150—159 cm leichter, bei solchen 
von 160—169 cm gleichschwer, bei solchen von 170—189 cm schwerer als bei 
Geistiggesunden. Die Betrachtung der relativen Werthe ist namentlich auch deshalb 
wichtig, weil die absoluten Werthe des Gesammthirns, z. B. zwischen 869 und 
1890 g, also zwischen weiten Grenzen liegen. 

Auf 100 cm Körperlänge kommt bei Geistiggesunden mit zunehmender 
Körpergrösse immer weniger Gesammthirn; auch alle Hirntheile nehmen bei dieser 
Berechnung mit zunehmender Körpergrösse ab. Es ist dies deshalb sehr interessant, 
weil — wie erwähnt — das absolute Gewicht des Gesammthirns mit zunehmender 
Körpergrösse zunimmt. Bei Paralytikern sind auch bei der Berechnung auf 100 cm 
Körperlänge das Gesammthirn und der Hirnmantel um vieles leichter, Hirnstamm + 
Kleinhirn und Hirnstamm allein um weniges leichter, das Kleinhirn dagegen ein 
klein wenig schwerer als bei geistig Gesunden. Mit längerer Dauer der Dementia 
paralytica nimmt das absolute Gewicht des Gesammthirns, des Hirnmantels, des 


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Stirnhiros und des Schläfenscheitelhinterhaupthirns ganz bedeutend ab. Bei Klein¬ 
hirn + Hirnstamm und Hirnstamm allein zeigte sich auch eine Gewichtsabnahme, 
doch in geringeren] Maasse. Das Kleinhirn blieb iin grossen und ganzen trotz 
längerer Dauer gleichschwer. 

Das. absolute Gewicht der VentrikelflQssigkeit nahm mit zunehmender 
Dauer der Krankheit wesentlich zu. 

Was endlich das relative Gewicht des = 1000 gesetzten Gesammt- 
hirns im Verhältniss zur Dauer der Paralyse anbelangt, so konnte zwar ein 
geringeres relatives Gewicht des Hirnmantels und dementsprechend ein höheres 
relatives Gewicht des Hirnstammes + Kleinhirns allein ermittelt werden; die Abnahme 
des Hirnmantels stieg aber bei längerer Dauer der Krankheit nur um weniges; diesem 
Befund entsprach eine nur geringe Zunahme des relativen Gewichts von Kleinhirn + 
Hirnstamm, die am meisten auf einer Zunahme des Kleinhirns allein beruhte. 

Von einer Berechnung des Verhältnisses zwischen Hirngewicht und 
Leichengewicht verspricht sich Vortr. bei der Dementia paralytica keine Aufklärung. 

Charakteristisch für die Paralyse ist dio oft sehr bedeutende Gewichts¬ 
differenz zwischen rechter und linker Hemisphäre. Das Gewicht der 
Hemisphären differirte um durchschnittlich 19 g, im Maximum um 77 g; nur wenige 
Hemisphären waren gleichschwer. Bei Hirnwägungen von Fällen von Dementia 
senilis ohne Erweichungsherde fand Vortr. trotz bedeutender Abnahme des Gesammt- 
gewichts oft kleine, oft sehr geringe Differenzen zwischen den Hemisphären. Bei 
der Paralyse waren Insel + Corpus striatum -J- Thalamus opticus der leichteren Hirn¬ 
mantelhälfte in der Hegel ebenfalls leichter. 

Die Capacität des Schädels und das specifische Gewicht des Gehirns 
wurden nicht berücksichtigt. (Autorreferat) 

Discussion: 

Herr Hitzig erinnert daran, dass doch ausser der Flüssigkeit in den Ventrikeln 
diejenige in den Maschen der weichen Hirnhäute zu berücksichtigen sei. Er 
zweifelt daran, ob die Hemisphären bei Gesunden stets gleich schwer sein müssten. 

Herr Pick empfiehlt statt der von Meynert vorgeschriebenen Durchtrennung 
des Hirnmantels in der Centralfurche diejenige hinter dem Gyrus postcentralis. 

Herr Ganser hält es im Gegensatz zu Herrn Pick für praktischer, bei der 
Meynert'sehen Technik zu bleiben. 

Herr llberg hat den Hydrocepbalus externus nur bei den mitgetheilten Hirn¬ 
wägungen, die sich auf Hirntheile incl. weichen Hirnhäuten beziehen, ausser Acht 
gelassen; aus der Differenz zwischen diesen und den Theilen excl. weichen Hirn¬ 
häuten kann er den Hydrocepbalus externus berechnen. Bei Geistesgesunden ohne 
Rhachitis und ohne Degeneration, auch bei einem nach kurzer Krankheit gestorbenen 
racereinen Neger fand er die Hemisphären und die beiden Stirnlappen mit und ohne 
weiche Hirnhäute völlig gleichschwer, wenn nicht etwa Erweichungsherde, Arterien¬ 
verstopfung, Blutungen oder dergleichen Vorlagen. 

Herr Lührmann (Dresden): Ueber die VortftUBohung verschiedener 
Krankheiten durch Hysterie. 

Der vielgestaltige Symptomencomplex der Hysterie kann bekanntermaassen eine 
Reihe organischer Krankheitsbilder vortäuschen oder sich auch denselben zugesellen, 
so dass es selbst für den geübten Untersucher manchmal nicht leicht ist, in kurzer 
Zeit die richtige Diagnose zu stellen. 

Weniger besprochen ist, wie die Durchsicht der einschlägigen Litteratur zeigt, 
die Vortäuschung von Psychosen (im engeren Sinne) und der Simulation durch 
Hysterie. 

An der Hand von einschlägigen klinischen Beobachtungen und unter Hinweis 
auf einige fremde Angaben zeigt der Vortr., dass die Neurose Krankheitsbilder 

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schaffen kann, die der Katatonie, der acuten Melancholie, der progressiven Paralyse 
und der Simulation sehr ähnlich sehen. 

Zugegeben ist allerdings, dass die längere Beobachtung hauptsächlich unter 
Berücksichtigung der Unbeständigkeit und Launenhaftigkeit der einzelnen Symptome 
die Diagnose auf den richtigen Weg bringt; es darf andererseits aber auch behauptet 
werden, dass selbst der Fachmann ohne Kenntniss der Anamnese und bei den ersten 
Begegnungen mit dem Kranken in die Gefahr gerathen kann, Katatonie, Melancholie, 
progressive Paralyse, bezw. Simulation anzunehmen, wo es sich lediglich um Hysterie 
handelt, was dann der Verlauf ausweist. (Der Vortrag wird ausführlich veröffentlicht 
werden.) (Autorreferat*) 

Herr Stoubell (Jena): Ueber Syphilis der Büokenmarkshäute. 

Vortr. spricht über einen seltenen Fall von Syphilis der Bückenmarkshäute: 
Eine 86jährige Frau bekam plötzlich über Nacht eine Paraplegie beider Beine mit 
Anästhesie bis zum Nabel; Patellarreflexe waren erloschen, kein Fussclonus. Exitus 
2 1 / % Wochen später an Pneumonie. Bei der Obduction fand sich Zerfall des 3. bis 
6. Brustwirbelkörpers mit starker Verdickung der Meningen in dieser Höhe. Mikro¬ 
skopisch stellte sich heraus, dass die Affection der Wirbel weder auf Tuberculose, 
noch auf Carcinom beruhte. Die meningeale Geschwulst nahm von der Aussenfläche 
der Dura ihren Ausgang, griff auf das extradurale Fettgewebe über und war vorn 
mit dem Periost des Wirbelcanals verwachsen. Sie bestand aus kleinzelligem Granu- 
lationsgewebe, das um die Gefässe inselförmig angeordnet war und central Tendenz 
zur Verwachsung zeigte. Die Gefässe boten die von Heubner u. A. beschriebenen, 
für Lues charakteristischen Veränderungen dar. Vortr. hält aus dem Ges&mmtbilde, 
bei Abwesenheit von Tuberculose anderer Organe, die Diagnose Lues für höchst 
wahrscheinlich. 

Die Pachymeningitis externa (Peripachymeningitis) syphilitica ist äusserst 
selten (Fälle von Virchow, Heubner u. A.). Differentialdiagnostische Unterscheidung 
von Pachymeningitis cervicalis hypertrophicai anatomisch leicht, da letztere eine 
Pachymeningitis interna ist (kommt auch am Brustmark vor). Vortr. wendet sich 
gegen die Bezeichnung Meningomyelitis cervicalis chronica (Wieting, Köppen) 
statt Pachymeningitis cervicalis hypertrophica. Die älteren Fälle von Gharcot und 
Joffroy sind gut beobachtet und gehen von der Dura aus, die von Wieting und 
Köppen sind Leptomeningitiden. Schliesslich nennt man alles Meningomyelitis. — 
Zum Schluss erwähnt Vortr. das Fehlen der Patellarreflexe bei hohem Sitz der Ge¬ 
schwulst und intactem Lendenmark. Ghok ist hier ausgeschlossen. Der Fall passt 
nicht in das alte Schema von den Reflexen und scheint für die Bruns-Bastian’sche 
Theorie zu sprechen. (Autorreferat) 

Discussion unterblieb wegen Zeitmangel. 

Herr Ganser: Ueber die neurasthenische Geistesstörung. (Der Vortrag 
erscheint in ausführlicher Form.) 

Friedländer (Jena). 


Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten. 

Einsendungen für die Redaction sind zu richten an Prof. Dr. E.Mendel» 
Berlin, NW. Schiffbauerdamm 18. 


Verlag von Veit & Comp, in Leipzig. — Druck von Mmtbgbb & Wittig in l^eipsig. 


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Neurologisches Cent ralb utt. 

Uebersicht der Leistungen auf dem Gebiete der Anatomie, Physiologie, Pathologie 
und Therapie des Nervensystems einschliesslich der Geisteskrankheiten. 

Heraosgegeben von 

Professor Dr. E. Mendel 

Siebzehnter " B#röa ' Jahrgang. 

Monatlich erscheinen zwei Nummern. Preis des Jahrganges 24 Mark. Zn beziehen durch 
alle Buchhandlungen des In- und Auslandes, die Postanstalten des Deutschen Reichs, sowie 

direct von der Verlagsbuchhandlung. 

1898. 15. December. Nr. 24. 

Inhalt: I. Originalmitthollungen. 1. Epileptische und epileptoide Anfälle in Form 
von Angstzustanden, von Prof. Dr. W. v. Bechterew in St. Petersburg. 2. Ein Fall von 
Hemiplegia hysterica, von Dr. Guitmann, Nervenarzt in Halberstadt. 

II. Referate. Anatomie. 1. Note on a modification of the Weigert-Pal method for 
paraffln sections, by Laslett 2. Die mikroskopischen Untersuchungsmethoden des Auges, 
von Seligmann. — Experimentelle Physiologie. 3. I. Le mäcanisme et la signification 
de l’etat moniliforme aes neurones, par Demoor. IL Le sommeil hibernal et les modifications 
des neurones cärdbraux, par Querton. 4. Die Wirkung der Narcotica auf die motorischen 
Vorderhornzellen des Bückenmarks, von FrSnkel. — Pathologische Anatomie. 5. Nou- 
velles recherches sur les lesions des centres nerveux consäcutifs ä Tarrachement des nerfs, 
par Marinesco. 6. Sülle alterazioni del sistema nervoso centrale nella inanizione, per Daddi. 
7. Nuove ricerche sperimentali sul potere battericida del sangue degli animali in rapporto 
alle auto-infezioni degli alienati, per Ceni. 8. Sul comportarsi deir alcalinita del sangue in 
alcune forme psicopatiche e neir epilessia, per Lui. — Pathologie des Nervensystems. 
9. Night terrors, par Soltmann. 10. Ueber Epilepsia choreica, von v. Bechterew. 11. Ein 
Fall von Epilepsie nach lange dauernder Douche auf den Kopf, von Breiting. 12. Zur Aetio- 
logie der Epilepsie, von Wildermuth. 13. Hereditary neurotic condition and acquired insta- 
biüty and disease associated with crime, by Winter. 14. Der Werth der Resection des Hals- 
sympathicus bei gemeiner Epilepsie, nebst einigen Beobachtungen und physiologischen 
Versuchen über Sympathicuslähmung, von Donath. 15. Beneficial effects of the withdrawal 
of bromides in the treatment of epilepsy, by Peterson. 16. Zur Opium-Brombehandlung der 
Epilepsie, von Linke. 17. Essai sur le traitement chirurgical de l’äpilepsie, par Rellay. — 
Psychiatrie. 18. Die Untersuchung und Behandlung geistig zurückgebliebener Kinder, von 
Liebmann. — Therapie. 19. Tetanus facialis, mit Antitoxin Behring behandelt, von Erdheim. 

III. Aus den Gesellschaften. Aerztlicher Verein zu Hamburg. — Biologische Abtheilung 
des ärztlichen Vereins zu Hamburg. 

IV. Register. _ 


I. OriginalmittheUungen. 


1. Epileptische und epileptoide Anfälle in Form von Angst¬ 
zuständen. 

Von Prof. Dr. W. v. Bechterew in 8. Petersburg. 

Anf alle von Beängstigung sind bekanntlich eine gewöhnliche Begleit¬ 
erscheinung der Neurasthenie. Die Angstzustände erscheinen bei dieser Neurose 
häufig unter ganz bestimmten Verhältnissen als Topophobie, Anthropophobie 

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Astrophobie u. s. w. Es ist aber zweifellos, dass Beängstigungen in einigen 
Fällen als Ausdruck einer viel schwereren nervösen Affection, nämlich der 
Epilepsie auftreten können. Anfälle von Angst sind nach meinen Beobachtungen 
bei Epileptischen durchaus nichts Seltenes, doch ist dieser Umstand bisher noch 
wenig beachtet worden. Erst in ganz jüngster Zeit meldet Ch. Ffinfi drei Fälle 
von Epilepsie, wo Angst als epileptisches Aequivalent auftrat In allen diesen 
Fällen knüpften sich die Angstanfälle anscheinend an bestimmte Ideeen. So 
bestanden bei einer Patientin Fänä’s ausser epileptischen Anfällen als Aequi- 
valente derselben schwere Angstzustände, die mit der Vorstellung ewiger Ver- 
dammniss in Verbindung standen. Bei dem zweiten Kranken stellten sich, 
während die epileptischen Anfälle unter dem Einflüsse therapeutischer Maass¬ 
nahmen seltener wurden, plötzlich Beängstigungen ein, welche sich an den Ge¬ 
danken, die Geschlechtsteile zu entblössen, anschlossen. Der dritte Kranke, 
ein schwachsinniger Onanist, litt ausser Kopfschwindel, zu Zeiten an dem Angst¬ 
gefühl, von einem Lastwagen erdrückt zu werden. 

Was meine eigenen Beobachtungen betrifft, so geht aus denselben hervor, 
dass bei einer Reihe von Epileptikern neben den gewöhnlichen Erscheinungen 
dieser Krankheit von Zeit zu Zeit Anfälle unwillkürlicher, undefinirbarer und 
qualvoller Angst auftreten, wobei das Bewusstsein nicht verloren geht oder doch 
nur schwach getrübt erscheint Kopfschwindel ist für gewöhnlich ebenfalls nicht 
vorhanden. Der Zustand geht manchmal als Aura einem starken epileptischen 
Anfall vorauf oder besteht als epileptisches Aequivalent für sich. Irgend einen 
Gedanken,* der sie in diesem Zustande gequält und mit dem Gefühle der Angst 
verbunden gewesen, konnten die Kranken trotz genauester Befragung nicht 
angeben. 

Seine Angstanfalle schildert einer meiner Epileptiker folgendermaassen: 
„Ich habe einmal gelesen, dass der Mensch zur Zeit eines Erdbebens ein be¬ 
sonderes Gefühl empfindet Wenn er sieht und fühlt, dass die Erde unter ihm 
bebt, jene Erde, welche er sein ganzes Leben lang gewohnt war, als „uner¬ 
schütterlich“ anzusehen, ergreift ihn ein grenzenloses, ein ganz besonderes Ent¬ 
setzen, wie es sonst unter keinen anderen Verhältnissen empfunden wird. Eine 
ebenso schwere und eigenartige Angst muss den Menschen sicherlich auch dann 
überkommen, wenn in seinen Kopf, wo er doch allein zu herrschen gewohnt 
ist, irgend eine dritte Person eindränge und sich dort nach Belieben zu geberden 
anschickte. 

Dieser Vergleich kommt mir fast immer zuerst in den Sinn in Augen¬ 
blicken, wenn mich jenes unfassbare Entsetzen ergreift, jene qualvollste 
und zugleich alltägliche Ausgeburt meines kranken Kopfes. 

Während geräuschvoller Unterhaltungen oder auch in Augenblicken völliger 
Einsamkeit gebe ich mich plötzlich jenem grossen rückhaltlosen Entsetzen hin, 
ich erwache davon aus tiefstem Schlafe, ich wälze mich und werfe mich von 
einer Seite auf die andere, ich biete meine ganze Willenskraft auf, mich der 


1 Les phobies epileptiques. La mddecine moderne. 1898. Nr. 24. 

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Angst zu entledigen und doch finde ich in nichts und nirgends Bettung, ehe 
diese schreckliche Erscheinung von selbst weicht, grösstentheils spurlos, manch¬ 
mal aber, nachdem es mich zu einem mehr oder weniger schweren epileptischen 
Anfalle gebracht“ 

In einem anderen, noch jetzt unter meiner Beobachtung befindlichen Falle 
gingen dem epileptischen Krampfe als Aura Angstzufälle voraus, als aber die Con- 
vulsionserscheinungen unter dem Einflüsse der von mir angeordneten Therapie 
— Infusum Adonidis vernalis, Bromnatrium mit Codein — verschwunden waren, 
blieben nur selten wiederkehrende Anfälle unwillkürlicher Angst ohne sonstige 
Erscheinungen von Epilepsie bei dem Kranken bestehen. Aber auch schon 
früher waren Angstzustände bei diesem Kranken nicht nur als präepileptische 
Aura, sondern auch völlig isolirt anfallsweise zwischen den eigentlichen epilep¬ 
tischen Insulten aufgetreten. In einem Falle von zweifelloser progressiver Para¬ 
lyse begann jenes Leiden, während die gewöhnlichen Symptome der Dementia 
paralytica fortbestanden, sich in epileptischen, mit vollem Verluste des Bewusst¬ 
seins begleiteten Anfällen zu äussern. Zugleich stellten sich seit dem Einsetzen 
dieser Anfälle ohne jeden erkennbaren Qrund unwillkürliche und quälende 
Angstzustände von 1—2 oder 3 Min. langer Dauer ein. Den Vorgang habe ioh 
manchmal selbst zu beobachten Gelegenheit gehabt Der Kranke wird plötzlich 
bleich, seine Pupillen erscheinen übermässig erweitert, reagiren auf Licht, aber nur 
schwach; das Bewusstsein des Kranken ist klar, er giebt auf alle Fragen Antwort, 
erklärt, dass er eine quälende Angst empfinde, wälzt sich von einer Seite auf 
die andere mit dem Ausdrucke grenzenlosen Entsetzens auf dem Antlitze. Dabei 
sind nirgends Krampferscheinungen, sondern nur eine gewisse Störung der Herz- 
thätigkeit mit kleinem und frequenten Pulse wahrnehmbar. Der Anfall geht 
plötzlich, wie er gekommen, vorüber und der Kranke ist nun frei von jedweder 
Angst, ohne sich die Ursache der überstandenen Empfindung erklären zu können. 
In anderen Fällen ging der Zustand peinigender Angst in einen mehr aus¬ 
gesprochenen Anfall, mit Bewusstseinsverlust, aber ohne Hinzutritt von Con- 
vulsionen über. 

Im Ganzen können aus meinen Beobachtungen folgende Schlüsse bezüglich 
der in Rede stehenden Erscheinung gewonnen werden: 


1. Anfälle von Angst im Verlaufe der Epilepsie sind überhaupt etwas 
durchaus nichts Seltenes. 


2. Sie können auftreten als präepileptische Aura oder als völlig selbständige 
mit den epileptischen alternirende Anfälle. In selteneren Fällen sind die Angst¬ 
zustände das wesentlichste Symptom der epileptischen Neurose, da der eigent¬ 
liche epileptische Anfall ihnen gegenüber an Häufigkeit völlig zurücktritt 

3. Gewöhnlich gehen die Anfälle epileptischer Angst ohne Verlust des 
Bewusstseins und ohne Kopfschwindel einher. 

4. Diese Anfälle sind ausgezeichnet durch grosse Hartnäckigkeit und sind 
schwer oder doch nicht vollständig der Therapie mit antiepileptischen Mitteln 
zugänglich. 


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5. Manchmal werden sie auch im Verlaufe epilepüformer Anfälle der 
Dementia paralytica beobachtet 

6. Zum Unterschiede von den neurasthenischen Beängstigungen knüpfen 
sich die epileptischen Angstzufalle nicht an irgend welche bestimmte äussere 
Bedingungen (Oertlichkeiten, Donner, Menschenmassen u. s. w.), wie dies bei 
der Pathophobie beobachtet wird. 


2. Ein Fall von Hemiplegia hysterica. 1 

Von Dr. Guttmann, 

Nervenarzt in Halberstadt. 

M. H.! Hemiplegieen, d. h. halbseitige Körperlähmungen, theilt Strümpell 
nach der Natur ihrer Entstehungsursachen in zwei Gruppen: in Lähmungen 
aus anatomisch nachweisbaren Ursachen und in sogenannte funcüonelle. Die 
ersteren entstehen hauptsächlich durch Entzündungen, Neubildungen, Degene¬ 
rationen und die Folgen von Circulationsstörungen, nämlich: Erguss, Embolie 
oder Thrombose. Die letzteren beruhen auf psychischen Störungen, unter 
welche auch die Hysterie zu rechnen ist, da diese als eine Krankheitserscheinung 
aufzufassen ist, bei der die normalen Beziehungen zwischen den Vorgängen des 
Bewusstseins und der Körperlichkeit in Unordnung gerathen sind. 

Sehen wir von den erstgenannten drei pathologisch-anatomischen Ursachen 
ab, indem auf Grund derselben die Hemiplegieen sich langsam entwickeln, und 
betrachten wir die Folgen der Circulationsstörungen, und zwar nur die im 
Gehirn, die meist ein plötzliches Auftreten der Halbseitenlähmung herbeiführen, 
so finden wir als deren Symptome, je nach der Intensität des Anfalles stärker 
oder schwächer ausgebildet: Bewusstlosigkeit, Coma, stertoröse Athmung, unregel¬ 
mässigen, meist verlangsamten Puls, Incontinentia urinae et alvi, Aufhebung der Be¬ 
fiele, auch desjenigen der Pupillen. Die betroffenen Gliedmaassen fallen aufgehoben 
und losgelassen wie todt zurück, sind activ mehr oder weniger unbeweglich und 
kraftlos und zeigen Hyp-, häufig auch Anästhesie, mitunter auch Parästhesieen. 
Es besteht unter Umständen Aphasie. Stets findet man Verzerrung des Ge¬ 
sichts, Ptosis, Abweichen der herausgestreckten Zunge, schlafferes Herabhängen 
des Gaumens mit geringerer Beweglichkeit beim Phoniren; und einige andere 
feinere Störungen noch. Alle diese Erscheinungen sind in den häufigsten Fällen 
einseitig, und zwar betreffen die meisten von ihnen die dem Herd entgegen¬ 
gesetzte Körperhälfte. 

Wichtig ist, dass diese Symptome alle unter einander eine bestimmte 
typische Zusammengehörigkeit haben, obzwar sie wechselnd und ungleichmäßig 
stark hervortreten, oder auch einzelne ganz ausfallen können. 

1 Vortrag mit Kranken Vorstellung, gehalten in der medioinischen Gesellschaft z« 
Halberstadt. 


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Anders die auf hysterischer Basis entstandenen Hemiplegieen, die möglicher¬ 
weise die gleichen und auch fast alle genannten Erscheinungen zeigen können, 
hei denen sich aber fast immer eine Störung in der typischen Zusammen¬ 
gehörigkeit nachweisen lässt, ein Widerspruch zwischen den einzelnen Sym¬ 
ptomen sich finden und dadurch die hysterische Grundlage sich documen- 
tiren wird. 

Bevor wir naher darauf eingehen, wollen wir erst unsere Patientin be¬ 
trachten: 

B. Karoline, Schafmeistersfrau, 62 Jahre alt, erblich nicht belastet, die Lues 
und Potus in Abrede stellt, als Kind kräftig herangewachsen ist, mit 17 Jahren 
menstrnirt, hat mit 23 Jahren geheirathet nnd 3 Partus und 2 Abortus geleistet. 
Ausser an einem Typhus mit 24 Jahren, ist sie nie ernstlich krank gewesen, mit 
56 Jahren ins Climacterium eingetreten, und war zwar nicht mit schwerer Körper¬ 
arbeit, doch immer in häuslicher und landwirtschaftlicher Thätigkeit fleissig be¬ 
schäftigt. Dieselbe fiel vor 2 Jahren eine steinerne Treppe von 10 Stufen herunter, 
wobei sie sich eine kleine Suggillation an der Stirn und eine grosse im linken 
Oberarm, sowie eine Verstauchung des rechten Daumens znzog. Diese Schädigungen 
waren nach kurzer Zeit geheilt und Patientin wieder vollkommen arbeitsfähig, nur 
glaubt sie einen Schmerz im Genick und Hinterkopf, den sie öfter verspürt, auf 
jenen Unfall zurückführen zu müssen. 

Vor ca. einem Jahre nun wurde sie aus ihrem Mittagsschlaf dnrch ein Kind, 
welches geräuschvoll zur Thür hereinkam, aufgeschreckt, wollte dieses zur Buhe 
weisen, vermochte aber nicht zn sprechen; erst nach ungefähr 2—3 Minuten kam 
ihr die Sprache zunächst lallend nnd stossweise, dann allmählich sich bessernd, 
wieder, so zwar, dass nach ca. */ 4 Stande dieser Vorfall erledigt war. Im Verlaufe 
desselben Nachmittags merkte sie darnach eine langsam zunehmende Schwäche im 
linken Arm und nach einigen Tagen auch im linken Bein, welches sie seitdem nach¬ 
schleppe. Diese Schwäche in den linken Extremitäten habe im Verlaufe mehrerer 
Wochen eine gewisse Höhe erreicht und sei dann steben geblieben, nicht mehr ge¬ 
wachsen, habe aber auch trotz angewandter Einreibungen nicht abgenommen. — 
Bewusstlos sei sie damals nicht gewesen, auch habe sie weder Athemnoth, noch 
Uebelkeit oder Erbrechen gehabt; auch seien ihr Stuhl und Urin nicht unfreiwillig 
abgegangen. — Der Arzt habe dies damals für einen Nervenanfall erklärt. 

Seitdem habe sie zwar ihre Wirthschaft mühsam versorgen können, aber die 
Arbeit sei ihr mit dem linken Arm nnd Hand ungemein erschwert gewesen; da sie 
zwar die einzelnen Bewegungen habe ausführen können, aber die Hand im Zufassen 
nnd Festhalten kraftlos sei. Nachdem sie nun auch in den letzten Monaten be¬ 
merke, dass ihr linker Arm nnd linkes Bein „schwinden“, nämlich an Umfang, und 
sie im linken Bein, nicht in der Hand, ein unangenehmes Kältegefühl und Kribbeln 
empfinde, so ängstige sie sich sehr, und käme nun hierher zur Untersuchung und 
eventuellen Behandlung. 

Dies war vor etwa 16 Tagen. Auf Befragen gab sie weiter an, dass ihr Ge- 
dächtniss und ihre Sehkraft auch stark nachliessen; sowie dass sie weder vor 2 Jahren 
bei dem Sturz die Treppe herab, noch vor 1 Jahre bei dem Anfall oder sonst je 
Blut durch die natürlichen Kopföffnnngen verloren habe; auch sei das Gesicht nie 
verzerrt gewesen. 

Die Untersuchung der wohlgenährten, mit gutem Fettpolster versehenen, kleinen 
Person von untersetzter Statur nnd kräftigem Knochenban ergab, dass die Muskulatur 
des rechten Armes etwa um 1,5 cm, des rechten Beines um ca. 3 cm grösseren Um¬ 
fang aufwies als der linken Extremitäten; doch fühlte sich das linke Bein nicht 
kühler an, als das rechte, auch fand sich keine Cyanose, ebensowenig konnte an den 


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Armen und Händen ein Temperaturunterschied festgestellt werden. Während sich 
die Kraft der Beine bei Widerstandsbewegungen als gleich und hinreichend erwies, 
wurde der Druck mit der rechten Hand kräftiger ausgeübt, sobald man mit beiden 
Händen gleichzeitig je eine Hand sich drflcken liess; sobald man aber den Drnck 
einzeln hintereinander prüfte, war der Druck beiderseits ziemlich gleich und mittel* 
kräftig; Widerstandsbewegungen der Arme ergaben eine leichte, kaum messbare 
Differenz in den Kräften zu Ungunsten der linken Seite; bei passiven Bewegungen 
zeigten sich im linken Arm und Hand mittlere Muskelspasmen, kaum merkbare im 
linken Bein, gar keine in den rechteu Extremitäten; active Bewegungen wurden in 
allen Gelenken aller 4 Extremitäten gleichmässig und mit gleicher Ausgiebigkeit ans* 
geführt, erwiesen sich nur linksseitig etwas ungeschickter in der Ausführung, be* 
sonders im linken Fussgelenk. Die passiv bewegten Extremitäten blieben in jeder 
gegebenen Lage und Stellung und wurden auf Befehl activ in jede beliebige Lage 
und Stellung verbracht. — Hinsichtlich des Ganges liess sich ein Unterschied 
zwischen dem rechten und linken Bein nicht wahrnehmen, doch machte es bei den 
häufig wiederholten Beobachtungen „einmal“ den Eindruck, als ob der Körper vom 
rechten Bein etwas rascher auf das linke hinübergelegt werde. 

Während sich die Hautempfindlichkeit bei Prüfung mit Pinselstrichen als 
durchweg intact erwies, ergab die Prüfung der Sensibilität mit Nadelstichen sehr 
verschiedene Resultate, bei den öfters wiederholten Untersuchungen wechselnd zwischen 
den rechten und linken Extremitäten, und schwankend in der Intensität, so dass 
eben nur eine Hypästhesie als solche mit Sicherheit festgestellt werden konnte. — 
Die Triceps*, Kniesehnen* und Periostreflexe zeigten sich erhalten. — Es bestand 
Tremor der Finger der linken Hand beim Vorstrecken und bei Bewegungen, keiner 
in der Ruhe, ebensowenig ein solcher des Beines. — Contracturen konnten nirgends 
festgestellt werden. 

Die elektrische Prüfung ergab für beide Stromesarten und für alle 4 Extremi¬ 
täten gleich gute Erregbarkeit, nur für die Finger der linken Hand war sie für den 
galvanischen Strom herabgesetzt; die elektrische Empfindlichkeit dagegen war überall 
die gleiche. 

Im Uebrigen konnte an dem Körper nichts Pathologisches nachgewiesen werden. 
Insbesondere waren die Hirnnerven absolut frei; Pupillarreflexe, sowie Augenbewegungen 
in Ordnung; Trigeminus rein empfindlich. Der Facialis erwies sich in allen seinen 
Theilen und beiderseits vollkräftig und gleichmässig, so dass keine Spur einer 
Gesichtsverzerrung zu bemerken war; die Zunge wurde gerade herausgestreckt und 
zeigte fibrilläres Muskelzittern; die Sprache war ohne Besonderheiten; Geschmack 
und Geruch wurden als in Ordnung befindlich angegeben; Schwindel, Doppelsehen 
und etwaige darauf beruhende Unsicherheit in den Bewegungen in Abrede gestellt. 
Bewegungen und Drehungen des Kopfes auf dem Halse geschahen activ und passiv 
ganz frei — Am Herzen liess sich nichts Pathologisches nachweisen; die Gefäss- 
wandungen waren ohne abnorme Härte. 

Die Intelligenz konnte dem Bildungsgrade entsprechend geachtet werden, doch 
liess das Rechnen Lücken erkennen, die früher nicht vorhanden gewesen sein sollen; 
obzwar die Sprache keine Abnormitäten aufwies, konnten doch die berühmten Para¬ 
digmata nicht glatt nachgesprochen werden; allerdings macht die Frau im allgemeinen 
einen etwas altersschwachen Eindruck, von körperlichem und geistigem Verfall. 

Wir haben also kurz zusammengefasst; 

Subj.: Alter von 62 Jahren; Sturz vor 2 Jahren eine Treppe herab; Er¬ 
schrecken vor 1 Jahre ohne nennenswerthe Veranlassung; Aphasie von minuten¬ 
langer Dauer; wenige Stunden später eintretende linksseitige Parese des Armes 
und der Hand; nach einigen Tagen anftretende Parese des linken Beines, mit 


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Eältegeföhl und Kribbeln in demselben; Schmerz und ein gewisses Steifigkeits¬ 
gefühl im Hinterkopf und Genick; Abnahme des Gedächtnisses und der Sehkraft 

Obj.: Himnerven durchweg frei; Atrophie der Muskulatur des linken Armes 
und Beines; Spasmen im linken Arm, jedoch keine Contracturen; Tremor der 
linken Hand; vielleicht leichte Herabsetzung der Kraft im linken Arm und Bein; 
Sensibilität in den Extremitäten herabgesetzt und wechselnd; Reflexe durch¬ 
gehende in Ordnung; am Gange höchstens eine geringe Schwäche des linken 
Beines, die offenbar nicht immer vorhanden ist; passive und active Bewegungen 
in sämmtlichen Gelenken aller 4 Extremitäten ausgiebig möglich, mit geringer 
Einschränkung der linken Hand; gleichmässige galvanische und faradische Er¬ 
regbarkeit in gleicher Ausdehnung wie eben; — Imbecillitas senilis leichteren 
Grades (unter Herabsetzung der Denkkraft und der Sprachfähigkeit). 

In diesem Bilde könnte fast jedes Symptom einzeln für sich, manche davon 
auch miteinander vereint als Folge eines vor 1 Jahre eingetretenen apoplectischen 
Insultes gelten; besonders in Berücksichtigung des hohen Alters, der „gewissen“ 
Plötzlichkeit des Auftretens und der in psychischer Erregung bestehenden 
Ursache. 

Gegen die Annahme eines solchen aber sprechen folgende hochbedeutende 
Erwägungen: 

1. Aphasie tritt nur ein, wenn der Erkrankungsherd die „linke“ 8. Stirn-, 
die sogen. BnocA’sche Windung trifft. Nehmen wir nun an, der Herd liege 
linksseitig, so müsste bekanntlich die Lähmung die rechten Extremitäten be¬ 
treffen; anderen Falles müssen wir bei linksseitiger Extremitätenlähmung, wie 
solche hier vorliegt, den Herd in die rechte Himhälfte verlegen, und dann wäre 
die Aphasie nicht zu erklären. 

2. Aphasie nach Apoplexie verschwindet nie nach wenigen Minuten, sondern 
braucht im besten Falle einige Tage; wohl aber wissen wir, dass das „Versagen“ 
der Sprache auf psychischer Ursache — wie im vorliegenden Falle — meist 
nach kurzer Zeit wieder behoben zu sein pflegt. 

3. Wenn es zwar nicht das Gewöhnliche ist, dass die Hemiplegie der 
Extremitäten nach Apoplexie so langsam auftritt, und allmählich sich erst aus¬ 
bildet, so finden wir doch derartige Erscheinungen in der Litteratur verzeichnet. 
Aber haben wir denn hier bei unserer Patientin überhaupt eine Halbseiten¬ 
lähmung, wie solche nach Bluterguss ins Gehirn oder Rückenmark stets ge¬ 
funden wird? oder auch nur vorliegen gehabt? Ich glaube nicht, dass dies der 
Fall gewesen ist, denn Patientin spricht nur von einer allmählich aufgetretenen 
„Schwäche“ in den linken Extremitäten, giebt jedoch auf Befragen an, dass sie 
„alle“ Bewegungen damit habe ausführen können, nur eben habe die eigentliche 
Kraft zur Arbeit gefehlt. (Während des Vortrages bestätigt der damals behan¬ 
delnde Arzt diese Angaben.) Es fehlt also durchaus die „schlaffe“ Lähmung, 
das sogenannte „Abgestorbensein“ der Gliedmaassen, wie der Volksmund es be¬ 
zeichnet 

4. Ganz besonders auffallend ist das Fehlen jeglicher Gesichtsverzerrung, 
d. h. der Lähmung der Gesichtsmuskulatur, sowie des Gaumens und der Zunge, 

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die doch bisher noch nie nach einem apoplectischen Insult noch so geringer 
Art — der aber doch Aphasie bezw. Gliedmaassenschwäche mit sich geführt 
hat — ansgeblieben ist. 

5. Als Folge von apoplectischen Lähmungen sehen wir wohl Contractnren 
auftreten, welche die Freiheit der Extrenntatenbewegungen in den Gelenken 
einschränken; im vorliegenden Falle ist nichts derartiges vorhanden. — Nie aber 
sehen wir, wie hier, leichte Muskelspasmen, die wohl eine Schwerfälligkeit in 
der Bewegung, nicht aber eine Behinderung erzeugen, und wahrscheinlich auch 
die Schuld an der Verminderung der Kraft tragen. 

6. Endlich müssen wir noch die Herabsetzung der Sensibilität berück¬ 
sichtigen; dieselbe ist nach einer Apoplexie auf der gelähmten Seite zunächst 
herabgesetzt, erholt sich aber im Laufe der Zeit wieder; bei unserer Patientin 
aber ist sie heute noch unterwerthig, vor allen Dingen aber wird sie wechselnd 
bald auf der gesunden, bald auf der kranken Seite als schwächer erklärt, 
während Apoplectiker ihre Angaben immer sicher machen, und stets die ge¬ 
lähmte Seite als die minderempfindliohe bezeichnen. 

Alle anderen Erscheinungen, wie der Treknor manus sinistr., die Parästhe- 
sieen, die Atrophia musculorum sinist, sind differential-diagnostisch nur unsicher, 
also für uns gar nicht zu verwerthen. Denn der Trem. man. und die Par- 
ästhesieen finden sich in sehr vielen Krankheitsbildern; die Muskelatrophie ist 
höchstwahrscheinlich auf die Inaotivität zurückzuführen, worauf auch die für 
beide Seiten gleiohgebliebene elektrische Erregbarkeit hinweist. — Intellectuelle 
Schwäche endlich, wie wir solche an unserer Patientin feststellen, kann öfters 
als Folge von Apoplexie beobachtet werden. In unserem Falle jedoch glaube 
ich dieselbe gerade entgegengesetzt auffassen, sie für den Ausgangspunkt des 
vorliegenden Symptomencomplexes halten, und das Krankheitsbild folgender- 
maassen deuten zu müssen: 

Die Pat, vor 2 Jahren bereits 60 Jahre alt, und in Folge Arbeit und des 
Lebens Lasten altersschwach, stürzt eine steinerne Treppe herab, ohne besonderen 
sichtbaren Schaden zu nehmen; dennoch trägt dieser Unfall doch zweifellos 
dazu bei ihre psychische Kraft zu verringern. 1 Jahr später tritt eine plötzliche 
psychische Erregung an ihr durch das vorbenannte Trauma geschwächtes Nerven¬ 
system heran und erzeugt jene vorliegenden Erscheinungen, die sich unter der 
Diagnose der hysterischen Neurose, bezw. hysterischen Hemiplegie sehr gut ver¬ 
einigen lassen. 

Denn das mit diesem Namen bezeichnete Krankheitsbild gestattet ein 
Zusammenauftreten einer Aphasie, die Minuten lang dauert und sich dann 
langsam löst mit einer linksseitigen Extremitätenschwäche; in ihm nimmt jene 
Schwäche Monate lang zu, um dann lange Zeit auf gleicher Höhe stehen zu 
bleiben; in ihm tritt plötzlich Gliedmaassenlähmung „ohne“ Facialisparese auf; 
in ihm finden wir Muskelspasmen oder spastisch - paretische Bewegungen von 
Arm und Bein zur Erscheinung kommen; und vor allem ist gerade ihm eigen- 
thümlich jene Unsicherheit und Schwankungen in den Sensibilitätsempfindungen 
und Angaben. Nehmen wir noch die Angaben der Patientin hinzu — und 


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warum sollten wir an denselben zweifeln —, dass sie ihre Kraft sich heben 
bemerke, seitdem sie von mir elektrisirt wird, dass ihr manche Arbeiten jetzt 
schon möglich seien, die sie das ganze Jahr hindurch nicht habe verrichten 
können (m. H.! es geht doch Nichts über die elektrische Suggestion!), so meine 
ich, dass im vorliegenden Falle die Diagnose: Hemiplegia hysterica, nicht aber 
apoplectica, vollberechtigt sei. 

Zum Schluss möchte ich noch erwähnen, dass differential-diagnostisch auch 
vielleicht die Forme fruste der multiplen Sklerose, die auch in späteren Jahren 
auftreten kann, in Erwägung zu ziehen wäre, besonders wenn wir die Ver¬ 
änderungen berücksichtigen, welche die senile Involution im Gehirn hervorbringt, 
dass mir aber der Mangel jeglicher Augen- und Augenmuskelerscheinungen, das 
Fehlen der scandirenden Sprache und besonders die Art der Sensibilitätsstörungen 
gegen diese Annahme zu sprechen scheinen. 


II. Referate. 


Anatomie. 

1) Note on a modiflcation of the Weigert-Pal method for paraffln seotions, 

by E. Laslett. ( Lance t. 1898. 6. August) 

Verf. schlägt folgende Methode vor: 

1. Zweiwöchentliche Härtung in Müller’scber Flüssigkeit. 

2. Einlegen kleiner Stücke von 2 mm Dicke in Marchi’sche Flüssigkeit für 
1 Woche. 

3. Auswaschen und Paraffineinbettung in Üblicher Weise. 

4. Schneiden, Aufkleben der Schnitte auf den Objectträger mit Wasser, Ent¬ 
fernung des Paraffins. 

5. 12 ständiges Färben in Essigsäurehämatoxylinlösung. 

6. Weiterbehandlung nach der Pal’schen Methode. Th. Ziehen. 


2) Die mikroskopischen Untersnohungsmethoden des Auges, von Dr. 

S. Seligmann in Berlin. (Karger. Berlin. 1899.) 

Das vorliegende Buch wird den Ophthalmologen und Neurologen in gleicher 
Weise willkommen sein. Die Leitfaden der histologischen Technik behandeln im 
Allgemeinen das Sehorgan in einer für den selbständigen Untersucher unzureichenden 
Weise. Diesem Mangel sollte die Arbeit des Verf.’s abhelfen. Sein Buch zerfallt 
in einen allgemeinen und einen speciellen Theil. In dem ersten wird nach den ein¬ 
leitenden Capiteln über die erforderliche Beschaffenheit und Gewinnung des Materials, 
die Orientirung am Augapfel, die Präparation und Conservirung desselben, die Her¬ 
stellung des mikroskopischen Präparates, die Darstellung der nervösen Elemente und 
schliesslich die Darstellung besonderer normaler und pathologischer Zell- und Ge- 
websbestandtheile behandelt. In dem Capitel über die Herstellung des mikroskopischen 
Präparates giebt der Verf. nicht allein eine specielle Färbetechnik des Auges, sondern 

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schildert auch die in der mikroskopischen Technik für die Herstellung gefärbte 
Dauerpräparate allgemein geltenden Proceduren (Fixiren, Einbetten u. s. w.). Dadurch 
macht er demjenigen, welcher sich seines Buches bedient, den Gebrauch and«« 
technischer Leitfaden vollkommen entbehrlich. Die eingehende Behandlung de 
Golgi’sehen Imprägnationsmethode und der EhrliclTschen vitalen Methylenbitt- 
methode wird dem Neurologen besonders angenehm auffallen. In dem 2. Theil wird 
für jeden Organtheil des Auges (Cornea, Sclera u. s. f.) die Darstellung seiner einzeln« 
Bestandteile genau erörtert. An Ausführlichkeit und Klarheit der Schilderung Hst 
das Buch nichts zu wünschen übrig. Sein Werth wird dadurch noch erhöht, das 
jedem Capitel eine sehr sorgfältige Zusammenstellung der einschlägigen Litteratsr 
angefügt ist. Max Bielschowsky (Berlin). 


Experimentelle Physiologie. 

S) I. Le mäcanisme et la slgnifleation de l’dtat moniliforme des neurones, 
par Jean Demoor. (Travaux du laboratoire de Pinstitut Solvay. II.) — 
II. Le sommeil hibemal et les modifioations des neurones oöröbraux, 
par Louis Querton. (Ebenda.) 

Die beiden vorliegenden Arbeiten behandeln die Frage nach der „amoeboiden 
Beweglichkeit“ der Neurone und beide beantworten sie in bejahendem Sinne. Genau 
ebenso, so etwa deduciren die Verff., wie wir einen einzelligen Organismus (Amoebe, 
Leukocyt) auf einen jeden Beiz, der denselben trifft, durch Einziehung sein« 
Pseudopodien reagiren sehen, so muss auch der „einzellige Organismus eines 
Neurons“ auf Beize, die ihn treffen, durch Veränderungen in der Verteilung 
seines Protoplasmas reagiren können. Und wirklich behaupten die Verff. (wie auch 
schon vor ihnen manche Autoren) gewisse Veränderungen im Protoplasma der 
Ganglienzellen und ganz besonders in deren Protoplasmafortsätzen und den Appen- 
dices piriformes beobachtet zu haben, welche auf Beize, die das betreffende 
Neuron trafen, sich entwickelten. Diese Beize konnten nun sehr mannigfaltiger 
Natur sein: bald waren es Gifte (Morphin, Chloroform u. s. w.), bald waren es innere 
Beize (Schmerz, Ermüdung), bald waren es Temperaturschwankungen (Abkühlung). 
Je nach der Intensität des einwirkenden Beizes waren die Veränderungen mehr oder 
weniger stark entwickelt: bald handelte es sich nur um leichte Verdickungen (dtat 
monoliforme) der äussersten Ausläufe der Protoplasmafortsätze, bald waren die letzteren 
stärker afficirt, kugelig aufgetrieben oder sogar in eine Beihe von perlenartigen ohne 
Zusammenhang fiottirenden Gebilden zerfallen. In diesen fortgeschrittensten Stadien 
war eine Bestitutio in integrum natürlich ausgeschlossen, die leichteren Veränderungen 
aber, insbesondere z. B. nach Morphinvergiftung, gingen mit Nachlassen des Reizes 
wieder zurück. — Was die physiologische Bedeutung dieser Veränderungen, welche 
übrigens die Verff. auch durch Photographieen deutlich zu machen sich bemühen, 
anlangt, so liegen dieselben noch völlig auf dem Gebiet der Hypothese. Insbesondere 
muss der Versuch, den natürlichen Schlaf und den Winterschlaf durch eine Lösung 
der „associativen Verbindung zwischen den verschiedenen Neuronen“ zu erklären, 
als verfrüht bezeichnet werden. — Erwähnt sei noch, dass die geschilderten Ver¬ 
änderungen sich ausschliesslich im Gehirn und in den Sinneszellen (Olfactorius) 
nach weisen Hessen; die Zellen des Bückenmarks wurden stets unverändert befunden 
und auch im Gehirn zeigten sich die verschiedenen Zellenlagen und die verschiedenen 
Centren in sehr wechselndem Maasse befallen. W. Cohnstein (Berlin). 


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4) Die Wirkung der Nareotiea auf die motorischen Vorderhornzellen des 
Büokenmarks, von Dr. Arthur Frankel in Berlin. (Ans einer von der 
Berliner med. Facultät gekrönten Preisschrift Berlin. 1898.) 

Verf. will durch seine an Kaninchen und Hunden angestellten Versuche ent¬ 
scheiden, ob die Nareotiea auf die motorischen Vorderhornzellen des Rückenmarks 
wirken. Bei geringer Dosirung ist entsprechend der klinischen Erfahrung, nach 
welcher keine functionelle Störung des Rückenmarks beobachtet wird, auch anatomisch 
eine Einwirkung von vornherein nicht zu erwarten. Für die Arbeit des Verf.’s 
kommen also nur die schwereren Vergiftungen mittelst der Nareotiea in Betracht. 
Für die mikroskopische Untersuchung hat Verf. sich ausschliesslich der NiBsl’schen 
Methode bedient. Er stellte fest, dass Strychnin, Brucin, Thebain und Pikrotoxin 
deutliche und constante Veränderungen an den motorischen Vorderhorazellen erzeugen; 
dagegen ergaben Morphin, Chloralhydrat, Chloroform, Aether und Curare solche Ver¬ 
änderungen nicht. 

Das Endergebnis ist: Die motorischen Vorderhorazellen des Rückenmarks werden 
durch die Nareotiea auch in starker Dosis nicht gelähmt 

Moritz Fürst (Hamburg). 


Pathologische Anatomie. 

5) Nouvelles reoherches sur les lesions des oentres nerveux consdcutifs 
& l’arraohement des nerfs, par Marinesco. (Bulletins et mömoires de la Soc. 
möd. des Höpitanx de Paris. Söance du 10 juin 1898.) 

Verf. riss Hunden sowohl Hirn- wie Rückenmarksnerven vollständig aus und 
beobachtete dann nach 10 Tagen an den Zellen der betroffenen Seite theils partielle, 
theils totale „Achromatose“ (d. h. Fehlen chromatophiler Elemente). Der Kern ist 
in einzelnen Zellen geschwollen, in anderen ist seine Form und sein Volumen ge¬ 
ändert. Bei vorgeschrittener Achromatose ist der Kern atrophirt, er liegt im Centrum 
oder an der Peripherie der Zelle. Der Nucleolus bewahrt im Beginn der Achro¬ 
matose Form und Tinctionsfähigkeit, später ist er atrophirt und von unregelmässiger 
Form, schliesslich — bei absoluter Achromatose — kann er vollständig schwinden. 
Neben diesen Zellveränderungen findet man auf der Seite des ausgerissenen Nerven 
Degeneration der Wurzeifasera und locale Entzündung der Pia. Die chromatischen 
Granulationen, welche man in einzelnen nudeolusfreien Zellen beobachtet, scheinen 
von der Auflösung des Nucleolus in seine Elemente, wenigstens zum grössten Tbeile, 
herzurühren. Es würde sich demnach um eine Chromatolyse des Nucleolus handeln, 
für welche allerdings ein so starkes Trauma, wie es die Nervenausreissung ist, noth- 
wendig erscheint. Die Forschungen des Verf.’s zeigen, dass der Nucleolus aus einer 
Menge von Granulationen gebildet ist, welch’ letztere eine homogene Substanz zu¬ 
sammenhält. Ferner bestätigen sie die Ansicht, dass das Volumen des Nucleolus 
Veränderungen zulässt. Kurt Mendel. 


6) Sülle alteraaloni del sistema nervoso centrale nella inanizione, per 
L. Daddi. (Rivist. di patolog. nerv, e ment. III.) 

Die Veränderungen des Nervensystems durch Hungern sind keine sehr schweren 
nnd stellen sich erst nach längerer Zeit ein. Bei einem nach 9 tägigem Hungern 
getödteten Hunde, dem jedoch täglich mittelst Schlundsonde Wasser eingeführt wurde, 
fand Verf. die Nervenzellen ohne nennenswerthe Erkrankungen. Letztere entwickeln 
sich langsam, wenn der Inanitionsprocess ein langsamer ist; schnell, wenn diese? 
rascher vor sich geht. 


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Hauptsitz der Veränderungen waren die Spinalganglien, Klein* und Grosshirn; 
sehr wenig oder gar nicht betroffen Bückenmark und Bulbus. Die Läsionen bestanden 
in Chromatolyse und leichter Bareficirung bis Vacuolenbildung in der achromatischen 
Substanz. Kern und Nucleolus blieben normal 

Die gefundenen Läsionen fühl i Verf. auf die allgemeine Unterernährung. Zur 
Annahme einer Autointoxication sieht er keinen Grund. Dass das Chromatin für 
die Zelle eine Nährsubstanz sei glaubt Verf. aus seinen Befunden nicht mit Sicher¬ 
heit schliessen zu können. Wenn dem so wäre, müsste es proportional dem allge¬ 
meinen Verfall schwinden und deshalb ausgiebiger geschädigt sein, als es der Fall war. 

Valentin. 


7) Nuove rioerche sperimentali sul potere batterieida del sangue degli 
anim ali in rapporto alle auto-infezioni degli alienati, per C. Ceni. 
(Biv. speriment. di Freniatria. XXIV.) 

Beim acuten Delirium und anderen mit grosser motorischer Unruhe einher¬ 
gehenden Geisteskrankheiten hatte Verf. pyogene Bakterien im Blute gefunden. Er 
reizte nun Thiere durch stark faradische Ströme bis zur Erschöpfung und fand, dass 
die bakterientödtende Kraft des Blutes dieser Thiere nach kurzem Ansteigen in der 
Periode der Ermüdung bis zum Gegentheil des Normalen sinkt, so dass das Blut 
dieser Thiere ein guter Nährboden für Typhusbacillen wird. Es kann die Verminde¬ 
rung des baktericiden Vermögens des Blutes den Zeichen der Erschöpfung des Thieres 
vorausgehen. Und auch bei der Autoinfection der Geisteskranken kann man oft 
pathogene Keime im Blute finden, ehe der Kranke Symptome der Depression oder 
des Collapses zeigt Valentin. 


8) Sul oomportarai dell’ aloalinitä del sangue in aloune forme psieopatiche 
e nelT epilessla, per A. Lui. (Biv. speriment di Freniatria. XXIV.) 

Die Untersuchungen des Verf.’s erstrecken sich auf Fälle von acuter und chro¬ 
nischer Manie, Melancholie, Dementia paralytica, Pellagra, Alkoholismus und Epilepsie. 
In den normalen Grenzen schwankte die Blutalkalescenz bei der Melancholie und bei 
der acuten Manie, während sie bei der chronischen meist geringer war. Niedrige 
Ziffern erhielt Verf. auch bei Paralytikern in allen Stadien; während epileptiformer 
Anfälle sank der Alkaligebalt vorübergehend. Das Blut chronischer Alkoholiker 
ergab eine ziemlich hohe Alkalescenz. Bei Geisteskranken, in Folge Pellagra, sank 
diese unter das normale Mittel bei den gewöhnlichen Formen, noch stärker bei Fällen, 
die starke Intoxicationserscheinungen zeigten, während sie bei den der Heilung nahen 
sich wieder hob. Das Blut reagirte ferner während oder unmittelbar nach einem 
epileptischen Anfall weniger alkalisch, als in den freien Intervallen; eine constante 
Herabsetzung der Alkalescenz fand sich zur Zeit gehäufter Anfälle. In der Zeit 
zwischen zwei Anfällen schwankte der Alkaligehalt um die unteren normalen 
Grenzen. 

Die Herabsetzung der Blutalkalescenz ist im Vereine mit anderen Symptomen 
ein Zeichen der Verlangsamung des Stoffwechsels, und bei der Wichtigkeit, die der 
Alkaligebalt des Blutes für die Besorption hat, und bei den Beziehungen, welche 
zwischen Into xication und Aenderung der Blutalkalescenz bestehen, vielleicht geeignet, 
ein Licht auf die Pathogenese mancher Fälle, namentlich von Epilepsie und Pellagra, 
zu werfen. Valentin. 


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Pathologie des Nervensystems. 

9) Night terrors, par Prof. Soltmann. (Annales de Mödecine et Chirurgie in¬ 
fantiles. 1898. 15. Sept.) 

Verf. giebt eine kurze Darstellung der Symptomatologie, Pathogenese, Prognose 
und Therapie des Pavor nocturnus. ln der viel umstrittenen Frage nach den Ur¬ 
sachen dieser Krankheit citirt Verf. die verschiedenen Meinungen der Antoren, ohne 
sich nach einer bestimmten Richtung hin zn entscheiden. Die Entstehung des An¬ 
falles selbst erklärt Verf. durch periodisch wiederkehrende Reizungen im Verlauf der 
Sehbahnen. Die Prognose ist, wenn kein anderes Leiden (z. B. Epilepsie) dahinter¬ 
steckt, günstig. Bei der Therapie bevorzugt Verf. allgemeine Kräftigung, namentlich 
warme Seebäder, während er Brompräparate in zweite Linie stellt, Opiate ganz ver¬ 
meidet. (Die neuere Arbeit von Rey, weither den Pavor nocturnus neuerdings auf 
adenoide Vegetationen im Nasenrachenraum und dadurch entstehende weitergehende 
Kohlensäureintoxication zurückführt, ist im vorliegenden Aufsatz noch nicht berück¬ 
sichtigt. Ref.) Zappert (Wien). 


10) Ueber Epilepsie, ohoreica, von Prof. W. v. Bechterew in St. Petersburg. 

(Deutsche Zeitschrift für Nervenheilkunde. 1898. XII.) 

In dem mitgetheilten Fall handelt es sich um den wahren Zusammenhang 
zwischen Epilepsie und choreaartigen Gliederconvnlsionen nnd nicht um eine Coin- 
cidenz beider Krankheiten. Bei dem Herannahen des epileptischen Anfalls nehmen 
die Zuckungen an Stärke zu nnd setzen nach Ablauf desselben eine Zeit lang aus. 
Verzögert sich der Eintritt des epileptischen Anfalls, so werden die Zuckungen sehr 
stark. Der Anfall selbst stellt sich nur als eine mit Bewusstseinsverlust einher¬ 
gehende Steigerung der Ohoreaconvulsionen dar. Stärkere epileptische Anfälle ver¬ 
mögen die Intensität der Zuckungen erheblich herabzusetzen. In dem beobachteten 
Falle bildete die Epilepsie das Grundleiden, war dann eine Zeit lang latent und 
brach später von Neuem ans, nachdem kurz vorher, veranlasst durch einen stärkeren 
Affect, zum ersten Male krampfartige Zuckungen nnd Stösse des Körpers hinzuge¬ 
kommen waren. Mit Rücksicht auf die nahen Beziehungen zwischen diesen Convul- 
sionen nnd dem epileptischen Anfall, schlägt Verf. für diese Krankheitsform den 
Namen Epilepsia choreica vor. E. Asch (Frankfurt a./M.). 


11) Ein Fall von Epilepsie nach lange dauernder Douohe auf den Kopf, 

von M. Breiting in Coburg. (Deutsche med. Wochenschr. 1898. Nr. 39.) 

Der 16jährige Knabe H., hereditär nach keiner Richtung belastet und bis auf 
leichte Masern stets gesund, nahm im Jahre 1892 nach starker Erhitzung durch 
Laufen eine Donche nnd zwar stand er wenigstens ] / 4 Stunde unter der Brause und 
liess sich dieselbe so recht gerade auf den Kopf prasseln. Heimgekehrt, war der 
Knabe sehr aufgeregt und bekam am nächsten Morgen einen typisch-epileptischen 
Anfall, dieser blieb nicht vereinzelt, es entwickelte sich vielmehr Epilepsie. Verf. 
fand bei der Untersuchung im April 1898: weite, träge reagirende Pupillen, Herab¬ 
setzung der Hörfähigkeit links für Ton- und Sprachgehör, Abweichung der Zungen¬ 
spitze nach rechts, Beeinflussung der Intelligenz in malam partem, keine ausgesprochenen 
Hyperästhesieen oder Hypalgesieen. 

Die Anfälle beginnen mit Kribbeln nnd Jucken der linken Hand. Verf. fasst 
die Epilepsie als traumatisch auf, bedingt durch die anhaltende Douche, und hält es 
für dringend nothwendig, mindestens durch Plakate in den Badezellen darauf hinzu¬ 
weisen, dass es gesundheitsschädlich ist, sich den Strahlen def Donche so anszu- 


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setzen, dass sie den Kopf senkrecht treffen, und dass überhaupt einzig und allein 
richtig das Wasser den oberen Theil des BQckens und der Drost peitschend zu 
treffen hat. R. Pfeiffer (Cassel). 


12) Zur Aetlologle der Epilepsie, von Dr. Wildermuth. (Festschrift des 

Stuttgarter ärztlichen Vereins. 1897.) 

Verf. bespricht in dieser Arbeit die Bedeutung des chronischen Alkoholismus 
und der Schädelverletzungen für das Zustandekommen der echten Epilepsie. Unter 
210 Epileptikern, die er in den letzten 6 Jahren behandelt hat und von denen er 
eine zuverlässige Anamnese erheben konnte, sind 6 Alkoholiker, die zweifellos Trinker 
waren, ehe sie epileptisch wurden. Bei 3 von diesen 6 war indessen dem Alkohol¬ 
missbrauch ein schweres Schädeltrauma praufgegangen, so verbleiben demnach nur 
1,4 °/ 0 von reinem Alkoholismus. Diese 3 Fälle gehören zu den 48 Kranken, bei 
denen die Epilepsie nach dem 20. Lebensjahre aufgetreten ist; legt man diese Zahl 
zu Grunde, so erhält man 6,2 °/o für den Alkoholismus als Ursache der Epilepsie. 
Wesentlich anders sind die Ergebnisse, wenn man von einem wegen des Alkoholismus 
in ärztliche Behandlung und Beobachtung tretenden Krankenmaterials ausgeht (wie 
die Statistiken von Westpbal, Fürstner, Moeli und Siemerling). Wir müssen 
daher die Alkoholepilepsie und die echte Fallsucht grundsätzlich trennen, selbst wenn 
es nicht gelingen sollte, scharfe klinische Unterschiede zwischen der einen und der 
anderen zu finden. Andererseits wird nicht geleugnet, dass wichtige mannig¬ 
fache Beziehung zwischen Alkoholismus und Epilepsie bestehen; so kann ein ein¬ 
maliger Alkoholexcess, gleichsam als agent provocateur bei einem Veranlagten die 
Epilepsie zum Ausbruch bringen. Weit wichtiger ist die Thatsache, dass die Trunk¬ 
sucht eines der Eltern oder beider bei den Kindern Epilepsie erzeugen kann. Bei 
145 Patienten fand sich erbliche Belastung in 49°/ 0 . Dabei stellt sich für eine 
procentaale Berechnung der belastende Moment heraus, dass die Trunksucht der 
Eltern mit 21°/ 0 an zweiter Stelle rangirt. 

Schädelverletzungen Hessen sich unter 210 Kranken 8 Mal, d. h. in %» 
nach weisen. 2 andere Beobachtungsreihen ergaben dem Verf. 2, bezw. 4°/ 0 . ln 
allen Fällen bestand das Trauma in Schlag oder Fall auf den Kopf. In der Mehr¬ 
zahl waren unmittelbar nach der Verletzung Erscheinungen von Himerschütterang 
vorhanden. Die Zeit des Auftretens der ersten epileptischen Zustände nach dem 
Trauma betrug in 5 von 8 Fällen nicht mehr als 1 Jahr. 4 Fälle waren sicher 
erblich belastet; bei dreien nur wies der weitere Verlauf typische Anfälle auf, bei 
den anderen nur verschiedene Formen der epileptischen Bewusstseinsstörung. Auch 
hier wird in der Mehrzahl der Fälle die Verletzung nur als Gelegenheitsursache für 
den Ausbruch des latenten Leidens anzusehen sein. Martin Bloch (Berlin). 


13) Hereditary neurotic oondition and acquired instability and disease 
assooiated with crime, by Heny Lyle Winter. (New York Medical Joora. 
1897. Vol. LXVI. S. 621.) 

Im Anschluss an die Beschreibung eines Patienten mit schwerer nervöser Be¬ 
lastung, zahlreichen Degenerationszeichen und psychischen Attaquen betont Verf. die 
hohe forensische Wichtigkeit der psychischen Epilepsie, den Mangel unserer dies¬ 
bezüglichen Kenntnisse und die Unzulänglichkeit des Gerichtsverfahrens im gegebenen 
Falle, z. B. bei Anklage wegen Mordes. Es sollte die Begutachtung zunächst Sache 
einer ärztUchen Commission sein, diese könnte dann nach eingehender Untersuchung 
dem Gerichtshof eine wissenschaftliche Grundlage für die Leitung der Verhandlungen 
und die Fällung des Urtheils an die Hand geben. R. Pfeiffer (Cassel). 


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14) Der Werth der.Besection des Halssympathious bei gemeiner Epilepsie, 

nebst einigen Beobachtungen und physiologischen Versuchen über 

Sympathicuslähmung, von Dr. Julias Donath, Universitätsdocent in Buda¬ 
pest. (Wiener klin. Wochenschr. 1898. Nr. 16.) 

Verf. Hess in 3 Fällen von gemeiner Epilepsie und in 1 Falle von Hirntumor, 
welcher gemeine Epilepsie vortäuschte, die Besection des Halssympathicus vornehmen. 

1. Fall: 20jähriger Maschinenmeister. Seit 2 Jahren epileptische Anfälle. 
Geringer Grad von Demenz. Bromkalibehandlung erfolglos. Am 20. Juli 1897 
beiderseitige Exstirpation des Ganglion sup. des Halssympathicus. Am 8. August 
4 starke Anfälle; weiterhin nach mehrwöchentlichen Intervallen immer durch mehrere 
Tage häufige Anfälle. 

2. Fall: 22jähriger Tagelöhner, seit dem 3. Lebensjahre nach einem Schreck 
anfangs täglich, später allwöchentlich epileptische Anfälle. Bromkalibehandlnng er¬ 
folglos. Rechte Papille etwas abgeblasst, Gesichtsfelder temporalwärts eingeschränkt 
Seh- und Hörschärfe links herabgesetzt, ebenso der Geruchssinn. Leichtes Stottern. 
Am 7. August 1897 beiderseitige Excision des Gangl. sup. und eines Stückes des 
zwischen diesem und dem Ganglion medium liegenden Stückes des Grenzstranges. 
Nach 4—5 Wochen Wiederkehr der Anfälle in derselben Häufigkeit, wie vor der 
Operation. 

3. Fall. 18jähriger Fleischergehülfe, seit dem 8. Lebensjahre epileptische An¬ 
fälle in steigender Häufigkeit, in letzter Zeit mitunter 50 täglich. Normaler Nerven- 
status bis auf beiderseitige Herabsetzung der Hörschärfe. Operationen wie im 
2. Fall; kein Einfluss auf die Häufigkeit der Anfälle. 

4. Fall. 23jähriger Geschäftspraktikant. Seit dem 9. Jahre Krämpfe nach 
einem Schrecken, in 3—4 monatlichen Intervallen, später in zunehmender Häufigkeit, 
oft von Erbrechen begleitet. Als Verf. im Jahre 1892 Pat. zum ersten Male sab, 
bestand seit 6 Wochen rechtsseitige Hemiplegie mit Betheiligung des ganzen FaciaUs 
derselben Seite. Unter Boraxbehandlung verschwand die Lähmung rasch und er blieb ein 
Jahr frei von Anfällen. Zeitweise Benommenheit oder Schmerz in der Scheitelgegend. 
Die Hemiparese kehrte dann vorübergehend wieder, und es betrafen auch die epilep¬ 
tischen Anfälle vorwiegend die rechte Seite. Die Augenuntersuchung ergab: Myopie, 
Atrophia nervi opt. o. u., Strabismus divergens o. s., starke concentrische Gesichts¬ 
feldeinschränkung beiderseits, centrales Scotom links. Im September 1893 Haaraus¬ 
fall und entzündliches allgemeines Hauterytbem, ersterer auf Faradisation der 
Schädelhaut, letzteres auf Aussetzen der Boraxmedication schwindend. Anfälle bis 
Juni 1896 oft. in mehrmonatiichen Intervallen. In diesem Monate Besection eines 
3 cm langen Stückes aus dem oberen Theile des rechten Halssympathicus und des 
Ganglion fusiforme. Anfälle persistiren; nach 2 Woeben erUegt Patient einem 
9 1 /2 s 1A n <ligen Status epilepticus. 

Obduction: Osteom in der Seiten wand des linken Vorderbornes, beginnend 3 cm 
hinter dem Polus frontalis und endigend entsprechend dem Sulcus frontalis. 

Interessant sind bei diesem Falle das epileptische Moment (Schreck), das Fehlen 
bleibender motorischer Lähmungserscheinungen trotz des 14jährigen Bestandes der 
Epilepsie, und der Mangel aller Symptome, welche für Stirnhirngeschwülste angegeben 
werden: Ataxie, Schwäche der Kopfbewegungen oder der Rumpfmuskulatur und Witzei- 
sucht Die vorübergehende Hemiplegie war offenbar ein Nachbarschaftssymptom, 
bedingt durch rascheres Wachsthum des Tumors. Die Abwesenheit von Herderschei¬ 
nungen dürfte in der Einübung compensatorischer Bahnen begründet sein. 

Diese 4 Fälle beweisen die völlige Wirkungslosigkeit der beiderseitigen Besection 
des oberen Halsganglions und des zwischen diesem und dem Ganglion medium ge¬ 
legenen Stückes des Grenzstranges auf die epileptischen Anfälle. Der Grund Hegt 
darin, dass die Gefässlähmung in den nächsten Tagen wieder schwindet, da die 


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Blutgefässe des Kopfes wahrscheinlich nicht nur vom Sympathicus, sondern auch 
direct vom Gehirn durch intracraniell verlaufende Fasern versorgt werden, welche 
für erstere vicariirend eintreten können. Bei einseitiger Operation sieht man un¬ 
mittelbar danach lebhafte Böthung der betreffenden Gesichtshälfte, Injection der 
Gonjunctiva, lebhafte Temperaturerhöhung und stärkere Schweissabsonderung, die aber 
schon nach 4 Tagen wieder schwanden. Bei den beiderseitig Operirten waren Ptosis 
und Miosis mitunter auf beiden Seiten ungleich, Licht-, Accommodations- und Con- 
vergenzbe wegungen der Pupille waren gut erhalten, desgleichen das Verhalten gegen 
Miotica und Mydriatica. 

Bei einseitiger Besection fand Verf. den elektrischen Leitungswiderstand der 
betreffenden Wangenhaut vermindert, offenbar wegen Hyperämie und gesteigerter 
Schweissabsonderung, ein Befund, der auch das Vigouroux’sche Phänomen bei 
Morb. Basedowii erklärt. J. Sorgo (Wien). 


16) Benefloial effeots of the withdrawal of bromides in the treatment of 
epilepay, by F. Peterson. (New Tork medical Journal. 1897. September.) 
Verf. bestreitet, dass die plötzliche Entziehung des Broms bei Epileptikern, 
welche dasselbe lange Zeit in hohen Dosen genommen haben, in der Regel einen 
Status epilepticus oder Vermehrung der Anfälle zur Folge habe, sondern schreibt 
derselben gerade einen günstigen Einfluss zu. Er stützt sich hierfür auf 5 Fälle, 
in welchen nach plötzlicher Entziehung ein erheblicher Nachlass der Krampfanfille 
und wesentliche Besserung in körperlicher wie psychischer Hinsicht eintrat und 
6 andere Fälle, in welchen nach plötzlicher beträchtlicher Herabsetzung der Brom¬ 
dosis ähnliche günstige Wirkungen zu constatiren waren. 

Leonhardt (Freiburg L/SchL). 

16) Zur Opium-Brombehandlung der Epilepsie, von Linke. (Allg. Zeilschr. 
für Psych. Bd. LV. S. 260.) 

„Denn wir finden bei jedem Heilmittel, dass es zu Anfang seines Gebrauches 
unübertreffliche Wirkungen zeigt und alle gegen früher gegen dieselbe Krankheit ange¬ 
wandten Mittel ganz und gar entbehrlich macht, sobald es aber eine Zeit lang im 
Medicinkasten der Materia medica gelegen hat, zur verlegenen und kraftlosen Waare 
wird.“ Die schönen Worte von Fechner-Mises in seiner Satire über die Jodine 
könnte man als Motto über einen Rückblick setzen, der als Grabrede für die 
Brom-Opiumbehandlung dienen könnte. Anfangs mit Begeisterung gepriesen, viel¬ 
fach anerkannt, dann bald wegen der Gefahren gemieden, wird jetzt in Oost, wie 
Verf. schreibt, die Opium-Bromkur bei der Behandlung Epileptischer nicht mehr 
in Anwendung gezogen. Verf. hatte vor 3 Jahren bei 4 von 7 nach Flechsig 
behandelten Fällen leidliche Erfolge erzielt. Wie er nun jetzt berichtet, hat der 
Erfolg absolut nicht Stand gehalten. Das Ausbleiben der Krampfanfälle nach dem 
Aussetzen des Broms ist nicht von Dauer, die physischen Anfälle und der epilep¬ 
tische Charakter werden nicht beeinflusst, das körperliche Befinden verschlechtert, 
in einzelnen Fällen (nicht in denen des Verf.’s) traten bedrohliche Zustände, ja sogar 
der Exitus ein. Aschaffenburg (Heidelberg). 


17) Essai sur le traitement chirurgioal de 1’Epilepsie, par P. Bellay 
(Felix Alcan. Paris. 1898.) 

Verf. berichtet zunächst über das definitive Resultat der Craniectomie bexw. 
Trepanation in 6 Fällen von idiopathischer Epilepsie. Abgesehen davon, dass in 2 
derselben anfangs die Krämpfe 3 bezw. 12 Tage ausblieben, war in sämmtlicbea 
Fällen nach der Operation eine Zunahme der Anfälle an Frequenz wie Intensität 


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und ferner Auftreten von psychischen Störungen bezw. schnelle Abnahme der Intel¬ 
ligenz zu verzeichnen. Verf. geht hierauf auf die Hypothese ein, dass die gemeine 
Epilepsie ebenso wie die Idiotie auf einer Compression des Gehirns in Folge präma¬ 
turer Verknöcherung der Schädelnähte beruhe, und dass die Compression durch die 
Craniectomie beseitigt werde. Er weist diese Annahme als unhaltbar zurück auf 
Grund des Befundes an 5 trepanirten Schädeln von Idioten, an welchen sich keine 
prämature Synostose fand und sich andererseits eher eine Verstärkung der Com¬ 
pression durch die anatomischen Veränderungen in Folge der Operation ergab. 

Leonhardt (Freiburg i./Schl.). 


Psychiatrie. 

18) Die Untersuchung und Behandlung geistig zurückgebliebener Kinder, 

von Dr. med. Alb. Liebmann. (Berlinische Verlagsanstalt. 1898.) 

Wie leicht es auch im Allgemeinen ist, festzustellen, dass ein Kind in seiner 
geistigen Entwickelung zurückgeblieben ist, so schwer ist es nach Verf., bei den 
bisher bekannten Untersuchungsmethoden ein bestimmtes Urtheil über den Grad und 
die Prognose der Störung abzugeben. Nach der Ansicht des Verf.’s wird die Prognose 
in den meisten Fällen zu ungünstig gestellt, und Kinder als idiotisch bezeichnet, 
die es nicht sind; dieser diagnostische Fehler würde um so schwerer ins Gewicht 
fallen, als die Eltern dadurch bewogen werden, von einer weiteren Fürsorge für die 
geistige Entwickelung des Kindes abzusehen. Da man unter Idiotie ein definitives 
Stehenbleiben der psychischeu Entwickelung im Kindesalter versteht, so spitzt sich 
die Frage dahin zu, ob die psychische Entwickelung des betreffenden Kindes in der 
That unwiderruflich abgeschlossen ist. Zur Entscheidung dieser Frage hält Verf. 
den somatischen Befund nicht für durchaus beweisend, da er selbst bei schweren 
körperlichen Complicationen, z. B. starke Mikrocephalie, Epilepsie, Lähmungserschei¬ 
nungen öfters ein gutes Resultat gesehen hak Er macht vielmehr die Prognose 
von einer detaillirten Untersuchung sämmtlicher centralen Fähigkeiten abhängig. 
Auf die I>etails dieser Untersuchung, deren Darstellung die vorliegende Arbeit ge¬ 
widmet ist, und die recht mühsam zu sein scheinen, kann im engen Rahmen eines 
Referates nicht eingegangen werden. Lewald (Obernigk). 


Therapie. 

19) Tetanus facialis, mit Antitoxin Behring behandelt, von Dr. Sigmund 
Erdheim. (Wiener klin. Wochenschr. 1898. Nr. 19.) 

Fall I. 56jähriger Gerber; vor 13 Tagen kleines Knötchen mit rothem Hofe 
in der Gegend des linken Jochbeines, das 8 Tage später aufbrach. Zugleich be¬ 
standen Kopfschmerzen, Mattigkeit und Ziehen io den Gliedern. 5 Tage später 
Krämpfe im rechten Masseter. Die Untersuchung ergab: Temperatur 36,5, Puls 66, 
Respiration 30, freies Sensorium; links Über dem Jochbogen ein von Krusten be¬ 
decktes Geschwür mit gerötheter und infiltrirter Umgebung; Facialisparalyse links, 
linke Pupille etwas weiter, reagirt prompt; der rechte Masseter krampfhaft contrahirt, 
der linke etwas geringer; Krampf der Hals- und Nackenmuskeln, Erhöhung der 
Sehnen- und Muskelretlexe; keine Sensibilitätsstörung im Gesicht. Während der 
Reinigung des Geschwüres 2 Anfälle von allgemeinen Krämpfen mit Aussetzeu der 
Atbmung, Cyanose in der Dauer von je 20 — 25 Secunden. Injection von Behring's 
Antitoxin (10 g Trockensubstanz mit 500 Normalantitoxineinheiten) unter Cocain- 


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anästhesie um 12 Uhr Mittags. 3 Uhr Nachmittags neuer Anfall von allgemein« | 
clonischen Krämpfen mit starker Betheiligung der Thoraxmuskeln. Nach 2 Stund« 

2 weitere Anfälle; Patient verliert dos Bewusstsein und bleibt nach dem Anfalle mit 
weiten, reactionslosen Pupillen liegen. Trotz Chloralhydrat und Morphininjectiosei 
Häufung der Anfälle, das Bewusstsein kehrte nicht wieder, in der Nacht am 4 Uhr 
früh Exitus letalis. 

Obduction: Umschriebene Phlegmone mit Nekrose der Haut in der Begio zyg» 
matica. Hyperämie und Oedem der inneren Hirnhäute, sowie beider Lungen; paren¬ 
chymatöse Degeneration der Leber und Nieren; umschriebene Hyperämieen und 
Ecchymosen der Magön- und Darmschleimhaut. 2 Mäuse, welchen St&cke der vom 
Geschwüre entfernten Kruste unter die Haut eingeimpft wurden, gingen an typischem 
Tetanus zu Grunde. 

Fall II. 48jähriger, früher immer gesunder Bauer; am 11. August Schnitt¬ 
wunde beim Ackern, 5 Tage später Trismus. Die Untersuchung ergiebt: Masseteren- 
krampf, Risus sardonicus, Temperatur 39,0, Puls 120, Respiration 24. Reflexsteigerung; 
über dem Fersenbein quere, die Achillessehne durchtrennende Schnittwunde. Abende 
am 17. der 1. allgemeine titanische Anfall; danach Bewusstlosigkeit. Unmittelbar 
nach dem Anfall Injection von 10 g Antitoxin (= 500 Antitoxineinheiten); Des* 
infection der Wunde. Fortdauernde Häufung der Anfälle, nach lV a Stunden Exitus 
im Anfalle. Postmortale Temperatursteigerung von 41,8° C. 

Die Injection des Antitoxins war im 1. Falle intravenös, im 2. subcutan aus¬ 
geführt worden. J. Sorgo (Wien). 


QI. Aus den Gesellschaften. 

Aerztlieher Verein zu Hamburg. 

Sitzung vom 14. Juni 1898. 

Herr Grisson demonstrirt eine Patientin nach erfolgreicher Operation einer 
Gehirn-Cyste. Dieselbe ist auf dem rechten Ohre taub seit ihrer Jugend. Auf 
dem linken Ohre besteht seit 4 Jahren Otitis media suppurativa. Vor V/ 2 Jahren 
wurde der Proc. mastoid. aufgemeisseli Seitdem herrschten Schwindel, Sehstörungen, 
Facialisparese. Im Februar 1898 war eine radicale Aufmeisselung gemacht, es waren 
Sequester aus dem Felsenbein entfernt, die Dura mater eröffnet und mehrfache Punc- 
tionen des Schläfenlappens gemacht worden. Seitdem bestehen rasende Kopfschmerzen, 
die grosse Morphiumdosen erfordern. 

Als die 27jährige Kranke am 26. April 1898 ins Freimaurer-Krankenhaus auf¬ 
genommen wurde, bot sie das beklagenswerthe Bild schwersten Leidens, doch waren 
Anfangs cerebrale Symptome nicht vorhanden; auffallend war die hohe Intelligenz 
der Kranken. Es bestand von vornherein die Vermuthung eines Himabscesses. Erst 
allmählich entstand Pnlsverlangsamung. Stauungspapille war nie vorhanden. Am 
26. Mai wurden zuerst clonische Zuckungen des rechten Armes, dann auch des rechten 
Beines beobachtet. Am 27. Mai wurde von Dr. Sänger die Patientin untersucht 
Derselbe constatirte hochgradige Empfindlichkeit der linken Schädelhälfte (speciell 
des linken Schädelbeins), eine Sensibilitätsstörung in der rechten oberen Extremität 
ohne Störung des Lagegefühls oder des stereognostischen Vermögens; ferner eine Sen¬ 
sibilitätsstörung im 2. und 3. linken Quintusast. Ausser einer leichten Parese im 
rechten Arm und geringe Ataxie der rechten oberen und unteren Extremität war 
nichts nachweislich afficirt. Stauungspapille war nicht vorhanden, dagegen öfter 
Pulsverlangsamung. 

Von Herrn Sänger wurde die Diagnose gestellt, dass entweder im Schläfen¬ 
lappen, oder in der Nähe der vorderen Centralwindung, wahrscheinlich in der hinteren 


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Centralwindung und zwar in der Höhe des Armcentruins ein Process — wahrschein¬ 
lich ein Abscess — vorhanden sei. 

Daraufhin wurde am 30. Jnni vom Vortr. operirt. Bildung eines Hautperiost- 
Knochenlappens nach W. Wagner, der so gross gewählt und so gelegt wurde, dass 
es sowohl das Tegmen tympani, wie den Schläfenlappen und beide Centralwindungen 
frei legte. Mit grossem Vortheil wurde dazu die Gizli’sche Säge und zum Durch¬ 
fähren derselben nach dem practischen Vorschläge von Lauen stein Uhrfedern 
gebraucht. Am Tegmen tympani fand sich nichts Krankhaftes, keine Sequester. 
Mehrfache Punctionen des Schläfenlappens ergaben kein Resultat. In der hinteren 
Centralwindung wurde durch Incision eine mit etwa einem Esslöffel voll blutig-seröser 
Flässigkeit gefällte Höhle, vermuthlich eine Cyste, eröffnet und entleert. Tamponade. 
Glatte Heilung. 

Die Patientin ist jetzt von ihren Beschwerden völlig befreit (Autorreferat.) 


Sitzung vom 28. Juni 1898. 


Herr Dr. med. G. Bonne-Klein-Flottbek: lieber die Alkoholfrage in ihrer 
Bedeutung für die ärztliche Praxis. 

Der Vortr. giebt zunächst ein Bild von der Grösse der Infectionskrankheiten in 
Deutschland, weist auf die colossalen Anstrengungen hin, die die ärztliche Welt im 
Verein mit den Behörden zur Bekämpfung dieser Epidemieen unternimmt und anderer¬ 
seits auf die thatsächlich hoch merkwürdige, ja geradezu räthselhafte Erscheinung, 
dass diese nämlichen Factoren, Aerzte und Behörden, von denen vornehmlich die 
Ersteren zur Bekämpfung von Volksseuchen berufen sind, der Bekämpfung der 
Alkoholpest gegenüber, die das Vielfache an Opfern verschlingt von der Summe der 
anderen Epidemieen, sich mit verhältnissmässig wenig Ausnahmen so überaus passiv 
verhalten. Vortr. sucht 'diese Erscheinung mit dem gewohnheitsgemässen Alkohol¬ 
genuss fast der gesammten Aerztewelt zu erklären, welcher, wenn auch noch so 
massig betrieben, auf diejenigen, die sich ihm hingeben, zum mindesten eine sugges¬ 
tive Wirkung ausübt. (Autorreferat.) 


Herr Nonne hat auf der Alkoholistenabtheilung des Eppendorfer 
Krankenhauses reiches Material zum Studium der den chronischen Alkobolisraus 
betreffenden Fragen. Er stimmt mit dem Vortr. überein, dass der chronische Alko¬ 
holismus nur durch absolute Abstinenz zu heilen ist, ferner darin, dass Kinder über¬ 
haupt keinen Alkohol ausser zu vorübergehenden therapeutischen Zwecken erhalten 
sollen. Ferner hält Nonne die in den meisten Krankenhäusern noch übliche täg¬ 
liche Verabfolgung von kleinen Alkoholdosen — in Gestalt von Bier und Rothwein 
— für überflüssig und der Abstellung bedürftig. Die Guttempler haben, was das 
Anwachsen-ihrer Zahl betrifft, ausserordentliche Erfolge aufzuweisen, sie erreichen 
diese durch ihren bedingungslosen Fanatismus. Nonne sieht in dem Vortr. einen 
solchen überzeugungstreuen Fanatiker; Nonne glaubt, dass Vortr. die Gefahren der 
wirklichen Mässigkeit im Leben, wie es sich täglich practisch darstellt, übertreibt 
und weist die Forderung, dass principiell der Arzt die Pflicht habe, völlig abstinent 
zu sein, zurück. Den Vergleich mit den Morphinisten hält Nonne für nicht 
stichhaltig. 

Herr Nonne berichtet dann über 6 Fälle aus seiner Privatpraxis: in diesen 
Fällen handelte es sich um Neuritis multiplex alcoholica bei Personen, die seit 
Jahren einen Alkoholmissbrauch getrieben hatten — Bier, Wein, Cocktail —, der 
ihnen als solcher nicht bewusst war, in keinem Falle hatten sonstige sicher 
als Zeichen von Alkoholismus zu deutende Symptome am Körper Vorge¬ 
legen; die Betreffenden waren alle acut aus vollem Wohlsein heraus 
erkrankt. Diese Fälle illnstriren aufs deutlichste die elective Eigenschaft des 


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Alkohols für bestimmte Organe bei bestimmten Individuen; Nonne möchte diese 
Fälle als „Polyneuritis alcoholica insontium“ bezeichnen. 

In 6 Fällen aus dem Krankenhausmaterial, die, mit Ausnahme eines Falles, 
intra vitam keine unzweifelhaften spinalen Symptome geboten hatten, untersuchte 
Nonne das Backenmark. Diese 6 Fälle stammten von ganz besonders 
schweren Potatoren, die seit langen Jahren Stammgäste der Alkoholistenaßthei- 
lung des Krankenhauses gewesen waren und bei der Sectiou mannigfache Zeichen 
des chronischen Alkoholismus boten: Arteriosclerose, Lepto- und I’achymeningitäs, 
Lebercirrhose, interstitielle Nephritis, allgemeinen Marasmus u. s. w. Nur in einem 
Fall fand sich eine geringe Sclerose der Goll’schen Stränge — wie es von Vier* 
ordt zuerst beschrieben worden ist — in einem anderen Fall, der wegen Pupillen¬ 
anomalien, lancinirender Schmerzen in den unteren Extremitäten und schwer auslös¬ 
barer Patellarreflexe, bei früherer Lues, schon intra vitam auf Tabes verdächtig 
gewesen war, fand sich eine fOr beginnende Tabes charakteristische Hinterstrangs¬ 
veränderung; in den anderen 4 Fällen fand sich das Rückenmark normal. Nach 
diesen Erfahrungen giebt Nonne der Ansicht Ausdruck, dass auch ein protrahirter 
und schwerer Alkoholmissbrauch das Bückenmark in der Regel 
verschont. 

Herr Nonne stellt einen 12jährigen Knaben vor, der an Dementia 
paralytica leidet. Derselbe war ca. 2 Monate zu früh zur Welt gekommen, war 
in den ersten Lebensjahren körperlich schwächlich gewesen, hatte sich dann aber 
geistig und körperlich noch im Bereich der Norm entwickelt. Vor 3 Monaten begann 
das Kind, ohne dass eine Ursache dafür nachweisbar war, speciell ohne dass er ein 
Kopftrauma oder sonst ein Trauma erlitten hatte, unaufmerksam, zerstreut, vergesslich 
zu werden; dann entwickelte sich eine rasch zunehmende Demenz. Als Nonne das 
Kind zuerst sah, constatirte er erhebliche Intelligenz- und Gedächtnissdefecte, es 
bestand ein mittelgrobschlägiger Tremor der rechten oberen Extremität, charakte¬ 
ristische articulatorische Sprachstörung, Mydriasis und reflectorische Pupillenstarre bei 
Erhaltung der Accommodationsfähigkeit (Dr. Franke). Die Sehnenreflexe der unteren 
Extremitäten waren lebhaft. Ungefähr 2 Wochen später liess sich eine Parese der 
rechten Facialis- und der rechten Zungenhälfte constatiren. Die weitere Beobachtung 
im Krankenhause ergab das Vorhandenseiu einer einfachen progressiven Demenz ohne 
Grössenideeen und ohne Erregungszustände. 

Die Mutter gab an, ungefähr 1 Jahr vor ihrer Verheirathung extragenital — 
durch Pflege einer wegen florider secundärer Syphilis in ärztlicher Behandlung be¬ 
findlichen Kranken — inflcirt worden zu sein und damals eine Schmierkur durch¬ 
gemacht zu haben. Ihre erste Schwangerschaft endete mit einem Abortus im 
6. Monat'; das 2. Kind kam einen Monat zu früh zur Welt und bekam im 5. Lebens¬ 
monat einen universellen Ausschlag, starb im 5. Jahre an „Gehirnentzündung“; die 
3. Gravidität endete mit der Geburt unseres Patienten, ebenfalls einen Monat zu früh, 
als 4. Kind wurde ein jetzt 10 Jahre altes Mädchen — rechtzeitig — geboren, 
das seit dem 4. Lebensjahre an Albuminurie mit zeitweiligen hämorrhagischen 
Schüben leidet; das 5. Kind war gesund und starb im 2. Lebensjahre an Brech¬ 
durchfall. 

Potus war bei den Eltern mit Sicherheit auszuschliessen, irgend welche nennens- 
werthe Belastung mit Neuropathieen lag weder in der Mutter, noch in des Vaters 
Familie vor, beide Eltern sind zur Zeit körperlich und geistig rüstig; die eingehende 
Untersuchung beider Eltern auf Lues bezw. Residuen von Lues und auf Anomalien 
am Nervensystem ergab ein negatives Resultat. 

Herr Nonne betont, dass dieser Fall in besonders incomplicirter Rein¬ 
heit die Dignität der hereditären Lues für die infantile Paralyse 
demonstrire und bespricht den Fall unter Vergleichung derselben mit den bisherigen 
Fällen aus der Litteratur. 

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Sitzung vom 25. October 1898. 

Herr Luce demonstrirt ein Schrumpfnierenpräparat, das einem 23jährigen, auf 
der Abtheilung von Dr. Nonne beobachteten Manne, mit Lues und excessivem, 
chronischen Abusus spirituosorum in der Anamnese, angehört Unter statistischen 
Belegen und unter Hinweis auf die differenten Aetiologieen wird das Vorkommen der 
Granularatrophie in den verschiedenen Lebensaltern, insbesondere die relative Selten¬ 
heit derselben in so jugendlichem Alter erörtert. Das vorgelegte Herz zeigt Behr 
ausgesprochen die bekannten secundären Veränderungen der concentrischen Hyper¬ 
trophie beider Ventrikel. 

Der Kranke war im Aprij a. c. im Status apoplecticus mit completer links¬ 
seitiger Hemiplegie und mit den Symptomen der subacuten parenchymatösen Nephritis 
aufgenommen. Im Laufe der nächsten Monate entwickelte sich klinisch das Bild 
der progredienten Schrumpfniere. Als Herdsymptome der erlittenen Apoplexie hinter¬ 
blieben linksseitig: eine spastische Hemiparese incl. der N. N. VII und XII, eine 
Hemiataxie, Hemihyperalgesie und Hemianopsie von streng halbseitigem Charakter. 
Ophthalmoskopisch war Retinitis albuminurica mit diffusen Hämorrhagien vorhanden. 

Der Kranke ging schliesslich im October a. c. an einer acuten, zweimarkst&ck- 
grossen, bei der Höhe des Trigeminusaustrittes unmittelbar unterhalb der Schleife 
und central gelegenen BrQckenblutung zn Grunde. (Demonstration des Präparats.) 

Klinisch verlief die Br&ckenblutung unter allgemeinsten clonischen 
Convulsionen der Muskulatur der Zunge, des Mundbodens, des Gaumensegels, des 
Pharynx, Larynx, des Kopfes, des Nackens, sämmtlicher Rumpfmuskeln und der 
Extremitäten. Es bestanden intensive klonische Krämpfe in den Levatores 
palpebrarum, sowie im Gebiet der N. N. III. und IV., bestehend in klonisch 
hebenden und senkenden, rotirenden (besonders nach unten und innen) Zuckungen 
der Bulbi; die Pupillen waren myotisch, lichtstarr, die Cornealreflexe erloschen. 
Die beiden einzigen Muskelgebiete, welche in auffälligem Contrast an 
diesem wahrhaft allgemeinen Muskeldelirium sich nicht betheiligten, 
waren das Gebiet der Faciales und Abducentes. Patient war absolut 
comatös, der Puls war sehr frequent und voll, die Athmung beschleunigt, vertieft, 
geräuschvoll. Ein Frontalschnitt durch die Hemisphären am occipitalen Ende des 
Paracentrallappens ergab in der Höhe der 1. rechten Schläfenwindnng hart an der 
Ventrikelwand im Marklager die Anwesenheit von zwei bräunlich-gelben encephalo- 
malacischen kleinen Herden. 

Zur Erklärung des Freibleibens der Facialis- und Abducensgebiete im Krampf¬ 
anfall wird angenommen, dass die Ponshämorrhagie distalwärts die Kern¬ 
gebiete der N. N. VI. und VII. zerstört hat. 

Der Fall wird nach der mikroskopischen und theoretischen (Nothnagel’s 
Krampfcentrum) Seite später eingehend bearbeitet werden. (Autorreferat.) 


Biologische Abtheilung des ftrstlichen Vereins zu Hamburg. 

Sitzung vom 8. November 1898. 

Herr Nonne zeigt Rüokenmarkspräparate von 5 Fällen von multipler 
solerose. 

Die beiden ersten stammten — Abtheilnng von Nonne im Eppendorfer Kranken¬ 
haus — von einem 22jährigen jungen Manne, bezw. von einer 40jäbr. Fran. Beide 


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hatten durch 4 bezw. 3 Jahre hindurch da» reine Bild der „Myelitis spastica dor¬ 
sal is“ mit mehr oder weniger schweren Blasenstörungen und finalem Decubitus geboten; 
in beiden Fällen war neben ausgedehnten Veränderungen im Hals-, oberen Dorsal- 
und Lendenmark, die in der bekannten irregulären Vertheilung die verschiedensten 
Theile des Querschnitts betroffen hatten, im unteren Dorsalmark je ein grosser, fast 
den ganzen Querschnitt betheiligender Herd nachzuweisen. Der 3. Fall — Abtheilung 
von Nonne im Nenen Allgemeinen Krankenhause — betraf einen 36jährigen Mann, 
welcher 10 Jahre im Neuen Allgemeinen Krankenhause in Beobachtung gewesen 
war, und bei dem eine spastische Parese der oberen, spastische Parese der unteren 
Extremitäten neben einer Intentionsstörung der Extremitäten und doppelseitiger neu- 
ritischer Opticusatrophie bestanden hatte; während bis vor 4 Jahren ab und zu sehr 
erhebliche Remissionen für mehrere Monate eintratqn, so das6 Patient am Stock 
wieder gehen und die oberen Extremitäten zu gröberem Hantiren gebrauchen konnte, 
wurden seitdem die spastisch-paralytischen Symptome constant. Dazu kam ein 
schwerer Decubitus am Kreuzbein und Sphincterenläbmung. 

Der Befund im Rückenmark war im Wesentlichen derselbe wie in den ersten 
beiden Fällen. 

In einem 4. Fall — derselbe wurde vom Vortr. vor 4 Jahren im „Vereins¬ 
hospital“ beobachtet und betraf eine 50jährige Frau — entwickelte sich, nachdem 
die Kranke schon seit ca. 3 Jahren spastisch-paralytische Symptome der unteren 
Extremitäten geboten hatte, subacut eine schlaffe motorische Paraplegie der 
unteren Extremitäten, deutliche aber nicht sehr starke Sensibilitätsstörungen 
an denselben, Sphincterenlähmungen und Kreuzbeindecubitus. In diesem Falle fand 
sich ebenfalls eine in der ganzen Länge des Rückenmarks disseminirte, fleckweise 
■ multiple Sclerose, deren „transversaler“ Herd im mittleren Lendenmark sass. 

In allen 4 Fällen fanden sich im Grosshirn im frischen und gemöllerten Prä¬ 
parat nur sehr spärliche kleine Herde; das Kleinhirn, die Pons und Medulla oblongata 
waren in allen 4 Fällen frei. 

In einem 5. Fall, der ein 30jähriges Mädchen betraf, war vor 4 Jahren wegen 
einer wechselnden motorischen Schwäche in der rechten oberen Extremität, die mit 
ausstrahlenden, die ganze Extremität betreffenden Schmerzen verbünden war — die 
ebenfalls wechselten — die Diagnose auf Hysterie — Mangels objectiver Symptome 
— gestellt worden. 2 Jahre später kam Patientin wieder zur Aufnahme im Nenen 
Allgemeinen Krankenhaus und bot zunächst das Bild einer Kleinhirnaffection: cere- 
bellare Ataxie, Taumeln nach links, Kopfschmerzen, Erbrechen, Neuritis optica duplex, 
Parese des linken Facialis. Im weiteren Verlauf trat Nystagmus, wechselnde Pareeen 
im Oculomotorius-, Trochlearis-, Abducensgebiet, scandirende Sprache und Intentions- 
tremor auf. Während die früher vorhandene linksseitige Facialislähmung sich zurück¬ 
gebildet hatte, wurde ca. l / t Jahr ante mortem rechts die Nothnagel’sche Form der 
Facialislähmung constatirt und blieb constant: Lähmung des rechten Facialis bei 
unwillkürlichen mimischen Bewegungen, bei Erhaltensein der willkürlichen Inner¬ 
vation; dabei bestand exquisites Zwangslachen und Zwangs weinen; den Schluss 
bildeten Bulbärerscheinungen: Schluck- und Kaustörung, sowie eine erhebliche 
Demenz. 

Die Untersuchung ergab, neben dem gewöhnlichen Bild der im Rückenmark 
bunt vertheilten Herde: verschiedene kleinere Herde im Marklager beider Hemisphären, 
einen grossen Herd im linken Thalam. opticus, einen grossen Herd im 
linken Kleinhirnstil, grosse Herde in der Oculomotorius-, Trochlearis-, 
Abducens-Kernregion, sowie in der Höhe des Vaguskerns, neben multiplen 
Herden in der Pons. 

Vortr. betont, dass dieser letzte Fall ein für die Sclerosis multiplex seit« 
reines Beispiel der Congruenz zwischen klinischen Symptomen und anatomischen 
Befund bietet. 

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Ferner ist Vortr. geneigt, in diesem Falle eine Bestätigung der Noth- 
nagel’sclien Lehre zu finden, dass der Thalamus opticus ein Centrum für 
den Ausdruck der Affectbewegungen darstellt. 

Die atypischen, vom ursprünglichen Charcot’schen Bilde abweichenden 
Fälle kommen heute überwiegend häufig zur Beobachtung: So sah Nonne 
in den letzten 3 Jahren nur eine Section eines Falles von multipler Sclerose, die 
das klassische Charcot’sche Bild intra vitam geboten hatte — Vortr. demonstrirt 
die Bückenmarkspräparate dieses Falles —, und gegenwärtig hat Vortr. auf seiner 
Krankenhausabtheilung neben 2 Fällen multipler Sclerose vom „typischen' 4 Bilde 2 
solche vom hemiplegischen, 4 vom chronisch-„myelitischen" Charakter in Be¬ 
obachtung. 

Des Weiteren berichtet Vortr., dass er vor 6 Jahren einen Fall von Dr. Gläser’s 
Abtheilung obducirt und mikroskopisch untersucht hat, der intra vitam das letzte 
Jahr im Wesentlichen das Bild der amyotropbischen Lateralsclerose gezeigt hatte, 
so wie dass ein Fall, der vor 3 Monaten im Neuen Allgemeinen Krankenhause — 
Abtheilung von Prof. Bumpf — zur Obduction kam, über 1 / a Jahr lang eben¬ 
falls als amyotrophische Lateralsclerose imponirt hatte, bis hinzutretende spastische 
Symptome der oberen Extremitäten, Sphincterenlähmungen, Decubitus und Opticusver¬ 
änderungen die Auffassung veränderten. 

Endlich beobachtete Vortr. eine 26jährige, sonst ganz gesunde Frau, bei der 
sich ohne irgend eine nachweisbare Ursache subacnt eine schlaffe motorische Para¬ 
plegie der oberen Extremitäten, deren Qrad sehr wechselt, mit nicht constanten 
Sensibilitätsstörungen, neben spastischen Paresen der unteren Extremitäten und ge¬ 
ringen und wechselnden Blasenstörungen entwickelt hat; später wurde eine Neuritis 
optica dextra incipiens festgestellt. Auch in diesem Falle handelt es sich offenbar 
um eine atypische Form einer multiplen Sclerose. 

In keinem der obducirten Fälle — das muss gegenüber der neueren Tendenz, 
Traumen ätiologisch verantwortlich zu machen, betont werden — war anamnestisch 
ein verantwortlich zu machendes Trauma nachweisbar. 

Auf die mikroskopischen Befunde will Nonne zur Zeit nicht eingehen. 

Dieselbe Erfahrung, dass die atypischen Formen der „multiplen Sclerose“, in 
specie die unter dem Bilde der „chronischen Myelitis“ mit und ohne Opticusverände¬ 
rungen, sowie die als hemiplegische Form auftretenden die überwiegende Häufigkeit 
darstellen, hat Vortr. auch in der Privatpraxis gemacht. 


Sitzung vom 22. November 1898. 

Herr Saenger demonstrirt einen geheilten Hyxödemfell. 

Die 47jähr. Gastwirthsfrau fühlte sich seit 3 Jahren auffallend elender werden, 
klagte über grosse Mattigkeit und sah sehr blass aus. Sie bekam innerlich Eisen, 
doch ohne irgend welchen Nutzen. 

Am 25. Juli d. Jahres sah Vortr. sie zuerst und fand das Gesicht blass ge¬ 
dunsen aussehend und von blödem Ausdruck. Die Haut war an der Stirn, den 
oberen Extremitäten und den Händen hart, verdickt und besonders trocken, und 
schilferte ab. Au den unteren Extremitäten zeigte sich ausser myxödematöser Ver¬ 
änderung der Haut auch richtiges Oedem. 

Die Untersuchung ergab, dass die Pat. in den letzten Jahren tbeilnahmsloser 
geworden sei, nicht mehr schwitze, die Haare gingen ihr aus und hauptsächlich 
klagte sie über sehr lästiges Thränen der Augen und spannendes Gefühl in den 
Armen und Händen, die gleich den Füssen geschwollen waren. 


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Vortr. verordnet der Frau 2 Thyreoidintabletten (Borrough, Welcome u. Cie.), 
doch konnte sie diese Dosis nicht vertragen, es stellten sich Mattigkeit, Herzklopfen, 
Angst nnd Hitzegefühl ein; aber die Hände waren weniger steif als früher. 

Pat erhielt nun täglich nur eine Tablette und vertrug diese ohne Neben* 
erschein ungen, ausserdem gab Vortr. ihr noch innerlich Eisen. 

Am 29. September hatte die Pat 16 Pfund an Gewicht abgenommen und war 
kaum wiederzuerkennen. Ausgenommen an der Stirn, war die Haut sonst an allen 
Stellen wieder weich geworden. Die Frau fühlte sich wieder gesund wie vormals, 
ist wieder froh und lebhaft wie ehedem, auch das Thränen hat aufgehört. 

Vorübergehend hatte Pat. Polyurie, der Urin war stets frei von Zucker und 
Eiweiss. 

Vortr. stellt noch einen Fall vor, einen Tischler von 35 Jahren mit ankylo- 
sirender Entzündung der ganzen Wirbelsäule (Arthritis deformans). 

Pat. hat seit 6 Jahren heftige Schmerzen im Nacken, der Brust nnd dem 
Bücken. Zuerst zeigte sich Steifigkeit im Genick, die sich jedoch besserte. Bald 
darauf wurden Bücken und Genick wieder steif. Seit 3 Jahren ist der Mann arbeite* 
unfähig. Lues, Tuberculose oder Alkobolismus sind nicht nachweisbar. Es ist noch 
hervorzuheben, dass der Kranke schwere Lasten (Holz) auf dem Bücken getragen hat. 

Vortr. weist darauf hin, dass die ganze Wirbelsäule von oben bis unten stock* 
steif ist. Der Kopf ist vornüber gebeugt und kann nur wenig bewegt werden. Die 
Wirbelsäule ist im oberen Brustabschnitt gleichmässig nach hinten convex verbogen. 
Wenn der Pat. Wendungen nach der Seite machen will, so thut er es mit dem 
ganzen Bnmpf auf einmal, sich nach rückwärts zu biegen ist ihm nicht möglich, 
wohl aber nach vorwärts, doch geschieht die Beugung nur in den nicht affidrten 
Hüftgelenken. Der Tiefendurchmesser des Brustkastens hat abgenommen und die 
Vorderfläche ist flacher geworden. Das Athinen ist abdominaler Natur, die Bippen 
nehmen nicht daran theil. Die Pectorales, Intercostalmuskeln, oberen Cucullares und 
Bhomboidei sind abgemagert. Unter den beiden Brustwarzen findet sich eine Zone, 
in der eine Hyperästhesie gegen Nadelstiche nachzuweisen ist. Qualitativ ist die 
elektrische Erregbarkeit in den atrophischen Muskeln nicht verändert Am linken 
Kniegelenk ist eine ganz leichte Veränderung. 

Vortr. bespricht den vorliegenden Fall an der Hand einer Böntgen*Aufnabme, 
an welcher man knöcherne Auflagerungen an den Bippen sieht, und eines Knochen¬ 
präparates von einem ähnlichen Falle. Es handelt sich hier um Arthritis deformans 
der Wirbelsäule, mit knöchernen Ankylosen der Wirbelkörper. 

Gegen die Bechterew’sche Behauptung, dass Steifigkeit und Verwachsung 
der Wirbelsäule eine Krankheitsform für sich sei, spricht sich Vortr. aus und stimmt 
der Ansicht Oppenheim's zu, das besprochene Leiden als Arthritis deformans der 
Wirbelsäule anzusprechen, wie besonders die Chirurgen es schon lange beschrieben 
haben. Quoad valetudinem ist die Prognose ungünstig. Iu der Therapie sind warme 
Bäder, Massage, Elektricität und innerlich Jod anzuwenden. (Autorrefrat). 

Nonne (Hamburg). 


Um Einsendung von Separatabdrücken an den Herausgeber wird gebeten. 

Einsendungen für die Bedaction sind zu richten an Prof. Dr. E. Mendel, 
Berlin, NW. Schiffbauerdamm 18 . 


Verlag von Ykit & Coup, in Leipzig. — Druck von Mstzqbb & Wmi« in Leipzig. 


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Register 1898 


I. Originalaufsätze. 

Seite 

1. Das Verhalten der Spinalganglienzellen bei Tabes auf Grund Nissl’s Färbung, von 

Docenfc Dr. Karl Scnaffer. 2 

2. Ueber Zwangsvorstellungen, von E. Mendel. 7 

3. Ueber einen Fall von traumatischer Lähmung des Plexus brachialis (sog. Erb’scher 

combinirter Schulterarmlähmung), von Dr. med. Chr. Rasch.50 

4. Zur Elektrodiagnostik der Oculomotoriuslähmungen, von Dr. J. K. A. Wertheim 

Salomonson.54 

5. Ein Fall von Bernhardt’scher Sensibilitätsstörung am Oberschenkel, von Dr. A. Good 57 

6. Zur Localisation des Muskelbewusstseins auf Grund eines Falles von traumatischer 

Kopfverletzung, von Dr Wladimir Muratow.59 

7. Zur Frage von den Lähraungserscheinungen bei Pasteur’schen Impfungen, von 

Prof. L. O. Darkschewitsch .98 

8. Beiträge zur absteigenden Hinterstrangsdegenerätion, von Dr. Julius Zappert . 102 

9. Ueber angeborenen Muskelkrampf und Hypertrophie an der linken oberen Extre¬ 
mität, von Dr. S. Kalischer *...., .107 

10. Historische Notiz zur Lehre vom Kopftetanus (Tetanus hydrophobicus, Tetanus 

facialis, Edra. Rose), von Prof. M.Bernhardt.146 

11. Ueber die Erregbarkeit der Grosshirnrindo neugeborener Thiere, von Prof. Dr. W. 

v. Bechterew.148 

12. Beitrag zur Pathologie der Spinalganglienzelle, von Dr. Otto Juliusburger und 


JLS«. Ul uo U iUQJCl.... IUI 

13. Notiz betreffs des Rindenfeldes der Hinterstrangbabnen, von Dr. med. Armin 

Tschermak.159 

14. Von der Bedeutung der Associationscentren von Flechsig zur Erforschung der Ent- 


15. Ueber Localisation innerhalb des äusseren Knieganglions, von S. E. Henschen 194 

16. Die partielle Kreuzung der Sehnerven in dem Chiasma höherer Säugethiere, von 

Prof. Dr. W. v. Bechterew.199 

17. Ein Fall von Hirngeschwulst in der linken motorischen Sphäre, linksseitiger Läh¬ 
mung, Abwesenheit der PyramidenkTeuzuog, von Dr. Philip Zenner . . . . 202 

18. Ueber den Markfasergehalt der Centralwindungen eines normalen männlichen Indi¬ 
viduums, von Dr. Adolf Pas so w.242 

19. Zur Casuistik der Kleinhirntumoren, von Dr. A. Boettiger.244 

20. Zur Aetiologie der functionellen Neurosen (Hysterie und Neurasthenie), von Dr. 

E. Biernacki.250 

21. Ueber die Bedeutung der Cardiaca bei der Behandlung der Epilepsie, von Prof. 

Dr. W. v. Bechterew.290 

22. Der Blutschutz des verlängerten Markes, von Prof. Albert Adamkiewicz . . 295 

23. Eine Verbindung caudaler Hirntheile der Taube mit dem Striatum (Tractus isthmo- 

striatus oder bulbo-striatus?), von Dr. Adolf Wallenberg.300 

24 . Zwei Fälle von Friedreich’scher Ataxie, von Dr. Paul Cohn.302 

25. Zur Aetiologie der functionellen Neurosen (Hysterie und Neurasthenie), von Dr. 

R. Vigouroux. 338 

26. Ueber die allgemeine progressive Paralyse der Irren bei Frauen, von Dr. med. 

B. Greidenberg.341 

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— 1146 - 

Seite 

27. Untersuchungen über das Rückenmark und das Kleinhirn der Vögel, von Dr. 

A. Priedländcr. 351. 397 

28. Ueber Phosphorlähmung, von Prof. Dr. S. E. Hensehen.386 

29. Ein Fall von Neuritis optica mit 4wöchentl. doppelseitiger, in complete Heilung 

ausgegangener Blindheit, von H. Higier.389 

30. Beitrag zum Faserverlauf der Hinterwurzeln im Cervicalmarke des Menschen, von 

Docent Dr. Karl Schaffer.434 

31. Nervenendigung in den Centralorganen, von Dr. med. Leopold Auerbach . . 445 

32. Ein Fall von Sarcom der Dura spinalis. Beitrag zur Kenntniss der secundären 
Degenerationen nach Rückenmarkscompression, von Dr. F. Quensel ..... 482 

33. Experimenteller und pathologisch-anatomischer Beitrag zur Lehre von der chronischen 

Schwefelkohlenstoffvergiftung, von Dr. Georg Köster.493 

34. Ueber das innere Ohr bei der Anencephalie, von Dr. O. Veraguth.530 

35. Das mediale Opticusbündel der Taube, von Dr. Adolf Wallenberg.532 

36. Syringorayelitische Dissociation der Sensibilität bei transversalen Myelitiden, von 

Privat-Docent Dr. L. Minor. 537 

37. Ueber Magen-, Darm- und Harnblasencontractionen wahrend des epileptischen An¬ 
falls, von Dr. W. Ossipow.539 

38. Ein mit den Symptomen des Malum suboccipitale einhergehender Fall von Gehirn- 
geschwulst und Hemiatrophia linguae, von Dr. Johann Wenhardt ..... 541 

39. Bemerkungen über den Bau der Spinalganglienzellen, von Prof. Dr. M. v. Lenhossek 577 

40. Zur Frage von den centralen Verbindungen der motorischen Hirnnerren. Vorläufige 

M Mittheilung, von stud. M. P. Romanow.593 

41. Hysterie bei einer Katze und einem Kanarienvogel, von H. Higier ..... 597 

42. Zur Histologie und Pathologie der inselförmigen Sklerose, von Dr. Sigmund Erben 626 

43. Muskelatrophie bei multipler Sklerose, von Priv.-Doc. Dr. L. Brauer .... 635 

44. Zur Färbung der Ganglienzellen, von Dr. Friedrich Luithleu und Dr. Josef 

Sorgo. 640 

46. Zur Härtung des Centralnervensystems in situ, von Dr. Hermann Pfister . . 643 

47. Die Arteriosklerose des Gehirns, von Prof. P. J. Kovalevsky.674 

48. Ueber nervöse und psychische Störungen bei Gummiarbeitern (Schwefelkohlenstoff¬ 
vergiftung), von Dr. Rudolf Laudenheimer."681 

49. Radialislähmung nach epileptischen Anfällen, von Dr. Adler.691 

50. Ein Fall von spinaler Monoplegie des rechten Beines, von Dr. Julius Weil . . 693 

51. Ueber hämorrhagische Encephalitis, von Dr. Deiters. . 722 

52. Ein Fall von Worttaubheit nach Basisfractur, von Dr. M. Bloch und M. Biel- 

schowsky.729 

53. Nervenendigung in den Centralorganen, von Dr. med. Leopold Auerbach . . 734 

54. Zwei Fälle von Hirntumor mit genauer Localdiagnose, von Dr. L. Bruns . 770. 848 

55. Ueber die elektrische Erregbarkeit des N. radialis, von Dr. Karl Gumpert* . . 788 

56. Ueber die Structur der Spinalganglienzellen. Eine Erwiderung, von Dr. Ernst 

Heimann.797 

67. Ueber eine eigenartige psychopathische Form der Retentio urinae, von Prof. Dr. 

W. v. Bechterew.834 

58. Meningitis ventrioularis chronica adultorum. Plötzlicher Tod bei derselben, von 

Oberarzt Dr. Bresler. 840 

59. Veränderungen der Nervencentren nach Ausreissung der Nerven mit einigen Er¬ 
wägungen betreffs ihrer Natur, von G. Marinesco.882 

60. Zur Histotechnik ganz beginnender Strangdegenerationen, von Privat-Docent Dr. 

Karl Schaffer.890 

61. Ueber einen Hypothenarreflex, von Dr. F. Holzinger.894 

62. Zur Pathologie des Myxödems, von W. Muratow.930 

63. Ueber den centralen Verlauf des Gowers’schen Bündels, von G. J. Rossolimo 935 

64. Ein Fall von doppelseitiger Ischias bei acuter parenchymatöser Nephritis, von 

Michael Lapinsky.940 

65. Neue Untersuchungen über die Markbildung in den menschlichen Grosshirnlappen, 

von Prof. Dr. Paul Flechsig.977 

66. Die Reifung der Leitungsbahnen im Thiergehirn, von Dr. Döllken.996 

67. Die Phylogenese des Pyramidenvorderstranges, von Dr. G. Bikeles.999 

68. Ueber frühzeitige Verkalkung der Hirngefässe als Ursache von Epilepsie, von Prof. 

Dr. H. Hochhaus.: . . 1026 

69. Ueber Storungen des Stoffwechsels bei Neurasthenie, von Prof. Dr. W. v. Bechterew 1029 

70. Das elektrische Trichoästhesiometer und die sog. Haarempfindlichkeit des Körpers, 

von Prof. Dr. W. v. Bechterew.1032 

71. Welche Aenderungen hat das klinische Bild der progressiven Paralyse der Irren in 

den letzten Decennien erfahren? von Prof. Dr. E. Mendel.1035 


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1147 


72. Der Alkohol in Irrenanstalten, von Dr. Hugo Hoppe .1074 

73. Ein Beitrag zur Kcnutniss der Bcruhardt'schen Sensibilitätsstörung, von Miecis- 

laus von Nartowski . ..1082 

74. Epileptische und epileptoide Anfälle in Form von Angstzuständen, von Prof. I)r. 

W. v. Bechterew .1121 

75. Ein Fall von Hemiplegia hysterica, von Dr. Guttmann .1124 


II. Namenregister. 


(Die in Parenthesen eingeklammerten Zahlen bedeuten: Bemerkung in der Discussion.) 


Abadie: Basedowsche Krank¬ 
heit 269. 

Abrahams: Hemiplegie 230. 

d’Abundo: Entwickelung des 
Nervensystems 68. 

Progress. Muskeldystrophie 

705. 

Adamkiewicz: Blutschutz des 
verlängerten Markes 295. 

Gehirncompression 810. 

Pathologische Schwere 862. 

Adler*. Hirngesehwülste nach 
Kopfverletzung 366. 

Radialislähmung nach epi¬ 
leptischem Anfall 691. 

Facialislähmung 1102. 

Agostini: Autointoxication und 
Nervenkrankheiten 920. 

Schlaflosigkeit 949. 

Akopenko: Schilddrüse 137. 

Alexander: Tetanie 953. 

Allen-. Multiple Neuritis 1008. 

Alrutz: Kältepunkte 411. 

Hitze 411. 

Perverse Kälteempfindung 
412. 

Alt: (606). 

Corticale Hörcentrum 807. 

Angioletta: Paranoischer Ver¬ 
brecher 702. 

Antbeaume: Kleinhirngliom 
227. 

Antoraivi: Akromegalie 123. 

Anton: Herderkrankungen des 
Gehirns 803. 

Antonelli:Augenstörungen466. 

Arnaud *. Progressive Paralyse 
25. 

Arndt: (334). 

Arnsperger: (44). (47). 

Aschaffenburg: Katatonie 86. 

( 88 ). 

Entmündigung Geisteskran¬ 
ker 618. 

Ascher: Kugelperiraeter 463. 

Astie: Kyphose 367. 

d’Astros: Hydrocephalie 460. 

Auerbach: Hysterische Hemi- 
plegieen 377. 

Nervenendigung in den Cen¬ 
tralorganen 445 n. 734. 

Erythromelalgie 513. 


Babes : Infection und Nerven¬ 
zellen 413. 

Babinski : Zehenphänomen 649 
u. 866. 

Muskelerschlaffung b. Hemi¬ 
plegie 867. 

Associirte Bewegungen bei 
Hemiplegie 867. 

Barr*. Echolalie 655. 

Bartels: Offene Anstalten 606. 

v. Basch: (973). 

Bastian*. Mutismus 220. 

Battlehner: (44). (47). 

Baumgärtner :Luinbalpunction 
621. 

Bäumler: Entzündung der 
Wirbelsäule 708. 

Bayerthal: Meningocelespuria 
213. (1069). 

Baylac: Spina bifida 898. 

Beadlos*. Myxödem 950. 

v. Bechterew*- (138). (139). 

Corticale Centra 139. (140). 
(141). (143). 

Kleinhirngeschwülste 144. 

Grosshirnrinde neugebore¬ 
ner Thiere 148. 

Chiasma höherer Säuge- 
thiere 199. 

Cardiaca u. Epilepsie 290. 

Leitungsbahnen 360. 

Verwachsung der Wirbel¬ 
säule 366. (716). (717). 
(718). (719). 

Tetanus 718. 

Hirnreizung bei Affen 720. 

Retentio urinae 834. 

Stoffwechsel b. Neurasthenie 
1029. 

Trichoästhesiometer 1032. 

Angstzustände 1121. 

Epilepsia choreica 1133. 

Bedart: Thyreoidin und Ar¬ 
senik 947. 

Beevor: Tabes mit Analgesie 
554. 

Benda: Tabes 555. 

Neurasthenischer Hunger 
921. 

Berger: Augenstörungen 464. 

Vorderhornzellcn bei De¬ 
mentia paralytica 551. 


Berger: Theorie des Schlafes 
860. 

Lymphcirculation in Hirn¬ 
rinde 1004. 

Bernhardt: (40). (85). 

Kopftetanus 146. (602).(603). 

Hemianaestliesia alternans 

868 . 

Bell’sche Phänomen 1101. 
(1105). 

Bernstein: Zwangssucht 829. 

Berze*. Hallucinationen 276. 

Beselin: (332). 

Bethe*. Ganglienzellen 614. 

Primitivfibrillen inGanglien- 
zellen 944. 

Beyer: Delirien nach Atropin 
91. 

Bianchi: Hysterische Arthral¬ 
gie 914. 

Bickel: Rückenmarksphysio¬ 
logie der Amphibien und 
Reptilien 737. 

Bidlot: Hysterischer Trismus 
903. 

Bieberbach: (45). (90). 

Biedl: Cerebrale Gefässe 975. 

Bielschowsky: Worttaubheit 
729. 

Biernacki: Functionelle Neu¬ 
rosen 250. 

Bijl: Thyreoideabehandlung 

bei Psychosen 711. 

Bikeles*. Pyramidenvorder- 
strang 999. 

Bing: Meniöre’sche Affectiou 
460. 

Binswanger: (525). (570). 

Demonstration 571. 

Hysterischer Dämmer¬ 
zustand 915. 

Lymphcirculation in Hirn¬ 
rinde 1004. 

Biro*. Ischias u. Hysterie 913. 

Bischoff: Sprachstörungen 216. 

Urämische Psychosen 826. 

Bisping: Cerebrale Kinder¬ 
lähmung 704. 

Bitot: Tabes 16. 

Blanchard : Tumor der Rücken- 
markspia 757. 

Blaschko: Lepra anaesth. 35. 


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Bleuler: (87). 

Bloch, R.: Symmetrische Atro¬ 
phie des Schädeldaches 
416. 

Bloch, M.: Worttaubheit 715. 
729. 

Tabes 1104. 

Blumenau: Kindliche Hysterie 
899. 

Blumenthal: (1063). 

Blumreich: Multiple Sklerose 
177. 

de Boeck: Alcoholismus 130. 

Bödeker: Augenmuskelläh¬ 
mung und progr. Para¬ 
lyse 21. 

Boettiger*. Hysterie (Mitthei¬ 
lung) 477. 

Hypochondrie 760. (762). 

Kleinhirntumoren 244. 

Neuritis 829. (326). (331). 

Bogdan: Moralisches Irresein 
1061. 

Bohm: Histologie 736. 

Boissier -. Pachymeningitis hä¬ 
morrhagica 23. 

Bolton: Härtungsmethode 

Bonar: Tabes 18. 

Bondurant: Beri-Beri 82. 

Bonhoeffer: Hirnchirurgie 813. 

Bonne: Cerebro-medulläre 
Symptome 416. 

Alkoholfrage 1139. 

Bonney: Myxödem 950. 

v. Bonsdorff: (239). 

Borda: Prognose bei Geistes¬ 
krankheiten 959. 

BoriBchpolski; Vibration 141. 

Sinnesreize und Blutcircu- 
lation im Hirn 719. 

Borowikow: Varolsbrücke 
226. 

Borst: Familienstammbaum 
956. 

Bouilly: (659). 

Boulogne: Mult. Skier. 176. 

Bourneville: Alkoholismus 127. 

Pareso- Analgesie 186. 

Myxödem 276. 

Thyreoidin 285. 

Alkoholismus-Epilepsie 315. 

Heroisphärengewicht 645. 

Epilepsie nach Typhus 654. 

Hirnsklerose 878. 

Boyer: Stummheit 218. 

Brain: Hämatorrhachis 183. 

Bramwell: Friedreich’sche 
Krankheit 27. 

Brasch: (335). 

Blutung im Pons 519. 

Hypoglossuslähmung 601. 
(608). 

Bratz*. Ammonshorn bei Epi¬ 
lepsie 36. (37). 

Opiumbehandlung bei Epi¬ 
lepsie 323. 


Brauer: Quecksilber 456. 

Multiple Sklerose 576. 

Muskelatrophie 635. 

Bregmann: Hämatomyelie 
182. 

Brehm: Irrenanstalt Burghölzli 
117. 

ßreiting: Epilepsie 1133. 

Bremer: Cyclonkatastrophe 
914 u. 958. 

Brcsier: Respirationsapparat 
bei Epilepsie 318. 

Meningitis ventricularis840. 

Paranoia 1103. 

Breuer: Bogengänge 457. 

Brissaud: Myxödem 275. 

Brixa: Pupillarreaction 15. 

Brooks: Akromegalie 121. 

Cerebrale Hämorrhagie 
864. 

Brown: Hereditäre Ataxie 
561. 

Bruce*. Sacralmark 170. 

Brunet: Aphasie 219. 

Bruns: Geschwülste des Ner¬ 
vensystems 94. 

£525). (526). 

Cerebrale Kinderlähmung 
603. 

Hirntumor 604. (606). 

Hirntumor 770 und 848. 

Buchholz: Lues cerebri 571. 

Multiple Sklerose 618. 

Chronische Paranoia bei 
Epilepsie 656. 

de Buck*. Tremor nach In¬ 
fluenza 468. 

Vorderhorn nach Exarticu- 
lation 789. 

Bum*. Ataxiebehandlung 572 
u. 969. 

Bunch: Bewegungen des Dünn¬ 
darms 500. 

Burghart: Myxödem 271. 

Landry’sche Paralyse 506. 

Burr: Hemiplegie 872. 

Burzio: Hysterie und Syringo¬ 
myelie 755. 

Busch: Färbungsmethode 476. 

Buzzi: Lepra 505. 


Cabitto: Schweiss der Epi¬ 
leptiker 320. 

Heisse Luftbäder bei Epi¬ 
lepsie 321. 

Campo: Sarcom in der hin¬ 
teren Schädelgrube 460. 

Campos: Faciolislähmung 

1101 . 

Cappelletti: Dementia para- 
lytica 558. 

Cappie*. Circulation im Gehirn 
801. 

Carrara: Neurogliom nach 
Trauma 708. 


Cassel: (39). 

Lumbalpunction bei Kindern 
827. 

Cavazzani: Spinalganglien69T. 

Ceni: Rückenmarksdegenera¬ 
tionen 173. 

Acutes Delirium 711. 

Läsion im Pedunculus 8! 6. 

Bakterien im Blut Geistes¬ 
kranker 1132. 

Cervesato: Ependymitis 228. 

Cestan: Little’sche Krankheit 
861. 

Chadbourne: Akromegalie u. 
Diabetes 951. 

Chapus'*. Hysterische Scoliose 
905. 

Chiezzi: Ncrvenelemente bei 
Inanition 71. 

Chipault: Tabes 19. 

Mal perforant 555. 

Epilepsie 656. 

Osteomyelitis vertebralis 
709. 

Christian!: Lobus praefrontalis 
224. 

Cladek: Rückenmarkstuinor 
179. 

Clark: Bewusstsein bei Epi¬ 
lepsie 314. 

Epilepsie 314. 

Epileptische Aura 317. 

Cohn, Paul: Friedreich’sche 
Ataxie 302 u. 333. 

Cohn, Toby: Myasthenia 
pseudo-p&ralytica 426. 

Atnetose 715. 

Collins: Tumor der Rücken* 
markspia 757. 

Colman: Farbenempfindun? 
361. 

Arsenikneuritis 507. 

Consiglio: Vasomotoren 171. 

Courmont: Experimenteller 
Tetanus 647. 

Hirntumor 811. 

Tetanische Contractur 860. 

Craig*. Blutdruck bei Geistes- 
kränken 1058. 

Cramer*. Hysterisches Stottern 
378. 

Moralische Idiotie 1015. 

Crespi: Hirnchirurgie 235. 

Crisriani: Cretinismus 276. 

Sitophobie 516. 

Cron: (520). 

Cunningham: Gehirn des 
Opossum 311. 

v. Cyon*. Hypophyse 948. 


Baddi *. Schlaflosigkeit 502. 

Inanition 1131. 

Dahlborg: Trau inarische Hy- 
stene 375. 

Daland: Dysphagie 816. 


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1149 


Dambacher: Hintere Wurzeln 

• bei Tabes 548. 

Damsoh: Psychose bei Icterus 
516. 

Dana- Psychro-Aesthesie 469. 

Dänkler: ßeri-Beri 1011. 

Dardel: Epilepsie nach Typhus 
654. 

Darkschewitsch: Pasteur’sche 
Impfungen 98. 

y. Daviaotf, Histologie 736. 

Davidsohn: Myxödem 271. 

Dejörine: Polyneuritis 81. 

Alkoholische Paralyse 128. 

Keine Wortstummheit 215. 

Compression des HalBmarks 
755. 

Worttaubheit 808. 

Hemiplegie 869. 

Facialislähmung 1100. 

Deiters: Hämorrhagische En¬ 
cephalitis 722. 

Delore: Neurofibromatose 78. 

Demoor: Neurone 1130. 

Deniges*. Lumbal punction 
134. 

Dercum: Syringomyelie 179. 

Cerebrale Diplegie 416. 

Deutschmann: (765). 

Devay: Melancholie u. Base¬ 
dow 270. 

Devic*. Hirntumor 811. 

Dexler: Chiasraa des Pferdes 
115. 

Schweiflähmung d. Pferdes 
173. 

Dietz: Simulation Yon Geistes¬ 
störung 383. 

Diukler: Neuropathologie 228. 

Basedow’sche Kraukheit 
617. 

Tuberculöse Compressions- 
myeliti8 758. 

Dollinger: Tubercul. Wirbel - 
entzündung 662. 

Döllken: Leitungsbahnen im 
Thierhirn 996. 

Donaggio: Spastische Spinal¬ 
paralyse 457. 

Wirkung des Ag. nitr. 699. 

Exstirpation der Gland. 
parathyreoideae 266. 

Donath: Bernhardt-Koth’schc 
Parästhesie 77. 

Sympathicu8lähmung 1135. 

Dornblüth : Neurosen in Folge 
Yon Syphilis 1098. 

Doyon: Experimenteller Teta¬ 
nus 647. 

Tetanische Contractur 860. 

Dräsche: Luftdrucklähmung 
378. 

Dubois: Galvanischer Reiz 
170. 

Dufour: Hinterstränge 546. 

Düring: Lepra 1012. 

Difitized by Gougle 


I Ebereon: Colorirter Ge- 

I schmack 361. 

Ebstein: Epilepsie und Dia¬ 
betes 319. 

Ohrenschwindel 459. 

Gichtische Neuritis 1007. 
(1063). 

Eckhard: (45). 

Edgar*. Osteo-arthropathiel25. 

Edinger: Erzeugung tabes- 
ähnlicherKrankheiten 429. 

Ratten-Rücken mark 617. 

Egger: Nervenheilkunde 71. 

Eijkmann: Beri-Beri 82. 

Eliot: Hysterische Dysphagie 
902. 

Ellis: Sexuelle Perversion 
1060. 

Elschnig: Augenmuskelläh¬ 
mungen 464 u. 574. 

Elzholz: Carcinompsycho8en 
667 u. 823. 

Emrainghaus: (43). (44). (45). 

Engelmann: (332). 

Ensliu: Tabes- und Aorten¬ 
erkrankungen 555. 

Epstein: Irren wesen in Ungarn 
923. 

Erb: Unfallserkrankungen des 
Rückenmarks 370. 

Paralysis ugitans 466. 

Arterienerkrankung 574. 

Erben: Reflexe 362. (572). 

Inselförwige Sklerose 626. 

Pulsphänomen bei Neur¬ 
asthenie 669. 919. 

Erdheim, Tetanus facialisl 137. 

Erlenmeyer: (1014). 

Erlitzki: (139). 

Neurogliazellen 141. 

van Erp Taalman Kip: Acute 
Manie 30. 

Periodische Imbecillität 472. 

Eschlc: (90). 

Esteroc: Acromegalie 952. 

Eulen bürg: Tabesbehandlung 

20 . 

Myasthenia pseudopara- 
lytica gravis 425. 

Kinderlähmungen 879. 

Eurich: Neuroglia 800. 

Eve: Sehnenverpflanzung bei 
Kinderlähmungen 879. 

Ewald: Epilepsie 619. 

Einer: Schilddrüse 265. 

van Eyk: Epilepsie 652. 


Falk: Psychoneurosen 118. 
Falkenberg: (41). (334). 
Faure: Sy mpathicusresection 
bei Baseaow 286. 

F6r6: Prähewipleg. Schmerzen 
233. 

Toxicomanie 234: 

Sexueller Act 281. 


1 Ferö: Epilepsie 314. 

Melanodermie bei Epilepsie 
319. 

Träume bei Epilepsie 321. 

Hautreflexe bei Epilepsie 
653. 

Methylenblauausscheidung 
bei Epilepsie 653. 

Retraction der Palmarfascie 
904. 

Zoophilie u. Zoophobie 1056. 

Ferrari: Ergograph 897. 

Ferner: Stirnrinden faserzüge 
67. 

Hysterie 900. 

Fieschi: Embolie in den Hirn- 
gefässen 801. 

Filbry: Spinale Kinderlähmung 
705. 

Finkeistein: Folie par trans- 
formation 281. 

Finzi: Spastische Spinalpara¬ 
lyse 420. 

Dementia praecox 1059. 

Firgau: Muskelschwund Un¬ 
fallverletzter 709. 

Fischer: Irrenfürsorge 42. 

Klinische Mittheilungen 743. 

Flatau: Pathologie d. Nerven¬ 
zellen 413. 

Nervenzellenforsihung 455. 

Flechsig: Markbildung in 
Grosshirnlappen 977. 

Fleming, A.: Aufsteigende De¬ 
generation 14. 

Fletcher : N. aurieularis mag* 
nus beim Kaninchen 456. 

Gliosarcom d. Rückenmarks 
756. 

Folmer: Schädelmissbildungen 
1006. 

Forwell: Basedowsche 
Krankheit 270. 

Fonrnier: Heredo-Syphilis 
1093. 

Fragstein: Ophthalmoplegie 
1050. 

Francotte: Somnambulismus 
130. 

Verwirrtheit 428. 

Hysterischer Trismus 903. 

Zählkarten 1054. 

Franke: (332). 

Poliomyelitis nach Unfall 
370. 

Frankel: (39). (41). 

Narcotica 1131. 

v. Frankl-Hoch wart: Nervöse 
Erkrankungen der Blase 
671. 

Fridenberg: Wahrnehmung der 
Farben 502. 

Friedländer: Rückenmark und 
Kleinhirn der Vögel 351 
u. 397. 

Psychosen 1115, 


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1150 


v.Friedländer: Hirntumor 974. 

Hirnsyphilis 1098. 

Friedmann: Hirnerschütterung 
865. 

Encephalitis 610. 

Fries: Psoriasis 923. 

Froelieh: Eneephalocelen 949. 

Fry: Leptomeningitis 186. 

Paralysis agitans 468. 

Fürbringer: (39). 

Fürstner: (44). (45). (47). (48). 

üeredit. Erkrankungen des 
Nervensystems 473. 

Urämie 607. (960). 

Zurechnungsfähigkeit der 
Hysterischen 961. 

(964). (965). 

Gad: Neuronlehre 430. 

Ganflni: Inauition 458. 

Gansdr: Hysterischer Dämmer¬ 
zustand 916. (961). (964). 
(966). (1109). (1119). 

Neurasthenische Geistes¬ 
störung 1120. 

Garnier: Akromegalie 951. 

Gebhardt: Auflösung von Gold 
in Wasser 569. 

Mikroskop 1117. 

Gee: Hämorrhagie im Pons 868. 

Geelvink: (34). 

Alimentäre Glycosurie 338. 

van Gehuchten: Reflex bewe- 
gungen 184. 

Yorderhorn nach Exarticu- 
lation 739. 

Gerard-Marchant: Sympatbi- 
cusresection bei ßasedow 
285. 

Gerhardt: (85). 

Paralysis agitans 468. 

Reflexe bei Rückenmarks¬ 
läsion 612. 

Gerwer*. Schilddrüsenpräpa¬ 
rate bei Geisteskrankheit 
712. 

CentraderassociirtenAugen- 
bewegungen 716. 

Gessler: Progr. Muskelatrophie 
75. 

Gianni: Hirncysticercus 224. 

Giannuli: Meningitis syphi¬ 
litica 1096. 

Gibson: Oculomotorius¬ 
lähmung 80. 

AngioneQrotisches Oedern 
512. 

Giese: Neuroglia 139. 

Glaeser *. Casuistische Mit¬ 
theil ungen 907. 

Glorieux: Copaivabalsam bei 
Ischias 84. 

Hysterie 910. 

Glubardicci: Hemiplegie 232. 

Goebel: Suprascapularis- 
lähmung 73. 


Landry’sche Paralyse 824. 

Tetanus 949. (1068). 

Gold berg: Traumatische amyo- 
trophische Lateralsklerose 
708. 

Goldflam: Paroxysmale fami¬ 
liäre Lähmung 417. 

Goldscheider: Spinalpunction 
32. (39). (135). 

Multiple Sklerose 174. 

Nervenzellen bei Fieber 
335. 

Pathologie der Nervenzellen 
413. 

Nervenzellenforschung 455. 
(600). (603). 

Bewegungstherapie 664. 

Neuronlehre 669. 

Hautsinnesnerven 880. 

Goldschmidt: Traumatische 
Hysterie 376. 

Gonzalez: Tetanus 657. 

Good: Bernhardtfsche Sensi¬ 
bilitätsstörung 57. 

Goodliffe*. Hirntumor bei Irren 
562. 

Goodner: Typhus und Psy¬ 
chosen 426. 

Gordon: Encephalopathie nach 
Influenza 862. 

Gorschkow*. Nervenkrankheit, 
in der russischen Armee 
922. 

Gould: Hirntumor 811. 

Graanboom: Traumatische 
Porencephalie 707. 

Grafd*. Farbe nempfinduug 
361. 

Grassmann: Herpes zoster bei 
Facialislähmung 1100. 

Gräupner: Tabesbehandlung 
560. 

Greidenberg: Progr. Paralyse 
bei Frauen 341. 

Mc. Grew: Epilepsie 322. 

Grimaldi *. Zellveränderungen 
an der Hirnrinde 549. 

Grimm: Beri-Beri 1046. 

Gri8son: Doppelseitige Ohr¬ 
eiterung 767. 

Gehirn cyste 1138. 

Gross: (1068). 

Grunbaum: Paralysis pseudo- 
hypertrophica 503. 

Grützner: Muskelerregbarkeit 
620. 

Guicciardi: Hallucinationen 
132. 

Guisy: Hysterische Anurie912. 

Guizzetti: Hirnerweichung211. 

Gumpertz: (602). 

Elektrische Erregbarkeit des 
N. radialis 788. 

Guthrie: Idioglos8ia 706. 

Guttmann: Hemiplegia hyste- 
rica 1124. 


Habel: Lepra 505. 

Tic convulsif bei Hemiplegie 
870. 

Hackney: Multipl. Sklerose 177. 

Haenel: Tumor der Dura 571 

Hagelstam: Akromegalie 12CK 

Hahn: Ciliarnerven 11. 

Syringomyelie 181. 753. 966. 

Hamburger: Myelitis 181. 

Hammer: Neuritis bei Tuber- 
culose 1006. 

Handford: Tumor im Pods 
V aroli 817. 

Hanke: Lagophthalmus 1094. 

Hanszel: Thyreoidin 284. 

Harris: Hemianopsie 221. 

Reflexepilepsie 317. 

Hartmann: Psychose nach 
Operation 659. 

Haäkovec: Akroparästhesie 78. 

Haynes: Angioneurosis 512. 

Heilbronner: Multipl. Neuritis 
1009. 

Heimann, C.: Epilepsie bei 
Morphiumentziehung 655. 

Heimann, Ernst: Spinalgang- 
lienzellen 797. 

Heimann, M.: Erythromelalgie 
514. 

Heise: (40). 

Heller: Hydrocephalos 421. 

Henneberg: Querulanten Wahn¬ 
sinn 383. 

Meningomyelitis 1105. 
(1106). 

Henschen: Aeusseres Knie¬ 
ganglion 194. 

Phosphorlähmung 386. 

Röntgenstrahlen und Hirn¬ 
chirurgie 812. 

Hering: Reizung der Hirn¬ 
rinde 312. 

Herzog: Myopathologie 1047. 

Hess: Hemiplegie 188. (329). 

Heubner*. Diffuse Hirnsklerose 
877. 

Heymann, B.: Rüekenmarks- 
compression 172. 

Hiebei: Thyreoidin 284. 

Higier: Neuritis optica 389. 

Hysterie bei Thieren 597. 

Hill: Blutdruck 502. 

Hinshelwood: Wortblindheit 
805. 

Hirsch: Unfallkrankbeit 374. 

Hinchberg: T&besbehandlung 

21 . 

Hirschfeld: (334). 

Hirt: Morphinismus 1013. 
(1015). 

Hitschmanu: Augeounter- 
Buchung bei Cretinismus 
825. 

Aneurysma cirsoideum 975. 

Hitzig: (135). 

Röntgen-Photographie 608. 


Difitized by 


Gch igle 


Original from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



1151 


Hitzig: Periodische Geistes¬ 
störungen 1054. (1109). 
(1113). (1116). (1119). 

Hoche: Rückenmarksverände- 
rungen bei Hirndruck 810. 

Hochhaus: Arteriosklerose und 
Epilepsie 1026. 

Hodgaon: Phimose u. Epilepsie 
318. 

Hodge: Friedreich’sche Krank¬ 
heit 27. 

Hofbauer: Interferenz zwisch. 
Impulsen 361. 

Hofimann: Fremdkörper bei 
Lähmung 1065. 

v. Holst: Hysterie 898. 

Holz: Rückenmarkstuberkel 
179. 

Holzinger: Nervenkrankheiten 
in Abessinien 137. 

Latyrismus in Abessinien 
142. 

Hypothenarreflex 894. 

Homön: Gekreuzte Anästhesie 
237. 

Bakterien u. Nervensystem 
237. 

Bulbäraffection 239. 

Gliose im Cervicalmark 754. 

Epilepsie 927. 

Hydrocephalus 928. 

Progressive Demenz 957. 

Hoppe: Stellung der Irrenärzte 
1061. 

Alkohol in Irrenanstalten 
1074. 

Horsley: Nervenendigungen 

Höself 3 (524). 

. Insel- u. Thalamus opticus- 
Herde 570. 

Höstermann: (1015). 

Hoyer: Hemiatrophia linguae 
509. 

Huehzermeyer :Hemiplegie235. 

Hudson: Fractur des 5. Hals¬ 
wirbels 755. 

Hunter: Akromegalie 951. 

Beri-Beri 1047. 

Hutchinson: Wirbelfortnahme 
bei Paraplegie 758. 

H üter: Carcinom - Metastasen 
des peripheren Nerven¬ 
systems 766. 

Jaboulay: Sympathicusresec- 
tion bei Basedow 286. 

Jacob: (430). 

Duralinfusion 431. 

Tabesbehandlung 665. 

Jacobi: Traumatische Hystero- 
Epilepsie 710. 

Jacobsohn: (34). (334). 

Neurontheorie 1106. 

Jaffö: Infantiles Myxödem 767. 

Jakob: (335). 

Difitized by Gougle 


Jakoby: Multiple Sklerose 177. 
v. Jalwch: (1063). 

Janet: Hysterische Contractur 
904. 

Jastrowitz: Neuralgia occipi- 
talis 335. 

Jelgersma*. Augennerven 454. 

Sinnesorgane 644. 

Jellinek: Hirnblutung 230. 
Jendrässik: Pai alysis spastica 
418. 

Jlberg: Katatonie 569 u. 1051. 
(1113). 

Dementia paralytica 1117. 
(1119). 

Jnfeld: Muskelkrämpfe 573. 
Tabes 667. 

Johannessen: Locale Asphyxie 
514. 

Johnson: Perniciöse Anämie 
267. 

Jolly : (135). 

Polyneuritis 508. (519).(600). 
(960). (964). (1015). 
Jones: Agoraphobie 516. 
Josias: Pseudo-Meningocele 
861. 

Juliusburger: Zellen der Cen¬ 
tralwindungen 37. 
Spinalganglienzelle 151. 
Ganglienzelle 550. 
Oculomotoriuslähmung 712. 
Gedankenlautwerden 1057. 
Juschenko: Ganglion mesen- 
tericum inferius 141. 
Jwanoff: Gliomatose 830. 


Kaes: Markfasergehalt der 
Grosshirnrinde 267. 

Kaestermann*. Hemianopsie 

222 . 

Kalischer: Muskelkrampf 107. 

Tetanie 273. (522). 

Erbliche Tabes 556. 

Infantile Tabes 556. 

Berührungsfurcht imKindes- 
alter 1057. 

Kaplan :Krankenvorstellung40. 

Trauma und Paralyse 41. 
(601). 

Oculomotoriuslähmung 712. 

Karplus: Hysterische Anfälle 
906. 

Kassirer: Poliomyelitis anter. 
134. 

Kattwinkel: Würgreflex und 
Sprache bei Hemiplegie 
231. 

Kauffmann: Akromegalie 951. 

Kaufmann: (331). 

Kellner: Opium - Behandlung 
324. 

Kemmler: (43). (45). 

Kempner: Ophthalmoplegie 
1050. 


Kienböck: Syringomyelie 966 
u. 968. 

Röntgen-Photographieen 

973. 

Kiernau: Hysterische Ptosis 
911. 

Kirschgässer: Rückenmarks¬ 
erschütterung 368. 

Kirstein: Simulation 383. 

Kisch: Herzbeschwerden in 
Folge Cohabitation 80. 

Klemperer: (335). 

Klippel: Tabes 18. 

Neurone 69. 

Hirnhemisphären 455. 

Tabes 558. 

Knapp: Traumatische Neur¬ 
asthenie u. Hysterie 374. 

Knauer: Musikalisches Aus¬ 
drucksvermögen 215. 

Psychosen mit Chorea 279. 

Köbner: Chinininjectionen 284. 

Koenig: Cerebrale Kinder¬ 
lähmung 876. 

Kofend: Syringomyelie 752. 

Kohlrausch: Photographieen 
vom Gange 432. 

Kohnstamm: Phrenicuskern 
615 u. 1089. 

König: (519). 

Cerebrale Kinderlähmung 
520. (522). 

Koppen: (37). (41). 

Kornfeld: Trional 957. 

Korniloff: (474). (829). 

Korolkow. Nervenendigungen 
141. 

Koshewnikoff: (92).(474).(565). 
(567). (829). (831). (832). 

Köster: Aphasie 217. 

Schwefelkohlenstoffvergif* 
tung 493. 568. 

Dermatomyositis 510. 

Neurotische Gangrän 515. 

Subdurales Hämatom 810. 

Beirsches Phänomen 1101. 

Kovalevsky: Arteriosklerose d. 
Gehirns 674. 

v. Krafft-Ebing: (574). 

Paralysis agitans 574. 

Ecmnesie: 667. (668). 

Athetosis biiateralis 869. 

Kramer: Psychose bei Icterus 
516. 

Kräpelin: (43). (44). 

Irrenfürsorge in Baden 46. 
(88). (90). (966). (1020). 
(1021). (1066). (1068). 
(1069). 

Kratz: (43). 

Kraus: Septische Polyneuritis 
81. 

Krause: Chron. Paranoia 29. 

Spondylitis 188. 

Krauss: Hirnsyphilis 423. 

Hirntumor 811. 


Original from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



1152 


Kreidl: N. glossopharyngeus, 
Vagus u. Accessorius 262. 
Kreuser: (43). (45). (88). (90). 
Krogius: Lingualisneuralgie 
238. 

Krön: Arbeitsparesen 74 u. 85. 
Hypoglossuslähmung 601. 
(602). (712). 

Krönig: (38). (39). 

Kunn*. Multiple Sklerose 178. 
Kunze*. Schädelläson 365. 
Küßtermann*. Beri-Beri 504. 


fcaehr: (35). (41). 

Rückenverletzungen 371. 

Lepra 713. 

Laese: Syringomyelie 754. 

Lagreffe*. Spina bifida 898. 

Lamacq: Motorische Centren 
311. 

Lamberts: Traumatische 
Hystero-EpilepBie 710. 

Langer: Infantile Poliomyelitis 
704. 

Langley: Neryenregeneration 

12 . 

Lapinsky: Ischias bei Nephri¬ 
tis 940. 

Laquer*. Hemicranie 517. 

Elektrotherapie 1023. 

Larionow *. Gehörscentra bei 
Hunden 137. 

Laslett: Bleilalimung 1093. 

Weigert-Pal-Methode 1129. 

Laubry: Methylenblau¬ 
ausscheidung bei Epilepsie 
653. 

Laudenheimer: Gummiarbeiter 
568 u. 681. 

Diabetes und Geistesstörung 
1057. 

Laupts: Geschlechtstrieb 282. 

Lax*. Traumatische Rücken- 
markserkrankungen 750. 

Lazarus: Minenkrankheit 379. 

Lea: Apoplexie 872. 

Ledderhose*. Unfallfolgen 750. 

Lehmann: Katatonie 1052. 

Lenhartz*. (331). 

Lenhossek *. Spinalganglien¬ 
zellen 577. 

Lennander*. Röntgen-Strahlen 
u. Hirnchirurgie 812. 

Lennmalm: Cerebrale Ataxie 
560. 

Leppmann: (520).(961).(1066). 

Leven*. Dermatosis linearis 
neuropathica 78. 

Levi: Leichen Veränderung an 
Nervenzellen 504. 

Kariokinesis 897. 

Levi-Dorn*. Tremor 522. 

Serratuslähmung 1104. 

Lewald: (41). 

Lewandowsky: (520). 


Lewin: Leprabehandlung 1012. 

Lewis: Angioneurosis der 
Zunge 514. 

v. Leyden: (39). (335). 

v. Liebig: Pneumatische Kam¬ 
mer 379. 

Liebmann: Psychische Taub¬ 
heit 806. 

Geistig zurückgebliebene 
Kinder 1137. 

Liebrecht: (330). 

Liepmann*. Hirnchirurgie 814. 

Lilienthal*. (519). 

Lindön: Meningitis 238. 

Halswirbelfractur 928. 

Lindh: Subdurales Hämatom 
810. 

Linke: Epilepsiebehandlung 
1136. 

Litten: (335). 

Lloyd: Wirbelverletzung an 
der Halswirbelsäule 745. 

Loewy: Theorie des Schlafes 
860. 

Lombroso: Progress. Muskel¬ 
atrophie 706. 

Lord: Neue Nissl-Methode 
1088. 

Lorenz: Calot’sches Brisement 
236. 

Lorrain: Spastische Paraplegie 
955. 

Löw: Morbus Basedowii 269. 

Löwenthal, S.: Riechhirn der 
Säugethiere 409. 

Lubarsch: Rückenmark bei 
Carcinomatösen 173. 

Lübbers *. Dieseminirte Herd¬ 
sklerose 175. 

Luce*. Combinirte System¬ 
erkrankungen im Kindes¬ 
alter 469. 

Hemiplegie 871. 

Schrumpfniere 1141. 

Lüderitz: Progressive Paralyse 
621. 

Lugari: Canaliculi semicircu¬ 
lares 457. 

Lugaro: Nervenelemente bei 
Inanition 71. 

Smnalganglienzellen 548. 

Nervenzellenveränderung 

698. 

Lührmann: Stadtasyle 965. 

Hysterie 1119. 

Lui*. Blutalkalescenz 1132. 

Luisaela *. Amyotrophie 706. 

Luithleu: Ganglienzellen¬ 
färbung 640. 

Luntz*. Syringomyelie 564. 

Luxenburg: Vorderhornzellen 
während Thätigkeit 737. 

de Luzenberger: Trochlearis- 
lähmung 73. 

Nervensystem und Trauma 
362. 


de Luzenberger: Ganglien¬ 
zellen und Trauma 


Maass: Spina bifida oeculti 
663. 

Mabille: Thyreoidin und Ar 
senik 947. 

Maclachlan*. Geisteskrank¬ 
heiten 661. 

Magnan: Manie 31. 

Mahnert: Herzepilepsie 318- 

le Maire: Hemiatrophia facialü 
509. 

Maloljettkoff: Rückenmarks 
abscess 831. 

Manchot*. Diabetes u. Syphilis 
1096. 

Manicatide: Nervenzellen bei 
magendarmkranken Säug' 
lingen 313. 

Mann: Hemiplegie 232. 

Hemiplegische Coutraetur 
867. (1015). 

Motorische Neurone 1021. 
(1023). 

Manz*. Hemianopsie 809. 

Marcus: Tabessymptome 558, 

Marfan :0phthaliuoplegiel050. 

Margulies *. Hinterstränge beim 
Affen 465. 

Pseudodipsomanie 1116. 

Marie: Syringomyelie 181. 

Kyphose 367. 

Religiöse Psychosen 427. 

Syringomyelie 752. 

Entwickelung der Sprache 
804. 

Marinesco *. Tabes 553. 

Paraplegieen 818. 

Nervencentren 882. 

Nervenausreissung 1131. 

Martin *. Stichverietzung der 
linken Hemisphäre 806. 

Intracranielle Blutung 806. 

Massalongo: Osteo-arthro- 
pathie 125. 

Diplegieen bei Kindern 873. 

Matthes: Poliomyelitis acuta 
571. 

Myositis os&ificans 1051. 
(1H4). 

Maylard: Tetanus 659. 

Mayser*. Manie 525. 

Medin: Kinderlähmung 703. 

Meijer: Hallucinatorischer 
Wahnsinn 472. 

Meincrt: Tetanie 953. 

Meisliug*. Hemianopsie 222. 

Sarcome im Opticus 1005. 

Meisowitz: Tabes 560. 

Melsome: Facialislähinuntr 

1100. 

Melzer*. Schluckact 646. 

Reizversuche am Thier- 
raagen 646. 


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Original from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



1153 r- 


Sal'idel: Zwangsvorstellungen 
7. (384). (519). 

^Doppelseitiger Erweichungs- 
nerd im Schläfealappen 
713. (1016). 

Progressive Paralyse 1035 
u. 1065. 

Meschede: (960). (964). (965). 

Meyer, Adolf: HereditäreAtaxie 
561. 

Meyer, E.: Zellen der Central- 
Windungen 87. 

Spinalganglienzelle 151. 

Ganglienzelle 550. 

Meyer, L. S.: Augenbefund bei 
Epilepsie 649. 

Michel!: Melancholie 380. 

Miller: Congenitale Ptosisl050. 

Mingazzini: Augenmuskelläh¬ 
mung 463. 

Dementia postapoplectiea 
1058. 

Minor-. (474). 

Kreuzschmerz und Ischias 
474. 

Transversale Myelitis 587. 
567. (829). 

Miralliö: Polyneuritis 81. 

Hysterische Scoliose 905. 

Ekzem hei Hysterie 918. 

Mitchell: Gesichtshallucina- 
tionen 381. 

Möbius: (525). (626). 

Goethestudien 627. 

Nervenheilstätten 606. 

( 1111 ). 

Morbus Basedowii 1113. 
(1114). (1116). 

Moeli: Atrophie an den Seh¬ 
nerven 32. (41). (1109). 

Möller: Myxödem 272. 

Lo Monaco: Corpus eallosum 
801. 

v. Monakow: Sehstrahlung609. 

Mikrocephalie 609. (1021). 

Defeet eines Plexus brachia¬ 
liß 1022. 

Mondio: Demenz 881. 

Mongour: Ergottemus 615. 

Monnier: Muskelbeschäftigung 
bei Nervenkrankheiten 
922. 

Montesano: Psychischer Reflex- 
Bchmerz 75. 

Beschäftigungskrampf 75. 

Cerebrospinalfiüssigkeit bei 
Paralyse 549. 

Montes8ori: Cerebrospinal¬ 
flüssigkeit bei Paralyse 
549. 

Monteverdi: Akromegalie 122. 

Montfort: Ekzem bei Hysterie 
912. 

de Montyel: Pharynxreflex 24. 

Alkoholismus 133. 

Verwirrtheit 471. 


Digitized by Gougle 


de Montyel: Patellarreflex 648. 

de Moor -. Tremor nachlnfluenza 
468. 

Moore: Familiäre Lateral- 
Sklerose 956. 

Moosdorf: (1114). 

Mopurgo: Activitätshypertro- 
pme 503. 

Morat: Hinterwurzeln 547. 

Mott: Hirnläsion bei Affen 1092. 

Mucha: Katatonie 1053.1112. 

Mühsam: Quecksilberbehand¬ 
lung bei multipl. Sklerose 
666 . 

Müller, Erich: Nervenzellen 
bei magendarmkranken 
Säuglingen 813. 

Müller, L. R.: Traumatische 
Rückenmarkserkrankungen 
760. 

Solitäre Tuberculose des 
Rückenmarks 757. 

Munk-. Schilddrüse 264. 

v. Muralt: (1069). 

Muratow: Muskelbewusstsein 
59. (94). (190). 

Zwangsbewegungen 478. 
(476). (829). (831). 

Myxödem 980. 

Murawjeff: (94). (474). 

Streptokokken u. diphtheri- 
tisehes Toxin 476. 

Murri: Erb’sche Krankheit424. 

Murro: Pubertät 288. 

Muskeus: Traumatische Hy¬ 
sterie 376. 

Syphilit. Spinalparalyse422. 
1097. 

Mya: Amyotrophie 706. 


Säcke: Bernhardfsche Par- 
ästhesie 77. 

Chirurgische Thätigkeit des 
Irrenarztes 189. 

Zerstreuungen für Geistes¬ 
kranke 283. 

Nagel: Multiple Sklerose 178. 

Nalbandoff: Syringomyelie667. 

v. Nartowski: Bernhardtfsche 
Sensibilitätsstörung 1082. 

Nauheimer: Hysterie 912. 

Naumann: Jackson’ache Epi¬ 
lepsie 652. 

Naunyn: Neuritis gonorrhoica 
1010. (1063). 

Nebelthau-. Gehirndurch¬ 
schnitte 476. 

Negro: Muskelreflex bei Ischias 
79. 

Rindenreizung 547. 

Hysterie 905. 

N. facialis et oculomotoriua 
1099. 

N ehr körn: Meningeale Perl¬ 
geschwulst 18. 


Neumann (Königsberg): Ner¬ 
venmark- u. Axencylinder- 
tropfen 696. 

Neumann, Max: Alkoholismus 
und Epilepsie 315. 

Nissl: Psychiatrie und Hirn¬ 
anatomie 89. 

Rindenbefund bei Vergif¬ 
tungen 613. 

Anatomisches Material in 
Irrenanstalten 964. 

Progressive Paralyse 1016. 
(1020). (1062). 

Nonne: Leukämie 182. (325). 

Pseudospastisohe Parese mit 
Tremor 327. 

Maladie des tics 827. 

Rhythmische Bewegungs¬ 
störung 327. (329). 

Erwiderung 478. 

Facialislähmung von Geburt 
an 762. 

Myelogener Tumor 764.(765). 
(766). 

Rückenmark bei letaler An¬ 
ämie 1020. (1071). (1139). 

Infantile Paralyse 1140. 

Multiple Sklerose 1141. 

Numford: Bewegungen bei 
Neugeborenen 171. 

Oddo: Tetanie 278. 

Odise: Nervenzellenbewegung 
647. 

Oebeke -. Rheinisches Irren¬ 
wesen 963. (1069). 

Oeetreicher: (1071). 

Oliva: Rindenreizung 647. 

önodi: Lautbildende Centren 
218. 

van Oordt: Tabes mit Hysterie 
622. 



Brachialgie 524. (526). (628). 

(1106). (1110). 

Nervenkrankheiten und Leo¬ 
türe 1112. (1114). 

Oppenheimer: Urticaria 512. 
Orlowsky: Sarcomatoee des 
Rückenmarks 92. (191). 
Orthmann: (1066). 

Geistesstörung bei Arterio¬ 
sklerose 1071. 

Ortner: Recurrenslähmung 73. 

Oster: Raynaud’sehe Krank¬ 
heit 515. 

Ossipow: XL Nervenpaar 138. 
Bettbehandlung 142. 

Epileptischer Anfall 539. 

Epilepsie nach Absynth 646. 

719. 

N. vagi 697. 

Centn des Dickdarms 700. 
Ostankow: Tabes 17. 

Hautreflexe bei Tabes 140. 

73 

Original from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



1154 


Ottolenghi: Nervenelemente 
bei Urämie 70. 
Otuazewaki: Associatdonscen- 
tren 163 u. 203. 


Pacetti: Beschäftigungs- 
krampf 74. 

Pal: Primäre combinirte Sy* 
stemerkrankung 470. 

Panegrossi*. Oculomotorius- 
kern 1000. 

Paraseandolo: Traumen auf 
Thorax u. Abdomen 707. 

Pardo: Tabes 555. 

Facialiskem 1003. 

Pariot: Experimenteller Teta¬ 
nus 674. 

Paris: Progress. Paralyse 25. 

Pascbeles: Hirnblutung 230. 

Passow. Markfasergehalt der 
Centralwindungen 242. 

Anstalt für Geisteskranke 
283. 

Markfasergehalt der Central* 
Windungen 616. 

Pasteur: Infantile Lähmung 
419. 

Patrik: Tabes 17. 

Paviot: Tetanische Contractur 
860. 

Paulv: Cerebello-medulläre 
Symptome 416. 

Pausini: Akromegalie 123. 

Pdau: Neurone 79. 

Pdchoutre: Experimenteller 
Tetanus 948. 

Peeters*. Geisteskranke in Bel¬ 
gien 27. 

Pelman: (964). 

Pershing: Neuritis 1007. 

Peters: Lumbalpunction 827. 

Petereon: Bromentsiehung bei 
Epilepsie 321 u. 1136. 

Petrdn: Thrombose in den pi- 
alen Gefässen des Bücken* 
marks 759. 

Pfannenstill: Myxödem 271. 

Pfister: Härtung des Central- 
nervensystems 643. 

Pflüger: Ophthalmoplegie 465. 

Philippe: Tabes 551. 

Little’sche Krankheit 861. 

Pianetta: Dementia paralytica 
559. 

Piccinino: Landry’sche Para¬ 
lyse 507. 

Pick: Mittheilung betreffs 
Querschnittsmyelitis 624. 

Syphilitische Spinalparalyse 
1097.(1109). (1116).(1119). 

Pinali: Gedächtniss 116. 

Pineies: Akromegalie 121. 
Tetanie 968. 

Cerebrale Kinderlähmung 
971. 


Pipping: Epilepsie 927. 

Pisenti: Pupillenreflex 211. 

Pitres: Ereuthophobie 428. 

Planat: Krämpfe mit Stottern 

220 . 

Politzer: Facialisparalyse nach 
Trauma 623. 

Pontoppidan: Retrograde Am¬ 
nesie 84. 

Hemianopsie 223. 

Potts-. Tumor der Rüoken- 
marksdnra 756. 

Po well: Psychiatrie im Süden 
1055. 

Preston: Cerebralsyphilis 1094. 

Pribytkoff: Hämatomyelia cen¬ 
tralis 91. 

Bückenmarkstumor 568. 

Gliomatose 830. 

Bückenmarksabscess 831. 

Pugliese*. Rindencentren des 
oberen Facialis 815. 

Pugnat: Nervenzellenzerstö- 
rung durch Leukocyten 
313. 


Q,uensel: Sarcom der Dura 
spinalis 482. 

Querton: Winterschlaf 1130. 

Raichline: Demographie bei 
Tabes 555. 

Ramön y Cajal: Nervensystem 
des Menschen und der 
Wirbelthiere 896. 

Banniger: Katatonie 1114. 

Basch: Lähmnng des Plexus 
brachialis 50. 

Tropenklima 803. 

Baven: Myxödem 287. 

Raymond: Tabes 20. 

Beclus: Sympathicusresection 
bei Basedow 286. 

Redlich: Senile Atrophie 668. 
701. 

Rückenmarksmissbildung 

669. 

Rdgis: Ereuthophobie 428. 

Reichel: Streifenhügel und 
Linsenkern 815. 

Reichenberg: Central entstan¬ 
dene Schmerzen 870. 

Beimers: Bückenmarksdegene¬ 
rationen 143. 

Reinhard: Neuritische Muskel¬ 
atrophie 511. 

Bellay: Alkoholismus 127 u. 
315. 

Epilepsie 315. 

Epilepsiebehandlung 1136. 

Bemak: (36). (135). (520). (602). 
(603). (712). 

Krankenvorstellung 1104. 

Rendu: Appendicitis bei Hy¬ 
sterie 911. 


Digitized by 


Gck 'gle 


Benton: Epilepsie 320. 

Bepond: Trunkenheit 129. 

Bey: Schädel bei Geisteskran¬ 
ken 14. 

Pavor nocturnus 320. 

Reynolds-. Polyneuritis 83. 

Richter: Porencephalie 135. 
(522). 

Bissmann: Osteomalacie 510. 

Bitti: Alterspsychosen 659. 

Böder: Untersuchung bei trau¬ 
matischen Neurosen 1067. 

Bolleston: Erythro melalgieöl 2. 

Hemiplegie bei Typhus 866. 

Bomanow: Motorische Hirn¬ 
nerven 593. 

Boncoroni: Paralipemanie 
1059. 

Roeenbach: 142. (717). 

Bo sin: (37). 

Myelitis u. Syphilis 422. 

Nervenzellen 600 (601). 

v. Bositzky: Schilddrüse 265. 

Bossi: Nervenleitung bei Epi¬ 
lepsie 313. 

BossoUmo: Multiple Sklerose 
176. (190). (191). (474). 
(566). 

Hereditäre Ataxie 566. 

Gowers’sches Bündel 831. 
935. 

Both: Pyramidon 31. (191). 
(829). (881). 

Bothmann*. (519). 

Verschluss der Aorta 1107. 

Rothschild: Linkshändigkeit 
263. 

Routier: (659). 

Roux: Pseudo-Meningocele 861. 

Rudis-Jicinsky: Tetanus 658. 

Budnieur: Erkrankung des 
Tractus opticus, Pedun- 
culus u. N. oculomot. 817. 

Buffini: Sensorische Nerven¬ 
endigungen 503. 

Runeberg: Aphasie 238. 

Optische Aphasie 239. 

Bussei: Bahnen in der Med. 
oblong. 858. 

Oesophagusstrictnr 902. 

Secundäre Degenerationen 
im Bückenmarke 1090. 

Buysch: Trunksucht 128. 


Sabraz&s: Tabes 16. 

Lumbalpunction 134. 

Saoerdotti: Nervenelemente bei 
Urämie 70. 

Sachs, B.-. Idiotie 420. 

Sachs, Moritz: Augenmuskel¬ 
lähmungen 464. 

Seiler: Aseptische Hirnser- 
reissung 458. 

Salomonson: Oculomotorius- 
lähmungen 54. 


Original from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



1155 


Salomonson: Atrophie bei Dia¬ 
mantschneidern 511. 

Saloschin-. Psychose bei Sali- 
cylsäure-Intoxication S82. 

Samgio: Lepra anaesthetica 
565 u. 1011. 

Sander-, Posteclamptischee 
Irresein 2S4. 

Paralysis agitans 467. 

Malt. Sclerose 1018. (1020). 

Singer-. Polyneuritis 83. 

Operirter Basedow 286. 

Asthenische Bulbärparalyse 
287. 

Hysterische Hemiplegie mit 
Mutismus 268. (326). 

Functionell-nervöse Erkran¬ 
kungen beim Kind 327. 
(332). 

Unfallkrankheiten 373.(525). 

Hysterische Augenmuskel- 
stö rangen 525. (527). (761). 

Bfickenmarksgliom 763. 

Hirnabscess763.(765). (767). 

Infantiles Myxödem 767. 

.Myxödem 1143. 

Arthritis deformans 1144. 

Sanjuau: Hallucinationen bei 
Taubstummen 28. 

Sante de Sanctis: Gesinge der 
Epileptiker 317. 

Traum bei Hysterie und 
Epilepsie 651. 

Santenoise: Acromegalie 951. 

Sarbö: Pruritus 24. 

Lues bei Tabes und pro¬ 
gressiver Paralyse 559. 

Scagliosi: Acute Anämie 702. 

Schäfer: (960). 

8chaffer-. Spinalganglienzellen 
bei Tabes 2. 

Hinterwurzeln im Cervical- 
mark 434. 

VoTderborn bei Tabes 550. 

■ Beginnende Strangdegene¬ 
rationen 890. 

Schataloff: Entzündung der 
Wirbelsäule 828. 

Schech: Nervöser Husten 905. 

Sehlagenhaufer: Mikrotom 574. 

Schlapp: Grosshirnrinde 384. 

Schlesinger, H.: Harnblase 13. 

Syringomyelie 174. 

Rüokenmarksabscess 182. 

Rückenmarks- und Wirbel¬ 
tumoren 820. 

Circumscriptes Oedem 954. 
(966). (969). 

Stirnhirntumor 970. 

Muskelatrophie 972. 

Hirntumor 974. 

Hirnsyphilis 1098. 

Schliohtmg: Geschmacksläh¬ 
mungen 1102. 

Schloffer: Traumatische Apo¬ 
plexie 742. 

Digitized by Gougle 


Schmidt: (41). 

Schmidt, Otto mar: Progressive 
Paralyse 557. 

Schmitz: (1023). 

Alkoholmissbrauch 1069. 

Sehmuckler: Onanie bei Kin¬ 
dern 1103. 

Schnabel: Lues cerebrospinalis 
967. 

Traumatische Neurose 967. 

Schön: Infantilismus 565. 

Schöndorff: Schilddrüse 263. 

Schröter: Wartepersonal 427. 

Sohrötter: Caissonkrankheit 
1066. 

Schukowski: Hirnrinde und 
Athmung 143. 

Sohüle: Katatonie 131. (960). 
(964). (966). 

Schultz: Muskeln 210. 

Schnitze: Akromegalie 119. 

Leukämie 182. 

Bürgerliches Gesetzbuch 
279. 

Bewusstseinsstörungen 964. 

Polyneuritische Psychosen 
1049. 

Schulz, Richard: Unfallerkran¬ 
kungen 363. 

Schuster: Rückenschmerz bei 
Unfallpatienten 872. (602). 

Sehwartz: Lähmung nach Nar- 
cose 910. 

Schwarz, Otto-. Augenstörun¬ 
gen 462. (526). 

Seeligmann: Verwachsung der 
Hirnhemisphiren 898. 

Seeligmüller: Reflexepilepsie 
655. 

Seligmann: Auge 1129. 

Semidaloff: Delirium acutum 
188. 

Senator: Querschnittserkran¬ 
kung des Halsmarkes 746. 

Serbsky: (190). (474). 

Sdrieux-. Reine Wortstummheit 
215. 

Melancholie 287. 

Worttaubheit 808. 

Sharp: Xerostomie 913. 

Shaw: Parästheaieen am Bein 
76. 

Sherrington: Exstirpation der 
Hirnhemisphären 311. 

Reizung der Hirnrinde 312. 

Nervenwurzeln 1041. 

Shdarow: Puerperale 
Psychosen 278. 

Sibelius: Vorderhorn nach Am¬ 
putation 266. 

Sick: Resection des N. radia- 
lis 85. 

Siegenthaler: Puerperal- 
psyohosen 926. 

Sieletzkij: Elektricität bei 
Hemiplegie 873. 


Siemerling: Augenmuskelläh¬ 
mung und progr. Para¬ 
lyse 21. 

Multiple Sklerose 575. 
Markscheidenentwickelung 
961. (965). 

Sievers: Brown • Sdquard’sche 
Lähmung 238. 

Sikorski-. Alkoholismus 562. 

Silvagni: Schwindel 458. 

Simmonds: (766). 

Simon: Friedreich’scheKrank¬ 
heit 26. 

Simpson: Tabes 554. 

80jähriger Epileptiker 656. 

Hysterische Paraplegie 907. 

Sioli: Fürsorge für Geistes¬ 
kranke 965. 

Siven -. Traumatische Epilepsie 
321. 

Smith: Alkohologene Epilepsie 
90. 

Snell: Hypothermie 606. 

v. Sölder: Syringomyelie 571. 

Polyneuritis 572. 

Infantile Pseudobulbärpara¬ 
lyse 578. 

Hirngefässaneurysmen 666. 

Mitbewegung eines Ober¬ 
lides 667. 

Koprostase-. 924. 

Solmsen: Kopftetanus 659. 

Solowzeff: Missgestaltungen 
des Grosshirns 190. 830. 

Soltmann -. Pavor nocturnus 
1138. 

Sommer: (88). 

Motorische Symptome 91. 

Sorgo: Ganglienzellenfärbung 
640 u. 978. 

Soukhanoff: Neurontheorie 
69. 

Polyneurit. Psychose 1048. 

Soury: Gehirn 262. 

Spallitta: Vasomotoren 171. 

Spiller: Tabes 15. 

Syringomyelie 179. 

lüeinnirnerkrankung 226. 

Rückenmarkserschütterung 

368. 

Rückenmarkssyphilis 421. 

Little'sche Krankheit 662. 

Muskelknospen 860. 

Hemiplegie 866. 

Spina-. Rückenmarksdurch- 
trennung 738. 

Springer: Stirnnaht 1000. 

Stadelmann: Eisenbahnunfälle 
368. 

Stanley: Epilepsie mit Unter¬ 
kieferluxation 656. 

Tabes bei Knaben 956. 

Stanziale: Hirnsyphilis 213. 

Steckei: Migräne 517. 

Stefanowska: Dendriten 116. 

Stein: Syringomyelie 752. 

73* 

Original frorn 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



1156 


Digitized by 


Steinach: Hintere Spinal- 
nerven wurzeln 699. 
Hinterwnrzeln 699. 

Steiner: Tetanus 658. 
Hysterie 901. 

Hirnabscess 1070. 

Stepp: Eisenbahnunfalle 869. 
Sternberg: Akromegalie 124. 
Acoessoriuslähmung 432. 
( 668 ). 

Neurosen 917 n. 978. 
Steven: Spastische Hemiplegie 
872. 

Osteo-arthropathie 952. 
Stewart: Kinderparalyse 746. 
Stintzing: (525). (526). 
Tetanus 569. 

Tetanus traumaticus 1062. 
(1066). 

Stoddart: Melancholie 928. 
Stolper: Rückenmarksblutun- 
gen 869. 

Stoubell: Syphilis der Rücken- 
markshäute 1120. 
v. Stranzky: Phosphorvergif¬ 
tung mit Tetanie 273. 
Strelzoff: Fremdkörper im 
Magen Geisteskranker 94. 
Stricker: (430). 
v. Strümpell : Akromegalie 119. 
Entzündung der Wirbel- 
. sanle 367. 

Myelitis 611. 

Akromegalie 612. 
Pseudosklerose 877. 
Stummer: Mal perforant du 
pied 554. 

Sudduth: Epilepsiebehandlung 
328. 

Sudnik: Diplegia facialis 1100. 
Sutherland:Hydrocephalus461. 


Takäki: Tetanusantitoxische 
Eigenschaften des Central¬ 
nervensystems 1004. 

Tallermann: Heissluftapparat 
622. 

Tambroni: Spastische Spinal¬ 
paralyse 420. 

Tamburini: Autosadismus 132. 

Automasochismus 132. 

Tantzen: Apoplexie im Seh¬ 
hügel 865. 

Taylor: Ophthalmoplegie 1051. 

Tekutiew: Adonis vemalis bei 
Epilepsie 140. 

Teljatnik: Blutkreislauf im 
Gehirn 715. 

Sinnesreize u.Blutcirculation 
im Gehirn 719. 

Teuscher: Suggestion 526: 

Theodor: Spina bifida 739. 

Tbeohari: Hemiplegie 869. 

Facialislähmung 1100. 

Thieme*. Unfallerkrankungen 
740. 


Thiemich: Pupillen weite bei 
Cheyne-Stokes’sohem Ath- 
men 818. 

Thomann: Irrenfürsorge 90. 

Thomas: Endigung des N. 
acustdcus 310. 

Thomsen: Hydrotherapie 960. 

Thomson: Gesichtsfelddefect 
214. 

Acute Ataxie 916. 

Tiling: Alkoholische Paralyse 

1010. 

Tilling: Alkoholische Paralyse 
127. 

Tokarsky: (830). 

Tooth: Alkoholismus 127. 

Hämorrhagie im Pons 863. 

Tordeus: Tetanie 272. 

Torracchi: Akromegalie 122. 

de la Tourette: Tabes 19. 

Tournier: Osteo-arthropathie 
953. 

Trapesnikow: Bettbehandlung 
142. 

Trapp: Chirurgie des Rücken¬ 
markes 187. 

Trönel: Kleinhirngliom 227. 

Trevelyan: Tabes 557. 

Trömmer: Traumatische Tabes 
519. (601). 

Tschermak: Hinterstrang¬ 
bahnen 159. 

Tümianzew: Sympathicus501. 

Tumpowski : Tabes 16. 

Turner: 'Hirnrindenfaserzüge 
67. 

Oculomotoriuslähmung 80. 

Nervenzellenuntersuchung 

800. 


Uhthoff: Seb Störungen bei 
intracraniellen Erkrankun¬ 
gen 461. 

Ullmann: Arthropathia tabica 
623. 

Uram: Hirntumoren 212. 


Talen^on: Morbus Basedow 
269. 

Yallon: Religiöse Psychosen 
427. 

Vaschide: Schlaf u. Erwachen 
950. 

Vassale: Exstirpation d. Gland. 
parathyreoldea 266. 

Vedrani: Dementia praecox 
1059. 

Velich|:Nebennierenextractl 17. 

Veraguth: Anencephalie 580. 

di Verce: Pellagra, Alkoholis¬ 
mus und Selbstmord 959. 

Verga: Dementia paralytica 
559. 

Verhoogen: Masseterencontrac- 
tur 710. 


Verhoogen: Hysterie £22. 

Verworn: Hypnose der Thier* 
1090. 

Viazzi: Sexuelle Delicte 1060. 

Vigouroux: Functionelle Neu¬ 
rosen 338. 

Vires: Hystero-Tabes 17. 

Viniola: Spastisehe Pan- 
plegie 879. 

Voegele: Stunbeinerkrank&n- 
gen 225. 

Vogt: Hysterie 1111. 

Vorster: (43). (88). 

Aphasie 89. 


Wagner: Combinirte Strang- 
erkrankung 183. (669). 

Wahlfors: (239). 

Wallenberg: Tractua isthmo- 
striatus 300. 

Spinale Trigeminuawnrzel 
409. 

Mediale Opticusbündel der 
Taube 532. 

N Acusticusbahn der Taube 
786. 

Walton: Kopfverletzungen 366. 

Cerebrale Hämorrhagie 864» 

Warda *. Opium-Brombeband- 
lung 324. 

Obrformen 526. 

Wanington *. Nervenzellen 549. 

Nervenzellenverindernng 

701. 

Bleilähmung 1093. 

Wartmann: Alkoholismus und 
Epilepsie 316. 

Wassermann: Tetanusantitax. 
Eigenschaften desCeutiah 
nervensystems 1004. 

Waters: Kropf 268. 

Weber, Leonhard: Sklero¬ 
dermie 186. 

Weber (Uecbtspringe): Eisea- 
balt Ganglienzellen 605. 

Demonstrationspräparate 

606. 

Eiseninfiltration der Gan¬ 
glienzellen 740. 

Tod im Status epilepticus 
1068. 

Weber (Sonnenstein): Zurech- 
nungBfahigL 1108. (1109). 

Weidenhamme: (563). 564). 

Weigandt: Hunger 1005. 

Weil: Monoplegie 693 u. 713. 

Paralysis agitans 713. 

Hysterische Sehstörungen 
899. 

Weinlechner: Schädelfrakturen 


623. 

W eiss: Paraplegia spastics970. 

Paehymeningitis Iuetica970. 
Wenhardt: Hirngeschwulst u. 

Hecnatrophia. Iinguae541. 
Werbitzky: Tabes 21. 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



1157 


Wersiloff: Haematomyelia cen¬ 
tralis 91. 

Myelitis centralis 191. 

Rückenmarkscompression 

563. 

Westphal: Intoxications- 
psychosen 382. 

Krampfanfälle 517. 

Tabes u. Herpes zoster 556. 

Wettendorfer: Tetanie 272. 

W eydenhammer: Delirium 
acntum 188. 

Weygandt: Schulhygiene 622. 

Wichrew*. Röntgensche Auf¬ 
nahmen 138. 

Wiener: Hintere Spinalnerven¬ 
wurzeln 699. 

Hämorrhagische Encephali¬ 
tis 862. 

Wildermuth: Pflege bei Epi¬ 
leptischen 657. 

Ueberburdung 920. 

Epilepsie 1134. 

Willard: Rückenmarkserschüt¬ 
terung 368. 


Wille-. Schweizerisches Irren¬ 
gesetz 191. 

Williamson: Hirnblutung 865. 

Windscheid: Ovarie 1109. 
(1111). (1116). 

Winkler: Epilepsie 650. 

Polyneuritis chron. 1007. 

Winter: Psychische Epilepsie 
1134. 

Wohlgemuth: Infantile Hemi¬ 
plegie 871. 

Wolff: (43). 

Wollenberg: (762). 

Selbstmordversuche durch 
Erhängen 1053. 

Wood: Lobus suboccipitalis 
501. 

Woods*. Folie ä dem 1055. 

Wormser: Schilddrüse 264. 

Wright: Rindenzelle nach 
Bromdosen 1092. 

Wyrubow : Geschwulst an der 
Hirnbasis 718. 

Wyss: Hämorrhagische Mye¬ 
litis 431. 


Zamazal: Endometritis und 
Herzneurose 80. 

Zander ; Hautnerven des Kopfes 
261. 

Zappert: Hinterstrangsdegene¬ 
ration 102. 

Pseudoparalyse syphili¬ 
tischer Kinder 572. (973). 

Pseudoparalyse bei Säug¬ 
lingen 1093. 

v. Zeissl*. Hirndruck 971. 

Zenner: Hirngeschwulst 202. 

Ziehen: Periodische Psychosen 

380. (525). 

Simulation 570. 

Aphasie 809. 

Hirntumor 812. 

Neurasthenie 916. (1111). 
(1114). 

Zingerle: Balkenmangel 802. 

Zuckerkandl: Nervöse Erkran¬ 
kungen der Blase 671. 


Abducenskern, Verbindung 
mit Oculomotoriu8kern 864. 
1002. —Ursprung 454. — 
-Lähmung 464. 

Abessinien, Nervenkrankheiten 
dort 137. 

Accessorius, centrale Endi¬ 
gungen 138. — -Lähmung 
des äusseren Astes 432. 602. 
712. 

Acusticus, centrale Endigung 
310. — secundäre Bahn 736. 

Acusticusbahn 68. 

Adonis vernalis bei Epilepsie 
140. 290. 

Aequivalente cf. Epilepsie. 

Agoraphobie 516. 

Agrapnie 714. 805. 

Agrypnie cf. Schlaflosigkeit. 

Akromegalie 119 (2). 120. 121. 
123. 124. 612. 951 (2). 952. 
— u. Diabetes 121. 951. — 
u. Hemianopsia bitemporalis 
122. — partielle 128. — 
Manie dabei 951. 

Akroparaesthesie 78. 

Alexie 714. 805. 983. 

Alkohol in Irrenanstalten 1074. 
a. ärztliche Praxis 1139. 

Alkoholepilepsie 90. 315. 316 
(2). 1134. | 

Alkoholismus 562. 1069. cf. 
Trunksucht, Dipsomanie. — 
u. Nervendegeneration 127. 


in. Sachregister. 

Alkoholismus im Alter von 
4 Jahren 127. — u. Paralyse 
127. — u. Somnambulismus 
130. — in-Italien 959. 

Alkoholneuritis cf. Neuritis. 

Alkoholparalyse 1010. 

Alkoholpsychosen 1074. 

Alpdrücken bei Epilepsie und 
Hysterie 651, 

Amaurose u. Idiotie 420. — 
u. Läsion des Sehcentrums 
461. — hysterische mono- 
culäre 466. — vorüber¬ 

gehende 856. 

Ammonshorn bei Epileptikern 
36. 

Amnesie, retrograde 670. — 
nach Erhängen 84. — bei 
posteclamptischem Irresein 
234. 

Amputation, Rückenmark da¬ 
nach 266. 388. 

Amusie, sensorische 216. 

Amyloidkörperchen 759. 

Amyotrophische Lateralskle¬ 
rose cf. Lateralsklerose. 

Amyotrophische paretische 
Formen der combin. System¬ 
erkrankung 470. 

Anämie, perniciöse 267. — cf. 
Leukämie. — path. Anat. d. 
Centralnervensyst. bei acut. 
702. — Rückenmark dabei 
1020 . 


Anaesthesie, gekreuzte 237. 

Anencephalie u. inneres Ohr 
530. 

Angstneurose, sexuelle 919. 

Angstzustände und Epilepsie 
1121 . 

Anurie bei Hysterie 912. 

Aortenerkrankung u. Tabes555. 

Aphasie 136. 204. 804. — op¬ 
tische 239. — optische u. 
tactile 89. — functioneile 
220. — motorische 219. — 
bei Linkshändern 866. — 
amnestische 216. 217. — 
sensorische 214. 215. 704 
729. 804. 808. — hysterische 
866. — u. linksseitige Hemi¬ 
plegie 238. — Zuverlässig¬ 
keit der Angaben 809. 

Apoplexia cerebri 863 (2). 864. 
865 (2). 866. 867. 868. 869, 
870. 871. 872. — voran 
gehende Schmerzen 233. — 
traumatische 792. — De 
mentia danach 1058. — spi 
nalis 693. 

Appendicitis bei Hysterie 911 

Arbeitsparesen 74. 85. 

Arsenik, Neuritis 507. — u 
Thyreoideaanwendung 947 

Arteria basilaris, Aneurysmen 
derselben 666. 

Arter. foss. Sylvii syph. Er¬ 
krankung 229. 







1158 


Arter. mesenterica super., Em¬ 
bolie 217. — magna-spinalis 
297. 

Arteriosklerose u. EpilepsieS18. 

— u. Geistesstörung 1071. 

— des Gehirns 674. — The¬ 
rapie 680. 

Arthralgie bei Hysterie 914. 
Arthritis, Neuritis 1007. — 
n. Neurasthenie 1080. 
Arthritis deformans d. Wirbel¬ 
säule 1144. 

Al 181° P 966! e — bei Tabes623* 
Asphyxie, locale cf. Baynaud’- 
sche Krankheit 
Associationscentren 163. 208. 
Asthenische Bulbärparalyse cf. 
diese. 

Ataxie, Behandlung mit der 
Frenkel’schen Methode 21. 
560.572.969. cf. Friedreioh'- 
sehe Krankheit Hörddo- 
Ataxie, cerebell&re Tabes. — 
frontale 780. — acute eines 
Beines 916. — heredo-cere- 
bellare 227. 

Athetosis 578. 603. 715. — 
bilateralis 869. 875. 
Athmung u. Hirnrinde 143. 
Atropin, Delirien nach Ver¬ 
giftung 91. — bei perio¬ 
dischen Psychosen 1054. 
Auge, mikroskopische Unter- 
suchuDgsmethoden 1129. 
Auge bei Cretinismus, Zwerg¬ 
wuchs 825. — im Schlafe 
860. 

Augenbewegungen, associirte 
Centr. 716. 720. 864. 
Augenmuskellähmungen cf. 
Abducens u. s. w. — progr. 
bei progr. Paralyse 21. — 
bei multipler Sklerose 175. 
178. — bei Dystr. musc. 
706. — alterairende 463. 

— durch Gesohwulstmeta- 
stasen 464. 

Augenmuskelstörnngen, hy¬ 
sterische 525. 

Augenstörungen bei Hysterie 
880. 464. — u. Hin- u. 
Bückenmarkskrankheiten 
462. 

Aura bei Epilepsie 817. 650. 

1123 cf. Epilepsie. 
Anricularis magnus, gefäss- 
verengende Fasern in dem¬ 
selben 456. 

Autosadismus 132. 
Axenoylindertropfen 696. 
Axillaris, Lähmung desselben 
71. 

Balken cf. Coraus callosum. 
Basedow'sche Krankheit 269 


(2). 270. 271. — Oedeme 
dabei 269. — Melancholie 
270. — Path. Anatomie 270. 
— Operation am Halseym- 
pathicus 269 (2). 285. 286 
(2). — Scbilddrüsenexstir- 
pation 286. — mit Hemi¬ 
plegie u. psychischen Stö¬ 
rungen 617. — Operation 
1118. 

BelTsches Phänomen bei Fa- 
cialislähmung cf. diese. 

Beri-Beri 82. 504. 1011. 1046. 
— Bekämpfung derselben 
82. — Aetiologie 1047. 

Berahardt'sche Sensibilitäts¬ 
störung cf.Cutan.femor.extr. 

Berührungsfurcht im Kindes¬ 
alter 1057. 

Beschäftigungsmuskelatrophie 

75. 

Beschäftigungsnenrose cf. Ar- 
beitspareeen 74. 75 (2). 

Beschäftigungsparese cf. Ar¬ 
beitsparesen. 

Bettbebandlung 142 (2). 287. 

Bewegungstherapie 664 — cf. 
Tabes. 

Bewusstsein bei Epilepsie 314. 

Bewusstseinsstörungen 964. 

Bier in Irrenanstalten 1080. 

Blase, nervöse Erkrankungen 
671.—Entleerung derselben 
838. 

Bleilähmung, path. Anatomie 
1093. 

Blut, bactericides Vermögen 
1132. — bei Psychosen u. 
Epilepsie 1182. 

Blutdruck im Schlaf 502. — 
in Carotis 715. — bei Psy¬ 
chosen 1058. 

BlutdruckBteigerung, durch 
Nebennierenextract 117. 

Blutkreislauf im Gehirn 715. 
801. — Wirkung von Sinnes¬ 
reizen 719. — Einfluss von 
Bückenmark 788. 

Bogengänge u. Baumsinn 457 

( 2 ). 

Brachialgie 524. 

Brombehandlung bei Epilepsie 
821. 1186. — Tod dadurch 
1092. 

Brown - Söquard’scher Sym- 
ptomencomplex 757.967. — 
u. Syphilis 238. — u. Disso- 
ciation des Sensibilität 755. 

Bulbäraffectionen mit gekreuz¬ 
ter Lähmng 289. 

Bulbärparalyse, asthenische 
287. — psendo 573. 

Bulbus olfactorius 409. 

Caissonkrankheit 878. 1066. 

Calofsches Brisement 188.286. 


Canalis semicircularis cf. Bo¬ 
gengängen. 

Capsula interna, Cyste 816. 

Carrasquilla’sches Serum bei 
Lepra 505. 

Carcinom u. Psychose 667.828. 

Carcinomatose 173. — der 
Wirbel 172. 

Cardiaca bei Epilepsie 290. 

Castration bei Geisteskranken 
nnd Verbrechern 48. 

Cataractextraction u. Psychose 
472. 

Cauda equina, Läsion derselb. 
nach Unfall 364. 

Centrum cf. Hirnrinde, Loca- 
lisation. 

Cerebellum cf. Kleinhirn. 

Cerebrospinalflüssigkeit bei 
Paralvsis progr. 549. 

Charcorsche Krankheit cf. Ar¬ 
thropathie. 

Cheyne-Stokes’sches Athmen 
818. 

Chiasma opticum cf. Opticus. 

Chlorose 256. 

Chinin subcutan gegen Neu- 
ralgieen 284. 

Cholesteatom cf. Perigeschw. 

Chorda tympani 1102. 

Chorea u. Psychose 279. — u. 
Athetose 876. — u. Epi¬ 
lepsie 1138. 

Chorea chron. progr. 573. — 
congenita spastica 876. — 
rhythmica hysterica 910. 

Ciliaraerven, Bau 11. 

Cocainismus von der Harn¬ 
blase aus 918. 

Coitus 282. — interruptus 281. 

CompressionBmyelitus 172.184. 
187. 563 (2). 758. 818. 

Conjunctivalreflex 1110. 

Contracturen 232. — hemi- 
plegische867. — hysterische 
904. 

Copaivabals&m bei Ischias 84. 

Corpus callosum, Physiologie 
801. — Mangel desselb. 802. 
— geniculatum externum, 
Localisation in demselb. 194. 

Craniectomie 662 cf. Trepa¬ 
nation. 

Cremasterreflex bei Paralyse 
648/ 

Cretinismus u. Glandula thy- 
reoidea 276. — u. Auge 825. 

Criminalanthropologie cf. Fo¬ 
rensische Psychiatrie. 

Crus cerebri cf. Hirn Schenkel. 

Cutaneus femoris externus, 
Sensibilitätsstörung 57. 76. 
77 (2). 1082. 

Cyclon u. Neurosen u. Psy¬ 
chose 914. 

Cysticercus des Hirns 224. 


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1159 


•ämmerzustand, hysterischer 
915. 916. 

Darm, Einwirkung der Med. 
oblong. 699. — cort. Centren 

700. 

Darmcontractionen, wahrend 
dea epilept. Anfalls 589. 
Degeneration, absteigende der 
Hinterstränge 102. — ab¬ 
steigende und aufsteigende 
im Bückenmark 144. 407. 
440. 442. 487. 1090. — se- 
cundäre, Färbemethode 476. 
— Charakterisirung 890. — 
Neurontheorie 1106. — se- 
cnndäre nach Herden in Insel 
n. Thal. opt. 570. 
Degenerationszeichen cf. Ohr. 
Deglntition bei Hemiplegie 281. 
Deßrinm acutum 188. 883. — 
Bakteriologie 711. 1182. — 
durch intestinale Autoin toxi- 
cation 924. 

— hallucinatorium ef. Ver- 
wirtheit 428. 472. 

— tremens ef. Alkoholismns. 
Dementia paralytica cf. Paral. 

progr. 

— postapoplectica 1058. 

— praecox 87. 1059. 

— progr. hereditäre 957. 

— secnndäre 381. 

— senilis 660. 662. 668. 676. 

701. 

Dermatomyositis 510. 
Dermat 08 is linearis neuro- 
pathica 78. 

Dermographismus bei Tabes 
555. 

Diabetes n. Akromegalie 119. 
121. — n. Epilepsie 319. 
u. Geistesstörung 1057. — 
u. Syphilis 1096. 
Diamantschneider, Mnskel- 
atrophie 511. 
Diastematomyelie 789. 
Dickdarm, corticale Centren 
700. 

Digitalis bei Epilepsie 292. 
Diphtherie n. Hemiplegie 871. 
—Toxin, Einwirkung auf 
Nervensystem 475. 

Diplegia cerebralis 416. 573. 

— cf. Kinderlähmung, Little- 
Bche Lähmung. 

Diplegia facialis cf. Facialis. 
Dipsomanie 1116. 

Dura mater cerebr., Tumor 
571. — Fungus 783. 854. 

— cf. Hämatom. — spinalis, 
Sareom derselben 482. — 
Geschwulst 756. 

DuraUnfusion 431. 

Dyskinesen 474. 

Dysphagie 816. 902 (2). 
Dysphasie 816 


Dystrophia mnscnl. progr. n. 
Muskelspindel 503. 860. — 
n. Poliomyelit ant 134. 


Kcholalie bei Epilepsie 655. 

Eclampsie, Amnesie darnach 
284. 

Ecmnesie 667. 

Eczema palmaris bei Hysterie 
912. 

Eisenbahnunfälle 868 (2). 369. 

Elektrodiagnostik der Ooulo- 
motorinslähmungen 54. — 
galvanischer Beiz 170. — 
Erhöhung der Erregbarkeit 
bei Schwefelkohlenstoffver¬ 
giftung 494. — Badialis788. 
Beizversuche am Thier¬ 
magen 646. 

Elektrotherapie 1028. — bei 
Magenaffectionen 647. — 
bei Hemiplegie 878. 

Embolie der Carotis 801. 

Encephalitis haemorrhagica 
u. Delirium acutum 189. — 
path. Anatomie 212. — hae 
morrhagica acuta 228. 722. 
862. — nicht eitrige 610. 

Enoeph&locele, angeborene 949. 

Encephalopathia nach In 
fluenza 862. 

Endarteriitis obliterans cf. 
Hirnarterien. 

Entfernungsreaction 882. 

Endmündigung 618. 

Entmündigungsverfahren 280. 

Ependymitis acuta 228. 

Epilepsie cf. Eclampsie, Jack- 
son’sche Epilepsie, Status 
epilepticuB. 

— künstlich erzeugte 619. 
Symptomatologie 314. 
psychische 1134. — Sprach¬ 
störungen 216. —Geschwin¬ 
digkeit der Nervenleitung 
313. — Angstzustände 1121. 
— Bewusstseinsstörung im 
Anfall 314. — Melanodermie 
recnrrirende 319. — Diabetes 
mellitus 319. -- u. Jackson’- 
sehe Epilepsie 320. — Schlaf 
651. — Schweins 320. — 
Träume 321. 651. — und 
Tabes 556. — Luxation des 
Unterkiefern 656. — Angen- 
Spiegelbefund 649. - alter- 
nans 650. — procursiva 
650. — mit choreaartigen 
Bewegungen 1133. — Haut¬ 
reflexe 653. — Ausscheidung 
von Methylenblau 653. — 
Paranoia chronica 656. — 
Aura cf. d iese: Erinnerungs¬ 
aura 650. — Aetiologie: 
früh eintretende 66. — Al¬ 


kohol 90. — 315 (2). 316. 
1075. — Absinth 646. — 
nach Kopfdouohe 1133. — 
Alkoholismus und Scbädel- 
verletzungen 1134. — Herz- 
krankh. 318. — Herzcon- 
vulsionen 318. — Reflex - 
epilepsie cf. diese. — tarda 
656. — Trauma 321. 822. 
650. — Typhus 654. — als 
Abstinenzerscheinnng bei 
Morphiumentziehung 655. 
— Blutbeschaffenheit 1132. 
— Path. Anatomie. Am¬ 
monshorn Veränderung 86. — 
bei Cysticercus cerebri 224. 

— bei Meningocele spuria 
214. — senile arterioscle- 
rotische 318. — frühzeitige 
Verkalkung der Hirngefässe 
1026.—Sectionsbefundl 064. 

— bei enormen Bromdosen 
1092.—D i ago s e: Pupillen- 
starre 906. — Therapie. 
Adonis vernalis 140. 290. 
— Digitalis 292. — heisses 
Luftbad 821. — Brompräpa¬ 
rate 321.1136. — Operation 
322(2). 652.1136. — Opium¬ 
behandlung 328.324 (2). 927. 
1136. — Resection des oberen 
Ganglion des Halssympathi- 

, cus 656. 1185. — Pflege¬ 
personal 657. 

Epileptiforme Anfälle, alko- 
hologene 90. — aus hoch¬ 
gradiger Phimose 818. 

Epileptischer Aequivalent, mu¬ 
sikalisches 317. 

Epileptische Anfälle, Absinth 
646. 719. — Bewusstsein 
314. — Einfluss von Hirn- 
affection 814. — Aura 317. 

— musikalische 317. — 
Erinnerungsaura 650. — 
Respirationsapparat 318. — 
Magen u. s. w.-Contractionen 
539. — Augenhintergrund 
649. — Badialislähmung 
danach 691. 

Epileptogene Zone 317. 

Epileptoide Anfälle n. AngBt- 
zustände 1121. 

Erb’sche combinirte Schulter¬ 
armlähmung 50. — doppel¬ 
seitige 72. 

Ereuthophobie 428. 

Ergographie 897. 

Ergotin und locale Asphyxie 
515. 

Erhängen, retrograde Amnesie 
danach 84. 1053. — psy¬ 
chische Störungen danach 
1053. 

Erröthen cf. Ereuthophobie. 

Erythromelalgie 512.518.514. 


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1160 


Facialis, oberer, bilaterale 
Function 815.—Verbindung 
mit Oculomotorius 1099. — 
Dip legia nach Pasteur 1 sehen 
Impfungen 101. — nach 
Syphilis 1100. — trauma¬ 
tica 628. — Krampf bei 
Hemiplegie 870. — Läh¬ 
mung von der Oeburt an 
762. — Bell'sches Symptom 
1099. 1101 (8). — nach 
Operation 1100. — Herpes 
zoster 1100. — path. Ana¬ 
tomie 1100. — Mitbewegung 
1105. — Sensibilitätsstö- 

■ rangen 1102. -Geschmacks- 
st&rangen 1102. — recidi- 
virende 1105. 

Facialiskern 1008. 

Färbemethoden 476. 500. 640. 
978. 1088. 1129. 

Familiäre Krankheiten cf. 
Friedreich ’sche Krankheit. 
416 (8). 417. 418. 419. 420 
(2). 478. 511. 566. 954. 955. 
•956 (2). 957. — Geistes¬ 
krankheiten 1055. 

Familienpflege cf. Irrenpfleee. 

Farben, Wahrnehmung der¬ 
selben 502. 

Fascia palmaris of. Palmar- 
fascie. 

Folie ä dem cf. inducirtes 
Irresein. 

Fontanelle der Stirnknoohen 

1000. 

Forensische Psyohiatrie 279. 
618. 1015. 1060. 1108.1184. 

Formolhärtung 500. 648. 

Fremdkörper als Ursache spi¬ 
naler u. peripherer Lähmung 
1065. 

Friedreioh’sche Krankheit 20. 
802. 561. — u. Autopsie 26. 
27. — u. Deformität der 
Fasse 27. 

FuniculuB solitarius 409. 

dang, photographische Auf¬ 
nahme u. rrojeotion 482. 

Ganglienzellen ef. Nerven¬ 
zellen. 

Ganglion cervicale nerv, vagi, 
Verletzung desselben 874. — 

■ mesentericum infer. u. Harn¬ 
blase 141. 

Gaumenmuskulatur, Inner¬ 
vation 262. 

Gedächtniss 116. — nach 
Kopfverletzungen 809. — 
bei polyneunt. Psychosen 
1049 (2). — nach Erhängen 
of. dieses. 

Gedankenlautwerden 1057. 

Gefäesnerven cf. vasomotor. 

. Nerven. 


Gehör mit Farbenbildern 361 

Gelenkaffection cf. Arthro¬ 
pathie. 

Geruch bei Tabes 18. — cf. 
Riechhirn. 

Geschmack bei Tabes 18. — 
colorirter 861. 

Geechmacksfasern,Verlauf410. 

! 1041. 1102. 

Gesetzbuch, bürgerliches 279. 

Gesiohtsfeldanomalieen bei 
Hysterie 331. 

Gesichtsmuskelschwund, Ent¬ 
wickelungshemmung 66. 

Glandula parathyreoidea, Ent¬ 
fernung bei Hunden 266. 

— thyreoidea 264. 265. — 
cf. Struma, Basedow 'sehe 
Krankheit, Myxödem. — u. 
Knochensystem 187. — Ex- 
tract gegen Sklerodermie 
186. — u. Stoffwechsel 263. 

— experimentelle Beiträge 

264. — Jodgehalt 265. — 
Aktinomykose 271. — Cre- 
tmismus 276. — gegen 

Psychosen 711. 712. — u. 
Arsenik 947. 

Gliose cf. Syringomyelie. — u. 
multiple Sklerose 170. — 
einseitige des Rückenmarks 
754. — path. Anatomie 880. 

Glutaeusreflex 79. 

Glycosurie u. Epilepsie 820. 

— alimentäre bei Nerven¬ 
krankheiten 833. — u. Sy¬ 
philis 1096. 

Goethestudien, psychiatrische 
527. 

Gonorrhoe, Neuritis dabei 1010. 

Gowera’sches Bündel 489.490. 
491. 492. 985. 1092. 

Graves’sche Krankheit of. Ba¬ 
sedowsche Krankheit. 

Gummiarbeiter, nervöse und 
psychische Störungen 568. 
681. 

Gyros of. Lobus. — centralis, 
Markfasergehalt 242. 616. 
— Tumor 743. 812. — 
Gliom 813. —• oentralis 

posterior und Hinterstrang- 
bahnen 161. 

■aarempfindlichkeit cf. Tri- 
ohoästnesiometer. 

Haematom, subdurales 810. — 
der Dura mater bei Con- 
vexitätsmeningitis 909. 

Haematomyelie 750. — cen¬ 
trale 91. 182. 

Haematorhaohis 183. 

Haemorrhagieen cf. Apoplexie. 

Hallucinationen cf. Gedanken¬ 
lautwerden. — bei Geistes¬ 


kranken u. bei Taubstummen 
28. — einseitige (links) 40. 

— bei Kleinhirnerkrankung 
227. — Bewusstsein dabei 
276. — bei Hemicranie 381. 

Halsmark, Querschnittserkran- 
kung 746. 

Hatoympathicus,Durchschnei- 
düng desselben b. Basedow*- 
I scher Krankheit 269 (2).285. 
286 (2). — bei Idiotie 656. 

— bei Epilepsie 1135. 

Harn cf. Urin. 

Harnblase, Physiologie 18. — 
Innervation 141. — Contrac- 
tionen während des epilept 
Anfalls 589. 

Haube cf. Hirnschenkel. 

Haut cf. Melanodermie, Sklero¬ 
dermie. 

Hautgefühl, Bahn 68- 
Hautreflexe cf. Reflexe, Zehen¬ 
reflex. — im Anfangsstadhrm 
d. Tabes 140. — b. Rücken- 
markscompression 185. — 
bei Epilepsie 658. 
Hautsinnesnerven 880. 
Hebephrenie 86. 1112. 
Heissluftapparat 622. 
Hemianaestnesia alternans868. 
Hemianopsie 221. 222. 817. — 
bi temporale 122. 223. — 
Akromegalie bei Affection 
des Corp. gen. ext. 197. 201. 

— homonymer secto ren- 

förmiger Defect 214. — 

doppelseitige homonyme222. 
809. — homonyme 482. 

Hemiatrophie 66. — des Ge¬ 
sichts 509. — der Zunge 
509. 541. 

Hemiballismus 603. 

Hemichorea 608. 

Hemikranie 221. 517. — mit 
Gesichtshallucination 881.— 
Therapie 517. 

Hemiplegie, infantile 66. 715. 

— bei 5jähr. Knaben 188. 

— bei 2jähr. Kinde 280. — 

gleichseitige bei mangelnder 
Pyramidenkreuzung 202. — 
Würgreflex, Sprache und"- 
Deglutition 281. — Sehnen¬ 
reflexe 282. — Zehenreflex 
649. 867. — Contracturen 
262. 867. — praehemipleg. 
Schmerzen 238. — Retina 
dabei 865. — hysterische 
288. 377. 866. 867. 872 (2). 
907.1124.— bei Typhus 866. 
Zwangsbewegungen 474. — 
Muskelerschlaffung 867. — 
Associationsbewegung. 867. 
Knochenatrophie 869. — 

Fortbestehen von Tic eon- 
vulsif 870. — Schmerzen 


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1161 


dabei 870. — nach Keuch¬ 
husten 871. — nach Diph¬ 
therie 871. — Eiektrieität 
dabei 873. — urämische 908. 
— Therapie 235. 
Hemisphären des Grosshirns, 
Aequiv&lenz derselben 455. 
Ungleichheit des Gewichts 
645. — Verwachsung 898. 
Hereditäre cerebellare Ataxie 
227. 560. 561. 566. 
Heredität bei Psychosen of. 
diese. — bei Tabes cf. diese, 
bei Syphilis ef. diese. — 
cf. Familienkrankheiten. 
Herpes zoster bei Tabes 556. 

— bei Facialislähmung 1100. 
Herzkrankheiten n. Epilepsie 

318. 

Hennenrose bei Endometritis 
80. — d. Cohabitation 80. 
Hinken, intermittirendes 574. 
Hintentränge cf. Wurzeln, 
hintere 107. 434. — abstei¬ 
gende Degeneration 102. — 
Bindenfeld 159. 302. — 
Aufbau derselben 546. 547. 
552. — nach schwerer An¬ 
strengung 617. — bei pro- 
gross. Paralyse 621. 
Hirnanatomie262. — Leitungs¬ 
bahnen 360. — Faserverlauf 
476. — Mikroskop 1117. — 
Markscheiden cf. diese. 
Hirn, Missgestaltungen und 
spinale Veränderungen 190. 

— antitoxische Wirkung 
gegen Tetanie 1004. 

Hirnabscess 767. 814. 1070. 

— im Lob. occip. 763. — 
Entstehung 801. 

Himarterien cf. die einzelnen 
Arterien, Blutkreislauf.— 
syph. Affect. 213. 815. 
Hirnblutung, Varietäten 280. 

— plötzlich tödtliche bei 
9jähr. Knaben 230. 

Hirncyste, Operation 1188. 
Hirndruck 788. 810. 971. — 
cf. Blutdruck. — u. Ver¬ 
änderungen im B&ckenmark 
810. 

Hirnerkrankung; Herde 803. 
Himerweichung, Histogenese 
211 . 

Himgefässe, vasoconatricto- 
risches Centrum 975. — 
frühzeitige Verkalkung 1026. 
Hirngeschwülste cf. Cysticer¬ 
cus 95. 136. 202. 223. 608. 
718. 811. 848. 970. 974 (2). 
1071. — nach Kopfver¬ 
letzungen 364. 366. — bei 
Psychosen 562. — Bücken¬ 
marksbefunde dabei 212.810. 

— u. Trauma 743. 


Hirngewicht 1117. 

Hirnhemisphären cf. Hemi¬ 
sphären. 

Hirnnerven, motorische, cen¬ 
trale Verbindung 593. 

Hirnnervenlähmung, multiple 
syph. 1094. 

Hirnphysiologie 262. 

Hirnrinde cf. Localisation 262. 
— Centren beim Affen 189. 
— Erregbarkeit bei neu¬ 
geborenen Thieren 148. — 
Lymphcirculation 1004. — 
motor. Centren des Opos¬ 
sum 811. — des Mensehen 
811. — elektr. Beizung u. 
Hemmung der Contraction 
willkürlicher Muskeln 312. 
—örtliche Verschiedenheiten 
334. — miliare Sklerose 668. 
701. — Läsion 462. — bei 
Vergiftungen 618. — bei 
multipler Sklerose 1018. 

Hirnschenkel, Haube, hämor- 
rhag. Herd 816. — Erkran¬ 
kung 817. 

Hirnsklerose 877 (2). 878. 

Hirnsyphilis of. Syphilis 428. 

Hirnventrikel, Ependymitis cf. 
diese. 

Histologie 786. 

Hoden, Anästhesie b. Tabes 16. 

Hörapparat cf. Acusticus. 

Hörcentra, oortioale hei Hun¬ 
den 137. — bei Menschen 
807. 

Hörstummheit 806. 

Hunger, neurasthenischer 921. 
— psychische Wirkungen 
1005. 

Huntington’sohe Chorea cf. 
Chorea. 

HuBten, nervöser 905. 

Hydrocephalus 460. 880. 928. 
u. Syphilis 421. — Therapie 
mit Drainage 461. — u. 
Sarcom d. Schädelgrube 460. 
idiopathischer 842. 

Hyoscln bei Manie 81. 

Hypnose der Thiere 1090. 

Hypochondrie 760. 

Hypoglossuslähmung, trau¬ 
matische 601 (2). 

Hypophysistumor cf. Akro¬ 
megalie. — Physiologie 948. 
119. 120. 121. 122. 225. 

Hypothenarreflex 894. 1024. 

Hypothermie bei Geisteskrank¬ 
heiten 606. 

HyBterie 477. 478. 761. 898. 
— Symptomatologie u. 
Tabes 17. — rechtsseitige 
Lähmung u. Mutismus 288. 
— Trismus 908. — Con- 
tractur 904. — pseudo¬ 
spastische Parese 327. — 


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Dysphagie 902 (2). — Pto- 
sis cf. diese. — Augenstö¬ 
rungen 830. 881. 464. — 
Amaurose 466. — Augen¬ 
muskelstörungen 525. — 
Tachypnoe 376. — Respi- 
rationsneuron 973. — Sen- 
störungen 899. — Pupillen¬ 
starre 906. — Paraplegie 
907. — Hemiplegie cf. 

diese. — Husten 905. — 
Stottern 378. — u. Tetanie 
518. — Chorea 910. — 
Skoliosis 905. — Schlaf u. 
Traum 651. — Dissodatiou 
der Empfindungslähmung 
755. — Ovarie 1110. — 
Conjunotivalreflexe 1110. — 
Sehnenreflexe 1110. — Psy¬ 
chopathologie 1111. — Re- 
traction der Palmarfascie 

904. — Radialisneuralgie 

905. — Neurit. ischiad. 913. 
— Appendicitis 911. — Ec¬ 
zema palmaris 912. — An- 
urie 912. — vasomotorische 
Störungen 912. — Gelenk¬ 
erkrankungen 914. — acuter 
Gelenkrheumatismus 918. — 
Dämmerzustand 915. 916. 
— Zurechnungsfähigkeit 
961. — Aetiologie 250. 
388. — Trauma 72. 288. 
827. 880. 874. 375. 376 (2). 
877. 878. 914. — im Kindes¬ 
alter 327. 329. 899 (2). 900. 
901 (2). 907. — bei Katze 
u. Kanarienvogel 597. — 
Cyclon 914. — Diagnose 
1110. 1119. — Therapie, 
prophylactische 922. 

Hystero-Epilepsie 710. 


Icterus u. Psychose 516. 

Idioglossie 706. 

Idiotie 876. — Markfaser¬ 
gehalt der Hirnrinde 267. 
— Hirnsklerose 878. — 
familiäre mit Amaurose 420. 
— Paraplegie 879. — Aetio¬ 
logie 1076. — Ungleichheit 
des Gewichts der Hemi¬ 
sphären 645. — Echolalie 
655. — moralische 1015. — 
Resection des oberen Hals- 
ganßlion 656. — Cranlec- 
tomie 662. — myxoedema- 
tosa 275. 276. 767. — The¬ 
rapie 285. 

Imbecillitas u. cerebrale Diple- 
gie 416. — u. progr. Paralyse 
558. — Untersuchung und 
Behandlung 1137. 

Impulse, Interferenz derselben 
361. 


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1162 


Inanition u. Nervenzellen 71. 
458. 1181. 

Incontinentia nrinae 672. 

Indncirtes Irresein 281. 1055. 

Infantilismns, myxödematöser 
275. 

Influenza: Encephalopathieen 
862. 

Insnla Reilii 205. — Herde 
derselben u. secundäre Dege¬ 
neration 570. 

Interferenz zwischen Impulsen 
im Centralnervensystem 861. 

Irrenärzte, Verein 768. 

Irrenanstalten, Baden 46. — 
Anforderungen 283. — chi¬ 
rurgische Thätigkeit 183. — 
Zerstreuungen 288. — Stel¬ 
lung der Aerzte 1061 cf. 
offene Anstalen, Pflege¬ 
personal. 

Irrenfürsorge 90. — Bürger¬ 
liches Gesetzbuch 279. 

Irrengesetz, schweizerisches 
191. 

Irrenpflege in Gheel 27. — 
Familienpflege 28. 41. — 
ausserhalb Anstalten 42. — 
Wartepersonal 48. 240. 427. 

Irrenwesen in Ungarn 928. — 
in den Rheinlanden 963. — 
in deutschen Grossstädten 
965. — Stadtasyle 965. 

lschiadicus, vasomotor. Fasern 
172. 

Ischias. Muskelreflex 79. — 
Dyskinesie 474. — u. Hy¬ 
sterie 918. —Copaivabalsam 
dagegen 84. — bei acuter 
parenchymatöser Nephritis 
940. 


Jackson’sche Epilepsie 652. 
— u. Diabetes 320. — u. 
Trauma 321. 652. 

Jodgehalt der Schilddrüse 265. 

Jodothyrin 264. 

Kältegefühl, perverses 412. 

Eältesinn 411 (2). 

Katalepsie u. Icterus 516. 

Katatonie 86. 131. 569. 1051. 
1052.1053. 1112.— Sprach¬ 
störungen 1114. * 

Kehlkoprnerven cf. Laryngeus. 
n. Functionen der Thyreoidea 
265. 

Keuchhusten cf. Pertussis. 

Kinderlähmung 419. 708. — 
cf. Poliomyelitis, Paraplegia 
spastica, Spinalparalyse sp., 
Diplegia cerebralis, Little’- 
sche Lähmung. — cerebrale 
520. 603. 715. 876. 971. — 
Therapie 879. 


Kindesalter, funotionell - ner¬ 
vöse Erkrankung 327. 

Kindheitsepoche d. Menschen¬ 
geschlechts, Bewegungen 
171. 

Kleinhirn der Vogel 851. 397. 

Kleinhirn-Anatomie 817. — 
centrifugale Bahnen 859. — 
Blutung 868. 

Kleinhirnbahnen 408. 

Kleinhirnerkrankung 226. — 
Gliom 227. — Geschwulst 
244. 

Klimacterium 661. 

Klumnke’sche Lähmung 563. 

Kniepnänomen cf. Patellar- 
reflexe, Sehnenreflexe. 

Knochen bei Hemiplegie der 
Erwachsenen 869. 

Körnchenzellen 750. 

Körpergewicht, Abnahme 
durch Thyreoidin 285. 

Kopf, Hautnerven desselb. 261. 

Kopftetanus 146. 

Kopfverletzung cf. Schädel, 
Trauma Unfall — Gedächt- 
niss danach 809. 

Kyphose, hereditäre trauma¬ 
tische 367. 


Lactophenin 517. 

Lähmungen cf. Paralyse. 

Lagophthalmus 1094. 

Laminectomie 187. 486. 758. 

Landry*sche Paralyse 506. — 
path. Anatomie 824. 507. 
— bulbäre Form 326. 

Laryngeus inferior, Ursprung 
262. — superior, Ursprung 
262. 

Lateralsklerose, amyotroph. 
nach Trauma 708. 

Latyrismus 187. 142. 

Lautbildung 218. 

Leber bei Psychoneurosen 118. 
— Nervenendigungen 141. 

Lepra 505.1012. — anaesthe- 
tica 35. 565. 1011. — ner¬ 
vöse Erscheinungen 713. — 
Therapie 505. 1012. 

Leukämie, Degenerationsherde 
im Rückenmark 182 (2). 

Lingualis, Neuralgie 238. 

Linke Hand, Kraftleistung897. 

Linkshändigkeit, Ursachen der¬ 
selben 263. 

Linsenkern cf. Nud. lentifor- 
mis 815. 

Little’sche Lähmung 417. 662. 
873.879. —Pyramidenbahn 
dabei 861. 

Lob. frontalis cf. Gyr. centr. 
224. 225. 970. — luetische 
Erkrankung 229. — Trauma 
285. — Sarcom 604. 778. 


Lob. frontalis bei Affen 720. 
— Gliom 811 (2). 

— occipitalis 220. — Er¬ 
weichungsherd 222. — beim 
Kinde 501. — Glioe&roost 
744. — Absoess 763. 

— parietalis, Saroom 605. 
— Fungus 783. 854. 

— temporalis 217. — und 
Wortstummheit 215. 

Loc&lisation in Hirnrinde 
beim Affen 139. — für Ath- 
mung 143. — für Lev. palp. 
sup. 857. — für Hören 137. 
215. 807. 995. — für Sehen 
222. 223 (2). - für Muskel- 
gefühl59.856.—für Sprache 
216.220. — derHinterstrang- 
bahnen 161. — für Sensi¬ 
bilität 547. — für Blase 836. 
für Darm 700. — für asso- 
ciirteAugtnbewegungen 716. 
720. — rar Pupillen 720. — 
subcerebral f. Lautbildung 
218. 

Luftbad bei Epilepsie 321. 

Luftdrucklähmungen 378. 

Lumbalpunction 32. 38. 134. 
621.827 (2). 431 .—cL Dural¬ 
infusion 

Lymphbahnen in der Gehirn¬ 
rinde 1004. 

Hagen, Fremdkörper bei Gei¬ 
steskranken 94. 

Magencontractionen iaepilepk 
Anfall 539. 

Malum perforans 554. 555. 

— suboccipitale 541. 

Manie 525. — acute 30. — 
Behandlung 31. — u. Akro¬ 
megalie 951. 

Markbildung im Groeshim- 
lappen 977. 996. 

Markiasergehalt der Central¬ 
windungen 242. — der Hirn¬ 
rinde bei Idioten 267. 

Markscheidenbildung 68. — 
Bedeutung für Localisation 
961. 

Masochismus 133. 

Masseterencontractur 710. 

Mednlla oblongata cf. Bulbär- 
aralyse. — Vasculariaation 
erselben 176. — Blutschutz 
295. — Hemmuugswirkung 
auf Darm 699. — Ursprung 
von afferirenden und efferi- 
renden Fasern 858. — Gbom 
909. 

Melancholie 380. — u. Base¬ 
dowsche Krankheit 270. — 
Bettbehandlung 287. — 

körperliche Zeichen 928.— 
Blutdruck 1058. — u. Para¬ 
noia 1059. 


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1163 


Melanodermie, recurrirende 
319. 

Menifcre’scber Symptomencom- 
plex 459. 460. 

Meningen, Perlgeschwnlet cf. 
diese. 

Meningitis cerebralis, Chole¬ 
steatom im inneren Ohr 238. 
— n. Hämatom 909. — 
syphilitica 1094. 

— cerebrospinalis syphi¬ 
litica 1096. 

— purnlenta 909. 

— serosa 840. 

— spinalis punüenta 186. 

— tnbercnlosa n. Hysterie 
899. 

— ventricularis chron. ad¬ 
ult. 840. 

Meningocele spnria (Billroth’- 
sehe Krankheit) 218. — cf. 
Pseudo-Meningocele. 

Meningoencephalitis, syphili¬ 
tische 424. 

Meningomyelitis 1105. 

Methylenblau, Ausscheidung 
im epilept Anfall 658. 

Migräne cf. Hemikianie. 

Mikrocephalie 609. 

Minenkrankheit 379. 

Monoplegie, spinale 698. 

Moral insanity 1015. 1061. 

Morphinismus 234. 382. 388. 
1013. — Abstinenzerschei- 
nung 655. 

Morvan’sche Krankh. 186.567. 

Musikalisches Ausdrucksver¬ 
mögen cf. Amusie. 

Muskelatonie 710. 867. 

Muskeln, quergestreifte und 
längsgestreifte 210. — Pa- 
cini’sche Körperchen in den¬ 
selben 503. — Aenderung 
der Erregbarkeit nach Aus¬ 
schaltung oder Durchschnei¬ 
dung seiner Nerven 620. — 
Associationsbewegungen 
867. 

Muskelatrophie cf. Amyotro- 

E bie, Hemiatrophie 972. — 
ei Goldpolirennnen 75. — 
bei Diamantschneidern 511. 
— bei multipler Sklerose 
576. 685. — u. infantile 
Poliomyelitis 704. 705. — 
neuritüsohe 511. 
Muskelcontracturen cf. Con- 
tracturen. — Hemmung bei 
elektr. Reizung der Gross¬ 
hirnrinde 312. 

Muskeldystrophie 705. — nach 
cerebraler Kinderlähmung 
704. — u. Augenmuskel¬ 
lähmung 706. — u. Idio- 
glossie 706. — mit rapidem 
Verlauf 706. 


Muskelgefühl, Localisation 59. 
Muskelhypertrophie 107. 508. 
715. 

Muskelkrämpfe, progr. 578. 
Muskelpseudohypertrophie cf. 

Dystrophie. 

Muskelrenex 79. 312. 
Muskelrigidät 311. 
Muskelspasmen, angeborene 
107. 

Mnskelspindeln 502. 860. 
Muskelstarre 874. 875. 
Muskelthätigkeit in pneumat. 
Kammer 379. 

Mutismus mit normalem Ge¬ 
hör 218. — hysterischer 220. 

— mit rechtsseitiger Hemi¬ 
plegie 288. 

Myasthenia pseudoparalytdca 
424. 425. 426. 

Myelin 696. 

Myelitis beim Pferde 181. 
Myelitis, acute bämorrhagisohe 
431. — centralis acuta 191. 

— u. Syphilis 422. — Disso- 
ciation der Sensibilität 537. 

— transversa u. multiple 
Sklerose 575. — acute u. 
chron. 611. 

Myositis interstitialis 1048. — 
cf. Neuromyositis. — ossi- 
Scans progressiva 1051. 
Myotonie 418. 

Myxödem 271. 272. 287. 930. 
950 (2). 1143. — u. Base¬ 
dowsche Krankheit270.271. 

— cf. Idiotie, Thyreoidin. — 
u. Infantilismus 275. 


ÜTagelerkrankung bei Tabes 
1104. 

Nahrungsverweigerung, Ur¬ 
sache derselben 516. 

Narcotica u. Vorderhornzellen 
1181. 

Narcosenlähmung 910. 1007. 

Nebennierenextract, Einwir¬ 
kung auf Blutoirculation 117. 

Nephritis u. Ischias 940. 

Nervencentren, Veränderung 
nach Ausreissen der Nerven 
882. 1131. 

Nerven, peripherische cf. die 
einzelnen Nerven, Abducens 
u. s. w. — Ausreissen der¬ 
selben u. Entfernungareac- 
tion cf. diese. — Carcinom- 
metastasen 766. — Degene¬ 
ration bei Alkoholismus 127. 
— Regeneration sympath. 
Fasern 12.—nach Ausreissen 
885. 888. 

Nervenendigungen in Central¬ 
organen 445. 784. 

I Nervengeschwülste 96. 


Nervenheilstätten 608. 

Nervenkrankheiten cf. Neu¬ 
rosen u.s.w. — nach Rücken¬ 
verletzungen 371. — und 
Unfall 373 (cf. Trauma). — 
in der russischen Armee 922. 

Nervenmark 696 cf. Mark¬ 
bildung u. s. w. 

N ervenstrom, Geschwindigkeit 
desselben bei Epileptikern 
313. 

Nervensystem, individuell* 
Entwickelung 68. — ange¬ 
borene Missbildung 880. — 
Anatomie 896.—Einwirkung 
von Toxinen 287. — von 
Quecksilber 456. — von 
Argent. nitr. 699. — von 
Streptokokken- u.Diphtherie- 
toxin 475. — Einfluss von 
Tropenklima 803. 

Nervenzellen 455. 600. 800. — 
Achromatose 1181. — Fär¬ 
bung 640. 973. — Granula 
87. — Karyokinese 897. — 
bei Urämie 70. — bei An¬ 
ämie 702. — bei Inanition 
71. 458. 1131. — Absterben 
derselben 313. — nach asep¬ 
tischen Verletzungen 458. — 
Dendriten 116.—bei magen¬ 
darmkranken Säuglingen 
313. — bei fiebernden Men¬ 
schen 335. — bei Hyper¬ 
thermie 698. — Einfluss 
von Infectionen auf diese 
413. — Pathologie 413.414. 
549.550. — Schwefelkohlen- 
stoffvergiftung496. — Brom¬ 
vergiftung 1092. — Endi¬ 
gung der Nerven in diesen 
445. — Grundsubstanz 453. 
— Veränderungen durch 
Quecksilber 456. — durch 
Argent. nitr. 699. — bei 
Schlaflosigkeit 502. — 

Leichenveränderungen 504. 
eisenhaltige 605. 740 — 

Primitivfibrillen 614.944.— 
des Rückenmarks, Bewe¬ 
gungen desselben 647. — 
cf. Vorderbornzellen. — bei 
Tetanus 647. — nach Durch- 
schneidung der vorderen u. 
hinteren Wurzeln 701. — 
nach Herausreissen von 
Nerven 1181. 

Neuralgie, Chinininjectionen 
dabei 284. 

Neurasthenie 477. 478. 916. 
— Aetiologie 250. 388. — 
Trauma 374. — im Kindes¬ 
älter 827. 329. — u. Puls 
669. 919. — u. Autointoxi- 
cation 920. — Störungen des 
Stoffwechsels dabei 1029. 


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1164 


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Neurasthenie, Hunger 921. — 
Behandlung 922. 

Neuritis haemorrhagica des 
Oculomotorius 80. — bei 
Beri-Beri (cf. diese) 504. — 
bei Osteomalacie cf. diese. 

— bei Gonorrhoe 1010. — 
bei Gicht 1007. — durch 
Arsenik 507. 1008. — bei 
.Schwefelkohlenstoff - Vergif¬ 
tung 683. — ischiadica 913. 

— bei Narkosenlähmung 
1007. — bei Bleilähmung 
1098. 

— multiplex cf. Beri-Beri, 
Lepra, Landry’sche Para¬ 
lyse. — mit Oedemen 81. 

— septica 81. — bei Kindern 
708. — bei Tuberoulose 
1006. — alcohol. 127 (2). 
128. 1007. 1009. 1010. 1189. 

— pho8phorica 888. — puer¬ 
peral» 88 (2). — bei zwei 
Brüdern 511. — mit psy¬ 
chischen Störungen 508. 
1048.1049. — mit spinalen 
Veränderungen 1007. 1009. 
—Diagnose u. Therapiel008. 

— optica duplex 229. — 
Heilung 889. 

— retro-bulbaris 891. 895. 
Neuroflbromatosis 78. 
Neuroganglioma myelinicum 

571. 

Neuroglia 800. — im Bfleken- 
mark 189. 

Neurogliazellen, Ursprung 189. 
141. 

Neurogliom des Hirns nach 
Trauma 708. 
Neurohyaloplasma 451. 
Neurome, allgemeine 79. 
Neuromyositis 1047. 

Neurone 28. 69 (2). 480. 614. 
644. 669. 964. 1021. 1106. 

— amöboide Beweglichkeit 
1130. 

Neurosen, functioneile Aetio- 
logie 250. — durch Schwefel- 
konlenstoffVergiftung 688.— 
u. örtliche Erkrankungen 
917.— u. Autointoxicationen 
921. — traumatische 968. 

— durch Syphilis 1098. 
Nierenkrankheiten bei Psycho- 

neurosen 118. 

Nissl'sche Methode 1088. — 
cf. Färbemethoden. 

Nucleus caudatus, Erkrankung 
815. 

— lentiformis, Erkrankung 
815. — Function 1058. 

Nystagmus bei mult. Sklerose 
175. 178. 

48culomotorius, Ursprung 455. 


Oculomotoriuslähmungen cf. 
Augenmuskellähmung. — 
Elektrodiagnoatik 54. — 

Neuritis haemorrhagica 80. 

— einseitige 712. 

Oculomotoriuskern 1001.1002. 

—Verbindung mitAbducens- 
kern 864. 

Oedem, angioneurotisches 512 
(2). 514. — bei Basedow*- 
scher Krankheit 269. — 
circumscriptes familiäres 
954. 

Oesophaguskrampf cf. Dys- 

OfFene^*Anstalten 606. 

Ohr, Deformität 526.—inneres, 
bei Anencephalie 580. 

Ohrenschwinael 459 cf. Me- 
niere'sche Krankheit. 

Olfactorius cf. Geruch, Bulb, 
olfact. 

Onanie im Kindesalter 1108. 

Ophthalmoplegie 1000 cf. Ocu¬ 
lomotorius u. Abducens. — 
bei Myasthenia pseudopara- 
lytica 425. — u. Hemian¬ 
opsie 462. — durch Carcinom 
im Sinus cavernosus 465. — 
doppelseitige, congenitale, 
externe 465. — mit Para¬ 
lyse des Augenfacialis 1050. 
1051. — in Folge von Vari¬ 
cellen 1050. 

Opium bei Epilepsie cf. diese 
828. 324 (2). 1186. 

Opticus, Pupillen u. Sehfasem 
in demselben 15. — atro¬ 
phische Zustände 32. — Ver¬ 
lauf 33. — -Kreuzung 84. 
115.199. — -Bahn 67.194. 

— mediales Bündel 532. — 
und Sehstrahlung 609. — 
Atrophie bei Friedreich’- 
scher Krankh. 307. — neuro¬ 
tische 975. — Sarcom und 
Propagation auf andere 
Seite 1005. 

Osteoarthropathie hypertroph, 
pneumica 125 (2). 952. 958. 

Osteomalacie 510. 

Ovarie 1109. 


Paohymeningitis cervio&lis 
hypertrophica naoh Trauma 
288. — tubercalöse 485. — 
u. Tumor 757. — haemor- 
rhag. und Paralyse 23. — 
extern, syphilitica 1120. 

Palmarfascie, Retraction 904. 

Paralypemanie 1059. 

Paralyse, alkoholische 127.128. 
— nach Pasteurischen Im¬ 
pfungen 98. — durch Fremd¬ 
körper 1065. — paroxysmale 


familiäre 417. — periodische 
des Trochlearis 73. 

Paralysis agitans 468. 574. — 
Zittern 468. — u. Senilit&r 
467. — und Tabes 713. — 
Therapie 466. 

ParaljBislabio-gl osso-lazyngea 
cf. Bulbärparalyse. 

Paralysis progr., Symptoma¬ 
tologie: chron. fortschreit 
Augenmuskellähmung 21. — 
Pruritus 24. — Pharynx- 
reflex 24. — bei Imbecillee 
558. — hypochondrische 558. 

— bei Pellagra 559. — Be- 
' flexe 648. — Blase 672. — 

Aenderung des klin. Bildes 
1085. 1066. — Blutdruck 
1058. — Blutbeschaffenheit 
1132. — Aetiologie: 1076. 
Trauma 41. — bei Frauen 
841. 1038. — bei Kindern 
746.1140.—AlkoboL 847. - 
Lues347.559.1140.—beifihe- 
paaren 1039. — im jugend¬ 
lichen Alter 1089. — Ver¬ 
lauf: Endperioden 25. — 
Remissionen 1037. — Dia¬ 
gnose: hämorrhag. Pachy- 
meningitis 23. — u. Arterio- 
sklerosis 676. — anatom. 
Befund 1016. — Patho¬ 
logische Anatomie: 158. 
557.1017. — Kernverände- 
rungen in den corticalen 
Zellen 549. — Cerebrospinal- 
flüssigkeit bacteriolog. unter- 
snchungen 549. — Vorder¬ 
hornzellen 551. — Hintsr- 
stränge 621. — Hirngewicht 
1117. 

Paralysis spastica cerebralia 
cf. Diplegia cerebr. — 418. 
Paranoia cf. Querulanten Wahn¬ 
sinn. — Wesen derselben 
1108. — u. Tabes 554. — 
u. Epilepsie 656. — Hirn¬ 
rinde 702. — chronica 29. 

— rudiment&ria 11. — pe- 
riod. 880. — religiöse 427. 

— mit Melancholie 1059. 
Parapare8is spastica in Abes¬ 
sinien 187. 

Paraplegia spastica total» 469. 

— familiäre 955. — infantile 
879.970. — hysterische 907. 

Parese, pseudo-spastische 327. 
Pasteurische Impfungen 98. 
Patellarreflexe, Localisation 
1106. — bei Hysterie 1110. 

— cf. Sehnenreflexe. 

Pavör nocturnus 320. 1133. 
Pedunculus cf. Hirnschenkel. 
Pellagra 559. 959. 

Perimeter, Kugelperimeter ans 

Celloid 463. 


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1165 


Periodische Psychosen cf. diese. 
Perlgeschwulst der Meningen 
13. — im inneren Ohr 288. 

— in der Gegend des 8. Ven¬ 
trikels 718. 

Peroneuslähmung 74. 85. 
Pertussis u. Hemiplegie 230. 
871. 

Pflegepersonal 657. 
Pharynxreflex cf. Würgreflex. 
Phosphor, Lähmung 386. 
Phrenicuskern 615. 1089. 

Pia mater spinalis, Spindel- 
zellensarcom 757. 
Platzangst cf. Agoraphobie. 
Plexus brachialis, Defecte 1022. 

— Hautgebiet 1043. 
Plexuslähmung des PI. brach. 

cf. Erb’sche Lähmung. 
Pneumatische Kammer. Mus- 
kelthätigkeit in derselb. 379. 
Polioencephalitis 703. 
Poliomyelitis ant. 703. — u. 
Dystrophie 134, — u. Trauma 
370 (2). — u. spinale Muskel¬ 
atrophie 704. — Rücken- 
marksveränderungen 571. 
Pollakiurie 672. 

Polyneuritis cf. Neuritis multi¬ 
plex. 

Pons Varolii, Tumor 226. 817. 
— Blutung 519. 863. 869. 
1141. 

Porencephalie 135. — trauma¬ 
tische 623. 707. 

Praecuneus 988. 
Primitivfibrillen 614, 944. 
Pruritus u. Paralyse 24. 
Pseudodipsomanie 1116. 
Pseudohypertr. der Muskeln 
cf. Dystrophie. 

Pseudomeningocele, traumat. 
861. 

Pseudoparalysis, syphil. 1098. 
Psychiatrie u. Hirnanatomie89. 
Psychische Störungen bei Er¬ 
krankung des Stirnbims 224. 

— durch Schwefelkohlen- 
stofivergiftung 684. 

Psychosen, Neurone 69. — 
Eintheilung 1054. — Sym¬ 
ptomatologie: Halluci- 
nationen 28. — Fremdkörper 
im Magen 94. — religiöse 
Vorstellungen 427. — Nah¬ 
rungsverweigerung 516. — 
Hypothermie 606.—ZwangB- 
sucnt zur Einführung von 
Fremdkörpern 829. — Blut- 
dmckl058. — Aetiologie 
cf. Alkohol. — puerperale 
278. 926. — Cborea 279. — 
inducirtes Irresein cf. dieses. 

— durch Transformation 
281. — Salicylsänreintoxi- 
cation 382. — durch Intoxi- 


cationen 382. — Typhus 
426. — Greisenalter 659. — 
Typus evolutionis et invo- 
lutaonis 661. — Carcinom 
667.823. — Urämie 826. — 
Cataractextraction 472. — 
bei Neurit. multipL cf. diese. 
— Diabetes 1057. — Icterus 
516.—Tabes 554. — Gummi¬ 
arbeiter 568. — nach Ope¬ 
rationen 659. — nach Apo¬ 
plexie 1058.—Arteriosclerose 
1071. — Koprostase 924. — 
bei Negern 1055. — Blut¬ 
beschaffenheit 1132.—P a t h. 
Anatomie: Nieren u.Leber 
118.—Strangdegenerationen 
des Rückenmarkes 457. — 
Hirngeschwülste 562. — 

Verlauf: periodische 380. 
472. 923. 1054. — Einfluss 
des Typhus 924. — acute 
924. — Prognose 959. — 
Ausgänge: Todesfälle in 
Burghölzu 117. — Dia¬ 
gnose: Simulation 383 (2). 
— Therapie: Bettbehand- 
luug cf. diese. — Chinin- 
imection 284. — Thyreoidea¬ 
behandlung 711. 712. — 
Hydrotherapie und Balneo¬ 
therapie 960. — Bacterien- 
gifte 1115. 

Psychroästhesie 469. — algie 
469. 

Ptosis hysterioa 525. 526. 901. 
911. — congenita 1050. — 
u. Mitbewegung 667. 1050. 

— u. Lob. i anetal. 857. 

Pubertät 283. 661. 

Puerperalpsychosen 278. 926. 

Puls bei Neurasthenie 669.919. 

Pupillenreaction bei vorhan¬ 
dener Lichtempfindung 15. 
—Reflexe vom Ohr aus211. 

— bei Hysterie 830. — 

Sympathicuseinfluss 501. — 
bei Urämie 608. — period. 
Schwankungen bei Cheyne- 
Stokes - Athmen 818. — 

•Starre im hyst. Anfall 906. 

Pyramidenbahn 986. — bei 
Little’scher Krankheit 861. 

— -Kreuzung, Abwesenheit 
derselben 202. — -Vorder- 
strang 999. 

Pyramidon 31. 

(fcuärulanten-Wahnsinn 383. 

Quecksilber, Einfluss auf Ner¬ 
vensystem 456. 

Hachenmnskulatur, Inner¬ 
vation 262. 

Badialis, Resection desselben 
85. — elektr. Erregbarkeit 


788. — -Lähmung nach epi- 
lept Anfällen 691. — -Neur¬ 
algie, hyst. 905. 

Baumsinn u. Bogengänge 457. 

Baynaud’sche Krankheit 512. 
514. 515 (3). 

Becurrenslähmung 73. 

Reflexe of. Haut-, Muskel-, 
Sehnenreflexe. — Verlauf 
derselben 737. — Aufhebung 
derselben 184. — Leitungs¬ 
bahnen 362. — bei Urämie 
608. — Bückenmarksläsion 
612. — bei progr. Paralyse 
648. — bei abgetrenntem 
Bückenmark 1044. — lange 
u. kurze 1045. — gekreuzte 
1046. 

Beflexepilepsie 817. 318. 655. 

Beflexschmerz 75. 


Reflexübertragung, Ort der¬ 
selben 862. 

Regeneration, sympathische 

Nervenfasern 12. 

Bespirationsstörung bei epi¬ 
leptischen Krämpfen 818. 

Retina, Veränderung bei Apo¬ 
plexie 865. 

Riechhirn der Säugethiere 
409. 

Rigidität nach Entfernung der 
Grosshirnhemisphäre 811. 

Bindencentren cf. Hirnrinde. 

Röntgenbilder 188. 812. 978. 

Rolando’sche Zone u. sensible 
Centren 547. 

Rüekenmark cf. Hinterstränge, 
Vorderhorn u. s. w. — der 
Vögel 851.397. — Leitungs¬ 
bahnen 360. — Schnitze’- 
schesCommal07.— Gowers’- 
sch es Bündel cf. dieses. —■ 
Neuroglia 139. — Degene¬ 
rationen nach Durchscnnei- 
düng der vorderen u. hin¬ 
teren Wurzeln 143. — nach 
Amputationen 266. — Lage 
der Fasern in Lumbo-sacnl- 
gegend 170. — bei Defect 
des Plexus brachialis 1022. 
— bei Missbildungen des 
Grosshirns 190. — bei Hirn¬ 
geschwulst 212. — nach 
Entfernung der Gland. para- 
thyreoid. 266. — Missbil¬ 
dung 669. — Spina bifida 
cf. diese. — traumatische 
Blutungen um und in das¬ 
selbe 369. — bei Anämie 
cf. diese. 

Bückenmarksabscess 182.881. 

Rückenmarkscompreesion cf. 
Compressionsmyelitis. — 
path. Anatomie 172. — se- 
cundäre Degeneration 482.— 
schlaffe Länmungen 818. 


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1166 


Bücke: i m ar ksdegenerationen 
cf. &rangerknmkung. — 
8yBfcemuis<he 178. — bei 
Leukämie 182 (2). — bei 
perniciöser Anämie cf. diese. 
Rückenmarkserkrankungen cf. 
Hämatomyelie, Halsmark 

u. s. w. — mit besonderer 
Entheiligung der Blase 13. 

— bei Carcinomatösen 173. 

— bei Phosphorvergiftung 
389. — cf. Trauma. — 
Syphilis cf. diese. — Reflexe 
dabei cf. diese. — Throm¬ 
bosen 759. — Chirurgie 187. 

— cf. Trepanation. — cf. 
Laminectomie. 

RückenmarkserschAtterung, 
experimentelle 368. — nach 
Eisenbahnunfällen 368. 369. 
Bückenmarksgesch Wülste 13 
(2). 96. 568. 820. — cf. 
Dura und Pia spinalis. — 
Sacromatose 98. — Tuberkel 
179. 757. — Sarcom 179. 
— Gliosarcom 756. — Gliom 
763. 764. 

Bückenmarkshäute, Sarooma- 
tose 92. 

Böcken m arksy erän derungen 
bei multipler Neuritis 1008. 
1009. 

Bückenschmerzen bei Unfall¬ 
patienten 372. 

Rücken Verletzungen u. Nerven¬ 
krankheiten 371. 


Sadismus 132. 

Salicylsäureintoxication und 
Psychose 382. 

Schädel bei Geisteskranken 14. 
— des Gesichts 66. — Ver¬ 
letzung 365. 366. — und 
Epilepsie 1134. — bei here¬ 
ditärer Syphilis 1098. — 
Fracturen im ersten Lebens¬ 
jahr 623. — der Basis 729. 

Schädeldach, symmetr. Atro¬ 
phie 416. 

Schädeldeformationen 1093. 

Schädelgrube, Sarcom dersel¬ 
ben 460. 

Schädelknochen cf. Stirnnaht. 

Schädelmissbildung 1006. 

Schilddrüse cf. Glandula thy- 
reoidea. 

Schlaf, Ursache desselben 502. 
647. 860. — bei Epilepsie 
u. Hysterie 651. — Augen 
dabei 860. — Aufmerksam¬ 
keit dabei 950. 

Schlaflosigkeit, Veränderungen 
der Nervenzellen dabei 502. 
950.—psychische Störungen 
949. 


Schleife 816. 986. — abstei- 

^ gende Degeneration 1092. 

Schlucken cf. Deglutition. 

Schmerzen, central entstehende 
870. 

Schreiben 804. 

Schule, Hygiene derselben 622. 

Schul tze’scnes Kommabündel 
547. 552. 564. 

Schwefelkohlenstoffvergiftung 
cf. Gummiarbeiter 681. — 
chron. 493. 

Schweiflähmung des Pferdes 
178. 

Schweiss bei Epileptikern 320. 

Schwere, pathologische 862. 

Schwindel 458. 674. — cf. 
Ohrenschwindel, Meniöre’- 
sohe Krankheit. 

Secundäre Sinnesempfindung 
361. 

Sehact, binocularer beim Pferde 
115. 

Sehbahn cf. Opticus. 

Sehcentrum, Läsion 462. — 
physiol. Untersuchung 720. 

Senhügel cf. Thal. opt. 

Sehnerv cf. Opticus. 

Sehnen, Transplantation bei 
infantiler Paralyse 879. 

Sehnenreflex bei Tabes 140. 
bei Rückenmarkscompres- 
sion 185. — cf. Reflexe u. 
Patellarreflexe. — beiHemi- 
plegieen 282. — bei Rücken¬ 
marksläsionen 613. — bei 
Paralyse 648. — bei Quer¬ 
schnittläsionen des Hals¬ 
markes 746. 819. — bei 
Rückenmarksdurchschnei- 
düng 1044. 

Sehstörungen, hysterisehe 
899. 

Sehstrahlung cf. Opticus 609. 

Seitenstrangsklerose, familiäre 
956. 

Selbstmord in Frankreich 660. 

— in Italien 959. 

Sensibilität, Dissociation 

cf. Syringomyelie. — bei 
Myelitis 587. — bei Brown- 
Sequard’schen Affection 755. 

— bei Hysterie 755. — bei 
Brückenherd 869. 

Serratuslähmung 1104. 

Sexuelle Perversion 132. 282. 
1060 (2), 

Simulation von Geistesstörung 
383. -— von Taubheit und 
Blindheit 570. 

Sinus cavernosus, Thrombose 
909. 

Sinusthrombose 807. 

Sitophobie cf. Nahrungsver¬ 
weigerung. 


Sklerodermie, Thyreoidea¬ 
behandlung 186. 

Sklerose cf. Seitenstrangskle¬ 
rose, Hirnsklerose. — mul¬ 
tiple 177.575.626.877.1141. 
— Aetiologie 177. — pathot 
Anat. 174. 1141. — Augen- 
verändeiungen 175. 178 (2). 

— apoplectiformer Beginn 
176. — u. Gliose 176. — 
u. Bückenmarkstuberkel 179. 
— Muskelatrophie 576. 635. 
— Quecksilberbehandlung 
666. — miliare 668. 701. — 
Hirnrinde 1018. 

Skoliose, hysterische 905. 

Solitäres Bündel cf. Funiculus 
solitarius. 

Somnambulismus bei Alkobo- 
lismus 180. 

Spasmus glottidis 956. 

Speicheldrüsen, Nervenendi¬ 
gungen 141. 

Spnincterenlähmung b. Pferde 
173. 

Spina bifida occulta 663. 669. 
898. — mit Doppeltheilong 
des Rückenmarks 739. 

Spinalganglienzellen, Bau 577. 
697. 797. — bei Tabes 2. 

— nach Durchschneidung 
der hinteren Wurzeln 14. 
156. — Pathologie 151. — 
u. Leukocyten 312. — nach 
Durchschneidung des cen¬ 
tralen Fortsatzes 548. 

Spinalparalyse, spastische 417. 
420. — syphilit 421. 422. 
1097 (2). 

Spinalpunotion cf. Lumbal- 
punction. 

Splanchnicus, Einfluss auf 
Darmbewegungen 500. 

Spondylitis cf. Calotfsches 
Brisement. — tuberculoea 
188. 

Sprache 169.206. — bei Hemi¬ 
plegie 231. — bei Katatonie 
1114. — cf. Aphasie, Laut¬ 
bildung, Idioglossie, Verbi- 
geration. 

Status epilepticuB, Obductions- 
befuna 1063. 

Stauungspapille 781. 

Stirnnaht 1000. 

Stoffwechsel, Störungen bei 
Neurasthenie 1029. 

Stottern, hysterisches 378. 

Strangdegeneration, begin¬ 
nende 890. 

Strangerkrankungen des 
Rückenmarkes, combinirte 
primäre 183. 612. — bei 
tunctionellen Psychosen 457. 

Streifenhügel cf. Nuol. caudat. 

Struma, endemische 268. 


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116 ? — 


Struma, Thyreoidinbehand- 
lung 284 (2). 285. 

Strychnin a. Blutdruck 788. 

Stummheit 218 cf. Mutismus. 

Stupor bei Paranoia 29. 

Suggestionsbehandlung 1014. 

Suprascapularis, Lähmung 73. 

Sympathicus des Halses cf. 
Halssympathicus, Splanch- 
nicus, Oedem. — u. Pupille 
501. — Lähmung 1135. — 
ef. Ganglion mesentericum, 
Vasoconstrictoren und Vaso¬ 
motoren. 

Syphilis cf. Tabes, Paralyse 
progr. — des Hirns 218. 
432. 974.1094. — des Stirn- 
hiras 229. — Gefäßerkran¬ 
kung cf. Hirnarterien. — 
Brown - Söquard’sche Läh¬ 
mung 238. — Hydrocephalns 
421. — des Rückenmarkes 
421. 422 (2). — der Rücken- 
markshäute 1120. — d. Hirns 
u. Rückenmarkes 558. 967. 
— Pachymeningitis cervi- 
calia 960.— Basalmeningitis 
1094. — Meningit. cerebro¬ 
spinalis 1096. — hered. 421. 
556. 572. 1144. — Schädel¬ 
formen 1093. — Pseudo¬ 
paralysis dabei 1093. — 
Therapie 1098. — Glyoos- 
urie 1096. — Neurosen 1098. 
— Spinalparalyse 1097 (2). 
— Diplegia facialis 1100. 

8yringomyeUe cf. Morvan’sche 
Krankheit, Gliose 174. 179. 
181 (2). 571. 754 (2). 755. 
968. — u. Saroomatose 92. 

. — Thoraxbildung 181. 752. 
— mit akromegalischen Er¬ 
scheinungen 564. — Typus 
Morvan cf. Morvan'sche 
Krankheit. — und Trauma 
752. — u. traumat. Rücken¬ 
markserkrankung 745. — 
mit totaler Hemianästhesie 
752. — u. Spontanfractur 
752. — u. Arthropathie cf. 
diese. — Form u. Ausbrei¬ 
tung der Sensibilitätsstörun¬ 
gen 753. — Sensibilität 966. 

Systemerkrankungen, combi- 
nirte 469. 470. 955. 

Tabes 551.554. — experiment 
Erzeugung 429. — Sym¬ 
ptomatologie 17. 555. — 
Frühsymptome560.— syphi¬ 
litische 295. — Anästhesie 
553. 554. — Analgesie der 
Testikel 16. — Geruch und 
Geschmack 18. — Arthro- 

1 >athie cf. diese. — Sensibi- 
ität 17.18. — des Rumpfes 


17. — im Gesicht 667. — 
Dermographismus 555. — 
Patellarrenexe 17. 140. — 
Hautreflexe 140. — Blase 
671. — gastr. Krisen 17. — 
Herpes zoster 556. — Nagel¬ 
erkrankung 1104. — und 
Hysterie 17. 622. — u. Epi¬ 
lepsie 555. — u. Paranoia 
554. — Biernacki’sches Sym¬ 
ptom 18. 141. — Gang¬ 
störungen 560. — Aetio- 
logie. Syphilis 16. 559. — 
Heridität 20.556. — jugend- 
Alter 20. 556. — in Abis- 
sinien 137. — Trauma 519. 
— Aortenerkrankung 555. 

— bei Mann u. Frau 557. 

— u. Paralys. agitans 718. 

— im jugendlichen Alter 
956. — Pathologische 
Anatomie 15. — Spinal¬ 
ganglienzellen 2. — Hintere 
Wurzeln 548. — Vorder¬ 
hornzellen 550. — u. Para¬ 
lyse 621. — Verlauf gut¬ 
artig und bösartig 553. — 
Therapie 20. — Dehnung 
des Rückenmarkes 19. — 
Frenkel’sche Methode 21. 
430. — Sperminum Poehl 
21. — Bewegungstherapie 
664. 665. 

Tachypnoe, hyster. 376. 
Taubheit, unbewusste 803. — 
psychische 806. 
Taubstumme, Hallucinationen 
28. 

Temperatur cf.Kälte- u.Wänne- 
sinn, Hypothermie. 

Testis cf. Hoden. 

Tetanie 272. 276. 968. — im 
Kindesalter 273 (2). — und 
Phosphorvergiftung 273. — 
mit juvenilem Totalstar 272. 

— u. Hysterie 518. 600. — 
u. Schwangerschaft 953. — 
Thyreoidinbehandlung 958. 

Tetanus 657. 658. 718. — 
hydrophob. 146. 659 (2). — 
AntitoxinbehandL 569. 658. 
1187. — traumaticus 1062. 

— rheumatischer 658. — 
Zellenveränderung 860. — 
Rückenmarksveränderuugen 

948. - pathol. Anatomie 

949. — antitoxische Wirkung 
des Centralnervensystems 
1004. 

Tetanus facialis 1137. 
Thalamus opticus, Endigung 
von Hinterstrangfasern 160. 
— Herd u. secundäre De¬ 
generation 570. — u. Seh¬ 
strahlung 609. — Apoplexie 
865. — Physiologie 1143; 


Thomsen’sche Krankheit cf. 
Myotonie. 

Thorax bei Syringom. 181.752. 
Thyreoidin 271 (2). 284 (2) 
cf. Gland. thyreoid., Base¬ 
dowsche Krankheit, Myx¬ 
ödem, Tetanie. 

Tic durch Tranma 327. — 
—oonvulsif Cf. Facialiskrampf. 
Torticollis, hysterischer 905. 
Toxicomanie 234. 

Toxine, Einwirkung auf Ner¬ 
vensystem 237. 

Trabs cf. Corp. callosum. 
Tractus isthmo-striatus 800. 
Traot. opt. cf. Opticus 817. 
Traum bei Epileptikern 321. 

651. — bei Hysterie 651. 
Trauma cf. Hysterie (Aetio- 

logie), Eisenbahnunfälle. — 
und progr. Paralyse 41. — 
Lähmung des Plex. brachialis 
50. — u. Encephalitis 868. 

— u. Apoplexie 742. — u. 
Hirngeschwulst748.—Kopf¬ 
verletzung 63.224.235.822. 
827. 864. 365 (2). 866 (2). 
707. 708. 806 (2). 809. 812. 

u. Porenoephalie 623. 
707. — u. multiple Sklerose 
977. — u. Läsion der Cauda 
equina 864. — u. Nerven¬ 
krankheiten 373. — u.amyo- 
troph. Lateralsklerose 708. 

— u. Pachymeningitis cer- 
vical. hypertr. 288. — des 
Vagus nypoglossus u. Sym¬ 
pathicus 374. — u. Brown- 
Söquard’sche Lähmung 238. 
Poliomyelitis ant. 370 (2). 

— u. Bulbäraffection 239. — 
u. Neurasthenie u. Hysterie 
874. 914 cf. auch diese. — 
u. Epilepsie 321. 322. 650. 

652. — u. Hystero-Epilepsie 
710. — hysterische Tachy¬ 
pnoe 376. — hyst. Hemi- 
plegieen 877. — hyst. Stot¬ 
tern 378. — n. Masseteren- 
contractur 710. — u. Tic¬ 
krankheit 327. — u. alimen¬ 
täre Glycosurie 338. — ex- 

S erimentelle path. Anatomie 
es Nervensystems 862. — 
Alterationen der Ganglien¬ 
zellen 363. — des Thorax 
u. Abdomen 707. — Rücken- 
markserschütterung 368. — 
des Rückens 864. 367. 371. 
— der Wirbelsäule 366.928 
cf. diese. — Rückenschmer¬ 
zen 372. — Dyskinesen 474 
— des Rückenmarks 869. 
745. — Hämatomyelie 750. 
751.—Syringomyelie 752. — 
Pseudo-Meningocele 861. 


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1168 


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Tremor bei Paralysis agitans I 
468. — oach Influenza 468. 
— Physiologie 522. 
Trepanation cf. Craniectomie. 

— des Rückenmarkes of. 
Laminectomie. — des Schä¬ 
dels 224. 235. 810. 811 (2). 
812 (2). 813. 814. — bei 
Epilepsie 321. 322.1136. — ’ 
btt Hirnblutungen 864.—bei 
Hirnsyphilis 974. 1098. — 
bei Hirngeschwülsten 979. 

— bei Hirncyste 1138. 
Trichoästhesiometer 1032. 
Trigeminus cf. Lingualis. — 

spinale Wurzel 409. 754. — 
Verlauf 1041. 

Trinker cf. Alkohol. 

Trional 957. 

Trismus, complicirt mit Ge¬ 
sichtslähmung 146. — hyste- 
ricus 908. 

Trochlearis, period. Paralyse 
78. — Ursprung 454. 
Trochleariskern 1002. 
Tropenklima u. Nerrensystem 
808. 

Trophische Fasern u. hintere 
Wurzeln 547. 

Trunksucht 128.129.180. 284 
cf. Alkoholismus. — Thera¬ 
pie 133. 

Tuoerculose, Neuritis 1006. 
Typhus u. Epilepsie 654. — 
XL Hemiplegie 866. 

Ueberbürdung 920. 
Unfallgesetzgebung 740. 
Unfeilskranke 73. 963. 740. 
750.1067. — Muskelschwund 
709. — cf. Trauma. 


Urämie und Nervenzellen 70. 

— nervöse Symptome 607. 
— Psychosen 826. 

Urin cf. Anurie und Inoonti- 
nentia. — Retention psyeho- 
pathol. Form 884. — bei 
Neurasthenie 1081. 

Vagus cf. Acce88orius. — cen¬ 
trale Endigungen 697. 
Vaguskern 188. 
Vasooonstrictoren im Auricu- 
laris magnus 456. 
Vasomotorische Fasern der 
unteren Extremitäten 171. 
— Störungen bei Hysterie 
912. 

Verbigeration 1115. 
Verrücktheit cf. Paranoia. 
Verwirrtheit 428. 471. 
Vibrationstherapie 141. 
Vorderhornzellen 549 c t Ner¬ 
venzellen. — während der 
Thätigkeit 737. — bei Wir¬ 
kung von Narooticia 1181. 

— bei Geisteskranken 550. 

— bei Tabes 550. — bei 
progressiver Paralyse 551. — 
Ghromatolyse 789. 

Wärmesinn 411 (2). 
Wandertrieb 964. 
Weigert-Pal’sche Färbung cf. 

Färbemethoden. 
Winterschlaf 1180. 
Wirbelcaries 818. 
Wirbelentzündung, tnberculöse 
662. 

Wirbelfractur cf. Trauma, 
Wirbelsäule. 

WirbelgeschWülste 820. 


Wirbelsäule cf. Kyphose. — 
Verwachsungen 366.367. — 
hereditär träumst Verände¬ 
rungen 867.— anky lochende 
Entzündung 708. 828. 1144. 
— Osteomyelitis 709. — 
Bruch 755. 928. 
Wortblindheit 219.714.805 (2). 
Wortstummheit 215. 
Worttaubheit cf. sensorische 
Aphasie 729. 808. 
Würgreflex bei Paralyse 24. 

— bei Hemiplegie 231. 

W urzeln, hintere, Durchschnei- 
düng derselben 14. 547. — 
Verlauf im Cervicalmark 434 

— bei Tabes 548. — bei 
schwerer Anstrex^ung 617. 

— motor. Functionen 699. 

— viscero-motor. Function« 
699. — peripherische Ver¬ 
zweigung 1041. 

Xanthom 78. 

Xerostomie 913. 


Behenreflex 649. 866. 

Zelle cf. Nervenzelle. 

Zittern cf. Tremor. 

Zoophilie 1056. 

Zoophobie 1056. 

Zurechnungsfähigkeit der Hy¬ 
sterischen 961. — vermin¬ 
derte 1016. 1108. 

Zwangsbewegungen 473. 

Zwangsueht 829. 

Zwangsvorstellungen im Kin¬ 
desalter 7. 144. 1057 cf. 
Ereuthopbobie. 

Zwergwuchs, Auge dabei 825. 


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